Roland Berger Unternehmensberater im Gespräch mit Sigmund Gottlieb

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Author: Ludo Raske
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BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks

Sendung vom 16.09.1999

Roland Berger Unternehmensberater im Gespräch mit Sigmund Gottlieb Gottlieb:

Berger:

Gottlieb:

Berger:

Zu Gast bei uns im Alpha-Forum ist heute der Unternehmensberater Roland Berger. Roland Berger: Das ist ein Name, der für sich steht. Ein großes deutsches Blatt hat einmal über Sie geschrieben: "Er scheint allgegenwärtig als einer der Hausärzte der deutschen Wirtschaft. Seine Verbindungen reichen überall hin, sein Name ist zur Chiffre für Beratung geworden." Es gibt diese Unternehmensberater ja wie Sand am Meer: Wenn ich Ihr Berufsbild mit dem meinen, dem Journalisten, vergleiche, dann stelle ich fest, dass das beide keine geschützten Berufe sind. Es gibt sie also wie Sand am Meer, aber Sie sind einer von denen, die ganz oben stehen. Was ist das eigentlich, ein "Unternehmensberater"? Ein Unternehmensberater ist ein Freiberufler, der analysiert, der daraus Konzepte entwickelt und der dabei hilft, diese Konzepte umzusetzen. Ich habe nun bewusst gesagt, dass er nicht nur Unternehmen und deren Umfeld wie den Markt etc. analysiert. Stattdessen arbeitet ein Unternehmensberater auch für Regierungen, für öffentliche Institutionen, für Universitäten, für Krankenhäuser, für Theater oder meinetwegen für Fußballvereine. Er arbeitet also auch für unkonventionellere Institutionen als das normale Unternehmen. Dass es so viele Unternehmensberater gibt, ist ein einfaches Ergebnis der wachsenden Arbeitsteilung in unserer Wirtschaft und des Strukturwandels der Wirtschaft in Richtung einer Dienstleistungsgesellschaft. Zum Beispiel hat früher jedes Unternehmen seine Werbung selbst gemacht, während es heute dafür spezialisierte Werbeagenturen gibt. So macht eben heute auch nicht mehr jedes Unternehmen seine Organisation und seine Strategie selbst, sondern wendet sich damit an einen spezialisierten Organisations- oder Strategieberater, der deswegen, weil er diese Dinge öfter macht, das auch professioneller macht. Denn die besten Organisatoren und Strategen gehen heute in die führenden Strategie- oder Organisationsberatungsunternehmen. Und so ist dort mittlerweile auch das meiste Know-how auf diesem Gebiet versammelt. Nun liegt es ja auf der Hand, dass sich das Anforderungsprofil und der Aufgabenbereich dieses Berufs dramatisch verändert haben, so wie sich eben auch in dramatischer Weise die Welt verändert hat: nicht nur die ökonomische Welt. Sie gehören im Grunde, wie man sagen kann, zu den Gründervätern dieses Berufs in Deutschland. Um dieses Bild des Hausarztes noch einmal zu strapazieren: Mit den allgemeinen Rezepturen des Hausarztes kommt man heute in der Bewertung von wirtschaftlichen Einheiten wohl nicht mehr weiter. Mit Sicherheit nicht mehr. Das ist übrigens auch das Gute an der Tatsache, dass es kein geschützter Berufsstand ist: Schützen kann man Berufe wie z. B. den des Wirtschaftsprüfers oder des Rechtsanwalts, deren Tätigkeiten in erster Linie auf in der Vergangenheit fixierten rechtlichen Grundlagen basieren.

Gottlieb: Berger:

Gottlieb:

Berger:

Gottlieb:

Sie haben also so wenig wie wir einen hippokratischen Eid abgelegt. Wir haben insofern einen hippokratischen Eid abgelegt, als wir ausschließlich im Interesse des Kunden handeln, also der zu beratenden Unternehmen oder Institutionen. Wir dürfen nicht im Eigeninteresse handeln, wir müssen objektiv sein, und wir dürfen keine Lieferanteninteressen vertreten, was in der Software-Beratung ja gelegentlich einmal vorkommen könnte. Insofern haben wir eben doch so etwas wie einen hippokratischen Eid abgeleistet. Es gibt ja auch wirklich gewisse Parallelen zwischen dem Beruf des Arztes und dem des Unternehmensberaters. Aber Sie haben Recht, die Anforderungsprofile haben sich in der Tat total gewandelt. Heute wollen Unternehmen Berater haben, die Spezialisten sind: funktionale Spezialisten, die von Strategie, von Organisation, von Vertrieb oder meinetwegen von Produktion etwas verstehen und die gleichzeitig auch in bestimmten Branchen wie der Automobil- oder der Chemiebranche oder im Bankengewerbe spezialisiert sind. Diese Spezialisten müssen das dann alles auch vernünftig kombinieren können. Die Unternehmen wollen aber auch einen Berater, einen Menschen, einen Professionellen, der trotzdem noch den Überblick hat: der den möglichst weltweiten Überblick hat über die Branche und über das einzelne Fachgebiet hinaus. Welches sind denn in diesem ausgehenden Jahrhundert, am Beginn des neuen Jahrtausends, die typischen Situationen, in denen Unternehmensführer, Vorstände oder Geschäftsführer Ihren Rat suchen? In welchen Situationen kommen diese Leute heute auf Sie zu? Unternehmensberater werden in erster Linie dann gefragt, wenn Veränderungen anstehen. Veränderungen können intern motiviert sein: weil die Kosten zu hoch oder die Gewinne zu niedrig sind, weil eine Nachfolgeregelung ansteht, weil neue Managementkonzepte angesagt sind usw. Überwiegend kommen aber die großen Herausforderungen heute von außen auf die Unternehmen zu. Wir leben ja in einer Zeitenwende: weg von der klassischen Industriegesellschaft hin zu einer Wissens- und Informationsgesellschaft. Und wir leben auch im Wandel weg von der nationalen Wirtschaft und hin zur globalen, zur weltweiten Wirtschaft. All dies bewirkt enorme Veränderungen bei den Unternehmen. Die Globalisierung ist dabei ein Stichwort, das Zusammenschließen von Unternehmen zu größeren Einheiten ist ein anderes: z. B. Daimler-Chrysler. Es gibt aber auch den technologischen Wandel: Ich nenne hier nur die Informatik, die Biotechnologie und die Elektronik. Das verändert ja alle Organisations- und Arbeitsstrukturen. Dann gibt es natürlich den weltweit wachsenden Wettbewerb. Es gibt darüber hinaus auch die Tatsache, dass seit dem Jahr 1990 drei Milliarden Menschen mehr in den weltweiten marktwirtschaftlichen Wettbewerb eingetreten sind: 1,2 Milliarden Chinesen, eine Milliarde Inder, 400 Millionen Südamerikaner und noch einmal 400 bis 500 Millionen Menschen aus Mittel- und Osteuropa. Die Welt ändert sich und die Welt wird sich weiter dramatisch und mit zunehmender Geschwindigkeit verändern. Darauf versuchen sich die Unternehmen, Volkswirtschaften oder auch Politiker einzustellen. Da ergibt sich dann eben die einfache Frage: "Wie werde ich mit diesem Veränderungsdruck fertig, und wie kann ich dabei die Existenz meines Unternehmens erhalten, wenn nicht gar die eigene Wettbewerbsfähigkeit verbessern: im Interesse der Kunden, der Mitarbeiter, der Aktionäre und nicht zuletzt des Landes, also des Standorts, an dem ich tätig bin?" Wobei ich mich dabei natürlich oft frage, warum unter Umständen ein großes Unternehmen nicht selbst in der Lage ist, sich aufgrund seiner personellen Struktur und seiner Erfahrungen ein eigenes Bild darüber zu verschaffen, was verändert werden müsste. Ich werde manchmal den Verdacht nicht los, dass die Berger-Truppe oder auch irgendeine andere

