Re-Engineering zwischenbetrieblicher Geschäftsprozesse in mittelständischen Strukturen Erfahrungen aus deutschen und österreichischen Unternehmen

Universität Klagenfurt Institut für Wirtschaftswissenschaften Reihe BWL aktuell Nr. 2 Re-Engineering zwischenbetrieblicher Geschäftsprozesse in mitt...
Author: Fanny Adenauer
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Universität Klagenfurt Institut für Wirtschaftswissenschaften

Reihe BWL aktuell Nr. 2

Re-Engineering zwischenbetrieblicher Geschäftsprozesse in mittelständischen Strukturen — Erfahrungen aus deutschen und österreichischen Unternehmen Joachim Fischer

Universität Klagenfurt Institut für Wirtschaftswissenschaften Universitätsstr. 65 - 67 A - 9020 Klagenfurt Telefon: (+43) 04 63 / 27 00 - 494 Telefax: (+43) 04 63 / 27 00 - 6100

Dezember, 1998 COLLEGE OF BUSINESS ADMINISTRATION UNIVERSITY OF KLAGENFURT, AUSTRIA ISBN 3-85496-502-8

Prof. Dr. rer. pol. Joachim Fischer, Professor für Wirtschaftsinformatik 1 – speziell Betriebswirtschaftliche Informationssysteme, Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Universität - Gesamthochschule - Paderborn.

Vorwort der Herausgeber

- III -

Universität Klagenfurt Institut für Wirtschaftswissenschaften o.Univ.-Prof. Dr. Hans- Joachim Bodenhöfer o.Univ.-Prof. Dr. Bernd Kaluza o.Univ.-Prof. Dr. Herbert Kofler o.Univ.-Prof. Dr. Dietrich Kropfberger o.Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Nadvornik o.Univ.-Prof. Dr. Reinhard Neck o.Univ.-Prof. Dr. Heijo Rieckmann o.Univ.-Prof. Dr. Dieter J. G. Schneider

Seit dem Sommersemester 1997 halten im Rahmen der Reihe „BWL aktuell“ an der Universität Klagenfurt namhafte Referenten aus dem In- und Ausland Vorträge zu aktuellen Fragen der Betriebswirtschaftslehre. Damit diese interessanten Themen auch über Kärnten hinaus publik werden, haben wir uns entschlossen, die Vorträge als Arbeitspapiere zu veröffentlichen.

Klagenfurt, im Dezember 1998

Für die Herausgeber

o.Univ.-Prof. Dr. Bernd Kaluza

Re – Engineering zwischenbetrieblicher Geschäftsprozesse

- IV -

Inhaltsverzeichnis

Seite Abbildungsverzeichnis......................................................................................... V 1

Problemstellung.............................................................................................. 1

2

Potentiale und Dimensionen des Re - Engineering ....................................... 2 2.1 Effizienzmanagement............................................................................. 3 2.2 Effektivitätsmanagement........................................................................ 5

3

Maßnahmen des Re-Engineering .................................................................. 7 3.1 3.2 3.3 3.4

Konfiguration zwischenbetrieblicher Geschäftsprozesse ...................... 8 Koordination zwischenbetrieblicher Geschäftsprozesse ..................... 10 Re-Engineering - Unterstützungstechniken ......................................... 12 Re-Engineering-Vorgehen ................................................................... 14

4

Re-Engineering von Geschäftsmodellen mit Hilfe von Electronic Commerce16

5

Zusammenfassung ....................................................................................... 18

Literaturverzeichnis ............................................................................................ 19

Re – Engineering zwischenbetrieblicher Geschäftsprozesse

-V-

Abbildungsverzeichnis

Seite

Abbildung 1: Integrierte Informationsflüsse in einer Branche ............................... 1 Abbildung 2: Einsparungen durch Efficient Consumer Response ........................ 3 Abbildung 3: Effizienzsteigerungen in einer Wertkette......................................... 4 Abbildung 4: Handel als Informationsdrehscheibe ............................................. 11 Abbildung 5: Elemente eines Datenverbundes – dargestellt am Beispiel der Sanitärwirtschaft in Deutschland ................................................... 13 Abbildung 6: Zyklen eines EDI - orientierten Re-Engineering-Vorhabens ......... 15 Abbildung 7: WWWEB ermöglicht kundenorientierte Branchen Informationssysteme...................................................................... 17 Abbildung 8: Elemente des Electronic Commerce.............................................. 18

Re – Engineering zwischenbetrieblicher Geschäftsprozesse

-1-

1 Problemstellung In den letzten Jahren wurden die internen Geschäftsprozesse in vielen Unternehmen überarbeitet und produktiver gestaltet. Es sind deshalb dort keine grossen Rationalisierungsreserven mehr vorhanden. Solche Reserven liegen allerdings nach wie vor in den unternehmensübergreifenden Geschäftsprozessen, wie dies Studien aus den USA und Europa nachweisen. Die Informations- und Kommunikationstechnologie bietet umfangreiche Möglichkeiten, die sich unter dem Schlagwort “Electronic Commerce” zusammenfassen lassen und deren positive Auswirkungen seit den siebziger Jahren propagiert werden. Doch trifft dieser Ansatz geschäftlich auf gewachsene Branchenstrukturen und organisatorisch auf etablierte Unternehmensstrukturen, so dass von integrierten Informations- und Güterflüssen in den meisten Fällen bisher noch nicht gesprochen werden kann.

