In: Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, 4, 46-53. Katharina Leemann

Rechtschreibunterricht in der integrierten Schule Zusammenfassung Die folgenden Überlegungen beruhen auf jahrzehntelangen Erfahrungen. In dieser Zeit habe ich Lernende aller Altersstufen mit Rechtschreibschwierigkeiten in meiner Praxis begleitet. Dazu kam der Austausch mit Lehr- und Fachlehrpersonen an zahlreichen von mir geleiteten Weiterbildungen. Der Artikel skizziert, wie die Rechtschreibung in der integrierten Schule vermittelt werden kann. Spezielles Augenmerk gilt dabei den Kindern mit besonderen Lernbedürfnissen. Es wird gezeigt, wie man sie beobachten und massgeschneidert so fördern kann, dass möglichst alle am Schluss der Schulzeit schriftkundig sind. Résumé Cette contribution est le fruit de plusieurs dizaines d’années d’expérience. Des apprenants de tous âges ayant des difficultés en orthographe ont défilé dans mon cabinet et je les ai accompagnés. J’ai également dirigé de nombreuses sessions de formation continue suite à mes échanges avec les personnels enseignants et spécialisés. L’article ébauche une réflexion sur la manière de transmettre l’orthographe dans un système scolaire intégratif, qui implique de porter une attention particulière aux enfants ayant des besoins spécifiques. J’y montre comment observer individuellement ces élèves et comment leur apporter des solutions adaptées pour permettre au plus grand nombre d’être compétents à l’écrit à la fin de leur scolarité. Relevanz der Kulturtechniken Woringer (2007) weist nach, dass Lese-Rechtschreibschwierigkeiten die Selektion stark beeinflussen und dass Lernende mit diesen Schwierigkeiten die Oberstufe überdurchschnittlich häufig auf dem tiefsten Anforderungsniveau absolvieren. Entsprechend verringern sich anschliessend die Auswahlmöglichkeiten von geeigneten beruflichen Ausbildungen. Im 1. Lehrjahr als Logistiker kam Asim mit massiven Lese-Rechtschreibschwierigkeiten (F81.0*) in die Therapie. Die Basiskompetenzen waren gut entwickelt. Der 6.Klasslehrer wollte ihn in die Sek. C überweisen, via Rekurs kam er jedoch in die Sek. B. Als erste Themen erarbeitete er in der Therapie die alphabetische Strategie, das morphematische Prinzip und die Grossschreibung der regulären Nomen. Die abschliessende Lernkontrolle schrieb er mit lediglich 3 Fehlern - im Anfangstest der Therapie hatte er in diesen drei Kategorien insgesamt noch 69 Fehler gemacht. Sein Kommentar war: „Hätte mir doch schon während der Schulzeit jemand diese einfachen Sachen beigebracht! Dann hätte ich meine Wunschlehre machen können.“ Nach gut eineinhalb Jahren Lernen schrieb Asim schon fast fehlerfrei. Angesichts dieser neuen Situation plant er nun die Aufnahmeprüfung in die BMS (Berufsmittelschule). Ob ihm auch dies gelingt? * Die Diagnose bezieht sich auf die ICD-10 (2006).

Der Staat müsste grösstes Interesse daran haben, dass möglichst alle Schulabgängerinnen und Schulabgänger die Grundfertigkeiten des Lesens und Rechtschreibens

