Seminararbeiten (Trink-)Wasser - lokal und global

Projekt: Die soziale Akzeptanz von Trinkwasser Projektleiter: Prof. Dr. Herbert Willems Institut für Soziologie Justus Liebig-Universität, Gießen Wint...
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Projekt: Die soziale Akzeptanz von Trinkwasser Projektleiter: Prof. Dr. Herbert Willems Institut für Soziologie Justus Liebig-Universität, Gießen Wintersemester 2015/2016

Seminararbeiten „(Trink-)Wasser - lokal und global.“

Inhaltsverzeichnis Wasserkonsum - Eine empirische Studie Geschmack, Qualität und Preis von Wasser Beşgül Coskun und Madita Zöller ............................................................................... 2 Wasser – Zwischen Überfluss und Knappheit Christopher Franzmann .................... 27 Wasser in der Zukunft. Gefahren und Chancen im Rahmen von Klimaveränderungen und Bevölkerungswachstum Laura Schermuly ......................................................... 41 Die Darstellung von Lebensstilen in der Tafel- und Mineralwasserwerbung – eine Analyse Tanja Heckmann ......................................................................................... 53 Die mediale Darstellung des Mineralwassers in der TV-Werbung in Deutschland und den USA Nadja Oelinger .......................................................................................... 66 „Irish Water“ und gesellschaftlicher Widerstand in Irland – Einstellungswandel zum Wasser im Zuge der Krise? Sarah Kempf ................................................................ 74 Die Situation des Trinkwassers in der Deutschen Gastronomie Malte Küpper ......... 89 Wasser als globales Gut – Vorkommen und Nutzung in Europa und Afrika mit Blick auf Burkina Faso Alina Jurkiv ................................................................................. 104 Waschen und Baden in den monotheistischen Weltreligionen - eine Untersuchung zu verschiedenen Waschritualen und Reinigungsriten Murat Sahin............................ 113 Körperhygiene im Wandel der Zeit Schirin Jensch ................................................. 131 Wasser in der Kunst an den Beispielen niederländischer und impressionistischer Malerei Julian Becker ............................................................................................. 147 1

Wasserkonsum - Eine empirische Studie Geschmack, Qualität und Preis von Wasser Beşgül Coskun und Madita Zöller

1. Einleitung Ein Leben ohne Wasser ist nicht möglich. „Alle Lebensvorgänge auf der Erde sind von Wasser abhängig, dem wichtigsten und unverzichtbaren Lebensmittel. Mehr noch als feste Nahrung benötigt der Mensch Wasser (etwa 2,5 l pro Tag), das zur Hälfte als Bestandteil der festen Nahrung, zur Hälfte in Form von Getränken aufgenommen wird“ (Vollmer et al. 1990: 140). In der heutigen Gesellschaft ist das Wasser nicht mehr nur lebensnotwendig, es hat sich zu einem Genussmittel, dessen Qualität und Geschmack im Fokus stehen, entwickelt. Der Konsum von Wasser hat sich im Laufe der Geschichte gewandelt, auch die Möglichkeiten des Konsums und die Nutzung des Wassers haben sich verschoben. Die Vermarktung von Wasser ist vorangeschritten und viele Menschen in der westlichen Welt machen sich Gedanken über ihren Wasserkonsum. „Der Gesetzgeber unterscheidet bei Wasser, das für den menschlichen Genuß vorgesehen ist, zwischen Trinkwasser (Leitungswasser) und abgepacktem, meist mineralstoffhaltigem Wasser („Mineralwasser“)“ (ebd.). Der Konsum von Wasser und auch die Vermarktung des Wassers in Flaschen kann in der heutigen Gesellschaft mit vielen Komponenten verknüpft werden. So entstehen unzählige Fragenkomplexe, die sich mit dem Konsum und der Vermarktung von Wasser ergeben. „Durch das, was und wie Menschen konsumieren, unterscheiden sie sich. Wenn wir auf soziale Ungleichheiten in der Gesellschaft schauen, dann müssen wir auch auf Konsum schauen. Konsum wird zum Grundbegriff der Unterscheidung. Das ist der Ausgangspunkt für die neue Lebensstilgesellschaft: die symbolische Vermittlung sozialer Ungleichheit, wie sie sich in den Konsumgütern zeigt“ (Richter 2005: 43). Diese Studie bezieht sich auf drei mit dem Wasserkonsum verbundene Aspekte: den Preis, den Geschmack und die Qualität. In welchem Verhältnis stehen diese drei Aspekte sie zueinander? Welches Wasser wird gekauft und welche Erwartungen haben die Konsumenten daran? Welche Qualität wird in Verbindung mit dem Preis erwartet oder auch nicht? Die Einstellung der Menschen zum Wasser, bezüglich Qualität und Geschmack soll hier in Verbindung mit dem Preis betrachtet werden. „Die

Qualität

eines Trinkwassers wird

nach

der

sensorischen,

chemischen

und

bakteriologischen Beschaffenheit bewertet. Es soll kühl (5 bis 12 ° C), farblos, klar und geruchlos sein und neutral schmecken“ (Vollmer et al. 1990: 143). Wasser hat größtenteils die 2

Eigenschaft, geruchs- und teilweise geschmacksneutral zu sein, warum wird trotzdem ein gesteigerter Wert der Konsumenten darauf gelegt? Könnten gesellschaftliche Erwartungen damit verbunden sein, oder ein gesellschaftlich anerzogener Umgang mit Wasser? (Vgl. Barlösius 1999: 70ff.) Diese Fragen sollten durch diese Arbeit behandelt werden. Wasser ist in der westlichen Gesellschaft kein knappes Gut – noch nicht. Wir haben Wasser im Überfluss. Des Weiteren haben sich hart erkämpfte Wassermärkte gebildet. „Im Handel sind vier Sorten von Wässern erhältlich: Natürliches Mineralwasser, Quellwasser, Tafelwasser und abgefülltes Trinkwasser. Die größte Bedeutung von diesen Wässern kommt dem Mineralwasser zu“ (Vollmer et al. 1990: 151). Wasser, so könnte man annehmen, ist zu einem Konsumgut geworden, das einer speziellen Vermarktung bedarf, sowie einer Bindung des Konsumenten. „Marketing und Werbung arbeiten daran, den Bruch zwischen beiden Welten zum Vorschein zu bringen und positiv gewendete Lösungen anzubieten, die sich mit einem Produkt, einer Dienstleistung, einer Marke, einem Image usw. kurzschließen lassen“ (Hanschitz 2004: 56). Dies zeigt sich deutlich, wenn die aktuellen Wasserwerbespots betrachtet werden. Viele Firmen versuchen zu vermitteln, „wenn du unser Wasser trinkst, dann wird dein Leben besser, du wirst vitaler und das Wasser verbessert deine Lebensqualität“. Es wird also versucht, die reale Welt mit der imaginären, gewünschten Welt zu verknüpfen. Hierbei stellt sich die Frage, wie der Konsument mit diesen Entwicklungen umgeht, welche Komponenten spielen eine Rolle und welche gesellschaftliche Bedeutung entsteht hieraus? Die scheinbare Banalität und Profanität

der

Wasserkonsums

Ernährung könnte

und

des

Trinkverhaltens

möglicherweise

dazu

und

des

beigetragen

damit haben,

verbundenen dass

die

Ernährungsforschung nicht grundlegend in den Kultur-, Sozial und Geisteswissenschaften etabliert ist, sondern mehr im Bereich der Natur- und Wirtschaftswissenschaften sowie in der Medizin angenommen wurde (vgl. Reitmeier 2013: 8). Eine erste Auffälligkeit, die bei der Beobachtung im Wasserhandel festgestellt werden konnte ist, dass hochpreisiges Wasser nur in Glasflaschen erhältlich ist, während das günstigste Wasser ausschließlich in Plastikflaschen zu kaufen ist. Ist dies bereits ein Bestandteil der Vermarktung in Bezug auf die Kundenwünsche oder ist diese Entwicklung mehr auf den Geschmack und die Qualität bezogen? Welchen symbolischen Wert hat der Preis? Diese Beobachtung wird in der Studie durch die Befragungen und Experimente näher beleuchtet. Diese Studie gliedert sich zunächst in einen Überblick über die verwendeten Methoden: ein Experiment sowie eine qualitative Befragung von unterschiedlichen Wasserkonsumenten. Im weiteren Verlauf wird auf die Begriffe Geschmack, Qualität und Preis von Wasser eingegangen sowie die Entwicklung des Wasserkonsums im Bereich der theoretischen Grundlagen aufgegriffen. Im Anschluss daran wird die Analyse in Verbindung mit vorhandenen Thesen und Theorien verknüpft. Zum Schluss werden noch abschließende Bemerkungen dargestellt, die 3

eine Zusammenfassung und eine abschließende Thematisierung der Ergebnisse darstellen soll. 2. Wasser Das Wasser erlebt eine gesellschaftliche Wertbestimmung, zumal Wasser als Mittel zur Stärkung des Körpers (Gesundheit, Anregung der inneren Organe) immer auch mehr medial inszeniert wird. Die Selbstverständlichkeit, dass jeden Tag Wasser aus der Leitung kommt und dass der Konsum des Trinkwassers nicht unmittelbar mit Kosten verbunden ist, wird bei seiner Aufnahme zumeist nicht reflektiert (Schönberger 2009: 22). In Deutschland ist das Wasser ein „low interest product“ (Schönberger 2009: 21), weil es als gewöhnlich und einfach erachtet wird. In der Literatur wird Wasser als Alltagsgetränk behandelt, weil in der breiten Bevölkerung eine übergeordnete Relevanz des Wassers in der Trinkkultur zu beobachten ist (Winterberg 2007: 48). Winterberg hebt aber auch hervor, dass „Wasser als ‚nur funktionelles Produkt‘“ in der früheren Literatur klassifiziert wurde, „welches das physische Überleben zwar sichert, ferner aber nahezu symbolneutral ist und entsprechend prestigestärkeren Getränken (Wein etc.) untergeordnet wird“ (ebd.: 49). Winterberg sieht gerade in dieser Einfachheit und Allgemeinheit des Wassers den Grund dafür, dass der Erforschung des Wassers keine große Aufmerksamkeit zukommt (2007: 49). Hier werden mit Bezug auf Hirschfelder und Winterberg die Studien über das Wasser im 19. Und 20. Jahrhundert kurz aufgeführt. Hirschfelder und Winterberg zeigen die Bedeutung des Wassers in seiner anthropologisch-kulturhistorischen Entwicklung

(2009:

111).

Wassertrinken

betrachten

beide

Autoren

im

gesamtgesellschaftlichen Kontext. Beide Autoren weisen auf die unzureichenden Quellen über Wasser, als gewöhnliches und alltägliches Getränk hin, die sich vorwiegend in der Behandlung des Konsums von Getränken wie Kaffee, Tee, Schokolade oder alkoholischen Getränken verfestigt (Hirschfelder 1998: 327). Winterberg verweist auf die mangelnde Quellenlage von primär nahrungsethnografischen Studien zum Wasserkonsum (Winterberg 2007: 21). Wasser zum Trinken wird in der Literatur nur indirekt erwähnt. Hirschfelder geht davon aus, dass Wasser trotzdem im Alltag der Menschen immer eine wichtige Rolle gespielt haben muss. Es finden sich z.B. archäologische Hinweise auf die ägyptische Hochkultur. 2.1 Die historische Einbettung des Wassertrinkens Das Wasser kommt zunächst als Getränk im Kontext ritueller Zeremonien in der ägyptischen Hochkultur zum Vorschein und dann wird v.a. auf Wassergewinnung in Siedlungen hingewiesen. Offene Wasserbecken und Brunnen sind für die Wasserversorgung in Altägypten unverzichtbar. Jedoch war der Wasserkonsum insbesondere „unterprivilegierten und prestigeschwachen Sozialgruppen, vor allem die breite Masse der Sklaven“ vorbehalten (Hirschfelder/Winterberg 2009: 114). Wasser als Alltagsgetränk war in dieser Zeit nicht gut 4

angesehen, weil Wein ein besonderer Stellenwert in der altägyptischen Gesellschaft zugesprochen wurde (Hirschfelder 1998: 328). In der römischen Antike wurde Wasser über die Wasserversorgung mit Gefälle- und Druckwasserleitungen direkt in private Paläste und Wohnhäuser transportiert. Die Rolle des Wassers innerhalb der römischen Mahlzeiten kann hier nicht rekonstruiert werden (ebd.: 334). In Mitteleuropa wurde Wasser aus Flüssen, Bächen und Wasserlöchern entnommen. Relevante Erkenntnisse zum Wassertrinken liegen für die germanische Gesellschaft nicht vor. Festzustellen sind nur große Brunnensysteme sowie auf dem germanischen Glauben beruhende Heil- und Kultquellen (Hirschfelder/Winterberg 2009: 115). Im Mittelalter hatten die Menschen mit Problemen der Wasserknappheit und hygienischen Missständen zu kämpfen. Zudem gewann Wein als Genussmittel durch das Christentum eine Aufwertung, weil es als „integrativer Bestandteil der christlichen Lebenswelt“ (ebd.: 117) verstanden wurde. Durch den zunehmenden Städteausbau ergab sich eine katastrophale Trinkwasserqualität, v.a. für die vermögenslosen Schichten stellte das ein großes Problem dar. Die ungünstige Lage der öffentlichen Brunnen war Grund für die Verschmutzungen, weil sie unmittelbar in der Nähe von Latrinen und Müllgruben zu finden waren. Die hygienischen Verhältnisse führten zu lokalen Verseuchungen des Wassers. Diese Verschmutzung des Wassers wurde in engem Zusammenhang mit dem Auftreten epidemischer Infektionskrankheiten gesehen (ebd.). Hirschfelder und Winterberg verweisen auch auf die „enge Verzahnung zwischen magischreligiösen, biblisch-christlichen und alltagspraktischen Strategien im Umgang mit dem Wasser in der abendländischen Vormoderne“ (ebd.: 118). Auch ein technischer und diskursiver Umgang mit Wasser ist erst in früher Neuzeit zu verzeichnen. Sowohl naturwissenschaftliche als auch theologische Argumentationen über Wasser treten in Erscheinung. Theorien über den Wasserkreislauf werden entweder als naturale Vorkommnisse gesehen oder als göttliche Ordnung interpretiert (ebd. 119). Eine neue gesellschaftliche Bewertung des Alkoholkonsums wird im Zusammenhang mit der Reformation im Verlauf der Frühneuzeit erkennbar. Hirschfelder und Winterberg sehen es als einen Paradigmenwechsel an, da die kritische Ermahnung des übermäßigen Alkoholkonsums andere, neue „Kolonialgüter“ wie Tee, Kaffee und Schokolade auf die Tagesordnung bringen. Auch das Wasser erlangt in dieser Phase eine Aufwertung (ebd. 120). Mit der Industrialisierung wird

der

Konsum

des

Wassers

egalisiert,

indem

die

Zentralisierung

der

Wasserversorgungssysteme wie auch industrielle Nahrungsmittelproduktionen den elitären Mineralwasserkonsum, Alkoholika und Luxusgüter der kolonialen Heißgetränke zu Massengütern machten (ebd.: 120). Vor der Industrialisierung galt das „Wasser als Getränk all jener, die sich die prestigeträchtigen Alkoholika oder die neuen alkoholfreien Heißgetränke nicht leisten konnten.“ (ebd.). 5

Grundsätzlich wurde Wasser wegen des explosionsartigen Bevölkerungswachstums und der verstärkten Urbanisierung, sowie der breitflächigen Verschmutzung des Wassers zu einem knappen Gut (Hirschfelder/Winterberg 2009: 121). Industrielle Produktionen und Fabriken hatten eine negative Auswirkung auf die städtische Trinkwasserversorgung. „Durch die Verunreinigungen zerstörte man das Trinkwasser als Getränk“ (ebd.). Auch bestand eine wissenschaftliche Unklarheit über die natürliche Regeneration von Wasser, ob z.B. aus der Fließbewegung des Wassers bereits hinreichende Reinigungseffekte hervorgehen oder wie die Verseuchung des Wassers mit Schwermetallen zu beheben wäre. Generell bestand eine Unsicherheit über die Wirkungen industrieller Folgen für das Trinkwasser. Sowohl Rückstände aus Phosphatdüngerfabriken als auch Vergiftungen des Trinkwassers durch Exkremente und Abfälle erklärten die große Angst vor Krankheiten in der Bevölkerung (ebd.: 122). Die wohlhabende Oberschicht konnte den hygienischen Missständen entkommen, indem sie sich in das ländliche Umland zurückzog. Grund waren die verbesserten Transportbedingungen in den ländlichen Gebieten. Auch im Stadtkern konnte die Oberschicht mittels seltener Quellwasserleitungen der Verknappung der Wasserressource entgehen. Die städtischen Unterschichten waren direkt von den hygienischen Missständen betroffen. „Der Konsum sauberen Trinkwassers oder die Verfügbarkeit frischen Quellwassers hatten somit auch eine klare Status- und Prestigedimension, zumal die Beschaffungsfrage dem an sich privaten Konsum eine durchaus öffentliche Komponente verlieh“ (Hirschfelder/Winterberg 2009: 124). In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde die Trinkwasserqualität in den Städten durch Kanalisierung und Leitungsbau verbessert, aber dennoch war sie problematisch. Zum einen hatten die neuen Wasserwerke häufige Uferfiltrate anliegender Flüsse in ihren Netzen. Zum anderen

war

durch

Chlorphenol

der

Geschmack

des

Wassers

belastet

(Hirschfelder/Winterberg 2009.:125). Erst im 20. Jahrhundert konnte das Wasser in guter Qualität quer durch alle Bevölkerungsschichten verfügbar gemacht werden (ebd.). Eine Studie über die Kultur- und Wirtschaftsgeschichte der deutschen Mineralbrunnen hat Ulrich Eisenbach (2004) verfasst, der jedoch vorwiegend eine technisch- und wirtschaftshistorische Analyse im Sinn hat. Dabei geht es um die volkskundliche Perspektive auf die Mineralbrunnenentwicklung und um den Transformationsprozess eines anfänglich auf Kurbetrieb

ausgerichteten,

dann

durch

die

Industrialisierung

veränderten

Mineralwassermarktes. 2.2 Kultur und Wasser Kluge bringt mit dem Begriff der Wasserkultur nicht nur Wasser als Kulturphänomen und als Naturphänomen ein, sondern vielmehr verweist Wasserkultur auf die Verquickungen, Verwebungen und Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Dimensionen unseres gesellschaftlichen Umgangs mit Wasser (2008: 25). Kluge spricht von Wechselwirkungen 6

zwischen Natur und Gesellschaft. Es sind naturale, ästhetische und emotionale Dimensionen, die in eine Wechselwirkung treten. Damit wird eine gesellschaftliche Beziehung zum Wasser hervorgehoben und genauer auf die Veränderung des Wassers als Gegenstand und auf seine Wahrnehmung fokussiert. „Die naturalen Bestimmungen des Wassers weisen so gesehen immer auch eine gesellschaftliche Bezugnahme auf“ (ebd.: 27). Auch Karlheinz Cless beschreibt die vielfältigen Verflechtungen und die Komplexität der Vernetzungen von Kultur und Wasser (2014: 15). Dabei wird Wasser und dessen Wahrnehmung, sowie dessen Konsum immer kulturell eingebettet. „Auf der einen Seite prägt Wasser den Menschen und seine Kultur(en). Auf der anderen Seite prägen, steuern, verändern Menschen das Wasser, dessen Qualität und Zusammensetzung, dessen Nutzung und dessen Fluss“ (ebd.: 21f.). Es ist ein wechselseitiger Prozess der Beeinflussung. Kluge wirft einen interessanten Blick auf eine spezifische Problematik. „Eine weitere globale, hier zu nennende Problematik ist, dass unser Wissen und unsere Wahrnehmung stark an das Wasser der Oberflächen gebunden ist, an Flüsse und Seen.“ (2008.: 40) Jedoch wird der wesentliche Anteil des Nutzwassers für die Verstädterungszonen und die Landwirtschaft von Grundwasser befriedigt. Mit dem Zugriff auf Hartmut Böhmes Text über das Element Wasser kann eine ähnliche Auffassung von der Wahrnehmung des Wassers eingeführt werden. Böhme schreibt: „Das Wasser wird aus keiner Quelle geschöpft (man wäre mißtrauisch ob ihrer möglichen Verschmutzung), sondern Wasser ist im besten Fall in Flaschen gefülltes 'naturreines' Mineralwasser aus den Tiefen eines Gebirges, tausend Kilometer vom Ort des Verzehrs entfernt. Was man ißt, kann man im Allgemeinen nicht mehr mit Landstrichen, Bodenbeschaffenheit, kaum mehr mit der Pflanzenform verbinden. Man ißt Tiere, die man nur noch von Bildern kennt, nichts ist vertraut von ihrer Lebensweise, ihrer Herkunft, ihrem Charakter“ (1998: 21). Mit Brillat-Savarin können wir sagen, dass das Wasser: „das einzige Getränk [ist], das den Durst wirklich stillt. Deshalb kann man auch immer nur eine geringe Menge davon trinken. Die meisten übrigen Getränke, die der Mensch sich einschüttet, sind nur Scheinmittel, und hätte er sich immer an das Wasser allein gehalten, so würde man nie von ihm gesagt haben, es sei eins von seinen Privilegien, über den Durst trinken zu können“ (2013 [1925]). Auch gehört es zu den Vorrechten des Menschen, dass er trinken kann, auch ohne Durst zu haben. Neumann sieht in dem Durst und Begehren eine kulturelle Differenz, weil gerade in der Unterscheidung zwischen Instinkt und Begehren die Kulturfähigkeit des Menschen zu beobachten ist. Es ist eine Grenze zwischen Natur und Kultur, die Durst und Schmecklust voneinander trennt, und auf das Trinken von Wasser in der Kultur hinweist (2009: 85). So sieht auch Winterberg in der technischen Wasserversorgung eine Kultivierung der Ressource Wasser. „Durch die

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Kultivierung des Nahrungsmittels Wasser befreit sich der Mensch aus der direkten Abhängigkeit von natürlichen Wasservorkommen“ (2007: 61). Neumann sieht in der Vielfalt der Wasserangebote auf dem Markt „das Spiel der Unterscheidungen, die Kultiviertheit des Geschmacks“ (Neumann 2009: S. 103). Hirschfelder und Winterberg verweisen darauf, dass es lange Zeit keine Rolle gespielt hat, welchen Geschmack das Wasser hatte. Vielmehr ging es um das Feststellen von Zusammenhängen zwischen Krankheiten und dem Trinkwasser. So ergab sich im 19. Jahrhundert die Panik vor Epidemien wie Cholera und Typhus, welche auch auf den Hygienediskurs über ein sauberes Wasser wirkte. Dies führte zu dem endgültigen Abschied vom dezentralen System der Versorgung durch Brunnen und Zisternen. Auch Fried- und Schlachthöfe wurden möglichst aus den Wohnbereichen verbannt und in der städtischen Peripherie angesiedelt (Hirschfelder/Winterberg 2009:123). Erst mit der Aufklärung im 18. Jahrhundert wurde der Blick auf alltagstechnische und ökonomische Aspekte gelenkt. Theorien und Analysen richteten sich auf den Aspekt der Beschaffenheit und des Geschmacks eines guten Trinkwassers. Ein sauberes Trinkwasser wurde immer wichtiger. Diese Wertschätzung setzte sich auch im Bewusstsein der Menschen um. In dieser Zeit sind auch die meisten wissenschaftlichen Schriften über Eigenschaften der Brunnenwasser, sowie über das Wertverhältnis von Wasser, entstanden. (Hirschfelder/Winterberg 2009: 119). Eine relevante Literatur von Brillat-Savarin von 1825 ist „Physiologie des Geschmacks“. Das Wasser wird von Brillat-Savarin als natürlichstes Getränk anerkannt. „Es findet sich überall, wo es Tiere gibt, ersetzt den Erwachsenen die Milch und ist uns ebenso notwendig wie die Luft“ (Brillat-Savarin 1825). Wenn es um den gesundheitlichen Aspekt des Wassers geht, wird oft auf das Gleichgewicht des Wasserhaushaltes hingewiesen. Bei einem Wasserdefizit verspürt der Mensch Durst. Der Durst steht in diesem Sinne für die Erhaltung des Lebens, des Körpers. So sieht Neumann den Durst als Generator kultureller Ordnung, wenn er schreibt, dass das „Gleichgewicht, von Anfang an das Wasser und an den Durst des Menschen“ (2009: 89) gebunden ist. Neumanns Beschreibungen zielen auf die Transfundierung natürlicher Dynamiken wie den Durst, in kulturelle Dynamiken, wie das Begehren nach symbolischer Ordnung. Es ist ein Transformationsprozess, welcher von einem Strukturwissen in ein Reflexionswissen umschlägt (ebd.:89ff.). Die Zusammenführung von physiologischen und kulturellen Dimensionen des Durstes verweist auf die Überformung des farb-, geschmack- und kalorienlosen Wassers „allererst in jenen Geschmack, in jene sinnliche wie geistige Erfahrung der ‚feinen Unterschiede‘“ (ebd.: 95), wie sie Bourdieu beschreibt. Trinkkultur als Praxis der Differenz durch Geschmack zeigt sich in der Verwandlung von natürlichem Bedürfnis nach

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Wasser in kulturelles Begehren. „Es ist der Durst der Menschen, welcher Bedürfnis in Begehren, Natur in Kultur umspringen lässt.“ (ebd.: 104) 2.3 Trinken als distinktiver Mechanismus Wasser wurde durch die starken lokalen und temporalen Abweichungen der Qualität zum sozialen Distinktionsmittel und zur Ware einer frühindustriellen Gesellschaft. Hirschfelder und Winterberg weisen in diesem Zusammenhang auf den Sozialstatus der Konsumenten hin, da gerade in Zeiten der Knappheit und der hygienischen Missstände eine sozial distinktive Eigenart zu beobachten war. „Das Wasser offenbar nicht gleich Wasser ist, Trinken nicht gleich Trinken und Konsument keinesfalls gleich Konsument, wird spätesten deutlich, wenn man den Blick auf die Entwicklung des Mineralwassers richtet“ (2009: 126). Mineralwasser galt nicht als schichtübergreifendes Alltagsgetränk, sondern es war durch seinen geringfügigen Konsum ein Luxusprodukt. Vielmehr wurde es von der Oberschicht zumeist erst aus medizinischen Gründen als Arznei konsumiert. Ulrich Eisenbach weist darauf hin, dass das Mineralwasser bzw. das sogenannte „Stadtsäuerling“ als Erfrischungsgetränk sowie auch mehr „zur Delicatesse als zu medicinischen Gebrauch“ getrunken wurde (2004: 44). Auch konsumierten die wohlhabenden Leute ein Wein-Mineralwasser-Gemisch und das Mineralwasser kam besonders in Kuren zum Gebrauch (ebd.: 45). Hirschfelder und Winterberg sehen in dem Mineralwasserkonsum der Oberschicht einen repräsentativen Zweck. „Mineralwasserkonsum hatte in diesem Zusammenhang starken Prestigecharakter.“ (2009: 126). Thorstein Veblen stellt in seiner Abhandlung „Theorie der feinen Leute“ (1986) den demonstrativen Konsum als eine konventionelle Differenzierung von Nahrungsmitteln dar. Die soziale Differenzierung lässt sich am deutlichsten am Beispiel berauschender Getränke und Narkotika herausstellen. Das Prinzip kann so beschrieben werden: Die niedrige arbeitende Klasse darf nur so viel konsumieren, wie sie zum Leben benötigt. „Der Luxus und die Annehmlichkeiten des Lebens, bestimmte Speisen und vor allem bestimmte Getränke bleiben unter der Herrschaft des Tabus der müßigen Oberklasse vorbehalten“ (ebd.: 80). Auch Winterberg verweist auf die sozialen Differenzen bei gruppenspezifischen Ausprägungen in den Trinkgewohnheiten (2007: 63). „Während sich kulturelle Identitäten über die Auswahl unterschiedlicher Getränke relativ leicht ausdrücken lassen – etwa über den Konsum qualitativ höher- oder minderwertiger, also meist preisverschiedener Produkte -, ist die soziale Ausdrucksvielfalt

beim

Konsum

des

gleichen,

kostengünstigen

Getränks

deutlich

eingeschränkt“ (ebd.: 64). Die Oberklasse, so Veblen, konsumiere nicht nur viel mehr als zur Erhaltung des Lebens notwendig wäre, sondern sie spezialisiere auch ihren Verbrauch. Das heißt, dass sowohl Qualität, Preis als auch Geschmack eine große Rolle bzgl. der Differenzierung zu anderen spielt (1998: 83ff./ 129). Hierbei spricht Veblen vom „finanziellen Prestige“ (ebd.:128), womit „gewisse Gebrauchsartikel nur deshalb bevorzugt und für tauglich 9

gehalten werden, weil sie verschwenderisch sind“ (ebd.: 129). Nicht nur, dass der Konsum von bestimmten Gütern ein Zeichen für Reichtum ist, er verdeutlicht gerade auch den gehobenen Lebensstil, eine „Erziehung und eine intellektuelle Aktivität“ dieser Leute (ebd.: 84). Als begehrte Mangelware wurde das Mineralwasser zu einem hohen Preis verkauft und der Konsum vorerst ausschließlich in den Quellenregionen und an wichtigen Handelsrouten möglich. Der Transport von Mineralwasser hob das private Wassertrinken in den öffentlichen Raum. Damit wurde das Wassertrinken über individuelle Versorgung durch besondere Quellwasserleitungen und das Versandgeschäft zum Prestige- und Statussymbol und zum „Ausdruck einer kollektiven Identität“ (Winterberg 2007: 67). Bereits im 17. Jahrhundert hatte sich um das Mineralwassergeschäft ein Wasserversandgeschäft gebildet (Eisenbach 2004: 40). In den Genuss des hochwertigen Getränks Mineralwasser kamen nur der Adel und besonders reiche Kaufleute, Ärzte und Pfarrer. Erst im späten 19. Jahrhundert wurde das Mineralwasser durch die industrielle Produktion auch für größere Bevölkerungskreise preislich erschwinglich, jedoch erst nur für die Mittelschicht. Durch den technischen Fortschritt und die künstliche Anreicherung des natürlichen Mineralwassers mit zusätzlicher Kohlensäure wurde es zu einem modernen Konsumgut (ebd.: 115). Vor allem rückten in der künstlichen Mineralwasserherstellung nun geschmackliche Präferenzen vor das rein körperliche Bedürfnis nach Wasser. Das Mineralwasser etablierte sich von einem „oberschichtlichen Luxusprodukt“ zu einem bürgerlichen Genussmittel und schließlich zu einem Alltaggetränk der Bevölkerungsmehrheit (Hirschfelder/Winterberg 2009: 127). Eisenbach stellt das Mineralwasser als „Volksgetränk“ dar, da ab dem Ende des 20. Jahrhunderts eine enorme Absatzsteigerung der Mineralwasserindustrie zu verzeichnen war (Eisenbach 2004: 273ff.). Damit war das Mineralwasser nicht mehr ein Genuss-, sondern ein einfaches Nahrungsmittel, und eine soziale Differenz des Konsums, geknüpft an finanziellen Faktor, löste sich langsam auf (Winterberg 2007:166). 2.4 Wasser-Marketing Während heute durch rechtliche Vorgaben Kriterien aufgelistet werden, die ein „einfaches“ Wasser zu einem wertvollen Mineralwasser machen, wurden in der Vormoderne andere Anforderungen an das Mineralwasser gestellt. Eisenbach nennt in diesem Zusammenhang die wissenschaftlichen Brunnenschriften und Gutachten, die ärztlich attestierte Heilwirkungen versprachen. Neben populärer Propaganda spielte bis ins 19. Jahrhundert auch die „wissenschaftliche Propaganda“ für die Vermarktung von Mineralwasser eine große Rolle (Eisenbach 2004: 64). Die populäre Propaganda hatte das Ziel, die „Bekanntmachungen in den Zeitungen der wichtigsten Handelsplätze, die die Kunden informierte, wo und zu welchem Preis sie Selterswasser beziehen konnten“ (ebd.). Dagegen stand der Versuch, durch die 10

