Religion und Orientierung

Manuskript Katholische Welt Monsieur de Voltaire Ein glühender Feind der Kirche und des Staates Autor/in: Georg Denzler Redaktion: Wolfgang Küppe...
Author: Herbert Michel
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Manuskript Katholische Welt

Monsieur de Voltaire Ein glühender Feind der Kirche und des Staates

Autor/in:

Georg Denzler

Redaktion:

Wolfgang Küpper / Religion und Orientierung

Sendedatum:

Sonntag, 16. Oktober 2016 / 08.05 - 08.30 Uhr http://www.br.de/themen/religion/index.html

Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 0800/5900 222(kostenlose Service-Nummer) Fax: 089/5900-46258 [email protected] www.bayern2.de

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Seite 1

Sprecher 1: Im Sommer des Jahres 1960 stand Frankreich vor einem Bürgerkrieg, weil zwischen Regierung und Bevölkerung gegensätzliche Meinungen zur Algerien-Politik bestanden. Die eine Seite betrachtete Algerien staatsrechtlich als einen Teil Frankreichs, die andere bekämpfte den von der Pariser Regierung verfochtenen Kolonialismus in Algerien. In dieser gefahrvollen Zeit rief der berühmte Philosoph Jean Paul Sartre die in Algerien eingesetzten französischen Soldaten öffentlich zum Ungehorsam auf. Als Mitarbeiter des früheren Generals und damaligen Staatspräsidenten Charles de Gaulle die Verhaftung Sartres forderten, weigerte sich der Präsident ganz entschieden mit den Worten:

Zitator: „Einen Voltaire verhaftet man nicht!“

Musik

Sprecher 2: Wer war dieser Voltaire, auf den sich Charles de Gaulle berief? Der erst später unter dem Pseudonym Voltaire bekannt und berühmt gewordene François Marie Arouet wurde 1694 in Paris als Sohn des Notars und königlichen Rats François Arouet und seiner Gemahlin Marie Catherine aus dem Hause Daumart de Mauléon geboren. Mit zehn Jahren trat er 1704 in das von Jesuiten geleitete Kolleg Louis-le-Grand ein. Nach dem Abitur studierte er Rechtswissenschaften. Schon in dieser frühen Zeit wurde der rebellierende Studiosus wegen Schmähschriften gegen König Ludwig XIV. zweimal verhaftet. Danach ging er ins Exil nach England und Ostfrankreich, schrieb Romane und philosophische Traktate, die ihn weithin bekannt, wenn auch noch nicht berühmt machten. Daneben betätigte er sich auch als Finanzspekulant. 1746 erfolgte die Aufnahme des erfolgreichen Schriftstellers in die Pariser Akademie der Wissenschaften. Zu seinen Bewunderern gehörte der preußische Kronprinz Friedrich, der ihn dann als König Friedrich II. 1750 als genialen Gesprächspartner an seinen Hof in Sanssouci berief:

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Seite 2

Zitator: „Er besitzt die Beredsamkeit Ciceros, die Liebenswürdigkeit des Plinius, die Weisheit Agrippas.“

Sprecher 1: Nach nur vier Jahren kam es aber zur Trennung der beiden aufgeklärten Geister. Schuld daran trug Voltaires schändliche Satire Akadia, die gegen den Physiker Maupertuis, den Präsidenten der Berliner Akademie der Wissenschaften, gerichtet war. Voltaire musste Sanssouci verlassen. Er lebte kurze Zeit als intellektueller Vagabund, bis er sich mit seiner Nichte Marie-Louise Denise, deren Mann schon 1744 verstorben war und die ihm bis zu seinem Lebensende als Mätresse und Haushälterin diente, zuerst in der Nähe von Genf und bald danach als Gutsbesitzer und feudaler Grundherr im südostfranzösischen Fernay niederließ. Voltaire war weiterhin als Schriftsteller pausenlos tätig, lebte aber wie ein Bauer unter Bauern. Als unermüdlicher Briefschreiber - täglich bis zu 20 Briefe - blieb er mit den geistigen Größen in ganz Europa in Verbindung. Erst 20 Jahre später kehrte er mit Madame Denise im Triumph in das königliche Paris zurück und starb dort nur ein Jahr später im Jahr 1778.