beherrschen. Nur wer über diese elementaren Kompetenzen verfügt, kann als erwachsene Person frei und selbstbestimmt am öffentlichen Leben teilnehmen. Würden in der Schweiz alle Lernenden dieses Ziel erreichen, so könnte der Staat jährlich gut eine Milliarde Franken sparen (Guggisberg et al. 2007). So hoch schätzt man nämlich gegenwärtig die direkten und indirekten Kosten von Illetrismus (www.lesenundschreiben.ch). Lese-Rechtschreibkompetenz ist jedoch auch auf der persönlichen Ebene bedeutsam. In der Regel wandelt sich parallel zur erlangten Sachkompetenz auch das negative Selbstkonzept der Lernenden in ein positives Bild und ihre schulische und persönliche Situation beruhigt sich meist erheblich. Flurina kam in der 6. Klasse mit Rechtschreibschwierigkeiten (F81.1) in die Therapie. Die Basiskompetenzen waren gut entwickelt. Sie war ein scheues, lernbereites und pflichtbewusstes Mädchen und machte sich Sorgen in Hinblick auf den empfohlenen Übertritt in die 1. Sek. A. In der neuen Oberstufenklasse lebte sie sich dann gut ein. Es gelang ihr immer besser, ihr anfänglich wildes Raten durch überlegtes Schreiben und analytische Kontrolle zu ersetzen. In der Mathematik konnte sie schon bald ins oberste Niveau wechseln und hielt sich dort mit der Note 5-6. Später stieg sie auch im Fach Französisch ins höchste Niveau auf. Wenn sie von ihren Erfolgen erzählte, strahlte sie jeweils fast ungläubig. Schliesslich fasste sie den Plan, sich für das Gymnasium vorzubereiten. Die Mutter schrieb mir in einer Mail: „Es ist sehr schön zu beobachten, wie Flurina durch die Unterstützung in der Rechtschreibung an Selbstvertrauen gewonnen hat! Wir sind sehr dankbar.“ Am Ende der Therapie kam sie strahlend in die Stunde und berichtete, dass sie nun Klassenbeste in Deutsch sei.

In den Grundlagen für den neuen Lehrplan 21 (2010) steht ausdrücklich, die Schule und die Lehrpersonen müssten sicherstellen, dass alle Lernenden die festgelegten “Mindestansprüche“ erreichen. Dies ist sehr zu begrüssen! Unbeantwortet bleibt vorerst allerdings, wie das konkret geschehen soll. Paradigmawechsel Tief greifende Veränderungen in der Forschungslage und im Schulsystem fordern präzise Überlegungen heraus, wie der Rechtschreibunterricht heute organisiert werden soll, damit möglichst alle Lernenden am Ende der Schulzeit schriftkundig sind: - Die Forschung hat erkannt, dass der Schrifterwerb entwicklungspsychologisch einem gesetzmässigen Stufenablauf folgt (z.B. Günther, 1986). Dies hat den Blick auf die Methodik des Orthografielernens grundsätzlich verändert. Valtin (2000) schrieb: „Das Stufenmodell impliziert ein neues Verständnis von Fehlern beim Lesen- und Schreibenlernen. Es zeigt, dass alle Kinder Schwierigkeiten beim Schriftspracherwerb haben, dass Fehler ganz normal und Hinweise auf den Entwicklungsstand sind. Fehler werden nicht (mehr) als Defizite des Kindes gesehen, sondern als durchaus sinnvolle Anzeichen für die Annäherung an einen schwierigen Lerngegenstand“ (S. 21). Mittlerweile sind die Teilkompetenzen und Strategien der einzelnen Entwicklungsstufen bekannt und können genau beschrieben werden. - Der Wechsel zur integrierten Schule hat die Rollen und Aufgaben der Lehrpersonen verändert: Im alten Modell gab es neben der Klassenlehrperson die Legasthenietherapeutin. Es war ihre Aufgabe, den von (Lese-)Rechtschreibschwierigkeiten Betroffenen nach der Abklärung beim Schulpsychologen Hilfe anzubieten (sekundäre Prävention). Für die gezielte Förderung im mündlichen Sprachbereich war dagegen die Logopädin zuständig. Im Rahmen des integrierten Schulmodells werden die Rollen neu verteilt. Heute unterrichtet die Heilpädagogin neben und im Team-Teaching mit der Klassenlehrper-

