Rechnen mit komplexen Zahlen

Kapitel 3 Rechnen mit komplexen Zahlen 3.1 Einitihrung der komplexen Zahlen auf geometrische Weise Wir kommen nun zu einer neuen Erweiterung des Za...
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Kapitel 3

Rechnen mit komplexen Zahlen 3.1

Einitihrung der komplexen Zahlen auf geometrische Weise

Wir kommen nun zu einer neuen Erweiterung des Zahlengebietes, wenn wir uns die Aufgabe stellen, eine Zahl x zu finden, welche der Gleichung genügt: x . x = a. Ist zunächst a eine positive Zahl, so können wir zeigen, daß immer eine solche Zahl x in unserm Zahlengebiete existiert. I

I

A B

I

X

I

X'

Ist AB die Zahlengerade und AB die positive Einheit, so werde ich zu jeder positiven Strecke AX, die eine beliebige Zahl ~ repräsentiert, eine positive Strecke AX' finden können, welche eine Zahl e' repräsentiert, so daß ~ .~' = a ist, denn die immer ausführbare Division ~ liefert eben die Zahl ~'. Da nun, wenn ~ < 6 und ~~' = 6~f(= a), > ~1 sein muß, so durchläuft, wenn ich den Punkt X von A an die positive Seite der Zahlgeraden durchlaufen lasse, X' eben dieselbe Seite der Zahlgeraden, aber in entgegengesetzter Richtung. Es muß also einen Punkt X o geben, in welchem ein X mit seinem Punkt X' zusammenfällt. (V gl. den ähnlichen Schluß p. 22.) Diesem Punkte X o entspricht aber eine Zahl ~o, welche die verlangte Eigenschaft ~~ = a besitzt. Ist a negativ, so durchläuft der Punkt X', wenn X die positive Seite der Geraden überstreicht, die negative Seite, so daß dann kein Punkt X 0 existieren kann (außer a = 0). Es ist somit klar, daß es in unserem bisherigen Zahlengebiete keine Zahl x giebt, welche die Gleichung x 2 = -a oder, worauf diese zurückgeführt werden kann, x 2 = -1 befriedigt. Wir werden so dazu geführt, eine dritte Einheit einzuführen, sind dann aber

e

K. Weierstraß, Einleitung in die Theorie der analytischen Funktionen © Springer Fachmedien Wiesbaden 1988

26

3 Rechnen mit komplexen Zahlen

verpflichtet, auch die dieser Einheit entgegengesetzte Einheit einzuführen und die genauen Theile dieser beiden neuen Einheiten. Bei diesen vier Einheiten bleiben wir dann stehen, denn es wird sich zeigen, daß, nachdem wir durch die dritte und vierte Einheit das Zahlengebiet so erweitert haben, daß der Zahl x = A eine reale Bedeutung untergelegt ist, nunmehr sämmtliche mit dem ganzen Zahlengebiet vorzunehmende Verknüpfungen wieder auf Zahlen unseres Gebietes führen. Zunächst sei bemerkt, daß die Addition und Subtraktion bei den aus vier Einheiten und deren genaue Theile zusammengesetzten Zahlen ausführbar bleibt, da die darüber oben angestellten Untersuchungen unabhängig waren von der Anzahl der Einheiten und Elemente. Dagegen liegt nicht zu Tage, wie die Definition der Multiplikation zu stellen ist. Indem wir diese richtig definieren, geben wir den imaginären Größen eine reale Bedeutung. Folgende Betrachtung rührt von Gauss her: Die positiven und negativen Zahlen erhalten eine Bedeutung, wenn man sich in einer unendlichen Anzahl von Dingen (die in bestimmter Reihenfolge angeordnet sind) orientieren will. Nehmen wir als diese Reihe von Dingen unendlich viele äquidistante Punkte einer Geraden an. Jeder dieser Punkte hat zwei benachbarte. Setze ich fest, daß der Schritt, den ich machen muß, um von dem Punkte A zu dem benachbarten Punkte B zu gelangen, ein positiver Schritt heißen soll, derjenige, den ich machen muß, um von B wieder zu A zu gelangen, ein negativer Schritt, so ist dadurch auch für jeden andern Schritt festgesetzt, ob er ein positiver oder negativer ist. Die Lage irgend eines Punktes kann man nun dadurch angeben, daß man sagt, wie viele positive und negative Schritte man machen muß, um von einem festen, als Ausgangspunkt angenommenen Punkte A zu dem betreffenden Punkte zu gelangen. Die unendliche Reihe von Punkten kann man sich in der Vorstellung nun unendlich oft wiederholt denken, etwa, indem man sich eine Ebene durch parallele Verschiebung einer in ihr liegenden und die äquidistanten Punkte tragenden Geraden in äquidistante Parallelstreifen zerlegt denkt. Jede dieser parallelen Geraden hat dann zwei benachbarte. Und setze ich nun fest, daß die Punkte A, A', A" ... , welche auf jeder Geraden die Ausgangspunkte der Schritte sind, alle auf einer neuen Geraden liegen sollen, ferner ebenfalls die Punkte B, B', B" ... , welche die positiv benachbarten zu A, A', A" ... sind, so kann ich jetzt von jedem Punkte aus in vierfach er Weise zu andern übergehen und zwar durch Schritte 0;, i, 0;', i /, wenn 0; ein positiver Schritt in einer der ursprünglichen durch parallele Verschiebung entstandenen Geraden bedeutet, 0;' der zugehörige negative Schritt, i der Schritt, um von einem Punkte einer Parallelgeraden zu dem entsprechenden der folgenden zu gelangen (also z.B. von A zu A') und i ' der dem i entgegengesetzte Schritt; dabei ist noch bei zwei der Parallelgeraden willkürlich festzusetzen, welche ich als folgende und welche als vorhergehende bezeichnen will.

