Sanierung und Pflichtangebot

Sanierung und Pflichtangebot von Rudolf Tschäni Inhalt I. Einleitung 1. Wirtschaftliche Umstände bei Erlass des Börsengesetzes 2. Angebotspflicht 3....
Author: Caroline Peters
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Sanierung und Pflichtangebot von

Rudolf Tschäni Inhalt I.

Einleitung 1. Wirtschaftliche Umstände bei Erlass des Börsengesetzes 2. Angebotspflicht 3. Begriff der Gruppe 4. Ausnahmen zur Angebotspflicht a) Gesetzlich vorgesehene Ausnahmen b) In der Verordnung vorgesehene Ausnahmen aa) Einleitende Bemerkung bb) Automatische Ausnahme cc) Allgemeine Ausnahme dd) Besondere Ausnahmen 5. Funktion der Angebotspflicht und der Ausnahme im Falle der Sanierung 6. Offenlegungspflicht 7. Sanierung

II.

Enstehen der Angebotspflicht 1. Anwendbarkeit der Regeln zum Pflichtangebot 2. Überschreiten der Schwelle, mit welcher die Angebotspflicht ausgelöst wird 3. Gegenstand des Pflichtangebotes 4. Sanktionen

III.

Ausnahmen von der Angebotspflicht 1. Praxis der Übernahmekommission a) Banque Cantonale de Genève b) Complet-e Holding AG c) Crossair, Aktiengesellschaft für europäischen Regionalluftverkehr d) 4M Technologies Holding e) Tornos Holding AG 2. Zusammenfassung und Würdigung der bisherigen Praxis

Literaturverzeichnis

75

Rudolf Tschäni

I.

Einleitung

1.

Wirtschaftliche Umstände bei Erlass des Börsengesetzes

Das Börsengesetz wurde in einer Zeit haussierender Aktienmärkte erlassen. Die Arbeiten zum Börsengesetz begannen im Jahre 1988. Das Börsengesetz wurde im März 1995 in den Räten verabschiedet und per 1. Februar 1997 bzw. 1. Januar 1998 in Kraft gesetzt. Vor diesem Hintergrund ist es eigentlich erstaunlich, dass sich im Börsengesetz selber bereits eine Bestimmung findet, die sich mit dem Erwerb von Aktien zu Sanierungszwecken befasst1. Danach kann bei einem Erwerb zu Sanierungszwecken eine Ausnahme von der Angebotspflicht gewährt werden. Bekanntlich haben sich die Aktienmärkte drastisch verschlechtert, und auch bei Publikumsgesellschaften waren Sanierungsfälle zu verzeichnen. Tatsächlich sind denn auch fünf Empfehlungen der Übernahmekommission („UEK“) erfolgt, mit welchen die Grundsätze herausgearbeitet worden sind, unter welchen in Sanierungsfällen eine Ausnahme von der Angebotspflicht erhältlich ist2. Die Gesetzesmaterialien enthalten keinen Hinweis über die Behandlung für die Ausnahme beim Erwerb zu Sanierungszwecken. Diese Ausnahme war im Entwurf des Bundesrates nicht erwähnt. Der gegenwärtige Art. 32 Abs. 2 lit. e BEHG wurde während der parlamentarischen Arbeiten auf Antrag von Nationalrat Fischer-Sursee, jedoch ohne detaillierte Begründung, eingeführt3. 2.

Angebotspflicht

Überschreitet eine Partei den Schwellenwert von 331/3% der Stimmrechte einer Zielgesellschaft, muss sie für alle kotierten Beteiligungspapiere der Gesellschaft ein Angebot unterbreiten4. Wenn eine Partei bei Inkrafttreten des BEHG, also am 1. Januar 1998, bereits über Beteiligungspapiere verfügte, die ihr die Kon-

1

Art. 32 Abs. 2 lit. e BEHG.

2

Empfehlung Banque Cantonale de Genève vom 29. Mai 2000; Empfehlung Complet-e Holding AG vom 21. November 2000; Empfehlung Crossair, Aktiengesellschaft für europäischen Regionalluftverkehr, vom 7. November 2001; Empfehlung 4M Technologies Holding vom 14. Februar 2002; Empfehlung Tornos Holding AG vom 26. Juni 2002.

3

AmtlBull NR 1995, 580-582; AmtlBull StR 1995, 352.

4

Art. 32 Abs. 1 BEHG.

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trolle über mehr als 331/3%, aber weniger als 50% der Stimmrechte der Zielgesellschaft verliehen, so beträgt der Schwellenwert jedoch 50% statt 331/3%5. Das Erfordernis des Pflichtangebotes ist zweifellos eine der wichtigsten Neuerungen, welche durch das Börsengesetz im Bereich des Übernahmerechts eingeführt worden ist. Es war denn auch entsprechend umstritten. Anvisiert wird damit der Schutz der Minderheitsaktionäre, welche die Möglichkeit erhalten sollen, im Falle veränderter Kontrollverhältnisse aus ihrer Investition „auszusteigen“. Im Sinne eines Kompromisses hat es daher der Gesetzgeber für richtig befunden, den Gesellschaften die Möglichkeit zu geben, in ihren Statuten festzulegen, dass ein Übernehmer nicht zu einem Pflichtangebot verpflichtet ist, auch wenn sonst die Voraussetzungen hierzu erfüllt wären6. Man spricht von einem Opting-Out. Ausserdem können die Zielgesellschaften in ihren Statuten den Grenzwert, dessen Überschreiten die Angebotspflicht auslöst, bis auf 49% der Stimmrechte erhöhen7. Diesfalls wird von einem Opting-Up gesprochen. Wo ein Opting-Out oder ein Opting-Up greift, entsteht mit anderen Worten keine Pflicht zur Abgabe eines Angebotes. 3.

Begriff der Gruppe

Die Pflicht zur Abgabe eines Angebotes richtet sich nicht nur an eine einzelne Partei, die durch einen Erwerb einen kritischen Schwellenwert überschreitet, vielmehr reicht es aus, wenn eine Partei „in gemeinsamer Absprache mit Dritten“8 Beteiligungspapiere erwirbt und damit den fraglichen Grenzwert überschreitet. Wann von einer Absprache mit Dritten gesprochen werden muss, ist in der anwendbaren Verordnung geregelt9. Danach werden diejenigen als in gemeinsamer Absprache handelnd oder als eine Gruppe betrachtet, die ihre Verhaltensweise im Hinblick auf den Erwerb oder die Veräusserung von Beteiligungspapieren oder die Ausübung von Stimmrechten mit Dritten durch Vertrag

5

Art. 52 BEHG.

6

Art. 22 Abs. 2 BEHG.

7

Art. 32 Abs. 1 BEHG.

8

Art. 32 Abs. 1 BEHG.

9

Art. 27 BEHV-EBK, welche hierfür auf Art. 15 Abs. 1 und 2 BEHV-EBK verweist. Darin ist für die Offenlegungspflicht definiert, wann von Handeln in gemeinsamer Absprache und organisierten Gruppen zu sprechen ist.

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oder andere organisierten Vorkehren abstimmen10. Das Vorliegen einer Gruppe wird namentlich in folgenden Fällen bejaht11: •

Rechtsverhältnisse zum Erwerb oder der Veräusserung von Beteiligungspapieren. Dazu würde typischerweise eine Vereinbarung zwischen sanierungswilligen Parteien zu zählen sein, mit welchen sich diese verpflichten, im Rahmen einer Kapitalerhöhung der zu sanierenden Gesellschaft neu auszugebende Aktien zu erwerben;



Rechtsverhältnisse, welche die Ausübung der Stimmrechte zum Gegenstand haben. Dazu sind namentlich Aktionärbindungsvereinbarungen zu zählen, jedoch nur dann, wenn diese Vereinbarungen auch das Stimmrechtsverhalten zum Gegenstand haben. Werden in der Vereinbarung den Parteien lediglich Kauf- oder Vorkaufsrechte eingeräumt, so handelt es sich nicht um eine stimmrechtsverbundene Aktionärsgruppe. Es müsste jedoch untersucht werden, ob das Rechtsverhältnis allenfalls in die erste Kategorie (Rechtsverhältnisse zum Erwerb oder der Veräusserung von Beteiligungspapieren) gehört;



Zusammenfassung von natürlichen oder juristischen Personen durch die Mehrheit von Stimmrechten oder Kapitalanteilen oder durch eine Beherrschung auf andere Weise zu einem Konzern oder einer Unternehmensgruppe. Mitglieder eines Konzerns fallen demnach unter den Gruppenbegriff.

Für die Zwecke der Bestimmung, ob ein Pflichtangebot abgegeben werden muss, ist darüberhinaus notwendig, dass sich die Gruppe „im Hinblick auf die Beherrschung der Gesellschaft“ organisiert hat12. Es muss also Ziel der Gruppe sein, die Zielgesellschaft zu beherrschen. Fehlt es an diesem Ziel, so entsteht auch keine Pflicht zur Abgabe eines Angebotes13.

10

Art. 25 i.V.m. Art. 15 Abs. 1 BEHV-EBK. Zur Gleichschaltung der beiden Tatbestände (Handeln in gemeinsamer Absprache und Gruppe) s. MEIER-SCHATZ, BEHG Kommentar, Art. 20 BEHG N 201 ff.

11

Art. 15 Abs. 2 i.V.m. Art. 27 BEHV-EBK, wobei zu beachten ist, dass in Art. 15 Abs. 2 BEHV-EBK bloss von einer Abstimmung der Verhaltensweise, jedoch nicht von der Gruppe gesprochen wird.

12

Art. 27 BEHV-EBK.

13

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S. jedoch hinten, II.2.

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4.

Ausnahmen zur Angebotspflicht

a)

Gesetzlich vorgesehene Ausnahmen

Schon im Gesetz sind Ausnahmen festgehalten, in welchen die Angebotspflicht entfallen soll14. Dies ist der Fall, wenn die Stimmrechte durch einen der folgenden Vorgänge erworben werden: • • • • •

Schenkung; Erbgang; Erbteilung; Eheliches Güterrecht; Zwangsvollstreckung.

Die Angebotspflicht entfällt in diesen Fällen, ohne dass eine Genehmigung der Aufsichtsbehörde eingeholt werden müsste. Sieht man von der Zwangsvollstreckung ab, so dürfte jedoch keine dieser Ausnahmen im Zusammenhang mit einer Sanierung relevant werden. Auch bei der Zwangsvollstreckung dürfte es sich normalerweise nicht um diejenigen Sanierungsfälle handeln, welche vorliegend im Zentrum stehen. Bei der Zwangsvollstreckung geht es nämlich nicht um die hier zu betrachtende Sanierung einer Publikumsgesellschaft, sondern z.B. um den Erwerb im Rahmen eines Pfändungs- oder Konkursverfahrens gegen eine Partei, welche die Aktien der Publikumsgesellschaft hält. Die „angeschlagene“ Partei ist bei der Zwangsvollstreckung also der Aktionär und nicht die Zielgesellschaft. Im Börsengesetz ist sodann die Kompetenz der Aufsichtsbehörde (EBK) vorgesehen, in berechtigten Fällen Ausnahmen von der Angebotspflicht zu gewähren15, so namentlich bei •

Übertragung von Stimmrechten innerhalb der Gruppe. Die Gruppe untersteht der Angebotspflicht jedoch als Gruppe;



Überschreitung der fraglichen Schwelle aufgrund einer Verringerung der Gesamtzahl der Stimmrechte. Hier ist etwa an ein Rückkaufsangebot der Gesellschaft für eigene Aktien mit anschliessender Kapitalherabsetzung zu denken, bei welcher ein Aktionär den Grenzwert überschreitet, ob-

14

Art. 32 Abs. 3 BEHG.

15

Art. 32 Abs. 2 BEHG.

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schon er zuvor Stimmrechte hielt, mit denen er die Schwelle nicht erreichte; •

Nur vorübergehender Überschreitung des Grenzwertes;



Unentgeltlichem Bezug oder vorzugsweiser Zeichnung im Rahmen einer Kapitalerhöhung;



Erwerb zu Sanierungszwecken.

