Skyruns - unglaublich und wirklich nicht zu glauben

Skyruns - unglaublich und wirklich nicht zu glauben Das Bedürfnis in einer möglichst kurzen Zeit einen großen Höhenunterschied zu bewältigen, ist wohl...
Author: Markus Holst
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Skyruns - unglaublich und wirklich nicht zu glauben Das Bedürfnis in einer möglichst kurzen Zeit einen großen Höhenunterschied zu bewältigen, ist wohl genauso alt wie das Bergsteigen selbst. Wer allerdings heutzutage voller Stolz erzählt, er sei im Dauerlauf auf einen Berggipfel oder im Eiltempo über mehrere Gipfel gehetzt, riskiert, dass sein Gegenüber ihm nicht einmal zu hört. Spricht man jedoch von einer Speedbegehung oder einem Skyrun, erntet man Aufmerksamkeit. „Skyrun“ heißt wörtlich übersetzt „Himmelslauf“ - eigentlich Unsinn, denn das Ziel ist weder der Himmel noch die Hölle! Doch plakative und ausdrucksstarke Begriffe sind mehr gefragt denn je, und so mancher lässt sich von hochtrabenden, anglizistischen Ausdrücken mehr überzeugen als von nüchternen und ehrlichen Zahlen. Es scheint, als ob wir uns diesem Kult ergeben müssen, sofern wir auch in der Bergsportszene mitreden und mitspielen wollen. Zumindest hat man sich bemüht, den Begriff „Skyrun“ einigermaßen zu definieren. Man versteht darunter eine schnelle Gipfelbesteigung vom Basislager aus, meist solo und mit minimaler Ausrüstung (keine Zelte, keine Proviantlager, keine Helfer unterwegs, kein künstlicher Sauerstoff). Der Berg muss relativ hoch sein, gewöhnlich höher als 5000 m. Im Ausland wird die Bezeichnung schon seit fast zwanzig Jahren vor allem bei Laufveranstaltungen verwendet. Als geistiger Vater gilt der Italiener Marino Giacometti, welcher schon vor langer Zeit Bergläufe auf den Mt. Blanc oder die Monte Rosa organisiert hat. Seit Mitte der 90er Jahre werden Weltmeisterschaften im Skyrunning durchgeführt. In diesem Zuge gründete Giacometti 1995 die FSA (Federation for Sport at Altitude), eine private Organisation, aus welcher sich 2006 die ISF (International Skyrunning Federation) konstituierte. Alle vier Jahre werden Weltmeisterschaften ausgetragen, alle zwei Jahre Europameisterschaften und jährlich die Skyrunner ® World Series, bei der sich Teilnehmer aus 40 Nationen zu 16 Rennen in 12 Ländern treffen. Die Bezeichnung „Skyrunner“ ist zwischenzeitlich als Marke geschützt und dürfte folglich nur im Sinne der laut ISF eingesetzten Definition verwendet werden. (*1) Neben „Skyrun“ hat sich auch der Begriff „Speedbegehung“ etabliert - ebenfalls eine extreme Spielart des Bergsteigens, die jedoch im weiteren Sinne verstanden werden kann (z.B. auch die schnelle Begehung einer schwierigen Kletterwand, solo oder in Seilschaft). Die schillernde Persönlichkeit im deutschsprachigen Raum in Sachen Skyrunning war in den letzten 10 Jahren Christian Stangl aus Admont in der Steiermark. Durch zahlreiche Rekorde und extreme Promotion verschaffte er sich in der halben Zeit eines Reinhold Messners einen Platz in der Riege der großen Bergsteiger. Vor allem durch ihn wurde bei uns das „Skyrunning“ bekannt. Seine Rekordzeiten haben sich zu Vergleichswerten etabliert, an denen sich die Besten messen wollen. Aus diesem Grund begleitet uns der „Protagonist“ (wie er in seinem Buch „Skyrunner“ bezeichnet wird) wie ein roter Faden durch den nachfolgenden Text. Mount-Everest-Nordseite (8848 m) Mit seiner majestätischen Höhe stellt der Mount Everest selbst einen Rekord dar und ist geradezu prädestiniert für weltweit beachtete Rekordvarianten aller Art: die erste Besteigung … durch eine Frau / ein Ehepaar / die jüngste bzw. älteste Person / einen Behinderten (Beinamputierten, Blinden) / eine Nation; die meisten Besteigungen durch eine Person, der längste Aufenthalt auf dem Gipfel, die erste Hochzeit bzw. Hubschrauberlandung auf dem Gipfel, der erste Gleitschirmflug vom Gipfel, usw. Hans Kammerlander bezwang als Erster den Everest an einem Tag. Im Mai 1996 stieg er in nur 16 Std. 40 Min. vom vorgeschobenen Basislager (ABC) zum Gipfel hinauf. Anschließend fuhr er, einige kurze Unterbrechungen ausgenommen, mit Ski wieder hinab ins ABC, wo er nach knapp 23 ½ Std. eintraf. Bei einer Aufstiegsneigung von 20° benötigte Kammerlander durchschnittlich 41 Min. für 100 Höhenmeter und bewältigte 0,42 km pro Std. (*2) Ebenfalls um 17 Uhr, jedoch 10 Jahre + 1 Tag später, startete der 10 Jahre jüngere Christian Stangl einen Rekordversuch am Everest. Seine Aufstiegszeit von 16 Std. 42 Min. (22 ½ Std. im Auf- und Abstieg) war 2 Min. langsamer als Kammerlanders Ergebnis, welches vom anwesenden Kamerateam bestätigt und nie in Zweifel gezogen wurde. Dass die Verhältnisse an solch einem Berg nie gleich sind und wenige Minuten Unterschied eigentlich nichts bedeuten, weiß jeder Bergsteiger. Wer von den beiden hier der Leistungsstärkere war, lässt sich dadurch nicht belegen. Nur die Uhr scheint eine eindeutige Rekord-Sprache zu sprechen. Christian Stangl gibt