Berger:

Gottlieb: Berger:

Gottlieb:

Berger:

Unternehmensberatertruppe immer dann angefragt wird, wenn sich der Vorstand oder die Geschäftsführung nicht trauen, im eigenen Unternehmen ein Problem der Veränderung zu diskutieren. Das heißt also, man geht so vor, dass man so eine Veränderung dann mit der Kompetenz und Autorität einer Unternehmensberatung unterfüttert: Erst wenn dem Unternehmen das aus der Hand des Unternehmensberaters sozusagen als Vorschrift vorgelegt wird, wird in den Unternehmen agiert und reagiert. Ist da also auch ein psychologisches Moment mit dabei? Die Psychologie spielt immer eine Rolle. Auf der anderen Seite muss man freilich auch berücksichtigen, dass sich historisch betrachtet immer schon kluge Mächtige - ob das nun Herrscher oder Unternehmer oder Politiker waren – eines externen Rates bedient haben, weil man dabei im Dialog eigentlich immer schlauer und nie schlechter wird. Man lernt dabei dazu und kommt zu einem ausgewogeneren Urteil. Und damit man das dann vielleicht auch besser durchsetzen kann. Natürlich sind die Unternehmen auch selbst in der Lage, diese Fragen zunächst einmal an sich selbst zu stellen. Das ist ja schon die entscheidende unternehmerische Leistung. Und zweitens können die Unternehmen sie auch durch eigene Stabsstellen beantworten lassen. Aber es ist eben in vielen Fällen einfach eine dritte Meinung gefragt. Natürlich hat der Unternehmensberater neben seiner Erfahrung als Spezialist, neben seiner Erfahrung von außen und aufgrund seiner persönlichen fachlichen Unabhängigkeit - er ist ja nicht in dem Sinne interessiert an den Vorgängen im Unternehmen – eine zusätzliche objektive Meinung, die den Prozess durchzusetzen erleichtert. Diese Meinung hat natürlich ein eigenes Gewicht und erleichtert damit unter Umständen schon auch die Kommunikation von eher unangenehmeren Botschaften. Herr Berger, Sie hatten, wenn man Ihre Biographie so nachliest, schon sehr früh einen ausgeprägten Hang zur Selbständigkeit, zum Unternehmertum. Als Sohn bayerischer Eltern sind Sie in Berlin geboren, und Sie haben dann später an unterschiedlichen Orten studiert. Während Ihres Studiums der Betriebswirtschaft waren Sie plötzlich Unternehmer: Wenn ich das richtig gelesen habe, waren Sie nämlich mit einem Mal Besitzer eines Wäschereisalons. Woran liegt das? War das in den Genen angelegt oder war das die Sozialisation durch die Eltern? Ihr Vater stand sozusagen an der Spitze eines Unternehmens, und Ihre Mutter war Geschäftsführerin. Oder lag es am Drang, dass Sie als Roland Berger Unternehmer werden wollten? Ich glaube, Unternehmer wird man schon aus eigenem Antrieb. Natürlich spielt das Umfeld eine Rolle. Ich bin in einem Unternehmerhaushalt groß geworden: Das hat sicher geholfen, das hat es sicher erleichtert, dass ich mich relativ früh mit diesem Gedanken auseinandergesetzt habe. Schon als Zehnjähriger habe ich das übrigens so gemacht. Ich kann mich noch genau an diese Szene erinnern. Ich habe einmal das Lager eines damaligen Lebensmittelgroßhändlers in Landshut besucht: Das hat mich fasziniert. Ich habe auch die Geschichte der Fugger und anderer großer Unternehmer gelesen, denen man gerne hätte nachfolgen wollen. Mich hat es immer schon gereizt, selbständig zu sein. Ich bin ein unabhängiger Mensch, und insofern habe ich mir gesagt, dass man das neben dem Studium der Betriebs- und Volkswirtschaftslehre – wo man sich zwar mit der Wirtschaft beschäftigt, dies aber auf eine relativ abstrakte Weise macht – auch einmal persönlich in die Hand nehmen und parallel zu den Lehrbüchern die Erfahrung machen muss, wie die Buchhaltung, der Umgang mit den Mitarbeitern, das Verkaufen oder die Technik und die Logistik nun wirklich funktionieren. All diese Dinge erprobt man ja schließlich auch in einem kleinen Unternehmen. Ein großes Unternehmen ist eben nur eine komplexere Form dessen, was damals mein Wäschereibetrieb mit zum