Informationen: aktuell, präzise, elektronisch

Industrie

Großhandel

Einzelhandel/ Handwerk

Kunde

Güter: art-, mengen-, termin-, ortsgerecht Abbildung 1: Integrierte Informationsflüsse in einer Branche

Es ist festzuhalten, dass sich die Rahmenbedingungen in vielen Branchen in den letzten Jahren erheblich verändert haben. Die Konzentration (z. B. im Handel) bedroht viele mittelständische Unternehmen; das durch Einkaufszentren gewandelte Bild vieler Orte in Deutschland und Österreich zeigt dies deutlich. Infolgedessen steigt die Notwendigkeit, die gewachsenen Strukturen und Abläufe in den Branchen kritisch zu analysieren und innovativ zu überarbeiten. Betrachtet werden in der Folge Geschäftsprozesse in vertikalen Wertschöpfungsketten und horizontalen Netzwerken und deren Re-Engineering. Aufgrund einiger

Re – Engineering zwischenbetrieblicher Geschäftsprozesse

-2-

Praxiserfahrungen werden dazu Beispiele aus der Sanitär-, der Textil- und der Lebensmittelbranche zur Illustration verwendet.

2 Potentiale und Dimensionen des Re - Engineering Werden zwischenbetriebliche Geschäftsprozesse analysiert, so ist auffällig, dass •

die Unternehmen in der Wertkette nur ihre Erfordernisse sowie Prozesse und kaum die der jeweils nächsten Kettenglieder (z. B. Industrie und die des Grosshandels) kennen,



die Erlös- und Kostentreiber den Unternehmen in der Wertkette nicht transparent sind.

Diese fehlende Transparenz in Bezug auf den “Nachbarn” betrifft zum einen operative “Kleinigkeiten” in der Logistik (z. B. Palettenhöhen und –ausnutzung) und Administration (z. B. Weitergabe von Nummern), zum anderen strategische Fragen der Logistiksteuerung (z. B. “Pull” statt “Push”) und des Marketing (z. B. Produktvarianten und -komplexität). Bei einer detaillierten Untersuchung dieser Einflüsse zeigen sich erhebliche Effektivitäts- und Effizienzreserven. US-amerikanische und europäische Studien hinsichtlich der Güter- und Informationsflüsse zwischen Industrie und Handel weisen nach, dass •

kooperative Marketingprozesse in Bezug auf Sortimentsplanung, Produkteinführung und Werbeaktionen



kooperative Logistikprozesse in Bezug auf deren Steuerung, die Kommissionierung und die Versandeinheiten

zu erheblichen Einsparungen führen können. Im Lebensmittelbereich rechnet man in Europa mit Einsparungen von ca. 3% vom Umsatz, die durch “Efficient Consumer Response” (ECR) erzielbar wären1. Ähnliche Grössenordnungen werden für “Quick Response”-Konzepte in der Textilbranche prognostiziert.

1

CCR [Kooperation 1994]

Re – Engineering zwischenbetrieblicher Geschäftsprozesse

-3-

Kosten sparen USA

Kapital sparen USA

Gesamt EU

Sortimente besser

1,3%

0,2%

0,8-0,9%

Effizientere Logistik

2,8%

1,3%

1,5-2,5%

Data Warehouse

Bessere Werbung

3,5%

0,8%

nicht untersucht

Bondatenanalyse

Effektivere Produktentwicklung

0,9%

-

nicht untersucht

Intranet

Summe

8,5

+ = 10,8%

2,3

Einfluß Electronic Commerce

Scanner EDI

2,3 - 3,4%

Quelle: FMI [Effizient Consumer Response 1993], CCR [Kooperation 1994] Abbildung 2: Einsparungen durch Efficient Consumer Response

2.1 Effizienzmanagement Mit Hilfe des zwischenbetrieblichen Effizienzmanagement sollen die Prozesse der beteiligten Unternehmen besser koordiniert und dadurch kostengünstiger gestaltet werden. Kostentreiber können sein •

Volumenschwankungen in der Wertkette, die Puffer (Lagerbestände) oder Kapazitätsschwankungen mit den entsprechenden Kosten auslösen (Kapazitätsmanagement),



Konfigurationsmängel in der Wertkette, durch die unnötige Prozesse (z. B. zusätzliche Kommissioniervorgänge) erforderlich sind und Kosten verursachen (Prozessmanagement).

I n d u s t r i e

Vorgänge:

Abbildung 3: Effizienzsteigerungen in einer Wertkette

16

10. Wareneingang erfassen 11. Rechnung erstellen 12. Forderung verbuchen 13. Rechnung versenden 14. Verbindlichkeit verbuchen 15. Zahlung anweisen 16. Zahlungseingang verbuchen

4. Auftrag erfassen 5. Verfügbarkeit prüfen 6. Bestellung bestätigen 7. Auftrag verfolgen 8. Lieferung ankündigen 9. Versand veranlassen

3. Bestellung

2. Angebot

1. Anfrage

Traditionelle Kommunikation

7.

7.

16.

10

14. / 15.

11. / 12. / 13.

10.

Güterstrom

16.

7

11. / 12. / 13. / 14. / 15.

10.

8. / 9.

3. / 4. / 5. / 6.

4. / 5. / 6.

8. / 9.

1. / 2.

EDIIntegration

3.

2.

1.

