Rainer Schmidt. Johannes Hahn

“ Ich habe das große Glück, bei meiner Arbeit meine Stärken genießen zu können und mich nicht auf meine Schwächen konzentrieren zu müssen. Das unmitt...
Author: Jesko Hermann
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Ich habe das große Glück, bei meiner Arbeit meine Stärken genießen zu können und mich nicht auf meine Schwächen konzentrieren zu müssen. Das unmittelbare, meist positive Feedback, lässt mich wie ein Fisch im Wasser fühlen.

Rainer Schmidt



Johannes H

ahn

Referent, mehrfacher Paralympicssieger im Tischtennis, Kabarettist und Pfarrer Schmidt wurde ohne Unterarme und mit einem verkürzten rechten Oberschenkel geboren

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Arbeit Prof. Dr. Mathilde Niehaus | Jana Bauer | Stephanie Kohl

Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Erwerbsleben in Deutschland

Wer ist behindert? Unsere Bilder über Frauen und Männer mit Behinderungen sind sowohl von unseren kulturellen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen als auch von unseren (fehlenden) persönlichen Erfahrungen geprägt. Wenn die Leserin und der Leser sich ihrer/ seiner eigenen Bilder bewusst werden will, dann bieten folgende Fragen Anregungen: 1) Wenn Sie an einen Menschen mit Behinderung denken, welches Bild kommt Ihnen spontan in den Sinn? 2) Was meinen Sie, welche Ursachen gibt es für Behinderungen? 3) Haben Sie persönlich Freunde oder Arbeitskollegen/-kolleginnen, die eine Behinderung haben? Die imaginierten Antworten können nun kontrastiert werden mit empirischen Befunden. Als Kontrast bietet sich die amtliche Statistik in Deutschland an, in der die Personen mit einem Schwerbehindertenausweis gezählt werden. In Deutschland gibt es keine Meldepflicht einer Behinderung, sondern nur auf Antrag der betroffenen Person selbst kann ein

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Cid Torquato

Ausweis auf Anerkennung der Behinderung ausgestellt werden. In der Bundesrepublik Deutschland lebten 2013 rund 3,3 Millionen Menschen mit Behinderung im erwerbsfähigen Alter1. Manche lassen sich keinen Ausweis ausstellen, so dass man davon ausgehen kann, dass die Anzahl größer ist. Eine Zahl, die groß ist und zunächst unseren alltäglichen Eindrücken zu widersprechen scheint. Denn immer dann, wenn von Menschen mit Schwerbehinderungen die Rede ist, haben wir Bilder im Kopf von Personen im Rollstuhl, mit Seh- oder Gehbehinderung, meist Männer mit Behinderung oder von Gruppen so genannter ‚geistig behinderter‘ Kinder. Zu bedenken ist, dass mit Behinderungen nicht nur die „klassischen“ Beeinträchtigungen gemeint sind, sondern auch Auswirkungen von schweren körperlichen und psychischen Erkrankungen. Tatsächlich ist sogar der überwiegende Anteil der Behinderungen nicht angeboren, sondern erworben, tritt also erst im Laufe des (Arbeits)lebens auf. Zusammenfassend: Der Mehrzahl der Menschen mit Behinderungen sieht man die Beeinträchtigung auf den ersten Blick nicht an. Die negativen gesellschaftlichen Bewertungen des „Behindertenstatus“ tragen dazu bei, dass viele Betroffene sich zurückziehen, sich nicht offenbaren, und sich als ein Einzelschicksal sehen. Positive Beispiele von selbstbewussten Frauen und Männern, die aus der Vereinzelung heraustreten und ihre Interessen öffentlich artikulieren, können als Vorbild dienen und Mut machen, aktiv zu werden.

