Responsibility to Protect (R2P)

Responsibility to Protect (R2P) Responsibility to Protect (R2P) Kann man - und muss man manchmal - Menschenrechte mit militärischer Gewalt schützen? ...
Author: Lilli Fertig
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Responsibility to Protect (R2P)

Responsibility to Protect (R2P) Kann man - und muss man manchmal - Menschenrechte mit militärischer Gewalt schützen?

"Responsibility to Protect" ist der Titel des 2001 veröffentlichten Reports der ICISS (International Commission on Intervention and State Sovereignty). Sein Ziel war, die UNO mit der Frage danach zu konfrontieren, ob es ein "Recht auf humanitäre Intervention" gibt, obwohl ihre Charta etwas derartiges nicht vorsieht. Mit der Frage also, "wann - wenn überhaupt - es für Staaten angemessen ist, Zwangs- und insbesondere militärische Maßnahmen gegen einen anderen Staat zu ergreifen, um gefährdete Menschen in diesem anderen Staat zu schützen."(1) Er zitiert zu diesem Zweck den damaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan, der unter dem Eindruck von fast 1 Million Toten beim Völkermord 1994 in Ruanda und des mit humanitären Zielen begründeten, aber völkerrechtswidrig begonnenen NATO-Krieges gegen Jugoslawien 1999 bei der UN-Vollversammlung im gleichen Jahr sowie beim Millenium-Gipfel 2000 fragte: "Wenn das Konzept der humanitären Intervention tatsächlich ein inakzeptabler Anschlag auf das Souveränitätsprinzip ist: Wie sollen wir dann auf ein Ruanda, auf ein Srebrenica antworten - auf massive und systematischen Verletzungen von Menschenrechten, die das Fundament unseres gemeinsamen Verständnisses von Menschlichkeit tangieren?"

Gewaltverbot, nationale Souveränität und Menschenrechte in der UN-Charta In der Charta der Vereinten Nationen, der zentralen Rechtsquelle des Völkerrechts, wurden drei wesentliche Prinzipien für das Zusammenleben der Völker auf unserer gemeinsamen Erde festgeschrieben: 1. das Gewaltverbot, das den Mitgliedsstaaten die Anwendung militärischer Gewalt grundsätzlich verbietet; 2. das Prinzip der Souveränität, die ihnen Selbstbestimmung und Unverletztlichkeit garantiert; und 3. die Menschenrechte. Gleich im ersten Satz der Präambel der UN-Charta heißt es: „Wir, die Völker der Vereinten Nationen – fest entschlossen, künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat, unseren Glauben an die Grundrechte des Menschen ... erneut zu bekräftigen...“ Kapitel I handelt dann von der Bedeutung der Bewahrung des Weltfriedens. In Artikel 2 heißt es dort: „4. Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete ... Androhung oder Anwendung von Gewalt.“ Hintergrund ist die – in der Präambel angedeutete – Erfahrung zweier Weltkriege. Sowie die Erkenntnis, dass auch auf internationaler Ebene besonders die schwächeren Mitglieder einer Gemeinschaft vor Gewaltanwendung von Stärkeren durch die Schaffung von Rechtsnormen geschützt werden müssen. Ausnahmen vom Gealtverbot nennt die Charta nur zwei: Die Artikel 42 (Bedrohung des Weltfriedens) und 51 (bewaffneter Angriff auf ein Mitglied) in Kapitel VII. (3)

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Responsibility to Protect (R2P) Verletzungen und Schutz der Menschenrechte Die Menschenrechte haben bei den Vereinten Nationen einen so hohen Stellenwert, dass sie hierzu schon 1948 eine eigene Charta verabschiedeten: die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“. Ihre historische Leistung ist vor allem, diese Rechte zu formulieren und ihnen weltweite Gültigkeit zu verschaffen. Instrumente zu ihrer Durchsetzung wie einen internationalen Gerichtshof oder eine Exekutive kennt sie allerdings nicht. Insbesondere wurde das Problem, dass die massenhafte Bedrohung von Leib und Leben von Menschen nicht nur von kriegerischen Bedrohungen von außen, sondern auch von den Staaten selber, die ihre Bevölkerungen eigentlich schützen sollen, ausgehen kann, wurde erst später formuliert. Katastrophen wie der Völkermord in Ruanda gaben dieser Debatte besonders ab den 1990er-Jahren Zündstoff und führten letztlich zur Gründung der ICISS (s.o.).