3.1 Einführung der komplexen Zahlen auf geometrische Weise

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Der Punkt A ist Ausgangspunkt für sämmtliche Schritte. Irgend eine Zahlgröße nun, die aus den Elementen c, i, c', i' zusammengesetzt ist, repräsentiert dann einen ganz bestimmten Punkt, zu dem ich gelange, indem ich von A aus erst soviel Schritte c mache, als dies Element in der Zahl vorkommt, dann die entsprechende Anzahl von Schritten i, c' und i'. Gauss definiert nun die Multiplikation zweier Zahlen a und b so: Nenne ich i zu c, c' zu i, i' zu c', c zu i' adjungiertj dann b' zu badjungiert, wenn ich in b für c, i, c', i' die respectiven Substitutionen i, c', i', c mache, ebenso b" zu b', blll zu b" adjungiert, wenn b" resp. b'" aus b' resp. b" gebildet ist wie b' aus b, so ist wieder b zu blll adjungiert, und ich sage: Ich erhalte das Produkt aus a in b, wenn ich in a an die Stelle der Elemente c, i, c', i' die Größen b, b', b", blll substituiere. Weiter unten werden wir zeigen, daß in dieser Definition die oben gegebenen (für Zahlen mit zwei Einheiten) enthalten sind und die Gesetze der Multiplikation erhalten bleiben. Die Definition der Gleichheit zweier aus den vier Elementen c, i, c', i' zusammengesetzten Zahlen stellen wir so: Man fasse die in Bezug auf die Einheiten c, c' vorkommenden Elemente der einen Zahl zusammen zu einer Zahl a, die in Bezug auf die Einheiten i, i' zusammen zu b, entsprechend gebe man der andern Zahl die Form a' + b'. Ist dann a = a' und b = b' , so sollen die beiden Zahlen a + bund a' + b' einander gleich heißen. Zunächst liege eine Zahl vor, die nur aus den Elementen c, i, c', i' zusammengesetzt ist (nicht auch aus deren genauen Theilen). Wir kommen zur geometrischen Veranschaulichung (in der Gaussischen Weise) einer solchen Zahl folgender Maßen. Wir definieren in der Ebene zwei Strecken als einander gleich, wenn sie gleiche Länge und gleiche Richtung haben. Sind dann p und q irgend zwei Strecken, und man versetzt den Anfangspunkt von p durch parallele Verschiebung in einen willkürlichen Punkt L der Ebene, den Anfangspunkt von q an den Endpunkt M von p, so nennen wir die Strecke LN, welche durch den Anfangs- resp. Endpunkt der so verschobenen Strecken p und q bestimmt ist, die (geometrische) Summe p+q der beiden Strecken. r',



M'

L

.