www.rehadat-statistik.de/de/behinderung/Schwerbehindertenstatistik/index.html

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den führenden Unternehmen der Automobilindustrie Ausbildungsplätze für junge Menschen mit Behinderungen geschaffen werden. Beteiligt waren u.a. Großunternehmen wie die Daimler Für junge Menschen mit Behinderungen, die AG und die nordrhein-westfälische Hans Hess nach der Schule eine Ausbildung absolvieren Autoteile GmbH. Im Fokus stand die Entwickwollen, stehen neben dem regulären Weg über lung barrierefreier Ausbildungsverhältnisse. Es die Ausbildung im Betrieb auch besondere außerwurde deutlich, dass vor allem Barrieren in den betriebliche Einrichtungen wie z.B. die sogenanKöpfen der betrieblichen Akteure und Bewernten Berufsbildungswerke (BbW) zur Verfügung. ber angesprochen und nachhaltig aufgelöst werNach Verlassen der Schule kann beispielsweise den müssen. Begonnen wurde dazu mit einer durch die Teilnahme an einer berufsvorbereitenAnalyse des Rekrutierungs- und Ausbildungsden Bildungsmaßnahme (BvB) in einem BbW die prozesses. Als Barriere wurde zum Beispiel geAusbildungsreife entwickelt werden, sofern dies nannt, dass es an Kenntnis notwendig wird. mangelt, um das tatsächliche Eine betriebliche AusbilMehr als die Hälfte Leistungspotenzial von Bedung zu finden und erfolgder Jugendlichen mit werberinnen und Bewerbern reich zu absolvieren, kann für Behinderungen nehmen mit Behinderungen an eidie Jugendlichen in vielfacher nem konkreten Arbeitsplatz Hinsicht eine Herausfordeihre Ausbildung in einer einschätzen zu können. Als rung darstellen. Mehr als die außerbetrieblichen mögliche Lösung für dieses Hälfte der Jugendlichen mit Einrichtung auf Problem wurden PartnerBehinderungen nehmen ihre schaften mit Förderschulen Ausbildung in einer außervorgeschlagen. In enger Kooperation zwischen betrieblichen Einrichtung auf. Für das weitere Förderschule und Betrieb könnten BetriebsBerufsleben vermitteln diese Ausbildungen gupraktika angeboten werden, was eine bessere tes Fachwissen, jedoch wirkt sich fehlende beEinschätzung der konkreten Passung eines Betriebliche Erfahrung oft negativ auf die weiteren werbers auf einen Ausbildungsplatz ermöglicht. Beschäftigungsperspektiven aus. Daher wird bei Die identifizierten Barrieren und entsprechende den neueren außerbetrieblichen AusbildungskonHandlungsempfehlungen wurden in einer Brozepten verstärkt auf eine Kooperation oder Verschüre veröffentlicht. zahnung mit kooperierenden Betrieben geachtet. Ein weiteres Angebot für diejenigen, für die eine Berufsvorbereitung oder Ausbildung (noch) nicht in Frage kommt, die aber das Potential besitPraxisbeispiel berufliche Ausbildung zen, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu arbeiten, ist die Unterstützte Beschäftigung (§ 38a SGB Zur Förderung der Ausbildung und BeschäfIX). Dabei wird nach dem Prinzip „erst platzieren, tigung von Menschen mit Behinderungen auf dann trainieren“ verfahren: Trainer unterstützen dem ersten Arbeitsmarkt wurde durch das Bunund begleiten direkt vor Ort im Betrieb. Seit Bedesministerium für Arbeit und Soziales die Initiginn dieses Angebots wird es verstärkt nachgeative „job – Jobs ohne Barrieren“ ins Leben gefragt, da es größtmögliche Wahlfreiheit der Menrufen. Im Rahmen dieser Initiative wurde auch schen mit Behinderungen ermöglicht und direkt das Projekt „AutoMobil: Ausbildung ohne Barvor Ort in den Betrieben ansetzt. rieren“2 gefördert. Durch das Projekt sollten in Menschen mit Behinderungen in der beruflichen Ausbildung

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www.bwpat.de/content/ht2011/ft05/niehaus-etal/

Menschen mit Behinderungen im Arbeitsleben Arbeit ist ein Menschenrecht. Wie in Artikel 27 der UN-BRK (Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen) festgehalten, haben Menschen mit Behinderungen „das gleiche Recht […] auf Arbeit; dies beinhaltet das Recht auf die Möglichkeit, den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, die in einem offenen, integrativen und für Menschen mit Behinderungen zugänglichen Arbeitsmarkt und Arbeitsumfeld frei gewählt oder angenommen wird.” Ist dieser Anspruch in Deutschland schon Wirklichkeit geworden?

