S Ü D W E S T R U N D F U N K F S - I N L A N D R E P O R T MAINZ S E N D U N G:

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Author: Ilse Giese
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Diese Kopie wird nur zur rein persönlichen Information überlassen. Jede Form der Vervielfältigung oder Verwertung bedarf der ausdrücklichen vorherigen Genehmigung des Urhebers © by the author

SÜDWESTRUNDFUNK FS-INLAND R E P O R T MAINZ S E N D U N G:

17.04.2012

http://www.reportmainz.de

Neuer Trend: Warum Kassenpatienten immer öfter für private Notdienste zahlen

Autor:

Eric Beres Claudia Butter

Kamera:

Eric Beres Volker Kintzinger Jens Köppelmann Philip Strauß

Schnitt:

Inge Maric

Moderation Fritz Frey: Guten Abend. Verzweiflung hier, vollmundige Versprechen dort. Eben noch waren sie in allen Nachrichtensendungen zu sehen, die Vertreter der Kassenärztlichen Vereinigungen. Sie haben uns erklärt, dass die Schwierigkeiten, einen niedergelassenen Arzt außerhalb der Praxisöffnungszeiten zu finden, endlich der Vergangenheit angehören. Die Einführung der Telefonnummer 116 117 bringe eine enorme Erleichterung. Doch wie sieht die Wirklichkeit hinter den

2 vollmundigen Versprechen aus? Recherchen von Eric Beres und Claudia Butter. Bericht: Das Ehepaar Baumgartl hat ein schweres Schicksal. Ursula Baumgartl pflegt zu Hause ihren schwerkranken Mann. Vor sechs Wochen, an einem Sonntag, bekommt er plötzlich Krämpfe. O-Ton, Ursula Baumgartl: »Sicher hatte ich Angst, weil er wollte ja an den Verband, wo die Magensonde drin ist. Da hat er doch den Verband, und den wollte er abreißen. Den Katheter wollte er raus machen.« Eine schwierige, aber keine lebensbedrohliche Situation, findet sie. Deshalb ruft sie den zuständigen kassenärztlichen Notdienst im Wetterau-Kreis in Hessen an, hofft auf schnelle Hilfe. Doch erst mal passiert lange nichts. O-Ton, Ursula Baumgartl: »Wir haben hier gewartet und gewartet und gewartet. Und es ist niemand gekommen. Nach eineinhalb Stunden habe ich halt nochmal angerufen, da haben sie gesagt, das Einzugsgebiet wäre sehr groß. Und die haben halt viel zu tun.« Zweieinhalb Stunden, sagt sie, dauert es, bis der Arzt endlich kommt. Nur ein unglücklicher Einzelfall? Für den ärztlichen Notdienst zuständig sind die Kassenärzte. Sie haben einen gesetzlichen Sicherstellungsauftrag. Im Januar wurden in Hessen Notdienstbezirke zusammengelegt. Folge: Weniger Anlaufstellen für Patienten. Der Hausbesuchsdienst muss größere Gebiete versorgen. Was bedeutet das konkret? Unterwegs mit dem Rettungsdienst im Wetterau-Kreis. Der ist eigentlich nur für schwere und lebensbedrohliche Fälle zuständig. Nicht für Lappalien. In dieser Nacht: Ein Einsatz im Pflegeheim. Eine Bewohnerin hat Schmerzen im Bein. O-Ton: »Sind Sie da heute irgendwo ran gestoßen?«

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Sie hat glücklicherweise nichts Ernstes. Warum aber ist dann der Rettungsdienst vor Ort? Die Nachtschwester im Pflegeheim erzählt uns Erstaunliches. O-Ton, Annamaria Gutjahr, AWO-Pflegeheim Butzbach: »Ich habe zuerst den ärztlichen Notdienst angerufen und die haben mich dann zu der 112 verwiesen.« Frage: Machen Sie diese Erfahrung öfter, dass der ärztliche Bereitschaftsdienst keine Zeit hat? O-Ton, Annamaria Gutjahr, AWO-Pflegeheim Butzbach: »Ja, mache ich.« Der ärztliche Bereitschaftsdienst – keine Zeit? Wie kann das sein? Die Kassenärztliche Vereinigung Hessen. Sie ist verantwortlich für die Änderungen im Notdienst. Wir wollen wissen, wie sich die auf die Versorgung der Patienten auswirken. Der Sicherstellungsauftrag werde uneingeschränkt erfüllt. Schriftlich heißt es: Zitat: »Der Bereitschaftsdienst beziehungsweise Notdienst in Hessen funktioniert gut (...). Die Zeiten zwischen Anruf und Besuch (haben sich) gegenüber der Situation vor 2012 vielfach sogar verkürzt.« Das sehen sie hier beim Rettungsdienst ein bisschen anders. Immer wieder, sagen die Lebensretter, müssen sie ausrücken, weil der kassenärztliche Notdienst keine Zeit hat. Die Zahl ihrer Einsätze sei um bis zu 20 Prozent gestiegen. O-Ton, Marco Laßmann, DRK-Rettungsdienst Friedberg: »Wir erleben die Situation folgendermaßen, dass wir die Kastanien aus dem Feuer holen müssen für eine Kassenärztliche Vereinigung, die offensichtlich personell unterbesetzt ist. Der Sicherstellungsauftrag wird aus unserer Sicht nicht wahrgenommen.«