Gottlieb:

Berger:

Gottlieb:

Schluss 15 Beschäftigten dargestellt hat. Sie waren dann Ende zwanzig, und in diesem noch jugendlichen Alter haben Sie diesen riskanten Sprung in die Selbständigkeit auf dem Sektor der Unternehmensberatung gewagt: Da gibt es dieses berühmte Bild mit dem kleinen Büro und dem Ein-Mann-Betrieb mit nur einer Sekretärin. Sie hatten zu dieser Zeit aber auch schon ein solides Fundament an professioneller Erfahrung auch im Ausland angesammelt: Bei der BostonConsulting-Group in Italien und in den USA haben Sie Ihre Erfahrungen gesammelt. Das war alles noch in den sechziger Jahren: In diesen sechziger Jahren war die Unternehmerexistenz in dieser Republik sicherlich auch eine Ausnahmeerscheinung, aber verglichen mit heute war die Unternehmerexistenz immerhin präsent. Jeder fünfte in diesem Land war selbständig, war Unternehmer und stand auf eigenen Beinen. Heute ist das nur mehr jeder zehnte. Hier hat also die Attraktivität, sich selbständig zu machen, nachgelassen. Woher kommt das? Wer hat das versäumt? Da muss man zunächst schon einmal sagen, dass das auch mit einem objektiven Wandel unserer Wirtschaftsstrukturen zusammenhängt. Die Zahl der Selbständigen war damals auch bestimmt durch die vielen selbständigen Landwirte, durch die vielen selbständigen kleinen Einzelhändler, die man unter dem Stichwort "Tante Emma"-Laden zusammenfassen kann und die in der Zwischenzeit z. B. zugunsten effizienterer Distributionsstrukturen, die auch dem Verbraucher nutzen, verschwunden sind. Auf der anderen Seite muss man aber auch sagen, dass wir hier in Deutschland in den Jahren um und nach 1968 und dann auch in den folgenden beiden Jahrzehnten einen Paradigmenwechsel hatten: Die Staatsgläubigkeit hat überhand genommen, man glaubte und glaubt, die Gesellschaft sei für einen verantwortlich. Das Risiko des Sichselbständig-Machens war relativ wenig reizvoll im Vergleich zu den enormen sozialen Sicherungssystemen, in die wir alle eingebettet waren bzw. sind. Die soziale Akzeptanz des Unternehmertums und auch des Gewinns war eher schwach ausgeprägt. Im Übrigen hat sich das in den letzten drei bis vier Jahren aber geändert. Dazu haben auch einige politische Figuren in diesem Land beigetragen. Ich möchte da zu allererst Roman Herzog nennen, der viel getan hat, damit über die Kultur der Selbständigkeit in diesem Land wieder kommuniziert wurde – und sie damit wieder attraktiv geworden ist. Das gilt für manche Ministerpräsidenten wie den bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber oder für Wolfgang Clement aus Nordrhein-Westfalen. Es gibt also durchaus eine Trendwende, und ich hoffe nur, dass die "neue Politik", die wir erleben - Stichwort Steuerreform, mehr oder weniger Einschränkung von Scheinselbständigkeit, von geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen etc. –, dieses Unternehmer-sein-Wollen des Einzelnen nicht wieder aufhalten wird. Denn dieses Wollen würde ja zu unser aller Gunsten den Strukturwandel zur Informations- und Wissensgesellschaft beschleunigen. In solchen Situationen, in solchen Umbruchssituationen, in denen wir uns auch heute wieder befinden, ist natürlich die Überschrift beliebt: "Wir befinden uns auf dem Weg in die richtige Richtung." Das sagen wir in dieser Republik sicherlich auch schon seit einigen Jahren: Wann wir jedoch am Zielpunkt, der in dieser richtigen Richtung beschrieben ist, ankommen, ist eine andere Frage. Um das noch einmal konkret zu machen: Man fragt sich da natürlich schon, warum immer noch die Mehrzahl der Studienabsolventen von pragmatischen und am Objekt orientierten Studiengängen wie z. B. der Ingenieurwissenschaften sagt, dass sie eigentlich sehr viel lieber in ein Angestelltenverhältnis gehen, weil ihnen das andere viel zu riskant sei. Weil wir nun schon beim Thema Bildung sind, die ja alles unterfüttern muss, was danach kommt: In diesem Kontext stelle ich die Frage, warum wir eigentlich noch immer so rasant am Bedarf vorbei planen. Wenn ich mir die neuen Zahlen, die Siemens auch wieder

Berger:

Gottlieb:

Berger:

kommuniziert hat, vorlege: Es fehlen Tausende von Ingenieuren, es fehlen Software-Spezialisten in anderen Bereichen. Haben wir das alle zusammen - die Politiker, die Wissenschaftler, die Leute aus der Wirtschaft – immer noch nicht in den Griff bekommen? Ich denke, dass da ein großes Verantwortungspotential schon auch bei der Wirtschaft liegt. Man muss schon sagen, dass zu Beginn der neunziger Jahre, als die große Restrukturierungswelle über unser Land ging, eine große Zahl von exzellenten Studienabgängern in den naturwissenschaftlichen Fächern wie Chemie oder Physik, in den Ingenieurwissenschaften etc., keinen Arbeitsplatz gefunden hat. Unter anderem als Folge dessen haben viele Abiturienten sich dazu entschieden, diese Fächer nicht zu belegen. Ich glaube, die Wirtschaft muss ihrerseits schon auch vorausschauend genug sein und einiges dafür tun, um konstante Arbeitsmöglichkeiten gerade für derartige auf lange Sicht sicher gesuchte Berufsgruppen zu schaffen. Sie muss eben dafür sorgen, dass bei einem einmaligen Einbruch nicht gleich eine erhebliche Anzahl von Existenzen in diesen Berufsgruppen auf dem Spiel stehen. Auf der anderen Seite muss man sagen, dass auch das ganze Umfeld für Innovationen, für neue Technologien und für Berufe wie z. B. den Informatiker – dessen Profil ja vor fünf Jahren noch gar nicht so klar war, wie es heute ist – hier bei uns nicht so aussieht, dass meinetwegen die Experimentierfreude, die man braucht, um einen solchen Beruf zu ergreifen, in dem Maß verbreitet wäre wie z. B. in den USA, wo die Informations- und Wissensgesellschaft schon viel weiter fortgeschritten ist. Ich denke, hier wird sich einiges ändern müssen, hier tut sich aber auch schon einiges. Sie gelten als ein sehr kommunikativer Mensch, der weiß, wie wichtig die Medien zur Beförderung eigener Ideen und eigener Vorstellungen sind. Sie gelten auch als ein Mensch, der im "Verein für deutliche Aussprache" Mitglied ist. Ich habe den Eindruck, dass Sie damit möglicherweise zu einer qualifizierten Minderheit von Unternehmensvertretern gehören: Ich will damit sagen, dass die Mehrheit Ihrer Kollegen in den Unternehmen, wobei ich hier zwischen Groß-, Mittel- und Kleinunternehmen gar nicht differenzieren will, das Thema Kommunikation und Präsenz in der Öffentlichkeit noch nicht angemessen erkannt hat. Es herrscht hier so die Vorstellung: "Überlassen wir das doch besser den Verbänden und den Verbandssprechern, und kümmern wir uns nur um unser eigenes Unternehmen. Wir sollten uns auf keinen Fall in den gesellschaftspolitischen Diskurs einschalten." Hängt damit vielleicht zusammen, was Sie selbst ja vorhin auch kritisiert haben, dass es über viele Jahre an der sozialen Akzeptanz des Unternehmers, des Wirtschaftsführers, gefehlt hat? Ist das eine Erklärung dafür? Ich denke, da haben Sie Recht. Ich glaube, es hat sich in der Wirtschaft mittlerweile schon einiges getan. Es gibt prominente Namen von Unternehmern - ob das nun mittelständische Unternehmer sind oder Führer von Großunternehmen –, die dieses Problem erkannt haben und sich bewusst der öffentlichen Aussprache stellen. Natürlich ist heute die Wirtschaft keine Tätigkeit mehr, die im Verborgenen blühen könnte. Wenn heute ein Unternehmensführer die Verantwortung für 40000 oder 400000 Beschäftigte trägt, dann ist er für sein Handeln auch in der Öffentlichkeit verantwortlich – genauso wie ein Politiker, der in seinem Wahlkreis ein paar Millionen Bürger vertritt. Das heißt, hier muss in der Wirtschaft ein Wandel im Denken stattfinden. Jeder Unternehmensführer und jeder Unternehmer hat natürlich eine Kommunikationsaufgabe nach innen zu seinen Mitarbeitern. Er hat sie selbstverständlich auch gegenüber seinen Kunden, aber eben auch gegenüber dem sozialen und gesellschaftlichen Umfeld, in dem er arbeitet. Das ist für manche die Gemeinde, in der er tätig ist, das ist für andere ein Bundesland oder Deutschland und für wieder andere vielleicht die ganze Welt. Auch die multinationalen Unternehmen, die in

Gottlieb:

Berger:

Gottlieb:

Berger:

China oder Brasilien investieren, müssen sich der dortigen sozialen Realität stellen und müssen dort für ihr Anliegen, als Unternehmer tätig werden zu können, werben: nicht nur um für die Kunden und den Markt attraktiv zu sein, sondern vor allem auch für die Gesellschaft und für den dortigen Bürger, den er als Arbeitnehmer gewinnen will. Ich glaube, hier muss wirklich ein Wandel im Denken bei den Unternehmern erfolgen. Es gibt in der Öffentlichkeit gegenüber den deutschen Unternehmern ja den latenten Vorwurf, sie seien nach wie vor zu wenig innovativ. Es gibt den Befund, dass sie sozusagen in den Schlüsselindustrien des 21. Jahrhunderts den Anschluss verloren hätten – wenn man einmal die Autoindustrie beiseite lässt, denn sie ist im nächsten Jahrhundert womöglich gar nicht mehr zu den Schlüsselindustrien zu zählen. Würden Sie diesen Befund teilen, oder gehört auch das zu einer Mentalität des Schlechtredens, die ja in diesem Land relativ weit verbreitet ist? Ich würde nicht sagen, dass das zu einem sogenannten "Schlechtreden" gehört. Aber dabei muss man schon auch bedenken, dass sich Urteile ja immer über einen bestimmten Zeitraum hinweg bilden: Und in der Tat muss man sagen, dass die deutsche Wirtschaft in den siebziger und achtziger Jahren nicht extrem innovativ gewesen ist. Sie hat es vor allem verabsäumt, in der Informatik und in den Multimediaanwendungen eine signifikante Position aufzubauen. Auch im Internet hinken wir etwas nach. Aber auf der anderen Seite muss man natürlich schon auch sagen, dass für viele Aktivitäten ganz einfach die Rahmenbedingungen nicht vorhanden waren: Wir hatten in Deutschland z. B. für die andere Basistechnologie des nächsten Jahrhunderts, nämlich für die Biotechnologie, ein feindliches gesetzliches Umfeld. Man konnte da nichts machen. Die Hoechst AG hat damals versucht, eine Fabrik für die biogenetische Herstellung von Insulin zu errichten. Sie hat diese Fabrik sogar errichtet, aber sie hat dann an die zehn, zwölf Jahre auf die Betriebsgenehmigung warten müssen. Das sind abschreckende Beispiele, die viele deutsche Unternehmer vor allem in der Chemiebranche veranlasst haben, ihre Biotechnologie-Aktivitäten zwar sehr wohl voranzutreiben, dies aber in den USA zu machen. Ähnlich skeptisch stand man ja auch lange Zeit dem Computer gegenüber. Das alles hängt auch mit der Frage zusammen, die Sie vorhin erörtert haben, nämlich mit der Frage der Risikomentalität einer Gesellschaft. Ich glaube aber, auch das hat sich in den letzten Jahren verändert. Wir sind gerade in der Informatik dabei aufzuholen: Wir haben heute in Deutschland an die 7000 SoftwareHäuser, wir haben mit der Firma SAP einen Weltmarktführer in der Anwendungs-Software, der wirklich weltweit die Nummer eins ist. Wir haben mit der Firma Siemens ein Unternehmen, das in der Firmenrangliste hinsichtlich der Anzahl der jährlich angemeldeten Patente jeweils unter den ersten drei ist. Und wir haben z. B. in München den Standort Martinsried, in dem die Biotechnologie in den letzten Jahren aufgeblüht ist. Wir werden wahrscheinlich noch in diesem Jahr in Deutschland mehr BiotechnologieUnternehmen haben als in jedem anderen europäischen Land. Es tut sich also schon etwas in diesem Land, und ich kann nur immer wieder hoffen, dass sich die Bedingungen - von der Politik und der Gesetzgebung bis hin zur öffentlichen Akzeptanz – in der Richtung weiterentwickeln, in die sie sich in den letzten Jahren entwickelt haben. Sie sprachen soeben von der Risikomentalität der Deutschen, die zumindest über einen erkennbaren Zeitraum vorgeherrscht hat. Zur Wahrheit gehört dabei natürlich schon auch der Befund, dass sich eine solche Risikomentalität ja nicht nur auf bestimmte gesellschaftliche Gruppen konzentriert, sondern bei diesem Thema der Risikoscheu waren natürlich die Unternehmerin und der Unternehmer genauso mit von der Partie. Absolut. Unsere Strukturen sind absolut nicht auf die Belohnung von Risiko ausgelegt: weder im materiellen Bereich, wo einem dann, wenn man

Gottlieb:

Berger:

wirklich Geld verdient, weit mehr als die Hälfte weggesteuert wird, noch im immateriellen Bereich, denn wenn man Erfolg hat mit seiner Risikobereitschaft, dann ereilt einen der Neid, und wenn man keinen Erfolg hat, die soziale Ächtung. Man kann eben in dieser Gesellschaft für seine Risikobereitschaft nicht sehr viel an Belohnung erwarten. Genau dieses Paradigma muss sich aber ändern. Zur Verunsicherung weiter Teile der Gesellschaft hat ja in den vergangenen Jahren auch die Globalisierung beigetragen. Man könnte in Klammern dazu setzen, dass dieses Thema von denen, die davon betroffen sind, eben auch nicht so kommuniziert worden ist, wie es notwendig gewesen wäre. Man hat in der Öffentlichkeit den relativ klaren Eindruck, dass die Gewinner die großen Konzerne und die Aktienbesitzer seien, während die Arbeitsplätze am Standort Deutschland dabei auf der Strecke bleiben würden. Das ist natürlich ein Bild – ein nachvollziehbares Bild –, das nicht unbedingt zur Beruhigung der Gesellschaft beiträgt. Ja, das stimmt, das ist einer der großen öffentlichen Irrtümer. Dem hätten die Unternehmer frühzeitig und effizienter und effektiver entgegentreten müssen. Fest steht, wir leben in einer Zeit des Umbruchs. Die Globalisierung ist eines der Themen, die die Welt verändern. Natürlich gibt es bei jedem Umbruch Verlierer und Gewinner. Lassen Sie mich dafür ein banales Beispiel nennen. Als das Automobil zum Fortbewegungsmittel Nummer eins dieses nun zu Ende gehenden Jahrhunderts wurde, gingen Tausende von kleinen Unternehmen, die Kutschen hergestellt haben, kaputt. Die dortigen Arbeitnehmer wurden arbeitslos und mussten sich in der Automobilfabrik nebenan einen neuen Job besorgen. So hat eben jeder Strukturwandel seine Gewinner und Verlierer. Ich kann nur sagen, je aktiver und je positiver wir einen solchen Strukturwandel aufgreifen und uns selber an ihn anpassen - durch persönliche Weiterbildung, durch Mobilitätsbereitschaft usw. –, um so mehr werden wir davon profitieren und um so weniger werden wir dabei an Negativem abbekommen. Wenn ich aber einmal konkret zur Globalisierung komme: Wir wissen, dass der Teil der Wirtschaft, der sich dem globalen Wettbewerb stellt, schneller wächst als jeder andere. Das heißt, Globalisierung produziert zunächst einmal Wachstum und damit tendenziell mehr Arbeitsplätze und nicht weniger. Das gilt natürlich nur bei denjenigen Unternehmen – wobei da eben auch sehr viele mittelständische Unternehmen mit dazu gehören –, die sich international aufstellen. Zum Zweiten ist es so, dass in einem Land wie Deutschland, dessen Bürger Gott sei Dank über ein exzellentes Ausbildungsniveau verfügen, die Globalisierung auch zu einer Verlagerung von Tätigkeiten führt: weg von den Routinejobs und hin zu den interessanteren Jobs der Entwicklung, des Verkaufs, des Marketings, des Qualitätsmanagements usw., also hin zu den mehr führenden und gestaltenden Tätigkeiten, die natürlich auch besser bezahlt sind. Das heißt, die Globalisierung führt auch für den Einzelnen zu einer interessanteren Arbeitswelt, die ihm dann noch dazu ein höheres Einkommen verschafft. Last but not least, und das dürfen wir eben nicht vergessen, ist es so, dass wir in einer Welt von sechs Milliarden Menschen leben, von denen fünf Milliarden arm sind: Das heißt, diese fünf Milliarden müssen sich 25 Prozent der Weltwirtschaftsleistung teilen, während sich die 25 Prozent der reichen Menschen, die in Nordamerika, in Westeuropa und in Japan leben, 75 Prozent des weltweiten Bruttosozialprodukts teilen dürfen. So eine Welt ist natürlich per se nicht stabil. Dieser Zustand kann nur durch Globalisierung verändert werden, d. h. dadurch, dass wir Kapital und Know-how in die sich entwickelnde Welt übertragen und für die ärmeren Menschen Jobs und Möglichkeiten schaffen, sich selbst zu ernähren. Nur durch Globalisierung kann man das verändern, kann man das auch zu unseren Gunsten verändern: Wir schaffen damit Frieden und Sicherheit, und wir tun damit auch etwas, das, wie ich glaube, unserer christlich-abendländischen und