EDIKommunikation

H a n d e l

Re – Engineering zwischenbetrieblicher Geschäftsprozesse -4-

Quelle: Scheer [Vorgangsketten 1987]

Re – Engineering zwischenbetrieblicher Geschäftsprozesse

-5-

Effizienzsteigerungen können grundsätzlich erreicht werden durch • einen Austausch von Informationen, die es den beteiligten Unternehmen ermöglicht, die von ihnen beschafften Güter besser dem Bedarf in Produktion und Absatz anzupassen und ihre Prozesse rationeller zu dokumentieren und abzurechnen, Beispiel: Übermitteln Einzelhandelsketten den Zulieferern aktuelle Abverkaufsdaten, können diese ihre Lieferungen nach Art und Menge besser disponieren und nach Absprache das Bestandsmanagement übernehmen. • einen Austausch von Gütern, die von den Beteiligten rationeller transportiert, gelagert oder bearbeitet werden können. Beispiel: Normierte Palettenbreiten und -höhen erleichtern die Lagerung, die Kommissionierung und den Transport. Werden die Prozesse effizienter durchgeführt, ist zu klären, wer die Kosten der Rationalisierungsmaßnahmen trägt und wer deren Früchte ernten darf. Oft investieren und profitieren nicht nur Unternehmen verschiedener Wertschöpfungsstufen in unterschiedlicher Höhe, sondern auch Unternehmen einer Stufe je nach deren Organisations- sowie DV - Stärke, Geschäftserfordernissen und -volumen. Beispiel: Die Einführung des EAN - Nummernsystems und der korrespondierenden Scannertechnik verursacht Kosten, die kaum vom Geschäftsvolumen, stark aber von der Variantenvielfalt des Produktprogramms und der Verpackungsgrössen abhängen.

2.2 Effektivitätsmanagement Wichtiger als die Rationalisierung von zwischenbetrieblichen Geschäftsprozessen ist die Bündelung von Kompetenzen der in der Wertkette miteinander verbundenen Unternehmen, um deren gemeinsamen Marktauftritt zu verbessern. Erlöstreiber können sein •

kundenfokussierte Produkte und Leistungen, die besser auf die Probleme des Kunden ausgerichtet sind (Leistungsmanagement) oder den gesamten Lebenszyklus aus Konfiguration, Nutzung und Entsorgung der Produkte abdekken (Lebenszyklusmanagement), Beispiel: Aufgrund sich kontinuierlich verändernder Umweltbestimmungen und Energiepreise erwartet der Bauherr heute eine zukunftssichere und problemlose Heizungsanlage, die kontinuierlich der technologischen Entwicklung angepasst wird. „Leasingangebote“ wie beim PKW in

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Kooperation zwischen Industrie, Handel und Handwerk wären hier eine sinnvolle Lösung, •

innovative Marketingpolitik hinsichtlich Produkt, Vertrieb, Konditionen und Kommunikation, die durch die Bündelung der wirtschaftlichen und technischen Kompetenzen aller Unternehmen der Wertkette ermöglicht wird (Kompetenzmanagement), Beispiel: Mit Hilfe der Gemeinschaftswerbung Bad hat es die Sanitärwirtschaft in Deutschland in den letzten 20 Jahren vermocht, das Bad in den Mittelpunkt des Wohninteresses der Bevölkerung zu heben und die Durchschnittsinvestition für ein Bad (inflationsbereinigt) auf rund das Vierfache zu heben. Allerdings überfordert die technische Kompliziertheit vieler Badprodukte zunehmend die Handwerker, so dass verstärkte Schulungen durch die Industrieunternehmen notwendig sind.

Effektivitätssteigerungen können grundsätzlich erreicht werden durch • den Austausch aktueller und spezifischer Informationen über den Kundenbedarf in der Wertkette, um in Zusammenarbeit der Unternehmen die Produkte spezifisch für die Kunden zu gestalten, Beispiel: Übermitteln Handwerker Baustellenmerkmale (Badtopographie) einem Badmöbelhersteller, kann dieser massgefertigte Produkte anbieten und aufgrund des späteren Einbaus (nach Fliesen, Keramik) auch zeitgerecht zuliefern (mass customization).2 •

Synergieeffekte im Produktions- und Logistikprozess, durch die für den Kunden Produkte oder Leistungen mit einem höheren Problemlösungspotential entstehen. Beispiel: Stimmen Sanitärunternehmen mit komplementären Produkten (z. B. Wannen-, Duschkabinen- und Armaturenhersteller) Farben und Design sowie die technischen Eigenschaften ihrer Artikel aufeinander ab, erspart sich der Kunde Zeit und Kosten bei der Badkonfiguration und dem -einbau und erzielt ein geschmacklich und technisch hochwertiges Gesamtprodukt „Bad“.

Auch bei der effektiveren Gestaltung der Prozesse ist zu klären, wer die Kosten trägt und wie die Erlöserhöhungen zu verteilen sind. 2

Pine [Massenfertigung 1994], Mertens [Mass Customization 1995].

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3 Maßnahmen des Re-Engineering Das zwischenbetriebliche unterscheidet sich vom innerbetrieblichen Engineering in einer Reihe weicher Faktoren, z. B.