wissenschaftliche Propaganda Ärzte und Apotheker zu gewinnen, die kostenlose Proben mit ärztlichen Gutachten erhielten. Diese Werbung um das eigene Produkt stärkte das „Markenimage“ (ebd.: 62) und die Unterscheidung vom Konkurrenzprodukt (ebd.). Werbung diente hier dem Markenschutz und den Bemühungen um Qualitätssicherung (ebd.: 51). Neben dem Design der Glasflaschen bzw. der Tonkrüge wurde auch auf das Markenzeichen oder Siegel großer Wert gelegt (ebd.:65). Eisenbach stellt fest, dass „sich eine Mineralquelle niemals allein aufgrund ihrer Vorzüge auf dem Markt durchsetzt. Vielmehr war es das ‚Markenimage‘, das dem Selterswasser seinen großen, weltweiten Kundenkreis bescherte.“ (ebd.: 62). Richard Wilk deutet in seinem Text „Bottled Water“ auf die wirtschaftliche Bedeutung von Heil- und Mineralwasser hin. Wilk analysiert genauer den Übergang des Naturproduktes Wasser zur Ware. Dabei erhält das Mineralwasser vielfältige Bedeutungen, in dem die mediale Aufwertung von Mineralwasser in der Werbung vorwiegend in den Vordergrund rückt. „Bottled water is an exceptionally clear example of the power of branding to make commodities a meaningful part of daily life. Of course, brands are not themselves empty bottles, filled with magic by the allpowerful tools of advertising and marketing.“ (2006: 305). So werden diese Bedeutungen für den Konsumenten immer relevanter, der sich mit den Werbeprodukten identifiziert bzw. identifizieren soll. Wesentlich sind für die Vermarktung von Mineralwasser Schlagwörter wie Gesundheit, Vitalität, Geschmack und Ursprünglichkeit (ebd.: 312). So zeigt Wilk auf, dass industriell abgefülltes Mineralwasser mit einer vermeintlich ‚perfekten‘ Ware assoziiert wird und damit eine neue Bedeutung von Reinheit, Prestige, Luxus und Gesundheit in der Gesellschaft entsteht (ebd.). Auch das Vertrauen der Konsumenten in die unterschiedlichen Marken und Produzenten von Heil- und Mineralwasser sind wichtige Aspekte der Vermarktung. Mithin spielen religiöse Vorstellungen wie auch medizinische Überlegungen, Konzepte und Begriffe von natur- und wirtschaftsökologischen Expertisen (Sicherheit, Risiko, Reinheit und Technologie) eine Rolle beim Kauf von Mineralwasser. (ebd.: 212). Schließlich geht es Wilk darum, den vermuteten Sachverhalt aufzudecken, dass für Wasser als prinzipiell frei verfügbarem Gut Geld ausgegeben und umweltschädlicher Produktions-, Verpackungs- und Transportaufwand betrieben wird, anstatt sich aus der Leitung zu bedienen (Vgl. ebd.:319). Ein anderer Aspekt, den Wilk aufgreift, ist der personifizierte Markenname. Auf den meisten Wasserprodukten fehlen Markennamen oder die Namen der Hersteller bzw. der Unternehmen. Vielmehr ist zu beobachten, dass gerade beim Wasser diese Marketing-Strategie nicht angewendet wird. Dabei wird die Verbindung zur (Ursprungs-)Quelle des Wassers beibehalten, die den Kunden eine Ursprünglichkeit und Natürlichkeit des Wassers suggeriert (ebd. 309). Das schafft auch Vertrauen in das eigene Produkt, wobei dem möglichst 11

unverwechselbaren Markenimage eine große Bedeutung zukommt (Vgl. Winterberg 2007: 157). Die Marktstrategien richten sich zunehmend auf die Bedürfnisse und Wünsche abgegrenzter Sozialgruppen, wenn sie z.B. bestimmte Labels wie „frischer Geschmack“, „Genuss“ wie auch „Sport“ oder „Wellness“ benutzen. Seit den 1970ern wird auf kohlensäurearme Produkte umgeschwenkt, wie „Mediumwasser“ oder “Stille Wasser“ (ebd. 170). Immer mehr wird das Bild vom „unterirdischen, vor Verunreinigungen geschützten, ursprünglich reinen Wasser“ (mineralwasser.com) medial inszeniert. Auf der Webseite „mineralwasser.com“

wirbt das Marketingportal für sein Produkt, indem es mit positiver

Konnotation das Mineralwasser aufwertet. Als Gegenüberstellung wird das Leitungswasser negativ konnotiert. Winterberg kritisiert diese Art der „Diskreditierung des Leitungswassers“, bei der absichtlich negative Assoziationen mit Leitungswasser hergestellt werden – etwa durch Worte wie ‚Untergrund‘, ‚Verunreinigung‘ und ‚Ratten‘ (vgl. ebd.: 172). In Bezug auf das Image von Mineral- und Trinkwasser findet man zumeist unterschiedliche Attribute. Das Mineralwasser hat in der Gesellschaft einen hohen Stellenwert. Diesem werden Attribute zugeschrieben wie „es ist gesund“, „die Grundversorgung mit H2O und Mineralstoffen ist gesichert“. Zudem gehöre es zum Sport, weil es erfrischend und kalorienfrei ist (Schönberger 2009: 20). Dagegen schneidet das Trinkwasser sehr schlecht ab, weil die Sorge über die Qualität hinsichtlich chemischer und mikrobieller Kontamination bei der Wasseraufbereitung im Vordergrund steht. Diese Vorstellung rührt von dem historischen Image des Trinkwassers aus der Leitung. Die Vorstellung des schon einmal verwendeten Wassers und die Wasserleitung mit einem Leck können hier bestimmte negative Assoziationen hervorrufen. Fest steht, dass das Leitungswasser weniger positiv in den Köpfen der Menschen verankert ist als Mineralwasser (ebd.: 21). 3. Methode Zur Erlangung von Erkenntnissen in dieser Studie wurden zwei Methoden angewandt. Es wurde ein Experiment durchgeführt, um zu erfahren wie Personen den Geschmack von Leitungswasser im Vergleich zu stillem Wasser sowie Mineralwasser einschätzen. Davor wurde eine Befragung durchgeführt, um grundlegende Einstellungen der Versuchspersonen bezüglich Qualität, Geschmack und Preis des Wassers zu erfahren. Die Befragung wurde bewusst vor dem Experiment durchgeführt, damit die Personen unvoreingenommen antworten konnten. Es wurden insgesamt 10 Personen befragt, die im Anschluss am Experiment teilnahmen. Die Personen waren zwischen 23 und 55 Jahren. Es wurden 8 Frauen und 2 Männer befragt. Die teilnehmenden Personen beschrieben den Wasserkonsum auch für die im Haushalt lebenden Personen. Der Fragebogen gestaltete sich ohne Antwortvorgaben. Bei

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dieser Form von Interview werden offen formulierte Fragen in Form eines Leitfadens benutzt, die der Befragte frei beantworten soll. (Vgl. Flick 2007: 221 ff.) Der Fragbogen gliederte sich in einige Fragen zur Person selbst und der Anzahl der Personen im Haushalt, danach folgten 5 thematische Blöcke: Fragen zum Wasserkonsum allgemein (beinhaltet den Einfluss von Werbung und bekannte Werbemaßnahmen), Fragen zum Preis, zum Geschmack und zur Qualität von Wasser und Schlussfragen, in denen nochmals übergeordnete Fragen gestellt wurden. Es wurden größtenteils der eigene Wasserkonsum und die Einstellungen und Erwartungen an Qualität und Geschmack abgefragt. „Der Vorteil dieser Methode liegt darin, dass der konsequente Einsatz des Leitfadens die Vergleichbarkeit der Daten erhöht und dass sie durch die Fragen Struktur gewinnen. Wenn konkrete Aussagen über einen Gegenstand Ziel der Datenerhebung sind, ist ein Leitfaden-Interview der ökonomischere Weg“ (Flick 2007: 224) In der Analyse des Fragebogens wurden die Angaben der einzelnen Personen verglichen, Besonderheiten und interessante Beiträge extrahiert und näher analysiert. Wichtig war, wie häufig manche Einstellungen und Ansichten über den Wasserkonsum vorkamen. Auf der einen Seite wurde versucht, die gewonnen Daten zusammenzufassen und dadurch eine Übersicht zu schaffen, und auf der anderen Seite wurde eine Strukturierung durchgeführt, um bestimmte Aspekte aus dem Material herauszufiltern, um sie einzuschätzen zu können (vgl. Mayring 2008: 58). Mit den 10 befragten Personen wurde dann im Anschluss ein Feldexperiment durchgeführt. Die Empirie kann somit als die Voraussetzung für das Experiment angesehen werden, noch schärfer definiert sich das Experiment als die Folge der Empirie (vgl. Petersen 2002: 19). Das Experiment sollte in dieser Studie die zuvor festgestellten Aussagen und Einstellungen der Personen überprüfen. Denn zu Beginn dieser Studie stellte sich die Frage, ob es überhaupt möglich sei, im Wasser prägnante Unterschiede, wie sie in der Werbung propagiert werden, zu erkennen, ohne die Betrachtung von Design und Angaben der Inhaltsstoffe. Im Experiment wurden 9 Flaschen Wasser verdeckt getestet. Es wurden folgende Marken und Sorten getestet: Alasia spritzig (PET Flasche), Alasia pur (still, PET Flasche), Gerolsteiner naturell (PET Flasche), Gerolsteiner naturell (Glasflasche), Gerolsteiner Sprudel (PET Flasche), Gerolsteiner Sprudel (Glasflasche), S. Pellegrino mit Kohlensäure (Glasflasche), Mondquelle (stilles Wasser Glasflasche). Zusätzlich zu dem abgefüllten Wasser wurde noch Leitungswasser getestet. Die aufgeführten Wassersorten sind nach aufsteigendem Preis sortiert. Hier fällt schon auf, dass es billiges Wasser nur in Plastikflaschen gibt und die teureren Sorten nur in Glasflaschen. Es wurde Wert darauf gelegt, dass sich identische Wassersorten in beiden Flaschenformen im Experiment befinden, um feststellen zu können, ob es wirklich Unterschiede im Geschmack bei Glas- und Plastikflaschen gibt.

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Den Versuchspersonen wurde eine Probe der verschiedenen Wassersorten in einem neutralen Glas gereicht. Außerdem wurde darauf geachtet, dass die Flaschen für die Versuchspersonen nicht sichtbar waren. Die Versuchsperson sollte das Wasser testen und direkt im Anschluss selbstständig aufschreiben, wie sie den Geschmack empfindet und was ihr an dem Wasser auffällt. Ganz am Ende, als alle Wassersorten getestet waren, sollten sich die Probanden nochmals die Flasche und das Design ansehen, um ihre vorherigen Erwartungen daran zu äußern, ob sie nach dem Geschmackstest ein Design in dieser Form erwartet hätten. Zur Analyse des Experiments wurden die Angaben der Personen mit der Befragung verglichen. Die Ergebnisse sollten dann mit der Theorie in Verbindung gesetzt werden. Es sollte festgestellt werden, ob Wasser allein durch die Vermarktung zu einem besonderen Gut wird, das einen speziellen Geschmack besitzt. 4. Analyse vom Fragebogen und Experiment In diesem Abschnitt sollten wichtige Erkenntnisse in Verbindung mit theoretischen Aspekten dargestellt werden. Dieser Teil der Arbeit gliedert sich in mehrere Abschnitte. Geschmack, Qualität und Preis sollen erstmals getrennt betrachtet werden, um dann mögliche Verbindungen herzustellen. Auch die Einstellung der Konsumenten von Wasser zur Vermarktung und Werbung werden vorgestellt sowie die Ergebnisse des Experiments. Der Wasserkonsum im Allgemeinen und die Nutzung von bestimmten Marken wird im ersten Abschnitt analysiert. 4.1 Marken und Wasserkonsumverhalten Die Marke des Wassers spielte bei fast allen Befragten eine Rolle. Die meisten Befragten gaben an, dass sie eine bestimmte Marke wegen des Geschmacks bevorzugen oder wegen den Inhaltsstoffen des Wassers. Außerdem werden Wassermarken häufig mit Werbung verknüpft. Wasser, das im Fernsehen beworben wird, ist durch die Marke bei den Befragten präsenter. Die Marke führt zu einer Identifizierung mit dem Produkt und einer Zugehörigkeit auf der einen Seite und auf der anderen Seite zu einer Ausschließung. Die Marke ist mit Einstellungen und einer bestimmten Vorstellung von Geschmack verbunden. „Der Geschmack bewirkt, daß man hat, was man mag, weil man mag, was man hat, nämlich die Eigenschaften und Merkmale, die einem de facto zugeteilt durch Klassifikation de jure zugewiesen werden“ (Bourdieu 1987: 285f.). Die Wassermarke wird von keiner der befragten Personen häufig gewechselt, trifft ein Wasser einmal den Geschmack, dann bleiben die meisten Konsumenten bei dieser Wassermarke. „Die Produkte haben vor allem den Sinn, stilbildend zu wirken. Sie sagen etwas über die Eigenheit des Besitzers aus. Durch sie zeigt man Individualität, Einzigartigkeit. Es wird allerdings übersehen, dass sich diese angebliche Besonderheit sehr schnell als eine kollektive erweist. Man zeigt sich als Person bestimmten 14

Geschmacks und teilt doch den Geschmack mit anderen, mit vielen anderen. Konsumstile sind Lebensstile“ (Richter 2005: 44). Diese Verknüpfung wird später nochmals im Bereich des Geschmacks von Bedeutung. Fast alle Personen trinken Leitungswasser, nur zwei befragte Personen geben an, wegen schlechter Erfahrungen kein Leitungswasser zu trinken. Eine der weiblichen Befragten (55) sagte hierzu: „Ich trinke kein Leitungswasser, ich habe keine guten Erfahrungen damit gemacht, in unserem Leitungswasser waren einmal Kolibakterien. Das ist mir zu gefährlich, da greife ich lieber auf Flaschenwasser zurück, das wird besser kontrolliert und besser schmecken tut es auch“. Hier zeigt sich wie auch schon wie im Theorieteil erwähnt, dass die Angst vor Wasser aus Leitungen auch noch heute besteht. Eine Person war für längere Zeit im Ausland, in dem Leitungswasser nicht getrunken werden darf wegen gefährlicher Inhaltsstoffe. Dies prägte sie und führte dazu, auch in Deutschland kein Leitungswasser zu trinken. Die Prägung der Personen bzw. der Habitus spielt auch beim Wasserkonsum eine wichtige Rolle. Er scheint durch den Habitus natürlich begründet (vgl. Bourdieu 1987: 105). Zu meist sind der Geschmack und der Wasserkonsum durch die Familie und das persönliche Umfeld geprägt. Eine Befragte (24) sagte hierzu: „Seitdem ich hier studiere trinke ich Wasser aus der Flasche, aber das bin ich eigentlich nicht gewohnt, da meine Familie in Brilon eigentlich nur Leitungswasser trinkt, aber das Leitungswasser in Gießen schmeckt einfach nicht. Deswegen muss ich hier Wasser aus der Flasche trinken“. Die meisten Befragten geben an, mehr Mineralwasser als Leitungswasser oder stilles Wasser zu trinken. In der Prägung der Person drückt sich der Habitus aus. Dies geschieht durch Aneignung und Internalisierung von sozialem Sinn, das heißt von Vorstellungen, Denkmustern und

Erwartungen.

Die

primären

Sozialisationsprozesse

spielen

sich

dabei

im

Unterbewusstsein ab. (Vgl. Elias 1980: 320f., 330) Die Personen, die häufig stilles Wasser trinken, greifen eher zum Leitungswasser als die Personen, die nur Mineralwasser trinken. Eine altersbezogene Tendenz im Hinblick darauf, welche Marke oder welche Form von Wasser getrunken wird, konnte nicht festgestellt werden. Jedoch fiel auf, dass die etwas älteren Befragten sich mehr Gedanken über die Inhaltsstoffe und den Gesundheitsfaktor des Wassers, das sie trinken, machen. Dabei geht es um die Vorbeugung vor Krankheiten nach dem Motto: „Gesund ist nicht primär, was gesund macht, sondern gesund ist, was gesund erhält“ (Eisenbach 2004: 298). Die Ernährung und das Trinken von Wasser in ihrer spezifischen Wahl sendet Botschaften an alle Beteiligten und hat somit auch eine kulturelle Bedeutung. Lebensmittel können so gezielt als Kommunikations- und Zeichensystem verstanden werden. (Vgl. Kalka 2004: 11). Der Konsum von in Flaschen abgefülltem Wasser scheint nicht an Orte oder Zeitpunkte geknüpft zu sein, während der Konsum von Leitungswasser sehr wohl an eine räumliche Komponente geknüpft ist. Man benötigt eine Leitung und einen Wasserzugang, während es 15

mit abgefülltem Wasser sehr leicht, ist flexibel zu sein, da man die Flasche überall hin mitnehmen kann. Viele Befragte gaben an, wenn sie Leitungswasser trinken, dann nur zu Hause und bei der Arbeit nur Mineralwasser. Des Weiteren spielt die Stadt beim Konsum von Leitungswasser eine Rolle, zwei Befragte gaben an, dass sie nur in einer bestimmten Stadt Leitungswasser trinken. Dies kann mit dem Geschmack aber auch mit der Möglichkeit sich abgefülltes Wasser zu kaufen verbunden sein. Die meisten befragten Personen gaben an, dass sich ihr Trinkverhalten im Laufe der Zeit verändert hat. Die Veränderung hat bei mehreren Befragten mit dem Preis zu tun. Leitungswasser wird häufig aus Kostengründen getrunken und nicht, weil es geschmacklich überzeugt. Eine Person gab an, dass sie als Kind billiges Mineralwasser trank und heute die Möglichkeit hat, sich teureres Mineralwasser zu kaufen. Diese gesamten Einstellungen und Umgangsformen mit Wasser zeigen deutlich, dass Wasser nicht mehr nur ein reines Grundnahrungsmittel ist. „In der Beziehung dieser beiden den Habitus definierenden Leistungen: der Hervorbringung klassifizierbarer Praxisformen und Werke zum einen, der Unterscheidung und Bewertung der Formen und Produkte (Geschmack) zum anderen, konstruiert sich die repräsentierte soziale Welt, mit anderen Worten der Raum der Lebensstile“ (Bourdieu 1987: 277f.). Wasser ist teilweise ein Prestigegut oder ein Produkt, über das sich die Konsumenten individualisieren und wieder kategorisieren. „Der Konsument entwickelt eine Erwartungshaltung auf der Grundlage des Anwendungszweckes, der Kaufmotive und -umstände und der bisherigen persönliche Erfahrungen mit dem Produkt, die zu seiner Kaufentscheidung führen“ (Kalka 2004: 13). Viele Befragten machen sich Gedanken über das Material der Flasche, Glas oder Plastik. Eine Befragte lehnt Plastikflaschen auf Grund von Schadstoffinhalten, die sich im Wasser absetzen können, ab. Andere sehen die verschiedenen Flaschenangebote unter Aspekten wie Gewicht oder der Möglichkeit eine Flasche mit sich zu nehmen. Das Gewicht und die Wahrscheinlichkeit, eine Flasche kaputt zu machen, ist bei einer Glasflasche höher. Der Wassermarkt spezifiziert schon welches Wasser wie angeboten wird: dadurch, dass sehr teures Wasser nur in Glasflaschen erhältlich ist und das billigste Wasser nur in einer Plastikflasche. Diese Entwicklung scheint mit den Einstellungen der Konsumenten und einer gezielten Marktforschung entstanden zu sein. 4.2 Geschmack Der Geschmack ist für alle Befragten eines der wichtigsten Merkmale beim Konsum von Wasser. „Geschmack ist somit eingelagert in ein spezifisches Ambiente von Räumlichkeit und Zeitlichkeit, Sozialität und Kulturalität, Körperlichkeit und Individualität“ (Liebau/ Zirfas 2011: 10). Mineralwasser sollte nicht zu salzig schmecken, also wenig Natrium enthalten. Leitungswasser ist geschmacklich gut wenn das Wasser wenig Kalk enthält und weich ist, außerdem sollte es geruchs- und geschmacksneutral sein. Der Geschmack nach Kalk führte 16

bei allen Befragten zum Ausschluss von Leitungswasser und zur Nutzung von stillem oder Mineralwasser aus der Flasche. Häufig wurde auch angegeben, dass der Unterschied zwischen Glas und Plastikflasche zu schmecken sei und Wasser aus einer Glasflasche neutraler schmeckt, während der Wasser aus einer Plastik/PET Flasche chemisch schmeckt. Beim Kauf von Wasser ist oft der Preis in Verbindung mit dem Geschmack von Bedeutung. Fast alle Personen gaben an, dass es mehrere Wassermarken gibt, die ihnen geschmacklich zusagen. Alle Befragten gaben an, Unterschiede im Geschmack feststellen zu können. „Die Geschmackswahrnehmung ist weniger als andere Sinne darauf ausgerichtet, über Eigenschaften abstrakt zu informieren, so wie das Auge über Farben und Formen. Vielmehr scheint der Geschmack darauf trainiert zu sein, Ähnlichkeiten und Unterschiede in kleinen Nuancen zu ermitteln“ (Barlösius 1999: 81). Bei einigen Befragten spielt auch der Geruch des Wassers eine wichtige Rolle, das Wasser sollte neutral riechen. Der Kohlensäuregehalt sollte beim Mineralwasser nicht zu stark und nicht zu niedrig sein. Viele Befragte gaben an, dass in manchen Wassersorten zu viel Kohlensäure enthalten sei. Im Handel sind viele unterschiedliche Sorten und Marken zu finden. Einige Befragte empfinden das Sortiment als zu groß und unübersichtlich. „Die Vielfalt der zur Verfügung stehenden Produkte spiegelt die Individualisierung der Konsumgesellschaft wider. Für jeden Einzelnen gibt es etwas Einzigartiges. Eine totale Vereinzelung ist aber schwer zu verkraften. Die Individualisierung hat uns in eine orientierungslose Welt gebracht, in eine Welt, wo es keine verbindlichen Orientierungen mehr gibt, wo sich die traditionellen Werte aufgelöst haben. Die Konsumindustrie weiß das auch“ (Richter 2005: 45). Eine Befragte gab jedoch an, dass das Sortiment für sie kein Problem sei, da sie seit langem dieselbe Marke kauft und damit sehr zufrieden ist. Nur eine Befragte bezieht sich in der Frage des Geschmacks direkt auf die Inhaltstoffe. Sie bevorzugt Wasser mit einem geringen Natrium- sowie Kalkgehalt, jedoch erwartet sie einen erhöhten Calciumgehalt. Beim Geschmack wurden auch Vergleiche herangezogen, z.B. sollte stilles Wasser „sahnig“ oder „weich“ schmecken. „Der Geschmack nimmt somit eine Identitätsprüfung vor. Dazu braucht er immer ein Vergleichsobjekt, insbesondere deshalb, weil der Geschmack Unterschiede nicht quantitativ mißt, sondern qualitativ gewichtet: identisch oder nicht identisch. Dies zeigt sich auch in der Art, wie Geschmackseindrücke beschrieben werden: es schmeckt wie … oder es schmeckt anders als sonst.“ (Barlösius 1999: 81). 4.3 Das Experiment Im durchgeführten Experiment ging es darum den Geschmack zu prüfen, ohne die Möglichkeit zu besitzen, die Wassermarke zu erkennen oder das Design der Flasche zu sehen. Dieses Experiment fiel allen 10 Testern sehr schwer. Worte für die Beschreibung zu finden, in Bezug auf Wasser ist kein leichtes Unterfangen. Am häufigsten wurde geäußert „dieses Wasser 17

schmeckt“ oder „bähhhh das Wasser schmeckt mir nicht“. Auf die Nachfrage warum, kam bei zwei Testern die Antwort, dass sie das selber nicht so genau wissen. Der Geschmack ist schwer festzumachen. „Die Sinnesphysiologie beschreibt ihn als den Sinn mit dem geringsten Differenzierungsvermögen, dessen Empfindungen zusätzlich nur wenig abgestuft seien und der deshalb kaum ausgebildet oder verfeinert werden kann. Damit kontrastiert der gesellschaftliche Gebrauch des Geschmacks“ (Barlösius 1999: 73f.). Einige konnten wiederum sehr präzise beschreiben, was ihnen an dem Wasser schmeckt oder was sie daran vermissen. Auch häufig verwendet wurden Adjektive wie sprudelig, mild, weich, hart, bitter, metallisch, flach und salzig, um den Geschmack zu beschreiben. Es wurden auch Vermutungen über die Marke angestellt, Probanden meinten, das Wasser zu kennen und waren sich sehr sicher, jedoch lagen die meisten falsch. Nur eine Person konnte größten Teils sicher Marken erkennen und unterscheiden. Teilweise konnten die Versuchspersonen nicht das stille Flaschenwasser von Leitungswasser unterscheiden. Die Personen, die den Test machten, verließen sich alle auf ihren Geschmack und lagen häufig falsch. Durch dieses Experiment könnte man annehmen, dass es eigentlich keine Notwendigkeit gibt, für so viele unterschiedliche Wassersorten, da meistens nur 2-3 Merkmale, nämlich der Kohlesäuregehalt, der Härtegrad sowie der Salzgehalt, wirklich bemerkbar sind. Die Werbung verspricht einen Mehrwert, um sich von anderen Produkten abzuheben. Dieser war im Experiment geschmacklich nicht festzustellen. Nach den verschiedenen Proben wurde den Versuchspersonen die Flasche des Wassers gezeigt und häufig waren die Personen erstaunt, weil sie ein anderes Design durch den Test erwartet hätten. „Das objektive Modell des Geschmacks definiert Geschmack durch feststehende Kategorien und Vorstellungen von Harmonie, Symmetrie etc. Was als geschmackvoll gelten muss, liegt außerhalb der Sinne des Subjekts“ (Liebau/Zirfas 2011: 12). Das billigste Wasser mit der Marke Alasia schnitt im Geschmackstest sehr gut ab, jedoch konnte das billige Design niemanden überzeugen. Das Design eines Produkts ist überaus wichtig, wenn es darum geht, den persönlichen guten Geschmack auszudrücken (Schuhmacher 2015: 16). Es zeigte sich, dass die Ästhetik der Flasche ebenso auf die Kaufentscheidung Einfluss nimmt und die Personen das Wasser mit einem stimmigen Gesamteindruck, der ihren Erwartungen entspricht, bevorzugen. Das teuerste Wasser (Mondwasser) kam bei fast allen Testern nicht gut an, viele gaben an, es hätte einen metallischen, herben Nachgeschmack. Nur eine Person gab an, dass ihr das Wasser schmecken würde, jedoch nahm sie an, dass es kein teures Wasser sei. Hier stellt sich die Frage, warum Menschen dieses Wasser kaufen, wenn es keinen guten Geschmack besitzt. Das Mondwasser soll bestimmte Eigenschaften besitzen, die auf der Flasche beschrieben werden, außerdem besitzt die Flasche ein exklusives Design. Somit wird dem 18

Wasser ein Mehrwert zugeschrieben, den die billigen Wassersorten nicht besitzen. Hier stehen die Vermarktung und die Werbung im Vordergrund, wenn das Wasser geschmacklich nicht viel zu bieten hat. Aber auch bei Wasser gilt bestimmt, „Geschmäcker sind verschieden“. „Hinter den Geschmäckern stehen divergierende Körperbilder, unterschiedliche Habitus, verschiedene Vorstellungen und Erwartungen an Nahrungsmittel. Diese entstehen im lebenslangen Prozess der Persönlichkeitsentwicklung in gegenseitiger Abhängigkeit von der gesellschaftlichen Umwelt, im Prozess der Sozialisation der Ernährung“ (Reitmeier 2013: 7). Im Bereich des mittelpreisigen Wassers, das getestet wurde, gingen die Meinungen vollkommen auseinander. Teilweise traf Gerolsteiner den Geschmack und teilweise nicht. Viele gaben an, dass das Wasser einen komischen Nachgeschmack hat. Besonders auffällig war, dass der Nachgeschmack bei dem Wasser aus der Plastikflasche häufiger zu schmecken war als bei der Glasflasche. Mit Plastik oder Kunststoff werden Eigenschaften wie „billig“, „unelegant“ oder „nicht schön“ assoziiert (Eisenbach 2004: 279). Generell wurde das Wasser aus der Glasflasche häufig neutraler beschrieben und geschmacklich besser. Das S. Pellegrino hat fast allen Versuchspersonen sehr gut geschmeckt, bis auf einer Person, die annahm, dass es ein billiges Wasser in einer Plastikflasche sein könnte. Beim Experiment wurde auch angegeben, dass obwohl Wasser aus Glasflaschen besser schmeckt, doch lieber auf Plastikflaschen zurückgegriffen wird, da diese leichter, handlicher und nicht zerbrechlich sind. Eisenbach beschreibt den Prozess von der Glas- zur Kunststoffflasche als einen Prozess, der sich an den Konsumentenbedürfnissen ausrichtete. (Vgl. ebd.). Das Experiment hat gezeigt, dass es nicht allein um den Geschmack geht, oder dass die Versuchspersonen genaue Definitionen abgeben können. Der Kauf sowie der Konsum von Wasser ist mit vielen Komponenten verschränkt, und Geschmack, Qualität und Preis spielen eine große Rolle. 4.4 Der Preis Beim Preis sind die Meinungen der befragten Personen sehr unterschiedlich. Fast alle finden den Preis für Wasser angemessen. „Man soll Wasser nicht verschwenden, darum ist ein höherer Preis sinnvoll“, äußert eine Befragte. Der Preis signalisiert dem Konsumenten Qualität, Prestige und Exklusivität eines Produkts. (Schuhmacher 2015. 26). Auch kann der Preis „die Kaufwahrscheinlichkeit positiv beeinflussen, indem ein teures Produkt dem Konsumenten das Gefühl gibt, dass er sich damit selbst belohnt“ (ebd.). Fast alle Befragten achten auf die Preise, nur zwei Personen sagten, dass sie nicht auf den Preis achten. Eine Person hat von Wasserpreisen im Handel keine Ahnung, da sie meistens Leitungswasser trinkt, und auch eine andere Befragte gab an, wenn ihr das Wasser im Handel auf Dauer zu teuer wird, greift sie auf Leitungswasser zurück. Jedoch steht der Preis nicht über dem Geschmack.

19

Des Weiteren ist der Preis auch mit der Lebensphase verbunden. Jüngere Personen behaupten, dass sie nicht so viel Geld haben und auf den Preis achten müssen, oder dass sich Lebenssituationen geändert haben und mehr Geld für Wasser zur Verfügung steht. Außerdem geben einige Personen an, dass sie bei ganz billigem Wasser ein schlechtes Gefühl haben und der Qualität nicht vertrauen. Dies deutet darauf hin, dass Produkte mit einem geringen Preis unglaubwürdig scheinen. Damit wird deutlich, dass der Preis als ein Indikator für die Qualität eines Produkts steht (Schuhmacher 2015: 26). Produkte mit höherem Preis wirken wertvoller und erstrebenswerter. Jedoch kann mit Imkamp festgestellt werden: „Die Erfahrung im Alltag zeigt, dass der Preis eines Produkts nicht immer etwas mit seiner Qualität zu tun hat. Teure Ware ist nicht immer gut, sondern kann gelegentlich auch ziemlich schlecht sein, wogegen ein hochwertiges Produkt manchmal erstaunlich günstig erworben werden kann“ (2015: 7). Diese Ansicht wird durch den Handel und das Marketing der Produkte verschleiert, denn die teuren Produkte sollen gekauft werden. Testberichte von Verbraucherzentralen zeigen häufig, dass auch billige Produkte qualitativ hochwertig sein können. Außerdem steht die Einstellung, die auch durch die Befragung aufgezeigt wurde, dass teuer auch immer gleich besser ist, auch heute noch oft im Mittelpunkt des Konsums. „Sehr markenloyale Kunden sehen den Preis als ein Symbol für Prestige, wohingegen illoyale Kunden eher auf den Transaktionsnutzen achten und daher negativ vom Preis beeinflusst werden“ (Schuhmacher 2015: 47) 4.5 Qualität Alle befragten Personen bis auf eine äußerten, dass ihnen die Qualität sehr wichtig ist. Doch eine Befragte stellte sich die Frage, was Qualität überhaupt ist und wie man sie bei Wasser misst, über den Preis oder über welche anderen Aspekte? „Der Verbraucher reduziert bei seiner Kaufentscheidung die Vielzahl der verschiedenen Qualitätseigenschaften eines Produktes auf wenige Qualitätsindikatoren (quality cues)“ (Kalka 2004: 12). Wenn es um die Qualität geht, sprechen viele von den Inhaltsstoffen im Wasser, es sollte wenig negative Inhaltsstoffe wie Kalk oder Natriumchlorid haben, aber dafür positive wie Calcium. „Die sensorische Qualität eines Lebensmittels besteht aus der Gesamtheit aller mit menschlichen Sinnen wahrnehmbaren Eigenschaften und ihrer Intensität“ (ebd. 10). Die Qualität ist auch mit dem Geschmack verbunden, oft nehmen die befragten Personen an, dass Wasser, das gut schmeckt,

auch

eine

gute

Qualität

besitzt.