Allgemeiner Arbeitsmarkt und Quotenregelung In Deutschland sind sowohl private Unternehmen als auch öffentliche Arbeitgeber rechtlich (Sozialgesetzbuch IX, § 71) verpflichtet, Menschen mit Behinderungen einzustellen und zwar

auf ca. 5% ihrer Arbeitsplätze. Viele Unternehmen kommen aber dieser Verpflichtung nicht nach und zahlen an den Staat pro unbesetzten Pflichtplatz monatlich zwischen 105 und 290 Euro. Diese gezahlten Beträge werden im Ausgleichsabgabefond gesammelt und in unterschiedlicher Form wieder für die Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben von Menschen mit Schwerbehinderung verwendet.

Daten zur Erwerbstätigkeit von Menschen mit Behinderungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt In Deutschland waren laut Mikrozensus (eine statistische Erhebung, bei der 1% der Privathaushalte jährlich nach ihren Lebensbedingungen befragt wird) 67% der Menschen mit Behinderung im Alter zwischen 25 und 44 Jahren erwerbstätig oder suchten nach einer beruflichen Tätigkeit3.

Inklusion am Küchenherd: In der Frankfurter Cafeteria timeout bereiten sechs Mitarbeiter mit und ohne Behinderung Leckereien zu. Hier zu sehen ist eine gehörlose Köchin Aktion Mensch/ Dominik Buschardt

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www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Bevoelkerung/Mikrozensus.html

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keit erhalten. Hierfür sind in Deutschland Sondereinrichtungen vorgesehen. Eine solche Sondereinrichtung ist die Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM). Die Zielgruppe der WfbM sind vor allem Jugendliche und Erwachsene mit sogenannter geistiger Behinderung. Darüber hinaus gibt es Werkstätten, die sich auf die Zielgruppe von Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen spezialisiert haben. Die WfbM zielt darauf ab, für den Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt vorzubereiten. Nach einer Eingangsphase erfolgt eine Qualifizierungsphase im Berufsbildungsbereich der WfbM. Die Voraussetzung für die Aufnahme von Beschäftigten ist, dass nach dieser Phase ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung erbracht werden kann. Dies geschieht dann im Arbeitsbereich der WfbM, der verschiedene Gewerke (z.B. Garten-/Landschaftsbau, Verpackung, Gastronomie, etc.) umfasst.

Unter den gleichaltrigen Personen ohne Behinderung waren es 88%. Die Erwerbslosenquote bei Menschen mit Behinderung betrug 7%, die entsprechende Quote bei den Personen ohne Behinderung war geringer. In Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland Nordrhein-Westfalen (NRW) lebten 2009 nach den Erhebungen des statistischen Amtes 694.342 Menschen mit Behinderungen im erwerbsfähigen Alter (15-65 Jahre), jedoch arbeiteten lediglich 232.506 (1/3) von ihnen in beschäftigungspflichtigen Unternehmen. Diese Daten zeigen, dass der Anspruch der UNBRK noch keine Wirklichkeit ist: Menschen mit Behinderungen partizipieren nicht chancengerecht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und zu wenige Arbeitgeber beschäftigen Menschen mit Behinderungen. Als Alternativmodelle zum allgemeinen Arbeitsmarkt gibt es in Deutschland die Möglichkeit der Arbeit in Werkstätten für Menschen mit Behinderung.

