SAMMLUNG MUSEALISIERUNG VEREWIGUNG. EIN VERGLEICH

Kapitel 5 SAMMLUNG – MUSEALISIERUNG – VEREWIGUNG. EIN VERGLEICH „Musealisierung ist die säkularisierte Form der Bestattung, das heißt, die Form der w...
Author: Detlef Dressler
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Kapitel 5

SAMMLUNG – MUSEALISIERUNG – VEREWIGUNG. EIN VERGLEICH „Musealisierung ist die säkularisierte Form der Bestattung, das heißt, die Form der würdigen Bewahrung von Lebensspuren.“2131 Der Reiz des Sammelns Was hat die Sammler, von denen einige Beispiele aus dem 19. Jahrhundert vorgestellt worden sind, angetrieben zu sammeln? Wer oder was hat sie bewogen, ihre Sammlungen Museen zu übergeben bzw. mit ihrer Sammlung Museen zu begründen? Was war das Zeittypische und Charakteristische ihres Handelns? Die noch heute gängigen Vorurteile, Sammler seien mitunter etwas eigenwillige Personen, kauzig, gierig, aber zugleich nützlich, sie befriedigten mit ihrem Tun ein Hobby, einen Trieb, eine Leidenschaft, eine Sucht, sie fänden darin Erfüllung, Geselligkeit, Austausch und Kommunikation, sie betrieben schließlich eine ursprünglich menschliche, kulturbildende Tätigkeit, Bildung2132, all dies spricht für das Sammeln als einem äußerst facettenreichen Phänomen. Ist es auch das Sammeln, das das Museum zu einer ebensolchen facettenreichen Erscheinung werden läßt, indem Privatsammlungen institutionalisiert werden? Tatsächlich ist der Institution Museum die Tätigkeit des Sammelns vorgelagert. Bevor ein Museum etwas präsentieren kann, muß eine Sammlung aufgebaut werden. Anthropologisch gesehen gehört das Sammeln zu den ältesten menschlichen Tätigkeiten. Es ist dem Menschen eigen, es gehört zu seinen angeborenen Instinkten. Das Sammeln richtet sich zum einen nach ganz individuellen Interessen: Eine Person trägt Dinge zusammen, die ihr persönlich wichtig sind oder als bewahrenswert erscheinen, ohne im eigentlichen Sinne »wertvoll« zu sein. Die sammelnde Person hat in erster Linie eine individuelle, subjektive Freude an dem Gegenstand ihrer Sammelleidenschaft im allgemeinen und den einzelnen Objekten im besonderen, weshalb sie deren Besitz anstrebt. In zweiter Linie können die Gegenstände auch einen tatsächlichen Wert haben, wenn sich beispielsweise das Sammelinteresse auf allgemein als wertvoll anerkannte Gegenstände richtet, z.B. aufgrund ihres Materials (Gold, Silber, Edelsteine etc.). Dies ist jedoch keine zwingende Voraussetzung für das Sammeln. Zum anderen sind

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Brock, Bazon, zit. nach: Decker, Kerstin: Plaste statt Kiste, in: taz, 21.2.2001, S. 11.

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S.a. Jürgensen, Frank: Originalbild und Wunsch -Erinnerung (Museum zum Quadrat; 1), Wien 1990, S. 91f.; Olmi, Guiseppe: Die Sammlung – Nutzbarmachung und Funktion, in: Grote, Macrocosmos 1994, S. 169189, hier S. 171. 505

auch allgemeingültige »Modeerscheinungen« mit ausschlaggebend dafür, was in Sammlungen zusammengeführt wird.2133 Im Zentrum des Sammelns steht das Sammelobjekt und die Begegnung mit ihm. Wie den Beschreibungen etwa von Schledehaus, Haarmann oder Berlage zu entnehmen ist, ist der Moment der Begegnung des Sammlers mit einem bestimmten Gegenstand ein zentraler Augenblick. Jürgensen nennt diesen Moment das „Orakel des Zufalls“. 2134 Der Gegenstand spricht zum Sammler, gibt sich und seine Möglichkeiten zu erkennen, wird lesbar. Er löst beim Sammler ein Begehren, einen Besitzwunsch aus. Es ist der Wunsch, etwas festhalten zu wollen: einen Impuls, einen ästhetisch ansprechenden Gegenstand, eine Frage, einen Moment der Erkenntnis, des Triumphes. Sammeln ist ferner der Wunsch, im Extremfall die Sucht, dieses Gefühl erneut erleben zu wollen. „Man muß das Orakel des Zufalls ein zweites, ein weiteres Mal befragen, und wird dieselbe Antwort erhalten.“ Sammeln ist auch ein Moment der Erinnerung. Das Festhaltenwollen im Akt des Sammelns ist ein Erinnern in praktischer, materialisierter Form. 2135 Der Sammler bewahrt den erlebten Moment des Findens in seiner Sammlung. Er entreißt zudem bereits Vergessenes dem Vergessensein und ermöglicht das Erinnern, stellt dafür die Materialbasis, einen Erinnerungsspeicher her. Von größter Bedeutung für das Entstehen einer Sammlung sind dabei gerade die ersten Objekte, denn die darin aufscheinenden Möglichkeiten formen das Thema und die Richtung der Sammlung. 2136 Sammelobjekte haben unterschiedliche Funktionen. Die einen sind „Quelle eines ästhetischen Vergnügens“2137, andere erlauben es, zu geschichtlichen und wissenschaftlichen Erkenntnissen zu gelangen. Die Dinge sprechen daher für die Wissbegierde des Sammlers. Sie versprechen aber auch soziales Prestige und dokumentieren den Geschmack, das Wissen, den Reichtum und die Großzügigkeit des Sammlers, letzteres, wenn er seine Sammlung stiftet. Das alles mag den Sammlertrieb und den Besitzinstinkt beeinflussen oder letzterer ersteres hervorrufen bzw. bedingen. Diese individualpsychologischen

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Hauger, Harriet: Samuel Quiccheberg: „Inscriptiones vel tituli Theatri Amplissimi“. Über die Entstehung der Museen und das Sammeln, in: Müller, Winfried, Smolka, Wolfgang J., Zedelmaier, Helmut (Hg.): Universität und Bildung. Festschrift Laetitia Boehm zum 60. Geburtstag, München 1991, S. 129-139, hier S. 129; s.a. Pomian, Krzyszof: Der Ursprung des Museums. Vom Sammeln, Neuausgabe, Berlin 1998.

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S.a. Jürgensen, Originalbild 1990, S. 113; s.a. im folgenden ebd.

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Zur Rolle des Sammlers als Praktiker siehe Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Drei Studien zur Kunstsoziologie, Frankfurt am Main [ 141984], S. 71.

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S.a. Jürgensen, Originalbild 1990, S. 96.

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Pomian, Ursprung 1998, S. 18. 506

Aspekte genügen jedoch nicht zur Erklärung des Sammelphänomens. Die Frage bleibt, warum Sammler gerade dieses und nicht jenes sammeln. 2138 Hier scheinen die Motive des Sammelns letztendlich ähnlich breit gestreut zu liegen wie die Personen, die sammeln. Bildungsbürger wie Schledehaus, Römer, Pelizaeus oder auch Assmann sammelten antike Gegenstände, weil sie ihre persönliche Lebensgeschichte in die Gegenden führte, wo das Sammeln solcher Dinge besonders günstig war, sich geradezu anbot. Es waren aber auch ihre Bildungsvoraussetzungen, die es ihnen erst erlaubten, dieses Sammeln als »Dilettanten« zu einer Zeit durchzuführen, als dieser Begriff noch positiv besetzt und der Prozeß der Verwissenschaftlichung erst im Gange war. Andere wie Stahlwerksdirektor Haarmann gerieten über ihren Beruf bzw. ihre Berufung an den Gegenstand ihrer Sammelleidenschaft. Wieder andere betrieben damit ein Hobby, eine Liebhaberei – etwa Postsekretär Jammerath, der an das Sammeln von Schmetterlingen geraten war; vielleicht hätte ihn der Zufall aber auch an einen anderen Gegenstand führen können. Stüve dagegen sammelte gemäß bestimmter Konventionen, die ihm ein bestimmtes gesellschaftliches Umfeld vorgab. Er war aber erst in dieses Umfeld geraten, weil er innerhalb seiner Familie eine Tradition – die Pflege und Kultivierung einer Gemäldesammlung – fortsetzte. »Naives Sammeln« Die Interpretation des Sammelns als ursprünglich menschliche Tätigkeit, ja als Trieb, läßt schnell auch an das »unverfälschte« Verhalten von Kindern denken. Die »naive« Freude am Suchen und Entdecken zeigt das Sammeln als spielerisches Verhalten. Neuere Studien zeigen, daß ein hoher Prozentsatz von Kindern generell irgendetwas sammelt. Die Hosentasche gilt danach gewissermaßen als Vorform oder Vorstufe des Museums.2139 Dabei ist signifikant, daß die Kinder bereits alle Stufen des Museums – Lust am Erforschen und Entdecken, Sammeln und Bewahren, Ordnen und Präsentieren – enwickelt haben. Neben den vorgestellten Sammlern, die schon in früher Jugend mit dem Sammeln begonnen haben müssen, etwa Wacquant oder Schaufuß, lassen sich weitere Beispiele von »Kindersammlern« anführen. Zahlreiche Funde von Münzen und Versteinerungen im Osnabrücker Museum gehen auf Geschenke von Schülern zurück.2140 Aber auch das vermeintlich unverfälschte kindliche Verhalten wird bereits geprägt von Erziehung und kulturelle Überformung. Zu denken ist an Stüve, den von Kindesbeinen an Kunst, Geschichte und Wissenserwerb umgaben, oder an 2138

Pomian, Ursprung 1998, S. 54.