Re-

• in den oft nicht eindeutigen Macht- und Koordinationszentren bei der Zusammenarbeit, • in den unterschiedlichen Unternehmenskulturen, • in den heterogenen Zielen der beteiligten Unternehmen. Hinzu kommen harte Einflussfaktoren wie • heterogene Begriffs- und Nummerierungssysteme im Informations- und Güterfluss (z. B. Farbbezeichnungen), • heterogene Logistik- und Transporteinheiten (z. B. Verpackungsgrössen), • heterogene Informations- und Kommunikationssysteme, • unklare Kostenteilungsmodalitäten für die notwendigen Investitionen. Oft wird das Re-Engineering von dem Bestreben getrieben, die Vorteile der modernen Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) in einer Branche zu nutzen. Allerdings können diese Techniken nur dann Geschäftsprozesse erfolgreich unterstützen, wenn deren Erfolgsfaktoren und die Ziele aller beteiligten Unternehmen vorher eindeutig geklärt sind. Der Impuls und die Maßnahmen zum Re-Engineering der Geschäftsprozesse müssen daher erfahrungsgemäss aus den hohen Managementebenen der Unternehmen und den Institutionen einer Branche (z. B. Verbände) kommen. Impulse werden häufig von krisenhaften Entwicklungen (z. B. Konjunktureinbrüchen) oder Strukturbrüchen (z. B. Auftreten neuer Unternehmenstypen am Markt) initiiert, da sonst i. d. R. die Beharrungskräfte in einer Branche ein Re-Engineering von Geschäftsprozessen verhindern. Diese konservative Kräfte können heute kaum noch mit den Kosten der Unterstützungstechniken argumentieren, da diese angesichts des erzielbaren Nutzens vernachlässigt werden können. Statt dessen werden (oft implizit) als Gegenargumente betont • das im Vorfeld erforderliche Re-Engineering der innerbetrieblichen Prozesse, für das die Mitarbeiter und das Know-how fehlen würde und daher auf teure Berater zurückgegriffen werden müsste,

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• die Transparenz der zwischenbetrieblichen Prozesse (z. B. Artikel, Preise), die die Existenz ganzer Strukturen (z. B. des mittelständischen Handels) in der Branche erschweren würde. Beispiel: Eine branchenweit einheitliche Artikelnummer erleichtert tendenziell den Produkt- und Preisvergleich, der auch computergestützt erfolgen kann. Allerdings erfordert der Einsatz von Electronic Commerce einheitliche und eindeutige Nummern. Beide Gegenargumente sind zwar isoliert gesehen tendenziell richtig, vernachlässigen jedoch, dass Konzerne mit Vorliebe in solchen Branchen angreifen, in denen durch horizontale oder vertikale Integration Gewinnvorteile zu erreichen sind. Beispiele:

Spielwarenketten, Baumärkte, Elektronikmärkte

Mittelständische Strukturen sind nur dort zu erhalten, wo es gelingt, durch ReEngineering der Geschäftsprozesse die Integrationsvorteile eines Konzerns auszugleichen.

3.1 Konfiguration zwischenbetrieblicher Geschäftsprozesse Geschäftsprozesse müssen in den Dimensionen Markt, Technologie und Logistik konfiguriert und koordiniert werden. Bei der Konfiguration zwischenbetrieblicher Geschäftsprozesse ist festzulegen, • welche Art von Güter- und Informationsobjekten, • für welche Kunden auf welchen Märkten, • zwischen welchen Akteuren der Wertschöpfungskette • über welche Kanäle ausgetauscht werden sollen. Dabei ist die Arbeitsteilung innerhalb der Wertschöpfungskette und deren Erfolgsfaktoren gegenüber konkurrierenden Ketten zu identifizieren. Diese können durchaus von den unternehmensindividuellen Faktoren abweichen. Beispiel: Der traditionelle dreistufige Vertriebsweg der Sanitärbranche (Industrie, Grosshandel und Handwerker) wird durch Baumärkte bedroht, die ein preisgünstigeres und oft auch tieferes Sortiment dem Bauherren anbieten, zunehmend auch Handwerker vermitteln und damit nicht mehr allein den Do - it - yourself - Markt bedienen. Ziel des dreistufigen Vertriebsweges könnte es sein,

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• die Kundenbindung durch bessere Badplanungs- und Badserviceprozesse zu erhöhen, • das sehr breite und tiefe Produktangebot der Industrie über Handwerker und Handel dem Bauherren zu präsentieren, • die Produktivität der Handwerker zu erhöhen, um den Lohnkostendruck zu vermindern, • die Kosten der Güter- und Geldlogistikprozesse zwischen Industrie, Handel und Handwerk auf ein Mass zu senken, das mit den Baumarktketten konkurrieren kann. Es handelt sich dabei um Aufgaben, die kein einzelnes Industrie- oder Handwerksunternehmen, vielleicht jedoch ein grosser Handelskonzern übernehmen könnte, der allerdings dabei die noch mittelständisch geprägten Strukturen der Sanitärbranche zerstören würde. Die Rollenverteilung in einer Branche hängt von der wirtschaftlichen Macht und der Kompetenz der Marktpartner ab. Oft ist die Machtverteilung in einer Branche und damit auch die Konfigurationsrolle eindeutig. Beispiel: In der Automobilindustrie bestimmen die PKW - Produzenten, in welchen Verpackungseinheiten die Zulieferer in welcher Frequenz liefern und welche Nachrichten dazu in der Logistik elektronisch ausgetauscht werden. In mittelständisch strukturierten Branchen ist die wirtschaftliche Machtverteilung oft nicht so eindeutig. Sie verändert sich in vielen Fällen kontinuierlich z. B. durch Konzentration auf einer Wertschöpfungsstufe. Beispiel: Auch im Sanitärhandel findet eine starke Konzentration statt, die das Gleichgewicht zwischen Industrie, Handel und Handwerk und den Wettbewerb im Handel selbst verändert. Grosse Handelsunternehmen kreieren Handelsmarken (und bedrohen dadurch die Industrie) und arbeiten verstärkt mit „Vertragshandwerkern zusammen“ (und bedrohen dadurch das unabhängige Handwerk). Für den Bauherrn kann eine Konfiguration der Artikel und des Einbaus durch den Handel positiv sein, da er eine technisch und geschmacklich abgestimmte Leistung aus einer Hand bekommt. Existiert kein eindeutiges Machtzentrum, können Branchenverbände, externe Berater oder auch Unternehmen anderer Branchen die Konfigurationsaufgabe der Geschäftsprozesse übernehmen.