Die Angebotspflicht entfällt hier also nicht automatisch oder allgemein, sondern es ist notwendig, dass die Ausnahme gewährt wird. b)

In der Verordnung vorgesehene Ausnahmen

aa)

Einleitende Bemerkung

In der anwendbaren Verordnung sind die Fälle im Einzelnen geregelt, in denen die Aufsichtsbehörde Ausnahmen von der Angebotspflicht gewähren kann16. Die im Gesetz bereits genannten Fälle werden sodann präzisiert und ausgeweitet. Ausserdem wird das Verfahren im Einzelnen bestimmt. bb)

Automatische Ausnahme

Zunächst ist in der Verordnung nochmals speziell festgehalten, dass in den Fällen, wonach im Gesetz eine Angebotspflicht automatisch entfällt, weder eine Meldung noch eine Genehmigung notwendig ist17. cc)

Allgemeine Ausnahme

Sodann gilt eine allgemeine Ausnahme in den folgenden beiden Fällen: •

Der Grenzwert wird im Rahmen einer Sanierung infolge einer zur Verrechnung eines Verlustes durchgeführten Kapitalherabsetzung und umgehenden Kapitalerhöhung überschritten. Es handelt sich dabei um einen in

16

Art. 33 und 34 ff. BEHV-EBK.

17

Art. 33 Abs. 3 BEHV-EBK, d.h. bei Erwerb zufolge Schenkung, Erbgang, Erbteilung, ehelichem Güterrecht oder Zwangsvollstreckung.

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Sanierungszusammenhängen typischen Vorgang, bei welchem das Kapital abgeschrieben und gleich wieder neu geschaffen wird18. •

Es erfolgt eine Festübernahme durch Banken oder Effektenhändler im Rahmen einer Emission von Beteiligungspapieren. Für die Ausnahmegewährung müssen sich diese aber verpflichten, die den Grenzwert übersteigende Anzahl von Beteiligungspapieren innerhalb von drei Monaten ab Überschreitung des Grenzwertes wieder zu veräussern und die Veräusserung muss innerhalb dieser Frist auch tatsächlich erfolgt sein19. Die EBK kann die Frist auf Antrag in begründeten Fällen allerdings verlängern.

Bei den allgemeinen Ausnahmen braucht bloss eine Meldung an die EBK und die UEK zu erfolgen. Diese haben die Möglichkeit, innert fünf Börsentagen Widerspruch zu erheben, wenn sie die Voraussetzungen der allgemeinen Ausnahme als nicht erfüllt erachten20. dd)

Besondere Ausnahmen

In der Verordnung ist sodann ein System besonderer Ausnahmen definiert. Diese werden in den übrigen Fällen gewährt, welche im Gesetz aufgeführt sind, sofern die Angebotspflicht nicht bereits aufgrund von Art. 32 Abs. 3 BEHG entfällt21. Als besondere Ausnahmen verbleiben daher folgende im Gesetz genannten Fälle: •

Übertragung innerhalb einer Gruppe22;



Überschreitung aus einer Verringerung der Gesamtzahl der Stimmrechte der Gesellschaft23;

18

Art. 33 Abs. 1 lit. a BEHV-EBK. Zu diesem sog. Harmonikaverfahren s. hinten, I.7.

19

Art. 33 Abs. 1 lit. b BEHV-EBK.

20

Art. 33 Abs. 2 BEHV-EBK.

21

So für die Fälle der Schenkung, Erbgang, Erbteilung, eheliches Güterrecht oder Zwangsvollstreckung. Ferner ist an die Fälle zu denken, für die in der Verordnung nicht eine allgemeine Ausnahme anwendbar ist (s. Art. 33 Abs. 1 BEHV-EBK).

22

Art. 32 Abs. 2 lit. a BEHG.

23

Art. 32 Abs. 2 lit. b BEHG.

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Bei nur vorübergehender Übersteigung des Grenzwertes24;



Bei unentgeltlichem Bezug oder bei vorzugsweiser Zeichnung im Rahmen einer Kapitalerhöhung25;



Bei Erwerb zu Sanierungszwecken26.

In der Verordnung ist allgemein festgehalten, dass nebst den in Art. 32 Abs. 2 BEHG genannten Fällen der angebotspflichtige Erwerber von seiner Pflicht zur Unterbreitung eines Angebotes befreit werden kann, wenn „wichtige Gründe“ vorliegen27. In der Verordnung selber sind sodann speziell Fälle aufgeführt, in denen diese wichtigen Gründe bejaht werden. Es handelt sich um die folgenden: •

Der Erwerber kann die Zielgesellschaft nicht kontrollieren, weil eine andere Person oder eine Gruppe über einen höheren Stimmanteil verfügt28;



Ein Mitglied einer Gruppe überschreitet auch einzeln den Grenzwert29;



Es liegt ein indirekter Erwerb vor, wobei dieser nicht zu den Hauptzielen der Transaktion zählt und die Interessen der Aktionäre der Zielgesellschaft gewahrt bleiben30.

Für eine besondere Ausnahme muss der Erwerber ein Gesuch an die UEK richten, welche daraufhin eine Empfehlung erlässt, in welcher sie feststellt, ob die Angebotspflicht besteht oder nicht. Die EBK hat die Möglichkeit, ihrerseits eine Verfügung zu treffen, wenn sie von der UEK um einen Entscheid ersucht wird oder wenn sie selber in der Sache entscheiden will31. Sie ist für eine Verfügung 24

Art. 32 Abs. 2 lit. c BEHG.

25

Art. 32 Abs. 2 lit. d BEHG.

26

Art. 32 Abs. 2 lit. e BEHG. Es stellt sich die Frage, ob dieser Grund durch die allgemeine Ausnahme gemäss Art. 33 Abs. 1 lit. a BEHV-EBK (Kapitalherabsetzung und -erhöhung zur Sanierung) abschliessend definiert ist. Dies ist m.E. zu verneinen, weil der gesetzliche Anwendungsbereich durch eine Verordnung nicht eingeschränkt werden kann. Es ist dem Verordnungsgeber augenscheinlich darum gegangen, einen besonders klaren Sanierungsvorgang mit einer allgemeinen Ausnahme von der Angebotspflicht zu befreien. S. auch Empfehlung Banque Cantonale de Genève vom 29. Mai 2000 und Empfehlung Crossair, Aktiengesellschaft für europäischen Regionalluftverkehr, vom 7. November 2001.

27

Für einen Anwendungsfall s. Empfehlung Netstal-Maschinen AG vom 30. August 2002.

28

Art. 34 Abs. 2 lit. a BEHV-EBK.

29

Art. 34 Abs. 1 lit. b BEHV-EBK.

30

Art. 34 Abs. 2 lit. c. BEHV-EBK.

31

Art. 35 Abs. 2 BEHV-EBK.

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auch dann zuständig, wenn der Gesuchsteller die Empfehlung ablehnt oder missachtet. Will die EBK die Sache selber entscheiden, hat sie dies innert einer Frist von fünf Börsentagen zu erklären. Die gleiche Frist trifft den Gesuchsteller für seine schriftliche Eingabe, die er an die UEK zu richten hat, wenn er deren Empfehlung ablehnt32. 5.

Funktion der Angebotspflicht und der Ausnahme im Falle der Sanierung

Mit dem Börsengesetz sollen öffentliche Kaufangebote weder gefördert noch verhindert oder erschwert werden. Dies lässt sich den Materialien zum Börsengesetz entnehmen33. Die Gesetzgebung soll also marktneutral wirken. Der Inhaber eines Beteiligungspapiers soll in sachkundiger Weise über das Angebot entscheiden können. Als tragende Prinzipien werden die Grundsätze der Transparenz, der Lauterkeit und der Gleichbehandlung genannt34. Als besonderer Zweck wird der Schutz der Minderheitsaktionäre betont35. Ferner geht es darum, die Funktionsfähigkeit der Effektenmärkte zu gewährleisten36. Die Funktion des Pflichtangebotes ist vor diesem Hintergrund zu sehen. Im Vordergrund steht der Schutz des Minderheitsaktionärs37. Es wird davon ausgegangen, dass dieser in eine Gesellschaft investiert hat, in der gewisse Kontrollverhältnisse bestanden haben, als er seine Investition getätigt hat. Wenn nun die Kontrollverhältnisse wechseln, so die Argumentation, dann ändert sich auch die Natur der Gesellschaft. Die Gesellschaft wird unter Umständen strategisch neu ausgerichtet, verfolgt eine neue Unternehmenspolitik wie auch – für den Minderheitsaktionär von besonderem Interesse – eine andere Dividendenpolitik. Das Potential einer Wertsteigerung wird unter veränderten Kontrollverhältnissen neu evaluiert. Möglicherweise verringert sich der Wert des übernommenen Unter32

Zum Verfahren s. Art. 35 BEHV-EBK.

33

Bericht zum Vorentwurf der Expertengruppe zur Ausarbeitung eines Bundesgesetzes über die Börsen und den Effektenhandel vom März 1991, 66; AmtlBull NR vom 16. Juni 1994, 1052.

34

Botschaft zu einem Bundesgesetz über die Börsen und den Effektenhandel vom 24. Februar 1993, Sonderdruck, 21.

35

Botschaft zu einem Bundesgesetz über die Börsen und den Effektenhandel vom 24. Februar 1993, Sonderdruck, 21.

36

Art. 1 BEHG.

37

Empfehlung UDT Group Ltd. vom 15. Oktober 2002, E. 7.2.

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nehmens bereits durch den Kontrollübergang. Mit dem Pflichtangebot soll nun erreicht werden, dass der Minderheitsaktionär desinvestieren, seine Titel also dem Anbieter verkaufen kann. Die Angebotspflicht ist mit einer Preisbestimmung gekoppelt38. Danach muss der Preis mindestens dem Börsenkurs entsprechen und darf zudem höchstens 25% unter dem höchsten Preis liegen, den der Anbieter in den letzten zwölf Monaten vor dem Angebot oder der Voranmeldung für Beteiligungspapiere der Zielgesellschaft bezahlt hat39. Der höhere der beiden so ermittelten Referenzpreise muss als Mindestpreis offeriert werden. In diesem Umfang ist also die Bezahlung einer Prämie an den Kontrollinhaber nach wie vor möglich, in der Praxis ist die Ausrichtung einer Kontrollprämie jedoch recht selten geworden. Nebst der Preisbestimmung ist den Pflichtangeboten eigen, dass sie nur aus wichtigen Gründen an Bedingungen geknüpft werden dürfen. Als wichtige Gründe gelten namentlich die folgenden40: •

Für den Erwerb ist eine behördliche Bewilligung erforderlich (z.B. Bewilligungen der Kartellbehörden);



Die zu erwerbenden Beteiligungspapiere verschaffen kein Stimmrecht;



Der Anbieter will, dass die konkret bezeichnete wirtschaftliche Substanz der Zielgesellschaft nicht verändert wird.

Bei Änderung der Kontrollverhältnisse wird also zusammenfassend dem Minderheitenschutz dadurch Rechnung getragen, dass der neue Kontrollinhaber ein Pflichtangebot abgeben muss, sowie dieses mit Mindestpreisbestimmungen gekoppelt und nur sehr einschränkend Bedingungen zugänglich ist, die das Zustandekommen des Angebotes verhindern könnten. Wie dem Gesetz und der Verordnung zu entnehmen ist, gilt der Minderheitenschutz im Rahmen des Pflichtangebotes nicht uneingeschränkt, sondern untersteht einem System von Ausnahmen. Dazu gehört es auch, dass der Erwerber von einem Pflichtangebot dispensiert werden kann, wenn der Erwerb zu Sanie-

38

Art. 32 Abs. 4 BEHG.

39

Art. 38 Abs. 1 BEHV-EBK.

40

Art. 32 Abs. 2 BEHV-EBK. Weitere Bedingungen werden im Falle von wichtigen Gründen gewährt. Verfahrensmässig gelten die gleichen Regeln wie im Falle, dass eine Ausnahme vom Pflichtangebot verlangt wird, d.h. dass ein Genehmigungsgesuch an die UEK zu richten ist.