Sprecher 2: Um berühmt zu werden, hatte Francois in jungen Jahren die Anerkennung seines literarischen Schaffens durch König Ludwig XIV. von Frankreich gesucht. Doch gerade ihn lästerte Voltaire mehr als er ihn lobte. Mehrere Jahre hatte er an seinem ersten größeren Werk, dem „Ödipus“, gearbeitet und erlebte zu seiner Überraschung, dass die Uraufführung in der Comédie Francaise, eine der führenden Bühnen in Paris, ein großer Erfolg wurde.

Sprecher 1: Bemerkenswert ist an dieser Stelle, dass Francois Arouet die Buchausgabe des „Ödipus“ nicht mit seinem Familiennamen zeichnete, sondern sich jetzt erstmals und so fortan „Monsieur de Voltaire“ nannte. Dieses Pseudonym entsprach einem Anagramm aus Arouet le jeune und dem Adelstitel de.

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Seite 3

Voltaire stand schon frühzeitig als Inkarnation der Gottlosigkeit und der Sittenlosigkeit im Fokus der kirchlichen und staatlichen Inquisitionsbehörden. Seine „Philosophischen Briefe“ ließ er 1734 ohne Erlaubnis drucken. Viele seiner Werke erschienen anonym, mit Decknamen und falschem Druckort.

Sprecher 2: Das 17. und 18. Jahrhundert gilt als Zeitalter der A u f k l ä r u n g , in dem antikirchliche und antichristliche Ziele vorherrschten. Vorkämpfer waren führende Philosophen in England, vor allen Hume und Locke, gefolgt von Gesinnungsgenossen in Frankreich, an der Spitze Descartes und Bayle, und schließlich in Deutschland mit Wolf und Leibniz. Als Grundprinzip galt nicht mehr die Erleuchtung durch Gott, wie einst bei Bischof Augustinus (+ 430) und dem Dominikaner Thomas von Aquin (+ 1274), sondern Selbsterleuchtung durch die autonome Vernunft. Voltaire, ein eifriger Paladin der neuen Bewegung, kämpfte unentwegt gegen die katholische Kirche mit ihren absolut gültigen Dogmen, ihrem autoritären Papsttum und ihren mysteriösen Sakramenten. Einige seiner Briefe beendete Voltaire mit dem Kampfruf:

Zitator: „Ecracez l`ìnfame! Radiert sie aus, die Unverschämte!“

Sprecher 2: Es ist heute noch unmöglich, die facettenreiche Aufklärungsepoche auf einen allgemein gültigen Begriff zu bringen. Der Würzburger Kirchenhistoriker Sebastian Merkle, eine Koryphäe seiner Disziplin, versuchte eine differenzierte Neubewertung:

Zitator: „Es wird niemand einfallen, die Aufklärungszeit kanonisieren zu wollen; sie wirft, wie mehr oder weniger jede Epoche, ihre starken Schatten. Aber sie hat auch das Verdienst, auf vieles, was veraltet und der Besserung bedürftig war, hingewiesen und den Kampf dagegen erfolgreich aufgenommen zu haben; sie war das Durchgangsstadium zu einer neuen Zeit.“

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Seite 4

Sprecher 2: So ist auch dem unermüdlich forschenden Voltaire hoch anzurechnen, dass er auf Fragen und Probleme seiner Zeit gehört und von seinem religiösen Standpunkt aus nach neuen Antworten gesucht hat. Ob man ihm nicht allein deswegen schon einen würdigen Platz nicht nur unter den Philosophen sondern auch unter den Aufklärungstheologen seiner Zeit einräumen sollte?