2139

Puhlmann, Helga: Von der Hosentasche ins Museum – was Kinder sammeln, in: Janzen, Igor A. (Konz.): Vom Schenken und Sammeln. 125 Jahre Kunstgewerbemuseum Dresden, Dresden/Wolfratshausen 2001, S. 165-169, hier S. 166ff.

2140

Siehe z.B. AKgMOS, A.21002, Protokolle des Museumsvereins (1888–1908), 7.12.1895, Nr. 4, Bl. 153 (Münzfund des Primaners Krüger); 4.4.1896, Bl. 161 (Schüler Bulter); 1.5.1897, Bl. 187, Nr. 7; 6.9.1902, Nr. 7, Bl. 331 (Versteinerung von Schüler Thiele). 507

Schledehaus, der in der Schule das Rüstzeug für sein späteres Sammeln erhielt. Das Sammeln wird bereits früh in bestimmte Richtungen gelenkt, von gesellschaftlichen Zusammenhängen bedingt. Einen zweiten Aspekt wirft Odo Marquardt auf, wenn er die Bewahrungs- und Musealisierungskultur der modernen Gesellschaften mit dem Verhalten von Kindern vergleicht. Durch die Sammlung bzw. das Museum würde dem wachsenden Tempo des Wandels eine bewahrende Langsamkeit entgegensetzt, etwa so, „wie die ganz jungen Kinder – für die die Wirklichkeit ja unermeßlich neu und fremd ist – ihre eiserne Ration an Vertrautem ständig bei sich führen und mit sich herumtragen: ihren Teddybären; denn der Teddybär – als transitional object – sichert ihnen Kontinuität.“2141 Das Museum sei dazu das funktionale Äquivalent, mit der Konsequenz, daß die Musealisierung um so unvermeidlicher sei, je moderner die Welt wird. Das sich hier eröffnende Spannungsfeld zwischen neugierigem Sichaufmachen und Forschen einerseits, dem Bedürfnis nach Sicherheit, Kontinuität und Identität andererseits, läßt sich zusammengenommen tatsächlich im Verhalten der Sammler wiederfinden. Hier scheint dem Sammeln und Musealisieren eine doppelte Funktion mit zwei vermeintlich entgegengesetzten Polen zwischen Bewegung und Fixpunkt zuzufallen. Beide bedingen sich jedoch letztendlich selbst, denn erst die Suche ermöglicht das Finden, hier einer festen, gesicherten Position. Die Sammlung wird gerne als „Inversion der Reise“ bezeichnet, „bei der man zuhaus bleiben darf, weil nun die fremde Welt in der eigenen Stube sich versammelt“. 2142 Diesem Prinzip entsprachen bereits die Kunst- und Wunderkammern der Frühen Neuzeit. Was bei Sammlern wie Schledehaus oder Assmann zunächst nicht zutrifft, da ihre Sammlungen ja erst dadurch entstehen, daß sie diese Reise überhaupt antreten, wird aber in einem zweiten Schritt möglich durch die Institutionalisierung dieser Sammlungen: Einerseits wird den anderen zeitgenössischen, insbesondere aber den nachfolgenden Mitgliedern der bürgerlichen Gesellschaft, der die Sammler entstammen, das Zuhause-Bleiben ermöglicht, indem die Sammlungen der Heimatstadt vermacht, verkauft, überlassen werden. Die Selbstentdeckung, die die Sammler durch ihr Tun erfahren haben, wird so auch anderen ermöglicht. Man denke an den Lehrer Carl Stüve, der die Schledehaussche Münzsammlung im Ratsgymnasium bzw. dann im Museum pflegte und dabei gerne auf den Gewinn verwies, der ihm durch diese Betreuung zuteil wurde. Andererseits wird jene »Erfahrungsreise« in die fremden Welten des Unsichtbaren, durch die in Begegnung mit dem Fremden eine Entdeckung des Selbst ermöglicht wird, in der Sammlung eingeschlossen und nach der Rückkehr in den Ursprungsort nachvoll-

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Marquard, Odo: Wegwerfgesellschaft und Bewahrungskultur, in: Grote, Macrocosmos 1994, S. 909-919, hier S. 913; s.a. im folgenden ebd.

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Ebd. 508

ziehbar; am deutlichsten wird dies bei Sammlern wie Hugo Schauinsland, im Sinne eines kollektiven Gedächtnisses auch bei den ethnographischen Sammlungen, die durch Koppelung zahlreicher Einzelspenden von Reisenden erst am Museumsort selbst entstehen. Die eigenen Erfahrungen der Sammler materialisieren sich in der Sammlung. Ihre Präsentation ist somit auch eine Selbstdarstellung. Die Sammlung als »Schöpfung« Die Bildung einer Sammlung hat den Charakter einer Schöpfung. Schon in den Gelehrtenkabinetten und Wunderkammern der Renaissance wurde dadurch, daß die religiösen Rücksichtnahmen reduziert und die Ächtung der menschlichen Neugierde durch die Religion allmählich aufgehoben wurde, der Sammler zum Schöpfer, indem er in seiner Vorstellung die von Gott geschaffene Welt in seinem Mikrokosmos der Sammlung im Sinne des »deus ludens« selbst schöpferisch nachvollzog, aber auch hinterfragte. Zudem verrät die Anordnung der Sammlung – die übrigens auch in der scheinbaren Unordnung immer eine Ordnung besitzt – die Lust am eigenen schöpferischen Akt. Das Sammeln läßt stückweise einen neuen Kosmos entstehen, der kreativ aufgestellt, gestaltet wird. Der Sammler baut dadurch „visuelle Brücken“2143, die in der Annäherung an das große Ganze der Welt dieses an sich Unsichtbare, da schwer zu Verstehende, nicht Greifbare sichtbar, d.h. verständlich und in Form des Sammlungsgegenstandes greifbar machen wollen. Es ist ein Akt des Sammelns, Experimentierens und Ordnens: „Der Status des Museums als ein für experimentelle Aktivitäten bestimmter Bereich beförderte auch den Status seiner Schöpfer [...] Die Autorität der Sammler wurde bestimmt durch den einverständlichen Konsens, daß die Anhäufung von Objekten einen wichtigen Schritt in der Generierung von Wissen darstellte.“2144 Insofern gehört auch die Veröffentlichung der Erkenntnisse, die anhand der Sammlung gewonnen werden, mit zum Ritual der Sammlung. Die Artikel von Schledehaus, Haarmanns mehrbändiges Werk über die Entwicklung des Eisenbahngleises, Jammeraths Aufsätze über Schmetterlinge, sie sind eigener Bestandteil des Sammelns. Während das Wissen schriftlich fixiert wird, muß die Sammlung als Grundstock und Ausgangspunkt dieses Wissens in einem Museum institutionalisiert werden. Die Form der Wissensaneignung ändert sich zwar seit der Zeit der Wunderkammern wie auch die Sicht auf die »Schöpfung«, die mit der Säkularisierung und Verwissenschaftlichung von einer Glaubensfrage zu einem Sachverhalt der Empirie wird: „an die Stelle der Schöp-

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Bredekamp, Antikensehnsucht 1993, S. 71; s.a. S. 70f.