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rungszwecken erfolgt. Im Falle von Sanierungen wird also den Minderheitsaktionären zugemutet, mit ihrer Investition in der Gesellschaft zu verbleiben bzw. es bleibt ihnen nur die Möglichkeit, ihre Aktien im Markt über die Börse zu veräussern, selbst wenn die Kontrollverhältnisse wechseln. Dem liegt letztlich die Auffassung zugrunde, dass die Erhaltung eines Unternehmens im Rahmen einer Sanierung in der Werthierarchie höher einzustufen ist als das Recht der Minderheitsaktionäre, ihre Titel dem Übernehmer verkaufen zu können. Unter Umständen würde zudem eine Sanierung unterbleiben, wenn dem Erwerber zugemutet würde, den Aktionären ein Pflichtangebot zu unterbreiten und sie auf diese Weise auszukaufen. Tatsächlich würde sich der Mitteleinsatz des Erwerbers beträchtlich erhöhen, wenn er dies tun müsste, und zwar besonders in jenen Fällen, in denen bereits das Überschreiten der Schwelle von 331/3% der Stimmechte ausreicht, um die Angebotspflicht entstehen zu lassen. Für oder gegen die Angebotspflicht zu entscheiden heisst – nach Auffassung des Gesetzgebers – somit immer, eine Wertung zwischen dem Interesse am Fortbestand des Unternehmens und dem Verkaufsrecht des Aktionärs gegenüber dem Erwerber vorzunehmen. 6.

Offenlegungspflicht

Von besonderer Bedeutung im Zusammenhang mit dem Erwerb zu Sanierungszwecken ist die Pflicht des Erwerbers, bei Durchschreiten von gewissen Grenzwerten41, den Erwerb offen zu legen, d.h. diesen der Gesellschaft und der Börse zu melden42. Die Gesellschaft hat dann die Pflicht, die Stimmrechtsveränderungen zu veröffentlichen43. Sie muss die erforderlichen Informationen im Schwei-

41

5, 10, 20, 331/3, 50 oder 662/3% der Stimmrechte. Die Offenlegungspflicht wird nicht nur dann ausgelöst, wenn der Schwellenwert überschritten wird, sondern auch dann, wenn der Grenzwert erreicht oder unterschritten wird. Das bedeutet insbesondere, dass die Offenlegungspflicht auch den Veräusserer bzw. die Partei treffen kann, welche als Folge der Vorgänge ihren Stimmrechtsanteil reduziert sieht, indem sie auf einen Schwellenwert fällt oder diesen gar unterschreitet. Es sind mit anderen Worten Konstellationen denkbar, in denen die gleichen Vorgänge bei mehreren Parteien eine Offenlegungspflicht auslösen, indem beispielsweise eine Partei den Anteil von 10% überschreitet, eine andere Partei dagegen unter 5% des Stimmrechtskapitals fällt.

42

Art. 20 Abs. 1 BEHG.

43

Art. 21 BEHG.

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zerischen Handelsamtsblatt und ferner in mindestens einem der bedeutenden elektronischen Medien, welche Börseninformationen verbreiten, publizieren44. Von besonderem Interesse ist dies vor allem deshalb, weil die Offenlegungspflicht bereits dann entsteht, wenn ein Verpflichtungsgeschäft abgeschlossen wird, mit dem der Grenzwert durchschritten wird45. Im Unterschied zur Angebotspflicht, welche grundsätzlich46 erst mit Vollzug (Verfügungsgeschäft) entsteht, wird hier also nicht der Vollzug des Geschäftes abgewartet. Ebenfalls im Unterschied zum Entstehen der Angebotspflicht wird die Offenlegungspflicht auch schon dann ausgelöst, wenn bloss Optionsgeschäfte im Spiele sind. Soweit Call-Optionen eine Realerfüllung vorsehen, sind sie ebenfalls offenlegungspflichtig47. Unabhängig vom Umfang der bestehenden Beteiligung entfällt eine Pflicht zur Offenlegung aber, wenn die Optionen auf weniger als 5% der Stimmrechte lauten48. Das Schreiben von Put-Optionen wird gleich behandelt wie der Erwerb oder die Veräusserung von Call-Optionen. Gemeinsam ist den beiden Optionstypen, dass der Erwerber bei Ausübung der Optionen die diesen zugrunde liegenden Beteiligungspapiere erwirbt49. Wird die Option ausgeübt, muss sogar eine erneute Offenlegung stattfinden, wenn dabei Grenzwerte durchschritten werden50. Ebenso sind Leihgeschäfte und sog. Repo-Geschäfte offen zu legen, wenn der Borger bzw. Erwerber das Stimmrecht ausüben kann51. Ebenfalls im Unterschied zur Angebotspflicht hat eine Gesellschaft auch nicht die Möglichkeit, über entsprechende Bestimmungen in den Statuten den Erwerber aus den Offenlegungspflichten herauszuoptieren oder etwa ein Opting-Up vorzusehen. Die Offenlegungspflicht besteht also gestützt auf die gesetzlichen Regeln und unabhängig von den Statutenbestimmungen der Zielgesellschaft. Immerhin ist es möglich, eine Ausnahme von der Offenlegungspflicht zu verlangen. Eine Ausnahme setzt aber voraus, dass ein wichtiger Grund vorliegt.

44

Art. 19 Abs. 1 BEHV-EBK.

45

Art. 10 Abs. 1 BEHV-EBK.

46

S. jedoch hinten, II.2., III.1.e), die – vor allem in Sanierungszusammenhängen wichtigen – Fälle, in denen doch bereits der Abschluss eines Vertrages die Angebotspflicht auslösen kann.

47

Art. 13 Abs. 1 lit. a BEHV-EBK.

48

Art. 13 Abs. 4 BEHV-EBK.

49

Art. 13 BEHV-EBK.

50

Art. 13 Abs. 2 BEHV-EBK.

51

Art. 12 BEHV-EBK.

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Dasselbe gilt für Erleichterungen der Melde- und Veröffentlichungspflicht52. Die Gesuche sind nicht etwa an die UEK, sondern an die hierfür zuständige Offenlegungsstelle bei der Börse zu richten, wobei – und dies ist speziell zu beachten – eine Ausnahme für bereits abgeschlossene Geschäfte nicht mehr erhältlich ist53. Dies gilt auch dann, wenn übernahmewillige Parteien einen Vertrag abschliessen, den sie der Bedingung unterwerfen, dass sie von der Offenlegungspflicht befreit werden. Selbst dann ist die Ausnahme vor Abschluss des Vertrages einzuholen. Die Meldung hat innerhalb von vier Börsentagen nach Entstehen der Meldepflicht gegenüber der Gesellschaft und der Börse schriftlich zu erfolgen. Die Gesellschaft ihrerseits hat die Meldung innert zwei Börsentagen nach Eintreffen der Meldung zu veröffentlichen54. In der Verordnung ist der Gruppenbegriff für die Offenlegungspflicht im Verhältnis zur Frage des Pflichtangebotes weiter formuliert als dies für die Frage der Fall ist, wann eine Gruppe der Angebotspflicht unterliegt. Für die Offenlegung ist nicht vorausgesetzt, dass die Gruppe „im Hinblick auf die Beherrschung der Zielgesellschaft“ handelt. Es reicht aus, dass die Gruppe existiert. Ihre Zielsetzung ist unerheblich. 7.

Sanierung

In der Literatur werden ein rechtlicher und ein betriebswirtschaftlicher Sanierungsbegriff unterschieden55. Im betriebswirtschaftlichen Sinne schliesst die Sanierung alle Massnahmen mit ein, durch welche ein notleidendes Unternehmen wieder wirtschaftlich gemacht werden soll. Demgegenüber betrifft der rechtliche Sanierungsbegriff die finanzwirtschaftlichen Massnahmen, durch welche eine Bilanz bereinigt und namentlich eine Unterbilanz beseitigt wird. Der Begriff der Sanierung ist weder im Börsengesetz noch im Obligationenrecht definiert. Im Obligationenrecht (Aktienrecht) wird das Thema der Sanierung hauptsächlich im Zusammenhang mit der Überschuldung einer Gesellschaft

52

Art. 20 Abs. 1 BEHV-EBK.

53

Art. 20 Abs. 2 BEHV-EBK.

54

Art. 18 BEHV-EBK.

55

BOEMLE/STOLZ, 622.

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diskutiert56. Von einer Unterbilanz wird gesprochen, wenn Aktien- und Fremdkapital durch das Vermögen nicht mehr vollumfänglich gedeckt sind. Dabei handelt es sich um eine unechte Unterbilanz, wenn die Differenz durch stille Reserven ausgeglichen werden kann. Andernfalls liegt eine echte Unterbilanz vor. Eine verdeckte Unterbilanz ist gegeben, wenn gemäss Buchwerten zwar keine Unterbilanz vorliegt, eine solche jedoch entsteht, wenn überbewertete Aktiven abgeschrieben werden. Von einer Überschuldung wird gesprochen, wenn das Aktienkapital durch die Vermögenswerte nicht mehr gedeckt ist. Auch hier ist zwischen echter und unechter Überschuldung zu unterscheiden, wobei wiederum darauf abgestellt wird, ob die Überschuldung beseitigt wird, wenn stille Reserven realisiert werden. Zu erwähnen ist schliesslich der Begriff der Zahlungsunfähigkeit. Auch ein überschuldetes Unternehmen hat unter Umständen noch genügend flüssige Mittel, um zahlungsfähig zu sein. Andererseits bedeutet die Zahlungsunfähigkeit noch nicht notwendigerweise, dass ein Unternehmen überschuldet ist57. In der Literatur wird ferner zwischen Sanierungsfähigkeit und Sanierungswürdigkeit unterschieden, womit gemeint ist, dass eine Sanierung nur durchzuführen ist, wenn das Unternehmen überhaupt sanierungsfähig bzw. sanierungswürdig ist58. In der Tat gibt es Fälle, in denen die Sanierung eines Unternehmens wirtschaftlich gar nicht mehr möglich bzw. nicht mehr ratsam ist. Die Sanierungsmassnahmen werden schliesslich in operative Massnahmen einerseits und finanzielle Massnahmen andererseits unterteilt59. Als operative Massnahmen gelten die vielfältigen betriebswirtschaftlichen Massnahmen, durch welche ein Unternehmen saniert werden soll, z.B. eine neue Ordnung der Produktion oder des Vertriebes, ein Auswechseln des Management, eine Reduktion der Zahl der Arbeitnehmer, etc. Es kann damit auch die Ausarbeitung eines neuen Konzeptes oder einer neuen Strategie gemeint sein. Die finanziellen Massnahmen betreffen namentlich solche, durch welche die Bilanz bereinigt werden soll. Dazu sind etwa Forderungsverzichte oder à-fonds-perdu Zuschüsse zu zählen. Weiter gehören dazu Kapitalerhöhungen, über welche neue Barmittel

56

BÖCKLI, Rz 1687 ff.

57

S. gesamthaft zu den Begriffen der Überschuldung, Unterbilanz und Zahlungsunfähigkeit BÖCKLI, Rz 1684a ff.

58

BOEMLE/STOLZ, 624.

59

BOEMLE/STOLZ, 625.

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zugeführt werden. Gewöhnlich sind Kapitalerhöhungen jedoch mit einer vorgängigen Kapitalherabsetzung verbunden, durch welche im Wesentlichen das Aktienkapital gegen den Verlustvortrag abgeschrieben wird. Es kann auch sein, dass Forderungen der Gläubiger (inkl. Lieferanten) voll oder teilweise in Aktienkapital umgewandelt werden. Für die vorliegenden Zwecke, wo es darum geht, das Entstehen einer Angebotspflicht sowie die dazu gehörenden Ausnahmemöglichkeiten darzustellen, interessieren jene finanziellen Massnahmen, welche sich auf das Eigenkapital des zu sanierenden Unternehmens auswirken oder bei denen sich die Aktionärszusammensetzung durch direkte Transaktionen zwischen den Aktionären bzw. mit Dritten ändert. Soweit bloss das Fremdkapital umgestaltet wird, ist dies für die vorliegenden Zwecke nicht erheblich, auch wenn einzuräumen ist, dass in einem Sanierungsfall die finanziellen Massnahmen gewöhnlich sowohl das Eigen- als auch das Fremdkapital betreffen. Im Falle einer Unterbilanz bzw. einer Überschuldung ergeben sich für Aktiengesellschaften eine Reihe von Rechtsfolgen, welche hier aber nicht weiter verfolgt zu werden brauchen60. Wichtiger ist die im Aktienrecht speziell angesprochene deklarative Kapitalherabsetzung, bei welcher das Kapital zum Ausgleich einer Unterbilanz herabgesetzt wird. Diesfalls kommt ein vereinfachtes Herabsetzungsverfahren zum Zuge61. Die Art und Weise, wie das Kapital herabgesetzt wird, kann verschieden sein62. Bei der Herabsetzung des Aktiennennwertes verändern sich die Stimmverhältnisse der betroffenen Aktionäre nicht. Sollten jedoch einzelne (grössere) Aktionäre Aktien der Gesellschaft zur Vernichtung zurückgeben, so hat dies einen Einfluss auf die bisherigen Stimmverhältnisse. In der Regel wird eine Kapitalherabsetzung mit einer gleichzeitigen Kapitalerhöhung (im gleichen Betrage) verbunden, durch welche der Gesellschaft neue Barmittel zugeführt werden. Erfolgt die Erhöhung tatsächlich im gleichen Betrage, so ist auch hier ein vereinfachtes Verfahren für die Herabsetzung zulässig63. In der Regel wird in diesem Verfahren die neue Kapitalerhöhung aber nicht durch die bisherigen Aktionäre im bestehenden Verhältnis mitgezeichnet, so 60

S. dazu BÖCKLI, Rz 1678 ff.

61

Art. 735 OR. Wird allerdings das Kapital um einen Betrag herabgesetzt, der über dem Verlustvortrag liegt, so ist das ordentliche Herabsetzungsverfahren einzuhalten.

