Reise. Best of. Mecklenburg. Text: Niels Hoffmann Fotos: Lars Hoffmann

54 Reise Best of Mecklenburg Text: Niels Hoffmann | Fotos: Lars Hoffmann Wenn sich irgendjemand in der Mecklenburger Seenplatte auskennt, dann sind...
Author: Waldemar Pfaff
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Best of Mecklenburg Text: Niels Hoffmann | Fotos: Lars Hoffmann

Wenn sich irgendjemand in der Mecklenburger Seenplatte auskennt, dann sind es Lars und Niels Hoffmann. In 4-Seasons verraten die Brüder ihre perfekte Dreitagestour – ein Genuss-Triathlon mit Wanderschuhen, im Kanu und auf dem Fahrrad.

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Ein verlängertes Wochenende als Quintessenz all ihrer Traumtouren in Mecklenburg – mit diesem Ziel brechen Lars und Niels auf.

Indian Summer gibt’s nicht nur jenseits des großen Teichs, sondern auch an ostdeutschen Seen.

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as für ein Sound! Das Rauschen der Erlen- und Birkenblätter, das weiche Summen des Schilfs. Die Augen ­verlieren sich im weiten Himmel. Über uns schaukeln leuchtende Baumkronen, vor uns macht sich das dunkle Blau des Käbelicksees breit. Endlich ist es Herbst geworden, darauf habe ich das ganze Jahr gewartet. Hinter uns liegen drei Kilometer Wanderstrecke vom Bahnhof des Ortes Kratzeburg. Vor uns liegt ein langes Wochenende, an dem wir die besten Seiten Mecklenburgs genießen wollen. Drei Tage lang werden wir den Indian Summer in der Seenplatte auskosten. Wir wollen uns sattsehen an den knallbunten Farben des Herbstes, durch die dichten Wälder des Müritz-Nationalparks wandern, mit und auch gegen den Wind über einsame Seen ­paddeln sowie mit dem Fahrrad den größten See Norddeutschlands, die Müritz, umrunden. Ein Mecklenburger Triathlon, wenn man so will. Dabei sind unsere Ambitionen gar nicht so sportlich

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und die Etappen eher kurz gewählt. Wir wollen einfach draußen sein und die entlegene Landschaft im deutschen Nordosten ­erleben. Die Stille ist zu keiner Jahreszeit vollkommener als im Herbst Die Mecklenburgische Seenplatte ist das größte zusammenhängende Seengebiet in Deutschland. Gleichzeitig ist die Bevölkerungsdichte so niedrig wie sonst kaum irgendwo im Land. Große Industrie siedelte sich hier niemals an, so blieb die Natur von massiven Eingriffen verschont. Wer hierherkommt, sucht Stille und Ursprünglichkeit – und findet dies zu keiner Jahreszeit vollkommene­r als im Herbst. Klar, das Wasser der Seen ist im Sommer wärmer, das Wetter milder und die Tage sind länger. Doch erst wenn die Mehrzahl der Touristen verschwunden ist, die ersten Campingplätze verrammelt werden und der Nebel regelmäßig >

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Herzerwärmende Stimmung nach einer kühlen Nacht.

Hoffmanns Müritz-Triathlon – mit Kanu, Rad und Wanderschuh Neubrandenburg

Region: Mitten in der Mecklenburgischen Seenplatte befindet sich eines der größten Schutzgebiete Deutschlands, der Müritz-Nationalpark. Es gelten besondere Verhaltensregeln (mueritz-nationalpark.de). Wir waren an einem Wochenende im Oktober unterwegs, für uns die beste Zeit des Jahres! Wandern: Nicht gerade eine klassische Wanderregion, dennoch einige Traumwege. Unsere Wanderung führte von Kratzeburg nach Granzin, am südlichen Ufer des Käbelicksees entlang. Weiterer Tipp: Herbsttour durch den Serrahner Buchenwald. Zählt zu den seltenen naturbelassenen Wäldern in Europa. UnescoWeltnaturerbe.

