R e c h t s g u t a c h t e n

Rechtsgutachten Zur Frage, ob § 6 des Niedersächsischen Ausführungsgesetzes zum Bundesnaturschutzgesetz (NAGBNatSchG) vom 19. Februar 2010 (Nds. GVBl....
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Rechtsgutachten Zur Frage, ob § 6 des Niedersächsischen Ausführungsgesetzes zum Bundesnaturschutzgesetz (NAGBNatSchG) vom 19. Februar 2010 (Nds. GVBl. 2010, 104) grundgesetzlichen Anforderungen genügt.

vorgelegt von Prof. Dr. iur. utr. Dr. phil. Jörg Berkemann Richter am Bundesverwaltungsgericht a.D. Honorarprofessor der Universität Hamburg Lehrbeauftragter der Bucerius Law School Hamburg

-2A. Gutachterliche Fragestellungen

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B. Derzeitige bundes- und landesgesetzliche Rechtslage zur naturschutzrechtlichen Ersatzzahlung 4 I. Kompetenzrechtliche Ausgangslage 4 II. Bundesgesetzliche Regelung (§ 15 Abs. 6 und 7 BNatSchG 2009) 5 III. Landesgesetzliche Regelung (§ 6 NAGBNatSchG 2010) 6 C. Ist § 6 NAGBNatSchG 2010 kompetenzwidrig und damit nichtig? I. Bundesgesetzliche Ausgangslage II. Reichweite der „Abwahlbefugnis“ des nds. Gesetzgebers nach Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GG 1. Befund: Ausübung der Bundeskompetenz im Naturschutzrecht 1.1 Bundesgesetzliche Grundregelung zur naturschutzrechtlichen Ersatzgeldzahlung 1.2 Zusammenspiel von Bundesgesetzgeber und „komplettierender“ Rechtsverordnung 2. Befund: Unterschiede zwischen bundes- und landesrechtlicher Regelung III. § 6 Abs. 1 Satz 1 NAGBNatSchG 2010 als zulässiger Gegenstand einer „Abweichung“? 1. Begriff der „Abweichung“ im Sinne des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG 2. Der spezifische (naturschutzrechtliche) Vorbehalt des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GG 2.1 Begriff der „allgemeinen Grundsätze des Naturschutzes“ 2.2 Ersatzzahlung als Ausdruck naturschutzrechtlicher Ordnungsprinzipien? 2.3 Regelungen in § 6 Abs. 1 Satz 1 NAGBNatSchG 2010 IV. § 6 Abs. 2 NAGBNatSchG 2010 als Gegenstand einer „Abweichung“?

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D. Auslegung und Anwendungsfähigkeit des § 6 Abs. 1 Satz 1 NAGBNatSchG 2010 I. Entstehungsgeschichte der Neuregelung in § 6 NAGBNatSchG 2010 II. Entstehungsgeschichte des Vorläufers (§ 12b NNatSchG 2004) 1. Wortlaut des § 12b NNatSchG 2004 2. Entstehungsgeschichte des § 12b NNatG 2004 2.1 Die frühere bundesnaturschutzrechtliche Ausgangslage 2.2 Neuregelung durch § 12b NNatG 2004 – Entstehungsgeschichte 3. Die rechtstatsächliche Umsetzung des § 12b NNatG 2004 und des § 6 NAGBNatSchG 2010 3.1 Der Prüfauftrag der Landesregierung (2009) 3.1.1 Entschließungsantrag 2004 3.1.2 Prüfungsergebnis der Landesregierung 2009 3.1.3 Exkurs: Kleine Anfrage des Abg. David McAllister u.a. 2009 3.2 Zur Frage einer verwaltungsmäßigen Umsetzung des § 12b NNatG 2004 oder des § 6 NAGBNatSchG 2010 3.2.1 Keine amtlichen Ausführungsregelungen 3.2.2 Das „Ersatzmodell“: Die NLT-Papiere 3.2.3 Interne Stellungnahme des Referates 10 des Nds. Ministeriums für Umwelt vom 10. Mai 2011 III. Spruchpraxis der niedersächsischen Verwaltungsgerichte zu § 12b NNatG 2004 1. Problemsicht der niedersächsischen Verwaltungsgerichte –Überblick 2. Zielsetzung der Analyse der bisherigen Spruchtätigkeit zu § 12b NNatG 2004 3. VG Lüneburg – Urteil vom 20.9.2007 4. VG Stade – Urteil vom 18.6.2009 5. OVG Lüneburg – Urteil vom 16.12.2009 5.1 Lösungsansatz des OVG Lüneburg 5.2 Analyse der Interpretationsarbeit des OVG Lüneburg 5.2.1 Zwei Deutungsmuster des § 12b Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 NNatG 2004 5.2.2 Entstehungsgeschichtliche und grammatikalische Vorgaben 5.2.3 Das Modell der „gleitenden“ Berechnung des OVG Lüneburg 5.2.3.1 Ausgangsthese: Von der Kappungsgrenze zum „Höchstwert“ 5.2.3.2 Logische Friktionen in der hermeneutischen Ableitung 5.2.3.3 Inhaltliche Bedenken gegen den Interpretationsansatz des OVG Lüneburg 5.3 Fehlende Anwendungssicherheit des „Linearkonzeptes“ des OVG Lüneburg 6. Ergebnis der Analyse der Spruchtätigkeit der Nds. Verwaltungsgerichte

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E. Rechtsstaatswidrige Unbestimmtheit des § 12b Abs. 1 Satz 2 NNatG 2004 des § 6 NAGBNatSchG 2010 I. Fragestellung II. Bestimmtheit von Gesetzesnormen – Rechtsanwendungsgleichheit 1. Bundesverfassungsrechtliche Problemebene und generelle inhaltliche Ausformung 2. Besonderheiten des Abgabenrechts im weiteren Sinne

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-3III. Anwendung zu § 12b Abs. 1 Satz 3 NNatG 2004 und § 6 Abs. 1 NAGBNatSchG 2010 1. Erste Testfrage: Kann der betroffene Bürger erkennen, was „auf ihn zukommt“? 2. Zweite Testfrage: Gab es für den Landesgesetzgeber Regelungsalternativen? 3. Dritte Testfrage: Könnte der Landesgesetzgeber eine Präzisierung an den nachgeordneten Verordnungsgeber delegieren? 4. Vierte Testfrage: Lässt sich mit Hilfe üblicher Auslegungsmethoden der Regelungsgehalt des § 12b Abs. 1 Satz 3 NNatG 2004 und § 6 Abs. 1 NAGBNatSchG 2010 präzisieren? 5. Fünfte Testfrage: Lässt sich die landesgesetzliche Regelung durch Rückgriff auf die bundesgesetzliche Ermächtigungsgrundlage präzisieren? 6. Sechste Testfrage: Hat der Landesgesetzgeber der Exekutive einen Beurteilungsspielraum eingeräumt? 7. Siebente Testfrage: Wäre der Landesgesetzgeber befugt gewesen, der Exekutive einen Beurteilungsspielraum einzuräumen?

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F. Zusammenfassung

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A. Gutachterliche Fragestellungen Die Rechtsanwaltskanzlei Sellmann, Blume, Wiemann (Lüneburg) hat mich gebeten rechtsgutachterlich zu prüfen, ob die Verpflichtung zu Ersatzgeldzahlungen nach § 6 NAGBNatSchG 2010 den rechtsstaatlichen Anforderungen der Bestimmtheit genügt. Die gutachterlich zu klärenden Fragen betreffen naturschutzrechtliche Ersatzzahlungen (Ausgleichszahlungen) bei naturschutzrechtlich erheblichen Eingriffen. Das gilt insbesondere für die Errichtung von Windenergieanlagen. Die Fragestellung wird durch Probleme der neueren bundesverfassungsrechtlichen Kompetenzordnung und durch neueres vorhandenes Bundesrecht überlagert (nachfolgend zu B.). Zu klären ist insoweit, ob es bundesrechtlich zulässig ist, die in § 15 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG normierte Regelung einer Ersatzzahlung einer landesgesetzlichen Abweichungsregelung in der Weise zu unterwerfen, dass eine verordnungsrechtliche Präzisierung der Berechnung der Ersatzzahlung nicht (mehr) möglich ist. Das berührt die administrative Vollzugsfähigkeit der bundes- und landesgesetzlichen Gesamtlösung und das Ineinandergreifen der Befugnisse der legislatorischen Kompetenzträger. Das zielt nicht zuletzt auf die Reichweite und die Abwendungsgebundenheit des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GG. Zugleich sind damit Fragen eines bundesfreundlichen Verhaltens involviert. Des Weiteren ist zentral zu untersuchen, ob § 6 Abs. 1 NAGBNatSchG 2010 rechtsstaatlichen Anforderungen der Bestimmtheit genügt, wie sie bei jeder Geldleistungspflicht grundsätzlich geboten ist. Hier ist Prüfungsmaßstab im Wesentlichen das materielle Bundesverfassungsrecht. Beide Problembereiche sind aufeinander bezogen, gleichwohl nach dem jeweiligen Prüfungsmaßstab zu trennen. Die Frage der Bestimmtheit ist eine des materiellen Verfassungsrechts. Sie darf mit der Frage der Gesetzgebungskompetenz nicht vermengt werden.1 Kann die isolierte Vollzugsfähigkeit des § 6 Abs. 1 NAGBNatSchG 2010 bejaht werden, kann dies im Ergebnis die „Abwahl“ jeglicher verordnungsrechtlichen Berechnungsregelung rechtfertigen. Insoweit wäre § 6 Abs. 1 NAGBNatSchG 2010 für die administrative Umsetzung hinreichend „self-executing“, also auf eine konkretisierende Umsetzung durch eine Rechtsverordnung nicht angewiesen. Diese Rechtsauffassung vertritt für die vorangegangene landesgesetzliche Regelung des § 12b NNatG 2004 das OVG Lüneburg. 2 Anderer-

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Christoph Degenhart, in: Michael Sachs (Hrsg.), GG, 6. Aufl. 2011, Art. 70 Rn. 70 ff. OVG Lüneburg vom 16.12.2009 – 4 LC 730/07 - OVGE MüLü 52, 492 = NdsVBl 2010, 158 = NuR 2010, 133 = ZUR 2010, 262 = BauR 2010, 758 = BRS 74 Nr. 229 (2009). 2

-4seits ist die inhaltlich fehlerhafte Ausgestaltung des § 6 NAGBNatSchG 2010 nicht hinreichend, um einen Kompetenzverstoß annehmen zu können.

B. Derzeitige bundes- und landesgesetzliche Rechtslage zur naturschutzrechtlichen Ersatzzahlung I. Kompetenzrechtliche Ausgangslage 1. Im Rahmen der Föderalismusreform I sind die Gesetzgebungskompetenzen im Naturschutzrecht durch das verfassungsändernde Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006 (BGBl. I 2006, 2034) neu geordnet. Die bisherige Rahmenkompetenz des Bundes für den Bereich des Naturschutzes wurde aufgegeben. Der Bund erhielt in Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 GG die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz im Sinne des Art. 72 Abs. 1 GG. Dagegen wurde den Ländern mit Art. 72 Abs. 3 GG eine sog. Abweichungskompetenz zugewiesen. Dieses neue Kompetenzinstitut bezieht sich auch auf das Naturschutzrecht. Art. 72 Abs. 3 GG lautet in dem hier interessierenden Teil wie folgt: (3) Hat der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch gemacht, können die Länder durch Gesetz hiervon abweichende Regelungen treffen über: 1. das Jagdwesen (ohne das Recht der Jagdscheine); 2. den Naturschutz und die Landschaftspflege (ohne die allgemeinen Grundsätze des Naturschutzes, das Recht des Artenschutzes oder des Meeresnaturschutzes); 3. … 6. Bundesgesetze auf diesen Gebieten treten frühestens sechs Monate nach ihrer Verkündung in Kraft, soweit nicht mit Zustimmung des Bundesrates anderes bestimmt ist. Auf den Gebieten des Satzes 1 geht im Verhältnis von Bundes- und Landesrecht das jeweils spätere Gesetz vor.