::::::>..' + p,'p,')h

= >..(gh) + >"'(hh) JL(gg)

+ (JL'

v(gg)

+ (v' -

und ebenso aus 2) also nach I)

1)

2) 3} 4}

- >..)(gh) - >"'(hh) = 0 JL)(gh) - JL'(hh) = 0,

>..p, + p,(JL' - >") - vA' A'JL+JL'(JL'->")-v'>'" >..v + JL(v' - JL} - VJL' A'v + JL'(v' - JL} - v' JL'

=

=

=

=

O}

0 0 0

11.

Diese Gleichungen 11 zeigen, daß (wenn man noch berücksichtigt, daß I) und 4} mit einander identisch sind) vier der Größen >.., JL, v, A', JL', v' ganz beliebig angenommen werden können. Die beiden übrigen Größen sind dann bestimmt, und die Gesetze ab = ba, (ab}c = (ac}b, a(b + c) = ab + ac sind dann erfüllt. Aus 1) und 2), 3) und 4) ergiebt sich: JL: JL' -

>..: ->..'

= p,v' -

JL'v: v>..' - v'>..: >"JL' - >..'JL

= v: v' - p,: -JL'.

3 Rechnen mit komplexen Zahlen

36

Die drei mittleren Determinanten können nun nicht gleichzeitig 0 werden, denn sonst würde sein J.t : v : A = J.t' : v' : A', also gg = J.t(g + (!h), gh = v(g + (!h), hh = A(g + (!h), was nicht zulässig ist. Setzen wir

I J.t V

J.t' v'

so wird

oder

I: I A A'v' I: I J.tAA'l J.t' = (l : V

J.t = I\,(l J.t'-A=I\,(J" -A' = 1\,7

(J" :

7,

v = I\,'(l v'-J.t=I\,'(J" -J.t' = 1\,'7

A = -I\,(J" -1\,'7 A' = -1\,7

v = I\,'{! v' = I\,'(J" + I\,(l

J.tv' - vJ.t' = I\,{!(I\,'(J" + K{!) + 1\,' {!. 1\,'7 vA' - v' A = (J"((l1\,2 + (J"I\,I\,' + 71\,'2) AJ.t' - A' J.t = 7({!1\,2 + (J"I\,I\,' + 71\,'2).

= {!({!1\,2 + (J"I\,I\,' + 71\,'2)

+ (J"I\,I\,' + 71\,,2 darf nicht gleich 0 sein, also auch nicht gleichzeitig I\, und 1\,'. Es scheint nun, daß die Multiplikation durch verschiedene Wahl von g, h, A, J.t, v, A', J.t', v' in verschiedener Weise begründet werden kann. Wir werden nun aber zeigen, daß bei jedem beliebigen System g, h, A, J.t, v, A', J.t', v' zwei Zahlen e: und i existieren, für welche e:e: = e:, e:i = i, ii = -e: ist, so daß, wenn man e: und i an Stelle von 9 und h einführt, immer auf die gewöhnlichen Multiplikationsregeln für complexe Zahlen geführt wird. Die Division verlangt, aus (l1\,2

( und (' durch die übrigen Größen zu bestimmen. Die Gleichung giebt ~O + (~(' + eoJ.t + ~'(/v ~(A' + (~(' + eoJ.t' + e('v'

= =

1/ 1/',

und

woraus ( und (' gefunden werden kann. Soll allgemein die Division ausführbar sein, so muß auch ~ eine Bedeutung haben und zwar, da a· ~ . b = a· b ist, so muß ~ die Zahl e sein, welche mit jeder beliebigen Zahl multipliciert diese Zahl wieder erzeugt. e = ~g +eh sei die Zahl ~, dann soll eg = ~(gg) +e(gh) = (~A +e J.t)g + (~A' + eJ.t')h = 9 sein. Also muß ~A' + J.t' = 0 sein und ~A + eJ.t = 1, also

e

~=

J.t' AJ.t' - J.tN

und

~ also ist

=

,

1\,' (l1\,2 + (J"I\,I\,' I\,

= (l1\,2

+ (J"I\,I\,' + 71\,,2 '

+ 71\,/2

37

3.2 Einführung als reelle Algebra

Man sieht leicht, daß für diesen Werth von e auch eh = h ist und folglich e((g + (' h) = (( eg) + (' (eh) = (g + (' h, so daß e wirklich die verlangte Eigenschaft ea = a besitzt. Wir können nun jede Zahl a darstellen in der Form a = ~e +eh (siehe p. 1). Die Gleichungen I p. 34 verwandeln sich dann in folgende: ee eh hh

e h ve

+ v'h

Nun ist (h - fe)(h - fe) = hh - v'eh + VI;' e = hh - v'h + und führen h 1 an Stelle von h ein, so wird h1 = h -

fe

v';' e. Setzen wir nun

e =

hl ve+ ~e 4

=

wo -& irgend eine positive unbenannte Zahl bedeutet. Ich kann nun immer eine Zahl -&1 finden, so daß -&1-&1 = -& ist; setze ich also el = h l oder h l = -&1 eb so wird h 1h l = -&1-&1 e1 e1 = -&el e1. Führe ich schließlich e1 an Stelle von h 1 ein, so wird

J,

ee eel elel

= =

e e1

±e.

