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Kriminalität und die Angst davor – Sicherheit im Wohngebiet Ruft man im Internet „Kriminalität Wien“ oder „Einbrüche Wien“ auf, erfährt man Schreckliches. „Kriminalität explodiert“, „Anstieg um 13 %“, „Organisierte Kriminalität – so funktioniert sie“. „6500 Einbrüche jährlich, täglich 30“. Nicht anders in Linz: „Angst vor Kriminalität im Linzer Süden“. Ganz offensichtlich: so manche Partei und Zeitung schlägt ungeniert Kapital aus der Furcht der Menschen vor Einbrüchen und Überfällen. Da nicht zu leugnen ist, dass in der Tat viele Überfälle, Trickbetrügereien und Einbrüche von zugewanderten Banden systematisch organisiert werden, wird kurzerhand manches Vorurteil gegenüber Migranten bestätigt. Genauso schnell führen Berichte über Vandalismus oder „unzivilisiertes Verhalten“ zu pauschalen Urteilen über Jugendliche aus schwierigen Verhältnissen. Über positive Ergebnisse in der Kriminalitätsbekämpfung wird bescheidener berichtet. Im Vergleich zu vielen anderen Großstädten leben die Menschen in den österreichischen eigentlich in beneidenswerter Sicherheit. Auf die Haushalte umgerechnet, ist die Wahrscheinlichkeit eines Wohnungseinbruchs oder eines Überfalls gering. Aber im Einzelfall tröstet die Statistik natürlich nicht. Denn für die Betroffenen bedeutet ein Einbruch oder ein Überfall mehr als den Verlust von Geld oder Wertsachen. Viel schwerer wiegt bei einem Einbruch die Verletzung der Privatheit der Wohnung, die Dreistigkeit des Eindringen ins persönlichste Refugium bis in die Schubladen. Manche wollen in einer Wohnung, in die eingebrochen wurde, nicht mehr wohnen. Besonders wenn sich in einem Stadtteil Verbrechen häufen, greift Angst um sich. Man sieht sich als nächstes Opfer. Da ist es egal, ob die Meinung darüber, wo es am schlimmsten ist, mit den Fakten übereinstimmt. Kriminalität und die Furcht vor Kriminalität können die Lebensqualität in der Tat erheblich beeinträchtigen. Kriminalität in den Wohngebieten ist wegen dieser großen psychologischen Auswirkungen ein eminent politisches Thema. Wenn ein Thema erst einmal auf dieser Ebene angelangt ist, dann ist es schwierig, darüber eine sachliche Diskussion zu führen. Objektive Tatbestände und subjektive Empfindungen sind kaum voneinander zu trennen. Zu unterscheiden wären die unterschiedlichen Arten von Kriminalität: professionell organisierte, Gelegenheitskriminalität, Beschaffungskriminalität von Drogensüchtigen, Vandalismus (vor allem männlicher) Jugendlicher, die sich herumtreiben, Lärm und Schmutz machen und gelegentlich Einbrüche verüben, Sachen zerstören. Zu betrachten ist also Kriminalität, die von außen in ein Viertel oder eine Wohnanlage hineingetragen wird, und Kriminalität oder Vandalismus, die auf Probleme der Wohnanlagen selbst zurückzuführen sind.

Kriminalität von außen – zuschließen? Als Maßnahme gegen Einbrüche und Überfälle wird immer wieder die Forderung von Bewohnern an die Wohnungsunternehmen herangetragen, die Wohnanlagen nachts zu verschließen und auch tagsüber mit Videokameras zu überwachen. (Solche Forderungen kommen gerade aus Wohnanlagen, an denen professionelle Kriminalität nicht sonderlich interessiert ist.) Ist diese Zugangskontrolle eine Lösung? Welcher Preis wäre für das Sicherheitsgefühl zu entrichten?

