Spenderservice
Kindernothilfe
Jede Unterstützung hilft, den ärmsten Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen. Sie können uns helfen mit einer Spende der Übernahme einer Projektpatenschaft für CHF 300.— pro Jahr einem Legat Wir beraten Sie gerne. Rufen Sie uns an. Telefon: 062 823 38 61 Oder schreiben Sie eine E-Mail an
[email protected]
Impressum Zeitschrift für Kindernothilfe Gönnerinnen und Gönner sowie für Kindernothilfe-Projektpaten. Ab CHF 20/Jahr im Gönnerbeitrag inbegriffen. Erscheinung: vierteljährlich Herausgeberin: Stiftung Kindernothilfe Schweiz, Laurenzenvorstadt 89, 5000 Aarau Tel. 062 823 38 61, E-Mail:
[email protected], www.kindernothilfe.ch Spendenkonto: PC 60-644779-1 Redaktion: Maya Höneisen, Nicole Kayser Gestaltung: Sigi Reiss, Darmstadt Litho und Druck: L.N. Schaffrath GmbH & Co. KG DruckMedien, Geldern Auflage: 10.000 Exemplare pro Ausgabe Papier: 80 g/m², Terraprint Hinweise: Für unverlangt eingesandte Manuskripte keine Gewähr. Mit Verfassernamen gekennzeichnete Beiträge geben nicht zwingend die Meinung des Herausgebers wieder. Nachdruck nur mit Genehmigung. Im Sinne einer leichteren Lesbarkeit wird bei Substantiven auf die Unterscheidung in weibliche und männliche Form verzichtet. Gemeint sind in allen Fällen immer sowohl Frauen als auch Männer.
Ausgabe 2.2014
Brasilien Fussball in den Favelas als Überlebensstrategie Philippinen Der Aufbau nach dem Taifun Haiyan
Ruanda blickt nach vorne
Editorial
„Wir müssen vergeben, damit wir in Frieden miteinander leben können“
Für ein menschenwürdiges Leben
Veny Nyirakamana (41), Ruanda
04 Unser Einsatz weltweit 04 20 Jahre nach dem Völkermord
Ruanda: Ein Land blickt nach vorne
10 Nachgefragt bei Ute Luhr
Interview über ihre Arbeit in Ruanda
11 Wir bleiben an der Seite der Kinder
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Philippinen: Zwischenbericht nach dem Taifun
14 Schule fürs Leben
Brasilien: Fussball als Überlebensstrategie
17 Engagierte Mitarbeiter
Irène Egli
18 Interview
Gemeinsam stark
Service
2
18
20 So erreichen Sie uns
Die Fussballweltmeisterschaft in Brasilien ist Geschichte,
und Landwirtschaft ein bescheidenes Einkommen
der Sieger gekürt. Rund um den Erdball liessen die Fans
erzielen können. Unser Bericht auf den Seiten 5 bis 9
keine Gelegenheit aus, ihre Mannschaften und Nationen
erzählt von schwierigen Schicksalen und wie Frauen zu
zu feiern. Nicht alles in Brasilien ist aber so glamourös
selbstbewussten Landwirtinnen werden. Sie können die
wie das weltweit auf allen Fernsehkanälen übertragene
Selbsthilfegruppen in Projektpatenschaften unterstützen.
Fussballfest es war. Hinter den Kulissen glänzt längst
Mit nur 25 Franken monatlich helfen Sie den mutigen
nicht alles so, wie es nach aussen präsentiert wird. In den
Müttern, damit sie besser für ihre Kinder sorgen können.
Favelas suchen nach wie vor Kinder und Jugendliche nach Möglichkeiten, um einem aussichtslosen Leben
Auf den Philippinen gehen die Wiederaufbauarbeiten
auf der Strasse zu entrinnen. Mitarbeiter unserer
nach dem Taifun Haiyan weiter. In Ost-Samar hat die
lokalen Partnerorganisationen arbeiten unermüdlich
Reparatur von Schulen und Kindergärten begonnen oder
weiter daran, Wege zu öffnen, Halt zu geben und für die
ist bereits abgeschlossen. 20 Wohnhäuser sind in Bau.
Betroffenen ein gewaltfreies Umfeld zu schaffen.
Aber auch innerhalb kleinerer Projekte in Bantayan, Nord-Panay und West-Panay laufen die konkreten
Urs Meier, Botschafter der Kindernothilfe Schweiz und
Massnahmen dank grosszügiger Spenden weiter.
ehemaliger FIFA-Schiedsrichter, besuchte während der Fussballweltmeisterschaft ein Projekt in einer Favela in
Helfen Sie mit, den Kindern in den ärmsten Regionen
Rio de Janeiro und pfiff dort ein Fussballspiel. Ein Höhe-
der Welt ein menschwürdiges Leben zu geben. Sie
punkt für die Jungen und Mädchen. Den Bericht dazu
werden es Ihnen danken.
finden Sie auf Seite 14. 20 Jahre nach dem Völkermord blickt Ruanda nach vorne. In Kooperation mit dem ruandischen Hilfswerk African Evangelistic Enterprise (AEE) konnte die Kindernothilfe bis heute 6.000 Selbsthilfegruppen mit rund 100.00 Mit-
Dr. Jürgen Thiesbonenkamp
gliedern aufbauen. In den verschiedenen Gruppen sind
Stiftungsratspräsident
Eltern und deren Kinder organsiert. Die Eltern lernen zu
Kindernothilfe Schweiz
sparen und sich gegenseitig mit Mikrokrediten auszuhelfen, damit sie durch kleine Geschäfte, Tierhaltung
20 Impressum
3
Ruanda
Monique weiss nicht mehr genau, wann ihr Vater starb. Die Zeit vor neun Jahren ist für sie kaum noch fassbar,
Ruanda blickt nach vorne
so sehr nahm sie damals die Pflege ihrer schwer kranken Mutter in Anspruch. Das lange Sterben der Mutter überlagerte den Aids-Tod des Vaters und der älteren Schwester. Monique war gerade 15 Jahre alt, als sie Oberhaupt einer neunköpfigen Familie wurde. Ihr jüngster Bruder war da noch ein Kleinkind, das Kleinste ihrer toten Schwester ebenfalls. Dass das Land 20 Jahre nach dem Genozid im Aufbruch ist, sieht man allerorts. Auf der Strasse gegen Norden, die mit einem Grossaufgebot europäischer Maschinen und ruandischer Arbeiter ausgebaut wird. In Kigali, seiner Hauptstadt, wo Menschen an allen Ecken graben und mauern. Wo das Grün der Parks liebevoll in Form gebracht wird, als befände man sich in einer englischen
20 Jahre nach dem Völkermord gilt Ruanda als afrika-
Gartenlandschaft und nicht tief in Afrika. Acht Prozent
nisches Musterland, vor allem wirtschaftlich. Bei den
Wirtschaftswachstum sind beeindruckend viel. Und doch
Ärmsten der Armen kommt der Aufschwung jedoch
wenig in Anbetracht der gewaltigen Armut im Land.