Ich erhalte also zwei verschiedene Multiplikationsregeln. Nämlich entweder sind zwei Zahlen ~e + eel und 1/e + 1/'el so zu multiplicieren, daß ee eel elel

oder daß

ee eel elel

= =

e e1 +e e el -e

gesetzt wird. Im ersteren Falle kommen wir zu nichts Neuem. Zunächst würden wir an Stelle von e und el folgende Größen als Einheiten einführen können: 1/ = ~e+ ~el und 1/' = ~e - ~el. Dann wird: 1/1/

= 1/;

und

1/1/' = O.

Es würde also möglich sein, daß ein Produkt gleich 0 wird, ohne daß ein Faktor gleich

o wird. Aus der Wahrheit der letzteren Thatsache bei der anderen Multiplikat.ionsweise beruht aber z.B. die Theorie der Lösung der algebraischen Gleichungen. 1gemeint ist wohl die Seite 34

3 Rechnen mit komplexen Zahlen

38 Wenn a = )"TJ + NTJ', b = p,TJ + p,'TJ', so ist

ab = )"p,TJ + ),,'1" TJ', a + b = ()" + p,)TJ + (),,' + p,')TJ', Sämmtliche Rechnungen würden hiernach hestehn in zwei Rechnungen mit einer Einheit und Zusammenfassung der heiden Resultate zu einem durch Addition. Man kommt also auf keine neuen Rechnungsarten und auch zu keinen neuen Wahrheiten. Denn z.B. die Wahrheit (a+b)(a-b) = a2-b2 würde, wenn a = al +b l (= )"TJ+NTJ'), b = a2+b2 ist, zerfallen in (al +bt}(al -bd = a~ -b~ und (a2+b2)(a2 -b2 ) = a~ -b~. Diese letzteren Gleichungen lehren uns aber nichts Neues. Es würde auch bei diesem Multiplikationsgesetze nicht immer die Quadratwurzel einen realen Werth haben. Denn ()"TJ + ),,'TJ')2 = ),,2TJ + ),,'2TJ' ist gleich p,TJ + p,'TJ', wenn ),,2 = 1', N2 = 1", und letztere Gleichungen ergeben nur dann reale Werthe für )" und )"', wenn I' und 1" positiv sind. -

.-!k+... e

B

:

o

A A'

Ist OA = g, OB = h, oe = ~g + (h, so ist ~ = ~1' und ~' = ~~. Wir wollen nun die zweite Multiplikationsregel adoptieren (ee = e, eel = et, elel = -e) und e und el als Einheiten annehmen. Betrachten wir in a = ~e + e'el die unbenannte Einheit als die Einheit e und setzen wir el = i(e), so nimmt jetzt jede Zahl unseres Gebietes die Form an: a = ~ +~'i, wobei die Multiplikationsregeln sind i·i=-l. 1·1 = 1, 1· i = i, ~

soll die erste, ( die zweite Coordinate der Zahl a =

~

+ ~'i heißen.

n-----7Ia

~'

-1 -i

~

e

Da = Je + 2 heißt der absolute Betrag von a, bezeichnet durch lai (nach Gauss ~2 + 2 die Norm; nach Cauchy Modul). "Der absolute Betrag eines Produktes ist gleich dem Produkte aus den absoluten Beträgen der Faktoren." (~ + (i)(TJ + TJ'i) = (~TJ - (TJ') + (~TJ' + ~'TJ)i, und es besteht die Identität (~TJ e'TJ')2 + (~TJ' + (TJ)2 = + e'2)(TJ2 + TJI2). Also

e

(e

I)

lai' Ibl = labl

39

3.3 Unendliche Reihen komplexer Zahlen

und folglich allgemein:

lai' Ibl· lei·· . = la . b . c .. ·1· Durch Division folgt aus I)