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Paula Findlen: Die Zeit vor dem Laboratorium: Die Museen und der Bereich der Wissenschaft 1550-1750, in: Grote, Macrocosmos 1994, S. 191-207, hier S. 199. 509

fungsordnung treten die klassifikatorischen Systeme“. 2145 Doch was identisch bleibt, ist das Prinzip der Annäherung des Sammlers an den Gegenstand seiner Begierde. Der Sammler versucht, in seiner Sammlung einen universalen Anspruch zu erfüllen. So wie die Wunderkammer den göttlichen Makrokosmos in einem Mikrokosmos einzufangen versuchte, so versucht der Sammler einen begrenzten Bereich universal und lückenlos zu erschließen, vollständig verstehbar zu machen. Und so verkörpern in einem weiteren Schritt kleinere Museen einen Universalanspruch, indem sie Zeugnisse ihres Ortes, ihrer Region, ihrer Stadt umfassend zu sammeln versuchen. 2146 Die „organisierende, symbolbildende Leistung“2147 des Sammlers besteht darin, daß er durch die Auswahl seiner Sammelobjekte Themen findet. In dem „Entschluß, etwas nicht vergehen, nicht sterben lassen zu wollen, sondern es in seiner Materialität zu bewahren“2148, manifestiert sich ein „Deklarationsakt, der das Sein eines Objektes von einem Moment zum anderen wesentlich verändert.“ Durch den Eingriff des Sammlers erlebt der Sammlungsgegenstand eine Metamorphose. Die Objekte selbst sind Zeichenträger mit Symbolcharakter, sog. Semiophoren, die durch die Zeiten hindurch Bedeutung transportieren bzw. vom Sammler mit Bedeutung versehen werden. 2149 Darin unterscheidet sich die Sammlung von einer bloßen Anhäufung von Gegenständen, daß die Sammelobjekte einer bestimmten Funktion dienen, d.h. eine bestimmte Bedeutung erhalten. 2150 Nach Manfred Sommer ist diese Form des Sammelns von im ökonomischen Sinne unbrauchbaren Dingen von einer „Ästhetik des Bewahrens“ geleitet: „Es ist das Verlangen nach dauerhafter Gegenwart all der wunderbaren Dinge, die zu sehen uns beglückt. Das ist Selbsterhaltung im Medium der Anschauung.“2151 Die Semiophoren repräsentieren als Teil eines Ganzen aber auch den Sammler selbst. Die Sammlung ist eine Projektionsfläche seiner Persönlichkeit. „Sie kann seine Kenntnisse und seinen Geschmack, aber auch seine Sehnsüchte, seine Träume, seine Phantasien aus-

2145

Marquard, Odo: Wegwerfgesellschaft und Bewahrungskultur, in: Grote, Macrocosmos 1994, S. 909-919, hier S. 913.

2146

S.a. Pomian, Ursprung 1998, S. 99.

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Jürgensen, Originalbild 1990, S. 97.

2148

Rumpf 1988, zit. nach: Sturm, Eva: Konservierte Welt. Museum und Musealisierung, Berlin 1991, S. 9; s.a. im folgenden ebd.

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Pomian, Ursprung 1998, S. 50; Pomian, Kulturelles Erbe 1990, S. 61.

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Pomian, Ursprung 1998, S. 45. Nach Pomian ist eine Sammlung definiert als „jede Zusammenstellung natürlicher und künstlicher Gegenstände, die zeitweise oder endgültig aus dem Kreislauf ökonomischer Aktivitäten herausgehalten werden, und zwar an einem abgeschlossenen, eigens zu diesem Zweck eingerichteten Ort, an dem die Gegenstände ausgestellt werden und angesehen werden können.“ Pomian, Ursprung 1998, S. 16.

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Sommer, Manfred: Sammeln. Ein philosophischer Versuch, Frankfurt am Main 1999, S. 12. 510

drücken.“2152 Die Sammlung ist ein Werk, ein Puzzle, das sich schrittweise vervollständigt, verdichtet und schließlich von selbst erklärt. Jeder Schritt bedeutet einen quantitativen, insbesondere aber einen qualitativen Wert-, einen Bedeutungs-, einen Wissenszuwachs. Die Objekte selbst verlassen dazu ihren alten Sinnzusammenhang und erzeugen im Kontext der werdenden Sammlung einen neuen Sinn. In der Anordnung seiner Sammlung drückt sich die Reflexion über das gewählte Thema und deren Stand aus.2153 Die »Schöpfung« einer Sammlung ist gleichzeitig auch eine Wertschöpfung. Durch sein individuelles Geschick kann es dem Sammler gelingen, über seine Sammlung Themenfelder zu erschließen, die bis dahin als unbedeutend oder unbekannt galten. Der Sammler ist somit auch immer »Pionier«. Dies hat nicht zuletzt Auswirkungen auf den Marktwert der Sammelobjekte. So schaffte es zum Beispiel Friedrich Culemann in Hannover, mit für ihn begrenzten finanziellen Mitteln eine heute bedeutende und wertvolle Inkunabelsammlung zu begründen. 2154 Die Wertschöpfung stellt die private oder institutionalisierte Sammlung in die Tradition der »Schatzkammer«. Die Sammlung ist eine kulturelle Schatzkammer. Individuum Der Sammler agiert zuallererst als Individuum. Es gibt zwar den Aspekt der Kommunikation: Der Sammler kontaktiert andere Sammler oder Interessierte, um sich mit ihnen über den gemeinsamen Gegenstand des Interesses auszutauschen. Zu denken ist etwa an Schledehaus’ Briefkontakte mit seinem Cousin, Gustav Stüves Korrespondenz mit Bode über die neuesten Angebote auf dem Kunstmarkt. Aber das Sammeln selbst betreibt der Sammler zunächst aus eigenem Antrieb. Gleichwohl ist diese Freiheit des Sammlers nicht unbeschränkt. Sie wird zum Teil determiniert durch gewisse gesellschaftliche Normen. 2155 Diese können ihn bewegen, ein bestimmtes Sammelgebiet für sich zu erschließen. Beispielsweise ist die Beschäftigung mit antiken Gegenständen durch die humanistische Bildung, in der ein Schledehaus oder ein Kestner aufwuchsen, bereits angelegt und dann durch die Umgebung des Mittelmeerraumes, wo sie wichtige Jahre ihres Lebens verbrachten, nahezu vorbestimmt. Zugleich ist dieser Bereich durch die gesellschaftlichen Kreise, in denen sie sich dort bewegen, sprich im Ausland tätige Bildungsbürger, ebenfalls vorgeprägt. Auch das Sammeln niederländischer und flämischer Kunst der Familie Stüve besitzt gesellschaftlich eine bürgerliche Prägung mit langer Tradition.

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Grote, Macrocosmos 1994, S. 120f.

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S.a. Jürgensen, Originalbild 1990, S. 110ff.

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S.a. Gehrig, Kestner-Museum 1989, S. 21.

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S.a. Pomian, Kulturelles Erbe 1990, S. 48. 511

Das Sammeln als individuelle Leidenschaft überschreitet erst dann eine bestimmte Grenze hin zur Gesellschaft, wenn es nicht länger im persönlichen Bereich verharrt, sondern sein Ergebnis einer Öffentlichkeit präsentiert wird – siehe den geschilderten Besuch Abekens bei Goethe, Haarmanns Bereitschaft, seine Gleissammlung auf mehreren Gewerbeausstellungen zu zeigen oder Gäste durch sein Museum zu führen. Indem anderen Personen die Teilhabe an der subjektiven Sammelleidenschaft ermöglicht, diese öffentlich präsentiert wird, wird sie – versuchsweise – verstetigt. Das Sammeln ist in diesem Zusammenhang nicht selten eng verbunden mit dem Streben nach Prestige und Anerkennung. Dies ist bereits seit der Renaissance der Fall, als die Kunst- und Wunderkammern gezielt Wohlstand, Reichtum, Kunstsinn etc. repräsentieren sollten. 2156 Selbstdarstellung – Verewigung – Institutionalisierung Der Sammler begründet mit seiner Kollektion bereits eine eigenständige »Institution«, die dem Museum stark ähnelt. Wie schon bei den Sammlungen von Kindern angesprochen, enthält die Privatsammlung alle Elemente, die wir mit der Institution Museum assoziieren: Sammeln, Bewahren, Erforschen, Ausstellen. Der Schmetterlingssammler Wacquant-Geozelles bezeichnete sein Tun nicht umsonst als „ureigenste Museumsarbeit“. Was die Sammlung allerdings nicht besitzt, ist der »Ewigkeitscharakter«.2157 Die physische Bedrohung betrifft direkt jeden einzelnen Gegenstand, indirekt auch die Sammlung als Ganzes. Diesem Ganzen droht „die Zerstreuung, und zwar wegen der Beweglichkeit der Teile, aus denen es besteht. [...] Erhaltung verlangt also vielfältige Aktivitäten: fürs Einzelne Existenzwahrung und Destruktionsabwendung, fürs Ganze Konsistenzsicherung und Distraktionsabwehr.“2158 Die Privatsammlung kann Objekte zwar aus dem Verborgenen hervorholen, sichtbar machen und für einen begrenzten Zeitraum bewahren. Sie ist aber durch ihren Status an das Wohlwollen der Erben und Nachfahren gebunden, wenn es um ihre Bestandssicherung geht. Das Beispiel der Wöbeking-Berghoff-Meyer-Stüve-Sammlung hat verdeutlicht, daß eine Traditionsbildung über mehrere Jahrhunderte auch bei Privatsammlungen zwar möglich, aber auch regelmäßig bedroht und daher letztendlich vom Zufall abhängig ist. Jede Privatsammlung bleibt „zerfallsbedroht.“2159 Probt der Sammler also den „Aufstand gegen die Vergänglichkeit“2160 und versucht, dieser Bedrohung zu begegnen, so meint er zum einen das gesammelte Einzelobjekt als solches, 2156

Siehe dazu weiter unten noch ausführlicher; s.a. Hauger, Quiccheberg 1991, S. 129.

