Sagenhafter Stein am Gabelspitz

Sagenhafter Stein am Gabelspitz Dieser Stein ist 1949 mit einem Regierungsratsbeschluss2 unter Schutz gestellt worden: 1. Der Findling „Gabelspitzstei...
Author: Lioba Geisler
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Sagenhafter Stein am Gabelspitz Dieser Stein ist 1949 mit einem Regierungsratsbeschluss2 unter Schutz gestellt worden: 1. Der Findling „Gabelspitzstein“ auf dem Schallenberg wird als Naturdenkmal erklärt und unter Nummer und Stichwort N 102 G 3 „Gabelspitzstein auf dem Schallenberg“ in das Verzeichnis der Naturdenkmäler eingetragen. Der Stein liegt im Schnittpunkt der Parzellen Eggiwil Nr. 529 und Röthenbach Nr. 656 und 657, . . . . 2. Jede rechtliche oder tatsächliche Veränderung an dem Blocke ohne Einwilligung der Forstdirektion ist verboten. 3. Die Naturschutzkommission des Kantons Bern sorgt für eine geeignete Kennzeichnung des Findlings als Naturdenkmal.

Alti Pure wüsse z brichte, Viel vo alte schöne Brüüche, Viel vo halbvergässne Sache, Wo me jitz nümme weis. Wüssen ou no mängergattig Wo di Junge nüüme gloube, Wo die Junge druber lache Will si’s besser wei verstah. Carl Albert Loosli1 Die Sage ist eine auf mündlicher Überlieferung basierende, kurze Erzählung von unglaubhaften, fantastischen Ereignissen, die teilweise auf tatsächlichen Begebenheiten beruhen. Mündlich überlieferte Volkssagen erklären häufig geographische Besonderheiten oder Namen. Die Sage vom Gabelspitz orientiert sich offensichtlich am ungewohnten Namen dieser Alp und an einem alten Stein [einem Findling siehe unten], dessen Inschrift die Phantasie der Leute weckte.

Johann Riedweil

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Röthenbach in alter Zeit

Eine kurze Fassung der Sage, die mein Grossvater mir im Fischbach erzählte:

Eine Karte im Burgerarchiv Thun von der Oberei und Niederei um 1745 nennt den gleichen Stein: Läger Stein.

Zwei Brüder hätten Grenzstreitigkeiten gehabt und beim Mistzetten habe der eine den andern mit einer Mistgabel erstochen. Ist das Dichtung oder Wahrheit? Diese Frage haben sich schon Viele gestellt. 1858 schreibt ein Ingenieur auf einer Karte der Gabelspitzalp an der Stelle dieses Steins die Jahrzahl: Ao 1595 und glaubt an eine Jahrzahl, die hier eingemeisselt wäre. Doch schon kurz danach schreibt Albert Jahn3 dazu: „Unter den Alpen, die zwischen dem Tal von Eggiwil, dem Quellgebiet des Rötenbachs und dem Rötenbachtälchen liegen, heisst eine der Gabelspitz, nach einem bei der Sennhütte hervorragenden Steine, welchem ein Zeichen in Form einer Mistgabelspitze eingehauen ist, weil hier, nach der Sage, von zwei Brüdern der eine den andern mit einer Mistgabel erstochen hat. Möglicherweise ist aber die vermeintliche Mistgabel ein altes Rechtsbesitz- und Marchzeichen und in diesem Falle wäre die Sage aus der Deutelei eines nicht mehr verstandenen Zeichens entstanden.“ Rund einhundert Jahr früher hatte dieser Stein auch noch andere Namen erhalten. So heisst der Stein auf der Karte von Riediger [siehe auch Seite 5 unten die ganze Karte des Gabelspitzes]: Cappelen Stein.