„Gerade

das

Differenzierungs-

und

Verfeinerungsvermögen dieses groben und unbeholfenen Sinns wurde zum ästhetischen und genußvollen Beurteilungsvermögen verallgemeinert“ (Barlösius 1999: 74). Qualität wird laut einiger Personen auch durch das Aussehen sowie den Geruch des Wassers festgestellt. „Qualitätsmerkmale werden in erfahrbare und erwartete (zu glaubende) Eigenschaften unterschieden“ (Kalka 2004: 13). Eine Befragte glaubt, dass man der Qualität von 20

Leitungswasser nicht trauen kann, wegen Verunreinigungen im Wasser. „Leitungswasser wird hauptsächlich von den Wasserwerken ins Rohrnetz abgegeben. Für die Qualität garantieren die Wasserwerke aber nur bis zur Wasseruhr, danach ist der Hauseigentümer (Vermieter) für die unbedenkliche Beschaffenheit verantwortlich, denn negative Veränderungen sind oft durch Hausleitungen oder Hausaufbereitungsanlagen möglich“ (Vollmer et al. 1990: 145). Die Marke des Wassers sollte bekannt und vertrauenswürdig sein. Dies spricht jedenfalls bei einigen Befragten für Qualität. Der Geruch spielt bei der Qualität eine gesteigerte wichtige Rolle. Wasser sollte neutral schmecken und keinen Geruch besitzen. „Die kulturelle Qualität von Lebensmitteln besteht aus kulturellen Bedeutungen und historischen Ausprägungen von Sinnsetzungen. Sie kann einer dynamischen Veränderung (im Laufe der Zeit) und einer Begrenztheit der anthropologischen Möglichkeiten (z. B. Ablehnung von fremden Speisen) unterliegen“ (Kalka 2004: 12). 4.6 Vermarktung und Werbung Alle Befragten kennen Werbung für Wasser, jedoch nehmen sie an, dass sie ihre Kaufentscheidung nicht beeinflusst. Alle Befragten kennen die Evian-Werbung, auch sind die Werbespots von Vio, Gerolsteiner und Vitell bekannt. Eine Befragte erklärte, dass sie EvianWasser kaufe und dabei an den schönen Werbespot denken müsse. „Wichtig ist, dass sich ein Produkt zumindest innerhalb einer Branche hinsichtlich der Tonalität von Konkurrenten unterscheiden und abgrenzen muss, um sich in der Flut der Werbung und der Informationen in irgendeiner Art und Weise hervorzuheben“ (Schmidt 2004: 94). Viele Befragte nehmen an, dass die Werbung sie unbewusst beeinflusst. Es ist erstaunlich, dass alle Befragten sich mindestens an eine Marke durch die Werbung erinnern können, auch wenn sie dieses Wasser nicht kaufen. „Marketing und Werbung arbeiten daran, den Bruch zwischen beiden Welten zum Vorschein zu bringen und positiv gewendete Lösungen anzubieten, die sich mit einem Produkt, einer Dienstleistung, einer Marke, einem Image usw. kurzschließen lassen“ (Hanschitz 2004: 56). Dies zeigt sich deutlich, wenn die aktuellen Wasserwerbespots betrachtet werden. Viele Firmen versuchen zu vermitteln, „wenn du unser Wasser trinkst dann wird dein Leben besser, du wirst vitaler und das Wasser verbessert deine Lebensqualität“. Es wird versucht die reale Welt mit der imaginären, gewünschten Welt zu verknüpfen. Einige Personen, die befragt wurden, erzählten von den Werbespots. Eine Probandin erzählte, dass sie den Werbespot von Evian mit Babys gerne gesehen hat und dann auch einige Male das Wasser kaufte und dabei an den schönen Werbespot denken musste. „Der motivationale Aspekt der Werbung umfasst die Veränderung und Ausrichtung der Bedürfnisse auf das jeweilige Angebot. In diesem Zusammenhang versucht die Werbung, stets neue Bedürfnisse beim Konsumenten zu erzeugen“ (Schmidt 2004: 240). 21

Die Wasserwerbespots versuchen, ein Ideal darzustellen. Vitalität, Aktivität und Motivation, ja sogar Intelligenz soll durch manche Wassersorten angeregt und gefördert werden. Die Sozialisationsfunktion

von

Werbung

umfasst

individual-

und

soziopsychologische

Veränderungsprozesse in Erlebens- und Handungsbereichen. Hierbei geht es um die Übernahme von individuellen oder in Gruppen bestehenden Verhaltensdispositionen oder Erwartungen (vgl. Schmidt 2004: 241). Medien haben bei der Vermarktung von Wasser und ganz allgemein eine doppelte Funktion, das Wecken von Bedürfnissen und der Einbezug von Zuschauerhabitus. Die Werbung verknüpft Identität, Status und die Zeichenhaftigkeit von Konsumobjekten, wie zum Beispiel dem Mineralwasser (vgl. Willems/Kautt 2003: 526). 5. Fazit In den Supermärkten und Getränkemärkten ist eine Überzahl von unterschiedlichen Wasserangeboten zu beobachten. Dabei ist das Wasser als Wirtschaftsgut immer mehr in eine zentrale Stellung vorgerückt. Überall kann man Wasser käuflich erwerben. Es existiert ein Wassermarkt, auf dem den Kunden eine Vielfalt von Angeboten präsentiert wird. Daher spüren wir im Alltag nichts von einer Wasserkrise, weil wir alle einen freien Zugang zu sauberem Wasser haben. Nicht nur, dass das Wasser käuflich zu erwerben ist, sondern vor allem, weil jeder Haushalt mit direktem Zugang zu Wasser aus der Leitung ausgestattet ist. Es besteht kein Mangel am trinkbaren Wasser in Deutschland (Vgl. Hattenberger 2008). So führt Cless mit Garrett Hardin die Kritik der Nutzung von Gemeingütern ein. Durch die Übernutzung, Kontrolle und Preisbildung komme es zu einer Kommodifizierung des Wassers, welches vom Allgemeingut zum Wirtschaftsgut transformiert werde. Durch Marktpreisbildung entsteht soziale Ungleichheit. Dies hat auch einen Einfluss auf die Vorstellung der Menschen über Wasser (2004: 22f.). Vor allem bezieht sich dies auf die Zahlungsfähigkeit. Hirschberger und Winterberg zeigen, dass gerade das Leitungswasser häufig mit Armut und Prestigeverlust in Verbindung gebracht wurde. Leitungswasser wurde zumeist von jemandem getrunken, der nicht viel Geld hatte. Dies zeigten auch unsere Probanden, die z.B. in ihrer Studentenzeit teilweise auf Wasser aus dem Supermarkt verzichten müssen, und wenn sie wieder bei der Familie waren, auch wieder gekauftes Wasser konsumierten. Leitungswasser wird bei unseren Probanden vor allem aus Kostengründen getrunken. Besonders auffällig war es, dass Menschen bestimmte Erinnerungen, Vorstellungen sowie Emotionen mit dem Leitungswasser verknüpften. Auch zeigt das, dass das Trinkverhalten veränderbar ist und eher ein situationsund kontextgebundener Konsum sich abzeichnet. Auch stellten wir fest, dass Geschmack von der Gewöhnung und vom Habitus abhängig ist. So konnten wir feststellen, dass ein Anwachsen von Individualisierungs- und Genusswerten über Produkte transferiert wird. Die Analyse zeigt deutlich, dass die Menschen im hohen Maß einen symbolischen Wasserkonsum praktizieren. Die symbolische Überladung des Konsums versteht sich als 22

Nachweis des richtigen Lebens. Man achtet auf seine Gesundheit, auf die vitalen Eigenschaften einer Wassersorte. Die Probanden zeigten deutlich subjektive, individuelle Präferenzen im Geschmack. Wasser wird nicht, wie in der Literatur beschrieben, als ein geschmackneutrales Produkt gesehen, sondern Menschen zeigten in dem Experiment verschiedene Reaktionen auf die jeweiligen getesteten Wassersorten. Der Konsum sauberen Trinkwassers ist nicht mehr eine Status- und Prestigefrage. Vielmehr geht es um „das Spiel der Unterscheidungen, die Kultiviertheit des Geschmacks“ (Neumann 2009: S. 103). Die Konsumenten spezialisieren zunehmend auch ihren Geschmack. Es wurde aufgezeigt, dass sowohl Qualität und Preis als auch Geschmack eine große Rolle in der Differenzierung zu Anderen spielen kann. Bei immer breiter werdender Angebotspalette übernimmt das Design der Wasserflasche die Orientierungsfunktion. Das Etikett, der Preis und die Marke rufen beim Konsumenten subjektive Geschmackerlebnisse hervor. Es wirkt wie eine Vorselektion bei der Kaufentscheidung, aber auch der Preis und die Qualität sind Orientierungsmaßstäbe für den Konsumenten. Jedoch sind auch Veränderungen in der Konsumorientierung ausschlaggebend für zahllose Trends und Konsumstile auf dem Markt, z.B. die Vielfalt der Erlebniswünsche, die sofortige Verfügbarkeit von Gütern, die Mühelosigkeit des Konsums. Der Wasserkonsum darf nicht sehr viel Mühe machen, muss flexibel, die Flaschen praktisch, der Geschmack erfrischend und vitalisierend sein. Die steigenden Funktions- und Qualitätsanforderungen gehen mit steigendem Anspruchsdenken der Konsumenten einher. Wir konnten

feststellen, warum

gerade in Flaschen abgefülltes Wasser eine erhöhte Plausibilität erhält, und vielleicht sogar als Produkt unserer Zeit zu verstehen ist. Die Ablehnung des Leitungswassers lässt sich historisch ableiten, wobei auch mediale Aspekte eine Rolle spielen. Dennoch sind die Verschwendung und der Wassermarkt kritisch zu betrachten. Die hohen Energie- und Materialienkosten, z.B. beim Transport von Wasser, bringen ökologische Probleme mit sich. Wasser ist durch hocheffiziente Leitungen in allen Haushalten frei verfügbar. Es braucht ein gezieltes Marketing, damit Leitungswasser auch eine gesellschaftliche Wertschätzung erhält. Heute sind die hygienischen Verhältnisse und die Verschmutzung des Wassers von früher vorbei, trotzdem bestehen diese Aspekte im Bewusstsein der Menschen weiter. Heute noch ist die Sorge über die Qualität des Leitungswassers hinsichtlich chemischer und mikrobieller Kontamination vorhanden. Winterberg weist darauf hin, dass eine „Abstraktion des persönlichen Umgangs mit Trinkwasser“ (2007: 97) zurückführbar ist auf die Entfremdung vom Nahrungsmittel Wasser. Dies kann an dem zunehmenden Kontrollverlust der Menschen in der Einschätzung der Wasserqualität liegen, weil diese aus der privat-gemeinschaftlichen Zuständigkeit, in die Kompetenz von Experten und des Wasserwerks übertragen wurde (ebd.: 97f.). Konsumentenurteile richten sich an Spezialisten oder Medien. Zumal in den Medien eine idealistische und unkritische Vorstellung über Mineralwasser besteht, welches als 23

Naturprodukt inszeniert wird. Das Vertrauen in das Trinkwasser muss gezielt gefördert werden. Es müsste eine Investition in die öffentliche wissenschaftliche Forschung geätigt werden, um die Fehl- und Vorurteile über die Gesundheitsgefahren von Mineralen und Chemikalien im Leitungswasser zu entkräften, die auch Unsicherheiten bei den Konsumenten hervorrufen (Vgl. Wilk 2006:319). Die Bedenken bzw. Ängste können vor allem auch durch den öffentlichen Diskurs beeinflusst worden sein. Neben der verängstigten Haltung gegenüber Leitungswasser sind die Konsumenten auch zunehmend mit der Frage “Wie gefährlich sind die PET-Flaschen?“ konfrontiert. Dabei können medizinische Überlegungen sowie Konzepte von natur- und wirtschaftsökologischen Expertisen (Sicherheit, Risiko, Reinheit und Technologie) die Einstellungen und Vorstellungen der Menschen über Leitungswasser förderlich beeinflussen.

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http://www.mineralwasser.com/themen/naturproduktmineralwasser/

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Wasser – Zwischen Überfluss und Knappheit Christopher Franzmann 1. Einleitung Wasser oder, um es genauer auszudrücken, die chemische Verbindung H2O, bestehend aus den Elementen Wasserstoff und Sauerstoff, ist ein natürlicher Bestandteil unserer Umwelt und das wichtigste und am häufigsten vorkommende Element auf unserem Planeten. Es begleitet uns in jedem Moment unseres Lebens und steht dem Anschein nach in unseren Breiten, das heißt in Mitteleuropa, den dort lebenden Menschen in unendlichen Mengen zur Verfügung. Dieser Umstand resultiert aus der immer besser werdenden Abwasserentsorgung und einem hoch komplexen Trinkwassergewinnungs- beziehungsweise Wasserversorgungssystem (vgl. Mauser 2007: 23). Seit Anbeginn betreiben Menschen einen hohen Aufwand, um das Element Wasser täglich und zuverlässig als Transportweg oder als Nahrungsquelle nutzen zu können. Da der Mensch mit seiner Physiologie überhaupt nicht darauf ausgelegt ist, sogenannte Durststrecken zu überstehen, siedelten sich Menschen seit je her an natürlichen Wasserspeichern an. So erstaunt es nicht, dass bereits die ersten Hochkulturen an Euphrat und Tigris, am Nil und an den großen Binnenseen entstanden und sich weiterentwickelten. Jedoch war Wasser nicht nur für die Entstehung von Hochkulturen verantwortlich, sondern konnte auf Grund einer verschwindenden Wasserversorgung, wie zum Beispiel beim Versanden der Flussausläufer im Nildelta, auch dazu beitragen, dass Städte aufgegeben werden mussten und ganze Völker zu wandern begannen, in der Hoffnung das lebensspendende Gut wiederzuerlangen (vgl. Vogel 2014: 18f.) Unter Berücksichtigung der Notwendigkeit des Wassers in der Entstehung und der Geschichte unseres Planeten, erstaunt es umso mehr, dass viele Menschen dieses kostbare Lebensmittel heutzutage beinahe als selbstverständlich ansehen. „Die wichtigste Lebensgrundlage aller Lebewesen der Erde wurde mittlerweile nicht nur zu Dusch-, Bad- und Toilettenwasser, sondern auch zu Kühlwasser in der Energiegewinnung; sie dient als Grundlage für die Stahlund Papierproduktion und in Form von Flüssen auch als Transportmittel beziehungsweise als Entsorgungsstätte für industrielle Abfallerzeugnisse, Gifte und Abwässer.“ (ebd.: 7) Daher haben viele Menschen leider ein Bewusstsein entwickelt, welche das Thema Trinkwasser in die Bedeutungslosigkeit rücken lässt und ähnlich wie die Internetverbindung ist, deren Verlust nur dann in unsere Wahrnehmung rückt, wenn sie gerade einmal unterbrochen ist. In der folgenden Arbeit möchte ich daher zunächst den alltäglichen Umgang mit Trinkwasser in Deutschland näher erläutern. Hierbei möchte ich zunächst die Frage klären, ob Deutschland ein wasserreiches Land ist und wie hoch die der dort lebenden Bevölkerung zur Verfügung 27

stehende tatsächlich Wassermenge ist. Anschließend möchte ich aufzeigen, aus welchen Rohwasserquellen das kostbare Trinkwasser in Deutschland gewonnen wird. Um im späteren Verlauf dieser Arbeit Rückschlüsse darüber ziehen zu können, inwieweit sich der Trinkwasserverbrauch in Deutschland und somit der Umgang damit verändert hat, möchte ich im folgenden Abschnitt die Entwicklung des täglichen Pro-Kopf-Verbrauchs in Haushalten und Kleingewerben aufzeigen. Im Anschluss daran werde ich den Pro-Kopf-Verbrauch von Trinkwasser etwas genauer analysieren und aufzeigen, wie Trinkwasser im alltäglichen Leben genutzt wird und warum dieses Nutzungsverhalten an die Vorstellung des 19. Jahrhunderts von Wasser als Wertträger der Hygiene geknüpft ist. Da der Klimawandel viele natürliche Wasserspeicher der Erde bedroht und dieser Umstand vermehrt dazu führt, dass viele Länder sich einer Wasserknappheit gegenübersehen, möchte ich im vorletzten Kapitel anhand der seit vier Jahren andauernden Dürreperiode des amerikanischen Bundesstaates Kalifornien aufzeigen, welche Auswirkungen eine plötzliche Wasserknappheit auf eine moderne Gesellschaft haben kann, welche sich zuvor in ihrem Wasserverbrauch nicht einschränken musste. Da im Zuge solcher Vorkommnisse die Nachfrage nach nachhaltigen Wasseraufbereitungsmethoden immer größer wird, möchte ich im letzten Kapitel anhand von Entsalzungsanlagen, welche Meerwasser in Trinkwasser umwandeln, aufzeigen, ob diese Wasseraufbereitungsmethode eine Lösung für die Wasserknappheit der Erde bedeutet oder ob die Wissenschaft an weiteren Alternativen forschen muss. Zum Schluss werde ich in einem Fazit die von mir erarbeiteten Informationen zusammenfassen und eine Einschätzung über die weltweite Lage der Wasserknappheit sowie der damit verbundenen Faktoren geben. 2. Der alltägliche Umgang mit Trinkwasser in Deutschland Wasser ist eine erneuerbare Ressource, welche sich in einem globalen Kreislauf auf unserer Erde befindet und in den unterschiedlichen Aggregatzuständen fest, flüssig und gasförmig zu finden ist. Die Menge an Wasser ist weitestgehend konstant und ungefähr zwei Drittel der Erdoberfläche werden davon bedeckt, was zunächst vermuten lässt, dass diese Ressource dem Anschein nach unendlich zur Verfügung steht. Jedoch sind von der etwa 1,4 Milliarden Kubikkilometer Gesamtmenge an Wasser der Erde nur etwa 2,5 Prozent als Süßwasser vorhanden, von welchem wiederum zwei Drittel als Eis in den Polargebieten, in Gletschern und im Schnee gebunden sind. So stehen uns nur etwa 1,3 Prozent des Süßwassers als Grundwasser, in Seen und Flüssen sowie als Wasser in der Atmosphäre potenziell als Trinkwasser zur Verfügung. Diese 1,3 Prozent Süßwasser oder als Volumen ausgedrückt 10,7 Millionen Kubikmeter, stellen ungefähr nur 1 Prozent der Wasservorräte der Welt dar. Dies verdeutlicht, dass für die Gewinnung von Trinkwasser, welches als Lebensmittel an sehr hohe

28

Qualitätsansprüche gebunden ist, nur ein Teil dieser Ressource wirtschaftlich genutzt werden kann (vgl. Umweltbundesamt 2014: 6). 2.1 Wasserdargebot in Deutschland Deutschland gilt mit einem verfügbaren Wasserdargebot von 188 Milliarden Kubikmetern im Jahr als wasserreiches Land. Das Wasserdargebot eines Landes umfasst das theoretisch zur Verfügung stehende Grund- und Oberflächenwasser und berücksichtigt Faktoren wie Niederschlag und Verdunstung sowie die Zu- und Abflüsse eines Landes. Jedoch gibt diese Zahl keinen Aufschluss über die Intensität der Wassernutzung eines Landes, da man hierfür des Weiteren dessen Fläche und Einwohnerzahl heranziehen muss. Vergleicht man das Wasserdargebot pro Jahr in Deutschland, unter Berücksichtigung der Fläche von 357.021 Quadratkilometern und der rund 81,2 Millionen Einwohner (vgl. Statista 2016a: online), so erschließt sich aus der Tabelle in Abbildung 1., dass das Wasserdargebot in Deutschland pro Jahr ähnlich hoch ist, wie das in Schweden und sehr viel höher als in vielen Ländern Südosteuropas wie zum Beispiel in Rumänien. Jedoch besitzt Schweden aufgrund der relativ geringen Einwohnerzahl von rund 9,83 Millionen (vgl. Statista: online) ein höheres Einwohner-Wasserdargebot pro Jahr. Aus diesen Zahlen lässt sich so die theoretische Süßwassermenge eines Landes ablesen, welche den Einwohnern pro Kopf und pro Jahr zur Verfügung steht. Jedoch ist diese Menge an verfügbarem Süßwasser pro Kopf nicht mit der eigentlichen Menge an nutzbarem Trinkwasser zu verwechseln, sondern beschreibt allein den Wasserreichtum eines Landes. Doch woher beziehen wir in Deutschland unser Trinkwasser beziehungsweise aus welchen Wasserquellen des Wasserdargebotes wird unser Trinkwasser gewonnen?

Abbildung 1. Wasserdargebot pro Fläche und pro Einwohner

2.2 Herkunft des Trinkwassers Wie aus Abbildung 2. zu erkennen, stammt rund 70 Prozent des Rohwassers für die Trinkwasseraufbereitung in Deutschland aus Grund- und Quellwasser, aus ungefähr 13 Prozent Oberflächenwasser, wie Seen- und Talsperrenwasser sowie Flusswasser und zu 17 29

Prozent aus sonstigen Quellen, wie Uferfiltrat und angereichertem Grundwasser. Da die Qualität des lokal und regional zur Verfügung stehenden Rohwassers in Deutschland erhebliche Unterschiede aufweist, differiert auch der technische und energetische Aufwand der Trinkwassergewinnung erheblich. Werden viele Haushalte in Deutschland zumeist mit ortsnahem Trinkwasser versorgt, so kann dies aufgrund der genannten Qualitätsunterschiede im Rohwasser sowie aufgrund von regionalen Unterschieden im Wasserdargebot nicht überall gewährleistet werden. Weist eine Region zum Beispiel geringe Mengen an Niederschlag und somit auch Verdunstung und Grundwasserneubildung auf, müssen Ausgleichsmaßnahmen in Form von Fernwasserversorgung mit Überleitungen von mehreren hundert Kilometern getroffen werden (vgl. Umweltbundesamt 2014: 15).

Abbildung 2. Herkunft des Trinkwassers Um im späteren Verlauf dieser Arbeit Rückschlüsse darüber ziehen zu können, inwieweit sich unser Trinkwasserverbrauch und unser Umgang damit verändert hat, möchte ich zunächst die Entwicklung des täglichen Pro-Kopf-Verbrauchs in Haushalten und Kleingewerben aufzeigen. 2.3 Entwicklung des täglichen Pro-Kopf-Verbrauchs Wie aus Abbildung 3. zu erkennen, ist der Pro-Kopf-Verbrauch in Haushalten und Kleingewerben von 1991 bis 2010 um 23 Liter gesunken, was auf ein verändertes Verbrauchsverhalten aber auch auf Wasser sparende Haushaltsgeräte und Armaturen zurückzuführen ist. Die Vermutung, dass diese Einsparung von Trinkwasser ausreicht, um von einem generellen Rückgang des Trinkwasserverbrauchs in Deutschland zu sprechen, trifft jedoch nicht zu. Die öffentliche Wasserversorgung beträgt nämlich nur ca. 15,4 Prozent der gesamten Wasserentnahmen Deutschlands, wohingegen über 60 Prozent der Entnahmen zu Lasten der Energieversorgung gehen, welche Wasser zur Kühlung der Anlagen nutzt. 30

Demnach ist auf den ersten Blick das Einsparpotential der öffentlichen Wasserversorgung bezogen auf das gesamte potenzielle Wasserdargebot in Deutschland relativ gering. Würde die Trinkwassernutzung von 121 Litern pro Kopf und Tag um weitere 21 Liter und somit auf 100 Liter sinken, hätte dies insgesamt nur eine Einsparung von ca. 630 Millionen Kubikmetern Wasser zu Folge. Vergleicht man diesen Wert mit der insgesamt zur Verfügung stehenden Wassermenge von 188 Milliarden Kubikmetern, wäre dies nur ein verschwind geringer Prozentsatz (vgl. ebd.: 14f.).

Abbildung 3. Entwicklung des täglichen Pro-Kopf-Verbrauchs in Haushalten und Kleingewerben

2.4 Trinkwasserverwendung im Haushalt Aus Abbildung 3. wurde ersichtlich, dass der Pro-Kopf-Wasserverbrauch in Haushalten und Kleingewerben stetig sinkt und sich bei ca. 121 Litern eingependelt hat. Doch wie nutzen wir diese 121 Liter Trinkwasser täglich und welche Aussagen lassen sich so über unser Trinkwassernutzungsverhalten treffen bzw. wie hat sich dieses verändert? Hierzu möchte ich die Ergebnisse aus Abbildung 4. heranziehen, aus denen ersichtlich wird, dass der überwiegende Teil des täglich verbrauchten Trinkwassers für die Körperpflege (mit 39,6 Prozent) verwendet wird. Es folgen der Wasserverbrauch für die Toilettenspülung (mit 29,7 Prozent) und für Haushaltsgeräte (mit 19,8 Prozent) und Raumreinigung (mit 6,6 Prozent). Den geringsten Teil, nämlich nur 4,4 Prozent, verwenden wir für die Nahrungszubereitung bzw. für das eigentliche Trinken selbst.

31

Abbildung 4. Trinkwasserverwendung im Haushalt

Diese Ergebnisse zeigen, dass dem ursprünglichen Sinn von Trinkwasser bzw. dessen Nutzung, nämlich Hunger und Durst zu stillen, längst viele weitere, dem Anschein nach für uns sehr wichtige Verwendungszwecke hinzugefügt wurden. Kann man durch diesen überwiegenden Einsatz von Trinkwasser für die allgemeine Hygiene von einem Werteverlust des Trinkwassers in unserer Gesellschaft sprechen? Ist das in vielen Teilen der Erde so kostbare Trinkwasser für uns nur zu einem alltäglichen und selbstverständlichen Gut geworden oder trägt es dazu bei, unsere Lebensqualität bzw. unsere Gesundheit aufrecht zu erhalten? Um zu verstehen, warum wir Trinkwasser heutzutage überwiegend zu hygienischen Zwecken verwenden, möchte ich im Folgenden auf die Funktionalisierung des Wassers als Wertträger der Hygiene eingehen. 3. Die Funktionalisierung des Wassers als Wertträger der Hygiene Dass sauberes und kühles Wasser für die Reinigung des Körpers und auch des Geistes verwendet wird, ist kein Konstrukt unserer heutigen Zeit. Schon seit der Entstehung der Weltreligionen wurden dem Wasser mystische und magische Eigenschaften zu Teil, und es gilt als Ursymbol des Lebens. In vielen Religionen werden durch das Baden in heiligen Stätten oder das Waschen mit heiligem Wasser symbolisch Sünden abgespült und die Seele gereinigt (vgl. Sächsisches Staatsministerium für Kultus o.J.: online). Seit je her wird Wasser also mit einer gewissen Form der geistigen und körperlichen Hygiene oder Reinheit verbunden. Jedoch waren es erst die wiederkehrenden Typhus- und 32

Choleraepidemien im 19. Jahrhundert, welche die Menschen in Deutschland über Maßnahmen zur Beseitigung von unhygienischen Verhältnissen nachdenken ließen. „Der politikfähig gewordenen Hygiene ging es dabei nicht nur um die Beseitigung der epidemiologischen Bedrohung, sondern um den Aufbau einer neuen gesellschaftlichen Ordnung. Dem Wasser kam dabei eine zentrale Bedeutung zu“ (Arndt 1995: 23). Daher galten die Durchsetzung einer modernen Wasserver- und -entsorgung als vorrangige Aufgaben des 19. Jahrhunderts und Wasser erhielt neben seiner alltagspraktischen und materiellen Bedeutung auch einen neuen gesellschaftspolitischen Wert. Durch eine zentrale, einheitliche und flächendeckende Wasserver- und -entsorgung sollte eine hygienisierte, in moralischer und physischer Hinsicht gesunde Gesellschaft in sauberen Städten erreicht werden. Neben der physischen stand nun vor allem die moralische Gesundheit der Menschen im Vordergrund, und die neue Reinlichkeit durch das Wasser war eng mit der Moralvorstellung eines geordneten, fleißigen, reinlichen, gesunden und zielgerichteten Lebens geknüpft. Die individuelle Zustimmung zu den zunehmend dominierenden Wertnormen zeigte sich in hohem Maß in einem sauberen äußeren Erscheinungsbild, in der Reinlichkeit der Wohnung und in einer sittlichen Lebensführung. Je mehr dabei auf Sauberkeit und somit auf die Hygiene geachtet wurde, desto mehr konnte nach außen hin die gesellschaftliche Integration deutlich gemacht werden. Diese neue soziale Bedeutung von Wasser im 19. Jahrhundert konnte nur aufgrund der im Vorfeld entwickelten technischen Innovationen derart breitenwirksam werden. Somit konnte der von den herrschenden Schichten gesellschaftspolitisch gewünschte Umgang mit Wasser umgesetzt werden und wurde normbestimmend für die gesamte Gesellschaft (vgl. ebd.: 23ff.). Das so gewandelte Hygieneverständnis und der komfortable Zugang zum Wasser führte zu einer deutlichen Steigerung des jährlichen Pro-Kopf-Verbrauchs und erklärt so unsere heutige Trinkwasserverwendung im Haushalt (wie in Abbildung 4. dieser Arbeit) bzw. unseren heutigen gesellschaftlichen Wert des Trinkwassers. In der heutigen Zeit ist das Erscheinungsbild nach außen wichtiger denn je und ein sauberer wohlriechender Körper sowie saubere Kleidung sind aus unserem Verständnis eines modernen kultivierten Menschen kaum noch wegzudenken. Egal ob der mehrmalige tägliche Gang zum Waschbecken oder die morgendliche Dusche, alle diese alltäglichen Gewohnheiten sind für uns längst schon zu einer Art Automatismus geworden und so begleitet uns Wasser bzw. Trinkwasser in fast jeder Lebenslage. Doch was geschieht mit einer Gesellschaft, welche zuvor in einem uns bekannten Wasserüberfluss gelebt hat und wenn sie sich plötzlich einer Wasserknappheit oder gar Wassernot gegenübersieht. Dass Trinkwasser in vielen Ländern der Erde ein kostbares und knappes Gut ist, ist uns weitestgehend aus den Medien bekannt, jedoch erlangt es eine völlig neue Bedeutung, wenn man selbst von einem Wassermangel betroffen ist. Sicherlich erlebte jeder schon einmal die Abstellung der Wasserversorgung im eigenen Haus oder der eigenen 33

Wohnung für einige Stunden, z.B. aufgrund von Bauarbeiten an den Wasserleitungen, und ist sich der plötzlichen Einschränkung der Lebensqualität bewusst. Welche Auswirkungen dieser Umstand auf eine Gesellschaft haben kann, wenn dieser Zustand dauerhaft eintritt, möchte ich im Folgenden am Beispiel des amerikanischen Bundesstaates Kalifornien verdeutlichen, welcher seit dem Jahr 2011 mit einer schweren Dürre zu kämpfen hat. 4. Wassermangel am Beispiel des amerikanischen Bundesstaates Kalifornien „Seit Kalifornien existiert, gibt es einen Kampf ums Wasser. Rapide wachsende Riesenstädte wie Los Angeles oder die Gegend um San Francisco brauchen und verbrauchen immer mehr.“ (Werb 2015: online) Der amerikanische Bundesstaat Kalifornien zählt zu den fruchtbarsten Gebieten Amerikas und wird aus diesem Grund auch „Fruchtgarten Amerikas“ genannt, da dessen Klima ideal für die Landwirtschaft ist. Seit je her werden dort auf riesigen Feldern viele unterschiedliche Nutzpflanzen angebaut und in alle Teile des Landes sowie in die übrige Welt exportiert. Aus diesem Grund stellt eine gesicherte Wasserversorgung einen unerlässlichen Faktor dar, da sie die intensive Landwirtschaft und somit die Wirtschaftskraft des Landes mit absichert. Des Weiteren erfuhr der Bundesstaat in den letzten 25 Jahren einen Bevölkerungsanstieg um 10 Millionen auf 38 Millionen und der Pro-Kopf-Wasserverbrauch stieg somit enorm an. Der durchschnittliche Wasserverbrauch in Kalifornien beläuft sich auf 367 Liter pro Einwohner pro Tag, was verglichen mit Deutschland mit nur 121 Litern sehr hoch erscheint. Durch die seit 2011

besonders

langanhaltenden

niederschlagsarmen

Perioden,

kann

sich

die

Wasserentnahme unter der natürlichen Befüllung nicht ausgleichen. Aus diesem Grund verhängte der Staat eine strikte Wassersparpolitik, um der herrschenden Dürreperiode entgegenzuwirken, mit dem Ziel den Wasserverbrauch um 25% zu senken. Dies bedeutet für einige Städte eine Kürzung des Wasserverbrauchs um 4 bis 36%, je nach Stand ihres aktuellen Verbrauches. Bei Nichteinhaltung der Sparanordnungen drohen 500 bis 10.000 Dollar Strafe. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf die Lebensqualität und den Alltag der dort lebenden Bevölkerung (vgl. Junge 2015: online). Da viele Einwohner Kaliforniens nicht bereit sind, ihren zulässigen Wasserverbrauch und die damit verbundenen Einschränkungen zu akzeptieren, bleibt vielen Teilen der Bevölkerung nur die Möglichkeit das Wasser illegal abzuzapfen. „In Kalifornien aber bekommen Behörden derzeit einen Vorgeschmack darauf, was auch in anderen Regionen der USA und Europas im Zuge des Klimawandels geschehen könnte: Die seit Jahren anhaltende Dürre macht Wasser zu einem seltenen Gut, das zur illegalen Selbstbedienung einlädt.“ (Spiegel Online 2015: online) Diese illegale Wasserentnahme der Bevölkerung äußert sich zum Beispiel darin, dass Wasser von Feuerwehr-Hydranten abgezapft wird, große Wassertanks der Feuerwehr abgepumpt 34

werden oder Wasser aus Flüssen und Bächen auf das eigene Land umgeleitet werden, um es weiterhin bewässern und so privat bewirtschaften zu können. „Der Wasserraub ist ein Symptom eines tiefergehenden Problems, das die Wasserversorgung Kaliforniens ernsthaft bedroht: Die Grundwasser-Entnahme wird nicht zentral dokumentiert, und sie ist kaum kontrollierbar.“ (ebd.) Durch einen derartigen Raub von Wasser wird die Unerlässlichkeit von Wasser, und vor allem von Trinkwasser, für den Menschen deutlich. Denn anders als bei dem üblichen Raub von Rohstoffen oder Gütern, ist Wasser ein lebensnotwendiges Gut, dessen Verlust für uns schon nach kurzer Zeit erhebliche Einschränkungen und Folgen haben kann. Der normale Bürger wird so in kurzer Zeit zu illegalen Handlungen getrieben, wenn er um sein eigenes Wohl fürchtet und seine Lebensqualität derart eingeschränkt wird (vgl. ebd.). „Kalifornien hat eine Internetseite eingerichtet, auf der man Wasserlecks genauso melden kann wie Wasserverschwender. Und während manche noch illegalerweise ihre Grünflächen wässern, geht anderen Familien in Kalifornien inzwischen das Trinkwasser aus. […] Die Trockenheit heißt für die Menschen auch, dass Spinnen, Käfer oder Ameisen auf der Suche nach Wasser in die Häuser kommen. Ihnen folgen in manchen Gegenden Klapperschlangen auf der Suche nach Futter. Die Preise für heimisches Gemüse und Obst sind extrem gestiegen, grasgefüttertes Rindfleisch ist ausgegangen und wild lebende Tiere sind im ganzen Land gefährdet. Die Umweltbehörde muss ganze Fischbestände umsetzen, die Flüsse und Seen überhitzen, es fehlt der Kaltwassernachfluss aus den Bergen. Die Gefahr für Waldbrände ist enorm hoch.” (Junge 2015: online). Ein weiteres Problem, dem sich die Bevölkerung Kaliforniens gegenübersieht, ist das sogenannte „water grabbing“ der Firma Nestlé. Water grabbing kann man am besten plakativ mit „Wasser abgraben“ übersetzen. Es geht dabei um die mit den Landverträgen verbundenen Verfügungsrechte über Grundwasser oder Wasser aus Flüssen und Seen, die sich das Unternehmen erkauft. Das heißt, das Unternehmen kauft eine Landfläche – und die Verfügungsrechte über das sich darauf befindliche Wasser gleich mit (vgl. Callenius 2015: 87). Es nimmt Bezug auf die mit den Landverträgen verbundenen Verfügungsrechte über Grundwasser oder Wasser aus Flüssen & Seen. Diese Verfügungsrechte sind oft schon im nationalen Recht mit dem Land verbunden oder sie werden in den Investitionsverträgen explizit geregelt.“ (ben83ian 2013: online) Durch die von Nestlé in Kalifornien erworbenen Verfügungsrechte über einen Teil des dort zur Verfügung stehenden Wassers wurden im Jahr 2014 rund 2.678.000.000 Liter Wasser in Flaschen abgefüllt und an die Bevölkerung verkauft (Kaier 2015: online). Gerade in Zeiten wie der aktuellen Dürreperiode Kaliforniens, wo eine derartige Wasserknappheit eine ganze Bevölkerung bedroht, ist es kaum nachzuvollziehen, dass eine Firma wie Nestlé aus diesem Missstand Profit schlägt.

