SCHLAGER MOVE SIEGFRIED HANSEN

Der Schlagermove – auch Karneval des Nordens – ist ein Schlager-Festival, das seit 1997 jedes Jahr im Juli in Hamburg-St. Pauli stattfindet und als die größte derartige Veranstaltung in Deutschland gilt. Seit 1997 feierten bisher 6.940.000 Besucher den Schlagermove. Zusätz­ lich finden im gesamten Bundesgebiet die sogenannten S-Move Partys (Schlagermove Partys) statt. Ähnliche Ver­ anstaltungen finden seit 2004 auch in anderen deutschen Städten, wie Essen, Dortmund und Hannover, statt, teilweise unter der Bezeichnung Schlagerparade. Wikipedia

L O V E I T. H A T E I T. F R A M E I T.

H o s s a! Fotografische Erkundungen auf dem Hamburger Schlagermove Siegfried Hansen, 1961 in Meldorf geboren, hat sich in seiner fotografischen Leidenschaft seit vielen Jahren ganz der Erkundung des urbanen Raums verschrieben. In den letzten Jahren ist ein unverwechselbares Werk entstanden, das längst international für Aufmerksamkeit sorgt. Der Hamburger hat für seine Arbeiten zahlreiche internationale Auszeichnungen erhalten; er ist Mitglied in der weltweit bekanntesten Street Photography-Gruppe »In Public«. Außerdem ist er in dem Buch »Street Photography Now« vertreten. Es ist die erste Buchpublikation seit den späten 80er Jahren mit einem substanziellen Überblick auf die internationale Street Photography. Die hier gezeigten Motive entstanden mit einer Fuji T1 und einer Leica Q. www.siegfried-hansen.de

In über zwanzig Jahren hat sich der Schlagermove als »Karneval des Nordens« in Hamburg etabliert. Was 1997 mit rund 50.000 Schlagerfans begann, ist heute längst Kult. Der Hamburger Schlagermove gilt inzwischen als das größte Schlager-Festival in Deutschland, und so überfluten einmal im Jahr hunderttausende feierfreudige Schlagerfans St. Pauli und Umgebung. Wer partout keine Schlager mag, muss fliehen, denn ansonsten gibt es kein Entkommen. Für alle anderen ist Verkleidung Pflicht: Flower-Power-Groovy-Hippie-Retro-Chillout-Trash mit ganz viel Glitzer-Glitter und Polyester. Blümchen in allen Formen, psychedelische Kreismuster, schrill-bunte Perücken, aberwitzige Plateau-Schuhe, aber vor allem gibt es Kostümierungen aller Art in buntesten Farbzusammenstellungen zu entdecken, die jedem Farbdesigner Tränen in die Augen schießen lassen. Und bloß nicht die Sonnenbrille vergessen, ansonsten droht ein schwerer Augenkrampf. Zu ertragen ist das alles nur mit guter Laune, die zumeist mit den nötigen alkoholhaltigen Getränken erzeugt und gehalten werden muss.

So könnte die Erfahrung eines Schlagermoves aussehen, doch man kann die Szenerie auch in ganz anderer Weise wahrnehmen. Denn zwischen die feierseligen Massen und wummernden Trucks hat sich in den letzten Jahren immer wieder auch der Hamburger Fotograf Siegfried Hansen geworfen. Doch im Gegensatz zu den die Wucht des Frohsinns genießenden Feierwütigen »auf der schlagerhaften Seite des Lebens«, die natürlich mit permanenten Selfie-Fotografien den Höhepunkten des Festivals entgegentaumeln, ist Hansen ein eher nüchterner Beobachter. Mit seiner Kamera rückt er den Kostümierten und deren Textildesigns ganz nah, denn sein Blick ist vor allem auf grafische Strukturen konzentriert. Im engen Ausschnitt des Bildes entstehen so überraschende Verdichtungen, die Momente des fröhlichen Party-Trubels in formal genaue Bildstrukturen destillieren. Der Fotograf hat ein spezielles, über Jahre gut trainiertes Sensorium, Details und Strukturen im städtischen Raum zu erkennen und fotografisch zu extrahieren. Seit vielen Jahren widmet er sich einer besonderen Form der Street Photography, die insbesondere auf grafische Muster und Strukturen im urbanen Umfeld abzielt. Für die Geschichte der Fotografie ist die Street Photography von Beginn an ein spannendes Feld. Die Straße als öffentlicher Raum, als Bühne des alltäglichen Lebens wird zu dem Ort, an dem zufällig Dinge zusammenkommen, sich für einen unwiederbringlichen Moment zu einer Geschichte verdichten, die vielleicht nur vom Fotografen erkannt und festgehalten wird.

Straßenfotografen sind Jäger und Sammler. Die Themen und Momente der Straßenfotografie sind nie gestellt oder geprobt. Vielleicht kann der Fotograf eine bestimmte Situation erahnen, sich in Stellung bringen, doch ob dann wirklich die einzelnen Elemente zur perfekten Aufnahme zusammenspielen, ist im Voraus nicht planbar. Die schöpferische Leistung des Fotografen besteht in der punktgenauen Fixierung der Situation, bei der jeweils Standpunkt, Ausschnitt, Licht und Schatten erfasst und zu einer Komposition von überzeugender Dramaturgie und entsprechendem Rhythmus gestaltet werden müssen. Wie alle hervorragenden Straßenfotografen hat auch Hansen das perfekte Gespür für diese Momente und für das Detail. Den Bildern liegt das ganz eigene formale Konzept des Fotografen zugrunde, für das ihn mittlerweile seine Anhänger weltweit schätzen. Mit dieser Schlagermove-Serie beweist Hansen aufs Neue, wie überraschend die Welt mit der Kamera entdeckt werden kann. Dass dabei das zweidimensionale Abbild eine eigene Dynamik entwickelt und zu ganz anderem Erkenntnisgewinn als der eigentliche Anlass führen kann, ist unbestritten. Wer sich mit allen Sinnen dem Thema widmen möchte, ist herzlich zum nächsten Schlagermove eingeladen. In diesem Sinne: Hossa! Hossa! Hossa! Ulrich Rüter