Rheologische Charakterisierung polymerer Materialien: Statistische Datenanalyse, Modellbildung und Simulation

Rheologische Charakterisierung polymerer Materialien: Statistische Datenanalyse, Modellbildung und Simulation Inaugural-Dissertation zur Erlangung de...
Author: Evagret Kalb
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Rheologische Charakterisierung polymerer Materialien: Statistische Datenanalyse, Modellbildung und Simulation

Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Fakult¨at fur ¨ Physik der Albert-Ludwigs-Universit¨at Freiburg i. Brsg.

vorgelegt von Tobias Roths aus Hausen

Dezember 2000

Dekan:

Prof. Dr. K. K¨onigsmann

Leiter der Arbeit:

Prof. Dr. J. Honerkamp

Referent:

Prof. Dr. J. Honerkamp

Korreferent:

Prof. Dr. H. R¨omer

Tag der Verk¨undigung des Pr¨ufungsergebnisses:

6. Februar 2001

Im Rahmen dieser Arbeit wurde ver¨offentlicht: in Fachzeitschriften T. Roths, D. Maier, C. Friedrich, J. Honerkamp, Modeling of the morphology dynamics of heterogeneous polymer blends/Modellierung der Morphologiedynamik heterogener Polymerblends. Kautschuk Gummi Kunststoffe 52(9) 565–569 (1999). T. Roths, D. Maier, C. Friedrich, M. Marth, J. Honerkamp, Determination of the relaxation time spectrum from dynamic moduli using an edge preserving regularization method. Rheol. Acta 39(2) 163–173 (2000). R. Buttgereit, M. Marth, T. Roths, J. Honerkamp, Some aspects of data analysis of multi–angle dynamic light scattering. Macromol. Symp. 162 173–190 (2000). W. Thimm, C. Friedrich, T. Roths, J. Honerkamp, Molecular weight distribution dependent kernels in generalized mixing rules. J. Rheol. 44(6) 1353–1361 (2000). T. Roths, M. Marth, J. Weese, J. Honerkamp, A generalized regularization method for nonlinear ill–posed problems enhanced for nonlinear regularization terms. Comput. Phys. Commun. eingereicht. T. Roths, C. Friedrich, M. Marth, J. Honerkamp, Dynamics and rheology of the morphology of immiscible polymer blends — On modeling and simulation. Rheol. Acta eingereicht. W. Thimm, C. Friedrich, T. Roths, S. Trinkle, J. Honerkamp, Characterization of long–chain branching effects in linear rheology. J. Rheol. eingereicht. R. Buttgereit, T. Roths, L. Aberle, J. Honerkamp, A simultaneous regularization method for the determination of radii distributions from experimental multi angle correlation functions. Phys. Rev. E eingereicht. F. Feller, D. Geschke, R. Buttgereit, T. Roths, J. Honerkamp, Deconvolution of Laser Intensity Modulation Spectra. in Vorbereitung. in referierten Konferenzzeitschriften T. Roths, D. Maier, C. Friedrich, J. Honerkamp, Determination of relaxation time spectra from rheological data using an edge preserving regularization method. Proc. 5th European Rheology Conference, 305–306 (1998). T. Roths, D. Maier, C. Friedrich, J. Honerkamp, Modellierung der Morphologie heterogener Polymerblends. Proc. 5. Kautschuk–Herbstkolloquium, 13–20 (1998). T. Roths, D. Maier, C. Friedrich, J. Honerkamp, Modeling of the dynamics of morphology formation in heterogeneous polymer blends. Proc. 15th Annual Conference of the Polymer Processing Society, 1–12 (1999).

sonstige Ver¨offentlichungen T. Roths, D. Maier, M. Marth, C. Friedrich, J. Honerkamp, Kantenerhaltende Regularisierung zur Bestimmung des Relaxationszeitspektrums aus den Dynamischen Moduli. Jahresbericht des Freiburger Materialforschungszentrums, 73–77 (1999). ver¨offentlichte Software: GENEREG (GENeralized REGularization method). Vortr¨age auf Fachtagungen D. Maier, T. Roths, C. Friedrich, J. Honerkamp, Ein verbessertes kantenerhaltendes Regularisierungsverfahren zur Bestimmung der Relaxationszeitverteilung aus rheologischen Daten. Vortrag auf der GVC–Tagung, Aachen, 2.–6.3.1998. T. Roths, D. Maier, C. Friedrich, J. Honerkamp, Determination of relaxation time spectra from rheological data using an edge preserving regularization method. Vortrag auf der 5th European Rheology Conference, Portoroz, Slovenien, 6.–11.9.1998. T. Roths, D. Maier, C. Friedrich, J. Honerkamp, Modellierung der Morphologie heterogener Polymerblends. Vortrag auf dem 5. Kautschuk–Herbstkolloquium, DIK Hannover, 15.–17.10.1998. T. Roths, D. Maier, C. Friedrich, W. Gronski, J. Honerkamp, Modellierung der Morphologiedynamik in heterogenen Polymerblends. Vortrag auf der Jahrestagung der Deutschen Rheologischen Gesellschaft, Universit¨at Leipzig, 1.–3.3.1999. T. Roths, D. Maier, C. Friedrich, J. Honerkamp, Modeling of the dynamics of morphology formation in heterogeneous polymer blends. Vortrag auf der 15th Annual Conference of the Polymer Processing Society, ’s Hertogenbosch, Niederlande, 31.5.–4.6.1999. T. Roths, J. Honerkamp, Regularisierungsmethoden zur L¨osung schlecht gestellter Inverser Probleme — Bayessche Sch¨atzer. Vortrag auf der Tagung des VDI–Fachausschusses “Innovative Methoden der Datenverarbeitung”, Frankfurt, 16.3.2000. weitere Vortr¨age T. Roths, D. Maier, C. Friedrich, J. Honerkamp, Bestimmung von Relaxationszeitspektren aus rheologischen Daten mit Hilfe eines kantenerhaltenden Regularisierungsverfahrens. Vortrag auf dem 7. FMF–Kolloquium, 23.–24.10.1998. T. Roths, M. Marth, J. Honerkamp, Regularisierungsverfahren zur L¨osung Inverser Probleme — Theorie und Anwendungen in den Materialwissenschaften. Vortrag am Max–Planck–Institut f¨ur Plasmaphysik, M¨unchen, 24.–25.6.1999. T. Roths, J. Honerkamp, Regularisierungsverfahren zur L¨osung schlecht gestellter Inverser Probleme — Anwendungen in den Materialwissenschaften. Vortrag auf dem Workshop des Freiburger Instituts f¨ur Datenanalyse und Modellbildung, St. M¨argen, 18.2.2000.

Posterpr¨asentationen T. Roths, Datenanalyse in der Rheologie. Poster auf der Messe Wirtschaft trifft Wissenschaft, Stuttgart, 1998. T. Roths, K. Borkenstein, D. Maier, C. Weis, C. Friedrich, J. Honerkamp, Modeling and characterization of immiscible polymer blends. Poster auf der 2. Regio–Surface Tagung, Freiburg, 1.–3.3.1998.

Danksagung

An dieser Stelle danke ich allen, die zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben. Mein Dank gilt besonders:

Herrn Prof. Dr. J. Honerkamp f¨ur die Vergabe des interessanten Themas, die stets hilfreichen Diskussionen und Anregungen sowie f¨ur die freundschaftliche Zusammenarbeit und das mir entgegengebrachte Vertrauen, den Herren Dr. Dieter Maier und Dr. Michael Marth f¨ur ihre wissenschaftliche Unterst¨utzung bei der Durchf¨uhrung der Arbeit sowie f¨ur die Hilfe bei der Formulierung von Publikationen, Herrn PD. Dr. Dr. Chr. Friedrich, Herrn Prof. Dr. W. Gronski, sowie Sandra Steinmann und Peter Arends f¨ur die gute Zusammenarbeit, die hilfreichen Diskussionen und die Bereitstellung von experimentellen Daten, den Mitglieder der Gruppen “Statistische Datenanalyse” und “Rheologie und Polymerverarbeitung” des Freiburger Materialforschungszentrums f¨ur das angenehme und kollegiale Arbeitsklima sowie f¨ur das Korrekturlesen dieser Arbeit, hierf¨ur insbesondere ein Dank an Ralf Buttgereit, Stefan Trinkle und Claudia Raffelh¨uschen.