Paddeln: Unsere Tour führte auf der jungen Havel von Granzin zum Jäthensee und wieder zurück. In der Region zahlreiche Kanuverleiher. Dort sollten sich Einsteiger in Sachen ­Sicherheit beraten lassen. Rundtouren möglich, viele Kanustationen bieten auch Abholservice für Boot und Paddler an. Radfahren: Von Granzin quer durch den Nationalpark zur Boeker Mühle, über die Ortschaften Rechlin und ­Vipperow direkt am Müritzufer entlang bis nach Ludorf. Nächste Etappe am Westufer bis nach Waren und weiter durch die Wälder des Nationalparks zurück nach Granzin. Kastanien- und Eichenalleen – ein Traum! Viele Orte haben sich auf Pedalisten eingestellt

Kanuverleihs Umweltrabatt. Per Auto von Speck Malchow Kratzeburg Berlin in zwei, von Müritz Granzin Kabelicksee Gotthun Hamburg in zweiBoek Neustrelitz Röbel Krienke einhalb Stunden. Rechlin Fahrrad, Kanu, Vietzen Wesenberg tausend Tipps: Mirow Andreas Landau Lychen Wanderung von Kormoran Kanutour Kanutouring, Radtour Granzin 38, 17237 Kratzeburgund bieten Unterkünfte für eine Nacht Granzin, Tel. 03 98 22/298 88, (bettundbike.de). kormoran-kanutouring.de. Anreise: Mit der Bahn bis Waren an Schlafen, schlemmen, relaxen: der Müritz oder Neustrelitz, dann Romantikhotel Gutshaus Ludorf, weiter nach Kratzeburg. Bahnreisende Rondell 7, 17207 Ludorf/Müritz, Tel. erhalten bei einigen Anbietern und 03 99 31/84 00, gutshaus-ludorf.de. Kolpinsee

Waren

Penzlin

Eine Detailbeschreibung der Tour finden Sie auf 4-Seasons.de/mecklenburg.

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Das Kanu ist das regionstypische Fortbewegungsmittel.

Aber auch mit dem Fahrrad kommt man schön rum.

den Morgen verschleiert, dann erst gewinnt die Landschaft ihre gelassene Art zurück. Gelassen wollen auch wir es angehen. Also, leicht gepackt, ist gut gepackt: Schlafsäcke, Isomatten, Tarp, ­Gaskocher, Teekessel, etwas Essen und Ersatzklamotten, ein Fernglas um den Hals, viel mehr brauchen wir nicht für die ­kommenden Tage. So wandern wir leichten Fußes acht Kilometer durch den säuselnden Wald und ins nächste Dorf. Direkt an der Havel – sie fließt später durch Berlin und in die Elbe – haben wir uns mit Andreas Landau verabredet, der mit seiner ruhigen Art perfekt zu diesem Flecken Erde passt. Als einer der Ersten eröffnete er einen Kanu- und Fahrradverleih in der ­M ecklenburgischen Seenplatte und setzte auf naturnahen Tourismu­s. Dazu gehört für ihn, nur eine begrenzte Anzahl von Kanu­s zum Verleih anzubieten. Dadurch möchte er speziell in der Hochsaison vermeiden, dass der Trubel überhandnimmt und die empfindlichen Ufer übermäßig durch Lärm und Eindringlinge gestör­t werden. Davon kann heute nicht die Rede sein, wir sind die einzigen Gäste an der Verleihstation. So steigen wir in unser Boot und folgen paddelnd der Havel Richtun­g Süden. Das schmale Gewässer verbindet einzelne Seen wie an einer Perlenschnur. Eingefasst sind die Perlen jeweils durch breite Schilfgürtel. Dahinter schließen Wiesen und Wälder an, die Landschaft scheint unermesslich weit. Mit den Sommertouristen sind offenbar auch die Wolken abgezogen, es spannt sich ein unbefleckt blauer Himmel. Wir kommen gut voran. Die Wasserflächen vor uns wirken unberührt – eine faszinierende

Illusio­n. Schaue ich zurück, verflachen die von uns verursachten Wellen rasch. Mir gefällt der Gedanke, nichts zurückzulassen, nicht einmal einen Abdruck, keine Spur, nichts. Immer wieder lassen wir uns treiben. Auf dem Zotzensee duellieren wir uns mit einem am Ufer lauernden Fischreiher im Stillstehen. Er gewinnt souverän. Statuengleich harrt er einer vorbeischwimmenden Mahlzeit. Zurückgelehnt im Kanu die Geburt des Tages bestaunen Unser Abendessen kommt nicht aus den Fluten, sondern aus Tüte­n. Ebenso unkompliziert ist die Unterkunft für unsere erste Nacht: Wir spannen auf dem Wasserwander-Rastplatz ein Tarp auf und rollen darunter unsere Isomatten aus. Irgendwann in der Nacht wache ich auf und blicke unvermittelt in einen funkelnden Sternenhimmel. Auch für ihre tiefe Dunkelheit liebe ich diese unzivilisiert­e Gegend. Kalt ist es geworden, morgen früh wird sich dicker Nebel über den Granziner See gelegt haben. Die Strahlen der aufgehenden Sonne werden sich in ihm fangen, und alles wird golden leuchten. Dieses Schauspiel wird für mich keine Premiere, aber jede Aufführung berührt mich aufs Neue. Rein ins Kanu, raus auf den See und zurückgelehnt die Geburt des Tages bestaunen … Eiszeiten haben schon etwas für sich. Zumindest im Nachhinein. Vor etwa 15.000 Jahren hinterließen die vor- und zurückrutschenden Gletscher nicht nur Hunderte Seen, sondern auch eine >

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Die erste Nacht im Schlafsack unterm Tarp, die zweite im Federbett des Romantikhotels.