62

S. BOEMLE/STOLZ, 636 f.

63

Man nennt dies die „Harmonika“. S. dazu BÖCKLI, Rz 298c ff.

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dass sich durch diesen Vorgang ebenfalls Verschiebungen der Stimmverhältnisse ergeben.

II.

Enstehen der Angebotspflicht

1.

Anwendbarkeit der Regeln zum Pflichtangebot

Die Angebotspflicht kann – auch in Sanierungszusammenhängen – in den nachstehend beschriebenen Fällen gar nicht entstehen. •

Damit die börsengesetzlichen Regeln zum Pflichtangebot überhaupt Anwendung finden, müssen Beteiligungen an schweizerischen Gesellschaften betroffen sein64. Mit „schweizerisch“ ist gemeint, dass die Gesellschaft ihren Sitz in der Schweiz haben muss. Verlangt ist weiter, dass die Beteiligungspapiere einer solchen Gesellschaft mindestens teilweise an einer Börse in der Schweiz kotiert sind. Beteiligungspapiere sind dann kotiert, wenn sie zum Handel an der Haupt- oder Nebenbörse zugelassen sind65. Bei Beteiligungspapieren handelt es sich kurz gesagt um Risikotitel wie Aktien, Partizipationsscheine, Genussscheine oder ähnliche Titel66. Für Gesellschaften mit Sitz im Ausland sind die börsengesetzlichen Regeln zum Pflichtangebot also nicht anwendbar, selbst wenn deren Beteiligungspapiere an einer Börse in der Schweiz kotiert sind67. Umgekehrt brauchen nicht alle Titel an der Börse kotiert zu sein. Es reicht beispielsweise bereits aus, wenn dies lediglich für die Partizipationsscheine zutrifft, welche eine Gesellschaft nebst den (nicht kotierten) Aktien ausstehend hat. Was die an der virt-x gehandelten SMI-Titel anbetrifft, so

64

Art. 22 Abs. 1 BEHG.

65

Art. 2 lit. c BEHG.

66

Art. 2 lit. e BEHG.

67

Die EBK hat diesen Grundsatz aber relativiert, indem sie das Börsengesetz auch in einem Fall als anwendbar erklärte, in dem die betreffende Zielgesellschaft ihren statutarischen Sitz zwar im Ausland hatte, effektiv aber von der Schweiz aus geleitet worden war (Verfügung der Übernahmekammer der EBK TAG Heuer International SA vom 30. September 1999). Ist die Gesellschaft zwar in der Schweiz inkorporiert, hat sie ihre Primärkotierung aber im Ausland, so brauchen die schweizerischen börsengesetzlichen Übernahmeregeln nicht beachtet zu werden, wenn die ausländische Aufsichtsbehörde die Geltung des ausländischen Rechts beansprucht und die ausländischen Regeln den im schweizerischen BEHG definierten Mindeststandards gerecht werden (Empfehlung De Beers Centenary AG vom 20. März 2001).

90

Sanierung und Pflichtangebot

wird davon ausgegangen, dass weiterhin die schweizerischen Übernahmeregeln (inkl. Pflichtangebot) anwendbar sind68. •

Hat eine Gesellschaft ein Opting-Out beschlossen, so entsteht keine Angebotspflicht, weil sich die betreffende Gesellschaft durch Generalversammlungsbeschluss und damit einhergehende Statutenänderung den Regeln zum Pflichtangebot entzogen hat69. Unabhängig vom prozentualen Anteil der Stimmrechte, welche eine Partei in einem Sanierungsszenario erwirbt, unterliegt sie diesfalls der Angebotspflicht nicht. Für die Frage, ob ein Opting-Out gegeben ist, sind die Statuten der Gesellschaft zu konsultieren. Tatsächlich hat eine stattliche Zahl von Gesellschaften von der Möglichkeit des Opting-Out Gebrauch gemacht70.



Die Angebotspflicht entsteht auch dann nicht, wenn eine Partei mehr als 331/3% der Stimmrechte erwirbt, sofern die zu sanierende Gesellschaft in ihren Statuten eine höhere Schwelle (bis maximal 49% der Stimmrechte) als die gesetzlich vorgesehene festgelegt hat (sog. Opting-Up)71.



Die Angebotspflicht entsteht ferner dann nicht, wenn ein Aktionär bei Inkrafttreten des Börsengesetzes bereits mehr als 331/3%, aber weniger als 50% der Stimmrechte der Gesellschaft gehalten hat und nun seinen Teil am Stimmrechtskapital erhöht. Anders wäre es, wenn er als Folge davon den Grenzwert von 50% der Stimmrechte überschreitet72.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob nicht angesichts der Sanierung eine Gesellschaft zunächst ein Opting-Out oder allenfalls ein Opting-Up beschliessen könnte, bevor der Erwerb stattfindet, welcher die an sich bestehende

68

Regulatorische Rahmenbedingungen für Emittenten von SWX-kotierten Effekten auf der Börsenhandelsplattform virt-x vom 18. Dezember 2000, SWX Swiss Exchange 02/01, N 26 ff., abrufbar unter www.swx.com/admission/listing_virtx_de.html.

69

Art. 22 Abs. 2 und 3 i.V.m. Art. 32 BEHG.

70

S. unter www.swx.com/cgi/issuers/optQuery?lang=de, woraus zu ersehen ist, dass etwa ein Viertel der Gesellschaften ein Opting-Out beschlossen haben. In der Regel handelt es sich um Gesellschaften mit einem oder mehreren kontrollierenden Aktionären, welche sich auf diese Weise die Möglichkeit offen halten, eine Kontrollprämie bezahlt zu erhalten.

71

S. unter www.swx.com/cgi/issuers/optQuery?lang=de, welche Gesellschaften ein Opting-Up vorsehen. In der Regel sind dies Gesellschaften mit Aktionären, welche eine Beteiligung von mehr als einem Drittel, aber weniger als die Hälfte der Stimmrechte kontrollieren und sich durch das Opting-Up die Möglichkeit einer Kontrollprämie offen halten.

72

Art. 52 BEHG.

91

Rudolf Tschäni

Angebotspflicht auslösen würde. Tatsächlich spricht das Gesetz davon, dass diejenigen Gesellschaften, die von der Opting-Out Möglichkeit noch keinen Gebrauch gemacht haben, dies unter dem Vorbehalt von Art. 706 OR nach wie vor tun können73. Der Vorbehalt von Art. 706 OR ist sowohl formeller als auch materieller Natur. Aus formellen Gründen können Beschlüsse der Generalversammlung immer angefochten werden74. Die materiellen Schranken von Art. 706 OR bedeuten dagegen, dass ein Opting-Out nur dann zulässig ist, wenn es nicht in unsachlicher Weise den Aktionären Rechte entzieht oder eine durch den Gesellschaftszweck nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung oder Benachteiligung der Aktionäre bewirkt75. Ein Beschluss zu einem Opting-Out in einem laufenden Übernahmeverfahren dürfte normalerweise nach Art. 706 OR zu beanstanden sein. Tatsächlich hat es denn die EBK auch als unzulässig bezeichnet, die Statuten in Hinsicht auf eine konkrete Übernahme derart zu ändern, dass die Angebotspflicht für eine spezifisch genannte Partei für eine gewisse Zeit entfällt76. Es fragt sich trotzdem, ob ein allgemeines Opting-Out in einem Sanierungsfalle ebenfalls ausgeschlossen ist. Lässt man ein Opting-Out zu, so würde das bedeuten, dass die Frage der Angebotspflicht im Ergebnis durch die Generalversammlung der zu sanierenden Gesellschaft beschlossen wird. Verneint man die Möglichkeit des Opting-Out, so hat dies zur Folge, dass die Behörden über die Angebotspflicht entscheiden. Technisch wäre ein Unterschied darin zu sehen, dass die Angebotspflicht überhaupt nicht entsteht, wenn die Generalversammlung zuerst ein Opting-Out beschliesst, während es beim Entscheid durch die Behörden darum geht festzulegen, ob eine Ausnahme von der an sich bestehenden Angebotspflicht gewährt wird. Überdies wären verfahrensmässig die Unterschiede beträchtlich, indem im einen Falle eine Generalversammlung einzuberufen wäre, welche über das Opting-Out befindet. Die Anfechtung eines solchen Beschlusses würde beim Zivilrichter erfolgen. Das Opting-Out wäre erst dann wirksam, wenn die entsprechende Statutenänderung im Handelsregister eingetragen ist. Dem-

73

Art. 22 Abs. 3 BEHG.

74

Z.B. wegen nicht fristgerechter Einberufung der Generalversammlung.

75

Art. 706 Abs. 2 Ziff. 2 und 3 OR.

76

Verfügung der Übernahmekammer der EBK Esec Holding AG vom 23. Juni 2000; s. auch Mitteilung Nr. 2 der UEK vom 21. Juli 1997. Nach der Lehre sollen sodann generell formulierte Opting-Out unzulässig sein, sofern sie faktisch nur bestimmten Aktionären zugute kommen (VON DER CRONE/IFFLAND/WEY, 112).

92

Sanierung und Pflichtangebot

gegenüber ist in den meisten Fällen, da die Behörde zuständig ist, ein Gesuch an die Behörde zu richten oder diese zu informieren77. Praktisch betrachtet käme ein Opting-Out durch die Generalversammlung in der Regel wohl nur dann in Frage, wenn dieses durch den Verwaltungsrat der Gesellschaft mit dem Zweck eingeleitet würde, in den noch zu bestimmenden Sanierungsmassnahmen freiere Hand zu erhalten. Bestehen jedoch bereits konkrete Abmachungen über die Sanierungsmassnahmen, dürfte die Angebotspflicht allenfalls schon entstanden sein78. Trifft dies nicht zu, wird gleichwohl häufig die Zeit nicht reichen, zuerst ein OptingOut zu beschliessen und die Statutenänderung im Handelsregister eintragen zu lassen79. 2.

Überschreiten der Schwelle, mit welcher die Angebotspflicht ausgelöst wird

Sind die börsengesetzlichen Regeln zum Pflichtangebot an sich anwendbar, weil es um eine Beteiligung an einer schweizerischen Gesellschaft geht, deren Beteiligungspapiere zumindest teilweise an einer Börse in der Schweiz kotiert sind, und diese Gesellschaft kein Opting-Out beschlossen hat, stellt sich die Frage, welcher Art der Vorgang sein muss, mit dem die für die Angebotspflicht kritische Schwelle überschritten wird80. Auf welche Weise der Schwellenwert überschritten wird, ist im Prinzip unerheblich, ja es ist nicht einmal notwendig, dass der Überschreitung ein „Erwerb“ zugrunde liegt. Normalerweise wird der Grenzwert zwar durch Erwerb von Aktien, sei es börslich oder ausserbörslich, überschritten. In Frage kommen jedoch auch andere Vorgänge, namentlich Kapitalherabsetzungen, in deren Folge eine Partei den Schwellenwert überschreitet, oder etwa das Einbringen der Aktien in einen Pool, worauf dieser Pool gesamthaft mehr als den kritischen Anteil am Stimmrechtskapital auf sich vereinigt.

77

S. im Einzelnen vorn, I.4.b).

78

S. hinten, III.2.

79

Wie erwähnt, ist dies für die Wirksamkeit des Opting-Out notwendig (Empfehlung Züri Valore AG vom 27. Mai 1998 E. 2).