Mein Dank gilt vor allem auch meinen Eltern, die mir mein Studium erm¨oglicht haben. Ihnen und meiner Frau Anja m¨ochte ich f¨ur ihr Vertrauen und ihre Unterst¨utzung auch in harten Zeiten besonders danken.

Inhaltsverzeichnis Einleitung I

1

Bestimmung des Relaxationszeitspektrums mit Hilfe eines neuartigen kantenerhaltenden Regularisierungsverfahrens Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Grundlagen der Viskoelastizit¨at . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Lineare Viskoelastizit¨at . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2 Rheologische Messung viskoelastischer Materialfunktionen . . . . . 1.1.3 Relaxationszeitspektrum und direktes Problem . . . . . . . . . . . . 1.1.4 Modelle f¨ur das Relaxationszeitspektrum . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.5 Zusammenfassung der Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Mathematische Grundlagen Inverser Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Allgemeine Formulierung des direkten Problems . . . . . . . . . . . 1.2.2 Schlecht gestellte Inverse Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.3 Regularisierungsverfahren — Bayessche Sch¨atzer . . . . . . . . . . . 1.3 Kantenerhaltende Regularisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Einschr¨ankungen des herk¨ommlichen Regularisierungsverfahrens . . 1.3.2 Das neue kantenerhaltende Regularisierungsverfahren . . . . . . . . 1.3.3 Beschreibung der verallgemeinerten nichtlinearen Regularisierung . . 1.4 Bestimmung des Relaxationszeitspektrums . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.1 Simulationen — Testen der Regularisierungsverfahren . . . . . . . . 1.4.2 Bestimmung des Relaxationszeitspektrums aus experimentellen Daten

. . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II Morphologieentwicklung und Rheologie heterogener Polymerblends Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Modellierung der Morphologiedynamik . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Spezifikation der Problemstellung . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Bilanzgleichung f¨ur die lokalen Konzentrationen . . . . . 2.1.3 Bilanzgleichung f¨ur die Masse . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.4 Bilanzgleichung f¨ur den Impuls . . . . . . . . . . . . . . 2.1.5 Zusammenfassung und Diskussion der Modellgleichungen 2.2 Numerische Implementierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i

3 4 6 6 9 12 16 27 28 28 30 32 38 39 41 51 60 60 67 74

. . . . . . . .

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. . . . . . . .

. . . . . . . .

. . . . . . . .

75 78 78 84 92 92 95 97

ii

2.3

2.2.1 Integrationsgebiet und Randbedingungen f¨ur eine Scherstr¨omung  2.2.2 Berechnung der Geschwindigkeit  bei gegebener Konzentration  2.2.3 Integration der Konzentration . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse der Simulationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Deformation und Grenzfl¨achenrelaxation . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Scherinduzierte Koaleszenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Rheologische Eigenschaften aufgrund der Grenzfl¨achen . . . . .

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. . . . . . .

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. . . . . . .

97 98 102 104 104 108 113

Zusammenfassung

118

A Herleitung der Formeln fur ¨ die modifizierte SC–Methode

121

B Formeln fur ¨ die Modellierung der Morphologieentwicklung

126

Literaturverzeichnis

130

Einleitung Polymere sind große Makromolek¨ule, die aus bis zu  sich wiederholenden kleineren Struktureinheiten, den sogenannten Monomeren, aufgebaut sind. Aufgrund ihrer inneren Beweglichkeit sowie der daraus resultierenden Entropieelastizit¨at besitzen Polymere insbesondere bei großen Molekulargewichten ein Formged¨achtnis mit teilweise langen Relaxationszeiten. Sie zeigen infolgedessen neben fl¨ussigkeitstypischen viskosen auch festk¨orpertypische elastische Eigenschaften, weshalb sie als viskoelastische Materialien bezeichnet werden [1]. Polymere k¨onnen daher ein sehr unterschiedliches, den a¨ ußeren Bedingungen angepasstes Materialverhalten aufweisen. Daraus resultieren die guten Verarbeitungseigenschaften in der Schmelze sowie die vielf¨altigen Einsatzm¨oglichkeiten der Endprodukte. Dieses breite Eigenschaftsspektrum l¨asst sich durch Mischen verschiedener Polymere zudem noch erweitern. In vielen F¨allen ergeben sich beim Mischen heterogene Polymerblends, deren Komponenten mikroskopisch separieren. Die sich dabei ausbildende r¨aumliche Anordnung der Blendkomponenten wird als Morphologie bezeichnet [2]. Die Morphologie sowie die Grenzfl¨acheneigenschaften beeinflussen neben den Eigenschaften der Blendkomponenten das Materialverhalten heterogener Polymerblends. Um zu einer Beurteilung der Verarbeitungseigenschaften sowie der m¨oglichen Einsatzgebiete polymerer Materialien zu gelangen, ist deren komplexes Materialverhalten in standardisierter Weise zu charakterisieren. Da f¨ur diese Beurteilung insbesondere die rheologischen Eigenschaften, d.h. die Fließeigenschaften der Polymerschmelze, von Bedeutung sind, spielt vor allem die rheologische Charakterisierung von Polymerschmelzen eine wichtige Rolle. Hierbei wird in Abh¨angigkeit von einer definierten Deformation die Spannung als Antwort des Materials gemessen. Auf diese Weise werden rheologische Materialfunktionen ermittelt, aus denen sich wiederum die viskosen und elastischen Eigenschaften ableiten lassen. Bei der rheologischen Charakterisierung polymerer Materialien wird insbesondere auch untersucht, wie die rheologisch messbaren Materialeigenschaften von den zugrundeliegenden mikroskopischen Gr¨oßen, z.B. von der Struktur und dem Molekulargewicht der Polymerketten oder im Fall heterogener Polymerblends von der Morphologie, abh¨angen. Ist diese Struktur–Eigenschafts–Beziehung bekannt, so kann durch Variation der Mikrostruktur gezielt das Materialverhalten beeinflusst werden. Ziel dieser Arbeit ist daher zum einen die Entwicklung neuer Methoden der statistischen Datenanalyse zur genaueren Bestimmung mikroskopischer Strukturparameter aus den rheologischen Materialfunktionen. Außerdem soll ein Simulationswerkzeug zur realistischen Beschreibung der Struktur– Eigenschafts–Beziehung heterogener Polymerblends entwickelt werden. Somit gliedert sich diese Ar-

