sehr geehrter Herr Staatsrat a.d. Strenge, liebe Schüler der Max-Brauer-Schule, meine sehr geehrten Damen und Herren,

Rede von Staatsministerin Özoğuz anlässlich des Volkstrauertages 2016, Friedhof Ohlsdorf, Internationale Kriegsgräberstätte, 12. November 2016 **es g...
Author: Jesko Schmidt
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Rede von Staatsministerin Özoğuz anlässlich des Volkstrauertages 2016, Friedhof Ohlsdorf, Internationale Kriegsgräberstätte, 12. November 2016

**es gilt das gesprochene Wort**

Sehr geehrte Frau Koop, sehr geehrter Herr Staatsrat a.D. Strenge, liebe Schüler der Max-Brauer-Schule, meine sehr geehrten Damen und Herren,

„Unsere Verpflichtung: Versöhnung und Frieden“. So steht es seit 1977 an dieser Internationalen Kriegsgräberstätte.

Hinter mir sind über 3.000 Menschen aus 28 Nationen begraben. Sie wurden Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft: KZHäftlinge aus Neuengamme und Fuhlsbüttel, Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene, Widerstandskämpfer. Aber auch Seeleute, die mit ihren Schiffen unter ausländischer Flagge im Hamburger Hafen lagen und von alliierten Bombenangriffen getroffen wurden. ...

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Hier ruht zum Beispiel der Franzose Raymond Claudel. Er musste als Zwangsarbeiter der Deutschen Werft in Finkenwerder arbeiten. Er starb mit 36 Jahren am 4. August 1944 bei einem Luftangriff, denn er hatte als Zwangsarbeiter keinen Zutritt zum Schutzbunker der Stamm-Belegschaft.

Hier ruht die Ungarin Sari Brandel. Sie war Zwangsarbeiterin im „Außenkommando Sasel“ des KZ-Neuengamme. Sie musste am S-Bahnhof Poppenbüttel für ausgebombte Hamburger „Plattenhäuser“ bauen. Sie starb am 27. April 1945 durch Mangelernährung und Schwerstarbeit – acht Tage, bevor britische Truppen die verbliebenen Häftlinge im Außenlager Sasel befreiten. Heute steht noch eines der Plattenhäuser, es ist seit 1985 Gedenkstätte.

Hier ruht der Däne Erik Bondo Svane. Er war Teil des Widerstands gegen die deutschen Besatzer und am dänischen Generalstreik im Juni 1944 beteiligt. Er wurde im Januar 1945 nach Neuengamme deportiert. Svane wurde im Freihafen im KZ...

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Außenlager Dessauer Ufer beim Gleisbau eingesetzt und er musste Panzergräben ausheben. Ausgehungert und erschöpft starb er am 5. März im Alter von 33 Jahren.

Hier ruhen auch acht schwedische Seeleute. Sie starben am 18. Juni 1944, als ihr Tankschiff „Sigrid Reuter“ im Hamburger Hafen bei einem Luftangriff getroffen wurde.

Das Schicksal der hier begrabenen Menschen steht stellvertretend für millionenfaches Leid, das von deutschem Boden im 20. Jahrhundert über Europa und die Welt gebracht wurde.

Wenn wir heute am 12. November zusammenkommen, so ist es ein Datum, das stellvertretend für die dunkelsten Stunden der deutschen Geschichte stehen kann: • Am 12. November 1933 war Reichstagswahl und gleichzeitig die Volksabstimmung zum Austritt des Deutschen Reiches aus dem internationalen Völkerbund. Die ...

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Abgeordneten-Liste der NSDAP wurde mit 92% bestätigt – andere Parteien waren nach der Machtergreifung längst verboten. Für den Austritt aus dem Völkerbund stimmten 95%. Der Völkerbund, der für internationale Zusammenarbeit und für den Frieden der Völker stand, passte nicht in Weltbild und Propaganda der Nationalsozialisten. • Am 12. November 1938, zwei Tage nach der Reichspogrom-Nacht mit der Zerstörung jüdischer Synagogen und Geschäfte, wurde die vollständige Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben beschlossen. Das war der Abschluss der Nürnberger Rassegesetze von 1935. • Aber am 12. November 1945, ein halbes Jahr nach Ende Zweiten Weltkrieges, wurde auch die deutsche Wehrmacht formell aufgelöst, durch Direktive 18 des Alliierten Kontrollrats.