kaum an. Auch die Wunden des Genozids sind noch längst nicht verheilt. Dennoch haben sich inzwischen viele Ruander dank der Kindernothilfe in Selbsthilfegruppen organisiert und neues Glück gefunden.
Uganda
„Mit 15 wurde ich zum Familienoberhaupt.“
Dem. Rep. Kongo
Monique Gicumbi
Tansania Kigali
RUANDA
Monique und „ihre Kinder“ leben zwei Autostunden entfernt von Kigali. Dort, wo Häuser nicht aus Stein, sondern aus Lehm gebaut werden. Eigenhändig, mit in der Sonne getrockneten Ziegeln. Auch Monique wohnt in einer solchen mit Wellblech gedeckten Hütte. Zweieinhalb winzige Räume, darin wenige aus rohem Holz gezimmerte Möbel. Es gibt kein fliessendes Wasser,
Burundi
keinen Strom. Wenn Monique und ihre Kinder abends schlafen gehen, schieben sie Tisch und Bank zur Seite und rollen die Strohmatten aus. Wie oft hat sie gedacht, sie schaffe es nicht. Mit ihren gerade mal 15 Jahren brach sie damals die Schule ab, um sich um die Geschwister, die Nichten und Neffen zu kümmern. Acht ziemlich kleine Kinder. Frühmorgens stand sie auf, verteilte die anstehenden Arbeiten auf die
Monique musste alleine acht Geschwister, Nichten und Neffen grossziehen.
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Älteren: Du kochst Tee, du holst Wasser, du das BrennText: Hayke Lanwert / Maya Höneisen
holz, du fegst! Monique selbst machte sich danach auf
Fotos: Jakob Studnar
zur Arbeit. Sie verdingte sich heute hier, morgen dort,
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half auf Baustellen oder bei der Ernte. Von dem wenigen Geld,
Der erste Ehemann der Mutter von sechs Kindern wurde 1994
ersten Geld kaufte ich Essen für die Kinder. Bis dahin gab es
Heilung der Wunden, die der Völkermord den Menschen vor
das sie verdiente, kaufte sie auf dem Rückweg Lebensmittel.
während des ruandischen Völkermords getötet. Sie flüchtete
immer nur eine Mahlzeit pro Tag“, sagt sie. So glücklich ist
20 Jahren zugefügt hat. Menschen wie Veny Nyirakamana. Sie
damals mit vier Kindern vor den Hutu-Soldaten. Später heira-
sie heute über ihren Erfolg, dass sie nach einer kleinen Rede
überlebte nur durch ein Wunder den Genozid in Ruanda. Der rot
„Ich hatte keine Alternative. Und es gab viele andere, denen
tete sie erneut und verlor bald auch ihren zweiten Mann, als er
lackierte Schrank ist das Einzige, was ihr geblieben ist aus der
es so ging wie mir“, sagt Monique. Allein in dem im Norden
und elf weitere Arbeiter in einem Steinbruch verschüttet wurden.
Zeit, in der ihr Leben noch ein glückliches war. Der rote Schrank
Ruandas liegenden Distrikt Gicumbi gibt es rund 2.000 Familien,
Lange Jahre des Elends begannen. Heute weiss Annonciata,
in denen Kinder ohne Eltern aufwachsen. 24 ist Monique
wie gute Landwirtschaft funktioniert. Sie hat gelernt, mit Geld
inzwischen, eine junge Frau mit ernstem Gesicht und leiser
umzugehen, wie sie ihre Produkte mit Gewinn verkaufen kann.
Stimme. „Die Schule verlassen zu müssen, war sehr schwer
Aus einer Frau ohne Bildung ist eine selbstbewusste Landwirtin
für mich“, sagt sie. Noch schwerer muss es jedoch gewesen
und eine Vorzeigefrau für die Aufbau-Hilfe der Kindernothilfe in
sein, die Familie durchzubringen. Oft fehlten Lebensmittel. Es
Ruanda geworden. Eine Frau, die in einer Selbsthilfegruppe
reichte nie, die Kinder satt zu bekommen. Manchmal gab ihre
gelernt hat, sich und ihre Kinder aus dem Elend zu befreien.
nicht weit entfernt wohnende Tante etwas ab, manchmal halfen Nachbarn. „Aber die sind ja auch sehr arm“, sagt Monique.
„Sie klopften damals an meine Tür, suchten arme Leute, luden
Und der Staat Ruanda? Wo sich seine Kassen offensichtlich
sie ein“, erzählt die heute 49-jährige. Sie, das waren Mitarbeiter
immer mehr füllen, könnte man doch denken, dass er auch
des ruandischen Hilfswerks AEE, des African Evangelistic
etwas für seine ärmsten Bewohner übrig hat. Das ist aber
Enterprise, mit dem die Kindernothilfe kooperiert. Die Ärmsten
leider nicht der Fall. Denn noch immer ist das Sozialsystem
der Armen sollten in Workshops unterrichtet werden, unter
sehr unzureichend, Unterstützung für Waisen gibt es kaum.