2157

Es versteht sich von selbst, daß auch diese »Ewigkeit« durch Kriege, Naturkatastrophen oder Wandel in Gesellschaften letztendlich begrenzt sein kann.

2158

Sommer, Sammeln 1999, S. 215.

2159

Ebd., S. 9.

2160

Kunst- und Ausstellungshalle, Wunderkammer 1994, S. 18. 512

zum anderen die Sammlung als Ganzes, mit der er selbst Spuren hinterlassen möchte. Ist er am Erhalt seiner Sammlung interessiert, muß er diese in eine andere Institution überführen: in das Museum. Das Museum etabliert sich im Untersuchungszeitraum als eine rechtlich abgesicherte, öffentliche Einrichtung, die gerade deshalb exisitiert, weil nur eine juristische Person wie eine Kommune, ein Staat etc. langfristig den Erhalt bestimmter Kulturgüter sicherstellen kann, und die ihre Aktivität auf die Zukunft ausrichtet, um das in der Gegenwart Gesammelte für zukünftige Generationen zu bewahren. 2161 Das Museum sichert – vergleichbar den früheren Kirchenschätzen oder fürstlichen Schatzkammern, die durch die institutionalisierte geistige und weltliche Herrschaft der Kirche bzw. des Fürsten, Königs, Kaisers ebenfalls Kontinuität für die Semiophoren gewährleisteten2162 – Kontinuität, insbesondere in solchen Zeiten, die stark durch Veränderungen gekennzeichnet sind.2163 Im 19. Jahrhundert mit den Umwälzungen der Industrialisierung befinden wir uns in einer solchen Zeit. Die Gründung eines Museumsvereins wie dem Osnabrücker ist dabei, wie beschrieben, als »Zwitter« von privater Sammlung und Museum eine kollektive Übergangsform des Sammelns. Handelt es sich einerseits um einen Zwang, der den Sammler zur Überführung seiner Sammlung in ein Museum nötigen könnte, will er ihren Erhalt garantieren, so kann sich andererseits auch die Bindung zwischen beiden quasi von selbst lösen. Sammler und Sammlung benötigen sich gegenseitig nur solange, wie die Sammlung nicht vollständig ist. Bis dahin behandelt der Sammler seine Stücke noch mit allergrößter Sorgfalt. Ist jedoch die Sammlung abgeschlossen, ist das Werk, der Akt der Schöpfung vollbracht, kann sich der Sammler von seiner Sammlung leichter trennen. Der Reiz der Zeichenträger liegt darin begründet, daß das Unsichtbare, das sie repräsentieren, immer größere Wirkkraft besitzt als das Sichtbare. Es verleitet daher zum Sammeln, um das Unsichtbare so klar wie möglich hervortreten zu lassen. 2164 Insofern verliert eine Sammlung dann ihren Reiz und das Sammeln seinen Antrieb, wenn jene vollständig, wenn das gewählte Thema in Gänze dargestellt ist und sichtbar wird. Die Umkehrung dessen ist aber ebenfalls zu beobachten, etwa bei der Überführung der Haarmann-Sammlung in das Berliner Verkehrs- und Baumuseum. Der Prozeß der Institutionalisierung fordert die Loslösung des Sammlers geradezu heraus. In dem Moment, wo die Sammlung musealisiert wird, ist der Sammler selbst nicht mehr gefragt, da ansonsten eine Eingliederung in das bestehende museale Umfeld erschwert wird. Ausdruck dafür ist auch, wenn nur Teile übernommen werden oder aber Übernahmen gänzlich scheitern, wenn z.B.

2161

S.a. Kunst- und Ausstellungshalle, Wunderkammer 1994, S. 114; Pomian, Ursprung 1998, S. 67f.

2162

Pomian, Kulturelles Erbe 1990, S. 47.

2163

Kunst- und Ausstellungshalle, Wunderkammer 1994, S. 18.

2164

S.a. Pomian, Ursprung 1998, S. 51. 513

ein Sammler mit der Übergabe der Sammlung eine Verlängerung der Beziehung zu seiner Sammlung fordert. Der Wunsch nach »Direktion auf die verbliebene Lebenszeit« scheiterte etwa bei Camillo Schaufuß. Die Verstetigung und Institutionalisierung ist in der Regel nur zum Preis der Loslösung zu haben. Diese mögliche Kehrseite der Verewigung des Sammlers und der Verstetigung seiner Sammlung ist mit ein Grund dafür, daß das Verhältnis zwischen Sammler und Museen keinesfalls nur positiv definiert ist.2165 Der Sammler gibt mit der Sammlung auch die Unabhängigkeit und Freiheit seiner Sammlung auf. Dies ist häufig der Preis für die Verewigung und der Grund dafür, weshalb diese Unabhängigkeit meist erst am Ende des eigenen Lebenweges aufgegeben wird. In den Fällen, wo Sammler die Institutionalisierung und Verewigung der Privatsammlung anstreben, gelingt dies längst nicht nicht immer. Während es viele Beispiele von Museen gibt, die bis heute den Namen eines Privatsammlers tragen, wo demnach die Verwandlung einer privaten Leidenschaft in ein öffentliches Institut vollständig funktioniert hat, sind weniger erfolgreiche oder gänzlich erfolglose Beispiele schlechter greifbar, obgleich die Motivation der beteiligten Personen identisch ist. Interessant unter dem Blickwinkel der Institutionalisierung privater Sammlungen sind insofern Beispiele wie die Schmetterlingssammlung von Wacquant-Geozelles oder das Privatmuseum von Camillo Schaufuß. Die Indienstnahme des Begriffes Museum spricht für Schaufuß’ Wunschdenken, seiner Privatsammlung die Dauer sichern zu können, die nur der Ort des Museums garantieren konnte. Schaufuß scheiterte daran, daß er selbst eine universale Sammlung, ein eigenes Universalmuseum besaß, das mit dem Sammlungskonzept jedes etablierten Museums kollidieren mußte. Die Anhäufung von Dubletten konnte nicht im Interesse eines Museums sein. Eine Spezialsammlung hätte Schaufuß dagegen vermutlich besser unterbringen können. Dafür spricht, daß heute nur noch bestimmte Bereiche seiner ursprünglichen Sammlung in Museen nachweisbar sind. Eine Verewigung gelingt aber auch dann nicht immer, wenn eine Sammlung angenommen wird. Dafür steht das Beispiel der Gemäldesammlung der Brüder Boissorée aus Köln, die von Köln über Heidelberg nach Stuttgart wanderte, wo sie geschlossen und 1827 vom bayerischen König Ludwig I. als Grundstock für die Alte Pinakothek in München erworben, dabei jedoch auseinandergerissen wurde.2166 Das eigentliche Ziel der Überführung zur Bewahrung wurde erreicht, im Ergebnis ergab sich jedoch die Zerstörung der Einheit der Sammlung. Indem diese nach kunstwissenschaftlichen Gesichtspunkten der Schulen und Nationen aufgestellt wurde, verlor sie ihren ursprünglichen Charakter, den die Boissorée-

2165

S.a. Benjamin, Kunstwerk [1984], S. 104, der die Abneigung von Sammlern gegenüber Museen herausstellt.