Heute, am 12. November 2016, sind wir am Vortag des Volkstrauertages ...

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zusammengekommen, um den Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zu gedenken. Aber auch, um ein Zeichen für Frieden und Zusammenhalt zu setzen:

Wir durften erleben, wie aus der Tragödie von zwei Weltkriegen der Einigungswille der europäischen Völker hervorgegangen ist. Wie in Abkehr von totalitären Ideologien der Wille zum Aufbau demokratischer Gesellschaften gesiegt hat. Und wie im Nachkriegsdeutschland zunächst der Westen – später dann auch der Osten – die Chance erhielt zu einem Neubeginn in Freiheit und Demokratie.

Heute ist Europa ein Ort des Friedens und der Freiheit. Und diese Errungenschaft scheint vielen selbstverständlich im 21. Jahrhundert. Manchen vielleicht zu selbstverständlich. Denn Demokratie und Frieden müssen wir verteidigen, gerade in diesen Wochen und Monaten sehen sich Populisten im Aufwind: • Mit Stimmungsmache gegen die Europäische Union und „die da in Brüssel“. ...

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• Mit dem Rückzug auf das Trugbild eines homogenen Nationalstaates und den aggressiven Rufen „Wir sind das Volk“. Dieser Satz hatte doch einen ganz anderen Ursprung. Aus einem Ruf nach Frieden und Freiheit versuchen einige, einen Ruf nach Abschottung und Abgrenzung zu machen. • Mit Hetze gegen Einwanderer, Flüchtlinge und gegen alles vermeintlich Fremde.

„Wehret den Anfängen“ – dieses mittlerweile geflügelte Wort aus dem Werk des römischen Dichters Ovid [=Owid] aus dem 1. Jahrhundert vor Christus kommt mir da sofort in den Sinn. Denn der Stimmungsmache und den Worten des Hasses folgen leider in diesen Jahren auch Taten: Im Jahr 2015 stiegen die Angriffe auf Asyl-Unterkünfte um 518% (1.031 Fälle). Und die sogenannten fremdenfeindlichen Straftaten um 116% (8.529 Fälle).

„Wehret den Anfängen“ – und Ovid fügt an: „Zu spät wird die Medizin bereitet, wenn die Übel durch

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langes Zögern erstarkt sind.“ Der Blick auf die deutsche Geschichte zeigt, wohin das führen kann!

Umso wichtiger ist es, dass wir nicht nur klare Kante gegen Hass und Abwertung zeigen. Sondern dass wir den gut gelaunten, vernünftigen Teil Deutschlands stärken. Die Mehrheit unseres Landes ist weltoffen und steht für gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die Mehrheit setzt auf das friedliche Miteinander in Europa. Und die Mehrheit will Flüchtlinge in unserem Land fair und gut behandeln und diejenigen, die bleiben, auch integrieren. Das haben wir spätestens seit dem Herbst 2015 erfahren können.

Frieden und Freiheit – dafür müssen wir uns in der wehrhaften Demokratie jeden Tag aufs Neue einsetzen. Und dazu mahnt uns ganz eindrücklich auch diese Internationale Kriegsgräberstätte: „Soldatenfriedhöfe mögen die großen Prediger des Friedens sein“, so hat es Albert Schweitzer einst gesagt.

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Ich danke dem Volksbund und all‘ seinen Unterstützern von ganzem Herzen, dass Sie sich seit fast 100 Jahren dafür einsetzen, dass Kriegsopfer eine Ruhestätte und ein würdevolles Andenken finden. Und dass Sie mit Ihrer Arbeit die Erinnerung an das Leid von Krieg und Terror wachhalten und so auch den „Anfängen wehren“.

Wir verneigen uns heute vor den Toten und gedenken ihnen. Wir werden das Andenken an die Opfer bewahren und wir müssen unseren Einsatz für Frieden und Verständigung in der Welt, in Europa und in unserem Land verstärken. Wir müssen wieder näher zusammenrücken – für mehr Menschlichkeit und Freiheit. Denn unsere nachfolgenden Generationen sollen eine friedliche Welt vorfinden. Das ist unsere Verpflichtung.

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