1

2 beit wie folgt in zwei Teile:1 Der erste Teil der Arbeit besch¨aftigt sich mit der Rekonstruktion des sogenannten Relaxationszeitspektrums aus gemessenen Daten der rheologischen Materialfunktionen. Dazu ist der funktionale Zusammenhang zwischen diesen Gr¨oßen, der im Rahmen der linearen Theorie viskoelastischer Materialien durch nichtlineare Integralgleichungen gegeben ist, mit Hilfe spezieller Methoden der statistischen Datenanalyse [3] zu invertieren. Das Relaxationszeitspektrum ist deshalb von großem Interesse, da es in anschaulicher Weise die wesentlichen Eigenschaften des viskoelastischen Materialverhaltens als kontinuierliches Spektrum von Relaxationszeiten der zugrundeliegenden mikroskopischen Prozesse abbildet. Damit ist es zum einen geeignet, die Materialeigenschaften eines polymeren Materials zu charakterisieren. Zum anderen lassen sich mit Hilfe des Relaxationszeitspektrums mikroskopische Modelle zur Beschreibung der Polymerdynamik verifizieren, da diese Modelle h¨aufig Vorhersagen u¨ ber den funktionalen Verlauf des Relaxationszeitspektrums liefern [4]. Insbesondere werden f¨ur bestimmte Polymerklassen Relaxationszeitspektren mit Kanten oder zumindest mit starken Kr¨ummungen vorhergesagt, die sich mit dem herk¨ommlichen Rekonstruktionsverfahren prinzipiell nicht verifizieren lassen. Deshalb wird im Rahmen dieser Arbeit ein neuartiges kantenerhaltendes Regularisierungsverfahren entwickelt und numerisch implementiert, das in der Lage ist, auch Relaxationszeitspektren mit Kanten korrekt zu rekonstruieren. Damit kann es im Vergleich mit dem herk¨ommlichen Verfahren zur ¨ Uberpr¨ ufung der zugrundeliegenden mikroskopischen Modelle herangezogen werden. Im zweiten Teil der Arbeit wird die Morphologieentwicklung heterogener Polymerblends modelliert und simuliert. Dies ist unter anderem deshalb von Interesse, weil deren Materialverhalten von der komplexen Topologie der Grenzfl¨achen zwischen den Blendkomponenten beeinflusst wird [2]. Insbesondere besitzt der bei der rheologischen Charakterisierung gemessene makroskopische Spannungstensor einen Beitrag, der auf die mikroskopische Orientierung der Grenzfl¨achen zur¨uckzuf¨uhren ist [5]. Dieser Einfluss der Grenzfl¨achen auf die rheologischen Eigenschaften l¨asst sich somit separat untersuchen, indem die Morphologieentwicklung z.B. unter Scherung simuliert und daraus die Zeitentwicklung der Grenzfl¨achenorientierung abgeleitet wird. Die Modellierung der Morphologieentwicklung erfolgt durch ein System partieller Differentialgleichungen, wobei auf Arbeiten zur Str¨omungsmechanik sowie zur Phasenseparation zur¨uckgegriffen wird. Um die Morphologieentwicklung auf der Basis dieser Modellgleichungen zu simulieren, werden numerische L¨osungsverfahren implementiert. Durch Vergleich der Simulationen mit experimentellen bzw. theoretischen Ergebnissen l¨asst sich zun¨achst u¨ berpr¨ufen, ob die Morphologieentwicklung durch die Modellgleichungen richtig beschrieben wird. Ferner k¨onnen die Simulationen dazu herangezogen werden, die Bedeutung einzelner mikroskopischer Prozesse auf das experimentell verifizierbare Materialverhalten zu analysieren. ¨ Abschließend wird in der Zusammenfassung ein Uberblick u¨ ber die Durchf¨uhrung und die Ergebnisse dieser Arbeit gegeben.

1

Eine detaillierte Erl¨auterung der Durchf¨uhrung sowie der Gliederung der beiden Teile ist in den jeweiligen Einleitungen auf Seite 4 bzw. Seite 75 zu finden.

Teil I Bestimmung des Relaxationszeitspektrums mit Hilfe eines neuen kantenerhaltenden Regularisierungsverfahrens

3

4

Einleitung Das Relaxationszeitspektrum ist eine charakteristische Materialfunktion, welche die wesentlichen Eigenschaften eines viskoelastischen Materials anschaulich als Relaxationszeiten der zugrundeliegenden mikroskopischen Prozesse abbildet. Damit eignet es sich hervorragend, das Materialverhalten von Polymerl¨osungen und –schmelzen zu beschreiben. Dar¨uber hinaus basieren mikroskopische Modelle zur Beschreibung der Polymerdynamik in der Regel auf dem Relaxationszeitspektrum bzw. liefern Vorhersagen u¨ ber dessen funktionalen Verlauf [4, 6, 7]. Deshalb kann das Relaxationszeitspektrum ¨ zur Uberpr¨ ufung solcher mikroskopischer Konzepte herangezogen werden. Voraussetzung hierf¨ur ist es jedoch, dass das Relaxationszeitspektrum mit einer hohen lokalen Aufl¨osung bestimmt werden kann. Allerdings ist das Relaxationszeitspektrum experimentell nicht direkt messbar, sondern l¨asst sich allenfalls indirekt aus den fehlerbehafteten Messdaten einer rheologischen Materialfunktion, wie z.B. den dynamischen Moduli rekonstruieren. Dazu muss der funktionale Zusammenhang zwischen dem Relaxationszeitspektrum und der gemessenen Materialfunktion, der im Rahmen der linear viskoelastischen Theorie durch nichtlineare Integralgleichungen gegeben ist, invertiert werden. Bei dieser Invertierung handelt es sich um ein im mathematischen Sinne schlecht gestelltes Inverses Problem [8, 9, 10], da das Relaxationszeitspektrum nicht stetig von den Messdaten abh¨angt. Deshalb f¨uhren bei einer naiven, nur auf den Daten beruhenden Invertierung selbst kleinste Abweichungen in den Daten, wie sie unvermeidbar durch die Messfehler gegeben sind, zu unbeschr¨ankten Sch¨atzfehlern f¨ur das rekonstruierte Relaxationszeitspektrum. Folglich ist die in den Daten enthaltene Information nicht ausreichend, um das Relaxationszeitspektrum befriedigend zu rekonstruieren. Entsprechend ben¨otigt man zur L¨osung eines schlecht gestellten Inversen Problems zus¨atzliche, von den Daten unabh¨angige Information u¨ ber das Relaxationszeitspektrum, die im Folgenden als Vorwissen bezeichnet wird. Ein solches Vorwissen ber¨ucksichtigen Regularisierungsverfahren, die sich in den Rahmen Bayesscher Sch¨atzer einordnen lassen. Das herk¨ommliche Regularisierungsverfahren nach Tikhonov und Phillips sowie dessen Verallgemeinerung auf nichtlineare Probleme [11], die bisher zur Spektrenbestimmung verwendet wird, beruhen auf dem Vorwissen, dass Spektren im Allgemeinen glatt sind [11, 12]. Insbesondere wird hierbei die zweite Ableitung des Relaxationszeitspektrums als Maß f¨ur dessen lokale Kr¨ummung als beschr¨ankt angenommen. Allerdings existieren mikroskopische Modelle der Polymerdynamik, die st¨uckweise glatte Spektren vorhersagen. Solche Spektren besitzen zwar glatte Abschnitte, diese sind ¨ jedoch durch Kanten, d.h. Uberg¨ ange mit einer starken Kr¨ummung, voneinander getrennt. Insbesondere divergiert in der Idealisierung einer beliebig scharfen Kante die zweite Ableitung des Relaxationszeitspektrums. Ein Beispiel eines st¨uckweise glatten Relaxationszeitspektrums ist das semiempirische BSW/CW–Relaxationszeitspektrum (nach Baumg¨artel, Schausberger & Winter bzw. Chambon & Winter), das f¨ur Schmelzen linearer, nahezu monodisperser und amorpher Polymere mit einem hohen Molekulargewicht vorhergesagt wird [13, 14]. Hierbei bedeuten linear, nahezu monodispers und amorph, dass das Polymer aus linearen Ketten ohne Verzweigungen besteht, dass es eine enge Molekulargewichtsverteilung besitzt und dass die Schmelze nicht kristallisiert. Aufgrund der Kanten lassen sich solche st¨uckweise glatten Spektren mit dem herk¨ommlichen Regularisierungsverfahren nach Tikhonov–Phillips prinzipiell nicht richtig rekonstruieren, sodass die