35

Obwohl sich alle Haushalte in ihrem Wasserverbrauch drastisch einschränken müssen, gelten für die Landwirtschaft Kaliforniens andere Regeln. Da man auf die landwirtschaftlichen Erträge aus wirtschaftlicher Hinsicht nicht verzichten kann, werden die Farmer und Rancher von den Sparmaßnahmen ausgenommen, was für viel Unmut in der Gesellschaft sorgt. Ungefähr 80% des zur Verfügung stehenden Wassers Kaliforniens werden in den Agrargürtel im Central oder dem Imperial Valley, in denen vier Millionen Hektar des besten Farmlandes liegen, geleitet (vgl. Junge 2015: online). Ein generelles Umdenken im Hinblick auf den dort sehr hohen Wasserverbrauch von 367 Litern pro Kopf pro Tag sowie Einführungen von wassersparenden Haushaltsgeräten und Armaturen werden in Zukunft von Kaliforniens Bevölkerung berücksichtigt werden müssen, um die dort herrschende klimatische Dürreperiode ohne noch größere Einschränkungen im Wasserverbrauch überstehen zu können. Um der anhaltenden Dürre in Kalifornien neben den Sparmaßnahmen

entgegenzuwirken,

wurde

die

in

den

70er

Jahren

gebaute

Entsalzungsanlage, welches Meerwasser zu Trinkwasser aufbereiten kann, wieder in Betrieb genommen, und eine weitere soll in der Stadt San Diego gebaut werden (vgl. ebd.). Da es in den kommenden Jahrzehnten zu einer sich weiter ausdehnenden Umverteilung des Niederschlages aufgrund des Klimawandels kommen wird und dies unweigerlich zu erheblichen Konflikten um Wassers führen wird, arbeitet die Wissenschaft an nachhaltigen Methoden, die Trinkwassergewinnung durch das Entsalzen von Meerwasser zu gewährleisten. Im Folgenden möchte ich dieses Konzept der Trinkwassergewinnung vorstellen und der Frage nachgehen,

ob

diese

Methode

als

dauerhafte

Alternative

zu

der

bisherigen

Trinkwassergewinnung betrachtet werden kann. 5. Nachhaltige Wasseraufbereitung am Beispiel von Entsalzungsanlagen Mit der Entsalzung von Meerwasser, um daraus Trinkwasser zu gewinnen, möchte man der aktuellen Wasserknappheit der Erde entgegenwirken. Derzeit sind weltweit ca. 17.000 Entsalzungsanlagen in Betrieb und fördern unter sehr hohem energetischen Aufwand Trinkwasser (vgl. Hermann 2013: online). Bei der Entsalzung von Meerwasser zu Trinkwasser wird derzeit am häufigsten die Methode der Umkehrosmose verwendet, bei der Meerwasser durch Membranen mit kleinsten Löchern gepresst wird, sodass die Salzmoleküle und andere anorganische

Bestandteile

darin

hängen

bleiben,

während

die

Wassermoleküle

hindurchfließen können. Moderne Entsalzungsanlagen benötigen für die Herstellung von einem Kubikmeter Wasser ca. 2,8 Kilowattstunden sowie 2000 Liter Meerwasser, zu dem weiterhin noch der Energiebedarf addiert werden muss, um das gefilterte Wasser aus den Anlagen zu den Verbrauchern zu pumpen. Es wird geschätzt, dass sich der Verbrauch der in Kalifornien geplanten Entsalzungsanlage auf 35 Megawatt beläuft, was einen unglaublich hohen Energieaufwand bedeuten würde, da man mit dieser Menge an Strom ca. 30.000 36

Haushalte versorgen könnte. Dieser kostenintensive Aufwand, Trinkwasser aus Meerwasser zu gewinnen, schlägt sich in dem Preis des aufbereiteten Wassers nieder. So soll der Kubikmeter Wasser etwa 1,60 Dollar kosten, rund 80 Prozent mehr als aufbereitetes Wasser aus anderen Quellen. Des Weiteren soll die Entsalzungsanlage nur in der Lage sein, ca. 20 Millionen Liter Trinkwasser pro Tag produzieren zu können, was lediglich sieben Prozent des Wasserbedarfs von San Diego County abdecken würde. Die in diesem Bezirk lebenden 3,2 Millionen Menschen machen ca. ein Zehntel der Gesamtbevölkerung Kaliforniens aus, woran deutlich wird, dass viele weitere Entsalzungsanlagen und somit ein noch höherer Energiebedarf notwendig wären, um eine derartige Bevölkerungszahl ausreichend mit Trinkwasser

zu

versorgen.

Neben

dem

unglaublich

hohen

Energieaufwand

der

Entsalzungsanlagen sind weiterhin auch die Abfallprodukte bemerkenswert , welche nach der Osmose übrigbleiben, da diese hochkonzentrierte Salzlauge oft in die Ozeane zurückgepumpt wird und somit viele Lebewesen bedroht (vgl. Becker 2015: online). Die aufgezeigten Faktoren machen deutlich, dass die Möglichkeiten in der Aufbereitung von Meerwasser zu Trinkwasser aktuell noch begrenzt sind. Diese Form der nachhaltigen Trinkwasserproduktion kann somit nicht als zukünftige Hauptversorgung für Trinkwasser genutzt werden und lediglich die schon bestehenden Möglichkeiten ergänzen. 6. Fazit Die derzeitige Wasserknappheit ist eines der wichtigsten Themen unserer Zeit, da diese Problematik sehr viele Menschen betrifft und auch in naher Zukunft immer mehr betreffen wird. Wie ich in Abschnitt 2. dieser Arbeit aufgezeigt habe, finden wir derzeit in Deutschland keine Wasserknappheit vor, da wir über ein ausreichendes jährliches Wasserdargebot verfügen. Allerdings sind wir auch heute schon daran interessiert, kostbares Trinkwasser durch wassersparende Haushaltsgeräte und Armaturen zu sparen. Auch ein bewusster Umgang mit Trinkwasser trägt erheblich dazu bei, unseren Wasserverbrauch so niedrig wie möglich zu halten, ohne uns jedoch dabei in unserer Lebensqualität zu sehr einschränken zu müssen. Denn wie schnell man von einer Wasserknappheit betroffen sein kann, zeigt das Beispiel Kalifornien aus Abschnitt 4. dieser Arbeit, da dort durch die ausbleibenden Niederschläge, die natürlichen Wasserspeicher nicht wiederaufgefüllt werden können. Da in Kalifornien der ProKopf-Wasserverbrauch mehr als doppelt so hoch ausfällt, als zum Beispiel in Deutschland, muss eines der ersten Schritte dort sein, bewusster mit dem bereits knappen Trinkwasser umzugehen. Denn die von mir in Abschnitt 5. dieser Arbeit vorgestellte nachhaltige Möglichkeit der Meerwasseraufbereitung in Trinkwasser durch die Umkehrosmose stellt durch ihren erheblichen Energieaufwand keine dauerhafte Alleinversorgung dar. Wissenschaftler arbeiten derzeit an vielen alternativen Methoden der Meerwasseraufbereitung, jedoch konnte keine dieser Methoden bisher in Großprojekte umgesetzt werden. 37

Ein wichtiger Schlüssel zur Senkung des weltweiten Wasserverbrauches ist meiner Meinung nach, Kinder und Jugendliche in den Schulen schon früh mit diesem wichtigen Thema in Kontakt zu bringen. Kinder und Jugendliche sollten unabhängig von ihrem Elternhaus einen bewussten Umgang mit dem Trinkwasser erlernen, seine Ursprünge erfahren und verstehen, welchen Aufwand man betreiben muss, um frisches wohlschmeckendes Trinkwasser zu produzieren. Diese Bildungsmaßnahme könnte dazu beitragen, die Wertschätzung gegenüber Trinkwasser wieder zu erhöhen und den Menschen vor Augen führen, dass es in vielen Ländern der Erde nicht selbstverständlich ist, den Wasserhahn aufzudrehen, um die gewünschte Menge an wertvollem Trinkwasser zu erhalten. Des Weiteren müssten Großkonzerne wie Nestlé damit aufhören, „water grabbing“ zu betreiben und sich die Verfügungsrechte für die Wasserspeicher vieler Länder zu kaufen. Gerade in Ländern, deren Wasservorkommen ohnehin schon sehr gering sind, wird die dortige Bevölkerung regelrecht dazu gezwungen, das teure Nestlé Wasser zu kaufen, da sie keine Alternativen vorfinden. Da Wasser jedoch in den kommenden Jahren ein immer knapperes Gut werden wird und gerade diese Knappheit Investitionsmöglichkeiten für viele große Firmen bietet, kann man nur sehr skeptisch und kritisch dieser Zukunft entgegenblicken. Da die Weltbevölkerung immer weiter ansteigt und der Klimawandel in vielen Teilen der Erde die Wasservorkommen versiegen lässt, sprechen viele Experten von sogenannten „water wars“, also Kriegen um Süßwasser, die uns zukünftig bevorstehen (vgl. Putzier 2012: online). Quellen Callenius, Carolin (2015): Der Griff nach Wasser. „Watergrabbing“ und die Rolle der Agrarkonzerne.

In:

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Wasser in der Zukunft. Gefahren und Chancen im Rahmen von Klimaveränderungen und Bevölkerungswachstum Laura Schermuly 1. Einleitung In den letzten 50 Jahren wurde ein beispielloses Wirtschaftswachstum vorangetrieben, um eine weltweite Anhebung des Lebensstandards zu erreichen. Während die Weltbevölkerung um weitere drei Milliarden Menschen anstieg, expandierte die Weltwirtschaft um mehr als das Dreifache. So konnten zwar Millionen Menschen der Armut entfliehen, doch ist dieses rasante Wachstum mit erheblichen Schäden für die Umwelt verbunden. Die natürlichen Ressourcen der Erde – wie Erdöl, Erdgas, Kohlenstoff und nicht zuletzt Wasser – wurden und werden dabei immer weiter ausgebeutet und drohen zu verknappen (vgl. OECD 2012: 1). Der Klimawandel verstärkt diese Entwicklungen noch, deren Zusammenhänge und Folgen in dieser Arbeit skizziert und anhand der Ressource Wasser verdeutlicht werden. Dazu wird zunächst ein Ist-Zustand beschrieben, der bspw. das globale Wasservorkommen und den Anteil der an Wassermangel leidenden Menschen betrifft. Danach wird anhand verschiedener Schwerpunkte ein Ausblick in die Zukunft bis zum Jahr 2050 dargestellt, der unmittelbar mit Wasser zusammenhängt. So wird etwa untersucht, welche Auswirkungen der Bevölkerungsanstieg auf das globale Wasservorkommen hat und inwiefern Wasser in Zukunft Ursache von gewaltsamen Konflikten und Fluchtbewegungen sein kann. Im Anschluss daran werden verschiedene – bereits umgesetzte, geplante oder vorgeschlagene – Lösungsansätze für die vorher beschriebenen Wasserproblematiken diskutiert. Dabei werden sowohl technische, wirtschaftliche und politische als auch strukturelle Ansätze verfolgt. Schließlich endet die vorliegende Arbeit mit einem Fazit und Ausblick. 2. Wasser heute Betrachtet man all die Flüsse, Seen und Meere dieser Welt, ist es schwer vorstellbar, dass die Ressource Wasser immer knapper wird; schließlich sind rund 70 Prozent der Erdoberfläche von Wasser bedeckt. Doch wird bei dieser Rechnung oft vergessen, dass 97 Prozent des Wassers auf der Erde salzig ist – und dass von den drei Prozent Süßwasser lediglich 0,3 Prozent als Trinkwasser nutzbar ist, da der Rest in Gletschern eingeschlossen ist (vgl. Aschoff 2009: 14). Stellt man sich das Wasser der Erde in einer Badewanne vor, würde der Anteil des verfügbaren, sich jährlich erneuernden Süßwassers nicht mal einen Teelöffel füllen (vgl. Engelmann et al. 2000: 16). Und von diesem Teelöffel sind durch die Art und Weise, wie die Menschen in den letzten Jahrzehnten mit der Ressource Wasser umgegangen sind, bereits große Teile derart verschmutzt, dass auch sie nicht mehr für unsere Grundversorgung in Frage kommen. Über 60 Prozent der Feuchtgebiete wurde in 41

den letzten 100 Jahren zerstört. Ohne menschliche Eingriffe wäre Wasser eine unendliche Ressource. Es steigt als Dampf aus den Meeren auf, wird in Wolken gespeichert, zieht über die Länder und fällt in Form von Regen auf die Erde, wo es alle Lebewesen und den Boden nährt, über den es wieder zu den Grundwasserspeichern durchsickert, um schließlich über Flüsse wieder zurück ins Meer zu fließen. Auf diesem Weg erhält es immer wieder alle Nährstoffe und Mineralien, die das Leben auf der Erde braucht. Doch durch die Tatsache, dass wir mehr als das 15-fache an Grundwasser aus dem Boden pumpen, als auf natürlichem Wege wieder dorthin zurückfließen kann, wird dieser Wasserkreislauf erheblich gestört und führt langfristig dazu, dass es immer weniger sauberes Süßwasser auf unserer Erde gibt (vgl. Blaues Gold 2010). Rund 89 Prozent der Weltbevölkerung hat heute zwar Zugang zu sauberem Trinkwasser – und damit wurde eines der UN-Millenniumsziele erreicht, was auf den ersten Blick sehr positiv erscheint –, doch in Anbetracht der stetig anwachsenden Weltbevölkerung gibt es nach wie vor fast 900 Millionen Menschen, die keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben. Ein großer Teil davon lebt in Südafrika, wo es als Folge unreinen Wassers jährlich dreieinhalb Millionen Todesopfer gibt, meist aufgrund von Erkrankungen wie Cholera. Denn 80 Prozent des weltweiten Abwassers fließt unbehandelt in Flüsse, Seen oder ins Meer, was neben den gesundheitlichen Folgen für die Menschen auch erhebliche Auswirkungen auf die Ökosysteme hat. Da insbesondere in den sogenannten Entwicklungsländern keine Mittel zur Verfügung stehen, um Flüsse oder anderes Oberflächenwasser aufzubereiten und zu reinigen, wird zunehmend Grundwasser an die Oberfläche gepumpt. Dies führt zu einem raschen Absinken des Grundwasserspiegels und zum Austrocknen weiter Landflächen. Die UNESCO beziffert den Verlust fruchtbaren Bodens auf jährlich etwa sechs Millionen Hektar. Weltweit ist die Gesamtfläche an teilweise unwiderruflich geschädigten, degradierten Böden mittlerweile doppelt so groß wie China. Es liegt auf der Hand, dass auf diesen Böden kein Bauer mehr Lebensmittel anbauen kann, von denen in Zukunft doch immer mehr gebraucht werden. Laut UN-Schätzungen wird aufgrund des allgemeinen Bevölkerungsanstiegs bis 2050 bis zu 70 Prozent mehr Nahrung und somit auch erheblich mehr Wasser benötigt (vgl. Gardizi/Möller 2012). Schnell wird deutlich, dass sämtliche Probleme sowohl im sozialen und wirtschaftlichen als auch im ökologischen Bereich mit der Wasserversorgung und dem Wasserkonsum der Menschen zusammenhängen – und dass diese Probleme sich schon bald von der Süd- auf die Nordhalbkugel der Erde ausbreiten werden. Dann werden Fragen von Armut und sozialer Gerechtigkeit, von ökonomischer Entwicklung und Ernährungssicherheit, von nachhaltigem Konsum und Umweltschutz alle Menschen gleichermaßen betreffen (vgl. UNO 2015a: 2). Deswegen ist hier der unmittelbare Handlungsbedarf äußerst groß. 42

3. Wasser in der Zukunft Denn auch wenn das derzeitige Ausmaß von Wasserknappheit möglicherweise noch keine umfassende, globale Besorgnis erregt, so zeigen die aktuellen wissenschaftlichen Zukunftsprognosen, dass sich das sehr schnell ändern könnte. Laut dem sechsten Weltwasserbericht der UNESCO wird es im Jahr 2050 eine um 55 Prozent höhere globale Nachfrage nach Wasser geben (vgl. ebd.). Derzeit verbraucht die Landwirtschaft weltweit 71 Prozent des Wassers, die Industrie 32 Prozent und die privaten Haushalte acht Prozent (vgl. Engelmann et al. 2000: 18). Durch die wachsende Bevölkerung, den steigenden Lebensstandard, das globale Wirtschaftswachstum und die Notwendigkeit von immer mehr Energien wird jeder dieser drei Sektoren künftig mehr Wasser benötigen. Und keiner wird bereit sein, freiwillig etwas davon abzugeben. Dadurch wird der sogenannte Wasserstress zunehmen, sodass bis 2050 rund 6,5 Milliarden Menschen in Wasserstressgebieten leben, falls sich an der globalen Wassernutzung nichts ändert (vgl. UNO 2015b: 38ff.). Insgesamt würden dann über 40 Prozent der Weltbevölkerung in Regionen der Wasserknappheit leben (vgl. OECD 2012: 7). Der OECD hat ein Basisszenario für unsere Zukunft entworfen, das ca. 2050 eintritt, wenn weiterhin einschneidende Politikmaßnahmen ausbleiben. Der Anteil fossiler Brennstoffe werde dann weiterhin bei rund 85 Prozent liegen, während erneuerbare Energien nur zu knapp 10 Prozent verwendet würden, der Rest entfalle auf Kernenergie. Die sogenannten BRIICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, Indonesien, China und Südafrika) werden dem Szenario zufolge zu großen Energieverbrauchern, ebenfalls hauptsächlich von fossilen Brennstoffen. Um die wachsende Weltbevölkerung mit Nahrungsmitteln zu versorgen, müssen immer mehr landwirtschaftliche Nutzflächen erschlossen werden, die wiederum den Wettbewerb um Land verschärfen. Laut dem Basisszenario werden „die vom Bevölkerungswachstum und vom Anstieg des Lebensstandards ausgehenden Umweltbelastungen zu stark zunehmen, als dass es möglich wäre, sie durch die bei der Bekämpfung der Umweltverschmutzung und der Erhöhung der Ressourceneffizienz erzielten Fortschritte auszugleichen“ (ebd.: 3). Die Folgen könnten demnach die kontinuierliche Anhebung unseres Lebensstandards seit den letzten zwei Jahrhunderten wieder zunichtemachen. Zudem rechnen die Wissenschaftler der OECD mit „wesentlich destabilisierenderen Klimaänderungen“ (ebd.), weil die weltweiten Treibhausgasemissionen um 50 Prozent zunehmen, vor allem aufgrund des Anstiegs der CO2-Emissionen um 70 Prozent. In Bezug auf das Wasser werden laut dem Basisszenario die Grundwasserverschmutzung sowie der Grundwasserschwund weiter zunehmen. In Nicht-OECD-Ländern werde sich die Qualität 43

des Oberflächenwassers verschlechtern, was wiederum zu einem weltweiten Anstieg der Nährstoffbelastungen führt, da unsere Lebensmittel ja aus der ganzen Welt kommen. Die Abwassermenge, die unbehandelt zurück in den Umweltkreislauf zurückgelangt, werde ebenfalls zunehmen. Durch die zunehmende Urbanisierung auf der ganzen Welt werde es in 2050 voraussichtlich mehr Stadtbewohner geben, als an die Wasserversorgung angeschlossen werden können. Sowohl in städtischen als auch in ländlichen Gebieten werde sich die Zahl der Menschen ohne Zugang zu sauberem Trinkwasser und Sanitäranlagen demnach wieder erhöhen – womit die jahrelangen Arbeiten im Rahmen der UNMillenniumsziele wieder zunichte gemacht würden. Neben den Gesundheitsschädigungen durch die emissionsbedingte Luftverschmutzung werde schmutziges Trinkwasser zu einer Hauptursache für Krankheiten und vorzeitige Todesfällen (vgl. ebd.: 7). Der Klimawandel verstärkt diese ganzen Entwicklungen noch. Die durch die Erderwärmung bedingte Gletscherschmelze könnte künftig zwar mehr Süßwasser in Umlauf bringen, jedoch werden dafür andere, weite Teil von Land austrocknen und sich zur Wüste entwickeln. Die Menschen auf der Erde werden somit scheinbar paradoxerweise gleichzeitig von Überschwemmungen und von Dürren bedroht. Änderungen im globalen Wasserkreislauf werden also nicht einheitlich sein. Die Gegensätze in den Niederschlägen zwischen trockenen und feuchten Regionen und zwischen feuchten und trockenen Jahreszeiten werden zunehmen, auch wenn es regionale Ausnahmen geben kann (vgl. IPPC 2013: 21). Die weltweite soziale Ungerechtigkeit wird demnach verstärkt. Insgesamt wird der Klimawandel also mehr Nachteile für die Süßwassersysteme bringen als Vorteile, denn die Anzahl und Intensität wasserbedingter Katastrophen – als die zerstörerischsten Naturphänomene – wird stark zunehmen (vgl. UNO 2015a: 4ff.). 3.1 Die Weltbevölkerung Nach Schätzungen des OECD und der UN wird sich die Weltbevölkerung im Jahr 2030 auf rund 8,4 Milliarden Menschen belaufen und bis 2050 auf über 9 Milliarden (vgl. UNO 2015b: 34; OECD 2012: 1). „Diese demografischen Veränderungen werden zusammen mit dem erwarteten Anstieg des Lebensstandards zu Veränderungen in den Lebensgewohnheiten, Verbrauchsmustern und Ernährungsweisen führen, die erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt sowie auf die von ihr bereitgestellten Ressourcen und Dienste haben werden.“ (ebd.: 2) Fast 70 Prozent der Weltbevölkerung wird bis 2050 vom Land in die Stadt ziehen, sodass die dortigen Herausforderungen bezüglich Wasser- und Nahrungsmittelversorgung, Luftverschmutzung und die Herausbildung von immer mehr Slums größer werden. Die Gefahren für die menschliche Gesundheit sind offensichtlich (vgl. ebd.). Durch die rasche Bevölkerungszunahme seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts habe sich der Wasserverbrauch bis zum Jahr 2000 vervierfacht, während sich die Weltbevölkerung mehr 44

als verdoppelt hat. Und die Wasserressourcen seien bereits zu knapp, als dass die Menschen sich erlauben könnten, ihren Wasserverbrauch noch einmal zu vervierfachen (vgl. Engelmann et al. 2000: 14). Das Verhältnis von Bevölkerung und erneuerbarem Wasser gerate zunehmend aus dem Gleichgewicht, weil ein zu hoher Pro-Kopf-Anteil an Wasser herrscht (vgl. ebd.: 10). Am Deutlichsten wird dies am Beispiel der Vereinigten Arabischen Emirate. Sie verbrauchen derzeit unvorstellbare 1405 Prozent des sich erneuernden Wassers. Ihre Bevölkerung wird sich zudem innerhalb von 35 Jahren verdoppeln, sodass die Prozentzahlen bei weiterem Nichtstun noch weiter ansteigen und es zu Konflikten und womöglich sogar Kriegen um Wasser kommen kann. So lange, bis schließlich schlicht kein Wasser mehr in den dortigen Flüssen und Seen vorhanden ist und die Menschen gezwungen sein werden, umzusiedeln, ja regelrecht zu fliehen, um ihr Überleben zu sichern (vgl. ebd.: 38). Diese beiden Zukunftsprognosen – Konflikte und Flucht aufgrund von Wassermangel – werden im Folgenden näher erläutert. 3.2 Gefahr der Wasserkriege Wasser ist eine Grundlage für die soziale und ökonomische Entwicklung eines Landes. Deshalb kommt es in den Gebieten der Erde, wo diese Ressource knapp ist, innen- und außenpolitisch zu Spannungen. Besonders deutlich wird das Konfliktpotenzial bei grenzüberschreitenden Gewässern, da sich alle Staaten rund um diese Ressource über deren Nutzung einigen müssen. Jedes involvierte Land will dabei den Nutzen aus dem Wasser nationalisieren, während die Lasten internationalisiert werden sollen. Aufgrund ihrer Lage, ihrer Wirtschaftskraft und ihres politischen Einflusses haben die Länder jedoch unterschiedliche Möglichkeiten zur Durchsetzung ihrer Ansprüche, sodass sich das Konfliktpotenzial weiter verstärkt (vgl. Giese et al. 2004: 1). So gebe es bspw. zwischen Syrien, der Türkei und dem Irak immer wieder teils gewaltsame Auseinandersetzungen um das Wasser der Flüsse Euphrat und Tigris. „Der Krieg zwischen den Israelis und den Palästinensern ist auch ein Kampf um Wasser.“ (ebd.: 51) Ebenso gaben die Flüsse Jordan und Nil bereits mehrfach Anlass zu Konflikten zwischen Israel, Jordanien und Syrien bzw. zwischen Ägypten, Äthiopien und dem Sudan. Laut Aschoff ließen sich diese Beispiele beliebig fortführen, und es sei zu erwarten, dass solche Konflikte um Wasser in Zukunft zunehmen (vgl. Aschoff 2009: 51) Es ist daher von zentraler Bedeutung für die gesamte Welt, dass solche Konflikte friedlich gelöst werden – etwa durch regionale Wasserabkommen – und nicht in Kriege um Wasser umschlagen. 3.3 Umwelt- und Klimaflüchtlinge Wo die Mehrheit der heutigen Flüchtlinge aus Gründen wie (Bürger-) Kriegen, Armut oder Naturkatastrophen ihre Heimat verlassen, werde in Zukunft noch ein weiterer Verursacher von globaler Migration hinzukommen, der die Anzahl der derzeitigen Flüchtlinge bei weitem 45

übertreffen wird: der Klimawandel. Denn dieser hat verheerende Auswirkungen auf unser aller Lebensgrundlage Wasser. Die von der UN veröffentlichten wissenschaftlichen Prognosen für das Jahr 2050 lassen bis zu 350 Millionen sogenannte Klimaflüchtlinge erwarten. Zwar sind diese prognostizierten Flüchtlingszahlen sehr umstritten und basieren nur auf groben Schätzungen, trotzdem wäre es „lebensblind“ und unverantwortlich, sich nicht auf dieses Szenario einzustellen (vgl. Merkel 2015). Denn laut Greenpeace steuert die Völkergemeinschaft „schleichend, aber zielgenau auf eine humanitäre Katastrophe bisher unbekannten Ausmaßes zu“ (Greenpeace 2007: Vorwort). Durch die vom Menschen verursachte Klimaerwärmung verschlechtert sich bereits jetzt für viele Millionen Menschen ihre Lebensgrundlage. Aus fruchtbarem Land wird in den südlichen Regionen der Erde zunehmend Wüste, andere Siedlungen hingegen sind von so starken Regenfällen betroffen, dass sie auch nicht mehr bewohnbar sind. Ganze Inseln werden durch den Anstieg des Meeresspiegels im Ozean versinken. So prognostiziert Greenpeace, dass in den kommenden Jahren etwa 30 der weltweit am wenigsten entwickelten Länder zu zerfallen drohen. Diese Entwicklung macht deutlich, wie dringend weltweiter Klimaschutz ist. Doch selbst sofortige umfassende Maßnahmen zur CO2-Reduktion würden eine globale Völkerwanderung in Zukunft lediglich noch begrenzen, nicht verhindern können. Angesichts dieser Prognose ist es erstaunlich, dass Umwelt- und insbesondere Klimaflüchtlinge, von denen es heute weltweit bereits über 20 Millionen gibt, weitgehend von Politik und Öffentlichkeit ignoriert werden (vgl. ebd.). 4. Lösungsansätze und ihre Grenzen Wie bisher aufgezeigt wurde, kann die Zukunft des Wassers auf der Erde nicht losgelöst vom Kontext betrachtet werden, der jedoch derart vielschichtig und komplex ist, dass man im Grunde keine Grenze ziehen kann zwischen den Themen, die mit der Wasserproblematik zusammenhängen und denen, die das nicht tun. Es ist daher verständlich, dass in der vorliegenden Arbeit lediglich einzelne, besonders zentral und wichtig erscheinende Teilbereiche des Themenkomplexes herausgegriffen und näher bearbeitet werden können. Ebenso verhält es sich im folgenden Kapitel, das verschiedene, häufig diskutierte Lösungsansätze und ihre Chancen sowie Grenzen aufzeigen soll. 4.1 Verringerung des Bevölkerungswachstums Beginnen wir dem globalen Bevölkerungswachstum, das unter Kapitel 3.1 näher thematisiert wurde. Es ist logisch, dass, je mehr Menschen auf der Erde leben, desto höhere Anforderungen an eine gerechte Verteilung von Ressourcen wie Wasser gestellt werden müssen, damit alle diese Menschen überleben können. Die Autoren des Wasserreports 2000 sind der Ansicht, dass nur eine sogenannte Doppelstrategie als Ausweg aus der künftigen Wasserproblematik in Frage kommt: Durch humanitäre Maßnahmen müsse zum einen das 46