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Hierzulande verbarrikadieren sich nur die Reichen, was uns nicht weiter interessieren muss. Wenn man aber beginnt, Wohnanlagen oder – was manchmal auch in die Diskussion kommt – Straßenzüge mit Schranken auszugrenzen, wenn die Stadt aus „Gated Communities“ der sozialen Schichten und Milieus bestehen würde, dann würden wir eine der größten Errungenschaften der Zivilgesellschaft oder der Bürgerstadt aufgeben: Öffentlichkeit und freier Zugang. Dann hätten wir auch keine Argumente mehr gegen territorial abgegrenzte Parallelgesellschaften oder vollends verschleierte Frauen. „Gated Communities“, „abgeschlossene Gemeinschaften“, sind eine postmoderne Antwort auf die Probleme einer Stadt, der man keine Integrationskraft mehr zutraut. In den Wohnanlagen der Mittelschichten befürchtet man, dass aus den Stadtteilen der unteren sozialen Schichten Kriminalität über die Grenzen tritt und in ihre Bezirke eindringt. In den Wohnanlagen der unteren sozialen Schichten glaubt man auch, Gelegenheitsdiebstühle, Drogenkriminalität und Vandalismus durch Zugangssperren und Überwachung eindämmen zu können. Unsere städtische Gesellschaft ist aber noch immer dem Paradigma der Integration verpflichtet. Statt neue Barrieren zu errichten wird versucht, für alle Zugang zu Bildung, Gesundheit und Wohnung zu schaffen. Denn durch Mauern und Schlösser kann man vielleicht professionelle Kriminelle abhalten, aber man erreicht nichts gegen eine aus sozialen Gründen entstandene Kriminalität, ja man nähme sogar eigene Einschränkungen in Kauf. Das heißt aber nicht, dass es keine Grenzen geben darf. Im Gegenteil. Wo jeder nach Belieben hineingehen kann, fühlt man sich nicht wohl, sogar bedroht. Deshalb hat der Zugang in der Geschichte des Siedlungsbaus eine große Bedeutung. Ihm wurde oft größte Aufmerksamkeit gewidmet. Die Wiener Wohnanlagen, die Höfe, sind gute Beispiele.

Vandalismus und Kriminalität innerhalb der Wohnanlagen Gegen Professionelle und Gelegenheitsdiebe mag man sich mit Mauern, Schlössern, Überwachungssystemen usw. schützen können, die Kriminalität und Gewalttätigkeit im Innern aber ist es, die dazu führt, dass sich Ältere oder Frauen nachts nicht vors Haus zu gehen trauen. Vor einigen Jahren habe ich in einem Kölner Stadterweiterungsgebiet der 70er-Jahre, in dem inzwischen viele Zuwanderer aus Osteuropa leben, eine Befragung unter anderem bei älteren Bewohnern durchgeführt, um Informationen über ihre Wünsche zur anstehenden Sanierung und Modernisierung zu bekommen. Dabei hörte ich von mehreren Bewohnern von einer Geschichte, die sich vor Jahren zugetragen haben soll. Es sei nächstens ein Schuss gefallen. Im Laufe des Gesprächs wurde aus dem Schuss eine Schießerei. Meine Nachfrage bei der Polizei ergab, dass tatsächlich einmal ein Schuss gefallen ist, aber ansonsten sei die Siedlung nicht weniger unsicher als andere auch. Und dennoch vergraben sich viele Älteren hier in ihren Wohnungen und Phantasien.

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Die alltäglich präsente Gewalt unter Jugendlichen und die Furcht davor ist viel schwerer zu bekämpfen, denn sie ist Folge trotz oft großer Anstrengungen misslungener Integration. Die Kriminalitätsfurcht in manchen Wohnanlagen resultiert aus der Überforderung besonders älterer eingesessener Bewohner mit Veränderungen in ihrer Wohnanlage, denen sie nicht gewachsen sind und denen sie sich hilflos gegenüber sehen. Das ist z.B. der Fall wenn Menschen aus Ländern mit anderen Kulturen zuziehen. Das wird auch durch den Befund unterstrichen, dass, wie Studien über Kriminalität und Kriminalitätsfurcht in den Städten zeigen, die Angst vor Einbrüchen oder beraubt zu werden bei den „urbanen“ Milieus geringer ist als bei den Bewohnern von deklassierten Stadtteilen oder Wohnanlagen.

