Sind christlicher Glaube und Vernunft vereinbar?

Sind christlicher Glaube und Vernunft vereinbar? Ein philosophischer Ausflug in das Christentum 1. In der frühen Tradition „Glauben heißt nicht wissen...
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Sind christlicher Glaube und Vernunft vereinbar? Ein philosophischer Ausflug in das Christentum 1. In der frühen Tradition „Glauben heißt nicht wissen“, lautet ein weithin verbreitetes Sprichwort. Dabei wird freilich übersehen, dass „glauben“ in den Grundsprachen der Bibel, sowohl im Hebräischen wie im Griechischen und auch im Lateinischen, nicht so sehr „für wahr halten“ als vielmehr „vertrauen“ auf Gott, sein Wort und seine Verheißung bedeutet. Doch schließen sich nicht trotzdem „Glaubenswahrheiten“ und menschliche Vernunft, besonders in natur- und geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen, aus? Schon Paulus mahnt ja: „Gebt acht, dass euch niemand mit seiner Philosophie und falschen Lehren verführt, die sich nur auf menschliche Überlieferung stützen und sich auf die Elementarmächte der Welt, nicht auf Christus berufen.“ (Kol. 2,8) Andererseits verkündet derselbe Paulus vor griechischen Philosophen auf dem Areopaghügel in Athen den „unbekannten Gott“; ein solcher wurde nämlich in dieser Stadt neben den anderen „bekannten“ Gottheiten verehrt. Im Anschluss an die wissenschaftliche Gotteserkenntnis der Philosophen erklärt der Apostel diesen nun als den einzigen wahren Gott, der die Welt und den Menschen nach seinem Bild und Gleichnis geschaffen habe. Dagegen seien die anderen vielen Götter, welche die Griechen in ihrem Staat verehrten, nur „Gebilde menschlicher Kunst und Erfindung“. (Apg. 17, 18- 31). Eben die Ablehnung der überlieferten Vielgötterei und die Berufung auf die Stimme Gottes in seinem Herzen (sein sogenannter „Daimonion“) war einst ja auch der Grund für das Todesurteil gegen Sokrates, der fortan allen griechischen Philosophenschulen als das große Vorbild galt. Ausdrücklich erkennt Paulus die Leistung der philosophischen Gotteserkenntnis aus der Natur an: „Was man von Gott erkennen kann, ist ihnen offenbar ... Seit Erschaffung der Welt wird seine unsichtbare Wirklichkeit Sommer 2013

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an den Werken der Schöpfung mit der Vernunft wahrgenommen, seine ewige Macht und Gottheit.“ (Röm. 1,19) Besonders Aristoteles kam so dem biblischen Schöpfergott nahe, als er in Gott den „ersten Beweger“ alles Bewegten und Lebenden in der Welt erkannte. Und Platon hatte schon zuvor Gott als „höchste Idee“ mit dem geistigen Urgrund alles Seins und zugleich alles Guten Sokrates war ein für das gleichgesetzt. So begründet die phiabendländische Denken grundlegender griechischer losophische Gotteserkenntnis auch Philosoph, der in Athen zur eine „gottentsprechende“ LebensgeZeit der Attischen Demokratie staltung. Auch diesen Zusammenlebte und wirkte. Er hinterhang zeigt Paulus auf: „Heiden, die fragte unerbittlich das menschliche Wissen und Tun. Sein das Gesetz nicht haben, tun von NaLeitspruch lautet: „Ich weiß, tur aus das, was im Gesetz gefordass ich nichts weiß“. dert ist ... Sie zeigen damit, dass 469 - 399 v. Chr. in Athen ihnen die Forderung des Gesetzes ins Herz geschrieben ist; ihr Gewissen legt Zeugnis davon ab.“ (Röm. 2,14 f.;vgl. Phil. 4,8) Papst Benedikt XVI. wies schon als Kardinal und als Professor Joseph Ratzinger immer wieder auf diese philosophische Vorbereitung zum Christentum als den „geistesgeschichtlichen Advent“ und als „Zeichen göttlicher Vorsehung“ hin. Und tatsächlich verwiesen bedeutende Kirchenlehrer schon sehr früh auf diese Zusammenhänge. Das für uns Erstaunliche stellt dabei Ratzinger heraus (27.11.1999): Das junge Christentum schloss sich nicht an die religiös emotionalen, sondern an die philosophisch vernunftgemäßen Vorgaben der Antike an. Deshalb wurden die Christen von den traditionellen Heiden auch für „Atheisten“ gehalten. Doch der Erfolg des Christentums lag eben darin, dass es „zugleich den Forderungen der Vernunft wie dem religiösen Bedürfnis entsprach“, dass in ihm „Aufklärung Religion geworden“ war. Als „wahre Philosophie“ (bei Justin dem Märtyrer, † 167) verband es damit „im Lichte der Wahrheit“ ANGELUS