"Der absolute Betrag einer Summe ist niemals größer als die Summe der absoluten Beträge der Summanden." Dies folgt geometrisch aus dem Satze, daß eine Seite eines Polygons nie größer ist als die Summe der übrigen. Analytisch ist er so zu führen:

Nun ist ({1J + {'1J')2 + {{1J' - {'1J)2 .j({2 + e'2)(1J2 + 1J'2) = lai' Ibl, also lal 2 + Ibl 2 - 2Ial'lbl, damit I

=

{e + {'2)(1J2 + 1J,2), also

la + bl

la + bl

2

~

~

lal + Ibl + 2lal'lbl 2

2

({1J + {'1J') ~ und la + bl 2 ~

lai + Ibl

q.e.d ..

la-bi ~ lal-Ibl, la+bl ~ lal-Ibl. Der absolute Betrag der Summe ist also größer als die Differenz der absoluten Beträge der Summanden. I kann verallgemeinert werden: la + b+ c+ ... 1~ lai + Ibl + Icl + .... (Bemerkung: Im Folgenden sind unter complexen Zahlen immer solche aus 1, -1, i, -i gebildete verstanden. Würde man complexe Zahlen mit beliebig vielen

Einheiten betrachten, so würde sich zeigen, daß das Rechnen mit solchen Zahlen immer zurückgeführt werden kann auf das Rechnen mit Zahlen, die nur aus vier Einheiten zusammengesetzt sind. 2 ) Zahlen, welche die Einheit i nicht enthalten, heißen reelle, solche, die nur die Einheit i enthalten, rein imaginäre.

3.3

Unendliche Reihen komplexer Zahlen

2Die Aussage, die WEIERSTRASS hier offenbar meint, lautet in moderner Notation: Jede endlichdimensionale kommutative und assoziative reelle Algebra mit Einselement, aber ohne (nichttriviale) nilpotente Elemente, ist die ringtheoretisch direkte Summe von Kopien des Körpers der reellen bzw. der komplexen Zahlen. (Satz von WEIERSTRASS-DEDEKIND) Veröffentlicht wurde dieses Resultat erst 1883 in der Arbeit "Zur Theorie der aus n Haupteinheiten gebildeten complexen Größen (Auszug aus einem an H.A. Schwarz gerichteten Briefe, der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen mitgetheilt am 1. December 1883.)", vgJ. WEIERSTRASS: Mathematische Werke, Band 2, S. 311-339. Nach einer Fußnote auf S. 312 dieses Artikels hat WEIERSTRASS aber bereits im "Wintersemester 1861-62 ... zum ersten Male über diesen Gegenstand etwas vorgetragen".

40

3 Rechnen

mit komplexen Zahlf'n

Es liege eine unendliche Reihe von complexen Zahlengrößen al,a2,a3 ... vor. Dieselbe ist gewiß summierbar, sobald die vier Reihen

Al +A z + .. .

A~ +A~ + .. . A~ +A~ + .. . A~' +A~'

+ .. . Ai, A:, A:', A:"

summierbar sind (vgl. p. 32), wo die Summen der nur aus den respectiven Einheiten 1, -1, i, -i gebildeten Elemente der Zahl ai sind. Dies ist aber nicht nothwendige Bedingung für die Summierbarkeit der Reihe ab a2, a3 .... Bringen wir nämlich die a's auf die Form ~ + i, so ist L: a = L: ~ + i L: L: a wird also ausführbar sein, sobald L: ~ und L: ausführbar ist. Hierauf gründet sich folgender wichtige Satz: "Die Summe von unendlich vielen complexen Zahlen ist ausführbar, wenn die Summe ihrer absoluten Beträge (oder solcher Zahlen, die größer sind als die absoluten Beträge) ausführbar ist. Und umgekehrt: Ist die Summe von unendlich vielen complexen Zahlen ausführbar, so ist auch die Summe der absoluten Beträge ausführbar." ab a2, a3 . .. seien die complexen Zahlen (ak = ~k + ~~ . i), {JI, {J2, {J3 . .. ihre absoluten Beträge. {J ist kleiner oder gleich I~I + !el, da {J = ";~2 + C2. Wenn nun L: a ausführbar sein soll, so muß L: ~ und L: ausführbar sein, oder (p. 18 und ff.) L: I~kl kleiner als eine angebbare Zahl TJ (wo L: I~kl die Summe von beliebig vielen der absoluten Beträge der Zahlen 6,6 ... ist), ebenso L: I~~I < TJ', also auch