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Beispiel: In der Baubranche übernehmen immer häufiger Bausparkassen die Konfigurationsrolle, indem sie Baugebiete erschliessen, Musterhäuser konzipieren und Arbeitsgemeinschaften aus lokalen Handwerkern zusammenstellen und mit Finanzierungsangeboten für den Bauherren kombinieren. Berater sind dann zu empfehlen, wenn Technologie- oder Marktentwicklungen traditionelle Branchenstrukturen grundsätzlich bedrängen und innerhalb der Branche das erforderliche Know - how nicht vorhanden ist.

3.2 Koordination zwischenbetrieblicher Geschäftsprozesse Auf der Basis getroffener Konfigurationsentscheidungen wird dann im Rahmen der Koordination das zielorientierte Zusammenwirken der Marktpartner hinsichtlich der Marketing- und Logistik-Prozesse gesteuert. Durch das abgestimmte Zusammenwirken können individuell neue Koordinationsspielräume in inhaltlich und zeitlicher Hinsicht entstehen. Beispiel: Ein Badmöbelhersteller realisiert bisher seine Differenzierungsstrategie durch „kundenindividuelle Produkte“ über ein Baukastensystem aus Farb-, Mass-, Beleuchtungs-, Spiegelvarianten etc. Dessen Teile werden auf Lager gehalten, um dem Lieferzeitdruck des Grosshandels zu begegnen. Die Vermögensbindungskosten belasten das Unternehmen erheblich. Da Badmöbel im Produktionsprozess eines Bades recht spät eingebaut werden, kann durch frühzeitige Kommunikation mit den Handwerkern die Anbahnungs- und Planungsphase frühzeitiger erfolgen, die Produktionsphase verlängert werden und Fehlmengen- und Lagerkosten gespart werden.3 Diese Koordinationsaufgabe sollte weit weniger von der wirtschaftlichen Macht der Marktteilnehmer abhängen, sondern stärker von deren Markt- und Logistikkompetenz. Der Handel versteht sich traditionell als Vermittler von Ware, der seine Aufgabe eher im Güter- (Sortimentspolitik, Lagerhaltung) als im Informationsfluss sieht. Bei einem Re-Engineering der Geschäftsprozesse wird der Handel jedoch zugleich zur Waren- als auch zur Informationsdrehscheibe, der • Informationen gewinnt, analysiert und adressatengerecht weiterleitet, • den Güter- mit dem Informationsfluss koordiniert und dazu die Marketingpolitik, insbesondere die Produktpolitik, in der Wertkette koordiniert.

3

Kaluza / Klenter [Zeit 1992]

Re – Engineering zwischenbetrieblicher Geschäftsprozesse

Daten analysieren

Daten erfassen (am Point of Sale)

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Daten in Aktion umsetzen (Makromarketing)

Informationsdrehscheibe Handel Daten analysieren Daten in Aktion umsetzen (Mikromarketing)

Daten bewegen

Abbildung 4: Handel als Informationsdrehscheibe

Selbstverständlich kann auch ein neutrales, an der Wertschöpfung der Branche im strengen Sinne nicht beteiligtes Unternehmen (z. B. ein Logistikdienstleister) die Koordinationsfunktion übernehmen. Grundsätzlich sind folgende Koordinationsformen zu unterscheiden: • die Pull - Koordination • die Push - Koordination Durch den Grundsatz „Information steuert Ware“ soll das traditionelle Hineinverkaufen in den Absatzkanal (Push-Koordination) durch einen Nachfragesog aus dem Absatzkanal heraus (Pull-Koordination) ersetzt werden.4 Die PullKoordination der Marketing- und Logistik-Prozesse basiert auf einem aktuellen und umfassenden Informationsstrom vom Point-of-Sale zum Produzenten. Sie vermeidet dadurch Über- und Fehlproduktionen, erfordert bei gleichen Prozessund Ressourcenstrukturen aber höhere Lieferzeiten oder höhere Pufferbestände. Bei einer Push-Koordination wird versucht, das Angebot durch absatzpolitische Maßnahmen (Preise, Werbung) in den Markt zu drücken.

4

Becker / Rosemannn [Logistik 1993].