Theorie der "Responsibility to Protect": ICISS-Report und UN-Weltgipfel 2005 Die „International Commission on Intervention and State Sovereignty“ war sozusagen das Gremium, das nun konzentriert diese Problematik analysieren und eine Lösung dafür erarbeiten sollte. Ein eigentliches UN-Gremium war sie freilich zu keinem Zeitpunkt, sie war noch nicht einmal von der UNO hierfür mandatiert worden. Vielmehr wurde sie – als Reaktion auf die o.g. mehrfachen Appelle von Kofi Annan an die UNO – von der kanadischen Regierung gegründet, strukturiert und beauftragt, die zu ihrer Finanzierung mehrere große Stiftungen hinzuzog, wie zB. die Rockefeller Foundation und die Carnegie Corporation of New York (deren Präsident sie ins Advisory Board berief) und ihr Sekretariat im kanadischen Außenministerium einrichtete. Die Besetzung der Kommission mit insgesamt 12 Persönlichkeiten sollte wohl Nord-Süd-Ausgewogenheit signalisieren – bei näherem Hinsehen handelt es sich aber um ein stark westlich dominiertes Spektrum, das u.a. einen vormaligen NATO-Generalsekretär einschließt, ein Ex-Mitglied des US-Geheimdienst- und Auswärtigen Ausschusses, Süd-Exponenten wie Fidel V. Ramos (vormaliger philippin. Präsident), nur einen Russen und nur eine Frau. Konzeptionell strebte die ICISS zur Ermöglichung von humanitär begründeten Militärinterventionen eine Änderung der UN-Charta erst garnicht an, sondern bediente sich eines Tricks: Um das für die Charta zentrale Souveränitätsprinzip formal nicht antasten zu müssen, kam sie auf die Idee, den Souveränitätsbegriff einfach umzudeuten: Als "souverän" sollten künftig nur noch Staaten gelten, die willens und in der Lage sind, bestimmte menschenrechtlich definierte Vorgaben zu erfüllen. Inhaltlich erhob der ICISS-Report dabei einen durchaus hohen Anspruch: Grundsätzlich setzte er vor eine Militärintervention eine "Responsibility to Prevent", und danach eine "Responsibility to Rebuild". Schaut man sich jedoch das Präventionskapitel genauer an, ist man ernüchtert: Entscheidende Ursachen für humanitäre Katastrophen in Dritte-Welt-Staaten wie Stellvertreterkonflikte, die von Großmachtinteressen angeheizt werden, bleiben unerwähnt. Wirtschaftliche Faktoren für Konfliktentstehung und -eskalation werden zwar angeführt (sogar unter dem -2-

Responsibility to Protect (R2P) Begriff "root causes"), aber nicht ernsthaft thematisiert - zT. sogar kontraproduktiv bzw. ambivalent. Dieser juristische Winkelzug sollte dann irgendwie von der UN-Vollversammlung abgesegnet werden, unter Umgehung der hohen Hürden für eine Charta-Änderung. Hierzu wurde ein entsprechender Absatz ins Ergebnisdokument der UNVollversammlung 2005 in New York aufgenommen. Das dann nicht per Abstimmung, sondern per Akklamation verabschiedet wurde. Die geplante Umdefinition des Souveränitätsbegriffs wurde dabei allerdings aufgegeben. Stattdessen wird dort mit Bezugnahme auf Kapitel VII der UN-Charta implizit eine Erweiterung der Erlaubnis militärischer Gewaltanwendung für den Fall eines Versagens nationaler Organe beim Schutz ihrer Bevölkerung formuliert - nicht grundsätzlich, sondern vom Weltsicherheitsrat von Fall zu Fall zu entscheiden und "in Übereinstimmung mit der Charta". Sehr explizit wird zugleich noch einmal auf Kapitel VI und VIII der Charta und damit auf ihre Grundstruktur der Betonung friedlicher Mittel verwiesen. Und vorab, auf Druck der Blockfreien in das Gesamtdokument aufgenommen, auf das (für die Charta elementare) Souveränitätsprinzip. Etwas später wurde als praktischer Schritt das Amt eines Sonderberaters des UNGeneralsekretärs für die Responsibility-to-Protect-Doktrin geschaffen und 2008 der US-Politologe Edward C. Luck hierzu berufen.