anderem auch, wie sie sich gegenseitig mit Krediten unterstützen können. Einmal in der Woche trifft sich Annonciata mit anderen Frauen der Selbsthilfegruppe, um der Schatzmeiste-
„Sie klopften damals an meine Tür“ Annonciata
rin der Gruppe das gesparte Geld zu überreichen und dieses fein säuberlich in das Kassenbuch einzutragen. Annonciata hat es geschafft, dass Jean d’Amour, ihr ältester Sohn, Landwirtschaft studiert. Ein Traum ist für sie wahr geworden. Auch Claudine, eine 38-jährige, äusserst temperamentvolle Frau, kennt jedes ihrer kleinen unternehmerischen Wagnisse
Wie Monique wohnt auch Annonciata im Norden des Landes,
auswendig. Jeden Kauf, jeden Verkauf, jeden Gewinn. Vom
in einem kleinen rotbraunen Haus aus Lehm, kaum mehr als
ersten Kredit, von dem sie Avocados erstand, über das Kanin-
zwei Räume gross, mit gestampftem Boden und Wellblechdach.
chen bis hin zur Kuh, die nun täglich 20 Liter Milch gibt. „Vom
„Ich war eine der Ärmsten der Armen“ Claudine
vor der Gruppe zu tanzen beginnt, dass sie auf ihr schönes Kleid hinweist. „Ich war eine der Ärmsten der Armen“, sagt sie und, dass sie nach ihrem gerade geborenen vierten Kind kein weiteres mehr möchte. Denn auch das haben die Frauen in den Selbsthilfegruppen gelernt: wie sie verhüten können. „Unsere Selbsthilfegruppen wenden sich vor allem an die ärm-
in ihrem Lehmhaus und das Foto an der Wand. Es zeigt Veny im eleganten weissen Kleid, ihre erstgeborene Tochter Marcella auf dem Arm und dicht daneben, ihren Ehemann. Damals, 1992, ahnte Veny noch nicht, welches Grauen über ihr Land, über Ruanda, kommen sollte. Ein Massaker, das knapp einer Million Menschen den Tod bringen würde. Auch Venys Familie.
„Es ist wunderbar, wie sich die Menschen aus der Armut kämpfen“ Clement Nsengimana
sten Familien. Es ist wunderbar zu sehen, wie sich die Menschen, die kaum noch Hoffnung auf ein besseres Leben hatten, sich aus eigener Kraft entwickeln und aus der Armut kämpfen“, sagt Clement Nsengimana von der AEE. Schon seit 2002 baut
So mechanisch wie sie von ihrem Schicksal erzählt, so muss
die Kindernothilfe Selbsthilfegruppen auf, mittlerweile sind es
sie damals weitergemacht, weitergelebt haben. Funktionierend.
über 30.000 in 16 Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas.
Allein für ihre beiden Töchter. Menschen, die Veny schon länger
Allein in Ruanda – einem der ersten Länder – gibt es mittler-
kennen, wissen auch, dass ihre Jüngsten, zwei heute 13-jährige
weile 6.000 Gruppen mit rund 100.000 Mitgliedern (s. Interview
Jungen, nach einer Vergewaltigung geboren wurden. Auch Jahre
auf Seite 10).
später fällt es Veny schwer, über das zu reden, was geschah. Über den Schwiegervater, den sie in seinem Blut liegend fand.
Gerade in Ruanda haben die Gruppen bis heute noch eine ganz
Davon, wie sie ihre Kinder packte, eins auf dem Arm, das ande-
besondere Funktion: Sie unterstützen die nur sehr langsame
re in eine Tasche. Wie sie panisch flüchtete und nicht wusste wohin. Wie sie sich mitten in der Regenzeit und ohne Schutz, voller Angst und Hunger im Wald versteckte. Als ihre Verfolger Hunde auf ihre Spur setzen, entschied sich Veny, sich trotz Lebensgefahr auf den Weg in das Dorf ihrer Kindheit zu machen. Dort angekommen, zu Fuss und geschwächt, erfährt sie, dass viele ihrer Verwandten längst tot sind. Die Mutter lebt noch, kümmert sich fortan um Venys Kinder.
„Wir hatten keine Hoffnung“ Veny
Alle für eine – und eine für alle: Selbsthilfe-Frauen in Ruanda
Mit dem Sparen beginnt der Kampf aus der Armut.
Mit nichts fing sie damals wieder an. Das Haus zerstört, die Kühe getötet, die Ernte vernichtet. „Wir hatten keine Hoffnung“, sagt sie. Keine Hoffnung und oft nicht mehr als eine
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Mahlzeit am Tag. Das sollte sich erst ändern, als eine Mit-
müssen vergeben, auch wenn es nicht leicht ist. Damit die
Avocados und Gemüse, machte Gewinne, die
arbeiterin von AEE an ihre Tür klopft und sie einlädt, bei einer
Menschen in Ruanda wieder in Frieden miteinander leben“.
sie neu investierte. In eine Ziege, in ein Schwein.
Selbsthilfegruppe mitzumachen.
Zurück zu Monique. Auch sie hat es geschafft, sich aus der
Gewinne, die es Monique ermöglichten, die
Not und der Armut zu befreien. Wie genau, weiss wohl nur
Familie besser zu ernähren, Schulmaterialien
In der Gruppe waren vor allem die Witwen mit ihren Kindern,
für die Kinder zu kaufen und sogar für fast alle
die der Völkermord zurückgelassen hatte. „Ich dachte, ich
von ihnen eine bescheidene Krankenversiche-
könnte niemals neben jemandem sitzen, der getötet hat, neben jemandem vor dem ich Angst gehabt habe“, erinnert sich Veny. Tatsächlich wurde es ein langer, schwieriger Prozess. Was primär darauf gerichtet war, diese Frauen auszubil-
„Ich konnte über meine Sorgen reden“
den, sie anzuleiten zu sparen und sich gegenseitig Kredite für
Monique
eine neue Existenz zu geben, geriet zum Akt der Versöhnung.