Prävention gegen Kriminalität und Vandalismus Wenn in einer Wohnanlage etwas passiert ist, richtet sich der Ärger auf die Hausverwaltung oder den Betreuer. Beunruhigt sieht man die Schlagzeilen bestimmter Medien und Parteien bewahrheitet. So wird Sicherheit zum Thema der Sozialen Nachhaltigkeit. Besonders für junge Familien mit Kindern und ältere Menschen ist Sicherheit ein wesentliches Kriterium für das Wohlfühlen, manchmal sogar für die Entscheidung für eine Wohnung. Die Wohnungsunternehmen müssen in beide Richtungen etwas tun: mehr objektive Sicherheit bieten, die Furcht bekämpfen. Die präventiven Maßnahmen, die Wohnungsunternehmen beim Neubau wie bei bestehenden Wohnanlagen ergreifen können, haben stets eine doppelte, sich ergänzende Wirkung: gegen Kriminalität von außen und gegen Vandalismus und eine Verbesserung des Sicherheitsgefühls bzw. eine Verringerung der Furcht. (1) Städtebauliche Prinzipien zur Vorbeugung krimineller und unzivilisierter Handlungen Eine der wichtigsten Maßnahmen besteht darin, die Wohnanlage eindeutig gegenüber dem öffentlichen Raum, z.B. der Straße, abzugrenzen. Es gilt durch Wegeführungen oder Gebäudelemente eine psychologisch wirkende Grenze zu ziehen, wie man das früher z.B. durch Torbogen gemacht hat. Die Freiräume der Wohnanlage müssen durch ihre Funktionsanordnungen und Gestaltung und als private Freiräume erkennbar sein, auch wenn sie öffentlich zugänglich sind. Dass soziale Kontrolle, also das wechselseitige aufeinander Aufpassen, das wirksamste Mittel gegen Kriminalität ist, ist bekannt. Und doch gibt es in den Wohnanlagen immer wieder unübersichtliche Orte, Sackgassen statt Wegenetze, Orientierungsprobleme bei den Wegen, Verstecke, keine rundum einsehbare Kinderspielplätze, unachtsam hingestellte Nebengebäude für Müll, Fahrräder usw. Oft fehlt ein Beleuchtungskonzept für Wege und Parkplätze. Oft kann man den Innenhof nicht vom Stiegenhaus aus überblicken. So wird soziale Kontrolle erschwert. Die städtebaulichen Maßnahmen gegen Kriminalität sind im wesentlichen kostenneutral, sie erfordern nur eine bessere Planung. Etwas mehr sollte man ausgeben für gute Materialien und gute Details, denn es ist empirisch nachgewiesen, dass Vandalismus und lieblose Gestaltung zusammengehören.