Kammerlanders Zeit mit 17 Std. an und verbucht somit für sich den schnellsten Aufstieg an der EverestNordseite. (*3, S.161) Mit Skiern an den Füßen lassen sich unter Umständen bestimmte Passagen im Abstieg deutlich schneller bewältigen, womit die Totalzeit von Stangl höher zu bewerten wäre. Andererseits darf jedoch nicht vergessen werden, dass Kammerlander seine Ski die gesamte Strecke hochgetragen hat, womit wiederum Kammerlanders Aufstiegsleistung beeindruckender ist. In Stangls Buch (*3, S.164) ist zu lesen: Im „Basecamp (…) interessiert sich keiner für den anderen, dort herrscht völlige Anonymität. Und so verschwand der Skyrunner mit einer gewaltigen alpinen Leistung, die vor Ort niemand registrierte, sang- und klanglos ...“ Doch genau diese Aussage ist ein gefundenes Fressen für die Kritiker. Keine neutrale Person hat Stangls Zeit gestoppt und kann seine Leistung bezeugen. Sehr wohl gibt es aber Personen, die belegen, dass der Steirer vom Lager 1 im North Col gestartet ist (*4) - 600 Hm über dem ABC! - und nicht wie Kammerlander im ABC. Somit erübrigt sich jeder weitere Zeitvergleich. Mount-Everest-Südseite (8848 m) Alpine Heldentaten waren früher am Everest sowie an allen anderen großen Himalaya-Bergen den „Sirs“ vorbehalten. Diese kamen aus dem Ausland, waren meist hellhäutig und hatten vermeintlich viel Geld. Freundlich, zuvorkommend, ja fast untertänig wurden sie von den einheimischen Sherpas hofiert. Ihr gastfreundliches Verhalten machte die Sherpas weltweit zu einem beliebten Volk. Dass sie selbst um Lorbeeren am Berg kämpfen, vereitelte früher vor allem das fehlende Geld, aber vermutlich auch die geistige Haltung. Ein guter Buddhist war ehrlich und zurückhaltend, es lag ihm fern, sich mit bergsteigerischen Großtaten zu brüsten. Doch mit der Zeit vollzog sich ein Wandel. Die Sherpas erkannten ihr Potential: Konditionsstärke, Resistenz gegenüber großen Strapazen, eine bevorzugte Wohnlage bis auf über 4000 m und die hohen Berge vor der Haustüre garantieren eine dauerhafte Akklimatisation und beste Voraussetzungen. Sie begannen, dieses Potential für sich selbst zu nutzen und überwanden die Schwellenangst zur eigenen bergsteigerischen Vermarktung. Heute gehören sie zu den Bergsteigern, die am Everest auf Rekordjagd gehen; freilich im eigenen Land, also auf der Südseite des Mt. Everest. Eine Bestleistung am „Sagarmatha“ verspricht größte nationale Ehre, zusätzlich den Eintrag ins Guinnessbuch der Rekorde. Am 23. Mai 2003 setzte Pemba Dorjie Sherpa (damals 26 Jahre alt) aus dem Rowaling eine Rekordmarke: 12 Std. 45 Min. vom Basislager bis zum Gipfel! (*5) Doch nur drei Tage später unterbot der fast 10 Jahre ältere Lhakpa Gelu Sherpa aus dem Solukhumbu den Rekord: Für die gleiche Strecke brauchte er lediglich 10 Std. 56 Min. 46 Sek. (*6) Ein Jahr später holte sich Pemba Dorjie Sherpa den Titel zurück, indem er die Zeit auf 8 Std. und 10 Min. reduzierte! Die beiden Sherpas lieferten sich einen regelrechten „Kampf“ und zweifelten den jeweils neuen Rekord des anderen an. Letztlich wurde die Zeit von Pemba Dorjie Sherpa durch das nepalesische Ministerium für Kultur, Tourismus und zivile Luftfahrt offiziell als Weltrekord anerkannt. (*5) Wenn man bedenkt, dass der 11-km-Aufstieg über die Südseite um 4 km länger ist und mit ca. 3500 m fast 1000 Hm mehr aufweist als der nordseitige Weg, erscheinen die Zeiten der Sherpas unglaublich. Sind sie auch, sofern man solche Leistungen nur ohne Zuhilfenahme von Sauerstoff (O2) als sportlich einwandfrei bewertet. Die Sherpas benutzten Flaschen-O2, Pemba bei seinem Rekord ab Lager 3, also ab 7300 m. Zwar sind die Leistungen der Sherpas auch inkl. O2-Unterstützung beachtlich, dürfen jedoch nicht mit einer Besteigung ohne O2 verglichen werden. Zitat Kammerlander: „Das ist, wie wenn man die Tour de France mit dem Moped fährt“. Nun stellt sich zwangsläufig die Frage: Wer kann die schnellste südseitige Zeit ohne Flaschensauerstoffhilfe verbuchen? Hier kommt Sherpa Babu Chiri ins Spiel: Im Jahre 2000 unterbot er mit 16 Std. 56 Min. den Rekord seines Landsmannes Kaji Sherpa aus dem Jahr 1998 (20 Std. 24 Min.) um 3 ½ Std.! (*7) Ob Babu Chiri tatsächlich ohne O2 unterwegs war, gilt jedoch als nicht gesichert; hier kursieren unterschiedliche Berichte. Ihn selbst kann man leider nicht mehr fragen; im April 2001 stürzte er in der Nähe von Lager 2 in eine 80 m tiefe Gletscherspalte. So bliebe uns Kaji Sherpa als der Schnellste ohne O2 auf der Südseite. Doch auch hier gibt es Stimmen, die behaupten, dass er O2 benutzt hat. Damit reicht die einzige, nicht umstrittene, sauerstofffreie südseitige Begehung auf den 26. September 1988 zurück: der Franzose Marc Batard benötigte 22 Std. 29 Min. (*8). Viele Sherpas haben die Scheu vor Publikationen gänzlich verloren. Recherchiert man im Internet, gewinnt man fast den Eindruck, als ob sie die Rekordjagd nur noch unter sich bestreiten; über den Tellerrand wird

anscheinend nicht mehr geblickt. So glaubt Pemba Dorjie Sherpa heute noch, dass es weder auf der Südnoch Nordseite des Everest eine Rekordbesteigung ohne O2 gab. (*5) Vielleicht sollten sich manche Sherpas doch wieder etwas mehr mit den „Sirs“ beschäftigen und soviel Bescheidenheit zurückgewinnen, dass sie ihre Sauerstoffnutzung, auch in Veröffentlichungen, eingestehen.