2166

Kier, Hiltrud, Zehnder, Frank Günter (Hg.): Lust und Verlust. Kölner Sammler zwischen Trikolore und Preußenadler, Ausstellungskatalog, Köln 1995, S. 188f. 514

Brüder ihr einst verliehen hatten. Die gewählte Historisierung der Präsentation innerhalb der Pinakothek bedeutete zugleich, daß die Kunst aus der Lebenswelt herausgetreten war, sei es aus der religiösen Welt, für die die Werke der Sammlung einst geschaffen worden waren, sei es aus der der Sammlung Boissorée, in der die entsprechenden Kunstwerke einen neuen, durch die Anlage der Sammlung gestifteten Sinn bekommen hatten. Pomian hat demnach nicht ganz Unrecht, wenn er konstatiert, daß die Übergabe der Sammlung an ein Museum wenn nicht ein Verschwinden so doch eine Reduzierung der Verbindung zwischen Sammler und Sammlung bedingt.2167 Der vielfach auftauchende Wunsch der Sammler, die Sammlung als geschlossenes Ganzes zu erhalten und etwa in einem separaten Bereich zu präsentieren, wenn sie diese dem Staat, der Kommune, einer Universität oder einem anderen Institut übertragen, ist daher der Wunsch, das Eigene der Sammlung möglichst unverfälscht zu erhalten und den Grad der Reduzierung von vornherein einzuschränken. Und auch wenn das Einzelobjekt am neuen Ort eine neue Bedeutung zugewiesen bekommen sollte, ist durch die Prägung, die der Sammler mit seiner Sammlung – selbst in der Summe von Einzelobjekten – immer noch so deutlich, daß ein gänzliches Verschwinden der besagten Bindung ausgeschlossen ist; dies um so mehr noch im 19. Jahrhundert durch die Ritualisierung, der die Institutionalisierung des Sammelns, wie noch zu sehen, unterworfen ist. Heimatbindung Wie läßt sich erklären, daß die Stiftungsbindung an den Geburtsort, den Traditionsort der eigenen Familie, in nahezu allen Fällen eine so starke Wirkung hat, daß in völlig anderen Regionen der Welt verbrachte Jahre, ja Jahrzehnte keine Rolle spielen und so viele Sammlungen zurück an den Ort der Kindheit und Jugend kehren, obwohl auch außerhalb lebhafte Kontakte nachweislich entstanden sind? In der Tat überrascht die Rückführung der Sammlung an den Ort, wo der Sammler seine Kindheit und Jugend verbracht hat, nur wenig, wie an Beispielen wie Schledehaus oder Berlage zu sehen ist – auch von Kestner, der bei der Stiftung seiner Sammlung zeitweise an die Göttinger Universität als den Ort seiner Ausbildung gedacht hat. In der Erinnerung werden Kindheit und Jugend in der Regel mit ungebrochenem Vertrauen, mit Geborgenheit und Sicherheit verbunden. Das Sammeln war eine Form der »Heimatbindung« und damit eine wichtige Voraussetzung für ein sicheres Agieren in einem fremden Umfeld. Es übernimmt die Funktion einer »Erinnerungsbrücke« an diesen vermeintlich sicheren Ort der Identität. Im Falle von Schledehaus, der aus Gesundheitsgründen genötigt war, sein vertrautes Umfeld zu verlassen, war es die in Osnabrück während seiner Jugendzeit erhaltene Bildung, die ihm erst seine Sammelleidenschaft antiker Münzen ermöglicht hat. Im Falle Berlages war es unmittelbar die Geschichte seiner Heimatlandschaft.

2167

Pomian, Kulturelles Erbe 1990, S. 48. 515

Die durch das Sammeln, Forschen und Lernen ermöglichte Erweiterung des eigenen Wissens und der eigenen Position wäre ohne einen vergleichbaren Mechanismus so nicht denkbar gewesen. Die Sammlung als ein solches Instrument der Erinnerung und mentalen Verortung im Bewußtsein des nahenden (Schledhaus) bzw. gewissen (Berlage) Todes dem ursprünglich vertrauten Umfeld »zurück«zugeben, war insofern in sich konsequent. In dem Versuch, das eigene Sammeln zu institutionalisieren, steckt zugleich auch der – mehr oder weniger narzistische – Wunsch, der Heimatstadt ein „individuelles Gepräge“ zu verleihen, einen Ort für das persönliche, die bürgerliche Schicht verbindende kulturelle Lebensund Bildungsideal zu schaffen, um dieses Ideal dort für kommende Generationen zu verstetigen, oder diesen Ort, so er bereits in der eigenen Kommune existiert, zu stärken, zu verändern oder voranzubringen. Im Detail sind die individuellen Vorlieben und Interessen oder örtlichen Vorgaben jedoch wiederum so spezifisch, daß jeder Ort unausweichlich auch sehr eigene Züge aufweist. So wie das private Sammeln der Bürger eine sehr individuelle Angelegenheit ist, bleiben diese Züge auch nach einer Instititutionalisierung erhalten, übertragen sich auf die auf „Ewigkeit“ angelegte museale Institution. Mit der steigenden Zahl der Museen steigt zudem der Konkurrenzdruck der Städte, mit Hilfe ausgewiesener Sondersammlungen, die sich von anderem deutlich abheben zu können. Wir haben es dadurch bei dem Phänomen des Sammelns und Institutionalisierens mit einem sehr hohen Grad a n Verflechtung von allgemeinen überregionalen – bis hin zu internationalen – Tendenzen und ganz spezifischen kommunalen und individuellen Entwicklungen zu tun. Sammeln und Gesellschaft Sammlungen sind immer schon Ausdruck gesellschaftlicher Hierarchien gewesen und entstehen notwendig in diesen. Durch die Höhe der Stufe, auf der ein Repräsentant in der Hierarchie steht, werden die Zahl und der Wert seiner Semiophoren, der Zeichen mit Symbolcharakter definiert, von denen er umgeben ist. Die Repräsentanten sind aufgrund ihrer gesellschaftlichen Rolle gezwungen, Semiophoren zu sammeln und auszustellen. 2168 An den Semiophoren kann abgelesen werden, an welcher Position innerhalb der Gesellschaft sich der »Sammler« befindet. Zum einen werden Sammlungstücke durch ihren materiellen Wert zu „Insignien sozialer Zugehörigkeit, wenn nicht gar Überlegenheit. Der Erwerb von Semiophoren entspricht daher einer Eintrittskarte in ein geschlossenes Milieu; man erhält nur Zutritt, nachdem man einen Teil des Geldes, das man besitzt, der Zirkulationssphäre des Nützlichen entzogen hat.“2169 Das bedingt zum Beispiel die Entstehung von Märkten für Semiophoren. Man denke an die seit dem 16. und 17. Jahrhundert auftretenden Auktionen. 2168

Pomian, Ursprung 1998, S. 52ff.

2169

Ebd., S. 63; s.a. im folgenden ebd., S. 63ff. 516

Der Marktwert wird dabei noch unterstrichen durch den sich etablierenden Druck von Auktionskatalogen – der erste erschien 1616 in Holland – sowie den Beruf des Auktionators. Das Geld bekommt so zunehmende Bedeutung beim Zugang zu den Zeichenträgern. Das erklärt beispielsweise, wieso die bürgerlichen Schichten in einer Stadt wie Osnabrück mit ihrem ökonomischem Aufstieg beginnen konnte, sich an der Sammelleidenschaft, die ihnen der Adel vor Ort vorgab, zu beteiligen und diese schließlich zu ihrer eigenen Tugend weiterzuentwickeln. In der bürgerlichen Gesellschaft kann die soziale »Eintrittskarte« statt über den Geldwert aber auch über den Bildungswert gemessen werden. Dafür steht beispielsweise der Postsekretär Jammerath, der für die Verbesserung seiner gesellschaftlichen Stellung das System des Sammelns und Musealisierens nutzen konnte. Jammerath drang als Sammler in die Sphäre der museal aktiven Bildungsbürger ein. Als einfaches Mitglied war er ohne weiteres willkommen. Dagegen taten sich die Museumsgründer schon wesentlich schwerer, ihn auch als Kustos in den engeren Kreis aufzunehmen. In der bürgerlichen Gesellschaft bot allerdings das Moment der Leistung die Möglichkeit, wenn nicht des sozialen Aufstieges, so doch der gesellschaftlichen Akzeptanz. Jammeraths Leistung bestand in seinem spezifischem Fachwissen, das er aufgrund seiner Sammeltätigkeit entwickelte und stetig ausbaute. Jammeraths Tätigkeit verschaffte ihm mithin eine Souveränität, die er entweder für sich behalten und gegen die Institutionalisierung setzen konnte.2170 Oder aber er brachte sie in das Gemeinschaftsprojekt bürgerlicher Bildungsöffentlichkeit ein. Das verschaffte ihm die Möglichkeit gesellschaftlicher Anerkennung, die Verewigung der individuellen Interessen, fundamentiert in der eigenen Sammlung und schließlich institutionalisiert im Akt der Musealisierung. In diesem Falle spielte weniger das Kapital als vielmehr die Verbesserung und Verbreitung von Lernmöglichkeiten, die erst die Basis für diese Leistung legen, die zentrale Rolle. Hierzu haben die neuen bürgerlichen Kollektivformen der Gesellschaften und Vereine bedeutende Handlungsfelder eröffnet. Wie am Beispiel der völkerkundlichen Sammlungen des Osnabrücker Museumsvereins und der Naturforschenden Gesellschaft zu Emden aufgezeigt, konnten dort gemeinsame Interessen und allgemeinverbindliche Bildungsideale verfolgt und in Form von Sammlungen etabliert werden, die dann als Bildungsinstitut weiterwirken konnten. Darüber hinaus können Sammlungen von Semiophoren aber auch dann zum Instrument der Legitimation von Repräsentanz und sozialem Aufstieg werden, wenn eine neue Gruppe von Objekten, die bislang nicht als sammlungs- bzw. museumswürdig galten, etwa durch gesellschaftliche Veränderungen anerkannt werden. Für die Institutionalisierung des Sammelns als