5 diesen Relaxationszeitspektren zugrundeliegenden Modelle nicht u¨ berpr¨uft werden k¨onnen. Insbesondere werden im Bereich einer Kante artifizielle Peaks rekonstruiert, die f¨alschlich als Indiz f¨ur zus¨atzliche Relaxationsprozesse interpretiert werden k¨onnen. Aus diesem Grund wurde im Rahmen dieser Arbeit ein neuartiges, kantenerhaltendes Regularisierungsverfahren (EPR f¨ur englisch edge preserving regularization) eingef¨uhrt [15]. Dabei wird das Spektrum nur noch als st¨uckweise glatt vorausgesetzt, wobei allerdings keine weiteren Annahmen u¨ ber die genaue Lokalisation oder die Anzahl der Kanten gemacht werden. Unter Verwendung dieses modifizierten Vorwissens ist es m¨oglich, sowohl glatte als auch st¨uckweise glatte Spektren zu rekonstruieren, sodass u¨ berpr¨uft werden kann, ob die theoretisch vorhergesagten st¨uckweise glatten Spektren mit experimentellen Daten vertr¨aglich sind. Modelliert wird dieses modifizierte Vorwissen der kantenerhaltenden Regularisierung durch einen Regularisierungsterm, der im Gegensatz zum herk¨ommlichen Regularisierungsverfahren nach Tikhonov–Phillips nichtlinear ist. Daher war es notwendig, im Rahmen eines verallgemeinerten Regularisierungsverfahrens den bisherigen numerischen Algorithmus zur Bestimmung der regularisierten L¨osung auf nichtlineare Regularisierungsterme zu erweitern. Insbesondere wurde die SC–Methode [16] zur Bestimmung des Regularisierungsparameters, der zwischen Datenanpassung und Anpassung an das Vorwissen gewichtet, und das Minimierungsverfahren zur Bestimmung der regularisierten L¨osung entscheidend modifiziert. Im ersten Kapitel 1.1 wird im Rahmen des linear viskoelastischen Modells der funktionale Zusammenhang zwischen dem gesuchten Relaxationszeitspektrum und den gemessenen rheologischen Daten vorgestellt. Außerdem werden die wichtigsten mikroskopischen Modelle zur Beschreibung der Polymerdynamik diskutiert, um eine Vorstellung u¨ ber den funktionalen Verlauf des Relaxationszeitspektrums zu erhalten. Davon ausgehend wird insbesondere das st¨uckweise glatte BSW/CW– Relaxationszeitspektrum motiviert. Im anschließenden Kapitel 1.2 wird das schlecht gestellte Inverse Problem diskutiert. Ferner werden Regularisierungsverfahren zur L¨osung schlecht gestellter Inverser Probleme eingef¨uhrt, die sich als Bayesscher Maximum–A–Posteriori–Sch¨atzer interpretieren lassen. In Kapitel 1.3 wird zun¨achst dargelegt, wieso das herk¨ommliche Regularisierungsverfahren nach Tikhonov–Phillips nicht in der Lage ist, die theoretisch vorhergesagten Spektren zu rekonstruieren und infolgedessen das neue kantenerhaltende Regularisierungsverfahren eingef¨uhrt. Ferner wird die numerische Implementierung des auf einem nichtlinearen Regularisierungsterm basierenden verallgemeinerten Regularisierungsverfahrens erl¨autert. Anschließend werden in Kapitel 1.4 beide Verfahren anhand von simulierten und experimentellen Daten miteinander verglichen. Die Ergebnisse der Simulationen zeigen insbesondere die Beschr¨ankungen des herk¨ommlichen Verfahrens sowie die Leistungsf¨ahigkeit des neuen kantenerhaltenden Verfahrens auf. In der Folge kann mit Hilfe des kantenerhaltenden Regularisierungsverfahrens gezeigt werden, dass das BSW/CW–Relaxationszeitspektrum und damit die ihm zugrundeliegenden mikroskopischen Modelle tats¨achlich mit experimentellen Daten hochmolekularer, nahezu monodisperser Polymere vertr¨aglich sind.

6

1.1

Grundlagen der Viskoelastizit¨at

Ziel des folgenden Kapitels ist es, die Grundlagen f¨ur das Verst¨andnis des Relaxationszeitspektrums vorzustellen, um im zentralen Abschnitt 1.1.4 dessen funktionalen Verlauf zu motivieren. Zudem wird mit dem direkten Problem der funktionale Zusammenhang zwischen dem Relaxationszeitspektrum und den rheologisch messbaren Materialfunktionen eingef¨uhrt, den es zur Bestimmung des Relaxationszeitspektrums zu invertieren gilt. Dazu wird in den n¨achsten zwei Abschnitten ausgehend von der linear viskoelastischen Theorie zun¨achst die Bedeutung der viskoelastischen Materialfunktionen zur Beschreibung der komplexen Materialeigenschaften von Polymeren erl¨autert. Diese Materialfunktionen, insbesondere die Dynamischen Moduli, werden in Abschnitt 1.1.3 u¨ ber das direkte Problem auf das Relaxationszeitspektrum zur¨uckgef¨uhrt, das die Materialeigenschaften als Relaxationszeiten der zugrundeliegenden mikroskopischen Prozesse beschreibt. F¨ur den Fall einer Schmelze eines linearen, monodispersen, amorphen Polymers zeigen die Materialfunktionen zwei Moden, die auf zwei mikroskopische Prozesse mit unterschiedlichen Relaxationszeiten hinweisen. Die Untersuchung dieser zwei mikroskopischen Prozesse f¨uhrt schließlich in Abschnitt 1.1.4 auf das BSW/CW–Relaxationszeitspektrum, das in Kapitel 1.4 mit Hilfe des neuen kantenerhaltenden Regularisierungsverfahrens (Kapitel 1.3) auf seine Vertr¨aglichkeit mit experimentellen Daten hin untersucht wird.

1.1.1

Lineare Viskoelastizit¨at

Das Fließverhalten von inkompressiblen Fl¨ussigkeiten, wie sie beispielsweise Polymerschmelzen darstellen, wird durch folgende Bilanzgleichungen f¨ur die Masse2 und den Impuls beschrieben [17, 18]: 

 

 

 

(1.1)  !

(1.2) 

Hierin bedeuten  das Geschwindigkeitsfeld der Fl¨ussigkeit und  deren konstante Dichte. bezeich net den lokalen Druck und den Einfluss a¨ ußerer Volumenkr¨afte, die aber im Folgenden ohne Belang  ,+ -/.10 sind ( " ). Die substanzielle Ableitung # & ('*)   ber¨ucksichtigt den Impulsstrom #%$  ) $  durch Konvektion, w¨ahrend der Spannungstensor den Impulsstrom beschreibt, der durch die Molekularbewegung und die Wechselwirkung zwischen den Molek¨ulen verursacht wird. Das Modellieren des Fließverhaltens reduziert sich somit auf das Formulieren einer sogenannten Konstitutivgleichung  f¨ur , wie sie im Folgenden f¨ur den rein viskosen, den rein elastischen und schließlich f¨ur den linear viskoelastischen Fall vorgestellt wird. Konstitutivgleichung im rein viskosen Fall 

F¨ur den Fall rein viskoser, d.h. Newtonscher Fl¨ussigkeiten ist die Spannung zur Zeit  proportional + .  + .45 + .   76  , wobei 6 die Transpozur Scherrate, genauer gesagt zum Scherratentensor 3 2  Die aus dem Gesetz der Erhaltung der Masse resultierende allgemeine Kontinuit¨atsgleichung 8 redu89%:;= 9A@*B ziert sich im inkompressiblen Fall auf die Forderung nach der Divergenzfreiheit des Geschwindigkeitsfeldes 9DCFEHGJILKNMPO Gl. (1.1). 2

7 nierte eines Tensors 2. Ordnung bezeichnet. Diese Proportionalit¨at beschreibt das Newtonsche Gesetz D+ . 