Aconcagua (6962 m) Mit fast 7000 m ist der Aconcagua der höchste Berg des amerikanischen Doppelkontinents und zugleich die höchste Erhebung außerhalb des Himalayas. Der Ausgangsort lässt sich leicht mit Fahrzeugen erreichen, der Gipfelanstieg ist technisch einfach und man muss sich nicht vor Gletscherspalten fürchten. So liegt es nahe, dass dieser berühmte Riese Bergläufer aus der ganzen Welt herausfordert. Das Basislager ist vom Gipfel 2500 Höhenmeter und 8,8 km entfernt. Christian Stangl benötigte bei seinem ersten Anlauf im März 2002 nur 4 Std. 47 Min. bis zum höchsten Punkt. Doch dies genügte dem ehrgeizigen Athleten aus dem Gesäuse nicht, und so startete er nach einer kurzen Erholung im Talort Mendoza einen weiteren Versuch. Am 4. März verbesserte er seine eigene Zeit um gute 20 Min. auf 4 Std. 25 Min. und unterbot somit die Zeit der französischen Groupe Militaire de Haute Montagne von 1992 um 9 Min. Hin und zurück brauchte Stangl 6 Std. Nun war der Skyrunner zufrieden und bezeichnete seine Zeit als Weltrekord. „Normale“ Bergsteiger benötigen übrigens für den Auf- und Abstieg mind. 4 Tage! Nicht erwähnt wird in Stangls Buch eine Zeitbegehung der italienischen FSA-Sportler Brunod, Meraldi und Pellissier im Jahr 2000. Die drei Ausdauersportler können auf zahlreiche Rekorde und erste Plätze bei internationalen Bergläufen zurückblicken. Bruno Brunod gewann die „Vertical Kilometer“, wurde zweimal Skyrunning-Weltmeister und hält heute noch die Aufstiegsrekorde von Gressoney zum Monte-Rosa-Gipfel sowie von der italienischen Seite auf´s Matterhorn: 2 Std. 12 Min. benötigte Brunod für die 2470 Hm ab der Kirche in Breuil-Cervinia bis zum Gipfel; 3 Std. und 14 Min. später war er wieder unten. Die Zeit am Aconcagua entsprach den Erwartungen: 3 Std. 40 Min. für den Aufstieg, 1 Std. 12 Min. für den Abstieg: ergibt eine Gesamtzeit von 4 Std. 52 Min. Die drei Italiener bildeten ein Team und erreichten gemeinsam den Gipfel, d.h. der Schnellste wäre vermutlich noch etwas schneller gewesen. Zu berücksichtigen ist vor allem auch, dass Start und Ziel der drei Athleten das Refugio Plaza de Mulas war, welches ca. 25 Min. (normale Gehzeit) weiter entfernt vom Basislager liegt. (*9) Ähnlich wie in Nepal zeigten die Einheimischen in Südamerika jahrzehntelang kaum Interesse am Leistungsbergsteigen. Doch auch hier vollzog sich eine drastische Wende. Nicht nur Bergsteiger aus den reicheren Nationen wie Chile und Argentinien, sondern auch Bolivianer, Peruaner und Ecuadorianer können inzwischen an den Bergen der Welt respektable Erfolge vorweisen. Wie die Nepalesen haben auch die Andenbewohner deutliche Heimvorteile. Am Aconcagua versuchten sie, die Europäer durch eine andere Variante zu schlagen: Sie starteten weder am Refugio Plaza de Mulas noch am Basislager, sondern im 25 km entfernten Horcones. Insgesamt 13 Stunden, verteilt auf zwei Tage, ist der normale Bergsteiger von hier bis zur Plaza de Mulas unterwegs! Der aus Patagonien stammende, unter anderem durch anspruchsvolle Klettereien bekannte Willie Benegas benötigte im Jahr 2000 ab dem Ende der Fahrstraße (Nähe Horcones) 16 Std. und 10 Min. bis zum Gipfel 33 km Laufstrecke und ca. 4100 Hm! - und rannte in 6 Std. 50 Min. wieder zurück! Die Gesamtzeit, „ida y vuelta“ wie die Spanier sagen, betrug folglich 23 Std. - eine alpine Ausdauerleistung, die selbst Weltspitzenathleten ins Staunen versetzte! (*10) Allerdings war dies noch nicht die Grenze des Machbaren. 6 Jahre später unterbot der Bergführer Holmes Pantoja Bayona die Zeit von Benegas um mehr als 3 Std.! Der Start wird mit 2850 m angegeben, was direkt am Parkrangerhäuschen sein müsste, also noch 1,5 km weiter unten als Benegas´ Ausgangspunkt. Am 3. Februar 2006 um 22:45 Uhr lief der 28-jährige Peruaner in 13 Std. auf den Gipfel des Aconcagua, in 20 Std. 35 Min. “ida y vuelta“. Die Rekordzeit wurde von Parkrangers registriert, es existieren Zeugen und Gipfelfotos. (*11) Doch das Rad drehte sich weiter und schneller als gedacht. Noch im gleichen Jahr sollte der Rekord wieder zurück nach Europa wandern. Der Spanier Jorge Egocheaga, mit 10 Achtausendern kein Unbekannter in der Szene, rannte in 7 Std. 52 Min. auf den Gipfel und war nach insgesamt 14 Std. 6 Min. wieder am Ausgangspunkt. Die neue Bestmarke, in der Zeitung „Nueva Espana“ veröffentlicht, wurde jedoch nicht nur bewundert, sondern auch bezweifelt. Falls Egocheagas Zeit stimmt, war er im Aufstieg gute 5 Std. schneller als sein Vorgänger Holmes Pantoja Bayona; in der „Nueva Espana“ war jedoch zu lesen, dass er seinen Vorgänger um eine Stunde unterbot. Irgendetwas stimmt hier nicht. Auch existieren keine klaren Angaben über Startpunkt und Zwischenzeiten; Zeugen oder GPS-Daten fehlen. In nur 3 Std. soll Egocheaga die 1600 Hm ins Basecamp (BC) Plaza de Mulas mit einem Tempo von 8,3 km