Art. 72 Abs. 3 S. 3 GG hebt die Regel des Art. 31 GG auf. Das jeweils spätere Gesetz hat Anwendungsvorrang (lex posterior), nicht indes Geltungsvorrang.3 Ob die zugelassene Abweichung in erster Linie oder auch nur die Berücksichtigung regionaler Unterschiede ermöglichen soll und ob der abweichungsfeste Kern weit oder eher eng zu verstehen ist, ist derzeit umstritten.4 Die gutachterliche Fragestellung verlangt dazu – wie zu zeigen ist – keine Stellungnahme. 2. Sowohl der Bundesgesetzgeber als auch der niedersächsische Landesgesetzgeber regeln Fragen des naturschutzrechtlichen Eingriffs und Ersatzgeldzahlungen im Regelungsbereich der Verursacherpflichten und der Kompensation. 3

Sabine Schlacke, Einleitung, in: dies. (Hrsg.), GK-BNatSchG, 2012, Rn. 42; vgl. auch Wolfgang Köck/Rainer Wolf, Grenzen der Abweichungsgesetzgebung im Naturschutz, in: NVwZ 2008, 353-360 [354]. 4 Vgl. dazu etwa Sabine Schlacke, Einleitung, in: dies. (Hrsg.), GK-BNatSchG, 2012, Rn. 44; Christoph Degenhart, Die Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen durch die Föderalismusreform, in: NVwZ 2006, 1209-1216 [1212]; Helmuth Schulze-Fielitz, Umweltschutz im Föderalismus – Europa, Bund und Länder, in: NVwZ 2007, 249-259 [256]; Michael Kloepfer, Umwelt-, Naturschutz- und Jagdrecht – Eine kompetenzrechtliche Betrachtung im Lichte der Föderalismusdebatte, in: NuR 2006, 1-7; ders., Föderalismusreform und Umweltgesetzgebungskompetenzen, in: ZG 2006, 250-271 [264]; Claudio Franzius, Die Zukunft der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung – Eine Bewährungsprobe für die Abweichungsgesetzgebung nach dem Inkrafttreten des neuen Bundesnaturschutzgesetzes, in: ZUR 2010, 346-353; vgl. auch Matthias Knauff, Der Regelungsverbund: Recht und Soft Law im Mehrebenensystem, Tübingen 2010, S. 120 ff.

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II. Bundesgesetzliche Regelung (§ 15 Abs. 6 und 7 BNatSchG 2009) 1. Der Bundesgesetzgeber hat mit dem Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz [BNatSchG 2009]) vom 29. Juli 2009 (BGBl. I 2009, 2542) das Naturschutzrecht novelliert.5 Er hat dies unter Ausnutzung der ihm in Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 GG nunmehr eröffneten konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz getan. 2. Nach § 13 BNatSchG 2009 sind erhebliche Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft vom Verursacher vorrangig zu vermeiden. Nicht vermeidbare erhebliche Beeinträchtigungen sind durch Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahmen oder, soweit dies nicht möglich ist, durch einen Ersatz in Geld zu kompensieren. Was als Eingriff in Natur und Landschaft zu verstehen ist, wird in §14 BNatSchG näher bestimmt. Der Verursacher eines Eingriffs ist verpflichtet, vermeidbare Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft zu unterlassen (vgl. § 15 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG 2009). Er ist gemäß § 15 Abs. 2 BNatSchG 2009 verpflichtet, unvermeidbare Beeinträchtigungen durch Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege auszugleichen (Ausgleichsmaßnahmen) oder zu ersetzen (Ersatzmaßnahmen). Dazu bestimmt der Bundesgesetzgeber in § 15 Abs. 5 bis 7 BNatSchG 2009:

(5) Ein Eingriff darf nicht zugelassen oder durchgeführt werden, wenn die Beeinträchtigungen nicht zu vermeiden oder nicht in angemessener Frist auszugleichen oder zu ersetzen sind und die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege bei der Abwägung aller Anforderungen an Natur und Landschaft anderen Belangen im Range vorgehen. (6) Wird ein Eingriff nach Absatz 5 zugelassen oder durchgeführt, obwohl die Beeinträchtigungen nicht zu vermeiden oder nicht in angemessener Frist auszugleichen oder zu ersetzen sind, hat der Verursacher Ersatz in Geld zu leisten. Die Ersatzzahlung bemisst sich nach den durchschnittlichen Kosten der nicht durchführbaren Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen einschließlich der erforderlichen durchschnittlichen Kosten für deren Planung und Unterhaltung sowie die Flächenbereitstellung unter Einbeziehung der Personal- und sonstigen Verwaltungskosten. Sind diese nicht feststellbar, bemisst sich die Ersatzzahlung nach Dauer und Schwere des Eingriffs unter Berücksichtigung der dem Verursacher daraus erwachsenden Vorteile. Die Ersatzzahlung ist von der zuständigen Behörde im Zulassungsbescheid oder, wenn der Eingriff von einer Behörde durchgeführt wird, vor der Durchführung des Eingriffs festzusetzen. Die Zahlung ist vor der Durchführung des Eingriffs zu leisten. Es kann ein anderer Zeitpunkt für die Zahlung festgelegt werden; in diesem Fall soll eine Sicherheitsleistung verlangt werden. Die Ersatzzahlung ist zweckgebunden für Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege möglichst in dem betroffenen Naturraum zu verwenden, für die nicht bereits nach anderen Vorschriften eine rechtliche Verpflichtung besteht. (7) Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Nähere zur Kompensation von Eingriffen zu regeln, insbesondere 1. zu Inhalt, Art und Umfang von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen einschließlich von Maßnahmen zur Entsiegelung, zur Wiedervernetzung von Lebensräumen und zur Bewirtschaftung und Pflege sowie zur Festlegung diesbezüglicher Standards, insbesondere für vergleichbare Eingriffsarten, 2. die Höhe der Ersatzzahlung und das Verfahren zu ihrer Erhebung.

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Vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD vom 17.3.2009 zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege (BTags-Drucks. 16/12274 = BRat-Drucks. 278/09).

-6Solange und soweit das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit von seiner Ermächtigung keinen Gebrauch macht, richtet sich das Nähere zur Kompensation von Eingriffen nach Landesrecht, soweit dieses den vorstehenden Absätzen nicht widerspricht.

Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit hat von der Ermächtigung des § 15 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG keinen Gebrauch gemacht. Das gilt insbesondere für die Bestimmung der Höhe der Ersatzzahlung und das Verfahren zu ihrer Erhebung. Es bestehen – dem Vernehmen nach – im rechtspolitischen Raum Erwägungen, die Ermächtigung im Zusammenhang mit der anstehenden Errichtung überregionaler Hochund Höchstspannungsfreileitungen zu nutzen.6 3. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit hat am 5. November 2012 den Entwurf einer „Verordnung über die Kompensation von Eingriffen in Natur und Landschaft (Bundeskompensationsverordnung – BkompV“ veröffentlicht. Die Verordnung soll auf die Ermächtigung des § 15 Abs. 7 BNatSchG gestützt werden. Ziel der Verordnung über die Kompensation von Eingriffen in Natur und Landschaft soll es sein, den Vollzug der Eingriffsregelung effektiver zu gestalten. Der Entwurf der BKompV befindet sich gegenwärtig in der Phase der Anhörung der Bundesländer und Verbände. Er ist in der vorliegenden Fassung innerhalb der Bundesregierung noch nicht abschließend abgestimmt.

III. Landesgesetzliche Regelung (§ 6 NAGBNatSchG 2010) Der niedersächsische Gesetzgeber hat von der Möglichkeit einer abweichenden Landesgesetzgebung für die naturschutzrechtlichen Ersatzzahlungen Gebrauch gemacht. In § 6 NAGBNatSchG 2010 bestimmt er: (1) Sind die Kosten nach § 15 Abs. 6 Satz 2 BNatSchG nicht feststellbar, so bemisst sich die Ersatzzahlung abweichend von § 15 Abs. 6 Satz 3 BNatSchG allein nach Dauer und Schwere des Eingriffs und beträgt höchstens sieben vom Hundert der Kosten für die Planung und Ausführung des Vorhabens einschließlich der Beschaffungskosten für Grundstücke. Abweichend von § 15 Abs. 6 Satz 7 BNatSchG kann die Ersatzzahlung auch für Festlegungen und Maßnahmen nach § 15 Abs. 2 Satz 4 BNatSchG verwendet werden. (2) § 15 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG findet keine Anwendung.

C. Ist § 6 NAGBNatSchG 2010 kompetenzwidrig und damit nichtig? I. Bundesgesetzliche Ausgangslage 1. Der Bundesgesetzgeber hat mit §§ 13, 15 Abs. 6 ff. BNatSchG entschieden, dass unvermeidbare Eingriffe in Natur und Landschaft zu kompensieren sind. Ist dies in tatsächlicher Hinsicht nicht möglich, ist in Geld auszugleichen. Diese legislatorische Entscheidung 6

Vgl. Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Naturschutz, Landschaftspflege und Erholung (LANA), Empfehlungen für die Eingriffsbewältigung beim Netzausbau vom 7. März 2012, außerdem NLT, Hinweise zur Anwendung der Eingriffsregelung beim Bau von Hoch- und Höchstspannungsfreileitungen und Erdkabeln (Stand: Januar 2011), hrsg. vom Niedersächsischen Landkreistag e.V., 2. Aufl., vgl. ferner Aktuell. Naturschutz und Landschaftsplanung 44 (9), 2012, 282-288.