Sprecher 1: Fragen wir etwas genauer nach Voltaires Glaubensanschauung. Es ist nicht leicht zu bestimmen, welche Vorstellung den Freidenker von einem höheren Wesen, das wir G o t t nennen, erfüllt hat. Es fehlt bei ihm nicht an widersprüchlichen Äußerungen. Deshalb war Voltaire für die einen ein Atheist, für andere ein Agnostiker. Wieder andere hielten ihn für einen Theisten im Sinn der katholischen Dogmatik; und wenn schon für keinen Theisten, dann doch wenigstens für einen Deisten. Als einen Deisten bezeichnete er sich in jungen Jahren, als er mit führenden Freidenkern in England verkehrte. Dabei unterschied er allerdings zwei Gruppen von Deisten. Auf der einen Seite standen für ihn die Menschen, die glaubten, dass Gott die Welt erschaffen habe, ohne ihnen ein moralisches Gesetz, das heißt eine angeborene Sittlichkeit, einzupflanzen. Diesen standen andere gegenüber, die den Glauben vertraten, Gott habe die Menschen mit einem natürlichen Gesetz ausgestattet, so dass man nur bei ihnen von Religion sprechen könne.

Musik

An der Existenz Gottes hat Voltaire nicht gezweifelt. In seinem Traktat über die Metaphysik heißt es:

Zitator: „Die Ansicht, dass es einen Gott gibt, bereitet Schwierigkeiten, aber auch die gegenteilige Meinung ist nicht frei von Absurdität.“

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Seite 5

Sprecher 1: Ein anderes Mal erklärt er dezidiert:

Zitator: „Ihr fragt mich, wo Gott ist. Ich weiß es nicht. Und ich soll es nicht wissen. Ich weiß, dass er ist... Um zu wissen, dass es einen Gott gibt, verlange ich von euch nur dieses eine: Macht die Augen auf... und ihr werdet einen Gott erkennen und ihn anbeten.“

Sprecher 1: Voltaire schloss von der Uhr auf einen Uhrmacher, vom Weltall auf einen Weltenschöpfer, wie schon die scholastischen Theologen im Mittelalter:

Zitator: „Entweder sind die Sterne selbst grosse Mathematiker, oder der ewige Mathematiker hat sie geschaffen.“

Sprecher 1: Einen wissenschaftlichen Beweis für die Existenz Gottes zu erbringen, hielt er für lächerlich:

Zitator: „Gott kann durch die blosse Kraft unseres Verstandes weder bewiesen noch geleugnet werden.“

Sprecher 1: Selbst die Auferstehung nach dem leiblichen Tod war für Voltaire kein Problem, eher eine Selbstverständlichkeit:

Zitator: „Die Auferstehung ist die einfachste Sache der Welt. Der den Menschen einmal erschaffen hat, kann ihn auch zum zweiten Mal schaffen.“

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Seite 6

Sprecher 1: Beim Gedanken an ein Leben nach dem Tod bemerkt er nicht ohne Humor:

Zitator: „Im Himmel werden wir uns über drei Dinge wundern. Erstens: Menschen zu treffen, die wir dort nicht erwartet haben. Zweitens: Menschen nicht zu sehen, die wir dort erwartet hätten. Drittens: uns selbst dort zu treffen.“

Sprecher 1: Dazu passen seine letzten Worte vor dem Tod:

Zitator: „Ich sterbe in dem Bekenntnis zu Gott, indem ich meine Freunde liebe, meine Feinde nicht hasse und den Aberglauben verabscheue.“

Sprecher 1: Keiner hat sich so mit Gott beschäftigt, wie der Philosoph Voltaire. Und keiner hat so groß und so genial von Gott gedacht wie er:

Zitator: „Gott ist ein Kreis, dessen Mittelpunkt überall ist und dessen Umfang nirgends liegt.“

Sprecher 2: In einem späteren Werk vertritt Voltaire einen mehr christlichen Gottesbegriff: Gott ist die Güte und Gerechtigkeit selbst und steht mit den Menschen in unmittelbarer Beziehung. Folglich belohne er die Guten und bestrafe die Bösen. Darin bestand für Voltaire das Wesen der Religion. Den Glauben an die Existenz Gottes hielt Voltaire vor allem aus sozialen und politischen Gründen für notwendig:

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Seite 7

Zitator: „An gar keinen Gott zu glauben, wäre ein entsetzlicher moralischer Fehler, ein Fehler, der mit einer weisen Regierung unvereinbar ist.“

Sprecher 2: An anderer Stelle betonte er dieses Motiv noch mehr:

Zitator: „Ich meine, dass es stets eine sehr gute Sache ist, an der Lehre von der Existenz Gottes festzuhalten. Die Gesellschaft braucht diese Ansicht.“

Sprecher 2: Mit seinem „Essai sur les moeurs et l`ésprit des nations“ (1756) unternahm er einen fundamentalen Angriff auf die Deutung der Weltgeschichte als christliche Heilsgeschichte. Bei seiner Polemik gegen Bossuet fand er es lächerlich,

Zitator: „wenn man beweisen wollte, dass der Gott aller Völker der Erde und aller Geschöpfe anderer Gestirne sich nicht mit den Revolutionen Asiens beschäftigte und dass er nur im Hinblick auf das kleine jüdische Volk so viele Eroberer nach einander schickte, bald um es zu demütigen, bald um es wieder zu erheben ... und dass diese kleine eigensinnige und aufrührerische Horde der Mittelpunkt und der Gegenstand der Weltrevolutionen wäre.“

Sprecher 2: Mit seiner Ablehnung einer speziellen Heilsgeschichte sprengte Voltaire die mittelalterliche Übereinstimmung von Weltgeschichte und Heilsgeschichte und stellte zugleich die Frage nach einem Geschichtsbild, das alle Kulturen einbezieht. Voltaire war ein entschiedener Gegner des Christentums und somit auch der Kirche, weil er in ihrer langen Geschichte nichts als Unterdrückung und Unwahrheit zu erkennen vermochte. Er ließ aber J e s u s und die von ihm verkündete Moral gelten,

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Seite 8

ja, schätzte sie sogar sehr. Seine Schrift „Gott und die Menschen“ enthält die Feststellung:

Zitator: „Selbst die größten Feinde Jesu müssen zugeben, dass er die sehr seltene Eigenschaft hatte, die Schüler an sich zu fesseln. Ohne Talente und Sitten, die von schimpflichen Lastern frei sind, erwirbt niemand die Herrschaft über die Geister. Man muss die Achtung derjenigen erwerben, die man führen will.“

Sprecher 2: Voltaire war überzeugt, dass Jesus zu keiner Zeit seines öffentlichen Wirkens den Anspruch erhob, eine neue Religion zu gründen. Jesus sei in seinem ganzen Leben ein kleiner bescheidener Jude geblieben. Rätselhaft blieb Voltaire allerdings Jesu Herkunft. In der von der Kirche gelehrten Empfängnis Marias durch den Heiligen Geist konnte er nur „einen Gipfel absurder Priesterphantasie“ sehen. Und zwischen dem, was Jesus gelehrt, und dem, was die „Priesterkaste“ durch die Jahrhunderte verkündet hat, erkannte er nur einen offensichtlichen Widerspruch:

Zitator: „Von jeher waren die Gegensätze zwischen den christlichen Kirchen und Jesus Christus grösser als zwischen Ruhe und Sturm, zwischen Feuer und Wasser, zwischen Sonne und Nacht.“

Sprecher 2: Diesem Vergleich legte er in der ihm eigenen sarkastischen Sprache eine moralische Beurteilung zugrunde:

Zitator: „Ein indischer Fakir in seiner Armut und Bedürfnislosigkeit, kurz in seiner Lebenshaltung gleicht Jesus mehr als ein souveräner Papst in Rom mit seinem durchschnittlichen Einkommen von acht- bis neunhundert Tausend Pfund Sterling.“

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Seite 9

Sprecher 1: Es gibt eine Anekdote, die aber Voltaires Glauben an Jesus vielleicht treffender bezeugt als seine meist spöttischen Bekundungen. Als in der Nähe seines Gutshofes eine Prozession vorüberzog, bei der ein Priester eine Monstranz trug, knieten die Bauern nieder. Voltaire lüftete seinen Hut. Auf die Frage „Monsieur de Voltaire, Sie grüßen den Leib des Herrn?“ antwortete Voltaire:

Zitator: „Wir mögen einander nicht, aber wir grüßen einander.“

Sprecher 1: Dazu passt, dass Voltaire in seiner Schrift „Ehrenwerte Vorschläge“ die Lehre Jesu respektiert, soweit sie mit der allgemeinen Vernunft übereinstimmt:

Zitator: „Beten wir das höchste Wesen durch Jesus an, da die Sache einmal bei uns eingeführt ist. Die fünf Buchstaben, aus denen sein jüdischer Name besteht, sind schließlich kein Verbrechen. Wenn nur die Moral der Religion gesund ist und in die Tat umgesetzt wird, kommt es auf die Theologie nicht an. Die Moral kommt von Gott und sie ist überall dieselbe, die Theologie stammt von den Menschen und sie ist überall anders und lächerlich.“

Sprecher 1: Als radikaler Aufklärer, für den die Vernunft als höchstes Prinzip galt, lehnte Voltaire den christlichen Offenbarungsglauben ganz entschieden ab. Er begegnete jeder kirchlichen Lehrmeinung grundsätzlich mit Misstrauen. Skepsis war für ihn die Voraussetzung für Toleranz im Geistigen wie im Religiösen. In seinem umfangreichen Traktat über Toleranz lesen wir:

Zitator:

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Seite 10

„Das allgemeine Interesse der Menschheit verlangt nach Meinungs-, Gewissens- und Religionsfreiheit, weil dies das einzige Mittel ist, um unter Menschen wahre Brüderlichkeit herzustellen.“

Sprecher 1: Von einer solch toleranten Haltung versprach sich Voltaire hohen Gewinn:

Zitator: „Die Freiheit des Meinens und Glaubens ist das sicherste Mittel, den Menschen zu der ihnen von der Natur gegebenen Wahrheitsfindung zu verhelfen.”

Sprecher 2: Voltaire war wie sein großer Bewunderer, der Preußenkönig Friedrich II., der festen Überzeugung, dass die christliche Religion innerhalb von 50 Jahren verschwunden sein werde. Und somit auch die Kirche. Beide wussten anscheinend nicht, welche Lebenskraft gesellschaftliche Institutionen haben können, deren Untergang schon längst von gescheiten Leuten vorhergesagt worden war.

Voltaire hasste wie kein zweiter die katholische K i r c h e , speziell die Jesuiten als willige Befehlsempfänger der Päpste. In den Dogmen und Gebräuchen der Kirche vermochte er keinen Sinn zu erkennen. Vor allem die ungezählten Schandtaten und Verbrechen von Christen erregten in ihm einen abgrundtiefen Hass auf die Institution Kirche, wie er aus vielen seiner Schriften spricht. Die Kreuzzüge im Orient und die Inquisition gegen Häretiker betrachtete er als ein Erbe der abscheulichen Moral des Judentums. Vor allem das Papsttum erschien ihm als eine Verkörperung des „Skandals des Schreckens.“ Sein leidenschaftlicher Kampf richtete sich gegen den religiösen Fanatismus und den Aberglauben der Priesterhierarchie. Er erstrebte die Errichtung einer vernünftigen Ordnung auf politischer und philosophischer Grundlage.

Sprecher 1: Nach Voltaire‘s Meinung verfolgten die Bischöfe in enger Verbindung mit dem Staat kirchenpolitische Ziele. Deshalb galt sein Kampf staatlichen und kirchlichen Autoritäten

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Seite 11

gleichermaßen. Den S t a a t selbst hielt er wegen Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Ordnung für notwendig, forderte aber die Unterordnung der Kirche unter den Staat:

Sprecher 1: Dass die Bischöfe als Despoten der Kirche auftraten, hielt Voltaire für einen Verstoß gegen das Evangelium. Jesus selbst habe bekannt, dass sein Reich nicht von dieser Welt sei und dass er gekommen sei, um zu dienen, aber nicht um bedient zu werden. Aus diesen Grundsätzen zog Voltaire die Folgerung. dass ein kirchliches Gesetz ohne Geltung bleibe, wenn es nicht von der Regierung genehmigt worden sei. Auch die Ehe betrachtete er nur als einen zivilen Vertrag, zu dem der Priester seinen Segen geben könne. Das kirchliche Begräbnis dürfe niemanden verwehrt werden, auch keinem Schauspieler, keinem Ketzer und keinem Freidenker.