pro Std. auf weichem Schotter zurückgelegt haben - eine Zeit, die selbst Weltmeister Bruno Brunod für utopisch hält. Rechnet man weiter, kommt man auf durchschnittlich 11 Min. für 100 Hm, sowohl für den ersten Teil als auch für die restliche Strecke bis zum Gipfel. In dem flachen Gelände bis ins BC lassen sich aber maximal 75 % der Hm bewältigen, die man an den steilen Hängen oberhalb des BC schafft. Also auch hier bleibt ein großes Fragezeichen! Zwischenzeitlich wird Egocheagas K2-Besteigung im Jahre 2009 ebenfalls angezweifelt. Es gibt keinerlei Beweise, seine Beschreibung des Gipfelgeländes weicht von der Realität ab, und seine Leistung von 10 ¼ Std. inkl. Spurarbeit vom Lager 3 bis zum Gipfel halten auch Insider für nahezu unmöglich. Dies gießt den Kritikern, zu denen übrigens auch Christian Stangl gehört, noch mehr Öl ins Feuer. (*12) Denali (6199 m) Dieser Berg, im deutschsprachigen Gebiet besser unter dem Namen Mt. McKinley bekannt, ist der nördlichste 6000er sowie der höchste Berg Nordamerikas und trägt den Titel „kältester Berg der Welt“. Etwa drei Tage sind die Aspiranten über 2000 Hm bis zum sog. Medical-Camp (eine Art vorgeschobenes Basislager) unterwegs, von dort weitere 2000 Hm verteilt auf zwei Tage bis zum Gipfel. Für nicht akklimatisierte Bergsteiger, empfiehlt die Danali Nationalpark-Behörde als schnellste Auftiegsrate vom Basislager bis zum Gipfel ganze 14 Tage! Vom Basislager am Kahiltna-Gletscher müssen 28 km bis zum höchsten Punkt zurückgelegt werden. Was die Daten betrifft, also vergleichbar mit dem Anstieg zum Aconcagua ab Horcones. Die Gipfelhöhe ist zwar fast 800 m geringer, dafür ist jedoch das Umfeld ungleich alpiner. Es gibt Gletscherspalten und bei schlechtem Wetter größere Orientierungsprobleme. Der untere Teil wird gewöhnlich mit Skitourenausrüstung zurückgelegt, bergsteigerische Fähigkeiten sind hier folglich mehr gefordert. Christian Stangl berichtet über seine Denali-Besteigung gedämpfter als sonst und zeigt ausnahmsweise Respekt vor einem Berg: „Die Dimensionen des Denali habe ich voll unterschätzt, allein die Horizontaldistanzen haben sich echt gewaschen, und gemessen an den Höhenmetern war der Everest vergleichsweise einfach.“ (*3“, S.173) Aber vielleicht spricht daraus auch ein gewisser Frust, denn schließlich war Stangl mit 16 Std. 45 Min. mehr als 2 Std. langsamer als im Juni 2003 sein Vorgänger Chat Kellogg aus den USA mit 14 Std. 22 Min. Hin und zurück benötigte dieser knapp einen Tag: 23 Std. 55 Min. (*3, S.171 f) Doch Kellogs Rekord wackelt. Zwar schildert er die Besteigung auf seiner eigenen Website äußerst präzise und ausführlich mit zahlreichen Details und nennt sogar Zeugen, doch die Kritiker sind skeptisch. Sie vermissen ein Gipfelfoto sowie einen neutralen Zeitnehmer und behaupten, dass sowohl die zeitnehmende Person als auch die Zeugenaussagen und Zeiten manipuliert seien. Es gelte als bewiesen, dass Kellogs korrekte Aufstiegszeit 17 Std. 37 Min. sei, womit Stangl doch zum Rekordhalter würde. Auch nimmt man Kellog übel, dass er zunächst die Unterstützung verschwieg: Getränke und warmes Essen wurden ihm an den Lagern vorbereitet, was den Aufstieg über eine solch lange Strecke deutlich erleichtert. Im Internet (*13) wird er sogar als der vielleicht „most astounding multi-fraud committer in world history for speed records“ bezeichnet (übersetzt: der vielleicht erstaunlichste Mehrfachbetrüger in der Weltgeschichte des Speedbergsteigens). Diese harte Bewertung resultiert daraus, dass auch mehrere seiner anderen, großen Unternehmungen umstritten sind (z.B. Broad Peak, Ama Dablam, Pik Pobeda, Khan Tengri); seine Speedrekorde am Denali und Mt. Rainier sollen ihm sogar offiziell aberkannt worden sein. (*14) Kilimanjaro (5895 m) Kilimanjaro und Everest sind das berühmteste Bergpaar der Welt. Zwar ist der Kibo um einiges niedriger als sein gefürchteter Partner, aber dennoch gilt er als der höchste Berg zwischen Anden und Himalaya und als der größte freistehende Bergkegel der Welt. Die Aufstiegsrouten sind lang, aber unschwierig, auf Steigeisen oder schwere Schuhe kann verzichtet werden, das Wetter ist relativ stabil, die Orientierung einfach - alles ideale Voraussetzungen für Speedbegehungen! Ein Problem gibt es allerdings: Wettbewerbe und Einzelbegehungen sind am Kilimanjaro verboten! Dennoch finden die Aspiranten immer wieder Lösungen; mit viel Trinkgeld scheinen sich die Paragraphen ordentlich verbiegen zu lassen. Am Kibo gibt es klar definierte Startpunkte (Nationalpark-Eingänge), einen eindeutig markierten Gipfel sowie Parkranger, welche eine neutrale Zeitmessung übernehmen könnten. Ob Finanzspritzen nur Verbote aufweichen oder auch Stoppuhren individuell anpassen, wissen wir nicht. Doch wie dem auch sei: Am Kilimanjaro purzeln seit Jahren die Rekorde.