e



e

e

L: {Jk < TJ + TJ'·

e e e

Ist umgekehrt L: {J ausführbar, so ist, da {J2 = + 2 ist, lei :5 {J und !el :5 {J, also L: lei :5 L: {J und L:!el :5 L: (J, also L: ~ und L: ausführbar, folglich auch L: e+ i L: = L: a, q.e.d .. Ein zweites Criterium für die Ausführbarkeit der Summation unendlich vieler complexer Zahlen al, a2 ... ist folgendes: "L: a ist ausführbar, sobald die Summe von beliebig vielen der Größen a ihrem absoluten Betrage nach unterhalb einer angebbaren Größe bleibt." al, a2, a3 ... sei wieder die Reihe der complexen Zahlen. bl , b2, b3 ... seien diejenigen unter ihnen, deren erste Co ordinate positiv ist. bk sei gleich TJk + TJ~i. Dann ist nach unserer Annahme 1L:(TJk + TJ~i)1 < g, einer angebbaren Größe. Nun ist 1L:(TJk+TJ~i)1 :::: L:TJkl also auch L:TJk < g. Also ist die Summe sämmtlicher vorkommender positiven ersten Co ordinaten ausführbar. Ebenso zeigt man, daß die Summe der respectiven vorkommenden negativen ersten Coordinaten, positiven zweiten Coordinaten, negativen zweiten Coordinaten ausführbar ist, woraus geschlossen wird, daß auch L:(a) ausführbar ist.

e

D. 31.5.

= al + a2 + snl < 8, wo 8 eine

"Ist die Reihe der complexen Zahlen al, a2 ... summierbar, und s

a3

+ ... , Sn = al + ... + an, so ist für hinreichend großes n Is -

beliebig klein angenommene Größe bezeichnet." a v sei gleich O:v + ißv, so ist, da für aus positiven Elementen gebildete Zahlen unser Satz gilt, wenn ()' = L:' O:v die Summe der positiven Zahlen O:v bezeichnet,

41

3.4 Produkte aus unendlich vielen Zahlen (J"

= 2:" et v

die der negativen, entsprechend S

= (J' + (J"

+ i((J'1I + (J'II/),

(J'"

= 2:' ßv, (J"II = 2:" ßv :

= (J'n + (J'~ + i((J'~ + (J'~/),

Sn

und

I(J' -(J'nl < 8 I(J'I -

(J'~I

I(J'II -

(J'~I

I(J'II/ -

1 - ßl - ß2,

1

ß~ ß.· Allgemein ist I.

Denn angenommen, dieses sei für n bewiesen, so ist (1

+ ßd··· (1 + ßn)(l + ßn+l) < 1


1, so kann ich 8 zerlegen in (ßl + ß2 + ... + ßr) + (ßr+l + ßr+2 + ... ) in der Weise, daß ßr+l + ßr+2 + ... = 8' < 1 wird. Dann ist (1 + ßd··· (1 + ßn) = (1 + ßd··· (1 + ßr) [(1 + ßr+d··· (1 + ßn)]. Der in der Klammer stehende Ausdruck ist aber nach Obigem immer kleiner als 1~6" folglich überschreitet auch (1 + ßd··· (1 + ßn) nie die Größe 1~6/ (1 + ßl)··· (1 + ßr), und folglich ist auch für den Fall s > 1 (1 + ßd(l + ßl} ... ausführbar, sobald ßl + ß2 + ... ausführbar ist. Wenn die Größen b gegeben sind, so kann ich angeben, wie oft jedes Element 0: in dem Produkte ala2 ... = (1 + bd(1 + b2 ) ••• vorkommt. Ist nämlich bm die letzte Zahl b, welche das Element 0: enthält, und letzteres darf ja nur in einer endlichen Anzahl von Größen b vorkommen, so entstehen sämmtliche Glieder des Produktes, in denen das Element 0: vorkommt, aus den Factoren (1 + bl)(l + b2 }··· (1 + bm ). Das Produkt P = ala2 ... ist also vollkommen bestimmt. Keiner der Factoren des Produktes darf natürlich gleich 0 sein, da sonst das ganze Produkt gleich 0 sein würde. Wir wollen nun nachweisen, daß Ip - Pn I < 6 mit wachsendem n ist, wenn P nach obigen Ausführungen gefunden werden kann (als endliche Zahl), Pn = ala2 ... an ist und 6 eine beliebig klein gewählte Größe bezeichnet. Es ist Pn = (1 + bn+1 )( 1 + bn+2) ... = 1 + en, Pn = 11 + bn+ll . 11 + bn+21 . . . ~ (1 + ßn+d(l + ßn+2)··· = 11 + enl, (1 + ßn+l) ... < 12./, wo s' = L::'+1 ß ist.