... und ihre Praxis: Libyenkrieg 2011 und aktueller Krieg in Syrien Der Libyenkrieg von 2011 ist historisch der erste Fall, in dem das neue Schutzverantwortungs-Prinzip praktisch angewandt wurde. Um die Militäraktion gegen das souveräne Land zu rechtfertigen, wurde die WeltsicherheitsratsResolution Nr. 1973 formuliert und verabschiedet. Sie genehmigte eine Flugverbotszone über Libyen und autorisierte "alle notwendigen Maßnahmen, um die Zivilbevölkerung zu schützen", wie es in der Überschrift der zugehörigen Presseerklärung des Sicherheitsrates vom 17.03.11 hieß. Expliziter Bezug auf die Resolution 60/1. der UN-Vollversammlung 2005 (das o.g. Ergebnisdokument des Weltgipfels) und den darin enthaltenen Schutzverantwortungs-Passus (Absatz 138 140) wird darin zwar nicht genommen. Und es gibt am Schluss des Vorspanns, der die Beschlüsse der Resolution begründet und rechtfertigt (wie bei UN-Resolutionen üblich), einen kleinen Passus mit der Erklärung, die Libysche Arabische Republik bedrohe internationalen Frieden und Sicherheit und der anschließenden Bezugnahme auf das entsprechende Kapitel VII der UN-Charta, das allein und ausschließlich die Anwendung militärischer Gewalt in internationalen Beziehungen regelt (s.o.). Dabei handelt es sich aber ganz offensichtlich nur um einen juristischen Kunstgriff, der eine vom r2p-Prinzip unabhängige Rechtsgrundlage für das gewaltsame Vorgehen gegen Libyen schafft. Denn zugleich wird über-deutlich, dass die Resolution 1973 einen Präzedenzfall für die humanitäre Rechtfertigung einer Militärintervention schaffen soll, und zwar an etlichen Beispielen: - Die gesamte Begründungssubstanz der Resolution wird dominiert von Vorwürfen bezüglich massiver Menschenrechtsverletzungen durch die Gaddafi-Regierung. -3-