Wieder einmal setzte Bruno Brunod aus dem Aostatal eine Messmarke. Bereits 2001 spurtete er in 5 Std. 38 Min. vom Marangu-Gate bis zum Gipfel (35 km), hin und zurück (70 km) in 8 Std. 34 Min. Da die Strecke mit einer Neigung von durchschnittlich 7° recht flach verläuft, lässt sich hier eine hohe Geschwindigkeit erzielen. Brunod lief ca. 6,2 km pro Std. und bewältigte 100 Hm in 8,4 Min. Niemand zweifelt an dieser Leistung. (*15) 2004 trat Christian Stangl an. Er kannte den Berg gut und konnte die ideale Linie für eine schnelle Besteigung austüfteln: den unteren Teil über die Umbwe-Route und vom Barancu-Camp geradeaus über die Westernbreach von Westen her zum Gipfel. Die präzise Tourenvorbereitung in Verbindung mit seiner Konditionsstärke bescherten ihm einen neuen Rekord: 5 Std. 36 Min., also zwei Min. schneller als Brunod. (*3, S.151) Was nicht veröffentlicht wurde: Stangls Startpunkt liegt zwar 200 Hm tiefer, seine Route (19 km) ist jedoch 16 km kürzer als die Marangu-Route (hin und zurück 32 km). Für 200 Hm mehr sind ca. 15 Min. einzukalkulieren, 16 km weniger bedeuten jedoch eine Zeitersparnis von mind. 2 Std. Das heißt: Stangl mag zwar schneller gewesen sein und der Weltrekord-Anspruch berechtigt, doch Brunods Leistung ist bedeutend höher einzustufen. Kurze Zeit nach Stangls Begehung wurde die Westernbreach von der TANAPA (Nationalparkbehörde) wegen Steinschlaggefahr bis auf weiteres gesperrt und somit die kürzeste Aufstiegroute für die Zukunft geblockt: eigentlich gute Voraussetzungen, um Stangls Rekord zu konservieren. Doch die Jagd ging weiter: Bereits ein Jahr später wurde Stangls Zeit von dem Amerikaner Sean Burch wieder gebrochen – und dies sogar über die lange Marangu-Route. Burch ist Fitnesstrainer und freiberuflicher Schriftsteller und bezeichnet sich selbst als Motivations-Spezialist. Bescheidenheit scheint für ihn ein Fremdwort zu sein, wie bereits der erste Blick auf seine Website verrät. Vor seinem Rekordversuch stieg Burch zur Höhenanpassung erst einmal über die Umbwe-Route zum Gipfel und verbrachte zwei Nächte in der Nähe des Reuschkraters (auf 5600 m), ehe er über die Mweka-Route wieder abstieg. Am 7. Juni 2005 startete er dann erneut am Marangu-Gate, stand 5 Std. 28 Min. 48 Sek. später auf dem Uhuru Peak und hatte damit Stangls Zeit um 8 Min. unterboten. Ausführlich berichtet er auf seiner Website über den Aufstieg, Zwischenzeiten und Zeugen werden jedoch nicht genannt. Auch scheint es keine GPS-Aufzeichnung zu geben. Sicherlich wäre die Gesamtzeit am Marangu-Gate registrierbar gewesen. Doch vom Abstieg ist keine Zeit bekannt, Burch stoppte nur seinen Aufstieg, und am Gipfel war kein Zeuge postiert. Aus diesem Grund gilt die Begehung nicht als „offiziell“ und lieferte reichlich Zündstoff für Zweifler. (*16) Allerdings war spätestens am 15. Oktober 2009 die Diskussion um Burchs Weltrekord ohnehin wieder überholt. Andrey Puchinin, der 36-jährige Profibergsteiger aus Kasachstan, machte sich am Marangu-Gate bereit für einen neuen Rekordversuch am Kilimanjaro. Schon bei zahlreichen offiziellen Berglaufveranstaltungen hatte er bewiesen, dass er zur Weltspitze gehört. Puchinin ist kein Selbstvermarkter und präsentiert sich auf keiner Internetseite. Die TANAPA hat jedoch seine Zeiten bestätigt und auf der Besteigungsurkunde vermerkt. Diese wurde von der „Mountaineering World of Russia“ im Internet veröffentlicht und ist somit für jedermann einsehbar. Mit 5 Std. 24 Min. 40 Sek. liegt Puchinin zwar nur 4 Min., aber eindeutig unter der Zeit des Amerikaners Burch. (*17) Schon ein Jahr später, im Oktober 2010, war der nächste Aspirant startbereit: Kilian Jornet aus den Pyrenäen, ein renommierter Athlet mit zahlreichen internationalen Titeln z.B, zweifacher Gewinner des UltraTrail du Mont-Blanc (166 km und 9400 Höhenmeter), Climbathon Gunung Kinabalu (2007, 2009), Skyrunning Weltmeisterschaft 2007, 2008, 2009 und 2010 und und und. Wie Stangl nutzte der 22-jährige Spanier den unteren Teil der Umbwe-Route, setzte dann aber den Aufstieg über das Karanga Tal und die Barafu Hut fort. Diese viel begangene Strecke mit einer Durchschnittsneigung von 10° ist 6 km länger als Stangls Linie, aber 10 km kürzer als die Marangu-Route. So erreichte Jornet den Kibo-Gipfel in 5 Std. 23 Min. 50 Sekunden (7,7 Min. pro 100 Hm und 4,6 km/Std.) und war damit 50 Sek. schneller als Andrey Puchinin. Auf dem direkten Abstieg über die Mweka-Route (22 km und 4200 Hm) sprintete Jornet in einer unglaublichen Zeit von 1 Std. 50 Min. zurück zum Mweka-Gate. Mit insgesamt 7 Std. 14 Min. für diesen „round-trip“ knackte er die 6 Jahre alte Bestzeit des Tansaniers Simon Mtuy auf der gleichen Route um 1 ¼ Std.! Dieser hatte im Jahr 2004 den Gipfel über die Umbwe- und Mweka-Route in 6 Std. erreicht und war nach 8 Std. 27 Min. (inkl. 7 Min. Pause mit Erbrechen auf dem Gipfel) zurück am Mweka-Gate. (*18) Fazit: Rekordhalter im Auf- und Abstieg entlang der Umbwe-Karanga-Barafu-Mweka-Route ist der junge Spanier Kilian Jornet. Andrey Puchinin gelang der schnellste Aufstieg über die Marangu-Route; der Schnellste im Auf- und Abstieg ist hier seit 10 Jahren der Superstar Bruno Brunod aus dem Aostatal.