80

331/3% der Stimmrechte, bis zu 49% im Falle eines Opting-Up oder 50% in übergangsrechtlichen Fällen (Art. 32 Abs. 1 und Art. 52 BEHG).

93

Rudolf Tschäni

Als „Erwerb“ ist selbstverständlich der Erwerb des Eigentums an den Aktien zu betrachten81, darüber hinaus aber auch der Erwerb zu Nutzniessung. Ausgenommen bleibt jedoch die Erteilung von Vollmachten ausschliesslich zur Vertretung an einer Generalversammlung82. Wie bereits erwähnt83, löst zwar in der Regel erst der Vollzug des zugrunde liegenden Geschäftes die Angebotspflicht aus, doch kann unter Umständen bereits das Verpflichtungsgeschäft ausreichen, beispielsweise wenn ein Aktionärbindungsvertrag abgeschlossen wird. Nach dem Gesagten ist klar, dass der Begriff „Erwerb“ für die Frage, ob die Angebotspflicht entsteht, kaum eigenständige Bedeutung hat. Abzustellen ist vielmehr auf die Vorgänge, welche dazu führen, dass die kritische Schwelle überschritten wird. Damit verlagert sich die Betrachtung mehr darauf, ab welchem Zeitpunkt die Schwelle als überschritten gilt und wie die Schwelle berechnet wird. Für den Zeitpunkt ist entscheidend, wann eine Partei bzw. eine Gruppe die notwendige Anzahl Stimmrechte hält. Für die Berechnung des Grenzwertes ist einerseits (im Nenner) auf die Gesamtzahl der Stimmrechte abzustellen, welche im Handelsregister eingetragen sind84. Aktien aus ordentlichem und genehmigtem Kapital gelten erst dann als ausgegeben, wenn der Eintrag im Handelsregister erfolgt ist. Beim bedingten Kapital dagegen entstehen die Aktionärsrechte bereits mit Erfüllung der Einlagepflicht und nicht erst mit der Eintragung im Handelsregister85. Das führt dazu, dass aus bedingtem Kapital ausgegebene Aktien (im Nenner), welche noch nicht im Handelsregister eingetragen sind, nicht zu berücksichtigen sind, obschon sie bereits bestehen. Von der Zielgesellschaft gehaltene eigene Aktien sind für die Gesamtzahl der Stimmrechte der Zielgesellschaft (im Nenner) mitzuzählen, ungeachtet dessen, dass die damit verbundenen Stimmrechte nicht ausgeübt werden können86. Für die Berechnung ist andererseits (im Zähler) auf die vom Erwerber gehaltenen Beteiligungspapiere abzustellen. Ob die erworbenen Stimmrechte ausübbar sind oder nicht, ist unerheblich87. Dies ist von besonderer Bedeutung im Falle

81

Art. 28 Abs. 2 BEHV-EBK.

82

Art. 26 i.V.m. Art. 9 Abs. 3 lit. d in fine BEHV-EBK.

83

S. vorn, I.6.

84

Art. 28 Abs. 1 BEHV-EBK.

85

Art. 653e Abs. 3 OR.

86

S. Art. 659a Abs. 1 OR.

87

Art. 32 Abs. 1 BEHG und Art. 28 Abs. 2 BEHV-EBK.

94

Sanierung und Pflichtangebot

von vinkulierten Namenaktien, wenn der Erwerber bloss als stimmrechtsloser Aktionär eingetragen wird. Selbst dann ist er im Prinzip verpflichtet, ein Angebot abzugeben. Dem Erwerber sind auch die im Handelsregister noch nicht eingetragenen Aktien aus bedingtem Kapital zuzurechnen, welche er zu Eigentum erworben hat oder welche ihm Stimmrechte vermitteln. Dies kann sich für den Erwerber als nachteilig erweisen88, wenn man berücksichtigt, dass die aus bedingtem Kapital ausgegebenen Aktien umgekehrt im Nenner nicht mitgezählt werden. Von der Zielgesellschaft gehaltene eigene Aktien können m.E. für die Frage, ob die Angebotspflicht entsteht, dem Anbieter aber nicht automatisch zugerechnet werden, auch wenn er aufgrund der faktischen Verhältnisse die Möglichkeit hat, die Zielgesellschaft zu kontrollieren. Solche Fälle dürften jedoch ohnehin selten sein. Nicht nur der direkte, sondern auch der indirekte Erwerb zählt. Als indirekter Erwerb gilt der Erwerb über einen Treuhänder oder über eine (direkt oder indirekt) beherrschte juristische Person, z.B. über eine Tochtergesellschaft. Weiter ist dazu der Erwerb einer Beteiligung zu zählen, die (direkt oder indirekt) die Beherrschung einer juristischen Person vermittelt, welche ihrerseits direkt oder indirekt Beteiligungspapiere hält, also beispielsweise der Erwerb einer privaten Holdinggesellschaft, welche in erforderlichem Umfang ein Aktienpaket an der Zielgesellschaft hält. Sodann schliesst der indirekte Erwerb alle anderen Vorgänge mit ein, die im Ergebnis das Stimmrecht über die Beteiligungspapiere vermitteln können. Ausgenommen ist bloss die Erteilung von Vollmachten ausschliesslich zur Vertretung an einer Generalversammlung89. In Auslegungsfragen ist letztlich darauf abzustellen, ob der Erwerber mit dem Geschäft die Kontrolle über die fraglichen Aktienstimmen erworben hat. Hierzu ist auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen, wobei richtigerweise darauf hingewiesen worden ist, dass aufgrund ihres einschneidenden Charakters im Zweifel nicht ohne weiteres auf die Angebotspflicht geschlossen werden kann90. Wird die Angebotspflicht bejaht, trifft sie den wirtschaftlich Berechtigten91.

88

Die UEK hat dazu ihre Bereitschaft signalisiert, eine Ausnahme zu gewähren (Empfehlung Calida Holding AG vom 8. Juni 2000 E. 5).

89

Zur Definition des indirekten Erwerbes s. Art. 26 i.V.m. Art. 9 Abs. 3 BEHV-EBK.

90

HOFSTETTER, Basler Kommentar, Art. 32 BEHG N 11.

91

Empfehlung Lonza Group AG vom 7. Juni 2002 E. 1.5.2.

95

Rudolf Tschäni

Wie bereits erwähnt, werden zusätzlich zum direkten und indirekten Erwerb für die Bestimmung der durch eine Partei gehaltenen Beteiligungspapiere auch diejenigen Beteiligungspapiere miteinbezogen, die in gemeinsamer Absprache mit Dritten erworben werden92. Im rechtlichen Sinne liegt eine gemeinsame Absprache erst dann vor, wenn sich die betreffenden Parteien durch Vertrag oder andere organisierte Vorkehrungen für den Erwerb oder die Veräusserung von Beteiligungspapieren abstimmen93. Einmalige Stimmabsprachen sind gemäss Lehre nicht ausreichend, um ein Handeln in gemeinsamer Absprache anzunehmen94. Umgekehrt qualifizieren typische Aktionärbindungsverträge, mit denen das Stimmrecht institutionalisiert gebunden wird, als vertragliche Abreden, bei denen ein Handeln in gemeinsamer Absprache zu bejahen ist95. Gemäss Praxis der UEK ist für die Frage, ob eine gemeinsame Absprache vorliegt, letztlich entscheidend, ob die Parteien bei Erwerbs- oder Veräusserungstransaktionen oder der Stimmrechtsausübung zwecks Erreichen eines gemeinsamen Ziels zusammenwirken und zu diesem Zweck gemeinsam Mittel und Kräfte zur Verfügung stellen und ihre Einzelinteressen dem Gesamtinteresse der Gruppe hintanstellen96. Es ist damit nicht zu verkennen, dass die UEK den Begriff der gemeinsamen Absprache bzw. der Gruppe sehr weit auslegt. Namentlich hat sie es auch abgelehnt, dem Wortlaut „im Hinblick auf die Beherrschung“97 die Natur eines subjektiven Absichtselementes zuzuerkennen, womit sie diesem letztlich jegliche Eigenständigkeit genommen hat98. Allein das Überschreiten des Grenzwertes durch die Gruppe sei entscheidend. Sofern der kritische Grenzwert durch Handeln in gemeinsamer Absprache überschritten worden ist, trifft die Pflicht zur Abgabe eines Angebotes die in gemeinsamer Absprache handelnden Parteien gesamthaft. Für die einzelnen Mitglieder

92

S. vorn, I.3.

93

Art. 27 i.V.m. Art. 15 Abs. 1 BEHV-EBK.

94

HOFSTETTER, Basler Kommentar, Art. 32 BEHG N 15. S. aber hinten, III.1.c) die Position der UEK zur Frage, wann eine Ausnahme gewährt werden kann, weil der Grenzwert nur vorübergehend überschritten ist.

95

Art. 15 Abs. 2 lit. b BEHV-EBK.

96

Empfehlung Quadrant AG vom 23. Juli 2002 E. 1.3.

97

Art. 27 BEHV-EBK.

98

Empfehlung Quadrant AG vom 23. Juli 2002 E. 4.3. Sehr weitgehend auch KISTLER, 247 f., wonach Sanierer regelmässig als Gruppe zu betrachten seien.

96

Sanierung und Pflichtangebot

besteht jedoch dann eine eigene Pflicht, wenn sie bereits selber eine qualifizierende Beteiligung erwerben99. Bleiben gleichwohl Zweifel, so kann die UEK ersucht werden, zum Bestehen einer Angebotspflicht Stellung zu nehmen100. Hierzu ist ein besonderes Verfahren vorgesehen, an welchem auch die EBK beteiligt ist101. 3.

Gegenstand des Pflichtangebotes

Das obligatorische Angebot erfasst alle kotierten Beteiligungspapiere der Zielgesellschaft102, also alle kotieren Inhaber- und Namenaktien, Partizipationsscheine und Genussscheine. Ausgenommen sind Obligationen und andere Gläubigertitel. Wandel- oder Erwerbsrechte (Optionen) werden wie bei anderen Angeboten behandelt, d.h. wenn diese Rechte vor dem endgültigen Ablauf der Angebotsfrist ausgeübt werden, sind die daraus resultierenden Titel vom Angebot erfasst103. Kommt es zum Pflichtangebot, so unterliegt dieses den Bestimmungen über die öffentlichen Kaufangebote104. Auch das Pflichtangebot kann entweder in Bar oder in Tausch gegen Beteiligungspapiere erfolgen105, jedoch enthalten das Gesetz und die Verordnungen einige Vorschriften, welche zusätzlich in die Privatautonomie des Anbieters eingreifen. So hat das Pflichtangebot innert zwei Monaten nach Überschreiten des Grenzwertes zu erfolgen, wobei die UEK aus wichtigen Gründen eine Fristverlängerung gewähren kann106. Sodann ist das Pflichtangebot mit einer Preisbestimmung gekoppelt, und Bedingungen dürfen nur aus wichtigen Gründen vorgesehen werden107.

99

S. Mitteilung Nr. 2 der UEK vom 21. Juli 1997 Ziff. II. S. jedoch die Ausnahmemöglichkeit von Art. 34 Abs. 2 lit. b BEHV-EBK (Empfehlung Esec Holding AG vom 15. Dezember 1998 E. 1 und 2).

100

Art. 32 Abs. 1 BEHV-EBK.

101

S. Art. 35 BEHV-EBK.

102

Art. 29 Abs. 1 BEHV-EBK.

103

Art. 29 Abs. 2 BEHV-EBK.

104

Art. 24 BEHV-EBK.

105

Art. 39 BEHV-EBK.

106

Art. 36 BEHV-EBK.

107

S. dazu vorn, I.5.

97

Rudolf Tschäni

4.

Sanktionen

Wird ein Pflichtangebot nicht unterbreitet, obschon die Verpflichtung hierzu besteht, kann der Zivilrichter die Ausübung des Stimmrechts desjenigen durch einstweilige Verfügung suspendieren, der die Angebotspflicht nicht beachtet. Dies setzt jedoch voraus, dass ein entsprechendes Begehren durch die Aufsichtsbehörde, die Zielgesellschaft oder eines ihrer Aktionäre gestellt wird108. Es ist auffallend, dass für die Nichtbeachtung der Angebotspflicht keine speziellen strafrechtlichen Bestimmungen im Börsengesetz vorgesehen sind109.