Bevölkerungswachstum verlangsamt werden, während zum anderen gleichzeitig Wasserressourcen effizienter und nachhaltiger genutzt werden müssen (vgl. Engelmann et al. 2000: 7). Doch was ist unter diesen humanitären Maßnahmen zu verstehen? Manch einer mag dabei schnell an Chinas Ein-Kind-Politik erinnert werden. Die negativen Auswirkungen dessen spürt China noch heute. Die Autoren meinen jedoch, dass sich das Bevölkerungswachstum besonders in kinderreichen Gebieten wie Afrika leicht eindämmen ließe, wenn man den Frauen dort Selbstbestimmungsrechte einräumt, sie bildet und aufklärt, sodass sie ihre Familienplanung selbst in die Hand nehmen können und nur so viele Kinder bekommen, wie sie auch ernähren können (vgl. ebd.: 64f.). Die meisten Lösungsansätze nehmen diese Option hingegen nicht in den Blick und konzentrieren sich statt auf soziale Maßnahmen vielmehr auf technisch-bauliche, wirtschaftlich-finanzielle, politisch-regulatorische und strukturelle Konzepte im Bereich Umwelt- und Wasserschutz. 4.2 Technisch-bauliche Lösungsansätze Bis heute wurden weltweit rund 50.000 Staudämme gebaut. Sie dienten neben der Wasserauch der Energieversorgung einer Region und galten bislang als effiziente und ökologisch sinnvolle Investition. In den letzten Jahrzehnten wurde die Kritik an diesen teuren Staudämmen jedoch immer lauter. Da Staudämme Wasser zum Stehen bringen, das sich dadurch erhitzt, Mineralien verliert und zu einem Paradies für Bakterien aller Art wird, wird das Wasser in diesen Regionen schließlich immer unsauberer und nicht nur für die tierische Artenvielfalt im Wasser, sondern auch für die Menschen zum gesundheitlichen und lebensbedrohlichen Problem. Als Alternative zu Staudämmen werden Entsalzungsanlagen diskutiert. Derzeit sind diese jedoch noch sehr teuer und nur wenige, reiche Unternehmen können sie sich leisten, d.h. es besteht die Gefahr der Wasserprivatisierung. Hinzu kommt, dass die Entsalzung der Meere fossile Brennstoffe fordert. So sei mit Entsalzungen lediglich ein Problem (scheinbar) gelöst, während ein anderes dafür verschärft wird, nämlich die Verstärkung des CO2-Ausstoßes und Klimawandels im Allgemeinen (vgl. Blaues Gold 2010). 4.3 Wirtschaftlich-finanzielle Lösungsansätze Viele nachhaltige Lösungsvorschläge werden von Regierungen und Industrien mit der Begründung abgewehrt, sie seien zu teuer oder schadeten der Wirtschaft. Doch in was, so lautet das klassische Gegenargument, lohnt es sich mehr zu investieren als in die Sicherung unserer Zukunft mit dem Lebensstandard, den wir derzeit gewohnt sind? „Was wäre wenn…?“, fragen Wissenschaftler der OECD im Jahr 2012 im Rahmen ihres Umweltausblicks für 2050. Was wäre, wenn wir ab heute die Preise für CO2-Emissionen auf 47

450ppm (parts per million) begrenzten, um die Klimaerwärmung auf zwei Grad Celsius zu beschränken? Dies würde zwar „zu einer Verlangsamung des Wirtschaftswachstums um durchschnittlich 0,2 Prozentpunkte pro Jahr und einer Einbuße beim weltweiten BIP um etwa 5,5 Prozent im Jahr 2050 führen. Doch sei dies „wenig im Vergleich zu den Kosten bei Untätigkeit, die sich einigen Schätzungen zufolge auf bis zu 14% des durchschnittlichen weltweiten Pro-Kopf-Verbrauchs belaufen könnten“ (OECD 2012: 11). Insgesamt könnten finanzielle bzw. wirtschaftliche Instrumente wie Umweltsteuern und Emissionspreise Umweltbelastungen aller Art eindämmen, indem umweltschädliche Aktivitäten schlichtweg kostspieliger werden als umweltfreundlichere Alternativen (vgl. ebd.). 4.4 Politisch-regulatorische Lösungsansätze Ergänzend dazu könnten gesetzliche Normen, etwa für die Luft- und Wasserqualität, sowie baurechtliche Vorschriften eingeführt werden. Auch durch Verbote, z.B. von toxischen Pestiziden, könnten regulatorische, wirkungsvolle Ansätze ausgearbeitet werden (vgl. ebd.: 12). Es ist dabei jedoch wenig hilfreich für die globale Zukunftsaussicht, wenn sich nur einzelne Staaten an solche Regularien halten. Es müssen verstärkt internationale Komitees zusammentreffen, die gemeinsame Ziele ausarbeiten, so wie es – trotz aller Kritik an der Umsetzung – bei den Verhandlungen über die Millenniums-Entwicklungsziele geschehen ist. Auch in 2010 versuchte die UN, auf die düsteren Prognosen zum Thema Wasser zu reagieren und erklärte den Zugang zu sauberem Wasser zum Menschenrecht. Nur ist dieses Recht bislang bloß symbolischer Natur, denn einklagbar ist es nicht. Hinzu kommt, dass Menschenrechte eher als westliche Werte betrachtet werden, die nicht immer kompatibel mit anderen Kulturen sind. Diese grundlegenden Differenzen zwischen den Einzelstaaten und ihren spezifischen (wirtschaftlichen, politischen…) Eigeninteressen sind es, die internationale Übereinkünfte – nicht nur im Bereich Umwelt und Klima – so schwierig machen (vgl. Lemke 2012: 228f.). 4.5 Strukturelle Lösungsansätze In dem Dokumentarfilm „Blaues Gold“ ist einer der Wissenschaftler der Meinung, um die künftige Wasserkrise in den Griff zu bekommen, müsse das Weltwirtschaftssystem reformiert werden. Das wirft zunächst einmal die Frage auf, ob es „das Weltwirtschaftssystem“ überhaupt gibt. Durch welche Merkmale würde es sich auszeichnen? Durch Kapitalismus? Diese Vermutung liegt nahe, da die Sprecher in der Dokumentation bspw. immer wieder die profitgeleiteten Versuche, Wasser zu privatisieren, kritisieren. Nehmen wir also an, der Kapitalismus als weltweit verbreiteteste Wirtschaftsform müsse reformiert werden. Inwiefern? Jonas Rest hat sich im Jahr 2011 mit der Frage befasst, ob ein „Grüner Kapitalismus“ mit den Anforderungen des Klimaschutzes in Einklang gebracht und möglich gemacht werden könnte (vgl. Rest 2011: 14). Er kommt zu dem Ergebnis, dass der Kapitalismus, der vor 48

allem Mehrwert produzieren will, von Grund auf nicht darauf angelegt ist, auf die natürliche Umwelt Rücksicht zu nehmen. Dies zeigt sich allein schon im Widerspruch der Begriffe Wachstum (als Ziel der kapitalistischen Wirtschaft) und Endlichkeit (der natürlichen Ressourcen) (vgl. ebd.: 36f.). Daher gibt es in der EU bislang auch keine signifikanten Anreize für eine Umstrukturierung des Energiesystems. Zwar besteht seit ein paar Jahren der Emissionshandel, durch den man CO2-Zertifikate erwerben kann, doch auch solche Ansätze sind – solange sie im Rahmen des bestehenden Kapitalismus angesiedelt sind – zum Scheitern verurteilt (vgl. ebd.: 80). Die USA, China und die EU bauen zwar kontinuierlich erneuerbare Energien aus, doch existiert gleichzeitig die Kohlekraft, die parallel genutzt wird, sodass es nicht zu einer Umstrukturierung des Energiesystems kommen kann. Die Nachfrage nach fossilen Energieträgern wächst sogar weiterhin (vgl. ebd.: 175). Den Grund für das Scheitern einer Energiewende sieht Rest aber auch in der „Ineffektivität der internationalen klimapolitischen Kooperation“ (ebd.: 177). Es existierten derzeit zu starke „strukturelle Begrenzungen“ (ebd.: 181) und Lobbying-Einflüsse. Allgemein erfordern klimapolitische Maßnahmen Kooperation und verringern Konkurrenzfähigkeit, was genau im Gegensatz zum Kapitalismus steht (vgl. ebd.). Aus diesen Gründen schätzt Rest die Chancen für einen Grünen Kapitalismus als sehr gering ein. Auch die Sprecher in dem genannten Dokumentarfilm scheinen sich dessen bewusst zu sein, kommen sie doch gegen Ende zu dem Schluss, dass man beim Thema Umwelt- und Wasserpolitik nicht auf Industrien oder Regierungen bauen könne, sondern dass es in der Hand der Bürger liege, in diesem Bereich Verbesserungen durchzusetzen. Etwa, indem es groß angelegte Bürgerproteste gegen Wasserprivatisierung und die allgemeine Umweltverschmutzung gibt, die – wie der Film zeigt – durchaus Erfolg haben können (vgl. Blaues Gold 2010). Alle diese Felder (strukturelle, wirtschaftliche, regulatorische…) bedingen sich natürlich gegenseitig und können im Grunde nicht getrennt voneinander betrachtet werden. So bringt es bspw. nichts, Gesetze zu erlassen, in denen dann Schlupflöcher gefunden und die nicht angewandt werden. Und es bringt ebenso wenig, wirtschaftliche Maßnahmen zu ergreifen, die staatlich nicht legitimiert werden. 5. Fazit & Ausblick In dieser Arbeit konnte ein grober Überblick zum Thema ‚Wasser in der Zukunft‘ gegeben und aufgezeigt werden, dass es mit zahlreichen sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Gegebenheiten und Problemen verknüpft ist. Genau diese Komplexität macht es so schwer, einfache und rasch umsetzbare Lösungen für die künftige globale Wasserknappheit zu finden. Umweltschützer, aber auch Entwicklungshelfer stoßen dabei schnell an geografische, politische und finanzielle Grenzen. Klar ist aber auch, dass sich ohne die Partizipation dieser Menschen, ebenso wie der der ‚gemeinen Bürger‘, vermutlich erst Recht nichts an der 49

Wasserproblematik ändern wird. Ob es nun der Kapitalismus ist, die Korruption bis hoch in die Regierungsebenen oder allgemeines Machtstreben – es wurde deutlich, dass die Bevölkerung sich bei der Wasserverteilung in Zukunft besser nicht darauf verlassen sollte, dass die Regierungen oder Großkonzerne sich zum Wohle aller darum kümmern werden. Globales Wassermanagement geht alle etwas an, daher sollten auch alle – d.h. Regierungen, Unternehmen, Industrie und Bevölkerung – mit entscheiden können. Zudem ist es „unerlässlich, umweltpolitische Ziele in die Wirtschaftspolitik insgesamt und die Politik für die verschiedenen Sektoren (z.B. Energie, Landwirtschaft, Verkehr) einzubeziehen, da diese Politikbereiche stärkere Auswirkungen auf die Umwelt haben als die Umweltpolitik alleine.“ (OECD 2012: 14) Eine weitere, viel grundsätzlichere Hürde beim Schutz der Ressource Wasser ist, dass das Problem an sich bislang gar keine ausreichende Aufmerksamkeit bekommt. Gerade in den armen Ländern der Südhalbkugel wird das Wasserproblem aufgrund von dringender erscheinenden Problemen wie der Verbreitung von AIDS und der vorherrschenden Armut häufig zurückgestellt. Die akuten Bedürfnisse wollen zuerst gestillt werden und man beschäftigt sich kaum mit langfristiger Planung und Nachhaltigkeit. Ein Teufelskreis entsteht (vgl. Gardizi/Möller 2012). Es bleibt nur zu hoffen, dass die zunehmenden Konflikte um Wasser, die Niederschlagsveränderungen durch den Klimawandel und die wachsende Zahl von Umweltund Klimaflüchtlingen den Blick der Menschen zunehmend auf das Wasser richten. Eine wissenschaftlich fundierte öffentliche Thematisierung der künftigen Gefahren ist dabei unabdingbar, um gemeinsam Lösungsstrategien zu ermitteln. Staatliche und nichtstaatliche Akteure müssen in Zukunft, gerade in Zeiten knapper öffentlicher Mittel, enger zusammenarbeiten. Um ein umweltverträgliches Wachstum zu verwirklichen, braucht es strategische Partnerschaften auf der ganzen Welt, denn die meisten Umweltprobleme der Zukunft sind globaler Natur und hängen „mit den grenzüberschreitenden Effekten der Globalisierung der Wirtschaft (Handel, internationale Investitionen usw.)“ (OECD 2012: 16) zusammen. Es muss daher „eine gerechte Aufteilung der Kosten der ergriffenen Maßnahmen“ (ebd.) garantiert werden. Zudem muss die verbreitete Auffassung, dass nachhaltige Strategien der Rendite schaden, korrigiert werden. Denn „[m]it dem zunehmenden Bewusstsein der Bevölkerung für ökologische Zusammenhänge sollten […] nachhaltig wirtschaftende Unternehmen langfristig davon profitieren können – zumindest aber keine Benachteiligungen erleiden.“ (Aschoff 2009: 65) Zwar haben die OECD-Länder in den letzten Jahren einige Maßnahmen zum Schutz der Menschen vor Umweltverschmutzung, Klimawandel und Ressourcenverschwendung ergriffen, doch wurden diese Fortschritte durch das enorme Wirtschafts- und 50

Bevölkerungswachstum zum Teil schlicht wieder zunichte gemacht. In den kommenden Jahren, in denen die Weltbevölkerung bis 2050 um weitere zwei Milliarden Menschen anwachsen wird, „werden unsystematische Einzelfortschritte, wie wir sie bislang erzielt haben, nicht mehr ausreichen“ (OECD 2012: 1). Literatur Aschoff, Heiko (2009): Bis zum letzten Tropfen. Wasser – das Investment der Zukunft, München: FinanzBuch Verlag. Blaues Gold. Der Krieg der Zukunft (2010), Sam Bozzo (Regisseur), Berlin: cmv Laservision. Engelmann, Robert; Dye, Bonnie; LeRoy, Pamela (2000): Mensch, Wasser! Report über die Entwicklung der Weltbevölkerung und die Zukunft der Wasservorräte, 2. Auflage, Stuttgart: Balance Verlag. Gardizi, Farid; Möller, Lutz (2012): Weltwasserbericht 2012: Kernaussagen. Wassermanagement stärker in die globale Politik integrieren, online unter: http://www.unesco.de/weltwasserbericht4_kernaussagen.html (letzter Zugriff: 16.11.2015). Giese, Ernst; Sehring, Jenniver; Trouchine, Alexej (2004): Zwischenstaatliche Wassernutzungskonflikte in Zentralasien. Gießen: Zentrum für internationale Entwicklungsund Umweltforschung der Justus-Liebig-Universität. Greenpeace (2007): Klimaflüchtlinge. Die verleugnete Katastrophe, Hamburg. IPPC (2013): Climate Change 2013: The Physical Science Basis, online unter: http://www.climatechange2013.org/ [letzter Zugriff: 16.11.2015]. Lemke, Christiane (2012): Problembeispiel: Menschenrechte. In: Ders. (Hrsg.): Internationale Beziehungen. Grundkonzepte, Theorien und Problemfelder, 3. Aufl., München: Oldenbourg Verlag, S. 225- 229. Merkel, Reinhard (2015): Die Klimaflüchtlinge kommen. Das Leben der anderen ist armselig und kurz, online unter: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/klimafluechtlinge-woliegt-die-grenze-des-zumutbaren-13815941.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2 (letzter Zugriff: 21.11.2015]. OECD (2012): Wasser. In: OECD-Umweltausblick bis 2050: Die Konsequenzen des Nichthandelns, OECD Publishing, online unter: http://dx.doi.org/10.1787/9789264172869-8de (letzter Zugriff: 16.11.2015). Rest, Jonas (2011): Grüner Kapitalismus? Klimawandel, globale Staatenkonkurrenz und die Verhinderung der Energiewende, Wiesbaden: VS Verlag.

51

United Nations Organization (2015a): The UN World Water Development Report 2015. Water for a Sustainable World, online unter: http://www.unesco.org/new/en/naturalsciences/environment/water/wwap/wwdr/2015-water-for-a-sustainable-world/ (letzter Zugriff: 16.11.2015). United Nations Organization (2015b): Case Studies and Indicators. Facing the Challenges, online unter: http://www.unesco.org/new/en/naturalsciences/environment/water/wwap/wwdr/2015-water-for-a-sustainable-world/ (letzter Zugriff: 16.11.2015).

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Die Darstellung von Lebensstilen in der Tafel- und Mineralwasserwerbung – eine Analyse Tanja Heckmann 1. Einleitung Gerolsteiner, Volvic oder Evian - unzählige Mineral- und Tafelwassermarken sind auf dem deutschen und internationalen Markt zu finden. Jede Marke wirbt mit ihrer ganz besonderen „Spritzigkeit“, „Gesundheit“ und „Besonderheit“. Die Werbung macht es möglich. Clevere Werbemenschen entwerfen Plakate, drehen Werbespots und denken sich raffinierte Werbeslogans für das jeweilige Wässerchen aus. Eben für das einzigartige Wasser, welches sich von anderen abhebt. Aber tatsächlich haben alle angebotenen Mineral- und Tafelwässer, sei es aus Deutschland, Frankreich oder der hawaiianischen Tiefsee, eines gemeinsam: Sie sind Wasser! Eine natürliche, farb-, geruch- und geschmacklose Flüssigkeit. Das spannende an dieser Tatsache ist dabei, dass obwohl im Grunde alle Wässer aus dem gleichen Stoff bestehen und sich kein Wasser an Inhaltsstoffen oder Zusatzstoffen erheblich von den anderen unterscheidet, es den Werbemachern gelingt, ihr Wasser als das besondere und einzigartige Wasser zu bewerben. Auf welcher Art und Weise, soll die nachfolgende Arbeit deutlich machen. Zu den beliebtesten Mineralwasser- und Tafelwassermarken in den Jahren 2014 bis 2015 zählten laut Verbraucherumfragen Gerolsteiner aus der Vulkaneifel, das stille Wasser Volvic, Apollinaris und Vittel. Auf den hinteren Rängen der Beliebtheitsskala findet man die Markenwässer Güstrower Schlossquell, Bad Vilbeler Urquelle und Heppinger, mit einer Beliebtheit von etwa 0,4 bis 0,6 Prozent. Die Wassermarken der oberen Ränge können immerhin eine Beliebtheit zwischen 16 und 8 Prozent verzeichnen (vgl. VuMA o.D.: online). Woran liegt dieser Unterschied hinsichtlich der Beliebtheit der Wässer. Wieso sind Gerolsteiner und Volvic über zehnmal beliebter als Güstrower oder Aquintéll? Wenn alle Wässer in Ihrer Zusammensetzung, Wertigkeit und grundlegenden Eigenschaft als Trinkwasser gleich sind, warum gibt es dann doch Unterschiede in der Wahrnehmung der Kunden? Treffen die erfolgreichen Markenwässer womöglich den aktuellen Lebensstil eines großen Teils der Gesellschaft? Es stellt sich daher die Frage, inwiefern die Trinkwasser-Werbung derzeit bestehende Lebensstile aufgreift und für sich nutzt, oder ob Sie vielmehr neue Lebensstile geniert und bestehende verändert? Daher bietet es sich an, die aktuellen Werbeanzeigen der Tafel -und Mineralwassermarken näher zu untersuchen. Dabei gilt es nicht nur Bild und Text zu analysieren, sondern gleichzeitig mögliche Hinweise auf Lebensstil abzeichnende Inhalte herauszuarbeiten. 53

Hierzu werden zunächst die Begriffe Lebensstil und Werbung näher definiert. Dabei gilt es zu veranschaulichen, weshalb die Werbung für die soziologische Auseinandersetzung von großer Relevanz ist. In einem nächsten Schritt sollen drei Lebensstil-Konzepte kurz erläutert werden, die „Theorie der feinen Leute“ von Thorstein Veblen (1958), das Lebensstil-Konzept nach Max Weber und Gerhard Schulzes Entwurf der „Erlebnisgesellschaft“ (Schulze 1996). Das darauffolgende Kapitel legt den Fokus auf die Analyse ausgewählter Werbeanzeigen von den Marktführern Gerolsteiner, Volvic und Apollinaris sowie den eher unbeliebten MineralwasserMarken: Güstrower Schlossquell und Bad Vilbeler UrQuell. Als methodische Orientierung für die Analyse wird die qualitative Untersuchung von Werbeanzeigen aus Hermann Cölfens Beitrag „Semper idem oder Jeden Tag wie neu? Zum Wandel des Weltbildes in deutschen Werbeanzeigen zwischen 1960 und 1990“ (2002), herangezogen. Im Anschluss daran werden die zuvor gewonnenen Ergebnisse in den Kontext der Fragestellung eingeordnet. Abschließend wird geprüft, ob die Fragestellungen hinreichend geklärt werden konnten. Zudem gilt es zu prüfen, ob das gewählte Thema mögliches Potential für eine tiefere Auseinandersetzung bietet. 1. Zu den Begriffen Lebensstil und Werbung Der Begriff Lebensstil oder auch der „Life-Style“ ist der gesamtgesellschaftlichen Lebenswelt allgegenwärtig. Ob in der Mode, der Ess- und Trinkkultur oder in den Medien – überall werden mannigfaltige Lifestyles propagiert. Es scheint, als ob jeder seinen individuellen Lifestyle leben könnte, allerdings bedarf es hierzu nicht unerheblicher Voraussetzungen. Denn nicht jeder Lebensstil ist für jeden erreichbar. Tatsächlich sind Bildung und Kapital mit ausschlaggebend für den Zugang zu einem spezifischen Lebensstil. So macht beispielsweise Pierre Bourdieu (1982: 405) deutlich, dass sich „die Verteilung des ökonomischen und des kulturellen Kapitals“ auf die Strukturen der Lebensstile auswirken. Nach Lüdtke können Lebensstile als „aktive, expressive und konsumptive Seite der sozialen Ungleichheit“ beschrieben werden. Stefan Hradil fasst in seinem Lehrbuch „Soziale Ungleichheit“

einen

Lebensstil

als

den

„regelmäßig

wiederkehrende[n]

Gesamtzusammenhang der Verhaltensweisen, Interaktionen, Meinungen, Wissensbestände und bewertenden Einstellungen eines Menschen“ (Hradil 2001: 46) zusammen. Der Lebensstil oder auch die Lebensführung ist demnach auch immer Ausdruck einer Differenzierung von anderen Lebensstilen sowie einer Individualisierung, welche soziale Gruppen voneinander abgrenzen. Der von Max Weber eingeführte Begriff beschreibt in der Soziologie zum einen bestimmte Gruppen, Milieus und Konsummuster und zum anderen soziale Differenzierung und soziale Ungleichheit. Eine allgemeingültige Definition des Begriffs „Lebensstil“ ist in der Literatur nicht 54

zu finden. Nichtsdestotrotz erfasst die große Vielfalt der sich seit den 1980er Jahren aufblühenden Konzepte der Lebensstile, den zentralen Gegenstand der Lebensstile. Beobachtet man die Werbung auf Plakaten, im Fernsehen oder in Zeitschriften, wird schnell klar, dass diese uns einen Life-Style, ein Lebensgefühl und eine spezifische Emotion vermitteln möchte. Werbung kreiert aber nicht nur Ideale, sie bildet ebenso aktuelle Lebensstile, Trends und Idealtypen ab. Insofern ist die Werbung ein Indikator für den sozialen Wandel, denn wie bereits erwähnt, reproduzieren Werbeanzeigen oder TV-Spots, die aktuellen Lebensstile in der Gesellschaft. Daher verwundert es nicht, dass die Werbung als Forschungsfeld für den soziologischen Diskurs von zentraler Bedeutung ist. Anhand der Werbung ist es möglich, den sozialen Wandel von Werten, Normen, Idealtypen und Lebensstilen in der Gesellschaft herauszuarbeiten. Die Werbung als solche kann folgendermaßen definiert werden: „Werbung, die planmäßige Beeinflussung von Personenkategorien mit dem Ziel, zum Zwecke des Absatzes von Produkten und Dienstleistungen oder der Erinnerung bzw. Konsolidierung polit. Herrschaftsverhältnisse best. Kauf- oder Wahlhandlungen zu stimulieren.“ (Hillmann 2007: 961) Der Kommunikationswissenschaftler Rainer Gries beschreibt Werbung als „... die Herstellung und Verbreitung von Erwartungen, Bedeutungen und Botschaften, die sich auf bestimmte Produkte beziehen und dafür Kaufbereitschaft zu erreichen suchen.“ (Gries 2004: 81) Hier stellt sich nun die Frage, inwieweit Personengruppen beeinflusst werden oder ob die Werbung vielmehr als unterstützendes Medium zum individuellen Konsumverhalten verstanden werden kann. Tatsächlich nutzt die Werbung bestehende Lebensstile für sich, wohingegen nur dazüber zu spekulieren ist, ob sie völlig neue Lebensstile generiert. Demgemäß stellt Konstantin Ingenkamp (1996: 136) fest, „daß es nicht sinnvoll ist, in der Werbung nach Lebensstilen zu suchen, deren Entdeckung dann einen bestimmten zeitdiagnostischen Wert hätte“. Nichtsdestotrotz bildet die Werbung, Symbole, Trends und Werte spezifischer Lebensstile ab, sie reflektiert insofern Distinktionsmerkmale differierender Lebensstile. Dabei hat die Distinktion eine zentrale Bedeutung für die bis heute hervorgebrachten Lebensstil-Konzepte. 3. Lebensstil-Konzepte in der Soziologie Lebensstile verbinden, wie bereits dargestellt, Gemeinsamkeiten von Individuen. Seien es gleiche Aktivitäten, Einstellungen oder Interessen. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts setzten sich Max Weber und Thorstein Veblen mit dem Gegenstand der Lebensführung und Lebensstilen auseinander. Darauf aufbauend, veröffentlichen beispielsweise Stefan Hradil,

55

Hans-Peter Müller oder Hartmut Lüdtke in den 1990er Jahren bis heute rezipierte LebensstilKonzepte. Im Folgenden sollen drei ausgewählte Lebensstil-Konzepte kurz skizziert werden. 3.1 Lebensstile und demonstrativer Konsum – Thorstein Veblen Eine Funktion von Lebensstilen ist die Distinktion, also die Abgrenzung von konträren Lebensstilen oder sozialen Gruppen. In der „The Theory of the Leisure Class“ aus dem Jahr 1899 zeigt Thorstein Veblen auf, dass die Distinktion ein zentraler Gegenstand der damals bestehenden Klassengesellschaft ist. Und auch heute grenzen sich bestimmte soziale Gruppen mittels spezifischer Statussymbole wie besonderen Automarken, Kleidung und exklusiver Ess- und Trinkgewohnheiten von anderen sozialen Gruppen ab. Das durch ökonomisches

Kapital

ermöglichte

Konsummuster

und

die

Zurschaustellung

der

entsprechenden Statussymbole bestimmter Gruppen werden von Veblen (1958: 79ff.) als „demonstrativer Konsum“ bezeichnet. Dabei erzeugt der demonstrative Konsum zum einen eine kollektive und zum anderen eine individuelle Identität, mittels derer sich das Individuum definieren kann. Die sich daraus entwickelnden sozialen Strukturen, also Hierarchien und Distinktionen innerhalb der Gesellschaft, stehen

„mit der Institution des Eigentums in

Beziehung “ (ebd.: 43). Neben dem demonstrativen Konsum zeigt sich die Klassenzugehörigkeit auch durch den „demonstrativen Müßiggang“, so Veblen (ebd.: 57). Wer demnach Zeit für Muße hat, grenzt sich in besonderer Art und Weise von denen ab, die einer zeitintensiven Arbeit nachgehen müssen. Nur wer einen entsprechenden Reichtum besitzt und demzufolge einer spezifischen Klasse zugehörig ist, kann sich der Muße widmen. Und nicht nur dem Müßiggang, sondern auch dem Genuss von kennzeichnenden Konsumgütern oder Freizeitaktivitäten (vgl. Georg 1998: 55). Der Konsum dient dabei als eine Prämisse für sozialen Prestige, denn mittels Konsumgütern ist es möglich, sich von anderen abzugrenzen und gleichzeitig den vorhandenen Reichtum zur Schau zu stellen. Veblens Konzept der Lebensstile ist insofern relevant für die vorliegende Arbeit, als sie insbesondere das Konsumverhalten als zentrale Dimension der Lebensstile kennzeichnet. Der Konsum von bestimmten Produkten und die vorhandene Zeit zur Muße sind demnach mit ausschlaggebend für Prestige und Ansehen in der Gesellschaft. Gleichzeitig führt sie zur Distinktion von sozialen Gruppen. Ökonomisches Kapital ist die Voraussetzung für eine Klassenzugehörigkeit. Gleichzeitig konstatiert Veblen, dass eine Klasse stets der nächst höheren Klasse nacheifert. 3.2 Die Lebensführung – Max Weber Auch für Max Weber ist das ökonomische Kapital maßgeblich für das Konzept der Lebensstile. Statt Lebensstile verwendet Weber den Begriff „Lebensführung“.

Erst das ökonomische 56

Kapital ermöglicht eine bestimmte Lebensführung, sei es der Konsum bestimmter Markenkleidung, die Ernährungsweise oder die Art der Freizeitaktivitäten. Das ökonomische Kapital ist demzufolge entscheidend für die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe beziehungsweise für die Führung eines bestimmten Lebensstils. Zwar galten für Weber auch religiöse Muster als entscheidend für die Lebensführung der Subjekte, dennoch erkannte er, dass die Lebensführung bzw. Lebensstile auch durch das Konsumverhalten geprägt wurde (vgl. Maurer 2010: 151) Und bereits Weber zog den Schluss, dass unterschiedliche Arten der Lebensführung immer auch Distinktion und soziale Differenzierung zur Folge haben. Zweitens generieren Lebensstile Identitäten und fördern die Gruppenzugehörigkeit, und schließlich bedingen Lebensstile soziale Beziehungen (vgl. Ingenkamp 1996: 119). 3.3 Die Erlebnis-Gesellschaft – Gerhard Schulze 1992 veröffentliche Schulze das Standardwerk „Die Erlebnis-Gesellschaft. Kultursoziologie in der Gegenwart“. Das darin erörterte Konzept widmete sich dem Prozess der Individualisierung und der daraus hervorgehenden Erlebnissuche jedes Individuums. Als Ursache nennt Schulze das stetig wachsende Angebot des Erlebnismarktes, welcher „kollektive Erlebnismuster beeinflusst und soziale Milieus als Erlebnisgemeinschaften prägt“ (Schulze 1992: 33). Wo bei Veblen der „demonstrative Müßiggang“ der herrschenden Klasse vorbehalten war, ist der Konsum von Erlebnisangeboten in der Lebensführung der Erlebnisgesellschaft elementar. Zudem ist Gruppenzugehörigkeit für Schulze nicht mehr abhängig von Herkunft oder der beruflichen Position, sondern abhängig von Präferenzen. Anhand der alltagsästhetischen Schemata, ordnet Schulze individuelle Geschmäcker und Präferenzen drei differierenden Schemata zu: dem Hochkultur-, dem Trivial- und dem Spannungsschema (vgl. ebd.: 142ff.) Die Schemata unterscheiden sich hinsichtlich ihrer ästhetischen Orientierung sowie der individuellen Lebensphilosophie. Demnach steht für das Hochkulturschema der intellektuelle Genuss im Vordergrund, „gute“ Bücher, klassische Musik, Kunst- und Kulturangebote. Die Perfektion steht im Zentrum der Lebensphilosophie des Hochkulturschemas. Beim Trivialschema ist stattdessen die Gemütlichkeit von zentraler Bedeutung. Die Sehnsucht nach dem Gewohnten und Vertrauten prägt diese Lebensphilosophie. Daraus resultiert die Orientierung nach Heimat, Wohlstand und Harmonie. Das Bedürfnis nach Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit ist ebenso charakteristisch für das Trivialschema. Eine Distinktion findet insbesondere gegenüber den Fremden und Individualisten statt, „wenn sie den Eindruck erwecken, mit ihrer Eigenart auch noch provozieren zu wollen“ (ebd.: 152). Das Spannungsschema hingegen strebt nach der Abwechslung, der „Action“ und intensiven körperlichen Reizen. Es werden Pop- und Rockkonzerte besucht, in Clubs wird getanzt und in Kneipen gefeiert, als treibende Kraft fungiert der Hang nach Neuem und Ungewohntem. Infolgedessen findet eine Abgrenzung von allem Konventionellen beziehungsweise 57

„Langweiligen“ statt. Aus der Perspektive des Spannungsschemas sind dies, so Schulze, beispielsweise: biedere Familienväter, Dickwänste, Reihenhausbesitzer, Hausfrauen (vgl. ebd.: 155). Das Spannungsschema kann insofern als eine narzisstisch geprägte Alltagsgestaltung definiert werden. Aus diesen drei alltagsästhetischen Schemata lassen sich wiederum fünf soziale Milieus herausarbeiten.