Werkstätten für Menschen mit Behinderung

Daten zu Werkstätten für Menschen mit Behinderung

Auch Menschen mit Behinderungen, die nicht, noch nicht oder noch nicht wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, sollen die Gelegenheit zur Ausübung einer geeigneten Tätig-

In der Bundesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten sind 685 Hauptwerkstätten organisiert, die in ihren 2.665 Betriebsstätten ca. 303.000 Menschen mit Behinderungen beschäftigen (Weitere Infor-

1. Tagesstätte Kranzallee der Spastikerhilfe in Berlin: in sorgfältiger Handarbeit hergestellte Produkte aus den Bereichen Textil, Keramik, Holz und Bürokommunikation

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2. In der Macherei Berlin: die vielseitigen Produkte werden später auch verkauft Aktion Mensch/ Thilo Schmögen

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mationen: www.bagwfbm.de). In NRW gab es im Jahr 2009 63.400 anerkannte Werkstattplätze. Da die WfbM in den letzten Jahren, in denen Inklusion zunehmend an Bedeutung gewonnen hat, aufgrund geringer Übergangsquoten in den ersten Arbeitsmarkt stark in der Kritik stand, gibt es vermehrt Bemühungen, die Übergangsmöglichkeiten zu verbessern. Hierzu wurden so genannte Außenarbeitsplätze eingerichtet, die rechtlich gesehen der WfbM angehören, jedoch in den Arbeitsalltag wirtschaftlich selbstständiger Unternehmen der freien Wirtschaft und des öffentlichen Dienstes eingebunden sind. Zusätzlich sind in den letzten Jahren verstärkt Modellprojekte entstanden, die eine Öffnung der Bildungsangebote der Werkstätten für alle Menschen mit Behinderungen anstreben. So sollen auch Menschen in der Werkstatt arbeiten können, die unter Umständen nicht in der Lage sind ein wirtschaftlich verwertbares Mindestmaß an Arbeit zu erbringen. Hierzu zählen zum Beispiel Menschen mit Schwerstmehrfachbehinderung. Derzeit sind ca. 15.000 Menschen mit diesem besonders hohen Unterstützungsbedarf in WfbMs in sogenannte Tagesförderstrukturen eingebunden.

Praxisbeispiel Werkstätten für Menschen mit Behinderung Ein Modell zur Förderung des Übergangs von der WfbM auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ist der „KombiLohn“ des Landschaftsverbands Rheinland (LVR). Arbeitgeber, die Menschen aus Werkstätten beschäftigen, erhalten für bis zu fünf Jahre 80% Zuschuss zum Arbeitgeberbrutto. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die den Schritt aus der WfbM auf den ersten Arbeitsmarkt wagen, haben zudem die Garantie auf ein unbegrenztes Rückkehrrecht in die WfbM, falls das Arbeitsverhältnis beendet wird. Auch die Finanzierung eines Job-Coaches, der den Prozess begleitet, kann über das Modell KombiLohn erfolgen (weitere Informationen: www.lvr.de). Gerade für junge Menschen, die nach einem Abschluss der Förderschule eine Empfehlung für die WfbM haben und frühzeitig eine Alternative auf dem regulären Arbeitsmarkt ausprobieren wollen, kann der KombiLohn eine Chance darstellen.

Integrationsbetriebe Darüber hinaus gibt es sogenannte Integrationsbetriebe, die zwischen 25% und 50% Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Schwerbehinderungen beschäftigen. Nach § 132 SGB IX handelt es sich um besondere Betriebe, die den Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt für Menschen, die aufgrund der Schwere der Behinderung oder anderer Hindernisse besondere Unterstützung brauchen, erleichtern sollen. Es gibt ökonomisch eigenständige Integrationsfirmen oder in andere Unternehmen eingegliederte Integrationsabteilungen bzw. -betriebe. Die Betriebe arbeiten marktorientiert, sie erhalten Zuschüsse, die allerdings keine Wettbewerbsvorteile ermöglichen.

Daten zu Integrationsbetrieben Es gibt in Deutschland über 800 Integrationsfirmen, die ca. 22.000 Arbeitsplätze bereitstellen. In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der Betriebe und der dort Beschäftigten (mit und ohne Schwerbehinderung) verdoppelt. Circa die Hälfte der Betriebe ist privatwirtschaftlich und nicht gemeinnützig organisiert. Die Betriebe sind in den unterschiedlichsten Branchen und mit unterschiedlichsten Produkten und Dienstleistungen vertreten und bilden somit bestmöglich die Breite des allgemeinen Arbeitsmarktes ab. Durch die Vielfalt der Betriebe wird das Recht auf selbstbestimmte Berufswahl unterstützt. Besonders für Menschen mit psychischer oder sogenannter geistiger Behinderung stellen die Integrationsfirmen eine Chance zur Ermöglichung dauerhafter beruflicher Teilhabe dar.