Responsibility to Protect (R2P) - Der damalige französische Außenminister Alain Juppé, der die Resolution in den Sicherheitsrat einbrachte, wird in der o.g. UN-Presseerklärung ausschließlich mit Begründungen zitiert, die mit Menschenrechtsverletzungen und der Notwendigkeit zum Schutz davor argumentieren, nicht mit Friedensgefährdung. - Der gesamte Diskurs der zahlreichen Befürworter der Intervention in der westlichen, sog. "Welt-Öffentlichkeit" konzentrierte sich inhaltlich auf das Thema Verantwortung zum Schutz vor Menschenrechtsverletzungen - übrigens auch seitens der SPD- und grünen-Opposition im Deutschen Bundestag, die die Stimmenthaltung Deutschlands im Weltsicherheitsrat deswegen kritisierte. Von Kapitel VII der UN-Charta war hier übetrhaupt keine Rede. - Zudem ist davon auszugehen, dass sogar der Verzicht von Russland und China, von ihrem Vetorecht Gebrauch zu machen, ganz wesentlich auf die Argumentation mit der internationalen Schutzverantwortung zurückzuführen ist. Was aber geschah nach Beschluss der Resolution 1973? Schon zu Beginn der Intervention wurde deutlich, dass ihr tatsächliches Ziel der "Regime Change" in Libyen war (von Obama, Cameron und Sarkozy in einem gemeinsamen Zeitungsartikel auch so vertreten) und hierzu auf Seiten der bewaffneten Rebellen in den bereits bestehenden Bürgerkrieg eingegriffen wurde. Und zwar mit einem massiven Luftkrieg, der entsprechend viele, auch zivile Todesopfer kostete. Bei ersterem handelte es sich um einen klaren Bruch sowohl des Völkerrechts, das keinerlei Rechtfertigung für gewaltsame Parteinahme in einem Bürgerkrieg kennt, als auch der Resolution 1973, die dies ebensowenig erlaubte. Zweiteres, der Luftkrieg, war in der Resolution zwar schon implizit angelegt, verstieß aber gegen den Geist einer "No-Fly Zone" und die Suggestion, damit sollte die Zivilbevölkerung geschützt werden. Die Bilanz der Libyen-Intervention - bei der es sich faktisch um einen massiven Krieg handelte - ist sowohl aus Friedens-, als auch aus Menschrechtssicht verheerend: - Das tatsächliche Ziel der Intervention war der "Regime Change". Folgerichtig wurden mehrere Waffenstillstandsangebote Gaddafis, die der Zivilbevölkerung hätten Linderung bringen können, ausgeschlagen. - Die Rolle der Resolution 1973 war letztendlich, die Durchsetzung dieses Ziels mit Menschenrechts-Rhetorik zu vebrämen und so eine öffentliche Stimmung zu schaffen, vor deren Hintergrund ein Veto im Sicherheitsrat unrealistisch war. Insbesondere, nachdem die Weltgemeinschaft mit dem UN-Gipfel von 2005 auf die "Responsibility to Protect" eingeschworen war. - Diese Stimmung wirkte sich auch auf die internationale soziale Bewegung aus: Friedensorganisationen taten sich schwer, sich zu artikulieren. Organisationen wie die IPPNW, die von Anfang an vor einer gewaltsamen "Lösung" gewarnt hatten (besonders IPPNW-Deutschland), hatten in der rhetorisch aufgeheizten Situation Schwierigkeiten zu vermitteln, dass ihre Warnungen keineswegs auf einer Geringschätzung der Menschenrechte beruhten. - Dies und die NATO-Parteinahme für die Rebellen bewirkte, dass diese immer mehr Gewaltexzesse verübten - die gleichzeitig kaum wahrgenommen, geschweige denn -4-

Responsibility to Protect (R2P) verfolgt wurden (Aufmerksamkeit erfuhr allenfalls die Ermordung Gaddafis bei seiner Gefangennahme). - Die Zahl der Todesopfer wird auf ~50.000 geschätzt, die Zahl der Flüchtlinge schoss nach Beginn der Intervention von 300.000 auf über 1 Million. - Libyen ist heute nach vielfacher Einschätzung ein "failing state" mit fehlender staatlicher Ordnung, immensem Gewaltpotenzial (ähnlich wie der Irak), destabilisierendem Effekt auf andere Staaten und ungewisser Zukunft.

Der Krieg in Syrien lässt - insbesondere im Fall einer offenen Intervention von außen - ähnliches erwarten. Denn diejenigen westlichen und mit dem Westen verbündeten arabischen Staaten, die schon mehrfach eine solche Intervention gefordert hatten, haben den Konflikt, vor dem sie damit angeblich die Zivilbevölkerung schützen wollen, massiv selbst angeheizt - im Sinne eines Stellvertreterkonflikts für eigene Hegemonialinteressen: - durch Bereitstellung eines Standortes für das militärische Hauptquartier der Rebellen (FSA) in einem NATO-Land (Türkei); - durch Training, Ausrüstung und Finanzierung der Rebellen; - durch geheimdienstliche Infrastruktur; - durch Einschleusung zahlloser, zum Teil hoch entwickelter Waffen und militärischer Hilfssysteme nach Syrien; - durch Einschleusung religiös fanatisierter Söldner aus verschiedenen Ländern - u.a. aus Libyen - und zumindest faktische Stärkung ihrer Organisationen wie Al-Nusra. AlNusra wiederum ist eine Gliederung von Al-Qaida, die in Syrien nicht nur Juden und Christen bedroht und verfolgt, sondern auch gemäßigte Moslems (und die der Westen in anderen Ländern mit großem Kriegsaufwand bekämpft). Problem der Kräfteverhältnisse und der Eigeninteressen Das auf dem ICISS-Ansatz basierende, militärisch gestützte SchutzverantwortungsKonzept ignoriert einige Grund-Determinanten unserer heutigen Welt wie die massive Kräfte-Asymmetrie zwischen Nord und Süd und das Fehlen neutraler, wirklich UN-geführter (und nicht nur -mandatierter) Streitkräfte. Was letztendlich bedeutet, dass es gegen relativ kleine, schwache Akteure eigesetzt werden kann (zumindest theoretisch), aber nicht gegen große Akteure oder Bündnisse und deren Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Beispiel Irakkrieg: eine jüngere IPPNWAnalyse schätzt die Zahl der durch ihn getöteten Menschen auf über 1,5 Millionen dauerhafte Gesundheitsschäden, zerstörte Familien, Elend und chronifizierte Konflikte kommen noch hinzu). Zu diesen vernachlässigten Determinanten gehört auch das Problem der Interessen der Akteure. Dass Militärinterventionen in anderen Ländern frei von Eigeninteressen durchführbar wären, allein für ideelle Ziele wie Menschenrechte, ist eine schöne Illusion - die offenbar sehr attraktiv ist. Bei Diskussionen mit ihren AnhängerInnen zeigt sich -5-