2170

S.a. Jürgensen, Originalbild 1990, S. 102. 517

Ausdruck gesellschaftlicher Veränderungen konnten insbesondere zwei Beispiele angeführt werden. Das erste ist der Bereich der Technik mit der Haarmannschen Gleissammlung bzw. dem Deutschen Museum. Diese Sammlungen bzw. Museumsgründungen stellten den erfolgreichen Versuch dar, durch die Anlehnung an die anerkannten traditionellen bürgerlichen Bildungswerte und Vermittlungsformen den Werten und Werken einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht, hier der Techniker und Ingenieure, Anerkennung zu verschaffen und dem Streben nach Gleichberechtigung Glaubwürdigkeit zu verleihen. Die „Meisterwerke der Technik“ stiegen als »Reliquien der Moderne und Hochindustrialisierung« auf in den »Olymp« bildungsbürgerlicher Überhöhung, wo bis dahin vor allem die Kunst thronte. So wie einst die Bürger mit ihren Kunstsammlungen dem Ideal des Adels nacheiferten, bewegte sich nun die aufkommende Ingenieurelite in den traditionellen Bahnen des Bildungsbürgertums, um gesellschaftliche Anerkennung zu erfahren. Ebenso wie das Bürgertum dabei eigenes Selbstbewußtsein demonstrativ zur Schau gestellt hatte, waren auch museale „Tempel der Technik“ wie das Deutsche Museum des »Institutionalisierers« Miller oder das „Gleisemuseum“ Haarmanns Standessymbole einer arrivierten Gesellschaftsschicht, die unentbehrlich geworden war. Damit war zugleich eine weitere Demokratisierung des Museums verbunden. Mit der ins Museum einziehenden Technik wurden Techniker als kompetente Fachkräfte unentbehrlich. Die Technik zog zudem neue Publikumsschichten in das Museum. Haarmanns Verhalten belegt darüber hinaus die Zementierung des seit der Auflösung der Kunst- und Wunderkammern in Museum und Labor auseinandergetretene Ensemble menschlicher Weltaneignung. Nach Haarmanns vergeblichem Versuch, die nützlichen Künste, sprich die Gleistechnik im Osnabrücker Museum langfristig auszustellen, d.h. die Trennung wieder aufzuheben, etablierte er sein Gleismuseum als Sammlung, die interessierten Personen, etwa anderen Ingenieuren, den Fortschritt, aber auch die Irrwege dieser Technik vor Augen führen und so als Ort der Weiterbildung für den weiteren Fortschritt dienen sollte. Neben diesem »Labor« engagierte sich Haarmann durch seine mäzenatische Unterstützung beim Aufbau der Kunstsammlung aber auch im traditionellen Sinne für das Osnabrücker Museum als dem Ort der schönen Künste. Kultur und Zivilisation Bei der Aufnahme der Technik in das Museum haben wir es mit einer Erweiterung des Musealen vom Kultursektor in den Bereich des Zivilisatorischen zu tun, der das Museumswesen des ausgehenden 19. Jahrhunderts mitbestimmt. In der Sammlung wie im Museum bildet die Kultur die organische Struktur, um Objekte funktional zu integrieren und dadurch eine materielle Basis für das historische Kontinuum zu liefern. 2171 Nach Pomian gehören 2171

Kunst- und Ausstellungshalle, Wunderkammer 1994, S. 94. 518

zunächst solche Objekte zum kulturellen Erbe, die selbst Zeichenträger sind. Dazu zählen etwa Kunstobjekte und Kultgegenstände. Mit den Sammlungen der Wunderkammern folgten Naturobjekte als Zeichen Gottes oder einer überhöhten Natur, die selten oder besonders auffällig sind. Danach sind es Dinge, die neben einer besonderen Funktion auch einen Schmuck- oder Materialwert besitzen. Schließlich einfachere Dinge mit hohem Alter und zuletzt die Gegenstände, die in jüngster Zeit dem Nützlichkeitskreislauf entnommen werden, etwa Handwerkszeuge, bäuerliches Gerät, Industrieprodukte oder Alltagsgegenstände. „Kurz, das heutige kulturelle Erbe resultiert aus einer Entwicklung, die von den ursprünglichen Zeichen mit Symbolcharakter zu Objekten ohne Bedeutung übergeht, die man erst mit Bedeutung versieht.“2172 Durch die Bildung einer Sammlung wird der Sammler zum individuellen Kulturträger. Eine Sammlung, deren Sammler diese einem Museum übergibt, geht von einem individuellen Kulturträger auf einen kollektiven Kulturträger über. Der Schritt des Sammlers kann bedingen, daß ein Kulturwandel eintritt. Das Museum ist als Teil des kulturellen Gedächtnisses ein kultureller Informationsspeicher der Gesellschaft, da die Institutionalisierung einer Sammlung der Aufnahme der durch sie und den Sammler geprägten Bedeutung in das kulturelle Gedächtnis entspricht. Wenn etwas gesammelt wird, das bislang noch nicht im kulturellen Gedächtnis verankert ist, wie etwa im Falle der Technik, wird eine neue Sphäre sichtbar gemacht durch die Speicherung von Artefakten, als Teil des Kulturmechanismus, d.h. der Weitergabe von Kultur an die folgenden Generationen. Es findet dabei eine Grenzverschiebung statt zwischen den unterschiedlichen kulturellen Sphären. Aus dem, was einer Kultur bislang als unbekannt gilt, dem Außerkulturellen, oder dem Gegenkulturellen, das bekannt, aber als der eigenen Kultur entgegengesetzt gedeutet wird, kann unter Umständen etwas peripher Kulturelles, d.h. der eigenen Kultur Zuzurechnendes, aber nicht Zentrales werden, aus peripher Kulturellem wird eventuell etwas zentral Kulturelles. Oder aber es werden neue Gegenkulturen sichtbar gemacht, um das Eigene deutlicher sichtbar zu machen, wie etwa im Falle der ethnographischen Sammlungen. 2173 Mit der Institutionalisierung von Sammlungen werden mitunter kulturelle Codes neu gebildet und zunächst grob fixiert, sie werden später weiter elaboriert, ausgearbeitet, dann standardisiert und automatisiert. Schließlich kann eine Interferenz mit naheliegenden anderen Codes derselben Kultur eintreten, d.h. ein Austausch und gebenenfalls sogar ein Wegfall eines der beiden Codes.2174 Der Sammler im 19. Jahrhundert hatte hier eine wichtige Rolle, konnte er 2172

Pomian, Kulturelles Erbe 1990, S. 61f.

2173

Posner, Roland: Kultur als Zeichensystem. Zur semiotischen Explikation kulturwissenschaftlicher Grundbegriffe, in: Assmann, Aleida, Harth, Dietrich (Hg.): Kultur als Lebenswelt und Monument, Frankfurt am Main 1991, S. 37-74, hier S. 43, 55f. u. 65.