3 + . RQTSU2  

(1.3)

mit der Viskosit¨at QTS , die als konstant und damit als vom Bewegungszustand unabh¨angig angenommen wird. Unter Verwendung dieser Konstitutivgleichung stellt Gl. (1.2) gerade die Navier–Stokes– Gleichung f¨ur inkompressible Newtonsche Fluide dar, die im zweiten Teil der Arbeit noch eingehender untersucht wird. Bei rein viskosen Fluiden wird der durch die Scherung verursachte Energieeintrag vollst¨andig in Form von W¨arme dissipiert. Diese Annahme Newtonscher Fluide gilt zumindest bei kleinen Scherraten f¨ur viele niedermolekulare Fl¨ussigkeiten, d.h. f¨ur Fluide bestehend aus Molek¨ulen mit einem geringen Molekulargewicht. Dar¨uber hinaus gilt sie aber unter gewissen Voraussetzungen auch f¨ur makromolekulare Materialien wie sie beispielsweise Polymere darstellen (vgl. Gl. (1.6)). Konstitutivgleichung im rein elastischen Fall 

Im Fall rein elastischer Materialien wird hingegen angenommen, dass der Spannungstensor propor+ . + .XY tional zur Deformation 3  ,V S $ 3 2 XW ZW ist. Dies entspricht der Annahme des Hookeschen Gesetzes einer mechanischen Feder D+ . 3 + .^ \[]S (1.4)   Bei Scherexperimenten wird die Konstante []S als Schermodul bezeichnet. Folglich wird der Energieeintrag bei rein elastischen Materialien reversibel gespeichert und kann vollst¨andig wieder zur¨uckgewonnen werden. Unter der Voraussetzung kleiner Deformationen gilt diese Idealisierung des Hookeschen Gesetzes in guter N¨aherung f¨ur viele Festk¨orper, insbesondere f¨ur Metalle. Konstitutivgleichung im linear viskoelastischen Fall Sogenannte viskoelastische Fl¨ussigkeiten, wie sie Polymerschmelzen und –l¨osungen darstellen, zeigen dagegen auch bei kleinen Scherraten und kleinen Deformationen viskose und elastische Eigenschaften. Diese viskoelastischen Eigenschaften lassen sich f¨ur den Fall kleiner Deformationen und (im zeitlichen Mittel) kleiner Scherraten3 im Rahmen der linear viskoelastischen Theorie durch folgende (lineare) Verallgemeinerung der obigen Gleichungen (1.3) und (1.4) beschreiben4 [1, 17, 19]: D+ .  3



_ $ `ba

[

+

 

 W

. 3 + .cY 2  W  W

(1.5)

Tats¨achlich k¨onnen die momentanen Scherraten in einem dynamischen Scherexperiment (vgl. Abschnitt 1.1.2) bei hohen Frequenzen der oszillatorischen Deformation recht groß werden. Dies ist aber ohne Belang, solange die Scherrate im zeitlichen Mittel klein bleibt, genauer gesagt, solange durch die Scherung keine wesentliche Orientierung der Makromolek¨ule erfolgt. Klein bedeutet daher, dass die durch die mittlere Scherrate e d induzierte charakteristische Zeit ed fhg gr¨oßer als die l¨angste Relaxationszeit des Materials ist [1, 17]. 4 Die linear viskoelastische Theorie gilt exakt f¨ur den Grenzfall infinitesimal kleiner Deformationen und in guter N¨aherung f¨ur den “linearen Bereich” kleiner Deformationen. Im Fall großer Deformationen wie sie in der nicht–linearen Rheologie untersucht werden, h¨angt die Relaxationsfunktion explizit von der Gr¨oße der Deformation ab, sodass beispielsweise in Gl. (1.5) ikjmlonDlNpmq durch ikjmlonDlrptsruvq zu ersetzen ist.

8

+ . [  [Pa]

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Abbildung 1.1: Schematische Darstellung des Relaxationsmoduls [ monodisperses, lineares und amorphes Polymer.

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+ .  f¨ur ein hochmolekulares,

+ .

Hierin modelliert die zeitabh¨angige Materialfunktion [  , die als Relaxationsfunktion bzw. Relaxationsmodul bezeichnet wird, gleichsam das “Ged¨achtnis” des Materials. +

.

+

.

Der Spezialfall [   ZW (QTSAª   XW , wobei ª die Diracsche Deltadistribution bezeichnet, entspricht dem Fall Newtonscher Fluide Gl. (1.3), bei dem das Fluid u¨ berhaupt kein “Erinnerungsverm¨ogen” an seine urspr¨ungliche Form vor der Deformation besitzt. Im Gegensatz dazu steht der + .¬« Hookesche Fall, f¨ur den gem¨aß Gl. (1.4) [  [ S gilt. Hierbei besitzt das Material ein so “starkes Erinnerungsverm¨ogen”, dass es auch nach langer Zeit und unabh¨angig vom Verlauf der Deformation (solange die Gesamtdeformation hinreichend klein ist, damit das Hookesche Gesetz erf¨ullt bleibt) in der Lage ist, in seine urspr¨ungliche Form zur¨uckzukehren. In beiden Spezialf¨allen reduziert sich die + . Materialfunktion [  auf jeweils eine Materialkonstante (QTS bzw. []S ). Folglich gen¨ugt die Bestimmung eines Materialparameters (neben der Kenntnis der Dichte  ), um das Fließverhalten eindeutig zu charakterisieren. Demgegen¨uber ist das Verhalten viskoelastischer Materialien wesentlich komplexer, was einerseits ein deutlich breiteres Eigenschaftsspektrum und damit die vielf¨altigen Einsatzm¨oglichkeiten polymerer Werkstoffe bedingt. Andererseits muss jedoch zur Materialcharakterisierung der funktio+ . nale Verlauf einer Materialfunktion bestimmt werden. In Abb. 1.1 ist der Verlauf von [  f¨ur eine Schmelze eines linearen, amorphen Polymers dargestellt: + . Zun¨achst ist zu erkennen, dass [  mit der Zeit monoton abf¨allt und f¨ur ®­°¯ schließlich verschwindet. Dies entspricht der Tatsache eines “abnehmenden” Ged¨achtnisses (“fading memory”) des Materials. Polymere besitzen bei kurzzeitigen Beanspruchungen ein gutes “Erinnerungsverm¨ogen” an ihre urspr¨ungliche Form, welches bei l¨angeren Zeiten allerdings immer mehr schwindet. + .D± Folglich verh¨alt sich das viskoelastische Material im Fall kleiner station¨arer Scherraten 3 2 

9 3

2 S

«,²?³T´¶µP·

— entsprechend langen Zeiten bzw. niederfrequenten Deformationen — rein viskos: °±

_a

3 QTS¸2 S

QTS¹

mit

+ [

S + . F¨ur eine kurzzeitige, d.h. hochfrequente Deformation 3 2  ­

rein elastisch:

°±

[ºS

3 S

[ºS

mit

+ [

.cY

(1.6)

 W

+ . S ª  reagiert das Material dagegen 3

±

 W

 »

. 

(1.7)

d.h. u¨ berl¨asst man das Material nach der Deformation sich selbst, kehrt es in seine urspr¨ungliche Form vor der Deformation zur¨uck. + . Schließlich kann man in Abb. 1.1 erkennen, dass [  im Fall eines linearen, amorphen Polymers ± ± `¾½  c¿ s) besitzt, was auf zwei Prozesse mit unterschiedlis und ¼ zwei “Moden” (hier bei ¼ chen charakteristischen Zeiten hindeutet. Dies wird insbesondere in den Abschnitten 1.1.3 und 1.1.4 u¨ ber das Relaxationszeitspektrum eingehend diskutiert. Zuvor wird jedoch zun¨achst das dynamische (oszillatorische) Scherexperiment erl¨autert, welches die Grundlage der im Folgenden verwendeten rheologischen Messdaten bildet.

1.1.2

Rheologische Messung viskoelastischer Materialfunktionen

Aufgrund der hohen Viskosit¨aten k¨onnen f¨ur Polymere die Tr¨agheitskr¨afte, modelliert durch die linke Seite von Gl. (1.2), in der Regel vernachl¨assigt werden. Somit sind der Spannungstensor bzw. dessen Komponenten direkt messbar. Dazu wird in der Rheologie meist die einfache Scherstr¨omung verwendet, da sich eine solche technisch sehr einfach wie in Abb. 1.2 dargestellt durch Scherung zweier paralleler Platten realisieren l¨asst (vgl. auch die Erl¨auterung zu dem in Abb. 1.2 skizzierten Prinzip eines Rheometers). Dabei gilt f¨ur die Deformation ÆÈÇ + . 3 + .  ÁÀÂÂÃ



ÅÄ + .  

