Religion und Arbeitsrecht aktuelle Entwicklungen in der Rechtsprechung

Religion und Arbeitsrecht – aktuelle Entwicklungen in der Rechtsprechung Zusammenstellung: Mandy Tietgen BLC GmbH Hamburg, Mai 2016 BLC BUSINESS & L...
Author: Hansl Meinhardt
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Religion und Arbeitsrecht – aktuelle Entwicklungen in der Rechtsprechung

Zusammenstellung: Mandy Tietgen BLC GmbH Hamburg, Mai 2016

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Aktueller Diskurs • In Deutschland ist die Trennung von Staat und Religion nicht auf ein verfassungsrechtlich vorgelagertes laizistisches Verständnis zurückzuführen (vgl. Frankreich) • Sondern durch die im Grundgesetz verankerten Regelungen von Religionsfreiheit, weltanschaulicher Neutralität des Staates und der Selbstbestimmung aller Religionsgemeinschaften • Die Religionsausübung ist deswegen nicht nur Privatsache der Bürger, sondern auch eine öffentliche Angelegenheit • Eröffnet Möglichkeiten für Konkordate, Bestehen von christlichen Feiertagen, Religionsunterricht an Schulen, Finanzierung theologischer Fakultäten etc. • Jedoch nimmt der Zuwachs an Bevölkerungsgruppen mit nicht christlicher Religion oder einer agnostischen Haltung deutlich zu

• Dies begründet die Forderung nach einer strikt säkularen Sicht auf das Recht sowie die Forderung nach einer tatsächlichen Gleichberechtigung aller Religionsgemeinschaften und dessen Glaubensgrundsätzen 2

Kirche und Arbeitsrecht • Grundlegend BVerfG, 4.6.1985, 2 BvR 1703/83 • Staatliches Arbeitsrecht findet auf Arbeitsverhältnisse im kirchlichen Raum Anwendung, sofern diese der Privatautonomie unterliegen • Jedoch obliegen die Arbeitsverträge neben den allgemeinen arbeitsvertraglichen Obliegenheiten zudem den Verpflichtungen aus der kirchlichen Lehre • Insbesondere Loyalitätspflichten: Keine Trennung zwischen Privat- und Arbeitsleben, aufgrund des umfangreichen Verkündungsauftrags • Illoyales Verhalten kann dadurch zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen führen • Kontroversen insbesondere bei Scheidungen bzw. einem „kirchenrechtlich unzulässigen Abschluss einer Zivilehe“ als Kündigungsgrund • Kirchenaustritt als Kündigungsgrund BAG, 25.4.2013, 2 AZR 579/12 stellt grundsätzlich aufgrund des Loyalitätsverstoßes ein Kündigungsgrund dar. Es kann durch den Austritt nicht mehr zuverlässig erwartet werden, dass der Sendungssauftrag der Kirche weiterhin erfüllt und an der Glaubens- und Sittenlehre orientiert wird. Staatliche Gerichte sind an diese Auffassung gebunden.

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Kirche und Arbeitsrecht - Bewerbungsverfahren • Bis Dato keine eindeutige Positionierung des BAG, wann die Zugehörigkeit zu einer christlichen Gemeinschaft als Einstellungskriterium trotz AGGDiskriminierungstatbestand zulässig ist und wann nicht • Indiz der „verkündungsnahen“ vs. „verkündungsfernen“ Tätigkeiten, obliegt nach h.M. jedoch nicht der staatlichen Differenzierung, sondern dem vom der Kirche festgelegtem Leitbild und dessen Bekenntnisse • Den staatlichen Gerichten obliegt hierbei nur eine Missbrauchskontrolle auf Grundlage der selbstgestellten kirchenrechtlichen Vorschriften BAG, 20.11.2012, 1 AZR 179/11 • Die Justiziabilität solcher Fälle ist somit nur eingeschränkt möglich, der Ausnahmetatbestand des § 9 AGG ist mitunter weit zu fassen, was zu zahlreichen juristischen Kontroversen führen kann

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Religiosität im Arbeitsverhältnis • Problematik der Kollision von religiösen Pflichten und arbeitsvertraglichen Pflichten • Kleiderordnungen • Verhaltensgrundsätze • Gebete • Speisegesetze und Fastenzeiten

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Religiöse Symbole im Arbeitsverhältnis • BAG, 10.10.2002, 2 AZR 472/01 Diskussion über das „islamische Kopftuch“ • Kopftücher dürfen bei einem privaten Arbeitgeber grundsätzlich getragen werden • Religionsfreiheit gehe regelmäßig der Unternehmensfreiheit vor, was auch für publikumsrelevante Bereiche wie dem Verkauf gelte