III. Ausnahmen von der Angebotspflicht 1.

Praxis der Übernahmekommission

a)

Banque Cantonale de Genève110

Infolge der Immobilienkrise in den neunziger Jahren war die Genfer Kantonalbank gezwungen, umfangreiche Rückstellungen zu bilden. Als Folge davon erfüllte sie die bankenrechtlichen Eigenmittelvorschriften nicht mehr, und die EBK setzte ihr eine Frist, um die Abweichung zu korrigieren. Hierzu wurde beschlossen, unter anderem eine Kapitalerhöhung durchzuführen, wobei der Kanton Genf überproportional partizipieren würde, falls die übrigen Aktionäre ihre Bezugsrechte nicht ausübten. Der Kanton Genf verfügte bereits über einen Stimmrechtsanteil von 39.9%, und es konnte nicht ausgeschlossen werden, dass dieser über 50% ansteigen würde111. Aus diesem Grunde stellte der Kanton Genf das Gesuch um eine Ausnahme von der Angebotspflicht, weil der Erwerb zu Sanierungszwecken erfolge. Eventuell stellte er den Antrag, dass ihm eine Übergangsfrist gewährt werde, um seine Beteiligung wieder unter 50% zu reduzieren. Subeventuell verlangte er eine Ausnahme, weil sich durch das Ansteigen seiner Beteiligung die Kontrollverhältnisse nicht ändern würden.

108

Art. 32 Abs. 7 BEHG.

109

S. hierzu Art. 40 ff. BEHG.

110

Empfehlung Banque Cantonale de Genève vom 29. Mai 2000.

111

Es handelte sich also um einen Fall von Art. 52 BEHG, in dem der kritische Schwellenwert 50% der Stimmrechte betrug.

98

Sanierung und Pflichtangebot

Die UEK gewährte eine Ausnahme von der Angebotspflicht, wobei sie sich zu den Eventualanträgen nicht weiter äusserte. Die Begründung war die folgende: •

Mit dem Erwerb zu Sanierungszwecken gemäss Art. 32 Abs. 2 lit. e BEHG sind alle Massnahmen gemeint, welche für die Sanierung bestimmt, geeignet und notwendig („destinées, aptes et nécessaires“) sind. Die in Art. 33 Abs. 1 lit. a BEHV-EBK genannte Massnahme (Kapitalherabsetzung und umgehende Kapitalerhöhung) ist lediglich eine von vielen möglichen Sanierungsmassnahmen, die zu einer Ausnahme berechtigen.



Die Sanierungsnotwendigkeit ergibt sich daraus, dass die vorhandenen Eigenmittel bankenrechtlich nicht ausreichten und die EBK der Bank Frist angesetzt hatte, den gesetzmässigen Zustand wieder herzustellen.



Ob die von der Generalversammlung getroffenen Massnahmen geeignet sind, die Sanierung herbeizuführen, wird von der UEK nur mit Zurückhaltung überprüft bzw. die Zweckmässigkeit dieser Massnahmen wird präsumiert, wenn ein Sanierungsfall vorliegt. Anhaltspunkte, um an der Zweckmässigkeit zu zweifeln, liegen keine vor.

Die UEK verknüpfte die Ausnahme mit der Auflage an die Genfer Kantonalbank, eine Stellungnahme des Verwaltungsrates zu veröffentlichen. Dies begründet sie mit dem Anspruch der Aktionäre auf rechtliches Gehör. Die Stellungnahme des Verwaltungsrates gestattet es den Aktionären, ihr Einspracherecht gegen die Gewährung der Ausnahme wahrzunehmen112. Die Stellungnahme des Verwaltungsrates ist analog der Stellungnahme der Zielgesellschaft bei einem öffentlichen Übernahmeangebot zu erstellen und zu veröffentlichen113. Die Veröffentlichung hat am gleichen Tag zu erfolgen, an dem die Ausnahme im Schweizerischen Handelsamtsblatt publiziert wird. Die Stellungnahme muss den Text von Art. 34 Abs. 4 BEHV-EBK wiedergeben, gemäss welchem die an der Zielgesellschaft Beteiligten innert einer Frist von zehn Börsentagen bei der EBK gegen die Befreiung von der Angebotspflicht Einsprache erheben können.

112

S. Art. 34 Abs. 4 BEHV-EBK. Auflagen kann die UEK gestützt auf Art. 34 Abs. 3 BEHVEBK aussprechen.

113

Dazu Art. 29 ff. UEV-UEK.

99

Rudolf Tschäni

b)

Complet-e Holding AG114

Bei der Complet-e Holding AG handelte es sich um eine Aktiengesellschaft, deren Aktienkapital CHF 5 Mio. betrug und deren Namenaktien am SWX New Market der Schweizer Börse kotiert waren. Schon kurz nach dem Börsengang geriet die Gesellschaft in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Als Teil der Sanierungsmassnahmen sollte das Aktienkapital der Gesellschaft auf CHF 1 Mio. reduziert und anschliessend mittels Sacheinlage und unter Ausschluss der Bezugsrechte der bestehenden Aktionäre um CHF 5.2 Mio. auf CHF 6.2 Mio. erhöht werden. Als Folge davon sollten die sanierenden Parteien über 51% der Stimmrechte der Gesellschaft verfügen. Ursprünglich war beabsichtigt, die Sanierung der Gesellschaft ohne Kapitalherabsetzung durchzuführen, weshalb die sanierenden Parteien das Gesuch gestellt hatten, sie in Anwendung von Art. 32 Abs. 2 lit. e BEHG (Erwerb zu Sanierungszwecken) von der Angebotspflicht zu befreien. Die UEK bestätigte zwar ihre in der Empfehlung Banque Cantonale de Genève vom 29. Mai 2000 indizierte Praxis, dass Sanierungsmassnahmen sowohl notwendig als auch geeignet sein müssen, den Fortbestand der Gesellschaft zu sichern, damit eine Ausnahme gewährt wird. Im vorliegenden Fall erachtete sie jedoch die allgemeine Ausnahme von Art. 33 Abs. 1 lit. a BEHV-EBK (Kapitalherabsetzung mit anschliessender Kapitalwiederaufstockung) als anwendbar, nachdem ihr mitgeteilt worden war, dass der Kapitalerhöhung eine Kapitalherabsetzung vorausginge. Sie betrachtete die Voraussetzungen für den Wegfall der Angebotspflicht gemäss Art. 33 Abs. 1 lit. a BEHV-EBK als erfüllt und verzichtete darauf, Widerspruch zu erheben115. Aufgrund des Sachverhaltes kann dem Fall entnommen werden, dass die allgemeine Ausnahme von Art. 33 Abs. 1 lit. a BEHV-EBK nicht nur dann anwendbar ist, wenn das Kapital um einen höheren Betrag erhöht wird, als es vorher reduziert worden ist. Ferner ist es unerheblich, dass die Bezugsrechte der Aktionäre für die Erhöhung ausgeschlossen wurden, und schliesslich ist ersichtlich, dass die sanierenden Parteien als eine Gruppe betrachtet worden sind, wobei hierzu im Sachverhalt keine spezifischen Angaben gemacht sind.

114

Empfehlung Complet-e Holding AG vom 21. November 2000.

115

Art. 33 Abs. 2 BEHV-EBK.

100

Sanierung und Pflichtangebot

Zu erwähnen ist noch, dass im Anschluss an die Wiederaufstockung des Kapitals die Complet-e Holding AG in Pragmatica Holding AG umfirmiert und den Aktionären ein Umtausch- und Rückkaufsangebot unterbreitet worden ist, mit welchem die sanierenden Parteien über 80% der Stimmrechte erwerben sollten. Die UEK stellte dieses Umtausch- und Rückkaufsangebot der Pragmatica Holding AG von der Anwendung der Bestimmungen über die öffentlichen Kaufangebote frei, wobei sie allerdings verschiedene Auflagen aussprach116. Sie betrachtete das Angebot als Bestandteil der umfassenden Sanierung der Gesellschaft, in welcher das Interesse der Aktionäre an einer strikten Beachtung der Schutzbestimmungen des BEHG weniger stark zu gewichten sei als das Interesse aller Beteiligten an der Fortführung der Geschäftstätigkeit der Gesellschaft. c)

Crossair, Aktiengesellschaft für europäischen Regionalluftverkehr117

Nicht zuletzt infolge seiner politischen Brisanz nahm die UEK diesen Fall zum Anlass, sich eingehend mit zwei Ausnahmegründen auseinanderzusetzen. Einerseits ging es um die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Ausnahme im Falle vorübergehender Überschreitung des Grenzwerts gewährt werden kann118. Zudem war zu prüfen, unter welchen Bedingungen eine Ausnahme greift, weil der Erwerb der Beteiligungspapiere zu Sanierungszwecken erfolgte119. Am 2. Oktober 2001 schlossen SAirLines mit der UBS AG und der Credit Suisse Group einen Kaufvertrag ab, womit sie den beiden Banken ihr Aktienpaket an der Crossair verkaufte, welches 70.35% der Stimmrechte der Crossair entsprach. Der Kaufvertrag wurde unmittelbar im Anschluss an die Unterzeichnung vollzogen, indem die Crossair Aktien den Herren Dr. Hans Nater und Dr. Laurent Killias als Treuhänder übertragen und der Kaufpreis der SAirLines bezahlt wurde. Etwas später, nämlich am 22. Oktober 2001, einigten sich der Bund, die Kantone und Vertreter der Privatwirtschaft über die Finanzierung, mit der die Crossair zu einer europäischen und interkontinentalen Fluggesellschaft aufgebaut werden sollte. Als Folge davon sollten die Beteiligungen der UBS AG und

116

Empfehlung Pragmatica Holding AG vom 14. Februar 2001.

117

Empfehlung Crossair, Aktiengesellschaft für europäischen Regionalluftverkehr, vom 7. November 2001.

118

Art. 32 Abs. 2 lit. c BEHG.

119

Art. 32 Abs. 2 lit. e BEHG.

101

Rudolf Tschäni

der Credit Suisse Group auf je unter 10% der Stimmen und des Kapitals reduziert werden. In Bezug auf die Treuhänder Dr. Hans Nater und Dr. Laurent Killias gewährte die UEK gestützt auf Art. 32 Abs. 2 lit. c BEHG (vorübergehende Überschreitung des Grenzwertes) eine Ausnahme. Sie hielt dazu fest, dass eine solche Ausnahme nur dann erhältlich sei, wenn die den Grenzwert überschreitenden Aktien innert einer bestimmten Frist wieder veräussert werden. Ausserdem darf im Zeitraum der Grenzwertüberschreitung kein wesentlicher Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft ausgeübt werden. Im vorliegenden Fall befristete die UEK die Ausnahme auf zwei Monate, und sie untersagte es den Treuhändern, an der bevorstehenden Generalversammlung die Stimmrechte auszuüben, falls die Beteiligung bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiterveräussert worden wäre. Die Übertragung an die Treuhänder war erfolgt, um die notwendigen wettbewerbsbehördlichen Bewilligungen abzuwarten. Sobald diese eingetroffen waren, sollten die Treuhänder die Beteiligungen weiterveräussern. Es war somit evident, dass der Grenzwert nur kurzfristig überschritten würde. In Bezug auf die UBS AG und die Credit Suisse Group lehnte es die UEK jedoch ab, eine Ausnahme gestützt darauf zu gewähren, dass der Grenzwert nur zeitlich vorübergehend überschritten wird. Dies mit der Begründung, dass die UBS AG und die Credit Suisse Group mit ihren Stimmrechten den Antrag des Verwaltungsrates der Crossair für eine Kapitalerhöhung der Gesellschaft zur Realisierung des Projektes „Phoenix Plus“ unterstützen wollte, womit wesentlicher Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft genommen werde. Die Angebotsbefreiung nach Art. 32 Abs. 2 lit. c BEHG (vorübergehende Überschreitung des Grenzwertes) ist nach Praxis der UEK jedoch für Fälle reserviert, in denen der Erwerber in der Zeit der Überschreitung des Grenzwertes keinen oder nur geringen Einfluss auf die Gesellschaft ausübt. Die UEK gewährte der UBS AG und der Credit Suisse Group jedoch eine Ausnahme, weil der Erwerb zu Sanierungszwecken erfolgt war. Die UEK hält fest, dass von einem betriebswirtschaftlichen Sanierungsbegriff auszugehen ist, welcher alle Massnahmen umfasst, die dazu dienen, die einer wirtschaftlich notleidenden Unternehmung anhaftenden, existenzgefährdenden Schwächen zu beheben und ihre Ertragskraft wieder herzustellen120. Es ist mit anderen Worten nicht

120

102

Die UEK bezieht sich hierfür auf BOEMLE/STOLZ, 582.