Gottlieb:

Berger:

westlichen Wertewelt entspricht. Das heißt, wir profitieren auf dreifache Art und Weise von der Globalisierung: erstens durch mehr Wachstum und dabei durch mehr Arbeitsplätze innerhalb dieses Strukturwandels, zweitens durch mehr Wohlstand und drittens durch mehr persönliche Sicherheit in einem gesellschaftlich befriedeten Umfeld. Aber ist dieser Gedanke, den Sie soeben formuliert haben, nicht gerade der Widerspruch, der nur sehr schwer vermittelbar ist? Auf der einen Seite der globale Anspruch, die globalen Notwendigkeiten, denn die Welt endet ja nicht an den Grenzen dieser Republik Deutschland, und auf der anderen Seite das Standortinteresse hier in Deutschland, das konkrete Interesse des Arbeitnehmers an der Sicherheit seines Arbeitsplatzes und an seiner sozialen Sicherheit. Diese Dinge widerstreiten sich ja in dieser Entwicklung, und das ist doch ebenfalls der Inhalt dieses Umbruchs. Das ist eines der Probleme. Wir müssen, wie ich glaube, die Menschen mit den jeweiligen Tatbeständen konfrontieren. Wir können das ja mit den Beispielen aus der Vergangenheit immer sehr gut machen. Ich habe vorhin das Beispiel des Automobils erzählt. Faktum ist z. B. auch, dass wir heute länger leben. Warum ist das so? Weil unser Gesundheitswesen enorme Fortschritte gemacht hat. Wir verbringen heute nicht mehr wie vor 40 Jahren alle drei Jahre einmal einen Urlaub bei Verwandten, sondern wir verbringen heute im Durchschnitt ein-, zwei- oder auch dreimal pro Jahr einen Urlaub zu günstigsten Preisen im Ausland. Was ist das? Das ist das Ergebnis eines technologischen und wirtschaftlichen Veränderungsprozesses und auch das Ergebnis einer offenen Welt, eines weltoffenen Wettbewerbs. An den positiven Veränderungen, die jeder von uns vom Jahr 1950 an bis zum Jahr 2000 an sich selbst erleben konnte, können wir feststellen, dass diese Strukturveränderungen am Ende positiv sind. Das Gleiche kann jeder an seinem Arbeitsplatz feststellen: Vor 30 oder 40 Jahren musste noch vieles mit der Hand gemacht werden und mussten noch viele Tätigkeiten in reiner Routine ausgeführt werden. Heute erledigt das ein Computer oder ein voll automatisiertes Produktionsaggregat, und wir selbst können uns damit beschäftigen, eine interessante Software zu schreiben, Produkte zu designen oder in der Kommunikation von Mensch zu Mensch diese Produkte zu verkaufen. Das heißt, unsere Tätigkeitsinhalte verändern sich, und das wird auch noch so weitergehen im Medienzeitalter, im Computerzeitalter, im Zeitalter der Biotechnologie. Wir werden weiter eine höhere Lebenserwartung haben und im Alter länger gesund bleiben. Wir werden weiter besser informiert, besser gebildet und ausgebildet und damit für bessere Jobs qualifiziert sein. Wir werden in Zukunft mehr Arbeitsmöglichkeiten im kreativen Bereich erhalten, die auch noch besser bezahlt sein werden. Wir werden es aber auch schaffen, diesen Spagat zu bewältigen, dass wir dabei gleichzeitig die Ressourcen schonen, sprich unsere natürliche Umwelt. Natürlich werden wir, wenn wir diese attraktive Zukunftsperspektive auch für uns selbst annehmen, auch bereit sein müssen, dazuzulernen, umzulernen und vielleicht sogar unseren Job zu wechseln. Das heißt, wir werden nicht mehr ein ganzes Berufsleben lang in einem Job bei einer Firma an einem Ort tätig sein. Stattdessen müssen wir diesen Wechsel, den man uns abfordert, auch aktiv angehen und uns darauf vorbereiten. Dann werden wir diesen Strukturwandel schneller und mit weniger negativen sozialen Folgen bewältigen, d. h. mit weniger Globalisierungs- oder Strukturwandelsverlierern und mit mehr Sicherheit für die gesamte Gesellschaft. Im Übrigen ist der Standort Bayern dafür ein klassisches Beispiel. Wir sind in Bayern hinsichtlich der Strukturveränderung in Richtung der Wissens-, Informations- und Dienstleistungsgesellschaft weiter als andere Bundesländer. Dazu trägt ein politisches Umfeld bei, das Innovationen fördert, das Bildung fördert, das aber auch gleichzeitig den Menschen eine soziale und emotionale Heimat gibt. Denn "Tradition und Fortschritt" heißt ja der Slogan der bayerischen

Gottlieb:

Berger:

Gottlieb: Berger:

Staatsregierung. Das wird hier eben umgesetzt, und deshalb haben wir in Bayern nur sechs Prozent Arbeitslosigkeit, was doch nahe an der Vollbeschäftigungsgrenze liegt, während wir bundesweit doch über zehn Prozent zu beklagen haben. Das heißt, hier in Bayern haben wir eben in der Gesamtgesellschaft einen funktionierenden Dialog zwischen der Politik, der Wirtschaft und den Gewerkschaften darüber, wie man denn das Thema Strukturwandel und Fortschritt auch gesamtgesellschaftlich bewältigen will. Ich denke, Gerhard Schröder, unser Bundeskanzler, hat das Gleiche im Sinn, wenn er das "Bündnis für Arbeit" wieder aktivieren will. Sie haben nun viele Vorzüge dieses Prozesses beschrieben, aber im Kontext dieses Prozesses ist natürlich noch eine andere gefährliche Entwicklung vorhanden – sie wird zumindest als gefährlich empfunden: Die großen Konzerne gehen auf diesem Globus - und keiner kann ihnen das verübeln - mit ihren Investitionsentscheidungen dorthin, wo sie es für richtig halten, weil es dort die ihrer Definition nach idealen Bedingungen gibt: billige Arbeitskräfte, niedrige Umweltschutzstandards, geringe Steuerbelastung. Das führt in der Konsequenz dazu, dass eine nationale Politik bei all ihren regionalen Anstrengungen - Sie haben dabei soeben Bayern schon erwähnt – nur mehr bis zu einer gewissen Grenze aktiv sein und Einfluss nehmen kann auf die Unternehmer. Man kann das hart formulieren und könnte sagen: Die Politik wird mit Blick auf die Entwicklung der großen Konzerne eigentlich überflüssig und erschöpft sich in Appellen, dass die "lieben Unternehmer" bei Ihrer Standortentscheidung sich für das eigene Land entscheiden. Unter Umständen hat man im nächsten Jahr wieder Wahlen, und deshalb bittet die Politik dann die Konzerne, sich doch in der Richtung zu entscheiden. Das wäre dann sozusagen der Kern, auf den sich diese ganze Entwicklung abschmelzen ließe. Ist das nicht eine sehr naheliegende und gleichzeitig sehr gefährliche Entwicklung? Ich glaube, dass das vielmehr eine gefährliche Interpretation der Entwicklung ist. Das ist nämlich nicht die wahre Entwicklung. Aus meiner Sicht wird gerade im Zeitalter der Globalisierung - gerade dann also, wenn die Unternehmen ihre Investitionen, ihre Innovationsanstrengungen und auch ihre Marktpolitik weltweit ausrichten – nationale und mehr noch regionale Politik eher noch wichtiger. Denn nationale und regionale Politik muss dafür sorgen, dass zum einen der Bürger seine Heimat hat und dass er zweitens seine soziale Absicherung erhält. Das ist nun einmal im Wesentlichen eine nationale Kompetenz. Drittens – und das ist in Deutschland ja fast ideal geregelt – ist es so, dass die Bundesländer die Hoheit über zwei der wichtigsten Rahmenbedingungen für den Bürger und auch für die Wissens- und Informationsgesellschaft von morgen besitzen. Die Länder haben die Hoheit über das Bildungswesen, über Forschung, über Entwicklung und über Ausbildung und damit die Hoheit, den Bürger auf die Welt von morgen vorzubereiten. Und sie haben zweitens die Hoheit über die Polizei, d. h. über Sicherheit und Lebensqualität der Bürger. Gleichzeitig hat die nationale Politik natürlich auch die Hoheit über die Standortbedingungen, sprich über Steuersätze, über Infrastrukturkosten und über Infrastrukturleistungen. Das heißt, die Politik hat alle Chancen, Standorte für unternehmerische Aktivitäten attraktiv zu machen. Meinen Sie, dass die Politik diese Chancen im Augenblick auch nutzt, wenn man dabei auf die großen Reformvorhaben schaut? Sie nutzt diese Chancen nicht in ausreichendem Maße, aber sie hat sie in den vergangenen Jahrzehnten auch nicht total verspielt. Denn sonst wäre ja Deutschland nicht so reich, wie es nun einmal ist. Manche Regierungen gerade Länder- und Staatsregierungen – haben das eben etwas besser genutzt als andere. Auch manche Kommunen haben diese Chance besser genutzt als andere. Die Bundesregierung hätte dabei sicherlich auch manches noch besser machen können. Und auch die Europäische

Gottlieb:

Berger:

Kommission hätte manches noch besser machen können. Aber ich glaube, dass man die Notwendigkeiten doch verstanden hat. Ich warne allerdings vor einem Punkt – und das ist das Dilemma, in dem wir uns befinden: Wir besitzen noch Institutionen, Regulierungen und Denkweisen aus dem vergangenen Agrar- und Industriezeitalter. Ich will Ihnen da einmal ein Beispiel sagen. Warum haben wir heute noch ein Landwirtschaftsministerium, wo doch die Landwirtschaft nur ein Industriezweig wie jeder andere ist? Die Landwirtschaft trägt zu unserem Bruttosozialprodukt 2,5 Prozent bei: Da könnten wir doch genauso gut ein Automobilministerium haben. Warum haben wir dagegen kein Zukunftsministerium für Informatik und Biotechnologie? Ich will hier gar nicht für ein weiteres Ministerium plädieren, ich wollte das nur an diesem Beispiel festmachen. Nehmen Sie meinetwegen die Rituale bei den Tarifverhandlungen: Die sind absolut an der Vorstellung orientiert, wir hätten heute noch Routinejobs am Fließband zu vergeben. Das entspricht aber nicht mehr den Tatsachen. Wenn man sich ansieht, wie sich die Bundesregierung mit den 630-Mark-Jobs oder dem Thema der Scheinselbständigkeit beschäftigt, dann kann man nur sagen: Herr Riester ist hier befangen im Industriezeitalter der Vergangenheit. Faktum aber ist: 1960 hatten noch 90 Prozent aller Menschen eine Vollzeitbeschäftigung von Montagmorgen bis Freitagnachmittag. Im Jahr 1997 waren das nur mehr 65 Prozent der Menschen, während 35 Prozent der Menschen einer Teilzeitarbeit nachgehen, für mehrere Arbeitgeber arbeiten, scheinselbständig oder nur geringfügig beschäftigt sind. Das sind die Beschäftigungsverhältnisse der Zukunft. Wenn die Bundesregierung nun den Strukturwandel durch solche Gesetze hemmen will, dann wird sie uns damit auf den Weg zurück verweisen. Das würde dann aber bei mehr Arbeitslosigkeit und bei geringerem Wohlstand enden. Wenn sie aber den Weg zu diesem Strukturwandel ebnen und erleichtern will, dann sollte sie stattdessen solche Dinge fördern und die Menschen dafür auch ausbilden und vorbereiten. Denn dann werden wir diesen Strukturwandel schneller schaffen: mit mehr Wohlstand, mit mehr Jobs und mit mehr sozialer Sicherheit für den einzelnen Bürger. Sind die Fusionswellen, die wir im Augenblick international erleben, das Allheilmittel, das im Zusammenhang mit der Globalisierung unausweichlich ist? Oder liegen in diesem Prozess nicht auch Unsicherheiten und Unwägbarkeiten verborgen? Wir wissen ja, dass eine Reihe solcher MegaZusammenschlüsse nicht funktioniert haben. Wie bewerten Sie das? Die Logik hinter den Fusionen ist zwingend: Größere Märkte, also die Europäische Union oder der Weltmarkt, erzwingen auch größere Unternehmenseinheiten. Gleichzeitig entstehen im Gefolge der größeren Unternehmenseinheiten, die auch ihre Fertigungstiefe – also das, was sie selbst machen – verringern, eine Vielzahl von neuen, kleineren Unternehmen, von mittelständischen Zulieferern hier in Deutschland, in Europa und rund um die Welt. Das heißt, der Konzentrationsgrad der Wirtschaft insgesamt wächst überhaupt nicht. Die großen Unternehmen sind diejenigen Unternehmen, die einfach weltweit vermarkten, weltweit Forschung und Entwicklung betreiben und weltweit noch gewisse Produktionsleistungen oder - wie im Fall der Banken - gewisse Dienstleistungen erbringen. Für den Einzelnen werden damit die Möglichkeiten, sich selbständig zu machen, eher größer. Seine Möglichkeiten, zwischen unterschiedlichen Arbeitgebern wählen zu können, werden auch größer. Auf der anderen Seite muss man sagen, dass diese Fusionen ja alle gemacht werden, um am Markt erfolgreicher zu sein und um die Stückkosten zu senken. Das heißt für den einzelnen Bürger, dass er erstens bessere Produkte zu geringeren Preisen und Kosten bekommt. Das heißt zweitens, dass die Unternehmen, die erfolgreich fusionieren, damit wettbewerbsfähiger werden. Dadurch wird der Job des einzelnen

Gottlieb:

Berger: Gottlieb: Berger:

Gottlieb:

Arbeitnehmers in diesen Unternehmen sicherer. Und drittens ist es so, dass die Volkswirtschaften, in denen diese Unternehmen tätig sind - DaimlerChrysler ist ein deutsches Unternehmen mit weltweiten Aktivitäten –, dadurch reicher werden. Was kann uns also Besseres passieren? Diese Bewegung hat eine vernünftige Ursache, und die Unternehmer reagieren einigermaßen vernünftig darauf. Es werden auch manche dieser Mergers schief gehen, aber der Bürger, die Volkswirtschaft und vor allem der Verbraucher werden dabei zu den Gewinnern gehören. Die Zeit ist wie im Fluge vergangen, und man merkt aus jedem Ihrer Sätze, dass Sie noch voll dieses Tempo besitzen, das Sie nun schon über mehrere Jahrzehnte durchgehalten haben. Zum Schluss nun die Frage, wie es denn bei Ihnen weitergehen wird. Werden Sie in diesem Tempo weitermachen, werden Sie sich spezialisieren? Sie sind ein homo politicus und waren auch schon oft auf der Agenda des einen oder anderen Spitzenpolitikers als Kabinettsvorschlag gestanden. Wäre dies einmal eine Perspektive, die Sie noch reizen könnte? Wohin will Roland Berger noch? Roland Berger war eigentlich immer davon beseelt, einmal etwas auf die Beine zu stellen... Das hat er gemacht! ...und zum anderen auch etwas für die Gesellschaft zu tun. Ich glaube, ich kann das als professioneller Berater exzellent machen. Ich werde daher auch als professioneller Berater weitermachen: zunächst einmal noch einige Jahre als Partner in meiner Firma, denn wir sind eine Partnerschaft. Später sicherlich noch als Berater meiner Firma und als Berater vieler anderer Institutionen. Und wann immer ich öffentlich gefragt werde, jemandem mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, dann werde ich dafür zu haben sein und mich auch engagieren. Ich würde das eigentlich nur dahingehend einschränken wollen, dass ich mich nicht parteipolitisch engagieren möchte und auch nicht glaube, dass wir hier in Deutschland in diesem Parteienumfeld eine zu große Zahl von Ministern als Quereinsteiger haben sollten. Insofern habe ich daher für mich diese Möglichkeit einmal ausgeschlossen. Ich bedanke mich bei Roland Berger für dieses Gespräch. Das war AlphaForum mit einem der bekanntesten und erfolgreichsten Unternehmensberater dieser Republik – manche sagen Europas. Ich denke, es ist vieles artikuliert worden, das weit über den Tag hinausreicht, und das ist ja auch der Sinn dieses Alpha-Forums. Vielen Dank.

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