ÅÄ

Ç







 



É



d.h. alle Komponenten sind Null bis auf die ÊbË – und die ËhÊ –Komponente. Diese sind gerade Î3 durch die Scherrate, d.h. der Betrag des Scherratentensors Å Ä Ì Í ¿ 3Ï 2 2 gegeben (hierbei steht Í . P · È Ñ  Ò ? ²  Ó + 3ÐÎ 3 3 3!ÕÖ 3!ÕÖ f¨ur das innere Tensorprodukt). Entsprechend wird die Ê¾Ë –Komponente 2 2 2 Ô2 2 + . des Spannungstensors, im Folgenden mit ×  bezeichnet, gemessen. Damit l¨asst sich der Relaxationsmodul mittels eines (Scher–)Deformationssprungs direkt bestimmen [1, 20]: Zum Zeitpunkt  = wird eine Scherdeformation Å S appliziert und im weiteren Verlauf + . + . konstant gehalten, sodass [  gerade durch den zeitlichen Verlauf der relaxierenden Spannung ×  gegeben. H¨aufig wird aber u¨ ber ein oszillatorisches Scherexperiment die Fouriertransformierte der +rج. +rج. Relaxationsfunktion ermittelt. Diese ist durch die Dynamischen Moduli [ W , [ WW gegeben, wie im Folgenden erl¨autert wird. 1.1.2.1

Oszillatorisches Scherexperiment — Dynamische Moduli + .

Abb. 1.1 illustriert, dass der Zeitverlauf von [  u¨ ber viele Dekaden variiert, weshalb eine direkte Messung sehr zeitaufwendig ist. Experimentell ist es daher oft vorteilhaft, die zeitliche Abh¨angigkeit

10 (a) Ë

Å + . ,Å + . Ä  

(b) æ

ÙAÚ*Û-Ü1ÝßÞáâãà Û{Ü1ÝAäå

+ .  ×

Ê

Abbildung 1.2: Schematische Darstellung eines einfachen (oszillatorischen) Scherexperiments: (a) Die obere Platte wird parallel zur unteren, feststehenden Platte bewegt. Infolge der dadurch verursachten Deformation wird im dazwischenliegenden Polymerfilm eine Spannung induziert, die an der unteren Platte gemessen werden kann. (b) Realisiert wird ein solches Scherexperiment durch Torsion einer Platte, w¨ahrend an der anderen Platte das Drehmoment abgegriffen wird. Ist der Plattenabstand klein gegen¨uber dem Plattendurchmesser, so geht dieses Torsionsexperiment in das einfache Scherexperiment u¨ ber. der Materialantwort durch Messung im Frequenzraum zu untersuchen. Dabei wird ausgenutzt, dass Ø + . die Messung der Materialantwort bei der Frequenz qualitativ a¨ quivalent zur Messung von [  zur Ø ` ¿ ist [1, 21]. Die Frequenz l¨asst sich aber ohne Probleme und vor allem ohne großen ZeitZeit  aufwand u¨ ber viele Dekaden variieren, weshalb eine Messung im Frequenzraum in einer wesentlich k¨urzeren Messzeit und zudem mit einer h¨oheren Aufl¨osung, insbesondere bei kurzen Zeiten  bzw. hohen Frequenzen, durchgef¨uhrt werden kann. Dabei wird das Material nicht mehr einer einmaligen St¨orung, sondern einer sinusf¨ormigen DeØ formation der Frequenz unterworfen: Å + .  ÅÄ + . 

Å +rج.cµèç{´7+rØ



Å Ä +rج.c²?³Tµï+rØ

. 

.

é

îÕ í Å +rج.êD+rëXì $ .  Տí . r + ¬ Ø  . D ê ð + ì ÅÄ $  +rج.

ØÏ

+rج.

ê

Å wobei f¨ur die Amplituden der Deformation und der Scherung gilt Å Ä und den Realteil einer komplexen Zahl bezeichnet. F¨ur den Fall kleiner Amplituden der Deformation, d.h unter der Voraussetzung, dass die linear viskoelastische Annahme gilt, ergibt sich durch Einsetzen in Gl. (1.5) f¨ur die Spannung ×

+ . 

ê





+ .

_a

+rج. + .ì ` à à ÅÄ [  W À À S ê¹ñ +rج.ì Տí $1ò ×

Տí

Æ Y $p  WÉ

Æ

ì Õîí É $

Folglich ist die Spannung ×  ebenfalls sinusf¨ormig, kann aber aufgrund der im Allgemeinen kom+rج. + . + . plexwertigen Amplitude × gegen¨uber Å  bzw. Å Ä  phasenverschoben sein. Entsprechend erh¨alt

11 man im Frequenzraum folgende komplexen Verallgemeinerungen der Newtonschen (1.3) bzw. der Hookeschen Annahme (1.4): ×

+rج.

+rج.



Qoó

[]ó

+rج. Å r+ ج. Ä +rج. Å r+ ج.

+rج.

ë

+rج.

(1.8) 

(1.9) +rج.

ôQ W  Q WW wobei die komplexe Viskosit¨at Q ó und der komplexe Schermodul [ ó +rج.%õë +rج. [ W [ WW frequenzabh¨angig und durch die Fouriertransformierte des Relaxationsmoduls ge5 geben sind : [ ó

+rج.

ëöØ

Q ó

+rج.

_a

S

[

+

 W

.Hì ` Õîí p Y $  W

(1.10)

+ .

Damit die Spannung analog zu Gl. (1.3) mit der Scherrate Å Ä  in Phase ist, muss der Imagin¨arteil +rج. der komplexen Viskosit¨at Q W W in Gl. (1.8) und damit der Realteil des komplexen Schermoduls +rج. Ø +rج. [ W Q WW in Gl. (1.9) f¨ur ein rein viskoses, Newtonsches Medium verschwinden. Umgekehrt +rج. +rج. +rج.PøLØ ÷[ W W bzw. Q W , sodass in Anaverschwindet im Fall eines ideal elastischen Materials [ W W Å + . logie zu Gl. (1.4) die Spannung mit der Deformation  in Phase ist. +rج. +rج. +rج.PøLØ ù[ W Der Speichermodul [ W (bzw. Q W W ) misst also in Abh¨angigkeit der Frequenz der Deformation die reversible Energieaufnahme bzw. –abgabe und kann somit als quantitatives Maß f¨ur die elastischen, festk¨orpertypischen Eigenschaften des Materials interpretiert werden. Dagegen stellt +rج. +rج. +rج.PøLØ (bzw. Q W ) ein quantitatives Maß f¨ur die pro Schwingung in der Verlustmodul [ W W ù[ W W Form von W¨arme dissipierte Energie und damit f¨ur die viskosen, fl¨ussigkeitstypischen Eigenschaften dar. +rج. +rج. Damit sind diese Dynamische Moduli [ W , [ WW sehr gut geeignet, in standardisierter Weise die makroskopischen Materialeigenschaften viskoelastischer Materialien zu beschreiben: 1.1.2.2

Makroskopische Interpretation oszillatorischer Messdaten

Abb. 1.3 gibt die zu Abb. 1.1 a¨ quivalenten Speicher– und Verlustmodule f¨ur den Fall einer Schmelze eines hochmolekularen, linearen und amorphen Polymers wider. Man erkennt deutlich 4 Bereiche: Øûú