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aber auch praktisch die „Kunst des rechten Lebens und Sterbens“. Und wieder war vor allem Sokrates, der „lieber Unrecht leiden als Unrecht tun“ wollte, das große Vorbild. Seine ungerechte Verurteilung und sein Tod als letzte Konsequenz dieses Grundsatzes und seiner Lehre insgesamt wurden bald im Lichte des Opfertodes Christi gesehen. So stellt der Kirchenvater Basilius der Große (330-379) in seiner Schrift an die Jugend, die er zur Lektüre der antiken Literatur begeistern will, besonders Sokrates als nachahmenswertes Beispiel hin. Er erzählt unter anderem die Anekdote, wie jemand einmal dem Sokrates rücksichtslos ins Gesicht schlug, dieser sich aber nicht wehrte, bis sein Antlitz unter den Schlägen aufgeschwollen und von Beulen unterlaufen war. Daraufhin soll Sokrates lediglich den Namen des Täters auf seine Stirn geschrieben haben, wie es die Bildhauer auf ihren Statuen zu tun pflegten, damit alle sehen konnten, wer dieses „Kunstwerk“ an Sokrates verbrochen hatte. Basilius sieht im Verhalten des Sokrates eine Entsprechung zu den Geboten Christi in der Bergpredigt, die Christen nicht mehr als undurchführbar ansehen dürften, wenn sie erfahren, dass Heiden die Gebote schon vorweg befolgt hätten. Der griechische Philosoph Platon war Schüler des Sokrates, dessen Denken und Methode er in vielen seiner Werke schilderte. Er sah den Entstehungsgrund und das Wesen aller Dinge in geistigen „Ideen“, letztlich in der „Idee des Guten“ (= Gott). 427 - 347 v. Chr. in Athen

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Insgesamt schließt sich Basilius den Grundsätzen der philosophischen Ethik an. Die Jugend solle die entsprechenden Schriften der alten Griechen lesen, welche „die Grundlagen des Schönen und Guten lehren“. Danach gilt es, immer auf die inneren Werte des Menschen zu achten. Ihnen müssten die äußeren Güter wie Körperkraft, Schönheit, Gesundheit, 3

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Reichtum, Macht und Ansehen stets untergeordnet sein und wie bloße Werkzeuge dienen. Als nämlich ein junger Mann dem Sokrates stolz von seinem Reichtum erzählte, erwiderte dieser, er werde ihn erst dann bewundern, wenn er ihm sagen könne, dass er sein Vermögen zu einem schönen und guten Zweck gebrauche (vgl. Lk. 18,23). Doch der Kirchenvater Basilius sieht im Anschluss an das Höhlengleichnis Platons die Vorgaben der antiken griechischen Philosophie insgesamt als „Schatten und Spiegel“ der ewigen Wahrheiten (vgl. 1. Kor. 13,12): So hoch die Seele über allen Fähigkeiten des Körpers steht, so groß ist der Unterschied zwischen der verheißenen Seligkeit im Jenseits und unserem jetzigen Leben auf Erden. Gewiss solle der Christ aber an den großen Werken der griechischen Literatur sein geistiges Auge schulen, damit er seinen Blick frei nach oben zu den höchsten Werten des Göttlichen richten könne. So zeigt sich das Christentum in seiner Frühzeit als Fortsetzung und Überhöhung der antiken Philosophie: Vernunft, Glaube und Leben sind in ihm zu einer Einheit verbunden. 2. In den Herausforderungen der Gegenwart Der Erfolg des jungen Christentums lag wesentlich darin, dass die neue Religion an die geistigen Erkenntnisse der antiken Philosophie anschließen und die Gebildeten der damaligen Zeit für sich gewinnen konnte. Der unüberbrückbare Gegensatz zwischen Philosophie und dem hergebrachtem alten Götterglauben fiel nunmehr weg. Glaube, Wissenschaft und Aufklärung waren versöhnt. Nach Ratzinger (27.11.1999) hat das Christentum in diesem frühen Verständnis einer lebendigen Verbindung von Glauben und Vernunft gerade für unsere Zeit eine neue, geradezu herausfordernde, doch wahrhaft „erlösende“ Bedeutung. Recht betrachtet ist heute Vernunft unterbewertet. Weit entfernt von ihrer einst führenden und bestimmenden Stellung, „dient“ sie nämlich in sklavischer Unterordnung den äußeren „Bedürfnissen“ unseres Lebens; sie konzentriert sich auf die Produktion von Gütern zum notwendigen und willkürlichen Gebrauch des Menschen. Auch in der Wissenschaft beschränkt sie sich auf die Erkenntnis der bloßen Erscheinungen. An die Stelle einer vernünftigen Welterklärung tritt in ANGELUS