Elbrus (5642 m) Ob nun der Mt. Blanc oder der Elbrus Europas höchster Berg ist, darüber wird schon lange diskutiert. Die Umgebung des Elbrus passt jedenfalls anthropologisch, wirtschaftlich und kulturell nicht unbedingt ins mitteleuropäische Bild. Um so weniger umstritten sind die Rekordzeiten an diesem Gipfel. Schließlich sorgen unabgängige Wettkampfkomitees für eine geregelte Durchführung und neutrale Zeitmessung. Bei zwei Berglaufveranstaltungen – einmal im Frühling mit Ski, einmal im Sommer - gibt es die Möglichkeit, Lorbeeren zu ernten. Die Elbrus-Rennen gehen auf das Jahr 1989 zurück, führten damals jedoch noch nicht über die gesamte Strecke vom Tal bis zum Gipfel. Vornehmlich Bergsteiger aus den ehemaligen Sowjetländern und Polen kämpften um die ersten Plätze. Zu Sowjetzeiten galten die Rennen als Härtetest und Training für große Unternehmungen an hohen Bergen; die besten Läufer durften an schweren Expeditionen teilnehmen. Auf den Siegerlisten finden sich berühmte Namen wie Anatoli Boukreev, Andrey Puchinin und Denis Urbuko. Das Red Fox Elbrus Race, organisiert vom Russischen Bergsteigerverband und der Outdoor-Firma Red Fox, findet seit 2008 jedes Jahr Anfang Mai statt. Bei diesem Festival werden im Laufe einer Woche verschiedene Wettkämpfe ausgetragen: eine Team-Meisterschaft, ein Skitourenrennen über 1000 Hm, ein Schneeschuhrennen und schließlich die Königsdiziplin: ein „high-speed run“ von den Botschkis (tonnenförmige Hütten auf 3708 m) zum Elbrus-Gipfel (5642 m). 2010 bewältigten 30 Ausdauersportler die die 7,4 km lange Strecke und 1900 Hm, allen voran Mikhail Klimov aus Moskau mit einer berauschenden Zeit von 2 Std. 27 Min. Ganze 16 Min. war er damit schneller als sein Vorgänger Semyon Dvornichenko im Jahr 2009. (*19) Im September folgt das fast gleichnamige Elbrus Race, welches seit 2005 von Top Sport Travel und Mountaineering World of Russia organisiert wird. Es umfasst zwei Disziplinen: die „Classic-Route“, von den Botschki-Hütten bis zum Gipfel, und die „Extreme-Route“, welche sich ab Azau (Talort auf 2360 m) mit einer Durchschnittsneigung von 15° über 3280 Hm und 12,5 km zum höchsten Punkt hinauf zieht. Gewinner der „Kurzstrecke“ war 2010 der 38-jährige Profi Andrey Puchinin, den wir schon vom Kilimanjaro kennen. Mit 2 Std. 34 Min. verbesserte er seinen eigenen Rekord von 2006 um 12 Min. Die absolute Sensation lieferte jedoch der erst 22-jährige Andrzej Bargiel aus Polen, welcher mit 3 Std. 23 Min. auf der extremen Strecke den „World Record on Elbrus“ für sich verbuchen konnte. Mit durchschnittlich 3,7 km/Std. war der junge Pole unterwegs und überwand 100 Hm in 7,7 Min. Hier wurde eine absolute Weltspitzenleistung vollbracht, sicherlich vergleichbar mit einem Weltrekord beim Berlin-Marathon. (*17) Doch wo bleibt hier der Österreicher Christian Stangl? Das wird sich so mancher fragen! Er war ebenfalls schnell - und dies bereits 5 Monate bevor das Elbrus Race erstmals von ganz unten (Azau) bis ganz hinauf führte. Am 27. April 2006 bezwang Stangl mit minimaler Ausrüstung und einem GPS-Gerät den Gipfel in einer zweifellos hervorragenden Zeit von 5 Std. 18 Min. - „wie immer stilrein“ und ohne Fremdunterstützung (*3, S.155). Schon im darauffolgenden September hätte er also die Möglichkeit gehabt, seine Zeit offiziell zu bestätigen. Da während des Rennens an einigen Stellen Getränke gereicht werden, hätte Stangl sein Rucksackgewicht weiter reduzieren und eine noch schnellere Zeit anvisieren können. Auf der Anmeldeliste war Stangl schon verzeichnet, doch unmittelbar vor dem Start stornierte er seine Teilnahme. Sieger wurde Denis Urbuko mit 3 Std. 55 Min. 58 Sek. (1 Std. 23 Min. schneller als Stangl)! Urbukos Rekord hielt 4 Jahre lang – bis Andrzej Bargiel an den Start ging. (*20) Weitere Speed-„Spielplätze“, Akteure und Gedanken Neben Everest, Aconcagua, Denali, Kilimanjaro und Elbrus existieren natürlich weitere attraktive Berge, welche geeignete und beliebte „Rennstrecken“ bieten. Am Mt. Kinabalu in Malaysia (Borneo) wird seit 1987 jährlich der Climbathon ausgetragen; Am Mustagh Ata (7546 m), dem „Vater der Eisberge“, konnten sogar mal Deutsche sehr schnelle Zeiten vorweisen (Robl, Böhm u. Haag) die Rekordzeit dürfte aber der junge Italiener Giovannini Diege inne haben. Im Himalaya sind der Shisha Pangma, Cho Oyu und Broad Peak als große Ziele bei den „Speedies“ begehrt. Auch in den Anden tut sich viel: Ojos del Salado, Cotopaxi, Sajama, Huayna Potosi, Cotopaxi und Chimborazzo werden vor allem von Südamerikanern berannt, zum Teil unterstützt von ganzen Mannschaften, welche die Rekordzeiten bestätigen können. Reinhold Messner spricht sich vehement gegen Extrembergläufe aus. Seine Argumente sind nachvollziehbar, vielleicht sollten Berge wirklich nicht für solche Events missbraucht werden.