-7ist bundesrechtlich zwingend, mithin kodifikatorisch. Eine Ausnahme ist nicht vorgesehen. Der Bundesgesetzgeber bündelt damit drei zentrale naturschutzrechtliche Ordnungsprinzipien, nämlich den Grundsatz des naturschutzrechtlichen Bestandsschutzes (status quo), das grundsätzliche Kompensationsprinzip7 und das umweltrechtliche Verursacherprinzip.8 Der Bundesgesetzgeber hat damit im Vergleich zu dem früheren § 19 Abs. 4 des Gesetzes über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz – BNatSchG 2002) vom 25. März 2002 (BGBl. I S. 1193) einen Systemwechsel vorgenommen. Nach der früheren rahmenrechtlichen Regelung konnten die Länder insbesondere Vorgaben zur Anrechnung von Kompensationsmaßnahmen treffen. Sie konnten vorsehen, „dass bei zuzulassenden Eingriffen für nicht ausgleichbare oder nicht in sonstiger Weise kompensierbare Beeinträchtigungen Ersatz in Geld zu leisten ist (Ersatzzahlung)“. Die Länder waren indes zu einer derartigen Regelung bundesrechtlich nicht verpflichtet. Diese rahmenrechtlich motivierte facultas alternativa wollte der Bundesgesetzgeber 2009 beenden. Kraft Bundesrechts sollen die Länder – allenfalls vorbehaltlich über eine Abweichungsgesetzgebung nach Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GG – gehalten sein, Ersatzzahlung bei unvermeidbaren und nicht ausgleichsfähigen Eingriffen zu verlangen. Der Bundesgesetzgeber hat es bei einer allgemeinen Pflicht, Ersatzzahlungen zu leisten, nicht bewenden lassen.9 Er hat für Grund und Höhe der Ersatzzahlung in § 15 Abs. 5 bis 7 BNatSchG ein abgeschlossenes System vorgesehen. Danach bemisst sich die Höhe der Ersatzzahlung nach den durchschnittlichen Kosten der nicht durchführbaren Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen einschließlich der erforderlichen durchschnittlichen Kosten für deren Planung und Unterhaltung sowie die Flächenbereitstellung unter Einbeziehung der Personal- und sonstigen Verwaltungskosten (vgl. § 15 Abs. 5 Satz 2 BNatSchG).10 Sind diese Kosten nicht feststellbar, bemisst sich die Ersatzzahlung nach Dauer und Schwere des Eingriffs unter Berücksichtigung der dem Verursacher daraus erwachsenden Vorteile (vgl. § 15 Abs. 5 Satz 3 BNatSchG). Außerdem wird das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Nähere zur Kompensation von Eingriffen zu regeln, insbesondere die Höhe der Ersatzzahlung und das Verfahren zu ihrer Erhebung (vgl. § 15 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG). Das ist – wie zu wiederholen ist – ein in sich geschlossenes System. 2. Der Bundesgesetzgeber geht mit der Regelung des § 15 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG erkennbar davon aus, dass es einer ausführenden Rechtsverordnung bedarf. Das wird systematisch dadurch bestätigt, dass er bereits kraft Bundesrechts mit § 15 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG eine subsidiäre Regelung für den Fall vorsieht, dass das Bundesministerium für 7

Vgl. Andreas Vosskuhle, Das Kompensationsprinzip: : Grundlagen einer prospektiven Ausgleichsordnung für die Folgen privater Freiheitsbetätigung – zur Flexibilisierung des Verwaltungsrechts am Beispiel des Umwelt- und Planungsrechts, Tübingen 1999, S. 219 f., S. 389 ff. 8 Vgl. Erich Gassner, Zur Verfassungswidrigkeit naturschutzrechtlicher Ersatzzahlungen, in: DVBl 2011, 1268-1274 (1269); Ulrich Kuschnerus, Die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung, in: NVwZ 1996, 235241. 9 Vgl. Hans-Joachim Koch, in: Sabine Schlacke (Hrsg.), GK-NatSchG, 2012, § 15 Rn. 41 ff. 10 In der Praxis umstritten ist, ob etwaige Kostensteigerungen zwischen dem Zeitpunkt der Genehmigung und dem Baubeginn zu berücksichtigen sind und – bejahendenfalls – wie dies rechtstechnisch durchzuführen ist. Nach § 15 Abs. 6 S. 4 BNatSchG 2009 hat die zuständige Behörde die Ersatzzahlung im Zulassungsbescheid vor der Durchführung des Eingriffs festzusetzen. Einige nds. Genehmigungsbehörden sind neuerdings dazu übergegangen, die Ersatzgeldfestsetzung mit einem Änderungsvorbehalt zu versehen. Dem Vorhabenträger wird darin aufgegeben, nach Bauausführung Kostennachweise vorzulegen. Das soll der Behörde eine Erhöhung des Ersatzgeldes ermöglichen.

-8Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit von seiner Ermächtigung keinen Gebrauch macht. Dann habe sich das „Nähere zur Kompensation von Eingriffen“ nach Landesrecht zu richten. Der Bundesgesetzgeber will also eine „Lücke“ in der von ihm konzipierten Gesamtregelung vermeiden. Das trifft ersichtlich auch auf die Berechnungsweise der Ersatzzahlung zu. Denn die Ersatzzahlung ist nach dem System der §§ 13 ff. BNatSchG eine Art der als verpflichtend angesehenen Kompensation. Der Bundesgesetzgeber will durch die Lösung erreichen, dass ein hinreichendes „Rechtsmaterial“ vorhanden ist, um die Ersatzzahlung nach Grund und Höhe bestimmen zu können. Denn mit dem BNatSchG 2009 soll eine vollzugsfähige bundesrechtliche Regelung des gesamten Naturschutzes geschaffen werden.11

II. Reichweite der „Abwahlbefugnis“ des nds. Gesetzgebers nach Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GG 1. Befund: Ausübung der Bundeskompetenz im Naturschutzrecht 1.1 Bundesgesetzliche Grundregelung zur naturschutzrechtlichen Ersatzgeldzahlung Hat der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch gemacht, können die Länder durch Gesetz hiervon abweichende Regelungen über den Naturschutz und die Landschaftspflege treffen. Davon ausgenommen sind die allgemeinen Grundsätze des Naturschutzes, das Recht des Artenschutzes oder des Meeresnaturschutzes (vgl. Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GG). Der Bund hat durch das Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz [BNatSchG 2009]) vom 29. Juli 2009 (BGBl. I 2009, 2542) seine Gesetzgebungskompetenz wahrgenommen. Dies ist – wie erwähnt - umfassend geschehen. Damit ist die „allgemeine“ Sperrfunktion des Art. 72 Abs. 1 GG eingetreten. Ob diese Sperrfunktion auch allein durch eine Rechtsverordnung eintreten kann, ist im Schrifttum umstritten.12 Diese Frage stellt sich hier nicht. Denn der Bund hat in diesem hier interessierenden Regelungsbereich der naturschutzrechtlichen Eingriffslage bislang keine Rechtsverordnungen erlassen. Dass er dieses – etwa nach § 15 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG – könnte, löst noch keine „zusätzliche“ Sperrfunktion aus. 1.2 Zusammenspiel von Bundesgesetzgeber und „komplettierender“ Rechtsverordnung (1) Die Rechtslage weist im Regelungsbereich der naturschutzrechtlichen Ersatzzahlung allerdings eine Besonderheit aus. Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers ist im Verhältnis zum Verordnungsgeber zwar ermessensbezogen, gleichwohl nicht beliebig. Der Gesetzgeber wahrt im Hinblick auf den Vorrang des Gesetzes seine Gestaltungsfreiheit nämlich dann nicht mehr, wenn die erteilte Verordnungsermächtigung es dem Adressaten überlässt, nach Belieben von ihr Gebrauch zu machen, und erst dadurch das Gesetz überhaupt anwendbar wird.13 Dem Gesetzgeber steht es gewiss grundsätzlich frei, ob er den Verordnungsgeber zu einem Tätigwerden verpflichten will.14 In zahlreichen Fällen wird der vom 11

Sabine Schlacke, Einl., in: dies. (Hrsg.), GK-BNatSchG, Rn. 37. Vgl. auch Tilmann Mohr, Wasserwirtschaft und novelliertes Wasserrecht in Schleswig-Holstein, in: NordÖR 2011, 474-480 (S. 475). 13 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 8.6.1988 - 2 BvL 9/85 - BVerfGE 78, 249 = DVBl 1988, 952 = NJW 1988, 2529 (Fehlbelegungsabgabe). 14 Vgl. BVerwG, Beschluss vom 13.12.1961 - 1 BvR 1137/59 - BVerfGE 13, 248 [254] = DVBl 1962, 60 = NJW 1962, 147; BVerfG, Urteil vom 6.12.1972 - 1 BvR 230/70 - BVerfGE 34, 165 [194] = NJW 1973, 133; 12

-9Gesetzgeber „vor-normierte“ Regelungskomplex indes erst dann zu einem vollzugsfähigen Ganzen, wenn der Verordnungsgeber die Rechtsverordnung auch erlässt.15 Dazu wird er vom Gesetzgeber dann angehalten, wenn noch offene Detailfragen zum Zwecke der Vollzugsfähigkeit zu regeln sind. Bringt der Gesetzgeber ausdrücklich oder doch konkludent zum Ausdruck, dass der „nachgeordnete“ Verordnungsgeber zum Erlass der Rechtsverordnung verpflichtet sein soll, bedeutet dies, dass er seine „eigene“ Lösung für komplettierungsbedürftig angesehen hat. Die erwartete Rechtsverordnung dient nicht nur der immer möglichen Präzisierung, sondern eröffnet überhaupt erst einen ordnungsgemäßen Vollzug des Gesetzes selbst.16 Dabei ist nicht entscheidend, ob das Gesetz ohne Erlass einer Rechtsverordnung – isoliert betrachtet – bereits vollzugsfähig ist. Maßgebend ist vielmehr die Sicht des zum Erlass der Verordnung ermächtigenden Gesetzgebers selbst. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass der Bundesgesetzgeber gegenüber dem Landesrecht eine Pflicht zur Verordnungsgebung begründen will und auch begründen darf.17 Dies darf er, wenn nach seiner (politisch nicht zu hinterfragenden) Auffassung eine umsetzende Rechtsverordnung zur Erfüllung seines Normprogramms unerlässlich ist.18 (2) Das Regelungssystem des § 15 Abs. 6 BNatSchG im Verhältnis zur Ermächtigungsregelung des § 15 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG ist im Sinne eines vollzugsbedürftigen und auch vollzugsfähigen Ganzen zu verstehen. Der Bundesgesetzgeber nimmt mit § 15 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG an, dass § 15 Abs. 6 BNatSchG der Komplettierung bedarf. Allerdings hat der Bundesgesetzgeber das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit von dem erörtertem Zwang, eine Rechtsverordnung zur Komplettierung zu erlassen, zugleich teilweise befreien wollen. Er hat dies indes nur unter dem Vorbehalt gemacht, dass sich das Nähere zur Kompensation von Eingriffen alsdann nach Landesrecht richtet. Das erfasst auch die Frage der Ersatzzahlung. Das folgt aus der Verweisung in § 15 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG auf alle „vorstehenden Absätze“, mithin auch auf die gesetzliche Ersatzgeldregelung des § 15 Abs. 6 BNatSchG. Das bedeutet zweierlei: Die subsidiäre Bezugnahme auf das Landesrecht bestätigt in systematischer Hinsicht zum einen, dass der Bundesgesetzgeber von der Notwendigkeit der Komplettierung ausging. Zum anderen unterstellte der Bundesgesetzgeber, dass das Landesrecht subsidiäre Regelungen enthält, die für eine Vollzugsfähigkeit des bundesgesetzlichen Konzepts hinreichend sind. Es unterliegt keinem Zweifel, dass der Bundesgesetzgeber auch insoweit mit dem BNatSchG in Abänderung der früheren rahmenrechtlichen Regelung eine „Vollregelung“ legeferieren wollte. Diese Auffassung wird durch die Begründung des von der BunUlrich Ramsauer, in: AK-GG, 3. Aufl. 2001, 80 Rn. 52; Arnd Uhle, Parlament und Rechtsverordnung, München1999, S. 464 ff. 15 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 9.10.1968 - 2 BvE 2/66 - BVerfGE 24, 184 [198] = DVBl 1969, 110 = NJW 1969, 33; Michael Nierhaus, BK (1998), Art. 80 Rn. 345 unter Bezugnahme auf . BVerwG, Beschluss vom 13.12.1961 - 1 BvR 1137/59 - BVerfGE 13, 248 [254] = DVBl 1962, 60 = NJW 1962, 147; BVerfG, Beschluss vom 23.7.1963 - 1 BvR 265/62 - BVerfGE 16, 332 (338); BVerfG, Beschluss vom 8.6.1988 - 2 BvL 9/85 - BVerfGE 78, 249 [272] = DVBl 1988, 952 = NJW 1988, 2529; wohl auch BVerwG, Beschluss vom 30.11.1988 - 1 BvR 1301/84 - BVerfGE 79, 174 [194] = DVBl 1989, 352 = NJW 1989, 1271; Thomas von Danwitz, Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, S. 181; Franz-Joseph Peine, Gesetz und Verordnung – Bemerkungen zu aktuellen Fragen eines problematischen Verhältnisses, in: ZG 3 (1988), S. 121-140 [128]. 16 Ähnlich Ulrich Ramsauer, in: AK-GG, 3. Aufl. 2001, 80 Rn. 52. 17 Michael Nierhaus, BK (1998), Art. 80 Rn. 344. Vgl. auch BVerwG, Urteil vom 4.7.2002 - 2 C 13.01 NVwZ 2002, 1505 = DÖV 2003, 123 18 Dieter Wilke, in: v. Mangoldt/Klein, 5. Aufl., Art. 80 Anm. XII 1; Michael Brenner, daselbst, 6. Aufl. 2010 Rn. 71; Hartmut Bauer, in: Horst Dreier (Hrsg.), GG, 2. Aufl. 2006, Art. 80 Rn. 53.