Sprecher 2: Den Klerus, der den ersten der drei Stände im Reich bildete, wollte Voltaire den zivilen Gerichten untergeben sehen. Die Geistlichen rechnete er überdies wegen ihres untätigen Lebens zu den asozialen Elementen, die noch dazu wegen des Zölibatsgesetzes keine Nachkommen hätten.

Voltaire gilt als einer der größten französischen Schriftsteller. Ihm ging es nicht um romanhaft schöne Literatur, sondern stets um Auseinandersetzung mit Problemen seiner Zeit. Er war ein leidenschaftlicher Vorkämpfer für V e r n u n f t , T o l e r a n z und M e n s c h e n r e c h t e . So stand es auch auf seinem Sarg:

Zitator: „Er verlieh dem Menschengeist starke Impulse, er bereitete uns auf die Freiheit vor.“

Sprecher 2: Als höchstes Ziel verfolgte Voltaire allgemeine Gewissens- und Religionsfreiheit, wie sie erst zwei Jahrhunderte später das 2. Vatikanische Konzil einräumen sollte. Dabei leitete ihn die Überzeugung:

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Seite 12

Zitator: „Nur eine Religion, die alle anderen duldet, kann aus der Menschheit ein Volk von Brüdern machen.“

Sprecher 1: Voltaire wandte sich nicht grundsätzlich gegen Religion, wohl aber gegen eine Religion mit vernunftwidrigen Glaubenssätzen. Jeder Form von fanatischer Intoleranz liegt nach seiner Meinung eine Perversion von Religion zugrunde. Er sah in der katholischen Kirche nur eine Sekte, deren Bekehrung er heiß ersehnte:

Zitator: „Möge dieser Gott, der Schöpfer aller Welten, mit dieser Sekte der Christen, die ihn verhöhnt, Mitleid haben! Möge er sie zur heiligen und natürlichen Religion zurückführen.“

Sprecher 1: Befreiung der Kirche von ihrem Dogmatismus könne nur allgemeine Aufklärung im wahrsten Sinn des Wortes herbeiführen, das heißt konkret die Reinigung des Verstandes von religiösen Irrtümern.

Sprecher 1. Voltaire Bestreben erwartete aber von einer dogmenlosen Religion durchaus, dass sie den Menschen die wesentlichen Pflichten der Moral lehrt. Dabei war er sich bewusst, wie schwer es dem Menschen fällt, sich von falschen Auffassungen loszusagen:

Zitator: „Was soll man einem Menschen entgegenhalten, der sagt, er wolle lieber Gott als den Menschen gehorchen, und dabei überzeugt ist, in den Himmel zu kommen, wenn er einem den Hals abschneidet.“

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Seite 13

Sprecherin 2: Bei Voltaires Hass auf die Religionen darf man aber nicht vergessen, dass es ihm nicht um Zerstörung der Religion prinzipiell ging, sondern um Reinigung der Religion zu einer ganz natürlichen und vernünftigen Religion. Sein „Glaubensbekenntnis der „Theisten“ lautet:

Zitator: „Wir verdammen den Atheismus, wir verabscheuen jeden barbarischen Aberglauben, wir lieben Gott und das Menschengeschlecht. Das sind unsere Glaubenssätze.“

Sprecher 2: Noch deutlicher charakterisiert Voltaire die Religion der Vernunft in einem Offenen Brief:

Zitator: „Eine Religion, die die Menschen eint und nicht trennt; eine Religion, die keiner Partei gehört, die tugendhafte Bürger und nicht dumme Scholastiker formt, eine Religion der Toleranz, nicht der Unterdrückung; eine Religion, die besagt, dass das Gesetz nur vorschreibt, Gott und den Nächsten zu lieben, und nicht Gott zum Tyrannen und den Nächsten zum Opfer macht.“

Musik

Sprecher 1: Nach Voltaire‘s Trennung vom Preußenkönig Friedrich II. im Jahre 1753 erlaubten seine gestörten Beziehungen zum Franzosenkönig Ludwig XV. keine Rückkehr nach Paris. So fand er schließlich mit seiner Nichte Marie-Louise, die seine langjährige Geliebte war, ein Domizil in Ferney, nahe der französisch-schweizerischen Grenze bei Genf. Bald erwarb er die Herrschaft Ferney und damit das ganze Dorf, das heute Ferney-Voltaire heißt. 25 Jahre später zog es ihn doch noch einmal nach Paris zurück, wo ihn die Bevölkerung enthusiastisch empfing. Es sollte das letzte Jahr seines 84jährigen Lebens werden.