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(2) Bauliche Maßnahmen Die baulich zu beachteten Maßnahmen gehören eigentlich zum Standard jeder guten Neubau -oder Sanierungsplanung. Sie betreffen die Zugänge und das interne Erschließungssystem, die Erdgeschosswohnungen und Gärten, Gemeinschaftseinrichtungen, Abstellräume und Garagen. Es sollte keine Angsträume geben, es sollten Stiegenhäuser und Flure natürlich belichtet und hell sein, angenehme Aufenthaltsflächen sollten eingefügt sein. Spezielle Lösungen sind zu suchen für die Erdgeschosswohnungen, die am meisten gefährdet sind. Hier ist ein Kompromiss zu finden zwischen Sicherheit und Privatheit. Sicherheitsregeln gibt es auch für die funktionale Zuordnung von Gemeinschaftsräumen in der Wohnanlage. Und ein besonderes Augenmerk ist auf die Organisation und Ausstattung der Tiefgarage zu richten, ihre Einfahrten, die Wege zu den Stiegenhäusern usw. Da besonders oft Fahrräder gestohlen werden, braucht man sichere Boxen, sonst nehmen die Bewohner die Fahrräder mit in die Wohnung. Wie beim Freiraum sollten auch die Stiegenhäuser und Flure sorgfältig gestaltet sein – das beste Mittel gegen Verschmutzung und Vandalismus. (3) Technische Maßnahmen Die „Sicherheitsindustrie“ möchte aus einer Wohnung am liebsten einen Tresor machen. Weil man in einem Tresor nicht wohnen kann und weil das zu viel kosten würde, sollte man das Sicherheitskonzept in Reaktion auf die gängigen Einbruchstypen und speziell für jede Wohnanlage differenziert entwickeln. Zum Beispiel sollte es genügen, Fenstertüren und Fenster nur im Erdgeschoss einbruchhemmend ab der Widerstandsklasse 3 einzubauen. Das gilt auch für die Wohnungstüren. Rolläden hingegen haben mehr eine psychologische denn eine vor Einbruch schützende Wirkung. Eine Gegensprechanlage ist eigentlich selbstverständlich. Oft wird eine Videoanlage bei den Klingeln gefordert, damit man sieht, wer draußen steht. Eigentlich genügt eine Gegensprechanlage. Manche denken sogar an eine Überwachungskamera bei den Hauseingängen. Das ist in vieler Hinsicht fragwürdig. Gegen professionelle Kriminalität bewirkt die Überwachung wenig. Dem erhofften Gefühl von Sicherheit ist vorgeschaltet: hier ist ein gefährlicher Ort, sonst müsste man ja keine Kamera installieren. Die Überwachung dient auch allenfalls der Aufklärung und nicht der Prävention. Was in UBahnen sinnvoll ist, wo die Aufzeichnungen kontrolliert werden, ist noch lange nicht für eine Wohnanlage geeignet. Nützlich wäre es aber, für die Älteren technische Vorrichtungen zu installieren, z.B. einen Notruf zu Sicherheitsdiensten oder Nachbarn – aber nur bei Bedarf und nicht als Standard. Das ist heute kein großer Kostenfaktor mehr.

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(4) Nachbarschaft und Hausbetreuer Der beste Schutz gegen Kriminalität und Vandalismus ist eine gute Nachbarschaft und ein guter Hausbetreuer. Ein Hausbetreuer ist keine Pförtner, der kontrolliert wer ein und ausgeht. Eine gute Nachbarschaft ist keine Selbstschutztruppe. Im Gegenteil führt gute Nachbarschaft dazu, dass die Bewohner sich frei und ohne Angst bewegen können. Man weiß, dass man aufeinander achtet. Für die Organisation guter Nachbarschaft können die Wohnungsunternehmen viel tun, ohne dabei nennenswerte Kosten zu haben. Zu erwähnen sind: Informationsblätter für die Bewohner: „So ist Ihr Haus geschützt“; „Wie schütze ich mein Haus, meine Wohnung, mein Auto, mein Fahrrad usw. selbst?“; „Sicherheit durch gute Nachbarschaft“ (z.B. Briefkastenleerung bei Abwesenheit, Telefonliste der Nachbarn, e-Mail-Mitteilung bei Urlaub etc.). Die Polizei hat eigens geschulte Beamte, die gerne Vorträge über Sicherheit halten. Spezielle Informationsangebote für Frauen, Ältere oder Kinder könnten organisiert werden.

Sicherheitscheck Ich empfehle den Wohnungsunternehmen einen „Praxischeck Sicherheit“ bei laufenden Planungen und auch für bestehende Wohnanlagen. Der Check ist nicht aufwändig. Bei der Planung liefert er wertvolle Hinweise, bei bestehenden Wohnanlagen bekommen die Bewohner das Gefühl, dass sich das Unternehmen um Sicherheit bemüht. Mit kleinen Investitionen kann viel erreicht werden. Aus: Wohnen plus 3/2010

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