Unterstützen Sie ein Projekt, das Ihnen am Herzen liegt.
rung abzuschliessen. Kleine Schritte, die für sie viel bedeuteten. Heute, wo die Jüngsten elf und
Mit einer Projektpatenschaft unterstützen Sie gezielt ein Ent-
vierzehn Jahre alt sind, sagt Monique, sei schon
wicklungsprojekt, das Ihnen besonders wichtig ist. Sie helfen
vieles leichter. Schliesslich könnten die Grösse-
mit, dass Aidswaisen in Sambia zur Schule gehen, Strassen-
ren mitarbeiten, etwas Geld verdienen.
kinder in Honduras eine berufliche Perspektive haben oder Frauen wie Monique, Veny oder Annonciata in Ruanda besser
„Wir haben zu reden begonnen über unseren Schmerz, und es
Monique, das ist sicher, benötigt diese Unter-
gab Leute, die uns um Verzeihung gebeten haben. So lernte
stützung durch die Selbsthilfegruppe dringend –
für ihre Kinder sorgen können.
ich, mit den Tätern freundlich zusammen zu sein“, sagt die
sie allein. Unterstützt wurde sie dabei von der Kindernothilfe,
bis heute. Mühselig hat sie sich in den letzten
Mit 25 Franken monatlich engagieren Sie sich langfristig
heute 40-Jährige. Mit der Gruppe ging es für sie auch ökono-
denn Monique ist einer dieser Gruppen beigetreten, die vom
Jahren kleine Freiräume erkämpft. Sie geht regel-
und gezielt für die Ärmsten der Armen. Wirken Sie gemein-
misch wieder bergauf. Veny nutzte die Kredite, um ihr Haus
Hilfswerk und AEE initiiert wurde. „Für mich war das wichtig.
mässig in die Kirche, liebt es, in deren Chor zu
sam mit uns für eine bessere Welt.
und den Kuhstall wieder aufzubauen. Sie begann, nun auch
Ich habe mich einsam und traurig gefühlt. Dort konnte ich
singen und schafft es inzwischen auch, ab und
psychisch stabiler, als Erzieherin zu arbeiten.
mich mit anderen treffen, über meine Sorgen reden“, erinnert
zu Freunde zu besuchen.
Als Dankeschön erhalten Sie
sich die junge Frau. Nach dem Prinzip der Selbsthilfegruppen
Ihre persönliche Urkunde
Heute spricht sie als Präsidentin der Föderation für die Frauen
begann sie, gemeinsam mit den anderen Frauen zu sparen,
einen jährlichen Projektbericht
von 337 Gruppen, vertritt deren Interessen gegenüber der
nahm erste Kredite auf, um sich eine bessere ökonomische
Einladungen zu Gönneranlässen der Kindernothilfe
Regierung. Und Veny glaubt wieder an die Zukunft. „Wir
Existenz aufzubauen. Sie lieh sich Geld, kaufte und verkaufte Weitere Informationen: Telefon: 062 823 38 61 oder www.kindernothilfe.ch
Veny Nyirakamana hat den Genozid überlebt – mit sehr viel Glück.
Eine von vielen ruandischen Familien, die sich durch ihre Selbsthilfegruppen aus der Armut gekämpft haben.
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Nachgefragt
Philippinen
Foto: Jakob Studnar
Die Gemeinschaft wiederfinden Wir fragten Ute Luhr, Projektleiterin für Ruanda und seit 32 Jahren für die Kindernothilfe tätig, wie sich Situation und Hilfe in Ruanda entwickelt haben. Das Interview führte Bernd Hauser. Frau Luhr, wie geht es den Menschen in Ruanda?
Wozu ist das Training gut?
Bemerkt man die Traumata, die der Völkermord
Um aktiv Veränderungen zu bewirken: Manche Männer
ausgelöst hat?
verlangen etwa Geld von ihren Frauen, um sich Alkohol
Die Ruander tragen das nicht nach aussen. Sie zeigen
kaufen zu können. Organisiert in der Gruppe trauen sich
Lebensmut. Aber natürlich sind sehr viele Menschen
die Frauen, an den Dorfvorsteher heranzutreten und
weiterhin traumatisiert.
solche Konflikte bei Dorftreffen zur Sprache zu bringen.
Die Kindernothilfe hat ihr Engagement in Ruanda
Können Sie noch von anderen Erfolgen berichten?
direkt nach dem Völkermord 1994 begonnen?
Die Gruppen schliessen sich in Dachverbänden zusammen,
Ja, zunächst organisierten wir humanitäre Hilfe: Kinder,
die politischen Einfluss erreichen. In manchen Dörfern
deren Eltern tot oder nicht auffindbar waren, mussten
sind Grundschulen entstanden, es gibt jetzt Wasser und
versorgt werden. Und wir brachten Experten ins Land,
Elektrizität, weil sich die Verbände dafür eingesetzt haben.
um unsere Partnerorganisation AEE wieder aufzubauen – bis auf einen Mitarbeiter waren alle ermordet worden.
Sind Selbsthilfegruppen gerade in Ruanda ein besonders guter Weg der Entwicklung?
Das ist furchtbar. Wie haben Sie reagiert?
Einige Frauen sagten mir: „Nach den Morden vertrauten
Unsere Partnerorganisation hat begonnen, Pflegefamilien
wir niemandem mehr. Wir fragten uns: Welcher Nachbar
für die Waisenkinder zu suchen. Wir unterstützten diese
hat welche Verbrechen begangen? Erst hier in der Gruppe
Familien finanziell. Wir mussten aber erkennen: Die
kamen wir wieder zusammen und begannen miteinander
Nachbarn der Pflegefamilien waren genauso arm und
zu reden.“ Unser Konzept trägt also dazu bei, dass die
deren Kinder brauchten ebenfalls Hilfe.
Menschen mit der Vergangenheit besser zurechtkommen
PHILIPPINEN
Manila
– und damit auch mit der Gegenwart. Dies hat einen Was war Ihre Lösung?
sehr positiven Einfluss auf die Entwicklung der Kinder
Im Jahr 2002 haben wir begonnen, Selbsthilfegruppen
und deren Zukunft.
insbesondere für Frauen aufzubauen. Mittlerweile gibt es 6.000 Gruppen mit rund 100.000 Mitgliedern. Statt auf einzelne Waisenkinder und Familien zielt unser Engagement damit auf ganze Dorfgemeinschaften.
Bantayan Panay
Ute Luhr mit dem Mitglied einer Selbsthilfegruppe
Samar
Wir bleiben an der Seite der Kinder
Können Sie das erläutern?