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son. Sie plant aufgrund förderdiagnostischer Abklärungen individualisierende Interventionen im Kleingruppenunterricht und führt sie durch (primäre Prävention, vgl. Keiser, 2013). Die Logopädin ist zwar weiterhin hauptsächlich für die Schulung der gesprochen Sprache zuständig. Sie bekommt jedoch immer häufiger auch Therapieaufträge im schriftlichen Bereich, denn sie ist zurzeit die einzige Fachperson, die Einzelstunden anbieten kann. - Die individuumszentrierte Förderung in der integrierten Schule verschärft die Problematik des Scheiterns: Lernende mit Misserfolg erleben ihr Scheitern vermehrt als individuelle Niederlage und Kränkung. Hell (2013) schreibt: „Kränkung bedroht den Selbstwert, der in einer individualistischen Gesellschaft besonders wichtig erscheint.“ Es ist damit zu rechnen, dass sich in der integrierten Schule die Anzahl von Betroffenen erhöht, welche Sekundärsymptome entwickeln und unter diesen leiden. Erwerb der Rechtschreibkompetenz Sobald die Kinder schreiben, bewegen sie sich in der ganzen Breite unseres Schriftsystems. Organisiert man den Prozess des Rechtschreiberwerbs entlang einer durchdachten Hierarchie, können die Lernenden Schritt für Schritt das nötige Wissen erarbeiten und sich so über die Jahre hinweg der Dudennorm annähern. Die isolierte Schulung unterstützt sie dabei, den formalen Teil der Schrift wahrzunehmen und die gewonnenen Einsichten gemäss ihrem aktuellen Wissensstand sachkompetent anzuwenden. All dies ermöglicht erfolgsorientiertes Lernen. In der integrierten Schule fehlt das frühere Auffanggefäss Legasthenietherapie Bei sämtlichen Lernenden findet die Schulung der Rechtschreibung integriert im Klassen- und Förderunterricht statt. Das theoretisch begründete Rahmenkonzept von Leemann Ambroz (2006, S.139) erlaubt es, für die verschiedenen Schulstufen präzis definierte Minimalziele abzuleiten. Schon heute gibt es übrigens Schulen, die sich an einem solchen stufenübergreifenden Gesamtkonzept orientieren (z. B. Meggen im Kt.Luzern). Konkret sind folgende Hauptziele zu erarbeiten: Kindergarten bis 3. Klasse: 4. bis 6. Klasse: 7. bis 9. Klasse:

explizites phonologisches Wissen (PhonemGraphem-Korrespondenzen); explizites orthografisches Wissen auf der Wortebene (morphematische Struktur und Regelwissen); explizites orthografisches Wissen (wortübergreifende Themen).

Die vorgeschlagene Zuordnung dieser Minimalziele zu den Schulstufen stützt sich vor allem auf die beiden folgenden Forschungserkenntnisse: 1. Klicpera/Gasteiger-Klicpera (1995) haben empirisch nachgewiesen, dass einige Kinder bis in die 2./3. Klasse Zeit benötigen, bis sie die Phonem-GraphemKorrespondenzen sicher beherrschen. 2. Piaget/Inhelder (1980) stellten fest, dass die meisten Kinder ab dem 10./11. Altersjahr fähig sind, abstrakt-logisch zu denken. Von ihrer kognitiven Entwicklung her sind sie also ab der 4. Klasse bereit, Sprache analytisch als Lerngegenstand zu betrachten und über sie altersgemäss zu reflektieren.

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Als Grundlage für die Herleitung der konkreten Minimalziele und für deren Umsetzung dient das Modell des deutschen Schriftsystems von Gallmann/Sitta (1996): -

Phonologische Bewusstheit (Kindergarten bis 3. Klasse): Die Phonem-Graphem-Korrespondenzen (= phonematisches Prinzip) müssen sicher beherrscht werden. Hilfe beim lauttreuen Schreiben: Die Kinder steuern sich bewusst durch Koartikulieren beim Aufschreiben lauttreuer Diktate und beim Verfassen eigener Texte. Beherrschen sie diese Strategie des lauttreuen Verschriftens, können sie bereits 50% der deutschen Wörter richtig schreiben. Damit sie unvorbereitete Diktate lauttreuer Texte völlig fehlerfrei zu Papier bringen können, weist die Lehrperson auf dieser Entwicklungsstufe noch explizit auf die Grossschreibung von diktierten Nomen hin.