- 10 desregierung (CDU/CSU und SPD) eingebrachten Gesetzesentwurfs bestätigt. Dort heißt es zu § 15 Abs. 6 und 7 BNatSchG-E, der textidentisch mit der späteren gesetzlichen Regelung ist: Mit der Vorschrift des Absatzes 6 wird die Ersatzzahlung nach entsprechenden Vorbildern in landesrechtlichen Vorschriften nunmehr auch bundesrechtlich geregelt. Sie ist vom Verursacher zu leisten, wenn eine erhebliche Beeinträchtigung der Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts nicht zu vermeiden ist, in angemessener Frist nicht ausgeglichen oder nicht ersetzt werden kann und die für die Durchführung des Vorhabens sprechenden Belange schwerer wiegen als die von Naturschutz und Landschaftspflege. Zur Bemessung der Höhe der Ersatzzahlung finden sich in den landesrechtlichen Regelungen zwei Wege: über eine Orientierung an den Kosten für die unterbliebenen Maßnahmen oder über die Bewertung von Dauer und Schwere des Eingriffs unter Berücksichtigung der dem Verursacher daraus erwachsenden Vorteile. Das Bundesrecht geht grundsätzlich den ersten Weg. Sollten allerdings die durchschnittlichen Kosten im Einzelfall nicht feststellbar sein, ist auf den zweiten Weg auszuweichen. In Satz 7 wird die Zweckbindung der Ersatzzahlung für Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege geregelt. Dabei muss es sich um praktische, reale und unmittelbar wirkende Maßnahmen in Natur und Landschaft handeln. Es besteht ein praktisches Bedürfnis, die Einzelheiten zur Kompensation von Eingriffen (Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen, Ersatzzahlung bei nicht möglicher Realkompensation) Dritten gegenüber verbindlich zu regeln, also nicht nur durch Verwaltungsvorschrift. In den Naturschutzgesetzen der meisten Länder sind diesbezügliche Verordnungsermächtigungen vorgesehen und bereits realisiert. Entsprechendes Landesrecht gilt fort, soweit es den bundesgesetzlichen Anforderungen nicht widerspricht. Sofern aber die Standardisierung von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen eine Angelegenheit ist, die den Vollzug der Eingriffsregelung im gesamten Bundesgebiet betrifft, ist es erforderlich, dass auch der Bund die Möglichkeit erhält, solche Regelungen vorsehen zu können, ohne dass den Ländern die Möglichkeit genommen ist, bis zum Gebrauchmachen des Bundes von seiner Ermächtigung selbst Regelungen erlassen zu können. Diesem Anliegen dient 19 die Vorschrift des Absatzes 7.

Die Vorstellungen des Gesetzesentwurfes der Bundesregierung sind in zweifacher Hinsicht eindeutig. Der Entwurf hält eine Berechnung der Ersatzgeldzahlung aufgrund einer bloßen Verwaltungsvorschrift aus rechtsstaatlichen Gründen für unzureichend. Gerade dies bestätigt erneut auch den Bezug der Ermächtigungsregelung zu der in § 15 Abs. 6 BNatSchG gefällten, bundesweiten Grundentscheidung im Sinne eines problemlösenden Junktims. Des Weiteren will sich der Bund im Falle der Notwendigkeit einer bundesweiten Standardisierung von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen eine verordnungsrechtliche Regelungskompetenz erhalten. Das mag zwar im Hinblick auf Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GG ein Irrtum sein, ändert aber nichts an seinem historisch belegbaren Motiv. Dass dem Bundesgesetzgeber die Vollzugsfähigkeit seines Konzeptes keineswegs gleichgültig war, zeigt schließlich die von ihm gegebene Antwort auf die Frage, was zu geschehen habe, wenn die Kosten für eine „reale“ Kompensation nicht feststellbar sind. Für diesen Fall erklärt er mit drei materiellen Kriterien zugleich die Randbedingungen einer verordnungsrechtlichen Regelung, in der Sprache des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG also das „Ausmaß“.

2. Befund: Unterschiede zwischen bundes- und landesrechtlicher Regelung Hat der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch gemacht, können die Länder durch Gesetz hiervon grundsätzlich abweichende Regelungen über den Naturschutz

19

Vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD vom 17.3.2009 zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege (BTags-Drucks. 16/12274), S. 58; Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit – BTags-Drs. 16/13430 vom (vgl. auch BRats-Drs. 278/09 vom 3.4.2009); zum Gesetzesbeschluss vgl. auch BRats-Drs. 594/09.

- 11 und die Landschaftspflege treffen. Der Landesgesetzgeber weicht vom Bundesrecht im Hinblick auf die naturschutzrechtliche Ersatzzahlung in zweierlei Hinsicht ab: [1] Berechnung der Höhe. Mit § 6 Abs. 1 NAGBNatSchG 2010 weicht der nds. Gesetzgeber für die Berechnung der Höhe der Ersatzzahlung ab, wenn die Kosten nach § 15 Abs. 6 Satz 2 BNatSchG nicht feststellbar sind. Der nachfolgende Textvergleich zeigt die Abweichung: Bundesfassung (§ 15 Abs. 6 Satz 2 BNatSchG 2009): Die Ersatzzahlung bemisst sich in der bundesgesetzlichen Regelung nach den durchschnittlichen Kosten der nicht durchführbaren Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen einschließlich der erforderlichen durchschnittlichen Kosten für deren Planung und Unterhaltung sowie die Flächenbereitstellung unter Einbeziehung der Personal- und sonstigen Verwaltungskosten. Sind diese nicht feststellbar, bemisst sich die Ersatzzahlung nach Dauer und Schwere des Eingriffs unter Berücksichtigung der dem Verursacher daraus erwachsenden Vorteile.

Landesfassung Niedersachsen (§ 6 Abs. 1 NAGBNatSchG 2010): Die nds. Fassung streicht das Kriterium des „Vorteils“ in § 15 Abs. 6 Satz 2 BNatSchG und bestimmt (ergänzend) eine Begrenzung der Höhe der Ersatzgeldzahlung, und zwar wie folgt: … so bemisst sich die Ersatzzahlung [i.e. durchschnittlichen Kosten der nicht durchführbaren Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen] ... allein nach Dauer und Schwere des Eingriffs und beträgt höchstens sieben vom Hundert der Kosten für die Planung und Ausführung des Vorhabens einschließlich der Beschaffungskosten für Grundstücke.

[2] Verordnungsermächtigung. Ferner schließt § 6 Abs. 2 NAGBNatSchG 2010 die gesamte Ermächtigungsregelung des § 15 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG aus, also nicht nur § 15 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG. Bemerkenswert ist allerdings, dass § 6 Abs. 2 NAGBNatSchG 2010 zwar die Anwendung des § 15 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG ausschließt, nicht aber § 15 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG. Das gibt Rätsel auf. Zu erörtern bleibt, ob und auch inwieweit der niedersächsische Gesetzgeber zu diesen Abweichungen befugt war. Wird diese Frage verneint, verletzt § 6 NAGBNatSchG 2010 – mutmaßlich in seiner Gesamtheit – Bundesverfassungsrecht.

III. § 6 Abs. 1 Satz 1 NAGBNatSchG 2010 als zulässiger Gegenstand einer „Abweichung“? Sind die bundesrechtlich nach § 15 Abs. 6 Satz 2 BNatSchG zu ermittelnden Kosten einer Realkompensation nicht feststellbar, bleibt es auch landesrechtlich gleichwohl bei einer Pflicht zu Zahlung eines Ersatzgeldes. Deren Höhe bemisst sich – insoweit abweichend von § 15 Abs. 6 Satz 3 BNatSchG – landesgesetzlich allein (sic!) nach Dauer und Schwere des Eingriffs und beträgt höchstens 7 vom Hundert der Kosten für die Planung und Aus-

- 12 führung des Vorhabens einschließlich der Beschaffungskosten für Grundstücke. Damit ersetzt § 6 Abs. 1 Satz 1 NAGBNatSchG 2010 komplett § 15 Abs. 6 Satz 3 BNatSchG 2009. Nachfolgend wird erörtert, ob diese landesgesetzliche Regelung aus kompetenzrechtlicher Sicht bundesverfassungsrechtlich zulässig ist.20 1. Begriff der „Abweichung“ im Sinne des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG (1) Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG befugt ein Land, durch Gesetz „abweichende Regelungen“ zu treffen.21 Es muss sich thematisch um eine substantiierende Regelung in dem Sinne handeln, dass das Land zum selben Konfliktbereich eine andere als die bundesgesetzliche Lösung vorsehen will. Ob damit eine reine Negativgesetzgebung der bloßen Abwahl vereinbar ist, ist derzeit im Schrifttum umstritten.22 Der Anwendungsbereich der landesgesetzlichen Regelung muss in jedem Falle sprachlich klar umrissen sein.23 Den Ländern ist nicht die Befugnis zu einer generellen Suspendierung des Bundesrechts gegeben, sondern grundsätzlich nur die Möglichkeit einer anderweitigen Regelung. Gegenüber der bundesrechtlichen Vollregelung darf das Land einen anderen Inhalt setzen, soweit dieser im Hinblick auf die vorgegebene bundesrechtliche Lösung thematisch bleibt. Die Länder sind also befugt, die zunächst bestehenden unitarisierenden Wirkungen des Bundesrechtes zu beseitigen, indes nur um den Preis einer eigenen inhaltlichen Regelung. Die in Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG enthaltene Regelungsoption ist also mit dem Junktim eigener inhaltlicher Entscheidungen verbunden. Das kann dann im Einzelfall auch ein parti20