2174

Assmann, Kultur 1991, S. 62ff. 519

doch gerade in dieser Zeit an der Verschiebung kulturellen Sphären teilhaben, weil die kulturellen Codes im Museum noch in Bewegung waren, um sich neu zu festigen. Die Sichtweise, die den Menschen während der Renaissance in den Mittelpunkt stellt, wechselt zur Betrachtung der Objekte und Artefakte und ihren ursprünglichen Funktionen und Beziehungen. „Diese Bewegung ersetzt immer mehr eine religiöse und ästhetische Haltung durch eine historische und wissenschaftliche.“2175 Die historische Entwicklung mit ihren Brüchen und Kontinuitäten bedingt schließlich die Fortdauer und das Neuaufkommen von sammel- und museumswürdigen Objektgruppen. Über die Weiterentwicklung der Naturgeschichte der Aufklärung im Laufe des 19. Jahrhundert und die Evolutionstheorie Darwins wird der Mensch selbst Teil der Natur und verliert wiederum seine Sonderstellung. Dadurch kann der Entwicklungsgedanke wichtigstes museales Prinzip werden. Selbst die Kunst wird, statt sie nur nach ästhetischen Prinzipien zu präsentieren, in die kunsthistorische Entwicklung eingebunden, erstmals umgesetzt in der Sammlung des Wiener Schlosses Belvedere. Der Entwicklungsgedanke wird im übrigen am Ende fast wichtiger werden, als der Gegenstand selbst, worin unter anderem die bestehende Abneigung gegenüber den Museen begründet liegen kann, wenn die Objekte nur noch exemplarisch auf einer langen, eintönigen Kette aufgereiht sind, die das Publikum »entlangtrotten« muß.2176 Der Bereich der Techniksammlungen wird in den musealen Kanon aufgenommen. Damit erweitert sich der kulturelle Code um einen zivilisatorischen Faktor. Es ist der Gedanke des technischen Fortschritts, der sich in der dortigen Präsentation von Maschinen, Apparaten und ihrer technischen Geschichte in sog. Entwicklungsreihen widerspiegelt, die die Entwicklung einer Maschine oder eines Apparates von den ältesten bekannten zu den neuesten Produkten aufzeigt – ganz wie bei Haarmanns Gleisentwicklung vom vorzeitlichen Bohlenweg zur jüngsten Schienentechnik. Hier bestehen Parallelen zwischen der Musealisierung der Technik als neuem Kulturfaktor und der Musealisierung der Handelsausstellungen. Auch hier engagierte sich eine den etablierten Bildungsbürgern, die bis dahin den kulturellen Code des Museums definierten, eher ferne Gesellschaftsgruppe. Es sind die Kaufleute, die im Zuge des Kolonialimperialismus den Begriff des kuriosen Fremden, das schon seit der Neuzeit das Museums- und Sammelwesen bestimmt hatte, neu definierten und diesem in ethnographischen bzw. Kolonialsammlungen eine neue Richtung gaben. Der Präsentation von technischen Entwicklungsreihen ähnelt der Vorstellung der Produktionskette vom Rohstoff zum Produkt. Museen wie das Bremer Museum für Natur-, Völker- und Handelskunde oder das Deutsche Kolonialmuseum in Berlin kamen in Folge von Handels- und Kolonial-

2175

Pomian, Kulturelles Erbe 1990, S. 62.

2176

Kunst- und Ausstellungshalle, Wunderkammer 1994, S. 64. 520

ausstellungen zustande, wo Kaufleute diese Reihen präsentierten. Die Akteure waren am Überseehandel und den ökonomischen Vorteilen, die sie sich von der deutschen Kolonialpolitik versprachen, interessiert und zeigten daher museales Engagement. Daß diese Interessen auch in anderen Städten vorhanden waren, auch wenn es dort nicht zu einer unmittelbar greifbaren musealen Ausprägung kam, belegt nicht zuletzt das Osnabrücker Beispiel, wo sich die Handeslkammer über drei Jahrzehnte um die Einrichtung eines Reichshandelsmuseums bemühte. Es ist insbesondere der »Panorama-Blick« Europas auf die vorherigen Zeiten und Kulturen einerseits, auf die außereuropäischen Länder andererseits, der das Überlegenheitsgefühl der Europäer begründete. „Bestimmen ist Macht“2177, d.h. durch die Klassifizierung der ethnographischen Mitbringsel spiegelte und definierte sich Europa in Sicht auf die fremden Welten. Der dänische Kunsthistoriker Julius Lange äußerte 1876: „[...] wir, die wir in der Eigenschaft von gebildeten Gesamteuropäern und als Geschlecht betrachtet ganz oben in der Krone des höchsten Kulturbaums sitzen[,...] haben einen weiteren Gesichtskreis als irgendein früheres Geschlecht.“2178 Die Musealisierung »fremder Welten« ist auch im Falle Emdens und Osnabrücks gerade für die Zeit des 19. Jahrhunderts Ausdruck dafür, daß sich bürgerliche Sammler mit Hilfe des Sammelns unbekannter fremder Kulturerzeugnisse diese Welten verständlich, aber dadurch auch beherrschbar – untertan – machen wollten. Dies um so mehr, als im Bewußtsein, selbst einer höher stehenden Kultur und Zivilisation anzugehören, die zudem noch im Wettstreit mit anderen gleichrangigen »Kulturnationen« stand und um den »Platz an der Sonne« rang, wenig Raum für eine Einstellung blieb, die an einer gleichberechtigten Betrachtungsweise großes Interesse besaß. In Bremen waren dies Hugo Schauinsland und sein Museum. Schauinslands institutionalisiertes Sammeln war zunächst Teil des städtischen Repräsentationsrahmens. Schauinsland hatte dort mit dem neuen Städtischen Museum für Natur-, Völker- und Handelskunde eine fortschrittliche Museumskonzeption geschaffen, die vorzeigenswert war, deren Vorsprung Schauinsland aber auch gegenüber konkurrierenden Instituten in Städten wie Hamburg oder Berlin, die wesentlich größere Mittel aufbringen konnten, durch eine verstärkte Sammeltätigkeit meinte »verteidigen« zu müssen. Hier wurde Sammeln zum Prestigehandeln. Daß dem Museumsdirektor und Wissenschaftler dieses Sammeln ermöglicht wurde, verdankte Schauinsland neben dem parallelen Interesse der städtischen Spitze auch der Förderung durch die Bremer Kaufmannschaft, die zur Zeit des Kolonialimperialismus in dem Institut ein Mittel sah, um ökonomische Vorteile zu erzielen.

2177

Ebd., S. 179.

2178

Ebd., S. 65. 521

Zudem passen sich Schauinslands Sammelreisen ein in den ideengeschichtlichen Zeithorizont, der von den spezifischen Handlungsmustern des Kolonialimperialismus determiniert war. Selbst die erste der vier großen Reisen, die noch stärker unter dem Vorzeichen der Forschung gestanden hatte, gehört in diesen Kontext, wies sie doch die typischen Merkmale westlich-europäischer Entdeckerreisen auf, die vordergründig der Forschung dienten, aber letztendlich den ökonomischen Interessen und Ansprüche den Weg bahnten. 2179 Trotz der deutlichen Schwerpunktsetzung sind in dieser Zeit aber auch bereits die Wurzeln gelegt, um die kulturellen Codes nachhaltig zu verändern. Mit der Einbeziehung anderer Kunst gerät der lange Zeit an der Antike orientierte Kunstbegriffs allmählich ins Wanken. Einerseits eröffnen sich diese neuen Felder durch die Entdeckung der Geschichtlichkeit und damit anderer Kunstepochen wie dem Mittelalter. Andererseits wird die Kunst aus anderen geographischen Räumen erforscht, etwa aus dem Orient oder Asien, später aus Mittel- und Südamerika, was die Zeit vor Kolumbus betrifft, sowie aus Afrika. Dazu gesellt sich zudem die prähistorische Kunst und die Volkskunst. Die Begegnung mit der japanischen Kunst um 1860, die bis dahin durch eine restriktive Abgrenzungspolitik weitgehend unbekannt geblieben war, löste beispielsweise in der künstlerischen Avantgarde einen radikalen Wandel des Kunstbegriffs aus. Aus ethnographischen Objekten wurden eigenständige Kunstwerke. Mit den sichtbar werdenden anderen künstlerischen Ausdrucksformen löste sich das Schönheitsideal von der Antike und konnte zunehmend als von kulturellen und historischen Schwankungen abhängig begriffen werden. Die bis dahin als ewig gesetzten kulturellen Maßstäbe konnten dadurch in Frage gestellt werden. 2180 Dies kann jedoch für den gewählten Untersuchungsschwerpunkt nur begrenzt in Anspruch genommen werden, beispielsweise in der Wertschätzung der Verarbeitung chinesischer Bronzen aus der Sammlung Assmann, die im Katalog des Osnabrücker Museums erwähnt wurde. Das Museum des 19. Jahrhunderts operierte demnach mit unterschiedlichen Kulturbegriffen. Die am antiken Vorbild orientierten Kunst- und kunstgewerblichen Abteilungen setzten die vom Spiritualismus geprägte Verherrlichung der idealen Kunst fort, die seit Winckelmann mit den Vertretern der Klassik das Museum und insbesondere das Museum als Kunstmuseum geprägt und an die Erziehung des Menschengeschlechts am Ästhetischen geglaubt hatte. Die Bildung des Geschmacks am hochstehenden Ideal, das sich nach und nach auf andere Kunstgattungen, die Niederländer, mittelalterliche Kunst etc., ausgeweitet hatte, verstand Kultur als die Orientierung der Zivilisation an den Hochkulturen. Mit der Entdeckung der sog. Primitiv-, Steinzeit- etc. -kulturen sowie mit ihrer musealen Präsentation in neuen

2179

Schauinsland, Übersee 1999, S. 40 u. 339.