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der radikalen Evolutionstheorie der bloße Zufall, das Modell der Selektion, der Kampf ums Überleben und der Sieg des Stärkeren. Die Welt und ihre Erklärung durch die Wissenschaft ist damit „unvernünftig“ geworden. Vernunft kann man aber nicht aus Vernunftlosem herleiten. Vernunft kann nicht auf ihren Vorrang vor dem Unvernünftigen verzichten, ohne sich selbst aufzuheben. Die Folge wäre letztlich ein grausames Ethos, welches den eigentlichen Sehnsüchten und Nöten unserer Zeit widerspricht. Wir brauchen für unser aller Überleben aber nichts dringender als das unablässige Bemühen um den Weltfrieden und als Voraussetzung dazu die Überwindung aller Egoismen in praktischer, universaler Nächstenliebe. Nur ein vernünftiges Weltverständnis und eine vernünftige Zielausrichtung können uns retten.

Aristoteles gründete nach seiner Ausbildung in der Akademie“ Platons (367–347 v. Chr.) seine eigene Schule, den Peripatos“. Er gehört zu den bedeutendsten und einflussreichsten Philosophen der Geschichte. Zahlreiche Disziplinen hat er entweder selbst begründet oder maßgeblich beeinflusst, darunter Wissenschaftstheorie, Logik, philosophische Naturwissenschaften und Metaphysik (die Lehre über das Sein jenseits der Natur). Seine Grundlehre ist die Zielbestimmtheit aller Dinge und des Menschen („Entelechie“), letztlich im „ersten Grund“ (= Gott) als dem obersten Ziel.

Im Anschluss an das vernünftige Weltverständnis der antiken Philosophie heißt es im Prolog des Johannes-Evangeliums: „Am Anfang war das Wort“ (eigentlich: der Logos). Ratzinger übersetzt und deutet dieses „Wort“ zutreffend: „Am Anfang aller Dinge steht die schöpferische Kraft der Vernunft“. „Der christliche Glaube ist heute wie damals die Option für die Priorität der Vernunft und des Vernünftigen. Dieser „Logos“ ist aber im Christentum über die antike Philosophie

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hinaus nicht mehr nur eine „mathematische Vernunft auf dem Grund aller Dinge“, sondern die „schöpferische Liebe“ Gottes „bis zu dem Punkt hin, dass er Mit-Leiden mit dem Geschöpf wird“, „Liebe und Vernunft als die eigentlichen Grundpfeiler des Wirklichen zusammenfallen.“ Für dieses „vernünftige“ Verständnis des Christentums kann jedoch die Besinnung auf die antike griechische Philosophie wie einst zu seinen Anfängen auch heute wieder den Weg bereiten. Die antike Philosophie erkannte die vernünftige Zielausrichtung in der Natur und im gesamten Weltall, letztlich auf das höchste Wesen hin (so besonders bei Aristoteles). Wir Christen glauben vertrauensvoll an die alles regierende und leitende Vorsehung des weisen Gottes hin zu seinem uns verheißenen Reich, dem Reich der Gerechtigkeit, des Friedens und der Liebe. Wie die antike Philosophie bietet uns unser christlicher Glaube die vernünftige Voraussetzung für ein Leben im notwendigen Einsatz für alles Gute gegen alle drohenden Mächte der Zerstörung. Richtig sagte Anselm von Canterbury (1033-1109): „Ich glaube, damit ich erkenne (Credo, ut intellegam).“ Doch ebenso richtig bekannte Petrus Abaelard (1079-1142): „Ich bemühe mich um Erkenntnis, damit ich glaube (Intellego, ut credam).“ So sind Glaube und Vernunft nicht nur vereinbar; sie sind identisch. Dr. Gerhart Schneeweiß

Weiterführende Literaturempfehlungen: Platon, Das Höhlengleichnis (Sämtliche Mythen und Gleichnisse), hg. v. B. Kytzler, Insel-Verlag, ISBN 3458351280, 8.50 Euro. Andreas Drosdek: Platon für Manager – Eine Begegnung mit der Macht der Ideen, Campus-Verlag , ISBN 3593395711, 12.99 Euro Aristoteles, Protreptikos – Hinführung zur Philosophie, rekonstruiert, herausgegeben., übersetzt u. kommentiert v. Gerhart Schneeweiß, Wissenschaftliche Buchgesellschaft ISBN 3534164725, 54.90 Euro ANGELUS

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Benedikt XVI. – Franziskus: Lumen Fidei – Licht des Glaubens (Enzyklika, von Papst Benedikt XVI. begonnen, von Papst Franziskus vollendet), Weltbild-Verlag, ISBN 3746236525, 5.- Euro (nach Abfassung des obigen Aufsatzes erschienen) Alexander Schmitt: Basilius der Große von Caesarea - Leben, Werk und Wirkung (eBook / PDF) Grin-Verlag, 12.99 Euro Wiebracht Ries: Die Philosophie der Antike in ihrer Gegenwartsbedeutung, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, ISBN 3534250036, 14.90 Euro

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