Vgl. Pascale Cancik, Das neue Naturschutzrecht Niedersachsens – ein Testfall für die Abweichungsgesetzgebung, in: NdsVBl 2011, 177-182; Erich Gassner, Zur Verfassungswidrigkeit naturschutzrechtlicher Ersatzzahlungen, in: DVBl 2011, 1268-1274; Marcus Lau, Die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung (Teil 2), in: NuR 2011, 762-771; Peter Berghoff/Katharina Steg, Das neue Bundesnaturschutzgesetz und seine Auswirkungen auf die Naturschutzgesetze der Länder, in: NuR 2010, 17-26; Susanne Funke, Die Auswirkungen des neuen Bundesnaturschutzgesetzes auf die Eingriffsregelungen des Landesrechts, in: SächsVBl 2010, 153159; Alfred Scheidler, Die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung im BNatSchG 2010, in: UPR 2010, 134141; Peter Schütte/Sandra Kattau, Die Neuordnung des Naturschutzrechts in den Bundesländern, in: ZUR 2010, 353-358; Petra Krings, Neues Naturschutzrecht in Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern, in: NordÖR 2010, 181-191; Bernd Becker, Das Recht der Länder zur Abweichungsgesetzgebung (Art. 72 Abs. 3 GG) und das neue WHG und BNatSchG, in: DVBl 2010, 754-758; Rainer Wolf, Das neue Sächsische Naturschutzrecht, in: SächsVBl 2010, 160-164. 21 Rajiv Chandna, Das Abweichungsrecht der Länder gemäß Art. 72 Abs. 3 GG im bundesstaatlichen Kompetenzgefüge – Eine Untersuchung seines Einflusses auf das deutsche Umweltrecht, Berlin 2011, S. 131 ff.; Volker Grünewald, Die Abweichungsgesetzgebung der Bundesländer – Ein Fortschritt im föderalen Kompetenzgefüge des Grundgesetzes?, 2010; Christoph Degenhart, Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen der Abweichungsgesetzgebung, in: DÖV 2010, 422-430. 22 Für die Zulässigkeit einer förmlichen Außerkraftsetzung etwa Philip Kunig, GG, 6. Aufl. 2012, Art. 72 Rn. 39; Bodo Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 12. Aufl., Art. 72 Rn. 30; Rüdiger Sannwald, in: SchmidtBleibtreu, GG, 12. Aufl. 2011, Art. 72 Rn. 80; Christian Seiler, in: Volker Epping/Christian Hillgruber (Hrsg.), GG, 2009, Art. 72 24.1; anders wohl Claudio Franzius, Die Abweichungsgesetzgebung, in: NVwZ 2008, 492-499 [494], ebenso Christoph Degenhart, in: Michael Sachs (Hrsg.), GG, 6. Aufl. 2011, Art. 72 Rn. 43; Arnd Uhle, in: Winfried Kluth (Hrsg.), Föderalismusreformgesetz – Einführung und Kommentierung, 2007, Rn. 51; Peter Fischer-Hüftle, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, 2. Aufl. 2011, Vor. § 1 Rn. 34; undeutlich Jörn Ipsen, Die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern nach der Föderalismusnovelle, in: NJW 2006, 2801-2806 [2804]; großzügig wohl Sabine Schlacke, Einleitung, in: dies. (Hrsg.), GKBNatSchG, 2012, Rn. 56. 23 Ähnlich Christoph Degenhart, Die Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen durch die Föderalismusreform, in: NVwZ 2006, 1209-1216 [1213]; Wolfgang Köck/Rainer Wolf, Grenzen der Abweichungsgesetzgebung im Naturschutz, in: NVwZ 2008, 353-360 [357]; Volker Haug, Die Abweichungsgesetzgebung – ein Kuckucksei der Föderalismusreform?, in: DÖV 2008, 851-857 [854]; Claudio Franzius, Die Abweichungsgesetzgebung, in: NVwZ 2008, 492-499 [495], verweist insoweit auf das "Gebot rechtsstaatlicher Normklarheit".

- 13 elles Außerkraftsetzen sein. Dennoch: „abweichen“ können die Länder nur von positiven Regelungen, denen eine andere Konzeption gegenübergestellt wird. Weiteres braucht hier nicht abschließend geklärt zu werden. (2) Der Bundgesetzgeber hat mit § 15 Abs. 6 BNatSchG 2009 – wie zuvor erörtert – eine Vollregelung geschaffen. Damit erübrigt sich die Frage, ob für die Abweichungsgesetzgebung im Sinne des Art. 72 Abs. 2 Satz 1 GG stets eine Vollregelung des Bundes verlangt werden muss. Von der Vollregelung des § 15 Abs. 6 BNatSchG 2009 weicht § 6 Abs. 1 Satz 1 NAGBNatSchG 2010 jedenfalls substantiell ab. Die landesgesetzliche Regelung erfüllt die Voraussetzungen einer eigenen, eben anderen Konzeption, ohne dabei den thematischen Bezug der naturschutzrechtlichen Ersatzzahlung zu verlassen. Die abweichenden Besonderheiten sind bereits skizziert worden. § 6 Abs. 1 Satz 1 NAGBNatSchG 2010 trifft punktuelle Abweichungen. Ob diese – aus anderen Gründen – rechtens sind, berührt allerdings die dem Landesgesetzgeber eröffnete Regelungskompetenz nicht. Eine landesrechtliche Negativgesetzgebung liegt jedenfalls nicht vor. Der nds. Landesgesetzgeber sieht in § 6 Abs. 1 Satz 1 NAGBNatSchG 2010 eine in sich geschlossene Regelung über die naturschutzrechtliche Ersatzzahlung. Zwar ist die Regelung – wie noch darzulegen ist – unbestimmt und verletzt damit rechtsstaatliche Anforderungen. Das ist indes „nur“ eine inhaltliche Frage. Von dieser ist die konzeptionelle Lösung des Landesgesetzgebers zu trennen. Ein Abweichungswille des Landesgesetzgebers besteht. Das ist zweifelsfrei. Da der Bundesgesetzgeber durch § 15 Abs. 6 und 7 BNatSchG eine „vollständige“ Regelung getroffen hat, stellt sich auch nicht die Frage, ob ein „Wille zur Nichtregelung“ eine Sperrwirkung nach Art. 72 Abs. 1 GG erzeugen würde. Bereits hier ist darauf aufmerksam zu machen, dass das bundesrechtliche Modell sich nicht als eine Frage der Ressourcenabschöpfung versteht.24 Es bleibt vielmehr dem Eingriffsausgleichs-System strukturell verhaftet.

2. Der spezifische (naturschutzrechtliche) Vorbehalt des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GG 2.1 Begriff der „allgemeinen Grundsätze des Naturschutzes“ (1) Eine landesgesetzliche Abweichung ist unzulässig, soweit ein „abweichungsfester Kern“ gegeben ist. Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GG umschreibt diesen Kern mit den Worten „allgemeine Grundsätze des Naturschutzes, das Recht des Artenschutzes oder des Meeresnaturschutzes“. Zu erörtern ist, ob der nds. Landesgesetzgeber diesen Vorbehalt verletzt hat. (2) Was als „allgemeine Grundsätze“ des Naturschutzes inhaltlich zu gelten hat, ist umstritten.25 Der verfassungsändernde Gesetzgeber setzt ihren Inhalt voraus. Was als „abweichungsfester Kern“ gegeben sein soll, hat der verfassungsändernde Gesetzgeber – bei aller

24

Vgl. zu dem Unterschied Erich Gassner, Zur Verfassungswidrigkeit naturschutzrechtlicher Ersatzzahlungen, in: DVBl 2011, 1268-1274 [1271]; Dietrich Murswiek, Die Ressourcennutzungsgebühr. Zur rechtlichen Problematik des Umweltschutzes durch Abgaben, in: NuR 1994, 170-176. Vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 7.11.1995 - 2 BvR 413/88 - BVerfGE 93, 319 [345] = DVBl 1996, 357 = NVwZ 1996, 469 (Wasserpfennig). 25 Vgl. Markus Appel, Die Befugnis zur einfach-gesetzlichen Ausgestaltung der allgemeinen Grundsätze des Naturschutzes i. S. d. Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GG – zugleich ein Beitrag über Inhalt und Reichweite des abweichungsfesten Kerns der Landschaftsplanung gemäß § 8 BNatSchG 2009, in: NuR 2010, 171-179; Oliver Hendrischke, "Allgemeine Grundsätze" als abweichungsfester Kern der Naturschutzgesetzgebung des Bundes, in: NuR 2007, 454-458 [456].

- 14 Unbestimmtheit – selbst abschließend entschieden.26 Es gibt keinen Anhalt für die Ansicht, der verfassungsändernde Gesetzgeber habe zugleich den „einfachen“ Bundesgesetzgeber ermächtigen wollen näher zu bestimmen, was als „allgemeine Grundsätze“ des Naturschutzes im Sinne des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GG zu gelten habe. Das würde bedeuten, dass der einfache Gesetzgeber die Reichweite der Abweichungskompetenz bestimmen könnte. Einen derartigen Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers darf man schwerlich annehmen. Sein Inhalt wäre geradezu dysfunktional gegenüber dem Anliegen der Verfassungsänderung, die Gesetzgebungskompetenz der Länder zu stärken. Das bedeutet: Der „einfache“ Bundesgesetzgeber kann zwar „allgemeine Grundsätze“ des Naturschutzes für seinen eigenen Anwendungsbereich zusammenstellen, wie er es in §§ 1, 2 BNatSchG 2009 und früher in § 2 BNatSchG 2002 getan hat. Er hat indes keine Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GG bestimmende Definitionsmacht.27 Demgemäß muss der verfassungsrechtlich benutzte Begriff der „allgemeine Grundsätze“ des Naturschutzes aus sich heraus ausgelegt werden. Einer abschließenden Erörterung bedarf es hier indes nicht. Es ist nur zu fragen, ob die naturschutzrechtliche Ersatzgeldzahlung zu den „allgemeinen Grundsätzen“ des Naturschutzes zu zählen ist. (2) Der Ausdruck „Grundsätze des Naturschutzes“ entstammt der „einfachen“ Gesetzessprache (vgl. § 2 BNatSchG 1998, 2002).28 Man kann darüber räsonieren, ob und welche steigernde Bedeutung der Zusatz der „allgemeinen“ Grundsätze haben soll.29 Für die hier vorliegende gutachterliche Frage spielt dies keine Rolle. Vieles spricht dafür, dass nur eine semantische Verstärkung beabsichtigt ist.30 Nimmt man an, der verfassungsändernde Gesetzgeber habe den Bestand „Grundsätze des Naturschutzes“ (vgl. § 2 BNatSchG 1998, 2002) gleichsam als abweichungsfesten Kern zugunsten einer bislang ausgeübten Bundeskompetenz verfassungsrechtlich festschreiben wollen, dann erfasst dieser Kanon jedenfalls nicht die konkrete naturschutzrechtliche Ersatzgeldzahlung. Diese Ausgleichsmaßnahme wird in § 2 BNatSchG 1998 nicht genannt. Die gesamte Eingriffsregelung ist in dem seinerzeitigen §§ 18 ff. BNatSchG 2002 nur dem 26

Vgl. Michael Kotulla, Umweltschutzgesetzgebungskompetenzen und Föderalismusreform, in: NVwZ 2007, 489-495 [491 f.]; Gerd Hager, Konkurrierende Gesetzgebung mit Abweichungsmöglichkeiten (Art. 72 Abs. 3 GG) – Rechtsstaatliche Anforderungen an die Normklarheit am Beispiel des ROG und des LplG BW, in: BauR 2012, 31-39; Stefan Muckel, Dichtheitsprüfung nach § 61 a LWG NRW trotz fehlender Landeskompetenz für Regelungen zu Abwasseranlagen?, in: NWVBl 2012, 1-5; Niklas Langguth, Die Grenzen der Raumordnungsplanung – Zur Abgrenzung der Gesetzgebungskompetenzen für Raumordnung und Bauleitplanung, in: ZfBR 2011, 436-441; Johannes Krause, Abweichungskompetenzen der Bundesländer am Beispiel des Umweltrechts, in: JA 2011, 768-770; Erich Gassner, Zur Verfassungswidrigkeit naturschutzrechtlicher Ersatzzahlungen, in: DVBl 2011, 1268-1274. 27 Vgl. Stefan Oeter, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 6. Aufl. 2010, Art. 74 Rn.186; Sabine Schlacke, Einleitung, in: dies. (Hrsg.), GK-BNatSchG, 2012, Rn. 48; Martin Gellermann, Naturschutzrecht nach der Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes, in: NVwZ 2010, 73-79 [75]; Markus Appel, Die Befugnis zur einfach-gesetzlichen Ausgestaltung der allgemeinen Grundsätze des Naturschutzes i. S. d. Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GG – zugleich ein Beitrag über Inhalt und Reichweite des abweichungsfesten Kerns der Landschaftsplanung gemäß § 8 BNatSchG 2009, in: NuR 2010, 171-179 [173]; Claudio Franzius, Die Zukunft der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung – Eine Bewährungsprobe für die Abweichungsgesetzgebung nach dem Inkrafttreten des neuen Bundesnaturschutzgesetzes, in: ZUR 2010, 346-353 [349 f.]. 28 Ähnlich Wolfgang Köck/Rainer Wolf, Grenzen der Abweichungsgesetzgebung im Naturschutz, in: NVwZ 2008, 353-360. 29 Vgl. z.B. Michael Kotulla, Umweltschutzgesetzgebungskompetenzen und Föderalismusreform, in: NVwZ 2007, 489-495 [493]. 30 Vgl. weiterführend Oliver Hendrischke, Regelungsspielräume der Länder nach der Föderalismusreform 2006, in: Bundesverband Beruflicher Naturschutz (Hrsg.), Jahrbuch für Naturschutz und Landschaftspflege, Bd. 58, S 74-81.