Taifun Haiyan ist längst vorbei, doch die gewaltigen Schäden werden
Im November 2013 beispielsweise habe ich im Norden
noch lange nicht völlig behoben sein. Seit dem 8. November 2013
Ruandas eine Gruppe besucht, die sich 2011 gegründet
ringen immer noch viele Menschen um ihre nackte Existenz. Dank
hat. Die Mitglieder berichteten, wie sie gemeinsam sparen
vieler Spenden von Privatpersonen, Unternehmen, Stiftungen, För-
und sich gegenseitig Kleinkredite geben. Damit erwirt-
dervereinen, Schulen und Kirchengemeinden konnten wir bereits
schaften sie Einkommen, das ihre Lebenssituation und
die Not von rund 25.000 Menschen lindern. Aber die Folgen des
die ihrer Familie verbessert. Aber die Gruppe ist mehr
Taifuns werden uns auch noch die nächsten Jahre beschäftigen.
als ein Sparzirkel: Die Frauen berichteten auch von dem Training, das sie zum Thema Kinderrechte und Konflikt-
Lesen Sie, mit welchen konkreten Maßnahmen wir auf den Inseln
management erhalten hatten.
Samar, Bantayan und Panay helfen.
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Foto: Kidlat de Guia
Bantayan
Foto: Jakob Studnar
Einrichten von Stillzentren, Verteilung von Säuglingsbedarf und Essensgutscheinen an Schwangere und Stillende
Partner
Universität von San Carlos, Cebu
Ort
Mancilang in der Gemeinde, Matredechos
Reparaturen von Brunnen, Bau von 102 Latrinen in einem Flüchtlingslager in Kooperation mit Unicef
Projektvolumen 24.000 CHF Begünstigte
1.070 Familien und 111 Kinder des Gemeinde-
Aktueller Stand
kindergartens
Die 20 Stillzentren, in denen einmal wöchentlich Kurse für bis zu 30 Mütter mit ihren Säuglingen stattgefunden haben, haben
Programmkomponenten Wiederaufbau des Kindergartens, psychosoziale Betreuung und Beschäftigung von 111 Kindern während der Reparaturphase
Ost-Samar
Schulung der Gemeindeverantwortlichen in KatastrophenFoto: Jakob Studnar
vorsorge und Katastrophenmanagement
ihre Arbeit beendet. Die Reparatur der beschädigten Gesundheitsstationen hat begonnen, sie wurden mit Waagen und Gewichtstabellen ausgestattet, Mitarbeiter lernten das Screening. Der Bau von Latrinen und die Reparaturen der Brunnen sind angelaufen. Die Verteilung von Nahrungsergänzungsprodukten ist abgeschlossen.
Aktueller Stand Partner
Ananda Marga Universam Relief Teams (AMURT)
Orte
Die Gemeinden Salcedo und Mercedes sowie die Stadt Guiuan
Projektvolumen 2.250.000 CHF Begünstigte
Der Kindergarten befindet sich im Wiederaufbau, fünf von sechs Veranstaltungen zur Trauma-Arbeit mit Kindern, Eltern
West-Panay
und Lehrern haben stattgefunden. Partner
5.800 Kinder in Kindergärten und Grundschulen, 172 Familien (Hausbau), 105 Familien (Landwirtschaft)
Nord-Panay
Ilog Kinderhome Foundation Incorporated (IKFI)
Orte
Die Gemeinden Laua-an, Valderrama, Hamtic, Tobias Fornier und Anini-y, Provinz Antique
Programmkomponenten Reparatur und Neubau von 20 Grundschulen und 23 Kindergärten Wiederaufbau von 172 Häusern
Aktueller Stand
Partner
Action Contre la Faim (ACF)
Projektvolumen 60.000 CHF
Die Reparatur von Schulen und Kindergärten hat begonnen bzw.
Orte
Die Gemeinden Pontevedra und Pilar, Provinz
Begünstigte
ist abgeschlossen. 20 Wohnhäuser sind in Bau. In Asgad wurde
Capiz, sowie die Gemeinden San Dionesio
mit dem Bau von 31 Häusern für Familien begonnen, die aus
und Estancia, Provinz Iloilo
Sicherheitsgründen von der Küste umgesiedelt werden müssen.
Projektvolumen 609.000 CHF
Anlage eines Bewässerungssystems, Renovierung eines
Weitere Familien sollen in Jagnaya angesiedelt werden, dort sind
Begünstigte
landwirtschaftlichen Trainingszentrums – dort sollen rund
die Rodungsarbeiten auf dem Grundstück noch nicht beendet.
7.000 Kleinbauern geschult werden, Einrichtung von Markt-
Erste landwirtschaftliche Schulungen fanden statt, Geräte, Saat-
ständen zur Vermarktung der Ernteerträge, Förderung der
gut und Setzlinge wurden verteilt. Mitte Mai konnten die Bauern
Genossenschaftsbildung der Bauern
die erste Ernte einfahren und auf den Märkten verkaufen. Die
Landwirtschaftliche Förderung: Gemüse- und Kaffeeanbau,
Schulung von Kindergärtnerinnen und Lehrerinnen, Traumata bei Kindern und Jugendlichen zu behandeln
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Schulungen von Pädagogen zur Traumabehandlung bei Kindern sind beendet.
695 Schwangere, 1.891 stillende Frauen, rund 8.000 Kinder unter fünf Jahren
1.200 Haushalte (Verteilung von Baumaterial), 1.291 Kinder (Speisungsprogramm)
Programmkomponenten Verteilung von Baumaterial, Saatgut und Setzlingen Durchführung eines zweimonatigen Speisungsprogramms für Schul- und Kindergartenkinder
Programmkomponenten Ernährungszustand bei Kindern testen (Screening), Verteilung von Nahrungsergänzungen Schulung von Mitarbeiterinnen im Gesundheitswesen
Aktueller Stand Die Verteilung von Baumaterial ist abgeschlossen. Viele Häuser sind instandgesetzt. Das Speisungsprogramm ist beendet.