Wir versuchen einer neuen Vermutung nachzugehen. Der Gabelspitzstein könnte Grenzstein verschiedener Alpen oder Gemeinden gewesen sein. So hat man auch 1858 alle Marchsteine, nicht ganz 100 Stück, an der Gabelspitzalp fortlaufen nummeriert. Heute sind immer noch solche Steine zu finden, so etwa der Stein Nummer 2 am Gabelspitz:

oder Stein Nummer 34 zur Waldmatt Alp:

Johann Riedweil

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Röthenbach in alter Zeit

Hier ist mit roter Farbe noch die Nordrichtung sichtbar. Da der Stein auf dem Schallenberg in alter Zeit wahrscheinlich auch die Grenze gegen die Läng Gfääl Alp markierte, suchen und finden wir mehrere Steine entlang dieser Alp, die keine Nummern tragen, aber alle mit einem Kreuz versehen sind, wie das folgende Bild zeigt.

den östlichen Teil, Hans, der andere Sohn, jenen Teil gegen Röthenbach. Peters Mutter war früh gestorben. Änneli, ihre Tochter, übernahm die Hausarbeiten. Im Frühjahr 1595 zogen die Brüder mit ihrem Vieh und Hab auf die Alp. Vorab schritt Christen, Peters Knecht. Es herrschte nicht die Fröhlichkeit wie in anderen Jahren. Hanses Meisterknecht Ueli war kurz zuvor verstorben und hinterliess eine grosse Lücke. Ruedi, ein junger Bursche, übernahm seine Aufgaben. Von diesem ging bald die Rede «es sig nütz» mit ihm, er habe alle Kraft im Maul. Er lehnte sich rasch gegen Christen an. So wurde bald eine «Usmachete» gesucht und auch gefunden. Zäh und langsam obsiegte Christen, ein Waffenstillstand wurde beschlossen. Peter merkte nicht, dass sich Ruedi trotz der Niederlage an Änneli heranwagte. Als Christen davon erfuhr, entflammte sich ein neuer leidenschaftlicher Zwist zwischen den beiden Knechten. Die Rivalitäten zogen sich hin bis in den Herbst. Vor der Alpabfahrt trafen sich die beiden in Begleitung von Änneli an der Herbstchilbi mit Schwinget und Tanz. Zum Schlussgang kam es wie erwartet zwischen Christen und Ruedi. Die Spannung war kaum zu überbieten, als sich die beiden die Hände zum Endkampf reichten. Dabei ging es nicht um das Siegerschaf oder die Schwingerehre, die bisher Christen gehörte und die ihm nun Ruedi streitig machen wollte. Es ging um Änneli. Der Kampf ging hin und her. Die Muskeln spannten sich, und pfeifend ging der Atem. Nach zähem Kampf gewinnt plötzlich Ruedi die Oberhand und verlässt den Kampf als Sieger. Christen steht schneeweiss auf und verlässt den Platz, ohne seinem Widerpart nach Schwingerbrauch die Hand zu reichen. Als letzte Arbeit vor der Talfahrt verteilten die Sennen den Kuhmist auf der Weide. An der Marche der beiden Alpen trafen sich die beiden, die Arbeit fiel beiden schwer. Plötzlich hebt Christen seine Mistgabel, stürzt in wahnsinnigem Hass auf Ruedi und stösst ihm die Zacken in den Leib. Ruedi seinerseits konnte im letzten Lebenskampf auch Christen mit der Gabel so verwunden, dass beide den Verletzungen erliegen. Die beiden wurden am Tatort begraben. Ein Stein mit der Jahrzahl 1595 und zwei

Auf dem Gabelspitzstein [siehe Seite 1] sieht man tatsächlich 2 Kreuze, wie obiges Bild zeigt. Weiter sieht man rechts oben den Buchstaben N, der die Nordrichtung markierte und ein Strich, der von vielen als eine 1 angesehen wird, könnte auch die Nordrichtung anzeigen, da diese Linie praktisch parallel zum Nordzeichen steht. Leider zeigen diese Richtungen heute nicht nach Norden, sondern eher nach Osten gegen die Schrattenfluh. Wir wissen aber, dass der Stein zur Zeit der Erstellung der Schallenberg Passstrasse kurz vor 1900 versetzt werden musste. Offenbar hat man ihn nicht mehr in die Nordrichtung gestellt. Die Gabelspitzsage schildert uns heute Fritz von Gunten4 neu: „Von uralters her gehörte das riesige Gebiet zwischen Naters und Schynegg einer Kühersfamilie Tschanz. Peter, der eine Sohn, bewirtschaftete Johann Riedweil