- 15 bundesrechtlichen Rahmenrecht zugeordnet (vgl. arg. e § 10 BNatSchG 2002). Das gilt insbesondere für die naturschutzrechtliche Ausgleichszahlung. Nach § 19 Abs. 4 BNatSchG 2002 konnten die Länder weitergehende Regelungen erlassen. Sie konnten insbesondere Vorgaben zur Anrechnung von Kompensationsmaßnahmen treffen und vorsehen, dass bei zuzulassenden Eingriffen für nicht ausgleichbare oder nicht in sonstiger Weise kompensierbare Beeinträchtigungen Ersatz in Geld zu leisten sei (Ersatzzahlung). Ein bundesgesetzlicher Zwang bestand hingegen insoweit nicht. Das ist ein hinreichender Beleg dafür, dass es im Zeitpunkt des verfassungsändernden Gesetzes, mit dem Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GG geschaffen wurde, nicht allgemeiner Ansicht entsprach, dass die naturschutzrechtliche Ersatzzahlung in ihrer jetzigen konkreten Ausgestaltung zu den allgemeinen Grundsätzen des Naturschutzes zu zählen war, wie sie vor 2006 zu fixieren waren.31 (3) Ergänzend sei bemerkt: Ob ein Vorrang der Realkompensation gegenüber direkten Ausgleichszahlungen zu den „allgemeinen Grundsätzen“ des Naturschutzes zu zählen ist, ist derzeit zwischen Bund und Ländern strittig.32 Die hier zu behandelnde gutachterliche Frage bezieht sich hierauf nicht.

2.2 Ersatzzahlung als Ausdruck naturschutzrechtlicher Ordnungsprinzipien? (1) Als Zwischenergebnis lässt sich festhalten, dass die Regelung des § 15 Abs. 6 und 7 BNatSchG 2009 nicht per se als ein „allgemeiner Grundsatz“ des Naturschutzes anzusehen ist. Damit ist die Prüfung der Kompetenzfrage noch nicht beendet. Ein einfacher Vergleich zwischen bundesrechtlicher und landesrechtlicher Regelung erfasst nicht die Frage, ob in § 15 Abs. 6 und 7 BNatSchG ein „allgemeiner Grundsatz“ des Naturschutzes enthalten ist, gleichsam mitgedacht wird. Es ist vielmehr erweiternd auch zu prüfen, ob die Regelung des § 15 Abs. 6 und 7 BNatSchG 2009 nur notwendiger Ausdruck eines allgemeinen Prinzips des Naturschutzes ist. Es ist mit anderen Worten zu erörtern, ob der Bundesgesetzgeber mit den §§ 13 ff. BNatSchG etwas rechtstechnisch und gestaltend umgesetzt und damit subsumtionsfähig festgeschrieben hat, was man als naturschutzrechtliches Ordnungs- oder Strukturprinzip zu bewerten hat. Damit muss gewissermaßen hinter die konkrete gesetzliche Ausgestaltung gesehen werden, um zu fragen, ob die Regelung der §§ 13 ff. BNatSchG bestimmte naturschutzrechtliche Strukturen abbildet, die dem Naturschutz dienen sollen und insoweit „allgemeine“ Grundsätze widerspiegeln. Anlass zu einer derartigen Problematisierung besteht, weil es das erklärte Ziel des BNatSchG 2009 ist, kraft Bundesrechts vollzugsfähige bundesrechtliche Regelungen zu Naturschutz und Landschaftspflege zu schaffen.33 (2) Derartige Strukturen und damit ggf. auch Strukturprinzipen des Naturschutzes lassen sich den §§ 13 ff. BNatSchG unschwer entnehmen.34 Sie wurden bereits erwähnt. Die Ein31

So auch im Ergebnis Sabine Schlacke, Einleitung, in: dies. (Hrsg.), GK-BNatSchG, 2012, Rn. 48. Vgl. Claudio Franzius, Die Abweichungsgesetzgebung, in: NVwZ 2008, 492-499 [496]. 33 Vgl. Sabine Schlacke, Einleitung, in: dies. (Hrsg.), GK-BNatSchG, 2012, Rn. 37. 34 Dirk Berchter, Die Eingriffsregelung im Naturschutzrecht, 2007, S. 21; Erich Gassner, Zur Verwirklichung des Integritätsinteresses in der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung, in: NuR 1988, 67-71 [68]; vgl. Hans-Joachim Koch, Die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung, in: Jochen Kerkmann (Hrsg.), Naturschutzrecht in der Praxis, 2010, § 4 Rn. 2; Peter Fischer-Hüftle, Zur Gesetzgebungskompetenz auf dem Gebiet "Naturschutz und Landschaftspflege" nach der Föderalismusreform, in: NuR 2007, 78-85 [82]; Bernd Becker, Das Recht der Länder zur Abweichungsgesetzgebung (Art. 72 Abs. 3 GG) und das neue WHG und BNatSchG, in: DVBl 2010, 755-759 [757]; das Umweltgutachten 2008 des Sachverständigenrats für Umweltfragen, www.umweltrat.de, S. 366, zählt die Grundsätze des flächendeckenden Mindestschutzes, der Vermeidung und Kompensation und der Verantwortlichkeit des Verursachers, und damit auch die Grundla32

- 16 griffsregelung des BNatSchG will Beeinträchtigungen der Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts und des Landschaftsbildes ausgleichen. Das damit mitgedachte Schutzgebot ist als Verschlechterungsverbot zu verstehen. Es handelt sich 

[1] um den Grundsatz des naturschutzrechtlichen Bestandsschutzes (status quo), also die Zielsetzung, den Zustand von Natur und Landschaft zu bewahren,



[2] um die grundsätzliche Verpflichtung, den nicht zu vermeidenden Eingriff auszugleichen (Grundsatz der Kompensation) und



[3] um das damit verbundene umweltrechtliche Verursacherprinzip.35

Der Verursacher von Umweltbelastungen hat grundsätzlich die sachliche und finanzielle Verantwortung für den Naturschutz zu tragen.36 Die vorgenannten Strukturen sind den Naturschutz konstituierende Ordnungsprinzipien.37 Sie sind auch in dem Sinne „allgemein“, als jede naturschutzrechtliche Eingriffsregelung – welche diesen Namen verdient – sich mit ihnen befassen muss.38 Ersatzzahlungen sind damit nachrangig. Der Gesetzgeber des BNatSchG hat es beim Primat der Naturalrestitution belassen.39 (3) Greift der Verursacher in den Bestand ein und ist dies unter näheren Voraussetzungen zulässig, muss er für den Ausgleich sorgen, um den status quo aufrechterhalten zu können.40 Das meint grundsätzlich die Realkompensation.41 Der Bundesgesetzgeber hat die ehemalige Strenge der Realkompensation allerdings zunehmend aufgelockert. Die Sichtweise noch des § 8 Abs. 3 BNatSchG 1976 war die des effektiven Ausgleichs, nicht die des Ersatzes.42 Ein solcher Ausgleich musste zwar nicht notwendig genau an der Stelle des Eingriffs, wohl aber lokal unter Wahrung des funktionellen Zusammenhanges zwischen Eingriff und Ausgleich erfolgen, um auch insoweit die erforderliche Abgrenzung zur Ersatzmaßnahme zu wahren.43 Das BNatSchG 2002 lockerte die Anforderungen an die vergen der Eingriffsregelung, vgl. zu den allgemeinen Grundsätzen; auch nach Martin Gellermann, Naturschutzrecht nach der Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes, in: NVwZ 2010, 73-79 [74] gibt § 13 BNatSchG den verfassungsrechtlichen Gehalt des Art. 72 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 „noch“ zutreffend wieder. 35 Vgl. Reinhard Hendler/Sven Brockhoff, Die Eingriffsregelung des neuen Bundesnaturschutzgesetzes, in: NVwZ 2010, 733-738 [738]; Alfred Scheidler, Die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung im BNatSchG 2010, in: UPR 2010, 134-141 [135]; so auch Ulrich Ramsauer, Allgemeines Umweltverwaltungsrecht, in: Hans-Joachim Koch, Umweltrecht, 3. Aufl. 2010, § 3 Rn. 23. 36 Klaus Meßerschmidt, Europäisches Umweltrecht, 2011, S. 307 f. zu §§ 13 ff. BNatSchG. 37 Wie hier Erich Gassner, Zur Verfassungswidrigkeit naturschutzrechtlicher Ersatzzahlungen, in: DVBl 2011, 1268-1274 [1269]. 38 Vgl. auch Dietrich Murswiek, in: Sachs, GG, 5. Aufl. 2009, Art. 20a Rn. 44; auch Sabine Schlacke, Einleitung, in: dies. (Hrsg.), GK-BNatSchG, 2012, Rn. 48. 39 Martin Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Bd. IV, 2010, § 15 BNatSchG Rn. 2. 40 Vgl. Peter Fischer-Hüftle, Zur Zweckbindung der Ersatzzahlung im Fall ihrer Gleichstellung mit der Realkompensation, in: NuR 2011, 461-464; Wolfgang Durner, Kompensation für Eingriffe in Natur und Landschaft nach deutschem und europäischem Recht, in: NuR 2001, 601-610. 41 Vgl. Peter Fischer-Hüftle, Zur Zweckbindung der Ersatzzahlung im Fall ihrer Gleichstellung mit der Realkompensation, in: NuR 2011, 461-464; Wolfgang Durner, Kompensation für Eingriffe in Natur und Landschaft nach deutschem und europäischem Recht, in: NuR 2001, 601-610. 42 So deutlich auch BVerwG, Urteil vom 27.10.2000 - 4 A 18.99 - BVerwGE 112, 140 Rn. 61 ff. = DVBl 2001, 386 = NVwZ 2001, 673. Vgl. auch Hans-Joachim Koch, Die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung, in: Jochen Kerkmann (Hrsg.), Naturschutzrecht in der Praxis, 2010, § 4 Rn. 6 ff. 43 BVerwG, Urteil vom 27.9.1990 - 4 C 44.87 - BVerwGE 85, 348 Rn. 36 = DVBl 1991, 209 = NVwZ 1991, 364; vgl. zu alledem seinerzeit Rüdiger Breuer, Die Bedeutung des § 8 BNatSchG für Planfeststellungen und qualifizierte Genehmigungen nach anderen, in: NuR 1980, 89-101 [94 f.]; Erich Gassner, Eingriffe in Natur und Landschaft – ihre Regelung und ihr Ausgleich nach § 8 BNatSchG, in: NuR 1984, 81-86 (84); Erich Gassner, Zur Verwirklichung des Integritätsinteresses in der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung,