Responsibility to Protect (R2P) zudem, verknüpft damit, immer wieder die Vorstellung von einer Art "Deus ex Machina", der für die Durchsetzung konkreter Fälle von Schutzverantwortung zur Verfügung steht: eine höhere Instanz, die das Gute, das anders nicht erreicht werden konnte, nun mit Gewalt durchsetzt. Ganz frei von niedrigen Beweggründen. Aus praktischen Gründen sind es dann immer wieder große Akteure wie die USA, die EU, die Arabische Liga oder die NATO, die dann aktiv werden. Freilich nur gegen gegnerische "Regimes" wie das von Milosevic oder Gaddafi, nicht gegen befreundete "Regierungen" wie die von Saudi-Arabien oder Golf-Emiraten. Aus wohl-definierten Interessen: Zugang zu Rohstoffen und Märkten, Wegebnung für Konzerninteressen, Sicherung von Handelsrouten, Herstellung von "Market Democracy" und Abwendung von Umverteilung von oben nach unten, Bewahrung von Privilegien und eigener Hegemonie - kurz: Durchsetzung neoliberaler Globalisierung... Zeitgemäßes Argument für die Rechtfertigung von Kriegen Für das Beginnen von Angriffskriegen - die nicht nur durch die UN-Charta, sondern auch vom deutschen Grundgesetz verboten sind - gibt es heute zwei entscheidende Rechtfertigungen: - Schutz vor Terrorismus; - Schutz vor Menschenrechtsverletzungen. Das Terror-Argument war die initiale Begründung für den 2001 begonnenen Afghanistan-Krieg. Faktisch wurde es freilich bald durch eine humanitäre Argumentation ersetzt - die seither über 10 Jahre lang Jahr für Jahr für die Verlängerung des Bundeswehrmandats durch den Bundestag benutzt wurde. Und zwar besonders von SPD und Grünen. Das Terror-Argument hat zudem seit der Erfahrung des Irakkrieges, dessen Begründung nachweislich erlogen war, ganz allgemein gelitten. Ein Effekt, der noch verstärkt wird durch die täglichen Nachrichten von der Zunahme von Chaos und Terror im Irak als offensichtliche Folge des Krieges. Generell gilt daher: Wer möglichst breite gesellschaftliche Zustimmung für ein Kriegsprojekt haben möchte, muss mit dem Schutz von Menschenrechten argumentieren - mit der "Responsibility to Protect". Er kann dann nicht nur auf Zustimmung des rosa-grünen parlamentarischen Spektrums zählen, sondern auch auf Sympathien großer Teile der sozialen Bewegung, der "Zivilgesellschaft". Was keineswegs besagt, dass der Gedanke gemeinsamer Verantwortung für den Schutz von Menschrechten falsch ist. Jedoch darauf hinweist, dass man sehr genau schauen muss, wie glaubwürdig ein dafür propagiertes konkretes Konzept ist. Fazit R2P ("Responsibility to Protect") greift ein berechtigtes Anliegen auf, das so benannte Konzept ist aber eine Mogelpackung. Schon im theoretischen Ansatz (das Präventionskapitel unterschlägt entscheidende Faktoren wie Stellvertreterkonflikte und verzerrt die notwendige Lösung sozioökonomischer Faktoren in neoliberaler -6-