4 Widersprüchliche Aussagen also. Tatsache ist: Nach REPORTMAINZ-Recherchen klagen Rettungsdienste in ganz Deutschland darüber, dass sie immer öfter für Lappalien im Einsatz sind. Und damit möglicherweise für lebensbedrohliche Fälle blockiert sind. Wir fragen alle Kassenärztlichen Vereinigungen in Deutschland: Wie haben sich die Bereitschafts- und Notdienstbezirke in den vergangenen Jahren verändert? Ergebnis: In vielen Regionen wurden die Bezirke vergrößert, ihre Zahl dadurch drastisch reduziert. Beispiele: In Westfalen-Lippe – von 178 auf 32. Brandenburg: von 152 auf 76, in Baden-Württemberg geplant: eine Reduzierung der Bezirke von rund 400 auf 150. Berlin: Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Andreas Köhler präsentiert stolz eine einheitliche Rufnummer für den ärztlichen Bereitschaftsdienst. Er räumt ein, dass der Not- und Bereitschaftsdienst nur noch mit größeren Bezirken zu machen ist. O-Ton, Andreas Köhler, Vorstandsvorsitzender, Kassenärztliche Bundesvereinigung: »Wenn wir es weiterhin schaffen wollen, an jedem Ort in Deutschland einen Bereitschafsdienst aufrecht zu erhalten, dann müssen wir das auch so machen, dass manche Hausärzte nicht jeden zweiten Tag rund um die Uhr tätig sein müssen. Deswegen mussten wir die Bereitschaftsdienstbezirke vergrößern.« Frage: Geht das zu Lasten der Patienten, diese Vergrößerung der Bezirke? O-Ton, Andreas Köhler, Vorstandsvorsitzender, Kassenärztliche Bundesvereinigung: »Die Anfahrtswege werden etwas länger sein, aber wir halten sie im Vergleich zu anderen europäischen Ländern immer noch für absolut vertretbar.« Walter Bockemühl ist da ganz anderer Meinung. Der AOK-Chef in Rheinland-Pfalz und Saarland sieht den Kassenärztlichen Bereitschafts- und Notdienst seit Jahren kritisch.

5 O-Ton, Walter Bockemühl, AOK Rheinland-Pfalz/Saarland: »Das sind Pseudolösungen, weil ich damit natürlich aus der Fläche heraus gehe mit dem ärztlichen Bereitschaftsdienst, aber der ärztliche Bereitschaftsdienst muss ja gerade wegen der Versorgungssituation der Bevölkerung nahe bei den Menschen sein.« Und die Profiteure? Findige Ärzte wie er: Dr. Christof SchneiderRothhaar. Er betreibt einen von inzwischen vielen privatärztlichen Notdiensten. Wer ihn ruft, muss die Behandlung privat bezahlen. Eine seiner Patientinnen: Sinikka Schubert. Sie ist eine ganz normale Kassenpatientin, doch von dem Bereitschaftsdienst der Kassenärzte hält sie nichts. So wie kürzlich, als sie plötzlich Atemnot bekam. O-Ton, Sinikka Schubert, Kassenpatientin: »In dem Punkt als ich diese allergische Schockreaktion hatte, war mir eigentlich klar, dass ich keine Stunde warten kann. Um da jetzt hinzufahren. Und ich aus meiner Umgebung raus musste. Dementsprechend kam für mich nur der privatärztliche Notdienst in Frage.« Für die schnelle Hilfe vom Privatarzt war die Kassenpatientin bereit, 100 Euro aus eigener Tasche zu zahlen. Zur Freude von Dr. Schneider-Rothhaar. Immer wieder, sagt er, suchen inzwischen Kassenpatienten seine Hilfe. O-Ton, Christof Schneider-Rothhaar, Privatärztlicher Notdienst: »Es ist für mich von Vorteil für mein Geschäft, dass mich Kassenpatienten in Anspruch nehmen. Aber es ist eigentlich eher ein Armutszeugnis, auch für das gesetzliche System, das es nicht schafft, Leute in angemessener Art und Weise eben zu behandeln und zu betreuen.« Fazit: Kassenpatienten zahlen doppelt, weil sie dem kassenärztlichen Notdienst nicht vertrauen.

6 Und wer ihn ruft, muss – so wie Ursula Baumgartl – oft stundenlanges Warten in Kauf nehmen. Die neuen Strukturen des kassenärztlichen Notdienstes: Ausbaden müssen sie am Ende die Patienten.

Abmoderation Fritz Frey: Zum Thema, unter anderem in reportmainz.de, ein Gespräch mit unseren Autoren zur Frage was man tun kann, wenn trotz Anruf stundenlang kein Arzt kommt.

Links: Informationen zur neuen ärztlichen Bereitschaftsdienstnummer http://www.116117info.de/html/

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