Sanierung in der Insolvenz

Prof. Dr. Georg Bitter Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Bank- und Kapitalmarktrecht, Insolvenzrecht Sanierung in der Insolvenz – Der Beitrag von Tre...
Author: Ida Becker
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Prof. Dr. Georg Bitter Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Bank- und Kapitalmarktrecht, Insolvenzrecht

Sanierung in der Insolvenz – Der Beitrag von Treue- und Aufopferungspflichten zum Sanierungserfolg –

Vortrag beim 6. Mannheimer Insolvenzrechtstag am 18. Juni 2010 www.georg-bitter.de

© 2010 Prof. Dr. Georg Bitter – Universität Mannheim

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Sanierungsfall: Weltklima

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Sanierungsfall: Weltklima

Klima-Gipfel in Kopenhagen gescheitert

Das war Floppenhagen! Nur Minimalkonsens +++ Chaotische Organisation +++ Rasmussen überfordert

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Sanierungsfall: Unternehmen in der Insolvenz

1. Kredite sind gekündigt / Liquidität fehlt 2. Lieferanten drohen abzuspringen 3. Abnehmer schauen sich nach neuen Bezugsquellen um 4. Beste Arbeitnehmer verlassen das Unternehmen wegen unsicherer Zukunftsaussichten Ö Zeitproblem: Sanierung unter Extrembedingungen Ö Hohe Bedeutung von Blockadepositionen / Trittbrettfahrertum

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Gliederung

1. Übertragende Sanierung und Insolvenzplan ¾ Einführung und Sanierungshindernisse

2. Sanierungsbeteiligte – Pflichtenbindungen im Überblick 3. Rücksichtnahme-/Aufopferungspflichten in Krise und Insolvenz ¾ Einbindung von Gläubigern + Gesellschaftern in Sanierungspläne

4. Stellung der Anteilseigner im Insolvenzplanverfahren ¾ Zugriff des Insolvenzverwalters auf die Gesellschaftsanteile © 2010 Prof. Dr. Georg Bitter – Universität Mannheim

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Übertragende Sanierung + Planverfahren

1.

2.

Ö

Sanierung durch Insolvenzplan ¾

Erhalt des Unternehmens

¾

Erhalt des Unternehmensträgers

¾

Befriedigung der Gläubiger durch (reduzierte) Ansprüche gegen den alten = neuen Unternehmensträger oder Beteiligung (debt-equity-swap)

Übertragende Sanierung ¾

Erhalt des Unternehmens Ö Trennung der Aktiva von den Passiva durch Asset-Deal

¾

Liquidation des alten Unternehmensträgers

¾

Befriedigung der Gläubiger durch Insolvenzquote (mittelbare Ausschüttung des Kaufpreises)

grundsätzlich gleichwertige Methoden der Gläubigerbefriedigung © 2010 Prof. Dr. Georg Bitter – Universität Mannheim

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Übertragende Sanierung + Planverfahren

Rettung aus der Insolvenz (2007) – Befragung von Insolvenzverwaltern –

Möglichkeiten der Weiterführung von insolventen Unternehmen 80 70 60

62 56

50 40

51

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34

32

20 10 6

0

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10

Sanierung mit Insolvenzplan … bis zu 0.5 Mio Umsatz

Übertragende Sanierung … 0.5 - unter 5 Mio Umsatz

Liquidation

… 5 - über 50 Mio Umsatz

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Vorteil der übertragenden Sanierung

Ö

Abtrennung der Passiva ohne Mitwirkung der Gläubiger ¾

§ 25 Abs. 1 S. 1 HGB (Haftung für Firmenfortführung) Ausnahme nach h.M. bei Unternehmenserwerb nach Verfahrenseröffnung (teleologische Reduktion)

¾

§ 75 Abs. 1 AO (Haftung des Betriebsübernehmers) Ausnahme nach Absatz 2 für Erwerbe aus einer Insolvenzmasse

¾

§ 613a Abs. 1 S. 1 BGB (Rechte und Pflichten bei Betriebsübergang) Ausnahme nach BAG bei der Haftung für Altverbindlichkeiten, wenn Betriebsübergang nach Verfahrenseröffnung erfolgt aber: Arbeitsverhältnisse gehen unbeschränkt über! (Sanierungshindernis)

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Nachteil der übertragenden Sanierung

Ö

keine Möglichkeit der Verwertung aller mit dem Unternehmensträger verbundenen Werte ¾

günstige (langfristige) Verträge

¾

nicht übertragbare Lizenzen, Zertifizierungen, Akkreditierungen etc.