• Arbeitgeber müsse nachweisen, dass es durch das Tragen eines Kopftuchs unmittelbar zu Störungen im Betriebsablauf oder gar zu wirtschaftlichen Einbußen kommt • BAG 24.9.2014 – 5 AZR 611/12 „islamisches Kopftuch“ in kirchlichen Einrichtungen • Krankenschwester in kirchlicher Trägerschaft entschließt sich nach 14 Jahren Betriebszugehörigkeit zum Tragen eines Kopftuchs • Arbeitgeber untersagte das Tragen und stellt die Entgeltzahlung ein

• Das BAG gab dem Arbeitgeber recht, da das Tragen eines Kopftuchs als Symbol der Zugehörigkeit zum islamischen Glauben und damit als Kundgabe einer abweichenden Religionszugehörigkeit gilt, welches mit den arbeitsvertraglichen Verpflichtungen in einer kirchlichen Einrichtung nicht zu vereinbaren ist 6

Religiöse Symbole im Arbeitsverhältnis • Abmahnung einer Erzieherin muslimischen Glaubens in einer kommunalen Kinderbetreuungseinrichtung BAG 20.8.2009 – 2 AZR 499/08 • Art. 4 GG schützt nicht nur die innere sondern auch die äußere Glaubensfreiheit, den Glauben in der Öffentlichkeit zu manifestieren und zu bekennen • Jedoch sind gleichermaßen auch die Grundrechte der Kinder und Eltern zu schützen, kultische Handlungen eines nicht geteilten Glaubens fernzubleiben

• Zwar könne man nicht gänzlich von fremden Glaubensbekenntnissen verschont werden, davon sei aber eine vom Staat geschaffene Lage zu unterscheiden • Art. 6 Abs. 2 Nr. 1 GG garantiere das natürliche Recht der Eltern über die Pflege und Erziehung der Kinder, dies umfasse ebenso Art. 4 Abs. 1 zur Erziehung in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht • Eltern haben demnach das Recht ihre Kinder von Glaubensüberzeugungen fernzuhalten, die ihrer Meinung nach falsch oder schädlich erscheinen • Vermeidung von religiös-weltanschaulichen Konflikten stellt ein wichtiges Allgemeingut dar • Das Kopftuch stellt zu jeder Zeit die Kundgabe einer religiösen Überzeugen dar

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Religiöse Symbole im Schul- und Erziehungsdienst • Kündigung einer Lehrerin muslimischer Abstammung BAG 10.12.2009 – 2 AZR 55/09 • SchlG NRW verbietet religiöse Bekundungen, Klägerin verrichtete ihren Dienst stets mit Kopftuch • Nach erfolgloser Abmahnung kündigte der AG die Klägerin • Das BAG sah die verhaltensbedingte Kündigung als sozial gerechtfertigt an, da das Bekundungsverbot nicht gegen höherrangiges Recht der Klägerin verstößt • Das Tragen des Kopftuchs verletze das Neutralitätsgebot, das Erziehungsrecht der Eltern und die negative Glaubensfreiheit der Schüler, daher verletzt dieses Gebot auch nicht die Grundsätze der praktischen Konkordanz der betroffenen Grundrechtskollision • Zudem behandelt das Verbot die verschiedenen Religionen nicht unterschiedlich, die gesetzliche Regelung umfasse jede Art religiöser Bekundungen unabhängig deren Inhalt

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Religiöse Symbole im Schul- und Erziehungsdienst • Grundsatzurteil des BVerfG 24.9.2003 – 2 BvR 1436/02 zu Art. 4 GG • Landesgesetze der Bundesländer dürfen zur Sicherstellung der staatlichen Neutralität das Tragen von religiösen Symbolen im Dienst untersagen • Beim Erlass solcher Regelungen ist eine einheitliche Linie für alle Religionen zu wählen • Teilweise revidiert BVerfG, 27.1.2015 – 1 BvR 471/10, 1 BVR 118/10 • Schutz des Grundrechts auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) gewährleistet auch Lehrkräften öffentlicher bekenntnisoffenen Schulen die Freiheit, einem aus religiösen Gründen als verpflichtend verstandenen Bedeckungsgebot zu genügen • Landesweites gesetzliches Verbot ist nur wegen der abstrakten Eignung der Gefahr für den Schulfrieden oder der staatlichen Neutralität unverhältnismäßig • Für die negative Glaubens- und Bekenntnisfreiheit für Schüler und Eltern muss eine hinreichend konkrete Gefahr vorliegen • Nur in Schulen mit substanziellen Konfliktlagen – hinreichend konkrete Gefährdung oder Störung des Schulfriedens • Prüfung im konkreten Einzelfall und Verbot nur über eine bestimmte Zeit 9