Schulze

bezeichnet

diese

als:

Niveaumilieu,

Integrationsmilieu,

Harmoniemilieu, Selbstverwirklichungsmilieu und Unterhaltungsmilieu. Dabei kann statt von Milieus, auch von Lebensstilgruppen gesprochen werden. Für Schulze ist die Zuordnung zu sozialen Gruppen und Milieus im Zusammenhang mit dem Konzept der Erlebnisgesellschaft unabhängig von den Dimensionen Einkommen und Besitz (vgl. ebd.: 175). Im Folgenden soll nun ausgesuchte Werbeanzeige für Trinkwasser hinsichtlich ihrer Symbolik, ihren Texten sowie der Darstellung von möglichen Idealtypen untersucht werden. Die Auswahl der Werbeanzeigen fand auf Basis der Verbrauchs- und Medienanalyse aus dem Jahr 2015 statt. In dieser wurden die beliebtesten Mineral- und Tafelwassermarken erfasst. 4. Qualitative Untersuchung Die

Auswahl

der

zu

analysierenden

Werbeanzeigen,

richtete

sich

nach

dem

Beliebtheitsranking für Mineral- und Tafelwassermarken aus dem Jahr 2015. In der deutschlandweiten Umfrage wurden Personen ab 14 Jahren nach den beliebtesten Mineralund Tafelwassermarken befragt. Für die qualitative Untersuchung von Werbeanzeigen verschiedener Mineral- und Tafelwasser, wurden die drei beliebtesten sowie zwei unbeliebtesten Marken ausgewählt. Durch einen Vergleich der Werbeanzeigen der beliebtesten drei Marken Gerolsteiner, Volvic und Apollinaris mit den unbeliebtesten Marken Bad Vilbeler Urquelle und Güstrower Schlossquell soll untersucht werden, ob sich die Popularität der beliebtesten Marken aufgrund auffallender und überzeugender Werbeanzeigen erklären lässt oder ob sich die Werbeinhalte und Symbole der einzelnen Marken nicht eklatant voneinander unterscheiden und sich die Beliebtheit vielmehr aufgrund anderer Aspekte erklären lässt. In Anlehnung an Hermann Cölfens Beitrag (2002) werden in einem ersten Schritt öffentlich zugängliche Werbeanzeigen aus Printmagazinen und Internetbeiträgen hinsichtlich ihrer Symbolik, Elementen und Farben untersucht. Weiterhin soll die Darstellung von Personen im Kontext des beworbenen Produktes mit einbezogen werden. Dabei stellte sich gleichzeitig die Frage, ob das Produkt – also das Mineral- oder Tafelwasser – als solches oder vielmehr eine spezifische Symbolik beziehungsweise eine Handlung im Zentrum der Anzeige steht. In einem zweiten Schritt wird die Textebene untersucht. Hier stellte sich die Frage, ob der Beworbene direkt oder indirekt angesprochen wird, ob Redewendungen oder bereits bekannte 58

Markenslogans verwendet wurden. Weiterhin gilt es, die Texte auf ihre Inhalte hin zu vergleichen.

4.1 Symbolik und Farbauswahl Die Printwerbung der laut Umfrage beliebtesten deutschen Mineralwassermarke Gerolsteiner, fällt zunächst durch die verwendeten Farben wie hellblau, hellgrau und helltürkis auf. Eine Flasche des Mineralwassers steht als alleiniges Symbol im Zentrum der Anzeige. Daneben erscheint das Markensymbol des Herstellers Gerolsteiner in seinem typischen Corporate Design. Der Hintergrund ist in einem dezenten Hellblau-weiß-Übergang gehalten. Auch das französische Mineralwasser Volvic, nutzt die Farben blau, weiß und grün. Allerdings in kräftigeren Tönen als Gerolsteiner. Ebenso steht eine Flasche des Mineralwassers im Zentrum der Anzeige. Im Vergleich mehrerer Volvic-Werbeanzeigen wird deutlich, dass stets das gleiche Farbschema verwendet wurde. Ebenso sticht meist eine gefüllte Flasche in der Anzeigenmitte hervor. Daneben ist der Einsatz von grünen Wiesen und grünen Hügeln als Anzeigenhintergründe auffällig. Anders als bei den Werbeanzeigen von Gerolsteiner und Volvic stehen bei der Mineralwassermarke Apollinaris Personen im Vordergrund. Die aktuelle Werbekampagne zeigt männliche Personen in alltäglichen Situationen, wie beispielsweise am Bürotisch. Immer griffbereit ein gefülltes Glas und eine gefüllte Glasflasche des Markenwassers. Beide Männer wirken gepflegt, schlank, die Gesichtsausdrücke drücken Zufriedenheit und Wohlbehagen aus. Die Hände wurden so arrangiert, dass sich das Markenlogo, ein Dreieck, erkennen lässt. Das Markenlogo befindet sich in der rechten oberen Ecke, gemeinsam mit dem Markenslogan. Die Farbauswahl tendiert zu verschiedenen Grautönen und Weißtönen. Insgesamt wirkt die Anzeige des deutschen Herstellers auffällig hochwertig. Im Gegensatz zu den populären und breit beworbenen Tafel- und Mineralwassermarken Gerolsteiner, Volvic und Apollinaris lassen sich die Werbeanzeigen des Mineralwassers Güstrowers Schlossquell nur sehr schwer finden. Die Mineralwassermarke aus MecklenburgVorpommern wirbt auf ihrer Internetseite mit Regionalität und Umweltbewusstsein (vgl. Güstrower Schlossquell: online). Werbeanzeigen des deutschen Mineralwassers Bad Vilbeler UrQuelle sind ebenso spärlich in der Printmagazinen oder dem Internet zu finden, wie schon bei der vorherigen deutschen Mineralwassermarke Güstrower Schlossquell. Auf der Internetseite des Familienunternehmens lassen sich einzelne Produktkampagnen ausmachen (vgl. Bad Vilbeler Urquelle: online). Dieser Umstand soll später näher diskutiert werden. Nichtsdestoweniger fällt bei den aktuell zur Verfügung stehenden Produktkampagnen auf, dass, wie auch schon bei den zuvor aufgeführten Werbeanzeigen, das Produkt im 59

Vordergrund steht. Die gefüllte Wasserflasche nebst gefüllten Wassergläsern steht im Zentrum. Diese stehen wiederum auf einem Glastisch, welcher lediglich peripher zu erkennen ist. Als Hintergrund fungiert nur verschwommen ein Raum in beigen Farbschema. Zudem wird ein kräftiges dunkelgrün zur Abgrenzung des Markenslogans, welcher in weißer Schrift über die gesamte Breite der Werbeanzeige verläuft, verwendet. Die Analyse einer zweiten Werbeanzeige unterstreicht die vorherigen Ergebnisse. Auch hier steht die Wasserflasche im Fokus der Wahrnehmung, der Hintergrund ist nur verschwommen erkennbar als dunkler Wohnraum mit einer einzigen Lichtquelle. Die Anzeige selbst in Blau- und Grautönen gehalten. Links neben der Wasserflasche befindet sich ein Werbeslogan in weißer Schrift. An dieser Stelle lässt sich kurz zusammenfassen, dass sowohl die populären als auch die unpopulären Tafel- und Mineralwassermarken in ihren Werbeanzeigen ähnliche Symbole verwenden. Insbesondere die Wasserflasche sowie ein oder mehrere gefüllte Gläser. Personen oder Handlungen waren nur bei einer der ausgewählten Marken zu finden. Zudem weisen alle Werbeanzeigen ähnliche Farbschemata auf. Die folgende Zusammenstellung der Textelemente und Werbeslogans soll mögliche Unterschiede oder Gemeinsamkeiten hinsichtlich der Inhalte und Konstruktionen herausarbeiten. Weiterhin gilt es zu untersuchen, ob ein Zusammenhang zwischen Bild- und Textelementen besteht. 4.2 Text und Textinhalt „Ursprünglich rein und mit wertvollem Calcium, Magnesium und Hydrogencarbonat“. Mit diesem Text wirbt die beliebteste Mineralwassermarke Gerolsteiner. Die Werbeanzeige lässt dem Umworbenen keinen Zweifel daran, dass er durch das Trinken des Markenwassers mit wertvollen Inhaltsstoffen versorgt wird. Zudem wird suggeriert, dass das Wasser von reiner und ursprünglicher Herkunft ist, demzufolge gesund und ohne mögliche Verunreinigungen oder ähnlichem. Dabei sind die Adjektive wertvoll und ursprünglich rein in besonderer Weise vom übrigen Text herausgestellt, mittels anderer Schrift und Farbe. Auch das beliebte Mineralwasser Volvic wird mit seiner angeblichen Natürlichkeit beworben. Dabei fällt auf, dass der Fokus der exemplarisch ausgewählten Volvic-Werbeanzeigen auf dem Ursprung des Wassers liegt, einem Naturschutzgebiet in der französischen Auvergne. Die verwendeten Farben grün und weiß repräsentieren die Natur, die Reinheit und die Herkunft des Wassers. Slogans wie „ENTECKE DEN VULKANISCHEN IMPULS“, „Natürliches Mineralwasser“ oder „Filled with Volcanicity“ unterstreichen das Image des natürlichen, aus Vulkanstein „sprudelnden“ Wassers. In Verbindung mit dem gewählten Farbkonzept (grün, blau, braun), mit welchem die Natur assoziiert werden kann, produzieren die Werbeanzeigen der Mineralwassermarke Volvic ein stimmiges Bild des natürlichen, gesunden Trinkwassers. Apollinaris arbeitet anders als die Marken Volvic oder Gerolsteiner, mit der Darstellung von männlichen Figuren in spezifischen Situationen, beispielsweise an einem Schreibtisch. Der 60

Markenslogan „Inspiriert Menschen seit 1852.“ erweckt den Anschein eines traditionellen, vertrauenswürdigen Mineralwassers. Ein etabliertes Wasser für Menschen mit Werten, Traditionen und Selbstbewusstsein, mit dem Sinn für Schönheit und Eleganz. Denn der leicht vom Slogan abgesetzte Text „Jede Idee beginnt mit einem Moment der Inspiration. Apollinaris ist so weltoffen, erfrischend und klar, wie die Menschen, die es trinken“, möchte genau das vermitteln. Apollinaris wirbt mit einer schicken Glasflasche, für Konsumenten, die das Schöne mögen, das Hochwertige und einen spezifischen Lebensstil pflegen. Diesem Aspekt soll später noch nachgegangen werden. Das Mineralwasser der deutschen Marke Güstrower Schlossquell wird mit seiner regionalen Herkunft beworben. Der Slogan „Echt von hier. Echt wie wir“ propagiert ein Heimatgefühl, eine Verbundenheit zur Region und zu ihren Menschen. Güstrower Schlossquell hebt sich insofern evident von Volvic, Vittel und anderen Wässern ab, welche von allen Teilen Europas und der Welt nach Deutschland transportiert werden. Das Wasser repräsentiert demzufolge eine Region und erzeugt beim Konsumenten ein Identitätsbewusstsein. Die Mineralwassermarke Bad Vilbeler UrQuelle wirbt mit dem knappen Slogan „Bad Vilbeler UrQuelle. Nichts kann ihr das Wasser reichen.“ Weder Herkunft noch Inhaltsstoffe des Wassers werden hervorgehoben, lediglich die „Besonderheit“ und die deutliche Abgrenzung gegenüber anderen Wässern wird herausgestellt. Tatsächlich wirkt der Markenname für sich bereits selbst assoziativ, denn bereits die Bezeichnung

UrQuelle weist auf die

Ursprünglichkeit und Herkunft des Wassers hin. In Verbindung mit der Ortsangabe Bad Vilbeler ist der regionale Charakter des Wassers dem umworbenen Publikum bereits bekannt. 5. Lebensstile in der Werbung? Die kurze Darstellung der drei ausgewählten Lebensstil-Konzepte von Veblen, Weber und Schulze hat gezeigt, dass neben verschiedenen Prämissen in der Regel das Bildungsniveau sowie das ökonomische Kapital als zentrale Faktoren in der Abgrenzung und Deutung von Lebensstilen herangezogen werden können (vgl. Hölscher 2002). Nun stellt sich die Frage, ob eine Darstellung beziehungsweise eine Projektion von Lebensstilen oder Idealtypen in den untersuchten Werbeanzeigen hinreichend identifiziert werden kann. Denn obwohl jede Tafel- und Mineralwassermarke charakteristische Farbschemata, Symbole und Slogans einsetzt, und diese wiederum bestimmte Milieus und Lebensstile ansprechen, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Marke als solche einen spezifischen Lebensstil ansprechen möchte. Zudem können Lebensstile nicht trennscharf und präzise voneinander abgegrenzt werden, häufig gibt es Überschneidungen oder Ähnlichkeiten hinsichtlich des Konsumverhaltens. Insofern wäre es für das werbende Unternehmen von Nachteil, sich nur an einem Lebensstil zu orientieren zu wollen. Gleichwohl muss sich das Unternehmen am aktuellen Zeitgeist orientieren (vgl. Rode 1998): 55). 61

Nichtsdestoweniger können bestehende Life-Styles voneinander abgegrenzt werden, indem spezifische Merkmale als Einordnungskriterien fungieren, beispielsweise nach Schulzes Konzept der Erlebnis-Gesellschaft. Hier werden Lebensstile auch nach ihrer Freizeitgestaltung eingeordnet. Die qualitative Untersuchung der Werbeanzeigen von fünf verschiedenen Tafelund Mineralwassermarken führt unter Berücksichtigung der Lebensstil-Dimension der Freizeitgestaltung zu aufschlussreichen Ergebnissen. Zum einen kann konstatiert werden, dass die Mehrzahl der ausgewählten Werbeanzeigen, die Natürlichkeit und Reinheit des Wassers herausstellen. Darstellungen von grünen Wiesen und Bergen und hellblauem, wolkenlosem Himmel können insbesondere aktive, naturverbundene und Genussmenschen ansprechen. Gleichzeitig werden Bedürfnisse und Sehnsüchte nach der Natur oder nach einem in der Natur verankerten Lebensstil geschürt. Anders ausgedrückt, durch den Genuss des natürlichen Wassers aus dem Vulkangebiet kann die Sehnsucht nach einem natürlichen Lebensstil gestillt werden. Dabei kann an einer erstrebenswerten oder sozial angesehenen Lebenshaltung durch den Konsum einer bestimmten Wassermarke, welche eben für dieses Image steht, zumindest teilweise partizipiert werden. Die Werbung ist demzufolge in der Lage, soziale Normen, Werte oder Verhaltenserwartungen zu festigen (vgl. Hermanns 1972: 52). Zweitens kann festgestellt werden, dass die Herkunft und Regionalität der Wässer von großer Bedeutung für die Werbung ist. Sei es der Zusammenhang von Wir und Hier in Kombination mit dem Markennamen oder bereits der reine Markenname, für Konsumenten mit Verbindung zu einer bestimmten Region oder Stadt, hat die entsprechende Werbung ein hohes Identifikationspotential. Gleichzeitung schürt eine solche Werbeanzeige den Wunsch nach Heimat, nach Zugehörigkeit und Vertrautheit – auch bei den Umworbenen, die sich nicht unmittelbar mit der Herkunftsregion identifizieren. Vielmehr kreiert diese Werbung das gute Gefühl, zu wissen woher das Mineralwasser kommt. Ein solches Gefühl kann Auslöser für ein spezifisches Konsumverhalten sein. Denn gerade das durch die Werbung ausgelöste Gefühl fördert nicht nur ein Identifikationspotential oder eine Gruppenzugehörigkeit, sondern weckt auch Träume oder Sehnsüchte. Häufig steht eben nicht das Produkt selbst im Zentrum der Werbung, sondern es sind vielmehr subjektive oder projizierte Dimensionen (vgl. Jäckel 2004: 204). Drittens konnte die Kategorie Hochwertigkeit herausgearbeitet werden. Die Abbildung einer Glasflasche statt einer Plastikflasche, schlichte aber stilvolle Farben und eine charakteristische Szene vermitteln dem Umworbenen, dass dieses Wasser nicht nur den Durst löscht, sondern gleichzeitig als Distinktionsmittel fungiert. Konkretisiert wird die mögliche Werbeabsicht, durch die Darstellung einer konkreten Szenerie aus dem Alltag einer Person, welche zum einen 62

Identifikationspotential liefert und zum anderen einen Idealtypen widerspiegelt (vgl. ebd.: 33). Dieses besondere Mineralwasser erzeugt das Gefühl der Wertigkeit, der Besonderheit und den Umstand, dass es sich um ein prestigeträchtiges Wasser handelt. Dieses stellt die Kultiviertheit, das Bildungsniveau oder den Hang zur Hochkultur des potentiellen Konsumenten heraus. Gleichzeitig weckt es den Wunsch, zu einer solchen Gruppe beziehungsweise zu einem solchen Milieu zu gehören (vgl. ebd.: 89). Weiterhin aktiviert die Kombination von hochwertiger bildlicher Darstellung mit dem Werbeslogan das positive Gefühl der Vertrauenswürdigkeit. Es ist festzuhalten, dass in jeder der drei Kategorien Emotionen, Werte, Normen und die Illustration aktuell existierender Idealtypen von zentraler Bedeutung sind (vgl. Hellmann 2003: 132). 6. Fazit Ausgehend von der Auseinandersetzung mit dem soziologischen Konzept der Lebensstile wurden

in

dieser

Arbeit

ausgesuchte

aktuelle

Werbeanzeigen

von

Tafel-

und

Mineralwassermarken analysiert. Es stellte sich die Frage, inwiefern die Trinkwasser-Werbung derzeit bestehende Lebensstile aufgreift und für sich nutzt. Die im Rahmen des Forschungsprojekts durchgeführte Text-

und Bildanalyse von Werbeanzeigen fünf

verschiedener Tafel- und Mineralwassermarken verdeutlichte, dass keine Reproduktion eines spezifischen Lebensstils diagnostiziert werden konnte. Vielmehr orientieren sich die Werbenden an bestehenden Normen, Werten und etablierten Idealtypen. Weiterhin ist auffällig, dass sich die analysierten Bildquellen sowohl der beliebten Wassermarken wie Gerolsteiner, Volvic und Apollinaris als auch der unbeliebten wie Güstrower Schlossquell oder Bad Vilbeler Urquelle in ihrer Symbolik, in Farbschemata oder Textinhalten nicht gravierend voneinander unterscheiden. Vielmehr werden ähnliche Farben oder Symbole eingesetzt. Tatsächlich ließ die Recherche nach geeignetem Bildmaterial den Schluss zu, dass die nach Umfragen unbeliebten Mineralwasser-Marken, ihre Produkte weitaus weniger offensiv bewerben als die bekannten Markenwässer. Insofern sind die nach Umfragen unbeliebten Markenwässer aufgrund ihrer fehlenden beziehungsweise geringen medialen Präsenz als weniger popularisiert einzuordnen. Allerdings konnte nicht hinreichend herausgearbeitet werden, ob die Werbeindustrie mittels ihrer Werbeanzeigen neue Lebensstile generiert oder bestehende möglicherweise verändert. Hierfür ist es notwendig, eine größere Anzahl von Werbeanzeigen hinsichtlich ihrer Textelemente und Symbolik zu untersuchen. Zudem scheint es unerlässlich, auch Werbeanzeigen aus den vergangenen Jahrzehnten zu untersuchen und zum Vergleich mit aktuellen Daten heranzuziehen. 63

7. Literaturverzeichnis

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(Arbeitsgemeinschaft

Verbrauchs-

und

Medienanalyse)

(o.D.):

Beliebteste

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Das

Statistik-Portal,

Online

unter:

http://de.statista.com/statistik/daten/studie/171516/umfrage/konsum-mineralwassermarkenim-letzten-monat/ [16.4.2016].

Abbildungen Abbildung 1: Printanzeige, Gerolsteiner Brunnen, Gerolsteiner Mineralwasser. Abbildung 2 und 3: Printanzeigen, Danone Waters Deutschland GmbH, Volvic Mineralwasser. Abbildung 4 und 5: Printanzeigen, Coca-Cola GmbH, Apollinaris Mineralwasser. Abbildung

6:

Internetbanner,

Güstrower

Schlossquell,

online

unter:

http://www.guestrower.de/startseite/ [4.6.2016]. Abbildung 7 und 8: Produktinformation Internetseite, Bad Vilbeler Urquelle, online unter: http://www.bad-vilbeler-urquelle.de/startseite [4.6.2016].

65

Die mediale Darstellung des Mineralwassers in der TV-Werbung in Deutschland und den USA Nadja Oelinger 1. Die Werbung in den USA und Deutschland im Vergleich Zunächst muss der Rahmen der TV-Werbung in den USA im Allgemeinen erläutert werden: Man spricht bei einer gewöhnlichen TV-Werbung von Kosten in Höhe zwischen 300.000 und 400.000 Dollar (vgl. Berger 2007: 2). Im Vergleich hierzu pendeln sich die Kosten von Werbespots in Deutschland vor den Abendnachrichten im fünfstelligen Bereich ein, wobei es einen Unterschied zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern gibt. Zu beachten ist außerdem, dass das TV-Programm in den USA durch zwar kurze, aber viele Werbepausen unterbrochen wird, sodass der Zuschauer beim Sehen des TV-Programms immer wieder auf penetrante Art und Weise beschallt wird und diese Werbepausen in der Regel nicht einmal dazu reichen, das Badezimmer zu besuchen oder einen Snack in der Küche vorzubereiten. Der Großteil der amerikanischen Bevölkerung empfindet diese Werbung als aufdringlich und entwickelte in letzter Zeit generell ein negatives Gefühl gegenüber der TVWerbung (Heyd 2011: 148). Heyd schreibt weiterführend dazu: „So hat die Hälfte der Fernsehrezipienten eine negative Einstellung gegenüber Fernsehwerbung. Zudem werden Fernsehwerbungen überwiegend als irreführend (58 %), langweilig (58 %), irritierend (48 %), anstößig (46 %) oder gar beleidigend für die Intelligenz eines Rezipienten (62 %) empfunden“ (vgl. Heyd 2011: 148). Im Vergleich dazu gibt es im deutschen TV-Programm zwar weniger Werbepausen, allerdings dauern diese länger an, sodass der deutsche Zuschauer in der Zwischenzeit eine Zigarette rauchen kann oder die Toilette benutzen kann. Allerdings gibt es auch hier Unterschiede zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern. Laut dem Soziologen Herbert Gans, auf den sich Berger in seiner Publikation „Ads, fads and consumer culture. Advertising's impact on American character and society“ aus dem Jahr 2007 bezieht, besteht die amerikanische Gesellschaft aus verschiedenen „taste cultures“, nämlich der high culture , der uper-middle culture, der lower-middle culture, der low-culture und der quasi-folk culture (vgl. Berger 2007: 33). Diese Vielschichtigkeit an „Geschmäckern“ innerhalb der amerikanischen Bevölkerung macht einen hohen Anspruch an die Werbeagenturen aus. Im besten Falle und mit erfolgreicher Werbestrategie sollten sich all diese fünf Kulturen von der Werbung angesprochen fühlen und ein positives Image des beworbenen Produktes verdeutlicht bekommen. Im Vergleich hierzu stellt sich die deutsche Gesellschaft nicht als besonders vielschichtig dar. Die Schere zwischen arm und reich klafft auch nicht so weit auseinander, wie dies in den USA der Fall ist. Schon an den Ausgaben für einen Werbespot, die die amerikanischen Firmen, Organisationen, etc. bereit sind zu zahlen, lässt 66

sich erkennen, wie wichtig das Medium Fernsehen für die Gesellschaft ist. Der Werbemarkt in den USA ist der weltweit größte. Allein auf die USA entfallen 46,9 % der weltweiten Werbeinvestitionen, gefolgt von Europa mit 27,4 %, Asien-Pazifik mit 22,9 % sowie dem Rest der Welt mit 2,9 % (vgl. Heyd 2011: 150). Berger spricht von einer „teleculture“ (Berger 2007: 21). Die Television reflektiert im Allgemeinen die Kultur, auf der anderen Seite beeinflusst sie die Kultur auch maßgeblich, indem sie Illusionen kreiert, die sich auf die Wirklichkeit übertragen lassen, und dabei auch immer andere Dinge vernachlässigt. Insbesondere die Werbung trägt in den USA einen Großteil hierzu bei, die Kultur ihrer Konsumenten zu formen (consumer culture) und zu beeinflussen, indem sie ein Spannungsfeld zwischen Konditionierung und Regression aufbaut, um auf das Gewissen der Zuschauer einzuwirken (vgl. Berger 2007: 23). Auch Kautt widmet sich der consumer culture und schreibt: „Vor allem US-amerikanische und englische Studien beschreiben die Entwicklung der Werbung als Teilgebiet einer Entwicklung der Konsumgesellschaft bzw. der Konsumkultur“ (Kautt 2008: 98). 2. Mineralwasser in der TV-Werbung Sowohl in den USA, als auch in Deutschland wird Mineralwasser seit Jahrzehnten in Print und TVAnzeigen mit den Versprechungen von Vitalität, Jugendlichkeit, Schönheit und Gesundheit beworben. Hierbei sollen die kurzen Werbespots immer besser, ausgefallener und kreativer sein, sodass sich die Werbeagenturen einander immer übertrumpfen. Als Beispiel hierfür kann man die Mineralwasser-Werbung des französischen Herstellers Evian 2009 anführen, in welcher die Marketingprofis Babies in einem Park rollschuhfahrend tanzen und breakdanceartige Tricks performen lassen, um zwischendrin vor dem babyrosa Hintergrund mit dem Slogan „naturally pure and mineral-balanced water supports your body's youth“ zu werben, und anschließend die Babies in einer Art „dance-battle“ und rollernd durch einen Slalomparkour aus Evian-Flaschen gegeneinander antreten zu lassen. Abgeschlossen wird der 1:01 minütige Werbespot durch das typische Flüstern der Worte „Evian. Live young“. Hier wird also der Werbeslogan „Live young“ quasi wörtlich genommen und die Akteure quasi auf ihre Ausgangsform reduziert, um die in dem Slogan beschriebene Jugendlichkeit genau zu verdeutlichen. Besonders an dieser Werbung ist, dass sie quasi die erste MineralwasserWerbung im TV ist, die plötzlich durch ihre Kreativität und Ungewöhnlichkeit in aller Munde war und der zunächst als „Luxus“-Produkt geltenden Marke Evian Aufmerksamkeit eingebracht hat. Durch das Seminar „Wasserkonsum“ bin ich auf die Idee gekommen mir die unterschiedlichen TV-Werbungen zum Thema Mineralwasser und deren Vermarktung anzuschauen in Bezug auf die USA und Deutschland und mögliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede auszuarbeiten. Als Beispiele sollen zum einen die Nestle „Pure Life“ Werbung

67

aus den USA aus dem Jahr 2014 dienen und auf der anderen Seite die deutsche Volvic „Giant“ Werbung aus dem Jahr 2015. Die Auswahl rührte daher, dass zwei nicht mit Kohlesäure versetzte Wassersorten verglichen werden sollten, da kohlensäurehaltiges Mineralwasser in den USA kaum verzehrt wird. Online war keine deutsche Nestle-Werbung verfügbar, sodass ich auf Volvic als deutsches Beispiel ausweichen musste. 2.1 Mineralwasser in der amerikanischen TV-Werbung Laut der BMC, der Beverage Marketing Corporation, lag der gesamte Mineralwasserkonsum in den USA 2014 bei ca. 11 Gallonen, dies entspricht in etwa 41.639.529.800.000 Liter an verzehrtem Mineralwasser in den USA. Umgerechnet auf den Pro-Kopf Mineralwasserkonsum ergibt dies also 34 Gallonen, die jeder Amerikaner pro Jahr verzehrt hat, in Liter entspricht dies also ca. 128 Liter pro Person (vgl. International Bottled Water Association a: online). Diese Zahlen scheinen auf den ersten Blick beeindruckend zu sein, allerdings liegt die USA damit nur auf dem zehnten Platz weltweit des pro Kopf Verbrauchs von Mineralwasser. Außerdem liegt der Konsum von Wasser nur bei der Hälfte des Konsums von Soft Drinks und nur minimal oberhalb dessen von Milch und Bier. Entgegen der Vermutung, dass Werbeagenturen sich gegenseitig übertrumpfen wollen bei den aufwendigsten und kreativsten Werbekonzepten, geht man in den USA davon aus, dass der Erfolg der Mineralwasserindustrie nicht aufwendigen und teuren Werbekampagnen zu schulden ist, sondern schlicht und einfach dem Konsumverhalten der Bevölkerung, die schlichtweg wissen sollte, dass Wasser ein gesundes, sicheres und überzeugendes Produkt ist. Gemessen an anderen Sparten der Getränkeindustrie stellen die Kosten von Mineralwasserwerbung mit nur 61 Millionen Dollar im Jahr 2013 nur einen Bruchteil der Gesamtausgaben für Getränkewerbungen dar. Im Vergleich dazu die Gesamtwerbeausgaben anderer Getränkespaten im Jahr 2013 (vgl. International Bottled Water Association b: online). Getränk Werbeausgaben (in Dollar $) Bier 1,4 Billionen Soft Drinks 670 Millionen Säfte 351 Millionen Kaffee 185 Millionen Sport Drinks 120 Millionen Energy Drinks 90 Millionen

68

Auffallend bei der Betrachtung des amerikanischen TV-Programms ist, dass weniger wirklich Mineralwasserprodukte

beworben

werden,

sondern

eher

Aufrufe

von

staatlichen

Organisationen gezeigt werden, die die amerikanische Bevölkerung dazu anhalten wollen mehr Wasser zu trinken. Im Folgenden habe ich den 33-sekündigen „Pure Life - Cycle of Life“-Werbespot (vgl. Nestlé 2014: online) aus dem Jahr 2014 der Firma Nestle genauer betrachtet. Dieser lief im amerikanischen Fernsehprogramm. Zunächst sieht man ein heterosexuelles Liebespaar in ihrem Zuhause. Der Mann steht hinter seiner schwangeren Frau/Freundin/Lebensgefährtin; die beiden lachen vertraut über etwas und sie hält eine 0,5 Liter Flasche der Firma „Nestle“ in der Hand. Im Hintergrund ertönt Klaviermusik und die Szene ist mit dem von einer Frau gesprochenen Satz „Mom, you always give me the best“ versehen. Während sie weiterspricht mit den Worten „you care for me“ wandelt sich die Szenerie zu einem Abend- oder Nachtausschnitt, in dem sie sich in einem von warmen Licht erleuchteten Schlafzimmer befindet und das nun geborene Kind in den Armen hält und wiegt. Die Szene wandelt sich erneut während die Stimme spricht: „You give me a safe..“: Nun ist die Frau mit ihrer ca. 6 Jahre alten Tochter in einem belebten Park, in welchem die Tochter Rollschuh fährt und die Mutter ihr sitzend auf einer Parkbank den Helm richtet. In der nächsten Szene vollendet die Sprecherstimme den Satz „and healthy life. With Nestle Pure Life“. Man sieht nun die sich im Teenageralter befindende junge Frau, wie sie ihre Mutter beobachtet, während diese ihre Schultasche mit Verpflegung für den Tag packt. Die Mutter hält eine Softdrink-Dose in der Hand, zögert dann doch und packt ihr eine Flasche Nestle-Wasser, gleich aussehend wie die bereits beschriebene, in die Tasche. In der nächsten Szene sitzt die Tochter, nun bereits in ihren späten Zwanzigern, an einem Tisch in einem Gebäude und holt die Flasche aus ihrer Tasche, begleitet mit den Worten „so that I can give the best..“. In der nächsten Szene sieht man eben diese ausgewachsene junge Frau mit nun ihrem Lebenspartner in einem Wohnzimmer stehen, ebenfalls mit einem Babybauch. Diese Szene ähnelt stark der Anfangsszene, denn auch sie hält eine 0,5 Liter Flasche Nestlé in den Händen. Die Stimme spricht „to my own daughter“. Die Szene wandelt sich, nun sieht man die Frau, wie sie ihre geborene Tochter auf dem Arm trägt und vor einem Kinderbett steht. Die Stimme spricht: „Care for her“. In der nächsten Szene vollendet auch hier die Stimme ihren Satz und spricht „give her a safer...“, man sieht die Mutter auf der Parkbank sitzen und die Tochter, ca ebenfalls 6 Jahre alt, in einem Park zu ihr rollern, damit auch hier die Mutter ihr den Helm richten kann. Der Satz „...and healthier life“ leitet in die nächste Szene über, in der die Mutter ihrer Tochter eine Flasche Nestle-Wasser in die Schultasche packt und dabei Blickkontakt mit jemandem im Raum hält, der für die Zuschauer noch nicht sichtbar ist. Die Kameraeinstellung ändert sich und man sieht eine ältere Dame am Küchentisch sitzen. Die Tochter geht auf sie zu und wiederum ihre Tochter kommt fröhlich auf die ältere Dame zugesprungen. Die 69

beruhigende weibliche Stimme sagt „Mom, you give me more than life. You give me pure life“. Währenddessen legt die Kamera ihren Fokus auf die auf dem Tisch stehende Nestle-Flasche, im Hintergrund sieht man unscharf die Frauen dreier verschiedenen Generationen wie sie lachen und sich in den Armen liegen. Abschließend sieht man die Nestle-Flasche vor einem weißen Hintergrund stehen und eine nun männliche Sprecherstimme lässt verlauten „the promise of quality through a twelve step process“, eine weibliche Stimme sagt anschließend „Nestle pure life. Drink better. Live better“, während das abgebildete Logo „Pure Life“ der Flasche in den Vordergrund gestellt wird. Wie der Titel des Spots „Cycle of life“ schon andeutet, wird der Lebenszyklus in Form von drei Generationen in dieser Werbung dargestellt. Nicht verwunderlich ist, dass die Werbung einen fröhlichen Umstand verdeutlichen will und dass mit Nestlé und dem „pure Life“-Wasser dieser Marke ein glücklicheres und gesünderes Leben möglich wird. Außerdem werden amerikanische Werte deutlich: Der jeweils männliche Partner zu Beginn verdeutlicht ein intaktes Familienleben, auch wenn er später nicht mehr zu sehen ist. Die sportliche Aktivität der Kinder deutet auf einen gesunden und ausgewogenen Lebensstil der Familie im Eigenheim hin und zuletzt das liebevolle Zusammentreffen dreier Generationen. Die Erzählung, die den ganzen Spot anleitet, tut ihr übriges, um zu verdeutlichen, dass durch den Konsum von Wasser ein „safe and healty life“ gelebt wird und die Mütter ihren Töchtern durch das Mitgeben von Nestle-Wasser ihre Liebe und Zuneigung deutlich machen. 2.2 Mineralwasser in der deutschen TV-Werbung Jeder Deutsche verzehrt pro Kopf im Laufe eines Jahres 144 Liter Mineralwasser (vgl. Grieß 2015: online). Umgerechnet auf die Einwohnerzahl Deutschlands (80,62 Millionen) ergibt das einen Gesamtmineralwasserverzehr von ca. 11,6 Milliarden Litern pro Jahr (in diesem Fall das Jahr 2015). Hierbei ist den Deutschen mit Kohlensäure versetztes Wasser am liebsten; in Zahlen ausgedrückt bedeutet dies einen Absatz von sowohl Sprudel- als auch Mediumwassersorten von 85%. Der Verband Deutscher Mineralbrunnen führt mittlerweile ca. 200 Mineralwasser-Vertriebe allein in Deutschland, allerdings importiert die Exportnation mehr als 1,1 Milliarden Liter Wasser, exportiert dahingegen „nur“ 275 Millionen Liter Mineralwasser (vgl. ebd.). Die Gesamtausgaben für Mineralwasserwerbung liegen in Deutschland bei ca. 52 Millionen Euro. Wobei hier von den Investitionen in den Werbemarkt am stärksten die Medien profitieren. Etwa drei Viertel der Ausgaben für Werbung fließen ins Mediensystem, da der Fernsehbereich und die Sendeplätze von TV-Werbungen neben den USA der am stärksten umkämpfte

Markt

weltweit

ist

(vgl.