Sanierung und Pflichtangebot

notwendig, dass die zu sanierende Gesellschaft bereits eine Unterbilanz, Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit aufweist, damit die Ausnahme von der Angebotspflicht gewährt werden kann. Vom Gesuchsteller wird aber der Nachweis verlangt, dass die gewählten Massnahmen notwendig und nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge mit vernünftiger Wahrscheinlichkeit geeignet sind, den Fortbestand der betroffenen Gesellschaft zu sichern. Der Sanierungsbedarf wurde bejaht, weil dargetan werden konnte, dass die Crossair ohne finanzielle Unterschützung kurzfristig mit hoher Wahrscheinlichkeit illiquid geworden und in Zahlungsverzug geraten wäre. Das Herauslösen der Crossair aus der in Nachlass gehenden SAirGroup sowie das Zurverfügungstellen von Darlehen und die Durchführung einer Kapitalerhöhung der Crossair wurden als notwendige und geeignete Massnahmen akzeptiert. Die Ausnahme wurde mit der Auflage verknüpft, dass das unterbreitete Sanierungskonzept umgesetzt wird. Insbesondere sollten sich die UBS AG und die Credit Suisse Group im angekündigten Umfange an der vorgesehen Kapitalerhöhung beteiligen und die Grenzwertüberschreitung der beiden Gesuchsteller sollte nicht länger als rund vier Monate dauern. Des Weiteren hatten die Gesuchsteller die UEK über alle Änderungen zu informieren, welche den Inhalt und die Umsetzung des Projektes „Phoenix Plus“ betrafen. Auch hier wurde wieder verlangt, dass der Bericht des Verwaltungsrates der Zielgesellschaft (Crossair) veröffentlicht wird. d)

4M Technologies Holding121

Bei der 4M Technologies Holding („4M Holding“) handelte es sich um eine Gesellschaft, deren Titel am SWX New Market der Schweizer Börse kotiert waren. Die Statuten enthielten eine Opting-Up Klausel, wobei der Schwellenwert auf 40% festgelegt war. Nachdem sie in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten war, wurde die 4M Holding zunächst mit weiteren Bankdarlehen gestützt. Die Darlehen wurden durch die 4M Holding sowie ihre hauptsächliche Tochtergesellschaft, die 4M SA, dinglich gesichert. Die 4M SA musste schliesslich um Nachlassstundung ersuchen. Eine Reihe von Investoren erklärten sich für einen Sanierungsplan bereit. Danach sollten die Gläubiger der 4M SA eine Nachlassdividende von 20% erhalten. Diese sollte durch eine Kapitalerhöhung 121

Empfehlung 4M Technologies Holding vom 14. Februar 2002.

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Rudolf Tschäni

finanziert werden, welche die 4M Holding beschliessen sollte. Die Kapitalerhöhung sollte einerseits dadurch erfolgen, dass die Investoren Bankdarlehen übernehmen sollten, welche der 4M Holding gewährt worden waren. Diese sollten anschliessend in Aktienkapital umgewandelt werden. Andererseits sollten neue Aktien mittels Barliberierung ausgegeben werden. In beiden Fällen sollte das Bezugsrecht der Aktionäre ausgeschlossen werden. Schliesslich sollte bedingtes Aktienkapital geschaffen werden, mit welchem die Umwandlung eines hypothekarisch gesicherten Darlehens ermöglicht werden sollte, sowie bedingtes Aktienkapital im Rahmen eines Mitarbeiterplans. Der zwischen den Investoren abgeschlossene Vertrag sah unter anderem die Bedingung vor, dass die UEK eine Ausnahme zur Angebotspflicht gewährt. Ein entsprechendes Gesuch stellten die Investoren für den Fall, dass sie den Grenzwert von 40% der Stimmrechte überschreiten sollten. Bei Umsetzung des Plans hätten sie zusammen tatsächlich rund 70% der Stimmrechte erreicht. Die Empfehlung enthält zunächst eine Zusammenfassung der bisherigen Praxis. Namentlich wird bestätigt, dass in Sanierungszusammenhängen das Interesse der Aktionäre an der Fortführung der Gesellschaft dem Interesse weichen könne, dass ein Pflichtangebot unterbreitet wird. Weiter wird bestätigt, dass von einem betriebswirtschaftlichen Sanierungsbegriff auszugehen ist. Die Bilanz der 4M Holding enthielt im Wesentlichen die Beteiligung an der 4M SA und eine Forderung gegenüber dieser Gesellschaft von CHF 120 Mio. Konsolidiert wies die 4M Gruppe einen Verlustvortrag von CHF 28 Mio. auf. Demzufolge erschien es klar, dass 4M Holding ebenfalls liquidiert werden müsste, sofern der Sanierungsplan nicht umgesetzt würde. Diesfalls hätte die 4M Holding ihre Beteiligung und ihr Darlehen entsprechend abschreiben müssen. Die UEK hielt fest, dass unter diesen Umständen die geplanten Massnahmen notwendig waren, um die Gesellschaft zu sanieren. Entsprechend gewährte sie im Sinne von Art. 32 Abs. 2 lit. e BEHG eine Ausnahme, weil der Erwerb zu Sanierungszwecken erfolgte. Dabei bestätigte sie, dass sie die Angemessenheit der von der Generalversammlung zu beschliessenden Sanierungsmassnahmen nur mit Zurückhaltung beurteile und diese im Prinzip präsumiere. Gleichzeitig hielt sie fest, dass die Schaffung von bedingtem Kapital im Rahmen einer Mitarbeiterbeteiligung nicht als Sanierungsmassnahme zu betrachten ist und insofern die von ihr gewährte Ausnahme nicht greift.

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Sanierung und Pflichtangebot

Wie schon in den vergangen Fällen holte die UEK die Stellungnahme des Verwaltungsrates der Zielgesellschaft ein und verlangte, dass diese veröffentlicht werde. Die Ausnahme wurde mit gewissen Auflagen und Bedingungen verbunden. Dazu gehörte es, dass die geplanten Kapitalerhöhungen von der Generalversammlung beschlossen werden, dass die Gesuchsteller die UEK regelmässig über den Fortschritt des Sanierungsplans unterrichten und dass die Stellungnahme der Zielgesellschaft veröffentlicht wird. e)

Tornos Holding AG122

Bei der Tornos Holding AG handelt es sich um eine börsenkotierte Aktiengesellschaft mit einem Aktienkapital von CHF 115 Mio. Ein Opting-Out ist in den Statuten nicht vorgesehen, ebensowenig ein Opting-Up. Hauptaktionärin war die Doughty Hanson Gruppe, welche 33.13% der Stimmen und des Kapitals hielt. Aufgrund eines revidierten Zwischenabschlusses war erstellt, dass die Gesellschaft offensichtlich überschuldet war, d.h. dass die Forderungen der Gesellschaftsgläubiger nicht mehr gedeckt waren. Dies war die Folge von Verlusten, welche die Gesellschaft in den vorausgehenden Geschäftsperioden erlitten hatte. Zur Sanierung der Tornos unterzeichneten verschiedene Parteien, darunter die Doughty Hanson und die Credit Suisse sowie weitere Banken, eine Grundsatzvereinbarung. Danach sollte das Kapital zunächst auf einen Zehntel (d.h. CHF 11.5 Mio.) reduziert und anschliessend auf mindestens CHF 46.5 Mio. und maximal CHF 84.5 Mio. erhöht werden. Die Kapitalerhöhung wurde in zwei Tranchen vorgesehen. Die erste sollte unmittelbar nach der Generalversammlung unter Ausschluss des Bezugsrechts der bisherigen Aktionäre zugunsten der Investoren erfolgen, welche zusammen mit anderen Parteien die Grundsatzvereinbarung unterzeichnet hatten. Zirka zwei Monate später sollte eine zweite Tranche unter Wahrung des Bezugsrechts folgen. Die Grundsatzvereinbarung enthielt eine Reihe von weiteren Massnahmen, darunter die Schaffung von genehmigtem Aktienkapital für die Umwandlung von Forderungen der Gläubiger der Tornos Gruppengesellschaften. Die Altaktionäre sollten Gratisoptionen erhalten. Das Bankensyndikat, welches einen namhaften Forderungsverzicht

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Empfehlung Tornos Holding AG vom 26. Juli 2002.

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akzeptierte, sollte ebenfalls Optionen erhalten. Insgesamt sollten die Optionen durch bedingtes Aktienkapital abgesichert werden. Die Grundsatzvereinbarung enthielt überdies eine Lock-up Vereinbarung sowie die Verpflichtung, die Aktienstimmen im Sinne der Vereinbarung auszuüben. Die Vereinbarung war an verschiedene Bedingungen geknüpft, darunter daran, dass die UEK festhalte, dass weder die Grundsatzvereinbarung noch deren Vollzug zu einer Angebotspflicht führe. Die Gesuchsteller verlangten eine Ausnahme von der Angebotspflicht mit der Begründung, der Grenzwert werde bloss vorübergehend überschritten und die Überschreitung erfolge zu Sanierungszwecken. Die UEK hielt zunächst fest, dass Doughty Hanson, die Credit Suisse und weitere Parteien, welche bei Abschluss der Grundsatzvereinbarung bereits Aktien hielten, als eine organisierte Gruppe im Sinne von Art. 27 BEHV-EBK zu betrachten seien. Dies deshalb, weil sie sich verpflichtet hatten, an der geplanten Generalversammlung dem Kapitalschnitt zuzustimmen und im Rahmen der Kapitalerhöhung Aktien zu zeichnen. Nachdem diese Parteien zusammen ca. 34.61% der Stimmen von Tornos auf sich vereinigten, bedeutet dies wohl sinngemäss, dass nach Meinung der UEK bereits der Abschluss der Grundsatzvereinbarung die Angebotspflicht auslöste, und zwar ungeachtet der Tatsache, dass die Parteien ihre Vereinbarung dadurch bedingt hatten, dass sie nicht zu einer Angebotspflicht führen dürfe. Die UEK hielt sodann fest, dass aufgrund der abgegebenen Zeichnungserklärung auch die weiteren Parteien der Grundsatzvereinbarung, die zwar noch nicht Aktionäre waren, dies jedoch im Rahmen der Kapitalerhöhung werden sollten, der Gruppe hinzuzuzählen seien. Die UEK bestätigte sodann ihre Praxis, dass eine Ausnahme aufgrund vorübergehenden Überschreitens des Grenzwertes nicht gewährt werden könne, wenn ein Aktionär bzw. eine Gruppe kurz vor einer Generalversammlung den Grenzwert überschreitet, an der Generalversammlung grundlegende Änderungen durchsetzt, und anschliessend die Beteiligung wieder abbaut bzw. sich die Gruppe wieder auflöst. Aus diesem Grund wurde daher die Ausnahme verweigert. Soweit es um den Erwerb zu Sanierungszwecken ging, wandte die UEK ihre bisher entwickelte Praxis auf den vorliegenden Fall an und bestätigte diese insofern. Es ist also von einem betriebswirtschaftlichen Sanierungsbegriff auszugehen, die Angemessenheit der von der Generalversammlung zu treffenden Sanierungsmassnahmen wird mit Zurückhaltung geprüft bzw. präsumiert, es wird eine Stellungnahme des Verwaltungsrates eingeholt, welche zu veröffentli-

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Sanierung und Pflichtangebot

chen ist, und die UEK will über den Verlauf des Sanierungsverfahrens unterrichtet werden, nachdem sie die Ausnahme gewährt hat. Weiter erfolgte die Auflage, dass das Sanierungskonzept bis zu einem bestimmten Zeitpunkt umgesetzt werde und die an der Grundsatzvereinbarung beteiligten Personen die UEK über die von ihnen getätigten Transaktionen in Beteiligungspapieren der Tornos informieren und zwar von der Unterzeichnung der Vereinbarung an bis zur Eintragung der in der Vereinbarung genannten Generalversammlungsbeschlüsse im Handelsregister. Änderungen der Grundsatzvereinbarung sind der UEK – wie im Falle der Crossair – zu melden. 2.