Praxisbeispiel Integrationsbetriebe Ein modellhaftes Unternehmen ist die 2003 gegründete Füngeling Router gGmbH, die zunächst Menschen mit Behinderungen fachlich qualifiziert und auf das Arbeitsleben außerhalb einer WfbM vorbereitet und dann als Leiharbeitsfirma fungiert. Zielgruppe sind Menschen mit Behinderungen, wie z.B. Autismus und Lernbehinderungen. Zielset-

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zungen sind neben der fachlichen Qualifizierung auch eine Erhöhung des Selbstvertrauens und die persönlichen Entwicklung der Beschäftigten. Über die Leiharbeitsfirma Füngeling Router gGmbH werden die Beschäftigten in unterschiedlichen kooperierenden Unternehmen platziert. Unter den Kooperationspartnern finden sich nicht nur große Industrieunternehmen, sondern auch kleine und mittlere Betriebe, die eine langfristige Partnerschaft anstreben. Auf diese Weise können erste Kontakte zwischen den Beschäftigten mit Behinderungen und den kooperierenden Firmen geknüpft werden. Die Beschäftigten werden während dieser Zeit von Arbeitscoaches begleitet und durchlaufen ein intensives training-on-the-job. Das langfristige Ziel ist die Umwandlung der zeitlich befristeten Leiharbeitsverhältnisse in dauerhafte Beschäftigungsverhältnisse auf dem ersten Arbeitsmarkt (weitere Informationen: www.projekt-router.de). Ein Beispiel für ein weiteres Integrationsprojekt ist der Gastronomiebetrieb ‚mattea‘ in Leverkusen. Neben dem Restaurantbetrieb liefert mattea täglich zusätzlich bis zu 3.000 Mittagessen an Schulen aus. Zwanzig der 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben eine Schwerbehinderung. Diese Mitarbeiter werden auf eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorbereitet und arbeiten in verschiedenen Berufen, z.B. als Spüler, Beikoch, Koch oder Reinigungskraft (weitere Informationen: www.aktion-mensch.de/projekte-engagieren-und-foerdern/ foerderprojekte/forum-restaurant-mattea.html).

Chancen und Barrieren bei der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen aus Sicht von Unternehmen Was hindert Arbeitgeber daran Menschen mit Behinderungen einzustellen, was motiviert sie dazu? In Deutschland gibt es hierzu bisher wenig Forschung. Eine Studie der Universität zu Köln hat sich mit der beruflichen Teilhabe von Hochschulabsolventinnen und -absolventen mit Behinderungen befasst4. Wichtige Stakeholder

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(unter anderem Unternehmensvertreter) wurden zu ihrer Einschätzung befragt. Es zeigte sich, dass vor allem Barrieren in den Köpfen (auf Seiten von Unternehmen, aber auch bei Bewerbern mit Behinderungen) verhindern, dass das Fachkräftepotential von Menschen mit Behinderung genutzt wird. Auf Seiten von Arbeitgebern gibt es Berührungsängste, Unsicherheiten und Vorurteile. Dabei sind viele Vorurteile unbegründet, wie zwei typische Beispiele zeigen:

„Mitarbeiter mit Behinderungen sind dauernd krank“ De facto fallen Mitarbeiter mit Schwerbehinderung nicht häufiger krankheitsbedingt aus als ihre Kollegen ohne Behinderung.

„Mitarbeiter mit Behinderungen sind nicht genügend belastbar“ Belastbarkeit bezieht sich immer auf den konkreten Arbeitsplatz bzw. die spezifische Tätigkeit. Anpassungen des Arbeitsplatzes können in Deutschland bei sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen durch die Sozialleistungsträger finanziert werden. Erfahrungen zeigen, dass es am passenden Arbeitsplatz in der Regel keine Probleme mit Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit gibt.