- 17 langte Kompensation weiter. Der Ausgleich einer Naturalkompensation wurde einem Ersatz gleichgestellt (vgl. § 19 Abs. 3 BNatSchG 2002). Immerhin blieb es bei dem Grundsatz der Realkompensation in der „Eingriffsnähe“. Das NAGBNatSchG 2010 geht noch einen Schritt weiter. Ersetzt bzw. „ausgeglichen“ ist eine Beeinträchtigung auch, wenn und sobald die beeinträchtigten Funktionen des Naturhaushalts „in dem betroffenen Naturraum“ in gleichwertiger Weise hergestellt sind und das Landschaftsbild landschaftsgerecht neu gestaltet ist (vgl. § 15 Abs. 2 Satz 3 BNatSchG 2009). Die Gesamtentwicklung zeigt also, dass das naturschutzrechtliche Kompensationsmodell mit der Eingriffslage einerseits und einer sich hierauf beziehenden Kompensation andererseits seit jeher, also über einen Zeitraum von nunmehr etwa 35 Jahren, strukturell verbunden ist. Der historischen Auslegung kommt hier für Kompetenznormen insofern besondere Bedeutung zu, als neben der Entstehungsgeschichte des jeweiligen Kompetenztitels innerhalb des Grundgesetzes auch auf die historische Entwicklung der Materie zurückzugreifen ist.44 Das rechtfertigt es, die Forderung nach naturschutzrechtlicher Kompensation als einen „allgemeinen“ Grundsatz des Naturschutzes anzuerkennen.45 Diese steht mithin dem Landesgesetzgeber nicht zur Disposition. Das ist im Grundsatz unumstritten. (4) Offen bleibt die weitere Frage, ob und ggf. in welcher Hinsicht auch die in § 15 Abs. 6 Satz 1 BNatSchG 2009 statuierte Ersatzzahlung einen strukturellen Kern besitzt, dem der Charakter eines (allgemeinen) Grundsatzes des Naturschutzes zugewiesen werden kann. Hans-Joachim Koch (2012) bejaht dies im Hinblick auf § 13 BNatSchG. 46 Das bedarf indes genauerer Prüfung. Der Bundesgesetzgeber will mit § 15 Abs. 6 Satz 1 BNatSchG 2009 die weiterführende Frage beantworten, ob und was ggf. zu geschehen habe, wenn ein Eingriff zugelassen oder durchgeführt wird und die Beeinträchtigungen nicht in angemessener Frist auszugleichen oder zu ersetzen sind und/oder eine Realkompensation im Sinne eines bilanzierenden status quo nicht möglich ist. Das vorerörterte naturschutzrechtliche Kompensationsmodell würde darauf eigentlich nur zwei unterschiedliche Antworten eröffnen: Entweder ist der Eingriff wegen fehlender Kompensationsmöglichkeit nicht zuzulassen oder der gleichwohl zugelassene Eingriff bleibt in diesem Sinne sanktionslos. Der Bundesgesetzgeber weicht dieser Alternative aus und wählt in § 15 Abs. 6 BNatSchG 2009 mit dem Modell der finanziellen Ausgleichsleistung einen „dritten Weg“. In § 15 Abs. 6 Satz 2 und 3 BNatSchG 2009 gibt er dazu differenziert an, wie die Höhe des Ersatzgeldes zu bestimmen ist. Danach bemisst sich die Ersatzzahlung nach den durchschnittlichen Kosten der nicht durchführbaren Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen einschließlich der erforderlichen durchschnittlichen Kosten für deren Planung und Unterhaltung sowie die Flächenbereitstellung unter Einbeziehung der Personal- und sonstigen Verwaltungskosten. Ist auch dieses nicht feststellbar, bemisst sich die Ersatzzahlung nach Dauer und Schwere des Eingriffs unter Berücksichtigung der dem Verursacher daraus erwachsenden in: NuR 1988, 67-71 [68 f.]; Michael Ronellenfitsch, Eingriffe in Natur und Landschaft bei der wasserwirtschaftlichen Planfeststellung , in: VerwArch 77, 177-192 (1986); Eberhard Sander, Rechtsfragen im Verhältnis von Wasserrecht und Naturschutzrecht, in: NuR 1986, 317-324 [321]. 44 Christoph Degenhart, Regelungsmöglichkeiten des Bundes zur Gleichstellung von Ersatzgeld und Naturalkompensation im Rahmen der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung – verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen, Expertise Januar 2011, S. 17. 45 Vgl. zur Bestimmung des Inhalts von Kompetenznorm maßgeblich nach der Tradition der jeweiligen einfachgesetzlichen Materie BVerfG, Beschluss vom 10.3.1976 - 1 BvR 355/67 - BVerfGE 42, 20 [29]; BVerfG, Urteil vom 19.10.1982 - 2 BvF 1/81 - BVerfGE 61, 149 [175] = DVBl 1982, 1135 = NJW 1983, 25; BVerfG, Beschluss vom 9.10.1984 - 2 BvL 10/82 - BVerfGE 67, 299 [314ff., 319ff.] = DVBl 1985, 49 = NJW 1985, 371; BVerfG, Beschluss vom 8.4.1987 - 2 BvR 909/82 - BVerfGE 75, 108 [146] = DVBl 1987, 941 = NJW 1987, 3115; BVerfG, Urteil vom 10.2.2004 - 2 BvR 834/02 - BVerfGE 109, 190 [218 f.] = DVBl 2004, 501; Christoph Degenhart, in: Michael Sachs, GG, 5. Aufl. 2009, Art. 70 Rn. 73 f. 46 Hans-Joachim Koch, in: Sabine Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG, 2012, § 15 Rn. 41.

- 18 Vorteile. Betrachtet man beide zitierten Sätze in ihrer Gesamtheit, so darf man feststellen, dass ein Zusammenhang mit dem naturschutzrechtlichen Kompensationsmodell nur mittelbar besteht. Eine irgendwie gegebene Realkompensation – nämlich eine Veränderung des Naturzustandes oder des Landschaftsbildes an anderer Stelle oder gar eine Sicherung der Funktionalität des bisherigen Zustandes – gibt es nicht. Insoweit ist der Grundsatz der realen Kompensation aufgegeben. Im Ordnungssystem der Eingriffsregelung fehlt hier die integrale Naturalkompensation. Das vom Bundesgesetzgeber statuierte Modell der Ersatzzahlung weist bei systemischer Betrachtung Elemente einer Abschöpfungs- und Kompensationsabgabe auf.47 Sie bedarf dazu einer rechtfertigenden Grundlage. Diese dürfte eine doppelte sein. Ein solcher sachlicher, die Abgabenerhebung verfassungsrechtlich im Grundsatz rechtfertigender Belastungsgrund liegt zum einen im Ausgleich des wirtschaftlichen Wertes eines – einer Erlaubnis bedürftigen – Zugriffs auf eine natürliche Ressource als eines Gutes der Allgemeinheit, also in einer zumindest teilweisen Abschöpfung des Sondervorteils des Ressourcenzugriffs, zum anderen im Grundsatz der Gleichbehandlung.48 Das heißt: Zum einen wird derjenige Vorhabenträger, der von einer Realkompensation freigestellt ist, dadurch begünstigt, dass er keine Aufwendungen für die anderenfalls gebotene Realkompensation erbringen muss. Diese „Besserstellung“ soll vermieden werden.49 Das begründet zum anderen gegenüber „Mitbewerbern“ einen denkbaren Wettbewerbsvorteil. Der Bundesgesetzgeber hat beide Gesichtspunkte miteinander verbunden. In § 15 Abs. 6 Satz 2 BNatSchG 2009 bestimmt er, dass die Höhe der Ersatzzahlung sich nach den durchschnittlichen Kosten der nicht durchführbaren Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen auszurichten habe. Der Gesetzgeber nimmt damit in dieser Variante unterstellend an, dass man durchschnittliche Kosten errechnen kann. Der Zusammenhang mit der konkret-situativen Eingriffslage bleibt nicht nur unklar; er wird vielmehr in concreto aufgelöst. Ebenso unbestimmt bleibt, in welchem Verfahren mit welcher Maßgeblichkeit der Durchschnittswert zu bestimmen ist. Ist auch die Berechnung nach § 15 Abs. 6 Satz 2 BNatSchG 2009 nicht möglich, sollen gemäß § 15 Abs. 6 Satz 3 BNatSchG 2009 bundesrechtlich andere Kriterien, indes hypothetisch, maßgebend sein, um die Höhe des Ersatzgeldes festzulegen, nämlich „Dauer und Schwere des Eingriffs unter Berücksichtigung der dem Verursacher daraus erwachsenden Vorteile“. Damit wird in gewisser Weise ein Zusammenhang mit der naturschutzrechtlichen Kompensation hergestellt, aber nur begrenzt. Im Kompensationsmodell ist die Frage eines Vorteils – in Bezug worauf eigentlich? – geradezu systemfremd. Die zu erwartende Höhe der Kosten einer Realkompensation könnte durchaus repressiv wirken, den Eingriff an diesem Standort zu unterlassen. Sein Bewertungsverfahren hat der Bundesgesetzgeber einigen bereits vorhandenen landesrechtlichen Regelungen entnommen.50

47

Vgl. BVerwG, Urteil vom 4.7.1986 - 4 C 50.83 - BVerwGE 74, 308 = DVBl 1986, 1009 = NVwZ 1986, 832 zur naturschutzrechtlichen Ausgleichsabgabe nach § 8 Abs. 9 BNatSchG 1976 in Verb. mit § 11 NatSchG BW 1975/1985; BVerwG, Urteil vom 20.1.1989 - 4 C 15.87 - BVerwGE 81, 220 = DVBl 1989, 658 = NVwZ 1989, 867 zur naturschutzrechtliche Ausgleichsabgabe nach § 11 NatSchG BW 1975/1985; ähnlich auch BVerfG [K], Beschluss vom 5.3.2009 – 2 BvR 1824/05 - BVerfGK 15, 168 Rd. 19 ff., 26 = NVwZ 2009, 837 zur Stellplatzablösung. 48 Vgl. auch Hans-Joachim Koch, Umweltabgaben in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: Lerke Osterloh u.a. (Hrsg.), Staat, Wirtschaft, Finanzverfassung. Festschrift für Peter Selmer, Berlin 2004, S. 769-789. 49 BVerwG, Urteil vom 20.1.1989 - 4 C 15.87 - BVerwGE 81, 220 [225 f.] = DVBl 1989, 658 = NVwZ 1989, 867; so auch Peter Fischer-Hüftle, in: ders./Jochen Schumacher (Hrsg.), BNatSchG, 2. Aufl. 2011, § 15 Rn. 136. 50 Nachweise bei Hans-Joachim Koch, in: Sabine Schlacke (Hrsg.), GK-BNatSchG, 2012, § 15 Rn. 44 mit Fußn. 56.