Heyd

2011:

106f.).

Die

werbestärksten

Mineralwasseranbieter hierzulande sind dabei auf Platz eins Adelholzener, gefolgt von Gerolsteiner, Vilsa Brunnen, ViO und Volvic. Allerdings ist Gerolsteiner hierbei der Produzent,

70

der am meisten Geld für seine Werbung ausgibt, das drei- bis vierfache der anderen Mineralwasseranbieter (Matzner 2015: 3). Um einen Vergleich ziehen zu können zwischen amerikanischen und deutschen Mineralwasserwerbungen, die ein kohlensäurefreies Getränk bewerben, habe ich aus der deutschen TV-Werbung den 30-sekündigen Werbespot „Giant“ der Getränkemarke Volvic aus dem Jahr 2015 genauer betrachtet (vgl. Volvic Deutschland 2014: online). Zunächst sieht man die Erdwölbung mit einer unbestimmten Lichtquelle vor einem dunklen Universum, eine schnelle Bildabfolge aus zwei weiteren Ausschnitten folgt: eine graue Umgebung, es sieht aus, als würde sich ein muskulöser Mann im Untergrund von Schmutz befreien, kurz darauf folgt eine in dunkles Rot gehaltene Felsenlandschaft, in deren Tiefe eine rote Explosion stattfindet. Die nächsten Szenen bestehen aus einem Ausschnitt sich aufspaltender Erde und hohen, stürmischen Wellen. Eine tiefe, starke Stimme leitet ein mit den Worten: „Ich bin ein Gigant, geboren im tiefsten Inneren der Erde“. „Ich habe das Leben gesehen“ leitet über zur nächsten Szene, in der man Zellkörper im Plasma sieht, die Farben sind in dunklen schwarz-blaunen Tönen gehalten. Weiter geht es mit den Worten „Ich habe das Leben geschaffen“, man sieht Zunächst, wie sich eine Art Saurier kraftvoll vom Boden erhebt, dann eine Kampfszene, in der zwei Völker aufeinander zustürzen und sich bekämpfen, zuerst sieht man nur ein paar Männer rennen, dann wechselt die Perspektive und man kann das Ausmaß der Schlacht erkennen, die Stimme spricht: „Ich bin stärker als die Menschen“. Die nächste Szene stellt einen Zeitraffer da, die Kamera fährt in schnellem Tempo um einen Vulkan, die Stimme spricht „stärker als die Zeit“. Die nächsten Bildabfolgen zeigen eine mystisch wirkende Szenerie mit einem wilden Flusslauf im Vordergrund, der rechts und links mit bewachsenen Bergen versehen ist, im Hintergrund sieht man den im Ausschnitt vorher gezeigten Vulkan, welcher ausbricht, sodass an dessen Spitze rötlicher Qualm zu sehen ist, der sich mit der dunkel gehaltenen Szenerie vermischt. Die Stimme spricht „Ich bin Erde, Feuer, Wasser“. Hiernach sieht man einen ca. 13-jährigen Jungen in einem weißen TShirt, gezeigt bis zu seinen Schultern, der etwas beobachtet (vermutlich den Vulkanausbruch), Qualm und Rauch umgeben ihn. Die Stimme („Ich war da als alles begann – und ich werde bis zum Ende bleiben“) umreißt den nächsten Ausschnitt, der eine dunkle feuchte Höhle zeigt, in der Wasser von der Decke und den Wänden tropft. Danach sieht man den Jungen von eben einen grünen unebenen Hang hinauf laufen; es erinnert an die Highlands in Schottland. Die Stimme spricht danach „...denn ich habe kein Ende, ich bin unsterblich“, und der Zuschauer sieht wilde mit Grün bewachsene Felsen vor einem blauen von Wolken durchzogenen Himmel. Die Kamera fliegt in Vogelperspektive über diese Landschaft, bevor das Volvic-Logo den Bildschirm erfüllt mit dem nur schriftlichen Slogan „Die Kraft in dir“, im Hintergrund sind dunkle Wolken zu sehen. Den gesamten Werbespot unterlegt eine kämpferische, jedoch im Hintergrund gehaltene Musik. Die Sprecherstimme ist im absoluten Vordergrund. Insgesamt wirkt der Werbespot sehr 71

dunkel und mystisch, dies liegt zum einen an den Bildausschnitten, allerdings auch an der düsteren, jedoch kraftvollen Stimme, die durchgehend zu hören ist. Ebenso trägt die schnelle Bildabfolge zu einer gewissen Aufbruchsstimmung bei, die spätestens bei der Kampfszene ihren Höhepunkt findet. Die Bildausschnitte und Farben sind nicht natürlich, sondern mit einem Bildbearbeitungsprogramm extremer gemacht worden. Ebenso sind Animationen genutzt worden. Der Name des Spots „Giant“ bedeutet übersetzt „Gigant“ oder „Hüne“, was zunächst auf das Befinden der Konsumenten hinweisen soll. Auf der anderen Seite könnte man annehmen, dass eventuell auch auf die eigene Position auf dem Mineralwassermarkt hingewiesen werden soll. Der Spot verdeutlicht in jedem Fall etwas außerordentlich Kraftvolles und Starkes, man spürt beim Betrachten eine gewisse Energie, auf die eindeutig abgezielt wurde. 3. Fazit und Ausblick Wasser ist etwas Lebensnotwendiges für jedes Lebewesen. Neben dieser Notwendigkeit hat jedoch auch die Werbeindustrie ihre Möglichkeiten gesehen und macht sich daran, das Produkt Mineralwasser der verschiedenen Firmen mit den passenden Werbestrategien zu vermarkten. Im Vergleich zwischen den USA und Deutschland fallen hierbei ein paar Unterschiede und Gemeinsamkeiten auf. In den USA wird im inländischen Vergleich sehr wenig Geld für die Bewerbung von Mineralwasser ausgegeben, der Hauptsektor bei Werbeausgaben liegt bei der Bierbranche. In Deutschland jedoch sind die Firmen weitaus spendabler, wenn es um die Finanzierung von TV-Werbung geht. Im amerikanischen Ausland fällt außerdem auf, dass oftmals Werbespots während des TV-Programms gezeigt werden, die die Bevölkerung zum Wassertrinken motivieren und aufzeigen, welche Vorteile das Trinken von Mineralwasser im Leben bringt. Zum einen natürlich der Punkt gesunder Lebensstil, aber auch die Aufnahme von lebenswichtigen Nährstoffen wird besonders angesprochen. Auch wird oft auf die verschiedenen Größen, in denen das Mineralwasser auf dem Markt ist, verwiesen, jedoch immer mit dem Rahmen, dass dieses und jenes Wasser nicht nur für einen selber, sondern auch für die Familie etwas Gutes ist. Die amerikanischen Familienwerte werden also sehr in den Vordergrund gehoben. Allerdings entwickelte die amerikanische Bevölkerung seit den 1960er Jahren eine immer negativere Einstellung gegenüber der TVWerbung, da diese als aufdringlich und nervenraubend empfunden wird. Im Gegensatz hierzu ist die deutsche Mineralwasserwerbung im TV weitaus differenzierter. Oftmals findet man Werbespots, die auf den Entertainment-Faktor abzielen, wie beispielsweise die bereits angesprochene Evian-Werbung aus dem Jahr 2009. Die deutschen TV-Werbungen stellen sich kreativer dar, im Gegensatz zur amerikanischen Konkurrenz. Jedoch ist es möglich, dass diese „drink more water“-Werbespots auch in Deutschland in naher Zukunft im TV-Programm laufen, denn laut WHO ist der durchschnittliche Deutsche zu 72

dick und sollte dringend auf seine Ernährung achten. Gemeinsam ist jedoch beiden Werbekulturen

im

Hinblick

auf

Mineralwasserwerbung,

dass

immer

der

positive

Gesundheitsfaktor des beworbenen Produktes dem Zuschauer vermittelt werden soll und dies auf unterschiedliche Art und Weise geschieht. Allerdings stehen nicht mehr nur die Faktoren Jugendlichkeit und Schönheit im Vordergrund, sondern zu ihnen gesellen sich Schlagworte wie „Kraft“, „Ausdauer“, „Vitalität“ und „Liebe“, die durch die Versorgung mit Mineralwasser innerhalb der Familie gewährleistet werden soll. 4. Literaturverzeichnis Berger, Arthur Asa (2007): Ads, fads and consumer culture. Advertising's impact on American character and society, 3. Aufl., Lenham: Rowman & Littlefield. Heyd, Frank M. (2011): Werbeselbstkontrolle. Ein Vergleich der freiwilligen Selbstkontrolle in de USA und Deutschland, Wiesbaden: VS-Verlag. Matzner,

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27.04.2016). International Bottled Water Association b (o.J.): Bottled Water Advertising, online unter: http://www.bottledwater.org/economics/bottled-water-advertising

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of

life.

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purelife.com/live-better#cycle-of-life (zuletzt aufgerufen am: 27.04.2016). Grieß, Andreas (2015): Infografik der Woche: Deutschland fühlt sich sprudelwohl. Online unter:

http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/mineralwasser-verbrauch-in-

deutschland-144-liter-pro-jahr-prokopf-a-1046871.html (zuletzt aufgerufen am: 27.04.2016). Volvic

Deutschland

(2014):

Volvic

Giant

TV

Spot

2014.

Online

unter:

https://www.youtube.com/watch?v=25rXTK7s7qc (zuletzt aufgerufen am: 27.04.2016)

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„Irish Water“ und gesellschaftlicher Widerstand in Irland – Einstellungswandel zum Wasser im Zuge der Krise? Sarah Kempf 1. Einleitung Die allgemeine Aussage, dass die Eurokrise die Europäische Union grundlegend verändert hat, kann durchaus getroffen werden. Aussagen darüber, welche diese Veränderungen sind und wie sie interpretiert werden, variieren jedoch ziemlich stark, je nachdem, wer die Aussage trifft. Eine dieser Veränderungen ist wohl die radikale Implementierung einer Politik, die dafür sorgt, dass Regierungen so sparsam wie möglich wirtschaften, um so Haushaltsdefizite ausgleichen oder mäßigen zu können. Die jeweilige Betroffenheit der Länder von der Krise variiert stark, jedoch können insgesamt fünf Länder benannt werden, für die die Eurokrise ganz besonders negative gesellschaftliche Auswirkungen gehabt hat. Die als Folge der Finanzkrise durchgesetzte Austeritätspolitik brachte unter anderen Einsparungen im Gesundheitsbereich, bei Arbeitsplätzen, Transferleistungen und Rente, die Senkung des Mindestlohns und die Anpassung der Tarifverträge an die reale Wirtschaftsleistung mit sich. Die fünf hauptsächlich betroffenen Länder sind Griechenland, Irland, Portugal, Spanien und Zypern. Den Austeritätsmaßnahmen wurde mit großen Protesten begegnet: Die wohl signifikantesten Protestbewegungen im Angesicht der Eurokrise werden repräsentiert durch die global in Erscheinung getretene Occupy Bewegung, die Indigniados – die Empörten – in Spanien sowie weitere transnationale Bündnisse wie Blockupy, aber auch sämtlichen lokalen Proteste. Was ihnen gemein ist, ist der Protest gegen die sozialen Folgen einer Politik, die als Krisenbewältigungsstrategie dienen sollte. Acht Jahre nach dem Einbruch der Finanzkrise steckt Europa weiterhin in einer ökonomischen Krise und die implementierten Austeritätsmaßnahmen dauern fort. In der vorliegenden Arbeit soll der Fokus auf nur eines der von Austeritätsmaßnahmen im Angesicht der Eurokrise betroffenen Länder gesetzt werden, nämlich Irland. Irland ist in diesem Kontext deswegen interessant, weil im Vergleich zu beispielsweise Spanien und Griechenland Protestbewegungen sich nur sehr zögernd entwickelten und keine von ihnen einen langen Atem aufweisen konnte, so dass allgemein beobachtbar ist, dass in Irland den Austeritätsmaßnahmen mit nur sehr wenig gesellschaftlichem Widerstand begegnet wurde. Für ein Land, dessen Regierung als Reaktion auf die Bankenkrise beschloss, für die Bankenrettung zu bürgen, so dass das Land sich mit einem Anstieg seiner nationalen Schuldenquote von 70 Prozentpunkten konfrontiert sah, ist es durchaus bemerkenswert, dass sich so gut wie keine standhafte Protestkultur entwickelte (vgl. Rigney 2012). Als Folge 74

der direkten finanziellen Unterstützung, die die Banken in Irland von ihrem Schuldner, der Troika, also der Europäischen Union (EU), der Europäischen Zentralbank (EZB) und dem Internationalen Währungsfond (IWF), erhalten haben, wurden dem Land 30 Milliarden teure Austeritätsmaßnahmen auferlegt, was Kürzungen von 20 Prozent der Staatsausgaben jährlich seit 2008 bedeutete (Quelle: euractiv.com). Das Versprechen der irischen Regierung, das Bankensystem ausnahmslos mit seiner Bürgschaft aus einer Krise zu retten, für deren Verursachung die Banken selbst verantwortlich sind, führte die irische Gesellschaft in ihre eigene tiefe Krise. Das Ausmaß war so fatal, dass selbst jegliche Strategien einer Ankurbelung der Wirtschaft schlichtweg unmöglich wurden. Folgen waren unter anderen eine hohe Arbeitslosigkeit, wobei hiervon Jugendliche bis zum heutigen Zeitpunkt noch am stärksten betroffen sind, die Senkung des Steuerfreibetrags sowie des Mindestlohns, Zwangsenteignungen und Massenemigration (vgl. Rigney 2012). Die politischen Reformen, die die irische Regierung unter Vormundschaft der europäischen Gläubiger bisher implementiert hat, sind unter dem „Economic adjustment programme (2010)“ festgelegt. Eine dieser Reformen beinhaltet die Reorganisation der nationalen Wasserversorgung. Bisher unterlag die Bereitstellung von Wasser und Abwasserdiensten den Kommunalbehörden. Finanziert wurde das System mit der allgemeinen Besteuerung der Bürger, so dass keine weiteren Nebenkosten für Haushalte relevant wurden. Seit 2015 soll nun das bereits 2013 gegründete teilstaatliche Versorgungsunternehmen Irish Water oder auch Uisce Eireann die Wasserversorgung inklusive ihrer Rechnungsstellung für Wasser und Abwasserdienste übernehmen. Unter allen Reformen, die im Rahmen der Austeritätspolitik in Irland durchgesetzt wurden, stellt die Reform der nationalen Wasserversorgung einen deutlichen Wendepunkt im gesellschaftlichen Umgang mit den diktierten Sparmaßnahmen dar. Obwohl alle der Gründung von Irish Water vorangegangenen und bereits hier erwähnten Maßnahmen durchaus tiefgreifende soziale Folgen nach sich zogen und somit die irische Gesellschaft durchaus verändert haben, passiert erst zum Zeitpunkt der Implementierung der Wasserkosten das, was man wohl schon viel früher erwartet hätte: Die irische Gesellschaft entwickelt eine massive Protestkultur. Es ist dieses Phänomen einer plötzlich und intensiv auftretenden Protestkultur verbunden mit dem Thema Wasser, was die Situation in Irland im Rahmen unseres Seminars so interessant macht. In dieser Hinsicht soll der gegenwärtige Problemdiskurs über das korporative Management von Wasser in der irischen Gesellschaft nachgezeichnet und aus diesen Daten die gesellschaftliche Bedeutung des Wassers mit Hinblick auf die bereits erwähnten Umstände, mit denen sich die irische Gesellschaft konfrontiert sieht, analysiert werden. In 75

einem weiteren Schritt soll diskutiert werden, ob sich möglicherweise ein gesellschaftlicher Einstellungswandel zum Wasser als Folge dieser Entwicklungen einstellt. Auf unserer Erde, auf der wir leben, herrscht in vielen Ländern des globalen Südens Wasserknappheit. Obwohl 89 Prozent der Weltbevölkerung Zugang zu reinem Trinkwasser haben, sind es immer noch 884 Millionen Menschen, denen kein sauberes Wasser zur Verfügung steht. Dieser Umstand bezüglich seiner Ursachen und Wirkungen beschäftigt die Sozialwissenschaften und sämtliche andere Wissenschaftszweige schon seit Jahrzehnten. Viel weniger häufig kommt es vor, sich mit diesem Thema in westlichen Kontexten zu beschäftigen, weil sich durch den Reichtum an Oberflächenwasser, insbesondere in Nordund Westeuropa, schlichtweg selten soziale Probleme im Kontext der Wasserversorgung ergeben (Quelle: globalisierung-fakten.de). Es besteht solch ein Überfluss an Wasser, dass ich argumentieren würde, dass die lebenswichtige Ressource so alltäglich und beiläufig geworden ist, dass sie im gesellschaftlichen Bewusstsein kaum aktiv vorhanden ist. Dass Wasser bloß eine alltägliche und beiläufige Rolle in der Gesellschaft einnimmt, hat sich im Laufe der letzten beiden Jahre in Irland allerdings drastisch verändert. Wasser, so kann man sagen, ist dort in aller Munde, in dem es das Hauptthema einer Protestkultur geworden ist, die sich nach langjähriger Austerität in Irland formiert hat. Es gehört durchaus zur Aufgabe der Sozialwissenschaften solche Wandlungsdynamiken, wie in diesem Fall, die gesellschaftliche Bedeutung des Wassers zu analysieren. Dieses Unterfangen habe ich mir im Rahmen dieser Hausarbeit zur Aufgabe gemacht. 2. Der Protest um das Wasser Seit März 2014 ist in Irland eine stark anwachsende Protestbewegung als Reaktion auf die im „Economic adjustment programme“ festgelegte Implementierung von Wasserkosten zu beobachten. Die Reform stellt eine Bedingung der Troika im Rahmen extensiver Sparmaßnahmen im Kontext der Eurokrise dar. Die irische Regierung reagierte auf diese Bedingung im Sparprogramm, indem sie im Jahr 2013 im Rahmen des Water Services Act das Versorgungsunternehmen Irish Water (Uisce Eireann) gründete. Das Unternehmen sollte ab 2015 die Verantwortung für die Wasserversorgung und Abwasserdienste inklusive deren Inrechnungstellung übernehmen. Im Rahmen der Transferierung wurden Mitarbeiter, wasserwirtschaftliche Einrichtungen, wie beispielsweise die Rohre und die allgemeine Infrastruktur beibehalten. Neben den jährlichen Mehrkosten, die durch die Neuerung entstehen würden, war es unter anderen auch der Umstand der Beibehaltung der vorherigen Infrastruktur, der stark zur Problematisierung der neuen Situation herangezogen wurde. Allgemein ist bekannt, dass die Wasserqualität und die dazugehörigen Einrichtungen, insbesondere die Wasserrohre, in Irland dringend Verbesserungsmaßnahmen unterzogen werden sollten. Die Quelle citylab.com schreibt sogar, dass fast die Hälfte des behandelten 76

Wassers durch defekte Rohre im Land verloren ginge. Obwohl man sich der tatsächlichen Menge des Wasserverlustes nicht sicher sein kann, gehört der schlechte Zustand des Wasserversorgungssystems zum öffentlichen Wissensbestand. In einigen Gebieten Irlands muss das Wasser vor dem Konsum sogar erst abgekocht werden, damit es ohne Bedenken konsumiert werden kann (Quelle: euractiv.com). Die Empörung wurde ganz deutlich kommuniziert, indem seit dem März 2014 neben vielen lokalen Initiativen und Protesten mehrere Großdemonstrationen stattfanden, bei denen, nach vielzähligen Berichten, mehrere Male rund 100.000 Menschen erschienen, um gegen Irish Water zu demonstrieren. Viele der Demonstranten nahmen die Demonstrationen zum Anlass, um öffentlich ihre Rechnungen zu verbrennen und demonstrierten somit ihren Protest unter anderem durch die Strategie der Nicht-Bezahlung. Bei einer Bevölkerungszahl von 4,58 Millionen Menschen ist dies eine beträchtliche Prozentzahl von 2,18 Prozent. Sie zeigt die Intensität, die der Widerstand gegen die Wasserreformen angenommen hatte. Wenn man die Zahl auf die 1,5 Millionen Haushalte hochrechnet, so nahmen insgesamt 32, 75 Prozent an den Demonstrationen teil. Der 11. Oktober 2014 wurde von dem Journalisten Fintan O’Toole als „water rebellion“ – „Wasserrebellion“ bezeichnet. (Quelle: citylab.com/ The New York Times) Der gesellschaftliche Widerstand äußerte sich jedoch nicht nur in Demonstrationen. Viel mehr griffen große Teile der Bevölkerung auch zu Strategien des zivilen Ungehorsams, indem sie aktiven Widerstand gegen den Einbau von Wassermessgeräten leisteten, so dass die irische Regierung dafür sorgte, dass Mitarbeiter des Versorgungsunternehmens die Einbauten unter polizeilicher Überwachung vornehmen konnten. Dies wiederum führte zu zahlreichen Auseinandersetzungen mit der Polizei und zu Verhaftungen im Rahmen der Protestaktionen. Der zivile Ungehorsam wird hauptsächlich in die symbolische Sphäre des Protests eingestuft. So sagt Habermas über den zivilen Ungehorsam: „…die Regelverletzung, in der sich ziviler Ungehorsam äußert, hat ausschließlich Symbolcharakter - daraus ergeben sich schon die Begrenzung und gewaltfreie Mittel des Protests.“ (Habermas 1983 nach Pabst 2012: 24) Obwohl sowohl der Widerstand gegen die Einbauten der Messgeräte als auch die Resistenz, sich mit dem Unternehmen zu registrieren, als Protestform des zivilen Ungehorsams einzuschätzen sind, wird hier dennoch ganz klar die ausschließlich symbolische Sphäre verlassen, um die Implementierung der neuen Reformen aktiv zu verhindern. Dies zeigt die Ernsthaftigkeit des Protests gegen die neuen Wasserreformen, denn es verdeutlicht, wie viel Einsatz und Risiko die Protestierenden bereit sind einzugehen. Die Protestierenden wagen vorsätzliche Verletzungen von Rechtsnormen, weil sie die Normen auf moralischer Ebene für ungültig halten. Einen moralischen Akt auszuüben 77

bedeutet ambivalenter Weise die Regel der in Frage gestellten Rechtsnorm zu verletzen. Dabei ist der Regelbruch nicht frei von allen Regeln, sondern er orientiert sich an einem „kollektiv selbstbestimmten Aktionskonsens“ anstelle eines „staatlich juristischen Regelsystems“ (Pabst 2012: 29). Im Gegensatz zu Demonstrationen als Protestform, die ebenfalls im Rahmen der Wasserproteste veranstaltet wird, zählt der zivile Ungehorsam zum qualitativen Protest. Er hinterlässt einen intensiveren Eindruck, indem er „die Opferbereitschaft der Protestierenden, für das Einzustehende zu kämpfen, verkörpert“ (vgl. Rucht 2012: 3). Neben dem intensiven Eindruck, den qualitative Protestformen in der Öffentlichkeit hinterlassen, verbreiten sie außerdem ein Gefühl von Beunruhigung. Dies ist ein zentraler Punkt und absolut gewollter Effekt. Die Masse der Protestierenden wird mobilisiert oder mobilisiert sich aufgrund der Wahrnehmung eines Konflikts, von dem eine Beunruhigung unter den Protestierenden ausgeht. Diese Beunruhigung wird dann in den Protest projiziert und durch ihn kommuniziert. Diese Kommunikation der Beunruhigung durch zivilen Ungehorsam verursacht bei der Gruppe, die als die ursprünglichen Verursacher des wahrgenommenen Konflikts angesehen werden, ebenfalls eine gewollte Beunruhigung (vgl. Pabst 2012: 29). Weitere Empörungsmomente bahnten sich an, als durch die Medien in die Öffentlichkeit gelangte, dass 85 Millionen Euro in das Konsultieren von Fachberatern investiert wurden, wobei die Beratungsleistung darin bestand, auf welche Weise die zukünftigen Kosten überhaupt erst eingeführt werden sollten. Weitere 650.000 Euro wurden für Werbekampagnen für Irish Water ausgegeben und noch einmal 539 Millionen für die Wassermessgeräte zur Installation in jedem Haushalt. Hinzu kommen dann noch die Mehrkosten für Hunderte von polizeilichen Arbeitsstunden, um die Installation der Messgeräte zu überwachen. Weiterer Zorn auf Irish Water wurde medial geschürt, indem berichtet wurde, dass die Firma eine sehr großzügige Prämienauszahlung an ihre leitenden Arbeitnehmer leistet (Quelle: guardian.com). Eine eindeutige Aussage darüber, wie viele Haushalte bereits mit dem Versorgungsunternehmen registriert wurden, kann nicht getroffen werden. Irish Water spricht von 990.000 von einem geschätzten Kundenpool von 1,5 Millionen. Eine andere Quelle spricht von 675.000 Registrierten (Quelle: Irishwater.ie/ citylab.com) 3. Das wissenssoziologische Programm: Zur Theorie der empirischen Analyse sozialer Probleme von Michael Schetsche Nachdem ich nun im ersten Teil meiner Arbeit die wichtigsten Punkte zum Protest der Wasserreformen dargestellt habe, möchte ich im nächsten Schritt zur analytischen Rekonstruktion des Wasserdiskurses in Irland kommen. Hierbei lehne ich mich an Michael Schetsches wissenssoziologisches Programm an, indem ich in Teilen seinem Vorschlag zur 78

empirischen Analyse sozialer Probleme folge. Im folgenden Abschnitt werde ich zunächst die Grundlagen der Analyse sozialer Probleme vorstellen: Der Prozess der Problematisierung beginnt mit der Problemdeutung eines bestimmten Sachverhalts. Das heißt, dass ein bestimmter Tatbestand von kollektiven Akteuren als problematisch wahrgenommen wird und daraufhin ein Problemmuster erstellt und kommuniziert wird. Das Problemmuster beinhaltet unter anderem die Benennung des Problems, seine Beschreibung und Bewertung sowie Bekämpfungsvorschläge und konkrete Handlungsstrategien. Im Rahmen dieser Arbeit werde ich mich ausschließlich auf die Benennung, die Beschreibung und die Bewertung fokussieren. Ob ein Tatbestand als problematisch identifiziert wird, hängt davon ab, ob er gegen Inhalte der von der Gesellschaft definierten Werteordnung zu verstoßen scheint. Wichtig für die Formulierung des Problemmusters ist der Verweis auf existierende Geschädigte oder Benachteiligte, die für ihre Situation zumindest teilweise nichts können. Darüber hinaus muss der gedeutete Sachverhalt als veränderbar gelten. Lösungsansätze sollten also grundsätzlich in der bestehenden Sozialordnung existieren und auch aus moralischer Sicht wünschenswert erscheinen. Sollte der gedeutete Tatbestand als nicht veränderbar gelten, wäre eine Problematisierung sinnlos. Schließlich erhofft man sich durch sie eine Veränderung des als problematisch gedeuteten gesellschaftlichen Zustands (vgl. Schetsche 2008: 42 ff). Bei der Analyse der Probleme werden soziale Sachverhalte nicht völlig außer Acht gelassen, allerdings geht es in der Analyse nicht um deren objektive Realität, sondern um die gesellschaftlichen Wissensbestände über diesen Sachverhalt, die im Diskurs produziert werden (ebd.). 4. Akteure Der Wasserprotest in Irland bildet sich aus aktiv Betroffenen, denn jeder in Irland lebende Erwachsene ist auf die eine oder andere Art von den neuen Kosten für Wasser betroffen. Die Intensität der Aktionen und die Zahlen bei Demonstrationen, darüber hinaus die standhafte thematische Okkupation des öffentlichen Diskurses, demonstrieren, wie sehr das Thema der Wasserreformen durch die gesamte Gesellschaft ‚fließt‘. Die Gruppe der Betroffenen ist allerdings nicht eindeutig zu bestimmen, vielmehr wird im öffentlichen Diskurs der Eindruck erweckt, dass die Implementierung der Wasserneuregelungen ein Thema bildet, wovon alle ausnahmslos betroffen sind. Dennoch muss natürlich eingeräumt werden, dass die Betroffenheit in unterschiedlichen Intensitäten existiert, abhängig von der ökonomischen Stellung der jeweiligen Haushalte. Für diejenigen, die diese soziale Benachteiligung als unzumutbar empfinden, ist der Protest ein Mittel zur Ausgleichsschaffung, bei der sie die 79