Diskriminierung wegen Religionszugehörigkeit • ArbG Berlin, 28.3.2012 – 55 Ca 2426/12 • Klägern bewarb sich um einen Ausbildungsplatz zur Zahnarzthelferin

• AG bot ihr den Arbeitsplatz nur an, wenn sie auf ihr Kopftuch verzichten würde und begründete dies mit einheitlicher Kleidung und Hygiene am Arbeitsplatz • Klägerin lehnte ab und erhob Klage auf Schadensersatz gem. § 15 Abs. 2 1 AGG (immaterieller Schadensersatz)

• AGG gilt für alle Beschäftigten i.S. von § 15 Abs. 2. § 6 Abs. 1 inkludiert ebenso Bewerber, inklusive zur Berufsausbildung Beschäftigte • Kopftuch als Bestandteil des Bekenntnisses der Religionszugehörigkeit, kein gewöhnliches Kleidungsstück, aus welchem der Arbeitgeber aus Gründen der Arbeitssicherheit, der Ästhetik oder der Gleichbehandlung im Rahmen einer Kleiderordnung das Ablegen verlangen kann • Tragen des Kopftuchs und Religiosität als untrennbare Einheit, gewollter Ausschluss von Personen, die sich zum Islam bekennen, stellt zwingend eine Andersbehandlung wegen der Religion dieser Personen dar • Keine objektive Notwendigkeit, während der Tätigkeit aus zahnmedizinischen Gründen auf das Kopftuch zu verzichten, keine Gesundheitsgefahr • AGG als „gesellschaftliches Erziehungsprogramm“ gegen Xenophobie 10

Religiöse Bekundungen am Arbeitsplatz • Umgang mit Alkohol aus religiösen Gründen BAG 24.2.2011 – 2 AZR 636/09 • Kläger muslimischen Glaubens war angestellt als Ladenhilfe in einem großen Warenhaus • Kläger weigerte sich im Getränkebereich zu arbeiten und berief sich auf seinen Glauben, der ihm jegliche Mitwirkung an der Verbreitung von Alkoholika verbiete • Der Arbeitgeber kündigte darauf das Arbeitsverhältnis außerordentlich

• Vorinstanzlich sah das LAG die außerordentliche Kündigung als ungerechtfertigt an, die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung jedoch als rechtmäßig • Strikte Weigerung verstoße im erheblichen Umfang gegen die arbeitsvertraglichen Pflichten, Weigerung stellt einen Kündigungsgrund dar

• Ein als Ladenhilfe angestellter Arbeitnehmer in einem Einzelhandelsgeschäft müsse damit rechnen in den Umgang mit Alkoholika zu kommen • Voraussetzung zur Kündigung wäre allerdings, dass keine sonstige Beschäftigungsmöglichkeit gegeben wäre, welches die religionsbedingten Einschränkungen Rechnung tragen würde • Für das BAG jedoch fraglich, ob ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund überhaupt vorliegt oder ob es sich um einen in der Person liegender Kündigungsgrund handele 11

Religiöse Bekundungen am Arbeitsplatz • LAG Hamm, 18.1.2002 – 5 Sa 1782/01 • Kläger (Anlagenmechaniker) begehrt einstweilige Verfügung zur Durchführung einer bis zu dreiminütigen Freistellung für das Morgengebet • Anspruch als subjektives Leistungshindernis für eine verhältnismäßig nicht lange Zeit gem. § 616 BGB zur Durchführung seiner grundrechtlich geschützten Pflichten i.V.m § 242 BGB aus dem Grundsatz der gegenseitigen Rücksichtnahme

• Es kommt nicht darauf an, ob eine Religion das Beten (zu einer bestimmten Zeit) zwingend vorschreibt, ausreichend subjektive Verbindlichkeit • Ebenso unerheblich, dass Kläger nicht schon während dem Vertragsschluss seine Gebetspausen begehrt hätte, aufgrund der Gewaltasymmetrie bei Vertragsschluss

• Dem Anspruch des Klägers steht jedoch das arbeitgeberseitige Grundrecht der Unternehmensfreiheit gem. Art. 12 I GG entgegen, Grundrechtskollision führt zur Abwägung, welche geschützten Interessen überwiegen • Gebetspausen führen zu betrieblichen Störungen der Arbeitsabläufe

• Vorrang der Vertragstreue und der Weisungsgebundenheit • Anspruch weder als § 616 noch aus § 242 BGB, Festlegung der Arbeitszeit beruht ausschließlich aus dem Direktionsrecht des AG 12

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