2180

Kunst- und Ausstellungshalle, Wunderkammer 1994, S. 115f. 522

Museumssektoren seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kommt die naturalistische Erklärung der Zivilisation als Evolution hinzu. Beides bleibt in den Museen parallel vorhanden, in kleineren universalen Museen wie dem Osnabrücker sogar in den unmittelbar nebeneinanderliegenden Räumen. 2181 Die Erweiterungen sind die durch die neuen wissenschaftlichen Methoden entstehenden archäologischen Abteilungen für Vor- und Frühgeschichte, die ethnographischen, die die Primitivkulturen als auf früherer Stufe stehengeblieben zeigen, schließlich die technischen wie Haarmanns Gleisentwicklung. Das Ritual der Institutionalisierung Die Übergang der Sammlung vom individuellen auf den kollektiven Kulturträger ist im bürgerlichen Zeitalter streng ritualisiert. Der Sammler der Öffentlichkeit bringt im neuzeitlichen »Tempel der Musen« mit seiner Sammlung eine Art Opfer dar, das im Falle von Schledehaus noch als Dankopfer für die erhaltene bürgerliche Bildung zu verstehen ist. Dem Ritual des Schenkens und Stiftens steht – später noch stärker als früher – die häufig wie etwa bei Domkapitular Berlage ausgesprochene Erwartung gegenüber, dafür auch angemessen gewürdigt zu werden. Der Geschenkgeber wird genannt, ein Porträt aufgehängt, seine Sammlung besonders gekennzeichnet. Der Höhepunkt eines solchen Rituals ist, wenn ein Saal, ein Gebäudeflügel oder gar ein ganzes Museum nach dem einstigen Privatsammler benannt wird. Zahlreiche renommierte Museen sind so aus Privatsammlungen entstanden, beispielsweise das Kestner-Museum in Hannover oder das Römer-Pelizäus-Museum in Hildesheim. Im Ritus der Institutionalisierung werden also nicht nur die Sammlungstücke als Zeichenträger vergangener Zeiten verewigt. In die Zukunft verlängert wird dabei auch das – irdisch beendete – Leben des Sammlers. Durch seine Tätigkeit hat sich der Sammler mit vergangenen Zeiten und bereits historischen Personen befaßt. Nun, da er selbst in den Kreis dieser Personen eintreten wird, sucht er sein Werk zu verlängern. So wie der Künstler seit je – um noch einmal auf frühere Ebenen zu verweisen – dem Herrscher durch seine Bildwerke und das sich damit Umgeben eine irdische Ewigkeit verlieh, die der Herrscher selbst durch seine Taten allein nicht erzielen konnte, sieht der Bürger in der Institutionalisierung seiner Sammlung eine Möglichkeit, sich eben diese Ewigkeit zu verschaffen. 2182 Das Einzelexponat und Sammelstück ist Zeichenträger einer bestimmten Zeit, eines bestimmten Ereignisses; die Sammlung als Komplex wird zum »Zeichenträger« für den Sammler. Nicht zuletzt wird mit einem derartigen irdischen Ewigkeitsritual Ersatz geschaffen für ein Jenseits, das im Zuge der Säkularisierung verloren gegangen ist.

2181

S.a. Pomian, Ursprung 1998, S. 100ff.

2182

S.a. ebd., S. 59. 523

Fazit Das Sammeln natur-, kunst-, kultur- und technikgeschichtlicher Gegenstände war Teil einer gesamtbürgerlichen Entwicklung. Die wenigen gewählten Beispiele haben veranschaulichen können, daß wir es im Falle Osnabrücks und dem dort nachvollziehbaren Verhalten von einzelnen Bürgern mit der kulturellen Einstellung des gesamten Bürgertums zu tun haben, d.h. mit generellen, verallgemeinerbaren Strukturen, die sich auch in anderen Kommunen mit anderen Sammlern und Museumsgründern in ähnlicher Form wiederfinden lassen. Dennoch transportierten die einzelnen Sammlungen doch auch soviel Individualität, daß wir es in der Generalisierbarkeit zugleich mit einem hohen Grad an regionaler, lokaler, individueller Spezifik zu tun haben. Daß die Sammler gerade im 19. Jahrhundert, dem klassischen Zeitalter des Museums, so gute Voraussetzungen fanden, ihre Sammlungen zu institutionalisieren, hat verschiedene Ursachen. Das Erkenntnisinteresse des antiken Museions, das sich in den wissenschaftlichen Wunderkammern der Humanisten fortgesetzt hatte und mittlerweile im klassischen Zeitalter des Museums, dem bürgerlichen, angekommen war, hat mit den »kleinen« Sammlern eine breite Ebene erreicht. Wir haben es mit einer Form der Vergesellschaftung zu tun. Das demokratische Prinzip beschränkt sich nicht allein auf den Zugang als Publikum, sondern die Erweiterung von Wissen durch Sammeln und die anschließende Institutionalisierung bedeutet die Vereinigung zwischen individuellem Handeln und gesamtgesellschaftlicher Verantwortung. Indem die Musealisierung und Institutionalisierung auch vielen einzelnen Sammlern möglich wird, kommt ein neuer Sinn hinzu. Die »Veröffentlichung« des persönlichen Handelns, dem eine individuelle Identität innewohnt, bewirkt zum einen gesellschaftliche Anerkennung, zum anderen stiftet das persönliche Handeln in diesem Moment einen neuen, einen öffentlichen Sinn, der das eigene Handeln auf eine neue, kollektive Ebene hebt. Im allseitigen Boom der Gründerzeit behielten die beiden Bereiche des Museums und der Wissenschaften ihre enge Partnerschaft bei. Zwischen dem Aufkommen der Museen und der Entwicklung wissenschaftlicher Praxis wird in der Forschung eine enge Verbindung gesehen. Beide Bereiche haben sich schon früh gegenseitig bedingt.2183 Der Prozeß einer sammlungsbezogenen Verwissenschaftlichung war bereits in den Sammlungen der Renaissance visuell angelegt und in der Zeit der Aufklärung gemäß einem heutigen Wissenschaftsverständnis in Gang gesetzt worden. Auf breiter Basis setzte dieser Prozeß jedoch erst im 19. Jahrhundert ein, als Bildung und wissenschaftliche Erkenntnis sich zu einem gesellschaftlich einforderbaren Anspruch entwickelten.

2183

Findlen, Paula: Die Zeit vor dem Laboratorium: Die Museen und der Bereich der Wissenschaft 1550-1750, in: Grote, Macrocosmos 1994, S. 191-207, hier S. 203. 524

Um der dynamischen Entwicklung von Wissenschaftlichkeit und Öffentlichkeit auch im Museum standhalten zu können, war es geradezu zwangsläufig, daß der Sammler, der in seiner Privatheit eine Sammlung als Studien- und Forschungsinstrument zusammenstellte und nutzte, als Fachmann, der an eben dieser Sammlung als Autodidat bzw. Dilettant »gewachsen« war, auftrat. Er bot der Öffentlichkeit sein Kapital, das erworbene und in der Sammlung materialisierte bzw. erfahrbare Spezialwissen an. Jene Öffentlichkeit konnte daran teilhaben. Förderlich dafür war das verbreitete Konzept einer universalen Museumssicht. Der öffentliche Einfluß der Privatsammler schwand einerseits in dem Moment wieder, als die Museen auf breiter Basis für die Öffentlichkeit zugänglich waren. Andererseits trat auch mit der steigenden Professionalisierung des Museumswesens die Kompetenz des Sammlers wieder stärker zurück, nämlich hinter die des sich nun fortgesetzt spezialisierenden Museologen. Der Privatsammler ist nach wie vor ein Spezialist, meist ein gefragter dazu. Doch er muß sich nun den bestehenden Ansprüchen und musealen Wissensbeständen anpassen. Aufgrund der ihm durch den Öffnungs-, Spezialisierungs- und Professionalisierungsprozeß in dem Museologen erwachsenen Konkurrenz ist sein Einfluß auf die Institutionalisierung des Sammelns gesunken – ohne jedoch gänzlich verschwunden zu sein. Positiv betrachtet, gewinnt er dadurch seine ursprüngliche Freiheit wieder zurück, denn im Privaten ist er den durch die Institutionalisierung verfestigten Strukturen nicht unterworfen. Die Privatsammlung wird – für eine neue Phase der Musealisierung – wieder zum Labor.

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