`

1. F¨ur sehr hohe Frequenzen ¼ ü ¿ (“G” f¨ur Glas¨ubergang) dominieren im Glasbereich mit +rج.ýú +rج. +rج. Ø [ W [ WW die elastischen Eigenschaften. Insbesondere verschwindet [ W W f¨ur ­Á¯ . ± Das Polymer ist aufgrund der hohen Modulwerte þ÷ GPa relativ hart und verh¨alt sich spr¨ode wie ein amorpher Festk¨orper, d.h. a¨ hnlich wie gew¨ohnliches Glas bei Raumtemperatur. Aufgrund der hohen Modulwerte ist ein Polymer in diesem Bereich mit rheologischen Experimenten aber kaum zu vermessen. ¨ 2. Der Ubergangsbereich ist durch eine starke, nahezu gleichlaufende Abnahme der Modulwerte +rج. +rج. [ W , [ WW mit abnehmender Frequenz gekennzeichnet. Das Material wird ausgehend von seinem amorphen, glas¨ahnlichen Zustand allm¨ahlich weich. Letztendlich wird die Spannung ÿ¾jmlöq fouriertransformiert. Dabei wird ausgenutzt, dass die Fouriertransformierte der Spannung ÿ¾jmlöq , d.h. der Faltung von ikjmlöq mit e d jmlöq (Gl. (1.5)) gleich dem Produkt der entsprechenden Fouriertransformierten i Jj q , e d j q ist. Folglich wird wesentlich von der Annahme der linear viskoelastischen Theorie Gebrauch gemacht, dass ÿ¾jmlöq linear von e d jmlöq abh¨angt. 5

 



12

56&798

:= ?1 ist eindeutig bestimmt (Injektivit¨at). 'IH 8JK CBD  ist stetig (Stabilit¨at). 3. Der inverse Operator GF 1. F¨ur jedes

Ist mindestens eine der drei Bedingungen verletzt, so wird das inverse Problem als schlecht gestellt (“ill–posed”) bezeichnet [12, 47, 54, 55, 56]. Die gute bzw. schlechte Problemstellung h¨angt nicht nur vom Operator selbst, sondern auch von der Wahl der Funktionenr¨aume , (Urbildraum) und (Bildraum) ab. Werden diese in geeigneter Weise eingeschr¨ankt und normiert, so l¨asst sich ein schlecht gestelltes Problem mathematisch in ein gut gestelltes transformieren [12, 54].





E

Im Gegensatz zu gut gestellten Problemen bereitet die Invertierung eines schlecht gestellten Problems Schwierigkeiten, weil experimentell lediglich eine fehlerbehaftete Datenfunktion ermittelt werden kann. Bei fehlender Surjektivit¨at des Problems k¨onnen diese Daten demnach außerhalb des Bildbedes L¨osungsraumes liegen. Dieser Fall l¨asst reichs sich noch durch Einf¨uhren einer verallgemeinerten Inversen

ML

NL H O BA  ?QP+   1R@NA BA T S

BA  U H VJK WBDX> YUZ [ H \^]3_[`badc!egf Nh+ikjMlnmGo pqsr8 o1tu

 U  [







l¨osen. liefert gerade die Funktion bzw. Parameter , deren Bild unter die beste Approximation von an ergibt. Bedingungen f¨ur , unter denen diese Zuordnung wohldefiniert ist, sind in [12, 57] zu finden. Bei fehlender Injektivit¨at des Problems kommt es bei der Invertierung zu Mehrdeutigkeiten. Unter den datenvertr¨aglichen L¨osungen ist die “Richtige” zu finden. Nichtinjektivit¨at liegt im Allgemeinen dann vor, wenn wie im Fall des Relaxationszeitspektrums eine kontinuierliche Funktion aus endlich vielen Datenpunkten gesch¨atzt werden soll. Um jedem eine eindeutige L¨osung zuzuordnen, l¨asst ¨ sich auch in diesem Fall eine verallgemeinerte oder Pseudo–Inverse definieren. Ublicherweise wird die verallgemeinerte Moore–Penrose–Inverse benutzt, die aus allen L¨osungen diejenige mit minimaler Norm ausw¨ahlt. Diese Wahl beinhaltet allerdings als zus¨atzliches Vorwissen, dass die L¨osung mit der kleinsten Norm die Richtige ist. F¨ur einen linearen Operator l¨asst sich die Moore–Penrose–Inverse explizit durch und seinen adjungierten Operator darstellen [12, 57]:

v BpEk 



w



Y x  U  Ne£L f  °z ± H ¦ J WBD  > §W²J ® ¯ z > ° z ±  §? ® ¯ z  §?‘> ° z  §¨ ± > ° ¯ der den fehlerbehafteten Daten §Legf  eine L¨osung ¨z L³ z  §´Le£f   bzw.  z L  z  §qLe£f   zuordnet. Folg° ¯ lich ist auch diese L¨osung als Realisierung der Zufallsvariablen z µ¢ Legf   und z µ¢ Legf   zu betrachten. Entsprechend ist beim Sch¨atzen der Gr¨oßen  ,  eigentlich deren Wahrscheinlichkeitsverteilung zu

nur als Realisierungen einer Gem¨aß der Beobachtungsgleichung (1.40) lassen sich die Messdaten  von Zufallsvariablen interpretieren, die unabh¨angig GaußverFamilie  und Varianz . Damit bedeutet die teilt sind mit Erwartungswert Invertierung der Beobachtungsgleichung (1.40) die Anwendung eines Sch¨atzers

bestimmen. In der Regel wird aber nur der Wert eines Funktionals dieser Verteilung, beispielsweise der Erwartungswert, aus einer Realisierung der Messdaten ermittelt und als gesch¨atzte L¨osung angegeben. m¨oglichst Bei einem guten Sch¨atzer sollte diese gesch¨atzte L¨osung der wahren L¨osung ¨ nahe kommen. Ubliche Kriterien f¨ur die G¨ute eines Sch¨atzers sind deshalb seine Erwartungstreue und seine Varianz. Beispielsweise erweist sich die (verallgemeinerte) Inverse, wie sie auch durch den Least–Square– bzw. Maximum–Likelihood–Sch¨atzer gegeben ist, zwar als erwartungstreu, allerdings divergiert deren Varianz im Falle eines schlecht gestellten Problems (vgl. Abschnitt 1.2.2). Bei der Konstruktion Bayesscher Sch¨atzer zur L¨osung eines allgemeinen inversen Problems21 (vgl. Gln. (1.37), (1.38)) wird die G¨ute eines Sch¨atzers durch das sogenannte Bayessche Risiko

1R@

 H WB¶  J· >¸  ?¹ °z @ ºY»w¼ ¯ z > °¾z ½  [¶  ¼ 1R@&>+< ¯ z > ° z @£ [ ½bÃÄ f ÅkÆ Ç ?>1 [ŽYM  “

¿ e£f [ÀyhÁikjMl m¹Â ’ quantifiziert. Hierbei wird jeder Datenfunktion  die mittlere Entfernung der gesch¨atzten L¨osung ¯ z  [‘> ° z  [ von der tats¨achlichen Funktion  bzw. dem tats¨achlichen Parametersatz  zugeordnet [47, 58].22 Die Verlustfunktion stellt ein Abstandsmaß dar, das im Wesentlichen die Eigenschaften einer Metrik besitzen, d.h. insbesondere positiv (semi–)definit sein muss.

Â

21

È[É

È

Die nachfolgende formale Betrachtung gilt auch in dem abstrakten, unendlichdimensionalen Funktionenraum . Deshalb wird zun¨achst nicht zwischen diesem und dem realen, endlichen Datenraum unterschieden. Entsprechend wird die allgemeine Funktionsschreibweise der Vektornotation vorgezogen. 22 Auf die Schwierigkeiten, die sich bei der Integration u¨ ber einen Funktionenraum ergeben, wird hier nicht eingegangen, zumal sich diese Integration beim sp¨ater benutzten MAP–Sch¨atzer er¨ubrigt. Ansonsten wird auf B¨ucher der Maß– und Integrationstheorie bzw. der Wahrscheinlichkeitstheorie verwiesen [52, 59].