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Seite 14

Am 20. Februar 1778 schrieb Abbé Gaultier Voltaire einen Brief, mit dem er ihn zur Aussöhnung mit Gott und der Kirche bewegen wollte. Wenige Tage später besuchte er den hochgefeierten Dichter. Das Ergebnis ihrer Begegnung erfahren wir aus einem Brief Voltaires vom 2. März:

Zitator: „Der Unterzeichnete erklärt, dass er seit vier Tagen und im Alter von 84 Jahren von Blutspuckanfällen heimgesucht wird... Ich habe bei Abbé Gaultier gebeichtet und ich sterbe, wenn Gott über mich verfügen will, in der heiligen katholischen Religion, in der ich geboren bin. Ich hoffe auf die göttliche Barmherzigkeit, dass sie mir alle meine Sünden vergeben will, und wenn ich je der Kirche Ärgernis gegeben habe, bitte ich dafür Gott und sie um Verzeihung.“

Sprecher 1: Daraufhin erteilte ihm der Abbé die Absolution. Als er ihm aber die Kommunion reichen wollte, wehrte Voltaire ab mit den spöttischen Worten:

Zitator: „Monsieur Abbé, bedenken sie, dass ich ununterbrochen Blut spucke. Man muss achtgeben, das Blut des Lebens Gottes nicht mit dem meinen zu vermischen.“

Sprecher 2: Der Abbé verabschiedete sich von dem Todkranken, nachdem dieser ihm eine Spende von 600 Pfund für die Armen der Gemeinde übergeben hatte. Sein Vorgesetzter Tersac, Pfarrer von St. Sulpice, war der Überzeugung, dass Voltaire hinsichtlich wesentlicher Dogmen keine Konzession gemacht habe, also nicht als Christ gelten könne. Auch dem Erzbischof von Paris reichte die Erklärung Voltaire`s nicht aus. Voltaire verharrte auf seinem Standpunkt und versicherte dem Pfarrherrn von St. Sulpice:

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Seite 15

Zitator: „Ich sterbe in Anbetung Gottes, in Liebe zu meinen Freunden, ohne Hass auf meine Feinde und voll Abscheu gegenüber dem Aberglauben.“

Sprecher 2: Diese Worte geben Voltaire`s Glaubenseinstellung wider, wobei er unter Aberglaube das Dogmengebäude der Kirche verstand. Ein andermal bringt er dies besonders drastisch zum Ausdruck:

Zitator: „Sie wissen, was in diesem Land vorgeht. Man muss ein wenig mit den Wölfen heulen. Wenn ich an den Ufern des Ganges lebte, würde ich mit einem Kuhschwanz in der Hand sterben wollen.“

Sprecher 1: Voltaire starb am 30. März 1778. Der Pfarrer von St. Sulpice hatte noch im letzten Augenblick versucht, dem Sterbenden das Bekenntnis zur Gottheit Jesu Christi abzuringen, doch Voltaire stammelte:

Zitator: „In Gottes Namen! Reden Sie mir nicht von diesem Menschen.“

Musik

Sprecher 1: Da also an eine katholische Beerdigung Voltair`s in Paris nicht zu denken war, ließ Abbé Mignot, ein Neffe des Verstorbenen, den Leichnam in die Abtei Scellières in der Champagne transportieren und dort beerdigen. Erst mehrere Jahre später, im Jahr 1791, wurden Voltaires sterbliche Überreste in die Pariser Kirche St. Genoveva, das heutige Pantheon, überführt. Hier ruhen sie neben den berühmten Schriftstellerkollegen Alexandre Dumas (+ 1870), Victor Hugo (+ 1885) und Emile Zola (+ 1902).

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