Zwei Tote beim Zugspitz-Extremberglauf im Juli 2008 haben heftige Diskussionen entbrennen lassen. Bilder von völlig ausgepumpten Sportlern, die ihre Leistungsgrenzen überschreiten, mangelhafte Ausrüstung und Verpflegung, schlechtes Wetter und Orientierungsprobleme zeigen, dass solche spektakulären Events immer eine Gratwanderung sind. Doch auch wenn organisierte Bergläufe auf hohe Gipfel nicht jedermanns Zuspruch oder Begeisterung finden, lässt sich das Rad der Zeit wohl nicht mehr zurück drehen. So bleibt nur die Diskussion um die Optimierung der Wettkampf- und Sicherheitsbedingungen (z.B. Wettkampfkomitees, bestehend aus berglauferfahrenen, umsichtigen Berufsbergführern; genügend Streckenposten, bestehend aus korrekt ausgebildeten Einsatzkräften der Bergwacht) - an der Zugspitze ging man hier mit schlechtem Vorbild voran! Des Weiteren könnte man auch das Zeitalter beenden, in dem sich Protagonisten selbst die Goldmedaillen umhängen. Bei keiner anderen Sportart ist das möglich. Meisterschaften, bei denen es um Leistungsvergleiche und nennenswerte Rekorde geht, unterliegen normalerweise klaren Regeln und strengen (Doping-) Kontrollen. Würde zum Beispiel ein Marathonläufer irgendwann und -wo bei einem privaten Lauf die Strecke unter 2 Std. bewältigen oder ein Leichtathlet im Training über 9 Meter weitspringen, käme niemand auf die Idee, dies als neuen Weltrekord zu proklamieren. Zudem würde ihm dies kaum jemand abnehmen. Nur beim Bergsteigen scheint man bis dato nahezu alles zu glauben. Doch immer mehr kritische Töne werden laut. In einem Internet-Forum (*21) ist zu lesen: „The sport is a mockery. Seems it does a substantial number of climbers (…) are just very dishonest people who very often embellish, lie, deceive, conjure, … “ (d.h. Der Sport ist ein Hohn. Es scheint, dass eine beträchtliche Zahl von Bergsteigern (…) sehr unehrliche Leute sind, die sehr oft Dinge verschönern, lügen, täuschen, zaubern können, …) Falsche Angaben bezüglich sportlicher Leistungen sind unfair gegenüber anderen Sportlern und betrügerisch gegenüber den Sponsoren. Fazit: Beweise sind unumgänglich! Während sich andere Bergsport-Disziplinen diesbezüglich wesentlich schwieriger oder gar nicht kontrollieren lassen - wie soll zum Beispiel bewiesen werden, dass ein RotpunktKletterer in einer großen Wand tatsächlich keinen Haken als Griff benutzte? - sind Speed-Rekorde relativ gut messbar. Durch eine neutrale Zeitnahme, unabhängige Zeugen, Fotos und GPS-Aufzeichnungen (wobei letztere unmittelbar nach dem Lauf in neutrale Hände gegeben werden müssen) lassen sich Manipulationen weitgehend ausschließen. Noch besser wären elektronische Sender, welche die Begehung per Satellit verfolgen – solche werden z.B. von der Firma „Spot“ vertrieben. Auch wenn viele Traditionalisten das Speedbergsteigen ablehnen, wären oben genannte Methoden zumindest eine Basis für zuverlässige, eindeutige Auswertungen und damit glaubwürdige Rekorde. ____________________________________________________________________________________ Quellenhinweise (*1) www.skyrunning.com (*2) pers. Auskunft vom 07.03.11 sowie div. www (*3) Ernst Kren: Christian Stangl. Skyrunner, Leykam Buchverlag, Graz 2009 (*4) pers. Auskunft von W. Studer sowie div. www, z.B. falter.at (*5) pers. E-Mail vom 08.03.11 sowie div. www, z.B. everestsummiteersassociation.org, wikipedia.org (*6) div. www, z.B. everestsummiteersassociation.org, wikipedia.org (*7) div. www, z.B. mounteverest.net, everestsummiteerassociation.org, sherpa.blog.com (*8) pers. E-Mail vom 15.03.11 (*9) pers. Auskunft vom 07.03.11 sowie everestnews.com (*10) div. www, z.B. .k2news.com, Everestnews.com, 2.thenorthface.com, desnivel.com (*11) div. www, z.B. summitpost.org, explorersweb, desnivel.com (*12) div. www, z.B. climbing.com, explorersweb, barrabes.com, mohammednc.blogspot.com (*13) theadventureblog.blogspot.com (*14) div. www, z.B. chadkellogg.com, jsweb.yuku.com, 7summits.com, getoutdoors.com, theadventureblog.blogspot.com (*15) div. www, z.B. climbmountkilimanjaro.com, alpinia.net (*16) www.seanburch.com (*17) pers. E-Mails vom 17.03.11 + 19.03.11 sowie www.russianclimb.com (*18) div. www, z.B. gadling.com (*19) div. www, z.B. redfox-europe.com, elbrus.redfox.ru, 7tops.com (*20) div. www, z.B. theadventureblog.blogspot.com (*21) www.theadventureblog.blogspot.com __________________________________________________________________________________________________________ Pfronten, März 2011, Toni Freudig

Zweifel an Christian Stangls Angaben bzgl. seiner Everest-Besteigung Im Rahmen der Erarbeitung eines Artikels über Rekordbegehungen an den Bergen der Welt stieß ich auf mehrere Ungereimtheiten bzgl. Christian Stangls Speedbegehung am Mt. Everest im Jahre 2006. Diese sind im Folgenden kurz dargestellt.