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3.3 Re-Engineering - Unterstützungstechniken Die Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) ist ein wesentliches Hilfsmittel für das Re-Engineering zwischenbetrieblicher Geschäftsprozesse, da sie die Zeiten und Kosten von Transaktionen senken und deren Zielsicherheit steigern kann. Die Faszination über den technischen Fortschritt darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die IKT bisher nur begrenzt dazu in der Lage ist, semantisch gehaltvolle Informationen („Wissen“) zu gewinnen und zu kommunizieren, und daher menschliche Interpretationsfähigkeit benötigt wird. Beispiel: Scannerkassen sind in der Lage, die von Kunden gekauften „Warenkörbe“ zu erfassen. Daraus lassen sich dann Beziehungen zwischen Warengruppen („Käsebon“ enthält zu 80% auch Rotwein) und Umsatzhöhen ableiten. Bisher ist es aber nicht gelungen (z. B. mit statistischen Verfahren), daraus Kunden- oder Kauftypen abzuleiten. Die Probleme liegen sowohl in den sehr breiten und tiefen Sortimenten im Lebensmittelhandel als auch in der Heterogenität der Artikel. Will man die IKT für die Kommunikation und Verarbeitung von Geschäftsverkehrs-, Markt- und Technikinformationen über Produkte, Marktpartner, Prozesse usw. nutzen, sind somit die Informationen semantisch und syntaktisch präzise zu definieren. Als Basis bieten sich international normierte Nachrichtenaustauschformate wie EDIFACT (Electronic Data Interchange for Finance, Administration, Commerce and Transport) an. Beispiel: Erfahrungen in der Sanitär- und Baubeschlagsbranche zeigen, dass EDIFACT eine sehr mächtige, aber auch komplizierte Norm ist, die vor einem Einsatz auf die Produkte und Prozesse der jeweiligen Branche zuzuschneiden ist (Subset - Bildung). Der elektronische Geschäftsdatenaustausch setzt zudem eine einheitliche Artikelnummerierung in der Branche voraus, was bei der Heterogenität der Sanitärprodukte, z. B. von der Wanne über die Armatur bis zur Rohrschelle, erheblicher Vorarbeiten bedarf. Einheitliche Artikelnummern wecken zudem Befürchtungen einer stärkeren Vergleichbarkeit von Artikeln und Konditionen. Diese begriffliche Durchdringung der Geschäftsprozesse und Geschäftsobjekte unter den beteiligten Unternehmen mit dem Ziel abgestimmter Nachrichten ist zeitaufwendig, ist aber nicht nur Vorbedingung für den IKT – Einsatz, sondern führt auch zu einem gemeinsamen Verständnis als Vorstufe des Re-Engineering. Wichtig sind dabei abgestimmte Stammdaten z. B. über Artikel.

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Beispiel: Da uneinheitliche Artikeldaten viele Jahre den elektronischen Datenaustausch von Geschäftsnachrichten (z. B. Bestellungen) erschwerte, hat die deutsche Sanitärwirtschaft seit 1995 einen Produktstammdaten - Server aufgebaut, der vom Industrieverband finanziert und in seinem Auftrag betrieben wird. Dieser versorgt mehrmals im Jahr alle Marktpartner mit den aktuellen Artikelstammdaten der Industrie und ggf. des Handels und soll auch den interaktiven Zugriff erlauben. Eine ähnliche Lösung auf der Basis des EDIFACT - Standards wird auch in Österreich etabliert. Im Vergleich zu diesen organisatorischen Vorarbeiten sind der Zeitaufwand und die Geldausgaben für die erforderliche Informations- und Kommunikationstechnik vernachlässigbar und übersteigt für ein mittelgrosses Unternehmen kaum die Kosten eines Mittelklasse - PKW. Artikeldaten EDITEC, Datanorm

Geschäftsdaten EDITEC

Industrie

BestellFrontend

Installateur Planer/Architekt

Großhandel KalkulationsFrontend

Artikeldaten EDITEC, Datanorm Artikeldaten EDITEC, Datanorm

RechercheFrontend

Badplan 3D-CD Artikeldaten: Badplan-Preise

Artikeldaten EDITEC, Datanorm

Artikeldaten

Badplan 3D Anwender

Stammdatenserver

Großhändler, Installateur, Planer / Architekt

Abbildung 5: Elemente eines Datenverbundes – dargestellt am Beispiel der Sanitärwirtschaft in Deutschland

Neben dem Einsatz der unternehmensinternen IKT - Komponenten ist es sinnvoll, zwischenbetriebliche Komponenten für die Prozessunterstützung zu verwenden. Es handelt sich dabei um Komponenten • für die Stammdatenversorgung (z. B. Stammdaten - Server), • für die Archivierung der Nachrichtenaustauschformate, Beispiel: EDIFACT existiert in unterschiedlichen Release - Ständen, die sich häufig ändern. Nicht jedes Unternehmen wird seine eigenen Systeme ohne Verzug auf das neue Release umstellen können. Zudem ist es gezwungen, EDIFACT - Nachrichten über viele Jahre nachvoll-

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ziehbar für die Finanzbehörden zu archivieren. Eine unternehmensübergreifende Archivierung der Release - Stände ist kostengünstig und sichert eine störungsfreie Kommunikation auch mit unterschiedlichen Release - Ständen. • für die Unterstützung von Geschäftsprozessen insbesondere für mittelständische Marktpartner. Beispiel: In der Sanitärbranche wurden für die Handwerks- und Handelsunternehmen Softwarekomponenten geschaffen, mit denen diese Marktpartner Bäder planen, nach technisch und geschmacklich passenden Artikeln recherchieren und diese aus ihrer Marktlage heraus kalkulieren können.