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Orthografische Bewusstheit (4. bis 6. Klasse): Es gilt, die orthografischen Grundkenntnisse zu sichern (das morphematische Prinzip verstehen, regulärer Nomen grossschreiben, Regelkenntnisse im Grundmorphem). Hilfe bei der Grossschreibung der regulären Nomen: Die Kinder schreiben so lange das “1. Buchstaben-Diktat“, bis sie bewusst und mit der nötigen Aufmerksamkeit die Schreibweise des Wortanfangs der Wörter beachten und einen Automatismus aufgebaut haben. Konkret: Die Lehrperson, Eltern oder der Lernpartner diktiert einen Text, in dem nur reguläre Nomen vorkommen; die Kinder schreiben jeweils je nur den ersten Buchstaben auf.

Hilfe beim Erarbeiten der Regeln im Grundmorphem: In den regelmässig durchgeführten Regel-Trainings identifizieren die Lernenden auf der Metaebene die einschlägige(n) Regel(n). Dadurch werden sie mit der Zeit fähig, bewusst die richtigen orthografischen Entscheidungen zu fällen.

Asim analysierte diesen Text nach gut eineinhalb Jahren Lerntraining. Die Ziffern beziehen sich auf das erlernte Regelsystem (Leemann Ambroz 2010).

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Orthografische Bewusstheit (7. bis 9. Schuljahr): Das Basiswissen der Primarschule wird bei Bedarf weiter vertieft. Zudem erarbeiten alle Lernenden wortübergreifendes Regelwissen, soweit der Grammatikunterricht dafür die nötigen Voraussetzungen geschaffen hat (Substantivierung und Desubstantivierung, Zusammen- und Getrenntschreibung, Kommasetzung).

Die Orientierung an Minimalzielen erlaubt es, dass möglichst alle Lernenden diese Ziele auch tatsächlich erfolgreich erreichen. Lernerfolg ist der wichtigste Motor, die nötige Motivation und Ausdauer über Jahre hinweg aufrechtzuerhalten. Es geht darum, die Lernmenge radikal auf das Wesentliche zu minimieren. Konkret: Bis zur 6. Klasse gilt es also, neun zentrale Themenbereiche kognitiv zu erarbeiten (statt unter den 500‘000 Wortbildungsformen des Dudens eine zufällige Auswahl von Vokabeln auswendig zu lernen). Diese neun Bereiche werden Schritt für Schritt bewusst gemacht. Gleichzeitig werden durch Trainings verlässliche Verhaltensautomatismen aufgebaut, damit das Gelernte ins tägliche Schreiben einfliessen kann (vgl. z.B. Leemann Ambroz, 2010). Die Praxiserfahrung zeigt, dass alle Lernenden mit Schwierigkeiten (unabhängig ihrer kognitiven Ressourcen) besonders positiv reagieren auf einfache, direkte Instruktionen. Weiter unterstützt das Erlernen der korrekten Buchstabenformen das Erkennen von Buchstaben (Spitzer, 2013). Aufmerksamkeit und mehr Führung hier ist besonders wichtig. Weitere zentrale lernwirksame Faktoren finden sich in Leemann (2014). Die Orientierung an Minimalzielen ermöglicht eine klare Antwort auf die Frage, was eine Dyslexie ist (Leemann, 2014), denn Förderung und Förderbedarf stehen dadurch neu in engstem Bezug: Förderbedarf meint immer eine notwendige Teilfertigkeit zur Erreichung des nächsten Minimalziels. Es ist zu hoffen, dass dank der dargestellten stringenten Methodik in Zukunft keine (Lese-) Rechtschreibschwierigkeiten mehr auftreten, welche didaktogen bedingt sind. Förderdiagnostische Begleitung (primäre Prävention) Die diagnostische Begleitung der Heilpädagogin hat zum Ziel, mögliche Schwierigkeiten früh zu erkennen, anzugehen und so gar nicht erst entstehen zu lassen (Keiser 2013). Folgende Kompetenzen gilt es abzuklären (eine Liste mit Angaben zu praxisrelevanten Tests kann bei der Autorin bezogen werden): Kindergarten: 1. Klasse:

3. Klasse: 4. Klasse:

phonologische Bewusstheit; auditive Differenzierungsfähigkeit; Vokallängentest; Übereinstimmungen und Unterschiede im Lautrepertoire fremdsprachiger Kinder im Vergleich zum deutschen Lautbestand, insbesondere bp, dt und gk; visuelle Differenzierungs- und Merkfähigkeit; Phonem-Graphem-Korrespondenzen; Erfassen der Rechtschreibkompetenz durch einen geeichten Test mit Prozenträngen.