ž

Ê

Ë

34

à ?>1 Ì ¨ Ã Ä f ÅkÆ Ç ?>1 [ ’  ’ ?>1 ÃÄ f ÅIÆ Ç ?>1 [D Ã Ç³Æ Ä f Å   ’ ?à >1´ Ã Ä f Å ?>1¨ (1.43) Ç  [   ’ Ã Ä durch die Likelihood (die Dichte Ç³Æ f Å der bedingten Wahrscheinlichkeit,  bei gegebener Funkà tion  bzw. gegebenen Parametern  zu messen), durch die Wahrscheinlichkeitsdichte Ç f¨ur das Ã Ä f Å darstellen. Auftreten von  und durch die a–priori–Verteilung Ã Ã Ä f Å ?>1 bedeutet im Gegensatz zur a–posteriori– Die a–priori–Verteilung ?>1Í Verteilung die Wahrscheinlichkeit f¨ur ?>1 ohne Kenntnis der Daten  , also vor der Messung. Durch die a–priori–Verteilung l¨asst sich ein Vorwissen, d.h. eine zus¨atzliche, von den Daten unabh¨angige Kenntnis u¨ ber die L¨osung modellieren. Dazu wird den Funktionen  bzw. Parametern  a priori eine à umso h¨ohere Wahrscheinlichkeit ?>1¨ f¨ur das Auftreten als L¨osung zugewiesen, je mehr sie dem Die a–posteriori–Verteilung bedeutet die Dichte der bedingten Wahrgegeben die Daten , d.h. die Wahrscheinlichkeitsdichte nach Kenntnis der scheinlichkeit f¨ur Daten (a posteriori). Diese Verteilung l¨asst sich nach dem Bayesschen Theorem

Vorwissen u¨ ber die L¨osung entsprechen.

?>1

Als Bayesscher Sch¨atzer f¨ur minimiert:

 

wird gerade der Sch¨atzer definiert, der die Risikofunktion f¨ur jedes

® ¯ z > °z ± nΈÏ3Ð‘Ñ  [DÒ\^]3_`bÄ a€c º »p¼ ¯ z > °¾z ½  [ Ôp ¶ Õ (1.44) Ó fÅÓ F¨ur eine problemspezifisch richtige Wahl des Vorwissens Ö(?>1 sollte dieser Sch¨atzer insbesondere D

auch einen geringen systematischen Fehler (Bias) bei einem gleichzeitig m¨oglichst geringen statistischen Fehler (Varianz) besitzen. Folglich wird der Bayessche Sch¨atzer zumindest f¨ur die a–priori wahrscheinlichen Funktionen bzw. Parametern n¨aherungsweise erwartungstreu sein und trotzdem einen geringen Sch¨atzfehler ergeben. Insgesamt wird durch den Bayesschen Sch¨atzer die Fluktuation um die wahre L¨osung (gemessen durch ) im Mittel m¨oglichst gering gehalten. Die G¨ute eines Bayesschen Sch¨atzers h¨angt, neben der richtigen Wahl des Vorwissens, auch von der Wahl der Verlustfunktion ab:





×

Â

Der Minimum–Mean–Square–(MMS–)Sch¨atzer verwendet als Verlustfunktion die mittlere quadratische Abweichung

¼ 1R@&>+< ³~ > R~ @ ½  o r  ~ o it o “r  ~ o lt m Õ ÂØkØIÙ º ergibt sich der Minimum–Mean– Als Minimum der entsprechenden Risikofunktion ØkØIÙ Square–Sch¨atzer ® ¯ z >Œ°z ±  [¶  1(@ à ?>1 [+Ž;MÚ> ’ Øk¯ ØIÙ ° egf Mh+ikjM¯ l m ° d.h. die bedingte Erwartung Ûp [ , Ûp [ f¨ur bzw. gegeben  . ’ ’ × Der Maximum–A–Posteriori–(MAP–)Sch¨ atzer korrespondiert mit der ÜM+< R~ > ³~ @ ½  â ãá Ý HH o r  ~ o it o “r  ~ o l«t måä Ü °Úz ½  [ ç,rsè;J é Þ¶r à  ¯ z  [‘> ° z  [ [Yê ï YNbÕ ³ Ä ì ¤ í î ì ¤ í î Ó Ó ë ˆ ë ï ë ˆ ë ’ ØAß?à e F ð?ñ  F Å ò mkó ç Der MAP–Sch¨atzer ¿À ® ¯ z > °z ±  [DÒ\^]3_`b\‹ô à ?>1 [ õ (1.45) ¿ e£f [À ’ \^]1_`b¿ e£f\‹Ìô À à   ’ ?>1q à ?>1 ØAßà maximiert also tats¨achlich f¨ur jedes  die a–posteriori–Verteilung. F¨ur die letzte Gleichung wurde à verwendet, dass  [ bez¨uglich  konstant ist. F¨ur das Risiko folgt daher:

º

Bei vern¨unftiger Wahl der Verlustfunktion unterscheiden sich die entsprechenden Bayesschen Sch¨atzer nicht allzu sehr. Insbesondere werden die Ergebnisse von MAP– und MMS–Sch¨atzer in der Regel nur geringf¨ugig variieren [58]. Der MAP–Sch¨atzer ist allerdings aus zwei Gr¨unden vorzuziehen. Zum einen l¨asst er sich vergleichsweise “einfach”23 mit Hilfe eines Minimierungsalgorithmus berechnen — im Gegensatz zum MMS–Sch¨atzer, bei dem numerisch ein hochdimensionales Integral zu l¨osen ist.24 Zum anderen geht der MAP–Sch¨atzer bei fehlendem Vorwissen, d.h. , in den herk¨ommlichen Maximum–Likelihood–Sch¨atzer u¨ ber.

ÖR?>1¨öø÷£ù[c!ú¤û

Bayesscher Maximum–A–Posteriori–(MAP–)Sch¨atzer

à   ? >1q und die a–priori–Wahrscheinlichkeitsdichte à ?>1¨ in Gibbs’ à   ?>1Dýü F ' 1¨ýü F ' þ F ì e£f  î (1.46) ’  mit den “Energiefunktionen”   ?>1 , ø?>1 und den “Zustandssummen” üO °z ±  [¶õ\^]3_k`badc P    ?>1A  ?>1 S Õ (1.47) ¿ e£f [À ’ ØAß?à F¨ur die Beobachtungsgleichung (1.40) folgt mit der Annahme unabh¨angig Gaußverteilter Messfehler mit Varianz ¬ ­ t ¬ t unter Verwendung der Modellgleichung (1.38) ® ¯ z > ° z ±  [Dõ\^]1_`badc â ãá Þ – ¦ Þ   ­L r! 1q‰ö÷£ù[c!ú¤û , gerade dem herk¨ommli-

Schreibt man die Likelihood scher Form

chen Least–Square–Sch¨atzer. 23

Auf die Schwierigkeiten der Minimierung im Fall der kantenerhaltenden Regularisierung, bzw. allgemein im Falle eines Regularisierungverfahrens mit einem verallgemeinerten, nichtlinearen Regularisierungsterm, wird in Kapitel 1.3 eingegangen. 24 Dies ist nur mit aufwendigen stochastischen Methoden m¨oglich [58].

36 1.2.3.2

Regularisierung als Bayesscher MAP–Scha¨ tzer

Mit dem Ergebnis aus Gl. (1.48) lassen sich die klassischen Regularisierungsverfahren (vgl. [12, 60]) als MAP–Sch¨atzer interpretieren und in den Rahmen Bayesscher Sch¨atzer einordnen:25 Die regularisierte L¨osung  ,  des zur Modellgleichung (1.38) Inversen Problems erh¨alt man unter Verwendung der Beobachtungsgleichung (1.40) durch Minimierung eines Funktionals der Form

d.h. durch

z L  z L ¦ Þ –   ?>1 ­9%(' ¬ t ¬ ­t ® z  L >  L ± H  z

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