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Brasilien
Fussball als Schule fürs Leben BRASILIEN In den Armenvierteln von Brasilien ist Fussball für die Kinder ÜberlebensFIFA-Schiedsrichter, pfiff anlässlich seines Besuchs während der Fussball-
An den Häusern rund um den Fussballplatzplatz hängen die
Jugendlichen in Guararapes müssen sie Urs Meier, dem ehe-
brasilianischen Flaggen. Ausserhalb des Zauns sitzt auf Beton-
maligen FIFA-Schiedsrichter erst einmal erklären. Das amüsiert
bänken eine Gruppe von Jugendlichen, ein Publikum das nicht
sie sichtlich. Ein wildes Stimmengewirr herrscht auf dem ein-
weniger mitfiebert und anfeuert wie ein globales. Guararapes
gezäunten Fussballplatz. Gelächter, Zwischenrufe, Geschnatter.
liegt im Nationalpark Corcovado, wo die berühmte Christusstatue
Ein Schiedsrichter, der die Regeln nicht kennt? Das kann doch
steht. Die Aussicht auf Rio ist umwerfend. Die Wohnbedingungen
gar nicht sein. Und doch. Auf diesem Platz gelten eben eigene.
und die Infrastrukturen hingegen sind prekär.
Spielen Mädchen und Jungen in einem Team zusammen, ist ein
Fotos: Florian Kopp
schule. Urs Meier, Botschafter der Kindernothilfe Schweiz und ehemaliger
Die Regeln entsprechen nicht den FIFA-Regeln. Die Kinder und
Tor nur ein Tor, wenn ein Mädchen daran beteiligt ist. Rastet
Der Vorsteher der Favela, der 63-jährige Eduardo Silva besucht
jemand aus, gibt es Punkteabzug. So ist das. Und gleich ist
das Spiel auf dem Sportplatz in Guararapes. „Wir hatten nichts
Match-Anpfiff. Die Kinder und Jugendlichen zupfen aufgeregt
von der Weltmeisterschaft. Die Stadt hat die Schultransporte
an ihren blauen Promundo-T-Shirts, welches alle am Projekt beteiligten erhalten haben. Promundo ist die lokale Partnerorganisation der Kindernothilfe und fördert unter anderem
Rio de Janeiro
solche Fussballprojekte für einen gewaltfreien Umgang der Kinder und Jugendlichen miteinander.
weltmeisterschaft ein Spiel in einer Favela. Urs Meier steht mitten zwischen den Jungen und Mädchen, beantwortet Fragen nach links und rechts, erklärt, lacht. Fünf gegen fünf, auf einem staubigen, braun-roten Bolzplatz, egal.
„Die Stadt hat kein Gehör für die Bedürfnisse dieser Favela“ Eduardo Silva
Ihm scheint dieses Spiel genauso viel Freude zu bereiten wie den Jugendlichen. Urs Meier ist es wichtig, gegen Ungerechtigkeiten und Missstände einzustehen. Als Botschafter der Kinder-
abgeschafft mit der Begründung, sie hätte kein Geld. Für die
nothilfe kennt er Probleme wie diese: „Hier in Rio de Janeiro sind
Stadionbauten und um Rio herauszuputzen waren aber die
die Grenzen zwischen Arm und Reich wirklich abrupt. Oft trennt
finanziellen Mittel vorhanden.“ Die Kinder haben einen langen
nur eine Strasse die Favela von einem wohlhabenden Viertel.
Schulweg, denn in Guararapes gibt es keine Schule. Die Stadt
Ich tue mich schwer zu begreifen, warum es nicht gelingt, diese
hat weder Gehör für die Bedürfnisse dieser Favela noch für
tiefen Gräben zuzuschütten“.
Infrastrukturen wie Abfuhrwesen und Wasserzufuhr. „Im Vorfeld
Einmal ausprobieren? Bei Urs Meier dürfen das auch die Kleinsten.
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Herz für Kinder Mit viel Engagement und Verständnis für Kinder führt Irène Egli das Sekretariat der Kindernothilfe Schweiz. Jeweils früh am Morgen fährt Irène Egli ins Büro. In fünf Minuten sei sie mit dem Velo am Arbeitsplatz in Aarau, erzählt sie. Der kurze Weg sei sehr praktisch für eine Familienfrau wie sie. Seit Mitte 2012 arbeitet Irène Egli halbtags bei der Kindernothilfe in Aarau. Für das Engagement
Das Leben ist hier kein Spiel. Umso schöner ist es, auch einmal zu den Siegern zu gehören.
der Organisation könne sie einstehen. Die Kindernothilfe arbeite sehr seriös und zuverlässig. Das, betont sie,
der Weltmeisterschaft sind die Kosten enorm gestiegen, ohne
balllehrer, „soziale Kompetenz, Engagement füreinander, als
überreicht den Pokal. Er ist begeistert von der Energie
dass die Löhne mitgezogen hätten“, erzählt Eduardo Silva. Er
Gruppe Selbstbewusstsein aufbauen, das ist das Entscheidende.“
und der Freude, mit welcher die Kinder und Jugendlichen
wünscht sich ein Gemeinschaftszentrum mit Zahnärzten, Ärzten
Bei jedem Training oder Spiel geht es auch darum, ein Zeichen
das Fussballspielen anpacken.
und Anwälten für die 11.000 Menschen, die hier in dieser
gegen Gewalt zu setzen und Konflikte ohne Handgreiflichkeiten
Communidad leben. Für die Finanzierung ist jedoch niemand da.
zu lösen.
„Fussball ist die beste Schule fürs Leben“ Marco Aurelio
Haben nun die Fussballweltmeisterschaft und das weltweite Interesse geholfen, der Sportarbeit mit den Kindern in dieser Favela auch mehr öffentliche Aufmerksamkeit und Unterstützung
Spender, gibt Auskunft am Telefon oder per Mail, pflegt
„Die Gewalt ist zurückgegangen“ Eduardo Silva
und Tiefen auf dem Cerro Corá kennt, rollt mit den Augen: „Die Kosten ausgetragen wurde. Das Erste, was wir sahen, war, dass
Die herzliche Frau ist Ansprechpartnerin für Paten und die Adressdatei, besorgt das Datenmanagement der
zukommen zu lassen? Maria Lopes, die seit Jahren alle Höhen Menschen hier haben das Gefühl, dass diese WM auf unsere
sei sehr wichtig für sie.