3.4 Re-Engineering-Vorgehen Beim Re-Engineering zwischenbetrieblicher Geschäftsprozesse ist es wichtig, dass in überschaubarer Zeit umsetzbare und für sich allein einsetzbare Ergebnisse erzielt werden, da • in turbulenten wirtschaftlichen Zeiten sonst die Gefahr eines Projektabbruchs wegen geänderter Prioritäten in einzelnen oder allen Unternehmen besteht, Beispiel: Ein EDI -Projekt in der deutschen Bauzulieferbranche wurde nach erfolgreichen Pilotversuchen unterbrochen, als es im Zuge der Vereinigung der beiden deutschen Staaten zu einem Bauboom kam und die Prioritäten sich von der Rationalisierung auf Marktbearbeitung verschoben. Als nach fünf Jahren der Boom vorbei war und man sich des EDI - Projekt erinnerte, war die Technik so weit fortgeschritten, dass man vollständig neu beginnen musste. • die Beharrungskräfte in einer Branche erfahrungsgemäss nach einem Jahr (z. B. zur Jahresversammlung des Branchenverbandes) das Fehlen von Ergebnissen zu Skepsisbekundungen und nach zwei Jahren zum Projektabbruch nutzen, • die Fluktuation in den Re-Engineering-Gremien und der damit verbundene Wissensverlust mehrjährige Vorhaben ohne einsetzbare Zwischenergebnisse unproduktiv macht. Wir schlagen deshalb vor, ein Re-Engineering der zwischenbetrieblichen Geschäftsprozesse in mehreren Schritten durchzuführen. Um dieses schrittweise Vorgehen strategisch auszurichten, wird vorgeschaltet ein Leitbild für die Geschäftsprozesse der Branche entwickelt.

Re – Engineering zwischenbetrieblicher Geschäftsprozesse

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Das Leitbild beschreibt markant und realistisch die Ziele des Re-Engineering zwischenbetrieblicher Geschäftsprozesse und verknüpft diese mit den strategischen Erfolgsfaktoren der betrachteten Wertschöpfungskettenkonfiguration (z. B. dreistufiger Vertriebsweg) innerhalb einer Branche. Beispiel: Das Gesamtprodukt „Bad“ im Stellenwert des Bauherren höher zu positionieren und dessen Kaufentscheidung durch umfassende Badplanung und termintreue und baustellengerechte Güterlogistik zu stützen. Ein Leitbild wird durch „Motoren“ auf „Schienen“ vorangetrieben. Schienen sind z.B. Unterstützungstechniken wie Informations- und Kommunikationssysteme, gemeinsame Marketingkampagnen oder die branchenweite Aus- und Weiterbildung von Mitarbeitern. „Motoren“ beschreiben die Kräfte und das abgestimmte Vorgehen, denen die Beteiligten planmässig folgen. Schritte Zyklen

Analyse

Modellieren

Artikelnummern

• Nummernsysteme Partner • Organisatorische und politische Gründe • ArtikelStammdaten Partner • Kunden- / LieferantenStammdaten • Geschäfts-, Markt- und TechnikDatenaustausch • Kommunikationssysteme der Partner • Kommunikationserfordernisse

• Nummern• Ergänzung systeme bei NummernsyPartnern imsteme Partplementieren ner um Branchennummern • Stammdaten- • Stammdaten• EDIFACT – austausch bank (zentral Stammdatenoder dezenstrukturen tral)

Stammdaten

Nachrichtenformat

EDI - Infrastruktur

Organisieren

Realisieren

• neues Branchennummernsystem

• EDIFACT Branchensubset

• EDIFACT Erprobungsprojekt

• EDIFACT Nachrichtendatenbank

• EDI - Netz- / • EDI - Pilotbe- • EDI - GeDienststruktur trieb schäftsdatenaustausch • Branchen Datenbanken

Abbildung 6: Zyklen eines EDI - orientierten Re-Engineering-Vorhabens

Als „Motor“ in zwischenbetrieblichen Praxisprojekten auf der Schiene „Informations- und Kommunikationstechnologie“ hat sich ein iteratives Vorgehen bewährt, in dem nach jeweils vier Schritten einsetzbare Zwischenergebnisse erzielt werden.

Re – Engineering zwischenbetrieblicher Geschäftsprozesse

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Im ersten Schritt: Analyse wird ein zentrales Element der Branchen - Geschäftsprozesse erhoben und auf Verbesserungsmöglichkeiten untersucht. Im zweiten Schritt: Modellieren wird ein fachliches bzw. technisches Sollkonzept für das zu renovierende Element entworfen und in Modellen auf seine wirtschaftlichen und organisatorischen Auswirkungen untersucht. Im dritten Schritt: Organisieren wird ein Vorgehensmodell entwickelt, wie das Sollkonzept in den Unternehmen und in der Branche organisatorisch und technisch umgesetzt werden soll. In der abschliessenden vierten Phase eines Zyklus: Realisieren wird das Sollkonzept zunächst in einigen, später dann in allen teilnehmenden Unternehmen der Branche umgesetzt. Aufgrund der dabei gewonnenen Erfahrungen wird dann entweder in die Vorphasen zurückgesprungen oder ein neuer Zyklus begonnen, in dem ein weiteres Element der Geschäftsprozesse renoviert wird.

4 Re-Engineering von Geschäftsmodellen mit Hilfe von Electronic Commerce Mit Informations- und Kommunikationstechnologien sind tendenziell nicht nur traditionelle Geschäftsprozesse neu zu gestalteten, sondern auch neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Dabei •

wird die Arbeitsteilung zwischen den Unternehmen neu gestaltet, Beispiel: Mittelständische Sanitärhändler kooperieren miteinander in der kostenintensiven Ersatzteilhaltung, indem die dezentralen Bestände in einer Teile – Datenbank verwaltet werden, auf die alle beteiligten Unternehmen Zugriff haben. Der Austausch der Teile erfolgt per Paketdienst.