¾

öffentlich-rechtliche Genehmigungen

¾

Börsennotierung

¾

steuerliche Verlustvorträge

Ö

Problem bei Schaffung der Insolvenzordnung nicht (voll) erkannt

Ö

Blockadeposition der Altgesellschafter

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Details bei Bitter/Laspeyres, ZIP 2010, 1157 ff. © 2010 Prof. Dr. Georg Bitter – Universität Mannheim

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Sanierungshindernisse

Insolvenzen in Zeiten der Finanzkrise (2009) – Befragung von Insolvenzverwaltern –

Möglicher Nutzen von Änderungen des Insolvenzrechts (Auszug) Abschaffung des 613a BGB (während der Krise)

70

Radikale Vereinfachung + Beschleunigung des Insolvenzplans

60

Zuständigkeit des Verwalters für Änderungen des Gesellschaftsvertrags im Planverfahren Umfassende Befugnis des Verwalters zum Eingriff in Gesellschafterrechte Basis: N = 107; Angaben in %

14

7

21

56

22

43

33

Sehr hilfreich

Hilfreich

Lehne ich ab

Keine Angabe

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6

6

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Unentschieden

Frage 24: Manche Insolvenzverwalter plädieren für Änderungen am Insolvenzrecht. Wie denken Sie über die folgenden Vorschläge? (gestützt, skaliert)

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Sanierungsbeteiligte – Pflichtenbindung im Überblick –

Gläubiger 1

Gläubiger 2 „ BGHZ 116, 319

?

(Akkordstörer) „ Eidenmüller (Kooperationspflichten)

Gesellschafter 1 „ BGHZ 129, 136 (Girmes) „ BGH ZIP 2009, 2289 (Sanieren oder Ausscheiden)

Unternehmensträger Gesellschafter 2 © 2010 Prof. Dr. Georg Bitter – Universität Mannheim

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Vertragliche Bindung + Treuepflicht

Intensität der Pflicht zur Rücksichtnahme Pflichten des 10 § 241 II BGB

10

5

5

Deliktische Verkehrspflicht

0

0 Intensität der vertraglichen Bindung

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Einwirkungsmacht + Aufopferung

Intensität der Pflicht zur Rücksichtnahme Pflicht zur Aufopferung

Deliktische Verkehrspflicht

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Intensität der Einwirkungsmacht

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Aufopferungs- und Treuepflichten

Intensität der Pflicht zur Rücksichtnahme

20

20

15

15

20

20 10 Aufopferung

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5

0

10 15 5

Treuepflicht

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Intensität der vertraglichen Bindung © 2010 Prof. Dr. Georg Bitter – Universität Mannheim

10 0 5

Intensität der Einwirkungsmacht

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Aufopferungs- und Treuepflichten

Intensität der Pflicht zur Rücksichtnahme

20

„Girmes“ „Sanieren oder Ausscheiden“

20

15 20

Aufopferung

15 20

10 15

10 15

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5

0

Ein

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Intensität der vertraglichen Bindung

Treuepflicht

5

10 0 5

Intensität der Einwirkungsmacht

0

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Anteilseigner im Insolvenzplanverfahren

1. Problem: Blockadeposition der Anteilseigner ¾ Historie der Insolvenzordnung: Ablehnung eines gerichtlichen Eingriffs in Anteilseignerrechte ¾ Grund: verfassungsrechtliche Bedenken gegen „Expropriierung“ ¾ Noack: allseits akzeptierte Sichtweise, dass der Verwalter nur für die Vermögensangelegenheiten der Schuldnergesellschaft zuständig ist, während ihn die gesellschaftsrechtliche Verfassung nichts angeht ¾ Uhlenbruck: Auffassungen, die Gesellschafterbeteiligungen als Teil der Masse ansehen, stehen in krassem Widerspruch zum Wortlaut des Gesetzes und zur Begründung des Regierungsentwurfs

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Anteilseigner im Insolvenzplanverfahren

2. Eigene Ansicht: Anteilseigner als (Sicherungs-)Treuhänder ¾ klare Befriedigungsreihenfolge der Insolvenzordnung ƒ Massegläubiger (§§ 53 ff. InsO) ƒ (normale) Insolvenzgläubiger (§ 38 InsO) ƒ nachrangige Insolvenzgläubiger (§ 39 InsO) ƒ Anteilseigner als doppelt nachrangige (Insolvenz-)Gläubiger (§ 199 InsO)

¾ (formale) Rechtsposition dient nur der Sicherung des § 199 InsO ¾ Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters analog § 166 InsO ¾ Herausgabeanspruch aus Verwaltungstreuhand bei fehlender Erwartbarkeit eines Überschusses (Wegfall des Sicherungszwecks) © 2010 Prof. Dr. Georg Bitter – Universität Mannheim

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Anteilseigner im Insolvenzplanverfahren

3. Verstoß gegen Art. 20 Abs. 3 GG ? ¾ keine positive Anordnung des Gesetzgebers, sondern Unterlassung einer Regelung ¾ Motivirrtum des Gesetzgebers ¾ verfassungskonforme Auslegung ¾ siehe auch die Rechtsfortbildung bei BGH v. 15.4.2010 – IX ZR 188/09 (ZIP 2010, 1039, Rdn. 25 ff.): Erlöschen der Nachzahlungsansprüche von Vorzugsaktionären mit Erfüllung des Insolvenzplans

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Schluss

Gemeinnutz vor Eigennutz im Insolvenzverfahren

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© 2010 Prof. Dr. Georg Bitter Universität Mannheim Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Bank- und Kapitalmarktrecht, Insolvenzrecht Schloss, Westflügel W 241/242 68131 Mannheim www.georg-bitter.de

Zentrum für Insolvenz und Sanierung an der Universität Mannheim e.V. (ZIS) www.zis.uni-mannheim.de

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