Die Kölner Studie bezieht sich auf Hochschulabsolventen mit Behinderungen, doch vereinzelt vorliegende Studien zu anderen Qualifikationsniveaus zeigen, dass die Barrieren immer die gleichen sind. Sie zeigen auch: Wer noch nie einen Mitarbeiter mit Behinderungen im Unternehmen hatte, hat Vorurteile und Befürchtungen, wer es jedoch ausprobiert, wird wahrscheinlich positive Erfahrungen machen und anschließend weitere Menschen mit Behinderungen einstellen. Das bestätigen auch die Kölner Ergebnisse: Arbeitgeber, die bereits Mitarbeiter mit Behinderungen beschäftigen, machen damit

publikationen.aktion-mensch.de/arbeit/AktionMensch_Studie-Arbeit_2013_09_30.pdf

generell gute Erfahrungen. Sie berichten mehr als doppelt so viele positive wie negative Erfahrungen. Dazu zählen hohe Leistungsbereitschaft, Motivation und gute Arbeitsleistung von Menschen mit Behinderungen. Außerdem wird das Betriebsklima positiv beeinflusst. Es ist deshalb wichtig, dass die positiven Erfahrungen bekannt werden.

Praxisbeispiel Das Projekt Job-Win-Win (www.job-win-win.de) setzt sich deshalb dafür ein, dass kleine und mittlere Unternehmen, die bereits Erfahrungen gesammelt haben, diese mit anderen Unternehmen teilen und so dazu ermutigen Mitarbeiter mit Behinderungen einzustellen. Auch das UnternehmensForum (ein bundesweiter und branchenübergreifender Zusammenschluss von Konzernen und mittelständischen Firmen, der sich für die Inklusion von Menschen mit Behinderung in der Wirtschaft einsetzt) ist ein kompetenter Ansprechpartner zu diesem Thema (www.unternehmensforum.org).

bei Arbeitsplatzanpassungen oder Hilfe bei der Vermeidung aber auch der Abwicklung von Kündigungsverfahren für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Die Stärke der Fachberater besteht in der Nähe zur betrieblichen Realität und in der zentralen Position als Knotenpunkt zu den verschiedenen Anbietern von Hilfen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Sie bieten damit einen Service aus einer Hand an, der auf den individuellen Fall bezogen flexibel gestaltet wird (weitere Informationen unter: www.lvr.de).

Prof. Dr. Mathilde Niehaus Univ.-Prof. Dr. rer. nat. Dr. phil. habil., Leitung Lehrstuhl für Arbeit und berufliche Rehabilitation an der Universität zu Köln. Hochschullehre und Forschung zur beruflichen und gesellschaftlichen Teilhabe von Menschen mit Behinderungen und gesundheitlichen Einschränkungen, Betriebliches Alternsmanagement, Disabilitymanagement.

Unterstützung Es gibt viele Möglichkeiten wie Arbeitgeber in Deutschland (auch finanziell) bei der Beschäftigung von Mitarbeitern mit Behinderungen unterstützt werden können.

Praxisbeispiel Eine Möglichkeit der Unterstützung bieten verschiedene Handwerkskammern sowie Industrieund Handelskammern in Nordrhein-Westfalen mit den sogenannten Integrationsberatern an. Integrationsberater sind Ingenieure, die proaktiv vor allem auf kleine und mittlere Unternehmen zugehen und verschiedene Dienstleistungen im Kontext der Integration bzw. Inklusion von Menschen mit Behinderungen im Unternehmen kostenfrei anbieten. Hierzu zählen zum Beispiel Unterstützung bei der Beantragung von Förderleistungen, technische Beratung zu Gestaltungsmöglichkeiten

Jana Bauer Diplom Psychologin, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Arbeit und berufliche Rehabiltation an der Universität zu Köln. Hochschullehre und Forschung mit den Forschungsschwerpunkten psychische Gesundheit im Arbeitsleben und berufliche Teilhabe hochqualifizierter Menschen mit Behinderungen. Stephanie Kohl Diplom Psychologin, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Arbeit und berufliche Rehabilitation an der Universität zu Köln. Hochschullehre und Forschung zu Interventionen, Beratung und Managementprozessen in der beruflichen Rehabilitation.

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