Zusammenfassung und Würdigung der bisherigen Praxis

Die bisherige Praxis zu Sanierungsfällen zeigt, dass Gesuche um eine Ausnahme von der UEK gestützt auf die folgenden drei Rechtsgründe geprüft worden sind: •

Allgemeine Ausnahme, weil der Grenzwert im Rahmen einer Sanierung infolge einer zur Verrechnung eines Verlustes durchgeführten Kapitalherabsetzung und umgehenden Kapitalerhöhung überschritten wird123;



Besondere Ausnahme, weil der Grenzwert nur vorübergehend überschritten wird124;



Besondere Ausnahme bei Erwerb zu Sanierungszwecken125.

Die allgemeine Ausnahme wurde in einem Falle gewährt126. Dabei spielt es keine Rolle, dass das Bezugsrecht der Aktionäre ausgeschlossen und das Kapital um einen grösseren Betrag erhöht wurde, als es vorher herabgesetzt worden war. Die besondere Ausnahme gestützt auf den Grund, dass lediglich eine vorübergehende Grenzüberschreitung vorliege, wurde lediglich in einem Falle gewährt127. In den anderen Fällen wurde eine Ausnahmegewährung im Wesentlichen deswe-

123

Art. 33 Abs. 1 lit. a BEHV-EBK.

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Art. 32 Abs. 2 lit. c BEHG.

125

Art. 32 Abs. 2 lit. e BEHG.

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Empfehlung Complet-e Holding AG vom 21. November 2000.

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Empfehlung Crossair, Aktiengesellschaft für europäischen Regionalluftverkehr, vom 7. November 2001 in Bezug auf den Erwerb durch die Treuhänder Dr. Hans Nater und Dr. Laurent Killias.

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Rudolf Tschäni

gen abgelehnt128, weil sich die sanierenden Parteien in einer Vereinbarung verpflichtet hatten, ihre Aktien an der bevorstehenden Generalversammlung im Sinne der Vereinbarung zu stimmen, d.h. das Kapital der Gesellschaft neu zu strukturieren (Kapitalherabsetzung mit anschliessender Heraufsetzung), sowie den Verwaltungsrat neu zu bestimmen. Die Ausnahmen sind bisher im Wesentlichen gestützt darauf gewährt worden, dass der Erwerb zu Sanierungszwecken129 erfolgte. Die wesentlichen Eckpunkte dieser Praxis sind die folgenden: •

Auszugehen ist von einem betriebswirtschaftlichen Sanierungsbegriff. Es muss mit anderen Worten eine wirtschaftliche Existenznot vorhanden sein. Das bedeutet nicht, dass eine Gesellschaft bereits eine Unterbilanz aufweisen oder überschuldet sein muss. Auch ist nicht vorausgesetzt, dass sie schon zahlungsunfähig ist. Es braucht nicht abgewartet zu werden, bis Unterbilanz, Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit effektiv eintreten. Es reicht aus, dass diese eintreten werden, wenn keine Sanierungsmassnahmen ergriffen werden.



Die Notwendigkeit der Sanierung ist vom Gesuchsteller aufgrund wirtschaftlicher Fakten darzulegen. Für die Sanierungsmassnahmen hält sich die UEK in ihrer Beurteilung zurück, doch müssen diese geeignet sein, die Sanierung herbeizuführen.



Die UEK holt die Stellungnahme des Verwaltungsrates der Zielgesellschaft ein, bevor sie ihre Empfehlung ausspricht. Die Stellungnahme des Verwaltungsrates muss sich nicht nur zur Notwendigkeit der Sanierung und zur Zweckmässigkeit der Sanierungsmassnahmen äussern, sondern sie muss auch dartun, ob sich der Verwaltungsrat in einem Interessenkonflikt befindet und, sofern dies der Fall ist, welche Massnahmen diesbezüglich getroffen werden. Die Stellungnahme hat analog zur Stellungnahme des Verwaltungsrates einer Zielgesellschaft im Rahmen eines öf-

128

Empfehlungen Crossair, Aktiengesellschaft für europäischen Regionalluftverkehr, vom 7. November 2001 in Bezug auf UBS AG und Credit Suisse Group sowie Tornos Holding AG vom 26. Juni 2002.

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Empfehlung Banque Cantonale de Genève vom 29. Mai 2000; Empfehlung Complet-e Holding AG vom 21. November 2000; Empfehlung Crossair, Aktiengesellschaft für europäischen Regionalluftverkehr, vom 7. November 2001; Empfehlung 4M Technologies Holding vom 14. Februar 2002; Empfehlung Tornos Holding AG vom 26. Juni 2002.

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Sanierung und Pflichtangebot

fentlichen Übernahmeangebotes zu erfolgen. Sodann ist die Stellungnahme des Verwaltungsrates zu veröffentlichen und die Aktionäre sind auf ihr Recht zur Einsprache hinzuweisen. Die Praxis der UEK ist zu begrüssen. Es ist richtig, dass die vorübergehende Grenzüberschreitung in Sanierungszusammenhängen nur dann einen ausreichenden Grund für eine Ausnahme bilden kann, wenn der die Angebotspflicht auslösende (vorübergehende) Erwerb ausnahmsweise nicht dazu führt, dass die Gesellschaft neu ausgerichtet wird. Verpflichten sich jedoch die sanierenden Parteien, wie dies meistens der Fall ist, das Kapital neu zu strukturieren und hierzu eine Generalversammlung einzuberufen, an welcher sie ihr Stimmrecht ausüben und an welcher sie auch den Verwaltungsrat neu bestimmen, so muss das Ausnahmegesuch gestützt darauf geprüft werden, ob der Erwerb zu Sanierungszwecken erfolgt ist. Nur wenn dies zutrifft, kann eine Ausnahme gewährt werden130. In diesem Zusammenhang ist es namentlich zu unterstützen, dass die UEK von einem betriebswirtschaftlichen Sanierungsbegriff ausgeht. Es wäre widersinnig, zuerst abzuwarten, dass die Gesellschaft eine Unterbilanz entwickelt oder überschuldet wird und erst dann das Gesuch um die Ausnahme stellen zu können. Ebenso zutreffend ist die Ansicht der UEK, dass die allgemeine Ausnahme gemäss Art. 33 Abs. 1 lit. a BEHV-EBK131 ausnahmefähige Sanierungen nicht abschliessend ordnet, sondern Raum lässt für eine Einzelfallbeurteilung gemäss Art. 34 BEHV-EBK, auch wenn das Verhältnis der beiden Bestimmungen zur Zeit noch unklar ist. Umgekehrt muss es dem Gesuchsteller überlassen sein nachzuweisen, dass ein Sanierungsfall vorliegt, selbst wenn (noch) keine Unterbilanz oder Überschuldung gegeben ist. Der Gesuchsteller wird darlegen müssen, dass ohne die vorgeschlagenen Massnahmen eine Unterbilanz, Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit unausweichlich würden. Man wird hier einen relativ strengen Massstab anwenden müssen, denn das Bejahen eines Sanierungsfalles führt im Wesentlichen dazu, dass die Angebotspflicht und damit ein Minderheitenrecht entfallen. Ebenfalls zu begrüssen ist, dass sich die UEK nicht anmasst, die An-

130

Dies schliesst allerdings nicht aus, dass die Ausnahme unter Umständen bereits aus anderen Gründen gewährt werden kann, z.B. weil sich an den effektiven Kontrollverhältnissen nichts ändert.

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Kapitalherabsetzung mit anschliessender Wiederaufstockung zur Verrechnung eines Verlustes.

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gemessenheit der Sanierungsmassnahmen zu überprüfen bzw. dies nur mit Zurückhaltung tun will. Eine Überprüfung im Einzelnen würde Einsicht in die gesamten Umstände des betreffenden Unternehmens voraussetzen und die betriebswirtschaftliche Verantwortung muss bei den unmittelbar Beteiligten verbleiben. Verfahrensmässig ist schliesslich zu unterstützen, dass die Stellungnahme des Verwaltungsrates eingeholt werden muss. Die UEK betont in ihren Empfehlungen auch regelmässig, dass dem Urteil des Verwaltungsrates als Vertreter der Aktionärsinteressen bei der Einschätzung des Sanierungstatbestandes und der vorgenommenen Sanierungsmassnahmen grosse Bedeutung zukommt. Der Verwaltungsrat ist in dieser Stellungnahme dem Interesse der Zielgesellschaft verpflichtet und damit auch dem der Aktionäre. Die Stellungnahme bildet sodann die Grundlage dafür, dass die Aktionäre ihr Einspracherecht wahrnehmen können. Von besonderer Bedeutung in Sanierungszusammenhängen ist der Begriff der abgestimmten Verhaltensweise bzw. der Gruppe. Für Sanierungen finden sich in der Regel verschiedene Parteien zusammen, so dass sich die Frage stellt, ob diese eine Gruppe bilden und infolgedessen ein Pflichtangebot abgeben müssen. Dies kann namentlich dann der Fall sein, wenn sich bereits bestehende Aktionäre vertraglich über Sanierungsmassnahmen einigen. Im Falle Tornos haben die Parteien die Grundsatzvereinbarung der Bedingung unterworfen, dass keine Angebotspflicht ausgelöst wird. Betrachtet man die Parteien ungeachtet dieser Bedingung bereits als eine Gruppe, wie dies die UEK getan hat, so wird die Angebotspflicht schon durch den Vertragsabschluss und nicht erst durch den Vollzug ausgelöst. Gewährt nun die UEK keine Ausnahme bzw. wird die Ausnahme im Rahmen eines Einspracheverfahrens oder durch die EBK rückgängig gemacht, so sind die sanierenden Parteien gehalten, ein Pflichtangebot zu unterbreiten. Wollen sich die sanierenden Parteien nur bedingt verpflichten, können sie m.E. jedoch erst dann als Gruppe betrachtet werden, wenn die Bedingung eingetreten ist. Andernfalls fällt die Vereinbarung dahin, die Parteien sind nicht zur Aktienzeichnung bzw. zu einem bestimmten Stimmrechtsverhalten verpflichtet, und es bestehen keine organisierten Vorkehrungen mehr. Anders zu entscheiden bedeutet, dass in Zukunft die sanierenden Parteien darauf verzichten werden, eine vertragliche Vereinbarung zu unterzeichnen, bevor sich die UEK zur Angebotspflicht geäussert hat. Damit werden aber weitere Hindernisse errichtet, und es besteht die Gefahr, dass an sich erwünschte Sanierungen nicht zustande kommen können.

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Literaturverzeichnis BOEMLE MAX/STOLZ CARSTEN, Unternehmungsfinanzierung, 13. Aufl., Zürich 2002. BÖCKLI PETER, Schweizer Aktienrecht, 2. Aufl., Zürich 1996. FELDMANN MATTHIAS, L’obligation de présenter une offre publique d’acquisition à la suite d’une prise de contrôle, Aachen 1999. GRUBER MARCO, Die Pflicht zum Übernahmeangebot im neuen Börsengesetz, Zürich 1996. HERTIG GÉRARD/MEIER-SCHATZ CHRISTIAN J./ROTH ROBERT/ROTH URS P./ZOBL DIETER (Hrsg.), Kommentar zum Bundesgesetz über die Börsen und den Effektenhandel, Zürich 2000 (zit.: BEHG Kommentar). KISTLER PASCAL M., Die Erfüllung der (aktien- und börsenrechtlichen) Meldepflicht und Angebotspflicht durch Aktionärsgruppen, Zürich 2001. KÖPFLI CHRISTIAN, Die Angebotspflicht im schweizerischen Kapitalmarktrecht, Zürich 2000. VOGT NEDIM PETER/WATTER ROLF (Hrsg.), Kommentar zum Schweizerischen Kapitalmarktrecht, Bundesgesetz über die Börsen und den Effektenhandel (Börsengesetz, BEHG), Bundesgesetz über die Anlagefonds (Anlagefondsgesetz, AFG), Art. 161, 161bis, 305bis, 305ter Strafgesetzbuch, Basel/Genf/München 1999 (zit.: Basler Kommentar). VON DER CRONE HANS CASPAR/IFFLAND JACQUES/WEY RENATE, Aktuelle Fragen des Übernahmerechts, in: NOBEL PETER (Hrsg.), Aktuelle Rechtsprobleme des Finanz- und Börsenplatzes Schweiz, Bd. 9, Bern 2001, 105 ff.

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