Zeigen sich bestimmte Schwierigkeiten, erhalten die betroffenen Lernenden die passende spezifische Unterstützung, damit auch sie das nächste Minimalziel erreichen

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können. Je tiefer der Prozentrang im Rechtschreibtest in der 4. Klasse ist, desto strukturierter muss beim Erwerb der Orthografie vorgegangen werden. Besondere Lernsituationen Fremdsprachige Kinder Kinder mit Deutsch als Zweit- oder Drittsprache sprechen überdurchschnittlich gut auf den kognitiven Zugriff zum deutschen Schriftsystem an (Leemann Ambroz 2006). Inhalt (Wortbedeutung) und Form (Rechtschreibung) stellen zwei völlig verschiedene Aspekte der Schrift dar. Um richtig schreiben zu lernen orientieren sich Fremdsprachige automatisch stärker an Eigenheiten der Form, da sie die Wörter inhaltlich oft nur ungefähr oder noch gar nicht verstehen. Es ist klar, dass für sie neben der Rechtschreibung der Wörter immer auch die semantische Erschliessung wichtig ist. Doppeldiagnose Dyslexie/AD(H)S Oft ist neben der (Lese-)Rechtschreibschwierigkeit auch ein AD(H)S diagnostiziert. Diese beiden Diagnosen haben unterschiedliche Konsequenzen für geeignete Fördermassnahmen. Gleichzeitig beeinflusst das AD(H)S das Erlernen der Rechtschreibung, aber auch alle anderen Lerninhalte. Die Erfahrung zeigt, dass gerade diese Lernenden ganz besonders auf die Reduktion der Komplexität angewiesen sind, d.h. auf möglichst wenige Minimalziele, sonst verlieren sie den Überblick. Sie benötigen überdies einfach strukturierte Lernhilfen und Arbeitsstrategien, um ihr Verhalten steuern zu lernen. Nur so gelingt es ihnen mit der Zeit, reflexiv statt impulsiv zu arbeiten. Sprachlastige Schule In der Volksschule lernen die Kinder neben Deutsch auch Englisch und Französisch. Das ist vor allem für Schülerinnen und Schüler mit Dyslexie (Leemann 2014) sowie für all jene, die zusätzlich eine weitere oder gar zwei Herkunftssprachen haben, eine grosse Herausforderung. Im Gegensatz zum Erwerb der deutschen Schriftnorm werden die Fremdsprachen Englisch und Französisch in der Schule additiv gelernt, d.h. Wort für Wort, weil neben der Form auch die Bedeutung der Wörter zu erarbeiten ist. Verfügen die Kinder über eine gute bis sehr gute visuelle Differenzierungs- und Merkfähigkeit, sind sie grundsätzlich in der Lage, durch gezieltes Arbeiten mit der Lernkartei die Wortbilder des dosiert erlernten Vokabulars im Langzeitgedächtnis zu speichern. Lernende mit massiven Rechtschreibschwierigkeiten in Deutsch sind jedoch häufig sehr entmutig und vermeiden es deshalb oft unbewusst, sich aktiv mit den Schriftbildern anderer Sprachen auseinanderzusetzen. Durch primäre Prävention muss die integrierte Schule dafür sorgen, dass eine Kumulation von Schwierigkeiten vermieden wird. Fazit Die deutsche Schrift ist komplex aufgebaut, aber sie hat eine Struktur (morphematisches Prinzip), und sie ist weitgehend logisch und stringent geregelt (sechs Hauptregelbereiche). Der Rechtschreibunterricht muss zum Ziel haben, den Lernenden dieses System über die Jahre hinweg transparent zu machen, d.h. Sprachbewusstheit in den Bereichen Phonologie und Orthografie zu schaffen. Es ist nötig, die Minimal-