-L

I-L I

3.4 Produkte aus unendlich vielen Zahlen

43

Also auch 11 + enl < 12., oder lenl < 1~'., J. s' wird nun für hinreichend großes n beliebig klein, folglich auch lenl. ~ = 1-t~en' Diese Größe kann der Einheit beliebig nahe gebracht werden, also auch Pn dem Produkte p. Daraus folgt: p - Pn nähert sich mit wachsendem n der Null. Es ist nun zu zeigen, daß für die unendlichen Produkte die Gesetze der Multiplikation gültig bleiben. "Wenn man aus dem Produkte a1a2aJa4 ... beliebige der Factoren zu Gruppen vereinigt a ,1 , a " 1 ,···

{

a~,a~, ...

und bildet dann aus den Gliedern einer jeden Gruppe das Produkt, sie seien Al, A 2 ,

AJ , A 4 ... , so ist Al . A 2 . AJ •.• = a1a2aJa4 ., .. " Für jedes Produkt AI' = a~ . a~ . a~' . " bilde man die Gruppen G~

{

Gi

GI'2 :

1 b~

b"1" b'I' b"I'

j

...

so zeigt eine einfache Überlegung, daß jedes Element, welches in den Gliedern der Gruppe G (p. 41) vorkommt, ebenso oft in der Gesammtheit der Glieder der Gruppen GI' vorkommt. 3.6. Ist a1a2 ... = II(1 + b), so ist dieses Produkt endlich, wenn L Ibl < g, einer angebbaren Größe. Dasselbe findet statt für a~ a~ ... = II{1 + b'), wenn L Ib'I < g'. Dann ist aber auch I1{1 +b)· I1{1+b') = ala2 ... a~a~ '" endlich, da L Ibl + L Ib'I < g+g'. Daher können zwei unendliche Produkte mit einander multipliciert werden, indem man ein neues Produkt bildet, welches die Factoren beider in ganz beliebiger Reihenfolge zu Factoren hat. Wenn ala2aa ... einen endlichen Werth hat, so hat auch lGI ...12 . laa ... einen endlichen Werth. = 1- l!ibi · Ibil sei gleich ßi, 11 + bil = 'Yi, dann Ist nämlich ai = 1 + b;, so ist hat l41 . l42 ... einen endlichen Werth, wenn ~ + ß~ + ... ausführbar ist. 1'1 1'2

t

Nun läßt sich immer eine Größe 'Y angeben, so daß ~ < ~. 4 (Nämlich mindestens für alle i > n, wo n eine endliche Zahl: 'Y; = 11 + bd ~ 1 - Ibil und, da L Ibil ausführbar ist, so muß für ein beliebig klein gewähltes 8 Ibil < 8, wenn i > n, wo n eine endliche Zahl, also 11 + bi 1 ~ 1 - Ib;j > 1 - 8.) E (~) ist aber nach 3HuRWITZ hat, wohl während der Mitschrift, ein "?" am Rand neben diesen Rechnungen notiert und, offenbar später, noch die Formeln IP/Pnl ~ 1 + lenl und IP/Pnl < 1/{1- s') hinzugef"ugt. 4Neben diesem Satz steht im Manuskript: "Dies scheint falsch.". Die nun folgenden Ausführungen in Klammern sind eine Hinzufügung auf dem Rand, die offenbar späteren Da.tums ist.

44

3 Rechnen mit komplexen Zahlen

Voraussetzung endlich (da ala2 ... endlich sein soll), also auch schließlich l01 . la2 . l03 . . . .

L: ~

und folglich

(ala2a3 ... ) (al. l . l03 ... ) ist nach dem obigen Satze gleich 1. Daraus folgt dann 1 02 die Ausführbarkeit der Division für unendliche Produkte. Nämlich: ( )( I I I ) !!.l. ~ f!a. a'a'a'a' = ala2 a 3··· -a"1 -a'2 . -a'3 ... = a'1 . a'2 . a'3 ... 1 2 3 4'"

a102a301...