Responsibility to Protect (R2P) Manier). Und erst recht in der praktischen Umsetzung (die Bilanz des Libyenkrieges ist in fast jeder Hinsicht katastrophal, besonders für Zivilbevölkerung und Minderheiten - erfolgreich war nur die Festigung der westlichen Hegemonie in der Region, u.a. durch Platzierung diverser in den USA ausgebildeter Exil-Libyer in der neuen Regierung). Für gewaltfreie solidarische Intervention! Krieg schafft keinen Frieden - und Krieg schafft keine Menschenrechte. Als Mittel gegen grausame Diktatoren, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit begehen, sind Militärinterventionen durch diejenigen, die diese Diktatoren zuvor etabliert oder unterstützt haben, ungeeignet. Das auf dem ICISS-Ansatz basierende Konzept "Responsibility to Protect" lehnen wir als Mogelpackung ab. Bestärkt durch Miguel d'Escoto Brockmann, der 2009 als Präsident der UN-Vollversammlung in seiner Rede zum Thema an die Erfahrung des Kolonialismus erinnerte und "neue Koalitionen von Willigen" befürchtete, die im Namen der Responsibility to Protect "Kreuzzüge wie die Intervention im Irak" führen werden. Wir sagen daher: Für Frieden und Menschenrechte lasst uns in den Machtzentralen im eigenen Land intervenieren, von wo aus Diktatoren und Folterer unterstützt, Geheimdienstaktionen koordiniert und Kriege geplant werden! Und: Krieg als Mittel der Politik muss geächtet werden! (Beschluss der IPPNW-MV 2011)

Was wir brauchen, ist eine "Responsibility to Prevent".

Für den IPPNW-AK "Süd-Nord": Helmut Lohrer Helmut Fischer Christoph Krämer

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Responsibility to Protect (R2P) Quellen: •

ICISS: „The Responsibility to Protect“, Report oft the International Commission on Intervention and State Sovereignty, http://responsibilitytoprotect.org/ICISS%20Report.pdf (Ottawa, 2001)



Horn, Helge von / Krämer, Christoph: „Der ICISS-Report: 'Responsibility to Protect' - eine Übersicht über den Report der 'International Commission on Intervention and State Sovereignty' (ICISS)", www.rootcauses.de/publ/icissumm.htm (IPPNW-AK "Süd-Nord", 2004)



Charta der Vereinten Nationen, auf deutsch u.a. erhältlich bei Reclam. www.un.org/Depts/german/un_charta/charta.pdf



Ergebnisdokument der 60. UN-Vollversammlung 2005 in New York mit dem zum Thema "Responsibility to Protect" aufgenommenen Passus: http://daccess-dds-ny.un.org/doc/UNDOC/GEN/N05/487/60/PDF/N0548760.pdf?OpenElement



Weltsicherheitsrats-Resolution 1973, www.un.org/Depts/german/sr/sr_11/sr1973.pdf (New York, 2011)



Rausch, Anne: „Responsibility to Protect“ (Dissertation, Kölner Schriften zu Recht und Staat, Verlag Peter Lang, Frankfurt/M., 2011)



Bundeswehr: „Reader Sicherheitspolitik“ www.readersipo.de (erscheint monatlich online)



Merkel, Reinhard: Die Intervention der NATO in Libyen, Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik 10/2011, www.zis-online.com/dat/artikel/2011_10_615.pdf



IPPNW-Deutschland: „Body Count“ - Opferzahlen aus 10 Jahren „Krieg gegen den Terror“

www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Frieden/Body_Count_2012.05.pdf (Berlin, 2013) •

Norman Paech: „Responsibility to protect - ein neues Konzept für neue Kriege?" in: Crome, Erhard (Hrsg.): „Die UNO und das Völkerrecht in den internat. Beziehungen der Gegenwart" http://norman-paech.de/v%C3%B6lkerrecht (Rosa Luxemburg Stiftung Papers, Berlin 2011)



d'Escoto Brockmann, Miguel: Eröffnungsrede zum thematischen Dialog der UNVollversammlung zur Schutzverantwortung www.un.org/ga/president/63/statements/openingr2p230709.shtml (New York, 2009)

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