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Röthenbach in alter Zeit

Schon Grenzbeschreibungen vor 1600 sprechen von 2 Kreuzen, die zur Kennzeichnung der Alpgrenzen benutzt wurden. So lesen wir im Urbar6 von Thun zur Grenze gegen die Gabelspitzalp: „…. an ein grossen Wyssbaum [Weisstanne], hat zwöi Krütz und darbei ein Marchstein gesetzt; dann deren der Gredi nach hinuff an ein junges Rothtännli am Gabelspitz, ….“ Eine „gelachelte“ [eingekerbte] Tanne oder Buche war häufig ein Merkmal für eine Grenze, insbesondere zur Markierung von Ecken.

gekreuzten Fünfzackern erinnert an die Tat. Noch heute heisst der hintere Natersberg im Volksmund Gabelspitz.“ Diese Darstellung der Sage ist eine Kurzfassung einer umfangreichen Geschichte aus dem Sennenleben, die der Pfarrer Emil Baudenbacher5 1907 geschrieben hat. Wenn aus einer Sage eine Geschichte wird, so wird diese meist in eine bestimmte Zeitepoche gestellt und mit mehreren Personen ausgeschmückt. So taucht auch hier die Jahreszahl 1595 auf. Doch die Alp Gabelspitz hatte diesen Namen schon viel früher und wird u.a. im Lehenvertrag der Waldmatte von 1595 [siehe die Alp Waldmatt] so benannt. Die Namen Hans, Peter und Anna Tschanz gab es um 1500 auf dem hinteren Schallenberg auch. Es ist durchaus möglich, dass Pfarrer Baudenbacher diese von seinem Kollegen in Röthenbach aus dem Taufrodel erhalten hat.

Nach meiner Vermutung ist dieser sagenumwobene Stein ein Marchstein und nicht ein Grabstein. Die beiden Kreuze sind ein Grenzzeichen. Der Buchstabe N markierte die Nordrichtung am ursprünglichen Standort. Der Strich neben der Zahl 59 könnte auch die Nordrichtung angezeigt haben. Die Kreuze könnten 200 Jahre oder älter sein; die Zahl 59 ist eher jüngeren Datums, woher diese stammen könnte, bleibt weiterhin rätselhaft.

Die Sage wurde im Jahre 2000 auch als Freilicht-Theater auf dem Gabelspitz von der Landjugendgruppe Schallenberg „D'Saag vom Gabelspitz“ unter der Regie von Renate RentschSalzmann in die Zeit um 1800 versetzt und auf der Alp Gabelspitz im Jahr 2000 aufgeführt. Sepp und Benz waren die zwei Brüder, die um eine schöne Tochter streiten, wobei Sepp seinen Bruder mit einer Mistgabel ersticht.

Johann Riedweil

Der Autor dankt der Besitzerfamilie von Wattenwyl und der Pächterfamilie Zürcher für die Unterstützung bei der Suche nach dem Ursprung des Gabelspitz Steins.

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Röthenbach in alter Zeit

Karte von 1728 von I.A. Riediger im Auftrage des Generals Hackbret und Junkers Obrist von Wattenwyl. Heute im Besitz der Familie von Wattenwil, Diessenhof, Oberdiessbach.

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Carl Albert Loosli, 2008, Mys Ämmital, Rotpunktverlag, Seite 159. 2 Regierungsratsbeschluss Nr. 6305 von 1949. 3 Albert Jahn, 1864, Emmentaler Altertümer und Sagen. Erweiterte Neuausgaben mit Anmerkungen von Karl Dürr, Schritt Verlag Bern 1964. 4 Fritz von Gunten, 2008, Sagenhaftes Emmental, Selbstverlag Fritz von Gunten, Seite 207. 5 Emil Baudenbacher, 1907, Heimatglück: Erzählungen, Skizzen, Betrachtungen und Sprüche. Gustav Grunau Verlag, Bern. 6 Urbar 1594 No.3. des Spittahls zu Thun, im Archiv der Stadt Thun, BAT 11, Seite 206.

Johann Riedweil

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Röthenbach in alter Zeit