Spendenaufrufe und führt die Finanz- und Spendenbuchhaltung der Kindernothilfe Schweiz. Daneben gibt es weiteres, was ihre Arbeit abwechslungsreich macht, zum Beispiel die Protokollführung an den Stiftungsratssitzungen oder die Durchführung eines Anlasses. Irène Egli erledigt alles mit Leichtigkeit, Schwung und stets mit guter Laune.
Später wird er noch Angela besuchen. Sie wird ihm von der Armut und Perspektivlosigkeit, in welcher ihre Kinder
„Kinder auf der ganzen Welt sollen Chancen für
leben erzählen. Das Projekt von Promundo, in welchem
eine hoffnungsvolle Zukunft erhalten, sie sollen
die Kinder auch an Präventionsworkshops teilnehmen
lachen und lernen dürfen. Durch meine Arbeit kann
Mädchen und Jungen vom Cerro Corá, einem anderen Stadtteil
und auf alltägliche Probleme wie Drogenmissbrauch oder
ich einen Beitrag dazu leisten, dass Kinder aus
in Rio, Fussball spielen, tun sie das mit ebenso grosser Leiden-
Gewalt vorbereitet werden, so wird sie ihm sagen, sei
benachteiligten Verhältnissen Schritte in diese
das beste, was seit Jahren hier passiert sei. Hier lernen
Richtung machen können.“
Diego hat seinen linken roten Kickschuh verloren – kein Grund, um das Spiel auch nur eine Sekunde zu unterbrechen: Wenn die
schaft wie die Kinder in Guararapes. „Da könnte die Welt um sie herum einstürzen, und sie würden es nicht einmal bemerken“, sagt Maria de Fátima Lopes da Silva und lacht. Sie ist Mitarbeiterin eines weiteren Projektes, das die Kindernothilfe fördert.
2012 die Bauarbeiten an dem neuen Gesundheitsposten, um den die Leute so gekämpft hatten, eingestellt wurden. Und in
„Für nichts ist genug Geld da“ Mario Lopez
Auch hier ist Fussball Teil der Überlebensstrategie der Kinder. „Fussball“, erklärt Marco Aurelio, der mit den Kindern vom Cerro
sie, Konflikte auch ohne Gewalt zu lösen, zum Beispiel durch den Pfiff eines Schiedsrichters beim Fussball.
Irène Egli weiss, was Kinder brauchen. Sie hat selbst einen kleinen Sohn. In den Zoo gehe er sehr gerne und
„Seit Promundo hier ist, ist die Gewalt in der Communidad
dort bestaune er am liebsten die Fische. Irène Egli lacht.
merklich zurückgegangen“, meint auch Eduardo Silva.
Ja, die Fische, etwas ungewöhnlich, aber so sei er eben.
Corá mindestens dreimal in der Woche trainiert, „das ist einfach
den Schulen fehlt es mehr denn je an allem. Für nichts, was mit
Die gewaltsamen Auseinandersetzungen im Viertel
Der Sechsjährige spielt auch gerne im Garten. „Zusam-
die beste Schule fürs Leben“.
dem Leben der Kinder in den Armenvierteln der Stadt zu tun
seien zurückgegangen und es gäbe weniger Kinder, die
men mit meinem Sohn den Garten zu pflegen und zu
hat, ist genug Geld da“.
verletzt nach Hause kämen. Die Kinder und Jugendlichen
geniessen, ist für mich die schönste Erholung“, sagt sie.
Eine Aussage, die auch Urs Meier unterstützt. Hochkonzentriert
seien für die Banden, welche ihr Unwesen treiben, nicht
Das Highlight aber sind die Ausfahrten mit dem Motor-
üben die Mädchen und Jungen Einwurf, Ballabgabe, Ballannahme,
Auf dem Fussballplatz in Guararapes ertönt der Schlusspfiff.
mehr so eine leichte Beute wie früher. Deshalb ist es für
rad. Zwei hätten sie, eines davon mit Seitenwagen. In
Dribbling, Körpertäuschung, Kopfball und natürlich auch den
Spass hat es gemacht. Die Mädchen und Jungen auf dem Platz
Eduardo Silva auch wichtig, dass Promundo die Arbeit in
diesem sitzt dann der Sohn, wenn die Familie Ausflüge
Schuss aufs Tor. „Es geht immer nur zusammen“, sagt der Fuss-
sind glücklich. Urs Meier übernimmt die Siegerehrung und
diesem Viertel weiterführt.
macht.
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Interview
getragen, jeder auch für den anderen. Das empfinde
sich nicht auf fünf Tage in der Woche begrenzen. Das
ich als absolute Stärke. Der Geschäftsleiter hat seine
ist bisweilen anstrengend – gerade im Hinblick auf
Meinung nicht einfach durchgesetzt, sondern alle Seiten
Freunde und Freizeit.
angehört. Am Ende haben wir gemeinsam entschieden. Natürlich gab es auch Situationen, in denen wir uns
Wie geht es weiter?
nicht immer sofort einig waren. Aber wir haben nie die
Heringer: Nach so vielen Jahren ist die Kindernothilfe
Tür zugeschlagen, sondern uns die Zeit gegeben, um in
ein Stück Heimat für mich geworden. In der Gemeinde
Ruhe darüber nachzudenken.
wurde ich sogar „Mr. Kindernothilfe“ genannt. Ich werde mich auch in Zukunft weiter einbringen. Seit November
Wie kamen Sie von Hamm/Sieg nach Kamerun und
2013 bin ich im Stiftungsrat der Kindernothilfe Schweiz
schliesslich nach Duisburg, Herr Dr. Thiesbonenkamp?
und koordiniere die Arbeit dort.