Frage des tatsächlichen Startpunktes Am 23.05.2006 stieg der vorarlbergische Bergführer Wilfried Studer zusammen mit seiner Frau vom Everest North Col (Lager auf 7050 m) über den Nordgrat auf. In 7500 m Höhe kehrten die beiden um und gingen zurück zum North Col. Dort trafen sie auf Christian Stangl. Am Abend stiegen die Studers weiter ab ins ABC (vorgeschobenes Basislager auf 6450 m). Um 18 Uhr forderte Stangl bei Kusang Sherpa (Koch) Gas zum Kochen an; Stangl war also um diese Zeit noch im North-Col-Lager. Auch am nächsten Tag, 24. Mai, war Stangl bis 14 Uhr nepalesischer Zeit noch nicht im ABC, denn solange hielten sich Studers dort auf, bevor sie zum Basislager auf 5200 m abstiegen. Dass die beiden Stangl übersehen haben, ist ausgeschlossen, da ihre Zelte nebeneinander standen und verschiedene Ausrüstungsgegenstände auf beide Zelte verteilt waren. Wäre Stangl tatsächlich an diesem Tag um 17 Uhr vom ABC (6450 m) zu seinem Gipfellauf gestartet, hätte er vor dem Start (also vor 17 Uhr) dort eintreffen müssen; er wurde jedoch von niemandem gesehen. Nahezu alle Bergsteiger auf der tibetischen Everestseite orientieren sich an der nepalesischen Uhrzeit. Falls Stangl seine Uhr nach tibetischer Zeit eingestellt hätte, wären obige Zeitangaben verschoben, aber dennoch wäre es belegbar, dass er nicht im ABC war. Zudem wäre es taktisch völlig unklug, kurz vor solch einem extremen Gipfellauf, den man in Rekordzeit bewältigen will, noch 600 Höhenmeter abzusteigen. Normalerweise ruht man sich davor möglichst lange aus (gewöhnlich sogar mehrere Tage). Zeugen, die Stangl in der entscheidenden Zeit am ABC gesehen haben, sind wie bereits erwähnt nicht bekannt. Jedoch gibt es zwei Brasilianer (Paulo Rogerio und Helena Guiro), die sich an einen Österreicher erinnern, der sehr schnell auf den Gipfel wollte. Da zu dieser Zeit ohnehin nur ein Österreicher vor Ort war, kann dies nur Stangl gewesen sein. Sie sagen, er habe im North Col geschlafen und sei auch von dort gestartet! Ein bekannter deutscher Höhenbergsteiger glaubt sich zudem zu erinnern, dass von Stangl selbst, kurz nach seiner Begehung sogar geäußert worden sei, dass er nicht vom ABC aus, sondern in der Nähe des North Col gestartet sei. Stangl berichtet über die Medien und in seinem Buch, dass er am 24.05.06 um 17 Uhr vom „Camp“, zu seinem Gipfellauf gestartet sei. Schon in der Einleitung seines Berichts spricht er von einem Höhenunterschied von 2448 m, im Internet gibt er 2400 m an, was der Höhendifferenz ABC/Gipfel entspricht. Wohl jeder Leser versteht Stangls Veröffentlichungen so, als ob dieser vom ABC aus gestartet sei. Auf Stangls Website ist zu lesen, dass er vom Basislager gestartet und nach 22 Std. wieder dort eingetroffen ist. In seinem Buch steht ebenfalls geschrieben, dass der Zielpunkt das Basislager gewesen sei. Dieses liegt jedoch noch 1200 m tiefer als das ABC und kann deshalb keinesfalls als Start oder Ziel in Betracht kommen. Wenn es schon um bergsteigerische Weltrekorde geht, ist das Mindeste, dass man Begriffe wie Basislager und ABC unterscheidet. Was hier publiziert wurde, ist nicht mit einer oberflächlichen Berichterstattung zu entschuldigen, sondern mehr oder weniger Täuschung! Wird eine Speedbegehung oberhalb des ABC gestartet, widerspricht dies den Grundsätzen eines Skyruns und ist deshalb nicht wertbar. Auch ist dadurch eine Vergleichbarkeit mit anderen Sportlern, die vom ABC aus starten, ausgeschlossen.

Widersprüche zur eigenen Philosophie Stangl beansprucht für seine Skyruns folgende Prinzipien: keine Fremdhilfe, keine Lagertaktik, kein Sauerstoff; bzgl. Everest betont er sogar: im Alleingang, ohne Fremdhilfe. Folgende Tatsachen widersprechen jedoch Stangls eigenen Grundsätzen: Er hatte bzw. nutzte ein eigenes Zelt am North Col sowie in Absprache mit anderen Bergsteigern weitere Zelte in noch größerer Höhe (bei seinem ersten Versuch am 15. Mai z.B. Studers Zelt auf 7880 m); d.h. Stangl arbeitete mit Lagertaktik. Da er mit anderen Bergsteigern Absprachen traf bzgl. gemeinsamer Lagernutzungen und Aufstiege, kann sein Aufstieg zudem nicht als ein tatsächlicher Alleingang gewertet werden. Jeder Bergsteiger nutzt während des Aufstiegs die dort angebrachten Fixseile und die Eisenleiter, also Fremdhilfen. Hätte Stangl darauf verzichtet, hätte er dies sicherlich zu Selbstvermarktungszwecken bekannt gegeben. Es ist also mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass er sich dieser Hilfen bedient hat. Außerdem hat er sich eine Gaskartusche ins Camp 1 bringen lassen; auch das ist als Fremdhilfe zu werten. Ein Skyrun wird auch von Stangl so definiert, dass er am Basislager beginnt; somit wäre das ABC nicht der korrekte Startpunkt. Stangl betont immer wieder, dass seine Aufstiege eindeutig „verifiziert“ (nachprüfbar) seien. Dutzende von Bergsteigern waren vor Ort, sogar Landsleute, mit denen er Kontakt hatte; niemand wurde jedoch zur Zeitnahme bzw. Bezeugung beauftragt. Stangl wurde um Zusendung der GPS-Daten gebeten, diese wurden jedoch nicht geliefert. Auch die Frage, von wem sich Stangl im „Camp“ (?) verab-schiedete (Buch „Skyrunner“, S.162), bleibt unbeantwortet.

Rechenbeispiel bzgl. Rekordzeit Der frühere Rekord (1996) von Kammerlander wurde in verschiedenen Medien mit 16 Std. 45 Min. bzw. 17 Std. angegeben; vermutlich hat man einfach aufgerundet, da zur damaligen Zeit eine minutiöse Unterscheidung noch nicht nötig erschien. Kammerlanders korrekte Zeit war 16 Std. 40 Min. - und dies unmissverständlich ab dem vorgescho-benen Basislager ABC. Diese wurde vom anwesenden Kamerateam bestätigt, nie in Zweifel gezogen und auf seiner Internetseite sowie in seinem Buch „Bergsüchtig“ veröffentlicht. Christian Stangl benötigte für seine Speedbegehung am Everest 16 Std. 42 Min. (gemäß eigener, unüberprüfter Aussage). Das heißt also, dass Kammerlander 2 Min. schneller war. Hinzu kommt, dass Kammerlander (im Gegensatz zu Stangl) über die gesamte Strecke seine Ski mitgetragen hat!

Fazit Bevor man einen „Weltrekord“ in die Menge brüllt, sollte man sich zumindest in zuverlässigen Quellen nach den Zeiten der „Konkurrenten“ erkundigen und genau nachrechnen. Da es im Grunde nachweisbar ist, dass Stangl nicht vom ABC, sondern vom 600 Hm höher gelegenen Camp gestartet ist, erübrigt sich die Rechenaufgabe ohnehin. Da Stangls Everest-Speedbegehung auch heute noch in zahlreichen Medien als die Rekordbegehung auf der tibetischen Seite bezeichnet wird, ist eine Klarstellung überfällig - schon alleine im Sinne der Fairness gegenüber anderen Bergsteigern und Sponsoren. Pfronten, März 2011, Toni Freudig