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ziele gemäss dem Entwicklungsstand der Kinder über alle neun Schuljahre zu verteilen, damit auch die langsam Lernenden und Fremdsprachige eine Erfolgschancen haben. Gallmann/Sitta (1996) weisen ausdrücklich darauf hin, dass der Erwerbsprozess viel Zeit braucht. Entscheidend kommt es zudem auf die Unterrichtsqualität und die Sachkompetenz aller beteiligten Lehrpersonen an. Der Aneignungsprozess verlangt von den verschiedenen Rollenträgern – vor allem auch bei Lernkrisen – professionelle Konsequenz, Wertschätzung und Geduld gegenüber den Lernenden. Die Erfahrung zeigt, dass die Orientierung am Erfolg bei fast allen Kindern die Bereitschaft zum Erlernen der Rechtschreibung verstärkt. Wir dürfen ihnen zumuten, sich wirklich vertieft mit der Orthografie zu befassen und diese aufwändige Arbeit über Jahre hinweg zu leisten. Literatur Gallmann, P. & Sitta, H. (1996). Handbuch Rechtschreiben. Zürich: Lehrmittelverlag des Kantons Zürich. Plenarversammlung der deutschsprachigen EDK-Regionen (2010). Grundlagen für den Lehrplan 21. http://www.lehrplan.ch/sites/default/files/ Grundlagenbericht.pdf Guggisberg, J., Detzel & P., Stutz, H. (2007). Volkswirtschaftliche Kosten der Leseschwäche in der Schweiz. Bern: Bundesamt für Statistik. Günther, K.B. (1986). Ein Stufenmodell der Entwicklung kindlicher Lese- und Schreibstrategien. In H. Brügelmann (Hrsg.), ABC und die Schriftsprache: Rätsel für Kinder, Lehrer und Forscher. Konstanz: Faude. Hell, D. (2013, 23. Oktober). Besser scheitern. Tages Anzeiger , S. 27. ICD – 10 (2006). Internationale Klassifikation psychischer Störungen. Weltgesundheitsorganisation. Bern: Huber. Keiser, Ch. (2013). Förderdiagnostik und Integration. Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, 6, 30-35. Klicpera, Ch. & Gasteiger-Klicpera, B. (1993).Lesen und Schreiben. Entwicklung und Schwierigkeiten. Bern: Huber. Klicpera, Ch. & Gasteiger-Klicpera, B. (1995). Psychologie der Lese- und Schreibschwierigkeiten. Entwicklung, Ursachen, Förderung. Weinheim: Beltz. Leemann Ambroz, K. (2006). Rechtschreibkompetenz. Aneignungsstrategien auf der Basis des morphematischen Prinzips. Bern: Haupt (nur noch bei der Autorin zu beziehen). Leemann Ambroz, K. (2010). Grundbausteine der Rechtschreibung. Eine systematische Einführung in die deutsche Rechtschreibung. Arbeitsbuch für Schülerinnen und Schüler/ Handbuch für Lehrerinnen und Lehrer. Zug: Klett und Balmer. Leemann, K. (2014). Was ist eine Dyslexie? Schweizerische Zeitschrift für Heilpäd gogik, 1, 13-19. Piaget, J. & Inhelder, B. (1980). Die Psychologie des Kindes. Stuttgart: Klett. Spitzer, M. (2013). Lesen und Schreiben. In M. Spitzer (Hrsg.) Das (un)soziale Ge hirn. Stuttgart: Schattauer. Valtin, R. (2000). Die Theorie der kognitiven Klarheit – Das neue Verständnis von Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten. In Akademie für Lehrerfortbildung und Personalführung Dillingen. Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten. Diagnose, Förderung, Materialien. Donauwörth: Auer. Woringer, V. (2007). Comparaison de la réussite dans la scolarité obligatoire des enfants lausannois dyslexiques et non dyslexiques. Extrait.

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