Thiesbonenkamp: Als Kind hatte ich den Wunsch, die
Thiesbonenkamp: Auch ich engagiere mich als Stiftungs-
weite Welt zu sehen und Seemann zu werden – nicht
ratspräsident bei der Kindernothilfe Schweiz. Neue
gerade zur Freude meiner Mutter. In der Studentenzeit
weitere Aufgaben können erst einmal warten, vielmehr
kam das theologische Interesse dazu. Schlussendlich
wünsche ich mir Zeit und Ruhe, um abzutauchen und
bin ich Seemanns-Pastor in Kamerun geworden. Später
mich zu erholen. Danach warten neue Aufgaben auf mich,
im Kirchenkreis in Moers und in der evangelischen Ge-
einige zeigen sich bereits am Horizont.
meinde in Rheinhausen fand ich eine hohe ökumenische Aufgeschlossenheit zu kreiskirchlichen Partnerschaften mit Ruanda und Indonesien. Insofern stand das Inter-
Dr. Jürgen Thiesbonenkamp (65) ist promovierter Theologe
esse an der Arbeit der Kindernothilfe in der Lebenslinie
und Stiftungsratspräsident der Kindernothilfe Schweiz. Er
meiner persönlichen Entwicklung.
studierte in Bethel und Tübingen und absolvierte sein Vikariat in Essen. Sieben Jahre lebte er mit seiner Familie als See-
Gemeinsam stark
Fotos: Ralf Krämer
Leicht fiel der Abschied nicht, doch nach elf Jahren als Geschäftsleiter der Kindernothilfe Deutschland ging Dr. Jürgen Thiesbonenkamp (65) Ende Juni in den Ruhestand. Er folgte damit Rolf-Robert Heringer (65), der als Geschäftsleitungsmitglied nach fast 42 Dienstjahren bereits im letzten Dezember verabschiedet wurde. Zum Glück bleibt das Wissen der Kindernothilfe erhalten. Beide engagieren sich bereits seit einiger Zeit ehrenamtlich im Stiftungsrat der Kindernothilfe Schweiz. Ein Inte rview.
Inwiefern hat Sie der Arbeitskampf in Rheinhausen
mannspastor in Kamerun und kam dann 1984 nach Duisburg,
1987/88 später noch geprägt?
um 19 Jahre als Gemeindepfarrer und ab 1997 als Super-
Thiesbonenkamp: Ein wichtiger Grundimpuls dieser
intendent des Kirchenkreises Moers zu wirken. Ab Mai 2003
Zeit war das Thema „soziale Gerechtigkeit“. Gleichzeitig
bis Ende Juni 2014 war er Geschäftsleiter der Kindernothilfe
kamen damit auch Themen auf wie „soziale Integration“
Deutschland. Sein Herzenswunsch: eine soziale Gesellschaft
und „Überwindung von Fremdenfeindlichkeit“. Dieser
und Frieden.
Impuls zieht sich in unterschiedlichen Ausgestaltungen durch mein Leben hindurch. Und in der Arbeit der
Rolf-Robert Heringer (65) kam 1972 als kaufmännischer
Kindernothilfe sehe ich natürlich das grosse Thema der
Sachbearbeiter zur Kindernothilfe Deutschland und ist seit
Armutsüberwindung. Wie damals in Rheinhausen kann
letztem Jahr Stiftungsrat der Kindernothilfe Schweiz. Von
Herr Dr. Thiesbonenkamp, welche Erinnerungen
unterstützt, heute legen wir die Hilfe in Gemeinwesen-
ich mich auch heute noch empören: etwa über das
1995 bis Ende 2013 war er stellvertretender Geschäftsleiter
nehmen Sie aus elf Jahren Kindernothilfe mit?
Entwicklungsprojekten und Selbsthilfegruppen viel
Flüchtlingselend der Kinder in Syrien oder die Ver-
und und somit zuständig für Finanzen, Controlling, Personal,
Thiesbonenkamp: Erinnerungen an viele gute Begeg-
breiter an.
schleppung von Mädchen in Nord-Nigeria durch die
Datenverarbeitung, Organisation und allgemeine Dienste.
nungen – da sind die hoch motivierten und engagierten
Thiesbonenkamp: Vor etwas mehr als zehn Jahren
Boko Haram. Es empört mich, wenn Machthaber ihren
Kindernothilfe-Mitarbeiter, denen die Probleme dieser
haben wir begonnen, unsere Projekt- und Programm-
Reichtum ausleben und gleichzeitig die Bevölkerung in
Welt nicht egal sind; die vielen Paten, Spender, Stifter
arbeit stärker an den Kinderrechten zu orientieren.
den Ländern hungert. Dagegen muss man etwas tun!
und ehrenamtlichen Mitarbeiter, die Grossartiges leisten;
Dabei waren uns zwei Dinge besonders wichtig: nicht
unsere Partner, die mit viel Leidenschaft die Probleme
abstrakt über Kinderrechte zu reden, sondern immer
Wie haben Sie Ihr Familienleben mit Ihrer Arbeit
anpacken, oft mit nur bescheidenen Mitteln. Sie alle
einen Bezug zur Lebenswirklichkeit der Mädchen und
verbinden können?
haben mich sehr beeindruckt.
Jungen herzustellen.
Heringer: Meine Frau hat auch im kirchlichen Bereich
Welche grossen Veränderungen haben Sie beide in
Wie hat die Zusammenarbeit in der Geschäfts-
Schwieriger war es für meine Tochter. Als sie in die
der Kindernothilfe miterlebt?
leitung rückblickend geklappt?
Pubertät kam, sagte sie zu mir: „Eins will ich dir mal
Heringer: Früher hatten wir Computer, die füllten ganze
Thiesbonenkamp: Die gute und vertrauensvolle
sagen: Für Hundertausende Kinder hast du Zeit, nur für
Zimmer aus. Heute ist das alles viel moderner. Auch
Zusammenarbeit war sehr wertvoll für mich. Es gab
mich nicht!“ Das hat gesessen.
unsere Programm- und Projektarbeit hat sich im Laufe
auch schwierige Zeiten, aber wir haben in absoluter
Thiesbonenkamp: Ich habe das grosse Glück, dass
der Zeit sehr verändert: Früher haben wir hauptsächlich
Verlässlichkeit miteinander gearbeitet.
meine Familie und vor allem meine Frau die Arbeit all
Kindertagesstätten und Berufsausbildungszentren
Heringer: Wir haben gemeinsam die Verantwortung
die Jahre voll unterstützt hat. Meine Aufgaben lassen
gearbeitet, und wir haben uns gegenseitig unterstützt.
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