Möglichkeit haben ihren Wunsch nach Verbesserung zu kommunizieren (vgl. Schetsche 2008: 88). Wegen der kollektiven Betroffenheit der irischen Bevölkerung und wegen des Gefühls von kollektiver Unzufriedenheit kann man in Irland durchaus von der Bildung einer ganzen Bewegung sprechen. Diese wird vor allem durch die Dachorganisation right2water repräsentiert, die sich im Laufe der letzten beiden Jahre als Meta-Akteur herausgebildet hat, um den Kampf gegen die Wasserreformen zu organisieren. Die Organisation kommuniziert moralische Ansprüche, gegen die die irische Regierung zu verstoßen scheint. So stellt right2water im irischen Protest vor allem auch einen moralischen Unternehmer dar, der aber gleichzeitig von aktiv Betroffenen repräsentiert wird. 5. Einordnung des Diskurses Der Wasserdiskurs in Irland ist in den globalen Diskurs über Wasserprivatisierung, Wasser als Menschenrecht und die Kritik am Neoliberalismus einzuordnen. Alle drei Themen werden explizit im nationalen Diskurs aufgegriffen. Der Neoliberalismus wird durch die Austeritätsmaßnahmen der EU, des IWFs und der EZB verkörpert. Der Neoliberalismus hat viele Facetten, aber allgemein lässt er sich als eine Wirtschaftsform bezeichnen, die radikale Privatisierung, Deregulierung und radikalen Freihandel befürwortet. Ihn lediglich als Wirtschaftsform zu bezeichnen wäre jedoch ungenügend. Nicoll bezeichnet ihn außerdem als eine Theorie und Politik, ja als eine ganze Gesellschaftskonzeption, die nach dem Modell ständiger Leistungskonkurrenz im Zeichen des Kapitals steht (Nicoll 2013: 14f). In der Bezeichnung einer Politik als „neoliberal“ liegt bereits ihre Kritik, da der Ausdruck ausschließlich von Gruppen in Gebrauch genommen wird, die ihn politisch entschieden ablehnen. Der Protest um das Wasser stellt einen vielschichtigen Protest dar und ist nur im Rahmen seiner oben benannten Meta-Diskurse zu verstehen. Die Dimension der Wasserproteste ist ohne die vorangegangen Austeritätsmaßnahmen kaum nachvollziehbar, trotzdem, und hierauf soll weiter in dieser Arbeit fokussiert werden, bleibt das Wasser der absolute Mittelpunkt der Protestbewegungen. 6. Problematisierung der Wasserreformen Die Problematisierung der Wasserreformen basiert darauf, dass die Neuregelungen hauptsächlich auf dem Rücken der Geringverdiener ausgetragen werden. Allgemein wird eine Verschlechterung der Situation wahrgenommen, da durch die vorherige steuerliche Finanzierung der Wasserversorgung die Kosten der Versorgung einkommensabhängig verteilt wurden, was einen besonderen Vorteil für Arbeitslose und Geringverdienern darstellte. Nach der ökonomischen Rettungsaktion in 2010 (in Irland schlichtweg als „the 80

bailout“ bekannt) schien das ganze Land in eine Art ökonomische Schockstarre zu verfallen (vgl. Naomi Klein). Trotz der fehlenden Proteste zu dieser Zeit kann man durchaus von einer allgemeinen gesellschaftlichen Empörung sprechen, die von der öffentlichen Einschätzung ausgelöst wurde, dass die Rettungsaktion auf den Rücken derer ausgetragen werde, die es sich schlichtweg nicht leisten konnten. Dabei wird im Diskurs nicht unbedingt eine spezifische Betroffenengruppe ausfindig gemacht. Es wird vielmehr der Eindruck erweckt, dass große Teile der Gesellschaft zum Leidenskollektiv gehören. So redet right2water auf ihrer Internetseite von Familien, Kindern, Arbeitnehmern und Patienten, die letztendlich zum Opfer der Austeritätsmaßnahmen geworden sind (Quelle: right2water.ie) Das Wasser wird also zum Träger eines neu konstruierten Gemeinschaftsverständnisses, das auf gemeinsamen Leidenserfahrungen basiert. Die Gemeinschaft verfestigt sich, indem sie im gleichen Prozess ganz klare Feindbilder definiert, die von einer politischen und ökonomischen Elite repräsentiert werden. Die Facebook Initiative Boycott Irish Water kreiert und manifestiert diese Feindbilder auf folgende Art und Weise: „Orlaith Blaney has just been appointed by Ervia/Irish Water as Marketing Director. Blaney, an advertising guru was chief executive of McCannBlue, one of the top companies in the advertising business and before that she was managing director of McCann Erickson. She was also president of IAPI (Institute of Advertising Practitioners in Ireland). So Blaney is a high flier with much experience in the PR game. Obviously, she won't come cheap - but of course Irish Water under Fine Gael have a limitless budget, so Blaney will be earning hundred of thousands in her new job. But why do Ervia/Irish water need a top spin-doctor and why now? Because Irish Water management - the suits on vast salaries are fighting a battle to keep themselves on the gravy train, so need to keep pumping out good news stories to justify the existence of the hated quango.” (Facebook: Boycott Irish Water: 18. April 1:39) Orlaith Blaney, die neue Marketing Direktorin, verkörpert genau diese Elite, die in der Protestbewegung so fundamental kritisiert wird. Basierend auf den Tatsachen ihrer bisherigen Karriere wird angenommen, dass sie aufgrund ihrer Erfahrungen im Rahmen von Irish Water große Verdienstmöglichkeiten hat. Dieser Ausblick wird hier im Diskurs skandalisiert, denn die Existenz des Versorgungsunternehmens wird im Endeffekt durch die Wasserreformen von der irischen Bevölkerung finanziert. Hinzu kommt, dass Public Relations es vor allem zur Aufgabe haben, das Image eines Unternehmens aufzubessern. Die Tatsache, dass Geld in das Marketing einer Firma investiert wird, die von jeher von der Bevölkerung abgelehnt wird, wird im Diskurs als absoluter Skandal verstanden. Durch Ausdrücke wie PR game, high flyer, the suits on vast salaries, gravy train werden 81

sprachliche Mittel gebraucht, die auf die Existenz einer in den Genuss des Lebens kommenden Elite hinweisen, während die ausfindig gemachte Leidensgemeinschaft für genau diesen Genuss aufkommen muss. Wieder entsteht das kollektive Gefühl, dass eine reiche politische und ökonomische Elite von allen anderen getragen wird und Erinnerungen an die Rettungsaktion der Banken in 2010 werden wach gerufen. Wach gerufen werden allerdings nicht nur die Erinnerungen, denn im Gegensatz zu 2010, als die irische Gesellschaft sich in einer Art Paralysezustand zu befinden schien, reagiert sie nun mit Protest und Widerstand. Sinnbildlich könnte man sagen, dass der berühmte Spritzer Wasser ins Gesicht, um sich den Schlaf aus den Augen zu vertreiben, auch zum Aufwachen der irischen Gesellschaft geführt hat: Eine persistente Protestbewegung hat sich formiert und es zu ihrer Aufgabe gemacht, der Austerität Grenzen zu setzen. Diese Grenze, so wird deutlich, liegt ganz offensichtlich am Wasser! Um dieses Feindbild im Diskurs weiter zu implementieren, wird von der Facebook Initiative Boycott Irish Water von dem „Establishment“ gesprochen, welches Irland bereits seit seiner Unabhängigkeit von Großbritannien beherrsche. Mit diesem Diskursbeitrag wird auf eine lang existierende eliteartige Vetternwirtschaft hingedeutet. Weiterhin sind im Irish Water - Diskurs Erzählungen zu finden, die davon handeln, dass Mitarbeiter des Versorgungsunternehmens unter fragwürdigen Umständen trotz offensichtlicher Rechtsverstöße Strafverfolgungen entgangen seien. Hier ist ganz deutlich zu beobachten, mit welchen Mitteln Irish Water dargestellt und zum Hassobjekt großer Teile der Bevölkerung gemacht wird. Hier wird erneut mit Skandalisierungen gearbeitet, indem den involvierten Personen Korruption vorgeworfen wird. Während Protestierende festgenommen werden, entgehen Mitarbeiter der verhassten Firma ihrer angeblich gerechtfertigten Strafe. Im Veröffentlichen dieser angeblichen Vorfälle schwingt automatisch eine Bewertung mit, die eine Gegenüberstellung von unschuldigem Opfer und schuldigem Täter sichtbar macht. “Since protests against water meter installation started over two years ago many protestors have remarked at the fact that Irish Water contractors often drove un-taxed, uninsured vehicles, often with worn tyres, broken lights and other defects. The gardaí were always present at protests, sometimes in large numbers but when these blatant offences were pointed out to them they totally ignored them and continued to hassle and arrest protesters. People often talked about “one law for them…”” “Isn’t it amazing how water meters installers have so few judicial problems! Yesterday, at the Dublin Circuit Criminal Court, it was revealed that the DPP will not proceed with the case against water meter installer Paul Haughey, who was accused of being involved in an 82

alleged € 9 million per year diesel laundering operation.” (Facebook: Boycott Irish Water: 18. April um 21:45) Die Beitragsautoren von der Initiative Boycott Irish Water machen von Strategien des Moralisierens Gebrauch, indem sie unmoralische Handlungen in Verbindung mit Individuen ausmachen, die sie als Vertreter von Staat und Ökonomie bezeichnen. Diese Handlungen wiederum projizieren sie auf die Gesamtheit der beiden Sphären. Weiterhin wird durch die Beiträge zu dem Gedanken beigetragen, dass politische und ökonomische Eliten in ihrer starken Verflechtung sich gegenseitig Vorteile verschaffen. Durch die politische Marktfixierung des Staates, gewinne eine ökonomische Rationalität die unangefochtene Voranstellung, so dass der Staat selbst in seinen politischen Funktionen an Macht verliere. Hierin wird die Kritik am Neoliberalismus im irischen Wasserdiskurs besonders deutlich. Aus der Analyse des Diskurses geht hervor, dass der Kampf um das Wasser in Form von Privatisierungen oder wie in diesem Fall, die Angst vor einer möglichen ganzheitlichen Privatisierung, eine besondere Art des Klassenkampfs darstellt. Die feinbildlich konstruierte Klasse, erinnert an Leslie Sklaires Analyse globaler politischer Ökonomie und Globalisierung, in der er die Existenz einer transnationalen Kapitalistenklasse ausmacht. Dieser Klassenkampf ist nicht nur im irischen Kontext des Wasserdiskurses ausfindig zu machen, sondern herrscht global vor (Sklaire 2010: 263ff). Lebensgefährlich wird die Privatisierung sogar, wenn Menschen tatsächlich aufgrund von Privatisierung von ohnehin schon knappen Wasserressourcen ausgeschlossen werden. In Irland besteht diese Knappheit in Bezug auf das Wasser de facto nicht, trotzdem werden Menschen von einer modernisierten Wasserversorgung ausgeschlossen und ökonomisch zusätzlich belastet. Diese Belastung durch die Gründung des neuen Wasserversorgungsunternehmens sorgt dann dafür, dass Menschen mit ohnehin schon geringem Einkommen ihr Überleben in der irischen Gesellschaft kaum noch sichern können. Der Sorge der ökonomischen Zusatzbelastungen ist die irische Regierung im Oktober 2015 entgegengekommen, so dass von einer „pay-as-you-use“ Verfahrensweise abgesehen und stattdessen eine jährliche Gebühr eingeführt wurde. Für Singlehaushalte beträgt diese Gebühr 160 € jährlich, für Mehrpersonenhaushalte sind es 260 €. Diese Regelung gilt bis zum Jahr 2018 (Quelle: Irishwater.ie). Im internationalen Vergleich scheinen diese Preise als objektive Zahlen gesehen nun wirklich keine große Belastung darzustellen, aber im Problemdiskurs um das Wasser in Irland spielt dieses Entgegenkommen beziehungsweise der tatsächliche Preis keine wichtige Rolle. Hier geht es um die subjektive Empfindung einer Ungerechtigkeit, die nicht so einfach mit der Reduktion der Kosten an Bedeutung verliert. Die Einschätzung der vorherrschenden Situation als ungerecht und als gegen die Werteordnung 83

der Gesellschaft verstoßend wird durch die UN Resolution 64/292 vom Juli 2010, in der das Recht auf sicheres und sauberes Trinkwasser sowie Sanitärversorgung als Menschenrecht anerkannt wird, unterstützt. „The United Nations „recognizes the right to safe and clean drinking water and sanitation as a human right that is essential for the full enjoyment of life and all human rights.” (right2water.ie) 7. Die Bedeutung des Wassers Mit der Einbeziehung von Wasser im Rahmen der Austerität wird etwas Existenzielles in Beschlag genommen. Die Empörung und der damit verbundene Protest um die Implementierung von Kosten für die Wasserversorgung durch das Unternehmen Irish Water basiert auf dem kollektiven Gefühl des gänzlichen Ausgesetztseins. Wenn die Regierung etwas für das menschliche Überleben so wesentliches berühren kann, dann weckt das die Befürchtung, dass man von diesem Punkt an wohl all dem potenziell ausgesetzt sein kann, das als einer ökonomischen Rationalität folgend proklamiert wird. Wie in dieser Arbeit dargestellt, werden mittels spezifischen Problemwissens die Wasserreformen in Irland zu einem sozialen Problem erklärt, Problemursachen werden ausfindig gemacht und Verantwortliche herausgestellt sowie moralische Urteile gefällt. Diese Prozesse basieren auf einer weltbildspezifischen Logik der Erklärung, die den Problemdiskurs über das Wasser lenkt. Das bedeutet, dass die Interpretation der Wasserneuregelungen als Problem bestimmten Deutungsmustern unterliegt. Diese sind sozial geltende, mit Anleitungen zum Handeln verbundene Interpretationen des Selbst, die im Endeffekt das Alltagshandeln strukturieren und Modelle idealtypischen Handelns anbieten (vgl. Schetsche 2008: 109). In diesem konkreten Fall würde ich argumentieren, dass darüber hinaus der irische Problemdiskurs über das Wasser bestimmte Deutungsmuster überhaupt erst verbreitet und gesellschaftlich verfestigt. Das bedeutet, dass die Berührung des Wassers im Rahmen der Austerität eine Politisierung großer gesellschaftlicher Teile initiiert hat. Zusammenfassend kann man somit sagen, dass gesellschaftliche Deutungsmuster einen Diskurs entscheidend formen, während zur gleichen Zeit in umgekehrter Weise Deutungsmuster von Diskursen ebenso beeinträchtigt werden. Bestimmte Problemwahrnehmungen werden durch Sozialisation weitergegeben. 8 Fazit: Gesellschaftlicher Einstellungswandel zum Wasser Von 2007 bis 2010 und dann wieder im Jahr 2012 lebte ich selbst in Irland. Wie bereits aus dem bisher Gesagten hervorgeht, wurde die Wasserversorgung zu dieser Zeit noch 84

steuerlich finanziert. Da ich vor meinem Umzug im Alter von 18 Jahren bei meinen Eltern wohnte, hatte ich das Glück unsere Wasserrechnungen nicht selbst bezahlen zu müssen, trotzdem wurde ich zum sparsamen Umgehen mit Wasser sozialisiert. Ich kann mich noch sehr gut erinnern, dass ich bei dem unnötigen Laufen eines Wasserhahns oder bei dem Wassergebrauch beim Einschampoonieren meiner Haare während des Duschens regelmäßig ermahnt und auf die hohen Kosten des Wassers hingewiesen wurde. Als ich mit dieser Wassersozialisierung nach Irland zog, war es für mich oft befremdlich, wie lange ein Wasserhahn oder eine Dusche dort laufen konnten, ohne dass sie wirklich benutzt wurden. Die Tatsache, dass Wasser keine direkten Kosten in Haushalten verursachte, trägt aus meinen Beobachtungen in großem Maße zu diesem unterschiedlichen Konsumverhalten bei. Es ist häufig zu beobachten, dass sparsames Verhalten mit natürlichen Ressourcen nur dann gewährleistet wird, wenn ein verschwenderisches Verhalten finanziell „sanktioniert“ wird. Als die neue Kostenregelung in Irland implementiert wurde, stellte ich mir die Frage, ob sich dieses Verhalten wohl nun ändern und sich ein gesellschaftlicher Einstellungswandel zum Wasser ergeben würde. Da meine empirischen Mittel im Rahmen dieser Arbeit limitiert sind, werde ich hier lediglich basierend auf den Daten des zuvor dargestellten Wasserdiskurses meine Einschätzungen zu den gesellschaftlichen Wandlungsdynamiken um das Thema Wasser wiedergeben. 1 Die Wasserreformen und die darauf folgenden Proteste haben sicherlich dafür gesorgt, dass dem Wasser eine stärkere Präsenz im gesellschaftlichen Bewusstsein zukommt. Ob jedoch ein unterschiedliches Verhalten im Wasserkonsum eintreten wird, ist an dieser Stelle nur schwer einzuschätzen. Zum einen ist es nicht sicher, ob das Versorgungsunternehmen tatsächlich überleben wird (die einführende Partei Fine Gael hat in der Wahl Ende Februar nicht die eindeutige Mehrheit bekommen und Koalitionsbildungen stellen sich als sehr schwierig heraus), zum anderen werden die Kosten bis 2018 gekappt werden, so dass, wie bereits erwähnt, erst einmal Flatrate-Preise bezahlt werden. Verlässliche Zahlen zum Wasserkonsum existieren ohnehin nicht, da jährlich große Wassermengen aufgrund kaputter Rohre verschwendet werden. Außerdem wehrt sich derzeit noch ein großer Teil der Bevölkerung dagegen sich mit Irish Water zu registrieren, so dass ein realistisches Tracking von Konsumentenverhalten nicht gewährleistet ist. 2 Ein gesellschaftlicher Wandel, der außerdem denkbar und im Diskurs auch bereits erkennbar ist, ist die gesellschaftliche Erkenntnis der Anfälligkeit der Interpretation des Gemeinwohls. Im Protestdiskurs wird der Zugang zu Wasser ohne direkte finanzielle Mehrkosten als sozial gerechter eingeschätzt und somit als zum Gemeinwohl beitragend 85

interpretiert. Diese Deutung basiert auf dem Gedanken, dass „die Träger der politischen Gewalt eine Daseinsverantwortung (haben), die sich unter anderem auf die Funktion bezieht, Leistungen darzubringen, „auf welche der in die modernen massentümlichen Lebensformen verwiesene Mensch lebensnotwendig angewiesen ist““ (Forsthoff nach Dobener 2010: 238). Diese Leistung, so wird gefordert, sollte durch steuerliche Finanzierung geschehen, ohne dass Individualkosten entstehen. Allgemein basiert die Idee des Gemeinwohls auf der Abwendung der Fokussierung auf das Individuum. Die Interpretation, der die irische Regierung unter Bestimmung der Troika zu folgen scheint, ist der Gedanke, dass das Gemeinwohl durch Adam Smiths „unsichtbare Hand des Marktes“ erreicht werden kann. Das heißt, dass ein funktionierender Markt die hegemoniale Stellung im Gemeinwohlverständnis einnimmt. Im Protestdiskurs wird dies als neoliberale Interpretation gedeutet. Obwohl irische Politiker versichert haben, dass eine völlige Privatisierung des Wassersystems nicht vorgenommen wird, herrscht innerhalb der Gesellschaft eine tiefe Verunsicherung gegenüber diesem Thema. Die Sorge besteht darin, dass privatwirtschaftliche Unternehmen zwar eine unternehmerische Verantwortung vertreten können, aber dennoch eine nicht zu leugnende Profitorientierung im Vordergrund steht. Es ist allgemein bekannt, dass die Wasserversorgungsinfrastruktur in Irland Modernisierungen unterzogen werden muss, aber die Bedenken manifestierten sich besonders, als die Inrechnungstellung begann, ohne dass zuvor Wartungsarbeiten stattgefunden hätten. Petra Dobener beschreibt diesen Umstand in ihrem Buch „Wasserpolitik“ sehr treffend: „Die Hauptwirkung der Privatisierung liegt daher nicht in der Ersetzung einer dysfunktionalen öffentlichen Wasserversorgung durch effiziente und transparente private Unternehmen, sondern in der Erschließung neuer Geschäftsfelder und Märkte im Schatten dieser anhaltenden Dysfunktionalität und in der Kommerzialisierung von Betrieben, die bislang in öffentlichem Besitz und öffentlicher Verwaltung waren.“ (Dobener 2010: 166) Die Wandlungsdynamik, die sich im Rahmen dessen beobachten lässt, ist die Entstehung eines gesellschaftlichen Bewusstseins, das Öffentliche schützen zu müssen, da es immer mehr in der Gefahr steht, ins Privatisierte zu schwinden. Des Weiteren sehe ich eine Wandlung hin zu mehr Politisierung in Irland in Bezug auf die Behauptung des Gemeinwohls. Weiterhin bin ich der Überzeugung, dass all dies ohne das existenzielle Thema Wasser nicht von statten hätte gehen können. Ohne das Essentielle dieses Themas, so würde ich argumentieren, wäre nicht dieselbe Betroffenheit, nicht derselbe Widerstand und auch nicht dieselbe politische Kritik entstanden.

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Je nachdem, wie sich die Situation in Zukunft entwickelt, wird entweder ein demokratischer Erfolg der Protestierenden zu verzeichnen sein oder es wird eine Enttäuschung für all diejenigen, die dachten, dass das ‚Volk‘ in einer Demokratie eine entscheidende Stimme hat. Wenn Irish Water so bestehen bleibt wie bisher, dann hat es die irische Regierung zusammen mit der Troika geschafft, den letzten Streich einer 30 Milliarden teuren Austerität zu spielen, Protest, Widerstand, Empörung hin oder her… Literatur AFP; Euractiv.com (2015): Thousands march in Dublin against Irish water charges. Aus: Euractiv.com. URL: http://www.euractiv.com/section/sustainable-dev/news/thousands-marchin-dublin-against-irish-water-charges/ (zuletzt aufgerufen am 30.04.2016). Dobener, Petra (2010): Wasserpolitik. Zur politischen Theorie, Praxis, Kritik globaler Governance. Berlin: Suhrkamp. Fuchs, Manuel (o. Datum): Wasserknappheit. In: Globalisierung-Fakten.de. URL: http://www.globalisierung-fakten.de/folgen-der-globalisierung/krisen/wasserknappheit/(zuletzt aufgerufen am 30. April 2016). Klein, Naomi (2007): Die Schock-Strategie: Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus. Frankfurt am Main: Fischer. McDonald, Henry (2014): Introduction of charges in Ireland cause widespread street protests. In: The Guardian, 31.10.2014. URL: http://www.theguardian.com/world/2014/oct/31/water-charges-ireland-cause-protests (zuletzt aufgerufen am 30.04.2016) Nicoll, Norbert (2013): Neoliberalismus. Ungleichheit als Programm. Münster: Unrast Verlag. O‘ Sullivan, Feargus (2016): The Irish might just stop paying their water bills. Aus: Citylab.com. URL: http://www.citylab.com/politics/2016/03/ireland-pay-water-billselection/472281/ (zuletzt aufgerufen am 30.04.2016) O‘ Toole, Fintan (2014): The Irish Rebellion Over Water. In: The New York Times, 20. Dezember 2014. URL: http://www.nytimes.com/2014/12/20/opinion/fintan-otoole-the-irishrebellion-over-water.html?_r=1 (zuletzt aufgerufen am 30. April 2016). Pabst, Andrea (2012): Ziviler Ungehorsam: Annäherung an einen umkämpften Begriff. In: Aus Politik und Zeitgeschichte Protest und Beteiligung. 62. Jahrgang, 25-26/2012, S. 23-29. Right2Water (o. Datum): About the Campaign. Aus: right2water.ie URL: http://www.right2water.ie/about (zuletzt aufgerufen am 30.04.2016). 87

Rigney, Peter (2012): The impact of anti-crisis measures and the social and employment situation: Ireland. Zugriff: http://www.ictu.ie/download/pdf/impact_of_austerity_on_ireland_eesc_paper.pdf (30.04.2016) Rucht, Dieter (2012): Massen mobilisieren. In: Aus Politik und Zeitgeschichte Protest und Beteiligung. 62. Jahrgang, 25-26/2012, S. 3-9. Schetsche, Michael (2008): Empirische Analyse sozialer Probleme. Das wissenssoziologische Programm. Wiesbaden: VS-Verlag für Sozialwissenschaften. Sklair, Leslie (2010): Die transnationale Klasse des Kapitals. In: Angelika Poferl Ulrich Beck (Hg.): Große Armut, großer Reichtum. Zur Transnationalisierung sozialer Ungleichheit. Frankfurt am Main, S. 263–301.

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Die Situation des Trinkwassers in der Deutschen Gastronomie Malte Küpper 1. Einleitung: (K)eine Tradition – ein Mythos Man kennt es, das Glas Leitungswasser im Restaurant, wohltuend, erfrischend als kleines Begleitgetränk zum Essen oder Kaffee – zumindest aus dem Film oder vom Hörensagen. In Deutschland ist dies allerdings eher untypisch, eventuell eine Zukunftsmusik. Woran mag dies liegen? Ist die Qualität des Wassers aus der Leitung doch besser als je zuvor und der Gast mehr und mehr bedacht, sein privates Trinkverhalten auch im gastronomischen Bereich zu suchen – mal einen Schluck Wasser, frisch gezapft. In dieser Arbeit soll dem Mythos des Gratiswassers in der deutschen Gastronomie nachgegangen werden. Das momentane Bild der Wasserknappheit in der deutschen Gastronomie soll anhand zweier Herangehensweisen beleuchtet werden: Es sollen zum einen durch bisherige Studien, die Vorzüge von Leitungswasser gegenüber dem stillen, mineralisierten und/oder verfeinerten Wasser aus der Flasche aufgezeigt werden. Zum anderen sollen ebenfalls durch die Auswertung einer eigens durchgeführten Erhebung in groß- und mittelstädtischer Gastronomie – trotz ihres geringen Umfangs – Vorannahmen bezüglich der Situation des Trinkwassers bestätigt werden. Warum liegt in der deutschen Gastronomie keine solche Trinkwasserkultur vor, wie sie in vielen anderen Ländern beispielsweise der französischen gesetzlich vorgeschriebenen carafe d'eau, dem amerikanischen iced tap water oder der neuösterreichischen Geste des Gratiswassers zum Essen ausgeübt wird? Zudem sollen anhand eines exemplarischen Beispiels der Kostenfaktor eines regelmäßigen Trinkwasserausschanks und dem Blick in die Trinkwasserindustrie Lösungen beziehungsweise Maßnahmen für eine beide Seiten zufriedenstellende Möglichkeit aufgezeigt werden. Denn es ist nicht so, dass Trinkwasser in der Gastronomie nicht von Bedeutung wäre, wie die folgende Karikatur Klaus Stuttmanns1 überspitzt darstellt.

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1

Im Original wird der Satz „Leitungswasser ist dem Herren wohl nicht gut genug?!“

durch „HartzIVler, wa?“ eingeleitet, da es sich im Original um eine Karikatur mit Bezug auf die Erhöhung der Hartz-IV-Leistungen handelt.

Abb.1: Kontextualisierte Version von Klaus Stuttmanns Abzocker (29.09.2010).

Denn nicht jeder Gast ist mit dem abgefüllten Wasser aus der Flasche einverstanden; Leitungswasser ist nicht jedem „nicht gut genug“, es ist gefragter denn je. Immer wieder kommt während des abendlichen Essens oder auch des mittäglichen Snacks die Frage nach einem Glas Leitungswasser auf. Denn Wasser wird zu fast allen Mahlzeiten, als auch zwischendurch und nahezu immer getrunken – nicht zum ständigen Löschen des Durstes, als Belebung oder Erfrischung, denn dies „kann schließlich auch mit anderen Getränken erzielt werden“ (Schöneberger 2009: 27), auch nicht zur „oralen Befriedigung“, wie Schöneberger es so passend umschreibt, nein weitgehend wegen seiner geschmacklichen Neutralität (vgl. ebd.) und seiner Bekömmlichkeit. Die in Deutschland kaum mehr auffindbare Tradition des Trinkwassers in der Trinkkultur liegt in der eines Zweitgetränkes am Tisch, zur Begleitung der Speise (vgl. ebd.: 29), die als Bruchstück oder Rudiment eines Gastfreundschaftsrituals angesehen werden kann, was in der Geschichte zudem die Reinigung der Hände und Füße umfasste (vgl. Wurzer-Berger 2009: 273). Doch in Deutschland muss der Gast immer noch ein Nicht-Angebot seitens des Gastronomen akzeptieren, wenn es um das pure Wasser aus der Leitung geht, das natürliche Trinkwasser – in Deutschland kann der Gastronom immer noch entscheiden, welche Getränke in seinem Angebot stehen und was für diese verlangt werden kann. Somit 90

bleibt ein Ernten von fragenden, erstaunten Blicken nicht aus. Doch konnte das Glas Leitungswasser auch in Deutschland zum Standard, ähnlich dem Keks zum Kaffee oder dem Brot beim Italiener werden. 2. Wasser gleich Wasser? Auch 2015 trägt deutsches Trinkwasser die Bestnote „sehr gut“. Der Trinkwasserbericht 2015 zeugt erneut von der hohen Qualität des deutschen Wassers aus der Leitung. „Das Trinkwasser in Deutschland kann man ohne Bedenken trinken“, gab UmweltbundesamtPräsidentin Maria Krautzberger bekannt („Deutsches Trinkwasser...“ 2015). Denn gegenüber dem Wasser aus der Flasche wird das frische Wasser aus der Leitung häufiger kontrolliert, einmal aus EU rechtlichen Gründen, zum anderen der Verbraucher wegen. Die Anforderungen an das deutsche Trinkwasser sind strengstens geregelt; so dürfen beispielsweise dem Trinkwasser keine gesundheitsschädlichen Eigenschaften nachzusagen sein, das heißt Stoffe wie Arsen, Blei, Nitrate, Sulfate, Zink oder auch radioaktive Stoffe nicht in gesundheitsschädigender Menge enthalten sein – das Wasser muss Keim arm sein (vgl. Prucha 1986: 440); so werden in der Trinkwasserverordnung Grenzwerte für diese Stoffe veranschlagt. Laut aktueller Verordnung darf Nitrat nur bis zu einem Schwellenwert von 50mg/l im Trinkwasser enthalten sein (vgl. BGBl I: 971), gleiches gilt auch für natürliches Mineralwasser, Quellwasser und auch Tafelwasser (BGBl I:1033), jedoch darf in Flaschenwasser eine weitaus höhere Menge Fluorid enthalten sein, als in Trinkwasser (1,5mg/l im Trinkwasser gegen 5,0mg/l im Flaschenwasser), ein Wert der zumeist in der Mineralisierungsliste vieler Flaschenwasser nicht angegeben wird, wie im nachfolgenden Beispiel zu beobachten ist. Es kann gesagt werden, dass Trinkwasser von Verordnungswegen qualitativer und unbedenklicher ist als sein Geschwisterkind aus der Flasche. Nicht nur, dass Trinkwasser häufiger kontrolliert wird, es ist zudem auch mineralhaltiger oder bekömmlicher als so manches Flaschenwasser, wenn es um den Gesundheitsaspekt hinter dem Mythos Wasser geht. Denn das gekaufte Wasser aus der Flasche ist in den meisten Fällen ungesünder als sein natürliches Pendant aus der Leitung – entweder enthält es kaum nachweisbare Mineralstoffe, oder es scheint nahezu übersättigt an diesen. Die deutschen Leitungswasser enthalten alle wichtigen Mineralstoffe von Natur aus. So enthält beispielsweise das Gießener Wasser durchweg mehr Mineralien, beziehungsweise in gesünderen Mengen als ein ebenfalls stilles, jedoch in Flaschen abgefülltes „Premium“-Wasser namens Volvic.

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Gießener

Volvic

Leitungswasser Werte (mg/l)

Werte (mg/l)

Natrium

5-9

12

Kalium

1-3

6

Magnesium

6-17

8

Calcium

28-36

12

Chlorid

6-14

15

Fluorid