• werden die Produkte und Leistungen neu überdacht, Beispiel: Mit Hilfe einer IKT – Infrastruktur der Branche kann ein Sanitärhändler zum Komplettsortimenter werden, der über Datenbanken alle Artikel der Industrie recherchieren, kalkulieren und anbieten kann, ohne diese notwendigerweise selbst auf Lager zu haben. • werden die Vertriebskanäle neu überdacht. Beispiel: Anbieter komplementärer Artikel (z. B. Keramik, Armaturen, Wannen, Möbel) können unter einem einheitlichen Markennamen das Produkt „Bad“ konfigurieren und vertreiben, ohne dass dem Kunden die Identität des einzelnen Unternehmens bekannt wird. Unter “Electronic Commerce” werden alle elektronischen Technologien verstanden, die eine Zusammenarbeit zwischen Organisationen ermöglichen. Mit elektronischen Kommunikationstechniken können sich Unternehmen wenden an

Re – Engineering zwischenbetrieblicher Geschäftsprozesse



Haushalte (business to consumer)



andere Unternehmen (business to business)

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• Organisationseinheiten (team to team) Mit Hilfe der Internet - Technologie sind Branchen - Informationssysteme zu entwickeln, bei denen die Unternehmen einer Branche hinter einem einheitlich gestalteten „elektronischen Portal“ dezentral Informationen über ihre Leistungen anbieten.

Abbildung 7: WWWEB ermöglicht kundenorientierte Branchen - Informationssysteme

Wird ein solches System so erweitert, dass die Kunden auch Bestellungen plazieren können, spricht man von „elektronischen Malls“ (Markthallen). Elektronische Nutzergruppen (communities) entstehen, wenn Kunden und Anbieter untereinander Erfahrungen über die Produkte, Wünsche und Vorschläge austauschen. Der Boom des Internets basiert darauf, dass die Infrastruktur kostenlos und die erforderliche Hard- und Software für „Portalsysteme“ sehr preiswert angeboten werden. Allerdings sind die Kosten für die inhaltlich und technisch abgestimmte Aktualisierung der dezentralen Informationssysteme nicht unerheblich. Elektronische Malls sind viel aufwendiger, hinzu kommen in der Regel erhebliche Kosten für die Realisierung eines Electronic Commerce-Ansatzes in der Organisation und in der Logistik der beteiligten Unternehmen. Pionierunternehmen (z. B. Buchhändler) zahlen bei Electronic Commerce bisher erhebliches Lehrgeld und agieren daher unter dem Dach eines finanzstarken

Re – Engineering zwischenbetrieblicher Geschäftsprozesse

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agieren daher unter dem Dach eines finanzstarken Konzerns. Die verschiedenen Elemente des Electronic Commerce zeigt Abbildung 8.

Electronic Commerce = alle Technologien, die Zusammenarbeit zwischen Organisationen elektronisch ermöglichen

Businessto consumer * WWWEB * E - Mail

Team toteam • Intranet & Groupware • Extranet

Businessto business • Electronic Data Interchange (EDI) • Data Warehouse

Internet - Technik und Dienste

• preiswerte Basistechnik und weltweit billige Übertragung Kommerzielle • hohe technische und wirtschaftliche Dynamik Dienste • z. T. langsam Abbildung 8: Elemente des Electronic Commerce

5 Zusammenfassung In den internen Geschäftsprozessen stecken in vielen Unternehmen nur noch geringe Effektivitäts- und Effizienzreserven. Deshalb sollte danach gestrebt werden, die Reserven in unternehmensübergreifenden Prozessen zu analysieren und zu mobilisieren. Grosse Unternehmen nutzen diese Reserven durch vertikale und horizontale Integration und bedrohen mit den damit verbundenen Konzentrationstendenzen den Mittelstand in vielen Branchen. Oft resultiert der Impuls zur Renovierung unternehmensübergreifender Geschäftsprozesse im Mittelstand aus krisenhaften Bedrohungen traditioneller Strukturen z. B. durch Technologie- oder Marktentwicklungen. Allerdings fehlen in diesen Krisen oft die Zeit und die Ressourcen zum umfassenden Re-Engineering zwischenbetrieblicher Geschäftsprozesse. Es gelingt oft nur ein „Stückwerk“, das nur kurzfristig genutzt wird. Auch gilt für die Prozesse zwischen den Unternehmen, dass Re-Engineering eine kontinuierliche Aufgabe ist. Dabei ist die Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) ein wichtiges Hilfsmittel, aber auch nicht mehr. Weder ist deren Einsatz (z. B. EDI, Internet) allein ein Garant für effektivere und effizientere Geschäftsprozesse, noch ist das Re-Engineering zwischenbetrieblicher Prozesse zwingend mit veränderter IKT verbunden.

Re – Engineering zwischenbetrieblicher Geschäftsprozesse

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Bisher erschienene Beiträge in der Reihe BWL aktuell

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Bisher erschienene Beiträge in der Reihe BWL aktuell

Nr. 1

Jürgen Hauschildt Promotoren— Antriebskräfte der Innovation November 1998 ISBN 3-85496-501-X

Nr. 2

Joachim Fischer Re-Engineering zwischenbetrieblicher Geschäftsprozesse in mittelständischen Strukturen — Erfahrungen aus deutschen und österreichischen Unternehmen Dezember 1998 ISBN 3-85496-502-8

Bisher erschienene Beiträge in der Reihe BWL aktuell

Kontaktadresse: Dipl.-oec. Thorsten Blecker Universität Klagenfurt Institut für Wirtschaftswissenschaften Abteilung Produktions-, Logistik- und Umweltmanagement Universitätsstr. 65 – 67 A-9020 Klagenfurt Tel.: +43-463-2700-847 Fax.: +43-463-2700-849 email: [email protected]

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