Die Sommertouristen sind längst weg. Auch viele Vögel machen bald ’nen Abflug.

glatt gehobelte Landschaft – wie geschaffen für entspannte Fahrradtouren. Nach der Sonnenaufgangstour im Kanu und einem üppige­n Frühstück tauschen wir das Boot gegen ein Fahrrad und geben das meiste Gepäck bei Andreas in Obhut. Schon am Nachmitta­g erreichen wir ohne große Anstrengung unser zweites Etappenzie­l, das Dorf Ludorf, am Westufer der Müritz gelegen. Diesmal fällt die Wahl auf eine exquisitere Unterkunft. Statt Schlafsack unter Plastikplane heißt es für die nächste Nacht Federbet­t in der Beletage des Romantikhotels Gutshaus Ludorf. Mit Outdoorklamotten durch herrschaftliche Hallen Wir checken mit Minigepäck ein und fallen in unseren Outdoorklamotten etwas aus dem Rahmen, als wir durch die herrschaftlichen Hallen schlurfen. Gutshöfe sind typisch für die Region, Mittelpunkt vieler Dörfer. Nach der Wiedervereinigung wurden viele Herrenhäuser wieder aufgebaut und hergerichtet, einige davo­n als Pensionen oder Landhotels. Trotz aller Gediegenheit geht es in seinem Haus ganz entspannt zu, versichert uns Hausher­r Manfred Achtenhagen. Der Entspannung dient auch sein Vorschlag: »Wie wäre es nach eurer Kanu- und Fahrradtour mit einer finnischen Dampfsauna?« Machen wir, besser kann ein Herbsttag schließlich nicht ausklingen. Oder doch? Der zuvorkommende Gastgeber kennt eine Steigerung: »Ihr müsst heute unbedingt noch zum Aussichtspunkt Gnever Kuhle wander­n. Von dort aus hat man einen herrlichen Blick auf das ­Naturschutzgebiet Großer Schwerin, eine Halbinsel in der Müritz. Bei Sonnenuntergang fliegen mehr als 5000 Kraniche ein, um dort zu übernachten. Dieses Naturschauspiel kann man nur im Herbst erleben, wenn sich die Vögel sammeln, um Richtung ­Süden zu ziehen«, macht er uns den Mund wässrig.

Lars und Niels Hoffmann.

Und so blinzeln wir am Abend entspannt in die untergehende Sonne. Vor uns die weite Müritz. Über uns kreisen Kraniche in langen Formationen und landen nach und nach am flachen Ufer der Halbinsel. Hat man so was schon gesehen! Und wieder begeister­t mich auch der Sound dieser Landschaft: Die trötenden Rufe der Vögel vermischen sich mit dem Rauschen des Windes. < So klingt die Mecklenburgische Seenplatte im Herbst.

Brüder auch im Geiste Lars Hoffmann arbeitet seit mehreren Jahren als Natur- und Outdoorfotograf und teilt mit Autor Niels Hoffmann nicht nur den Nachnamen, sondern auch die Leidenschaft zur Entdeckung von Unbekanntem. Dafür sind die Brüder aus Mecklenburg immer wieder und zu allen Jahreszeiten international unterwegs, zu Fuß, auf Ski und Hundeschlitten – und selbstverständlich im Kajak und Kanadier. Als »Die Donauten« bereiste das Duo, begleitet von einem 3sat/ZDF-Fernsehteam, die gesamte Donau im Kanu, bloggte für die Leser des Kanu-Magazins direkt vom Fluss und veröffentlichte den Bildband mit Reiseerzählung »Gesichter der Donau«. Ganz frisch erschienen ist ihr neuer Bildband über die Mecklenburgische Seenplatte. Der renommierte National-Geographic-Fotograf Norbert Rosing meint darüber: »Besser kann man die Liebeserklärung an die Mecklenburgische Seenplatte mit der Kamera nicht visualisieren. Dieses Buch hebt sich ab durch Qualität.« »Die Mecklenburgische Seenplatte«, Fotografien von Lars Hoffmann, Verlag Edition Morizaner, Globetrotter-Bestellnummer 21.58.15, 224 Seiten, 143 Abbildungen, 29,90 Euro.