- 19 (5) Die vom Gesetzgeber annoncierte Absicht, entstandene Vorteile angemessen „abzuschöpfen“, löst sich vollkommen von einer Kompensationsvorstellung und ist im Kern ein Betrag für eine sanktionslose Ressourcennutzung. Daher ist es gut vertretbar, die Ersatzzahlung verfassungsrechtlich als Sonderabgabe zu beurteilen, und zwar in der Variante einer Verursacherabgabe.51 Die naturschutzrechtliche Ausgleichsabgabe ist daher hinsichtlich ihres Belastungsgrundes vorrangig unter den Abgabentypus der Ressourcennutzungsgebühren52 oder Vorteilsabschöpfungsabgaben53 zu fassen. Dafür spricht auch, dass sie im Kern keine unmittelbaren Lenkungszwecke verfolgt. Das BVerwG hat 1986 die Ausgleichsabgabe nach § 11 des Baden-Württembergischen Naturschutzgesetzes (1975/1985) als eine verfassungsrechtlich zulässige Sonderabgabe angesehen.54 Bei der naturschutzrechtlichen Ausgleichsabgabe liege die gruppennützige Verwendung darin, dass das Abgabeaufkommen insgesamt für Zwecke des Naturschutzes und der Landschaftspflege zu verwenden ist und dass damit nicht ausgleichbare Eingriffe angesichts des Ziels, Natur und Landschaft zu schützen, zu pflegen und zu entwickeln sowie Eingriffe zu vermeiden und unvermeidbare auszugleichen oder dafür Ersatz zu schaffen zugunsten der Gruppe der Eingreifenden eher hingenommen werden können. Das BVerwG hat 1989 an seiner Auffassung festgehalten.55 Als Verursacherabgabe löst sich die Ersatzzahlung vom Grundsatz der Realkompensation, verfolgt aber unverändert den Grundsatz der naturschutzrechtlichen Verursacherhaftung. Die Höhe der Ersatzzahlung knüpft hieran an, ohne indes dazu ein subsumtionsfähiges Berechnungsmodell angeben zu können. Der Hauptmaßstab (§ 15 Abs. 6 Satz 2 BNatSchG 2009) verweist auf die durchschnittlichen Kosten der gerade nicht durchgeführten Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen. Mit dem Hilfsmaßstab (§ 15 Abs. 6 Satz 3 BNatSchG 2009) wird eine Kombination von Eingriffsintensität und Vorteil normiert. Natur und Landschaft ist ein Gut der Allgemeinheit. Wird Einzelnen die „Nutzung“ durch einen nicht ausgleichsfähigen Eingriff eröffnet, erhalten sie einen Sondervorteil gegenüber all denen, welche dieses Gut der Allgemeinheit nutzen, aber – obwohl Verursacher des Eingriffs - nicht oder nicht in gleichem Umfang ausgleichspflichtig sind. Es ist gewiss sachlich gerechtfertigt, diesen Vorteil ganz oder teilweise abzuschöpfen. Ähnlich 51

So auch Peter Fischer-Hüftle, in: ders./Jochen Schumacher (Hrsg.), BNatSchG, 2. Aufl. 2011, § 15 Rn. 136; Erich Gassner, Zur Verfassungswidrigkeit naturschutzrechtlicher Ersatzzahlungen, in: DVBl 2011, 1268-1274 (1271); Stefan Lütkes, in: ders./Wolfgang Ewer, BNatSchG, 2011, § 15 Rn. 76. Zur Verursacherabgabe vgl. Paul Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, 3. Aufl. 2007, § 119 Rn. 99 ff.; Andreas Vosskuhle, Das Kompensationsprinzip – Grundlagen einer prospektiven Ausgleichsordnung für die Folgen privater Freiheitsbetätigung, zur Flexibilisierung des Verwaltungsrechts am Beispiel des Umwelt, und Planungsrechts, Tübingen 1999, S. 219 f.; ähnlich Michael Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 11 Rn. 107. 52 So in der Sache BVerfG, Beschluss vom 7.11.1995 - 2 BvR 413/88 - BVerfGE 93, 319 [345] = DVBl 1996, 357 = NVwZ 1996, 469 (Wasserpfennig); Christoph Degenhart, Staatsrecht I., 26. Aufl. 2010, Rn. 547. 53 BVerfG, Beschluss vom 7.11.1995 - 2 BvR 413/88 - BVerfGE 93, 319 [345] = DVBl 1996, 357 = NVwZ 1996, 469 zu Verfassungsmäßigkeit der Erhebung von Wasserentnahmeabgaben; Hans-Joachim Koch, Umweltabgaben in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: Lerke Osterloh u.a. (Hrsg.), Staat, Wirtschaft, Finanzverfassung. Festschrift für Peter Selmer, 2004, S. 769-789 [785]. 54 BVerwG, Urteil vom 4.7.1986 - 4 C 50.83 - BVerwGE 74, 308 Rn. 12 ff. = DVBl 1986, 1009 = NVwZ 1986, 832. Vgl. dazu Klaus Meßerschmidt, Sonderabgaben und Bundesverwaltungsgericht. Zur Rechtsnatur des Ausgleichsbetrages zur Ablösung der Stellplatzpflicht nach der Hamburgischen Bauordnung sowie der Ausgleichsabgabe nach dem Baden-Württembergischen Naturschutzgesetz, in: DVBl 1987, 925-933; Bernd Wegmann, Naturschutzlasten und Transferverfassung, in: NuR 1988, 361-369. Vgl. ferner Wolfgang Köck, Die Sonderabgabe als Instrument des Umweltschutzes, Düsseldorf 1991; Susanne Meyer, Gebühren für die Nutzung von Umweltressourcen - unzulässiger Preis für Freiheitsausübung oder zulässiges Bewirtschaftungsinstrument?, Berlin 1995; Dietrich Murswiek, Die Ressourcennutzungsgebühr - Zur rechtlichen Problematik des Umweltschutzes durch Abgaben?, in: NuR 1994, 170-176; bereits Felix Weyreuther, Das Abgabenrecht als Mittel des Umweltschutzes, in: UPR 1988, 161-170; Klaus Meßerschmidt, Umweltabgaben als Rechtsproblem, 1986; Reinhard Sparwasser/Rüdiger Engel/Andreas Voßkuhle, Umweltrecht. Grundzüge des öffentlichen Umweltschutzrechts, Heidelberg, 5. Aufl. 2003, Rn. 134 f. mit Fußn. 270. 55 BVerwG, Urteil vom 20.1.1989 - 4 C 15.87 - BVerwGE 81, 220 = DVBl 1989, 658 = NVwZ 1989, 867.

- 20 hat das BVerfG für die Entnahme von Wasser entschieden.56 Andreas Voßkuhle initiiert den Begriff der (pflichtablösenden) Kompensationsabgabe.57 Er wirft zugleich die Frage auf, ob und welche finanziellen Vorteile des Pflichtadressaten eigentlich bestehen und ob eine hinreichende Konnexität gegeben ist.58 Das BVerwG sieht die Ersatzzahlungen als systemgerechten Bestandteil des naturschutzrechtlichen Instrumentariums.59 Man wird indes zögern, aus der Möglichkeit, die naturschutzrechtliche Ausgleichszahlung verfassungsrechtlich rechtfertigen zu können, bereits zu folgern, dass sie zum Kernbestand der Grundsätze des Naturschutzrechtes im Sinne des Art. 72 Abs. 3 Nr. 2 GG gehört. Das gilt jedenfalls für den derzeitigen Stand der gesetzgeberischen Entwicklung. Ausgeschlossen ist hingegen nicht, dass sich das Naturschutzrecht entsprechend entwickelt. Das setzt eine dynamische, also „offene“ Begrifflichkeit der „allgemeinen Grundsätze des Naturschutzrechtes“ voraus. Die Frage kann hier unbeantwortet bleiben. Denn der nsd. Landesgesetzgeber folgt dem bundeseinheitlichen Konsens, dass eine finanzielle Ausgleichsleistung bei nicht kompensierbaren Eingriffen zulässig und geboten ist.

2.3 Regelungen in § 6 Abs. 1 Satz 1 NAGBNatSchG 2010 (1) Das Gebot der Vermeidung von Umweltbeeinträchtigungen wie auch der Vorrang der Naturalrestitution (Realkompensation) sind als „allgemeine Grundsätze“ einer abweichenden Gesetzgebung der Länder nicht zugänglich. Der nds. Landesgesetzgeber hat dies in § 6 Abs. 1 NAGBNatSchG 2010 mittelbar beachtet. Er lässt den bundesrechtlichen Regelungsbereich des § 15 Abs. 1 bis 5 BNatSchG 2009 unberührt. Insoweit weicht er von der bundesrechtlichen Regelung nicht ab. Der nds. Landesgesetzgeber hat demgemäß bislang auch keine Gleichstellung von Naturalrestitution und Ersatzgeld angeordnet. Auch insoweit weicht er von der bundesrechtlichen Regelung nicht ab. Ob das Landesgesetz insoweit eine Änderung vornehmen und damit den Begriff der „allgemeinen Grundsätze“ des Naturschutzes relativieren könnte, ist eine offene, hier nicht näher zu behandelnde Frage.60 (2) Der niedersächsische Landesgesetzgeber inhibiert derzeit auch nicht eine naturschutzrechtliche Ersatzgeldzahlung im Sinne einer (umfassenden) Abwahl des bundesgesetzlichen Lösungsmusters. Vielmehr substituiert er das bundesgesetzliche Regelungsmodell nur im Detail durch ein anderes. Kern dieses landesgesetzlichen Modells ist § 6 Abs. 1 Satz 1 NAGBNatSchG 2010. Der nds. Landesgesetzgeber bestimmt in § 6 Abs. 1 Satz 1 NAGBNatSchG 2010 gegenüber dem bundesgesetzlichen System – dieses zusammengesetzt aus § 15 Abs. 6 BNatSchG 2009 und § 15 Abs. 7 BNatSchG 2009 – eine autonome Regelung. Er 56

BVerfG, Beschluss vom 7.11.1995 - 2 BvR 413/88 - BVerfGE 93, 319 [345] = DVBl 1996, 357 = NVwZ 1996, 469 (Wasserpfennig). 57 Andreas Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip: Grundlagen einer prospektiven Ausgleichsordnung für die Folgen privater Freiheitsbetätigung – zur Flexibilisierung des Verwaltungsrechts am Beispiel des Umwelt- und Planungsrechts, Tübingen 1999, S. 220 ff. 58 Andreas Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip: : Grundlagen einer prospektiven Ausgleichsordnung für die Folgen privater Freiheitsbetätigung – zur Flexibilisierung des Verwaltungsrechts am Beispiel des Umwelt- und Planungsrechts, Tübingen 1999, S. 230 f. 59 Vgl. BVerwG, Urteil vom 4.7.1986 - 4 C 50.83 - BVerwGE 74, 308 [309] = DVBl 1986, 1009 = NVwZ 1986, 832; BVerwG, Urteil vom 20.1.1989 - 4 C 15.87 - BVerwGE 81, 220 [225] = DVBl 1989, 658 = NVwZ 1989, 867. 60 Vgl. dazu Christoph Degenhart, Regelungsmöglichkeiten des Bundes zur Gleichstellung von Ersatzgeld und Naturalkompensation im Rahmen der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung – verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen, Expertise Januar 2011, ferner vgl. auch Helmuth Schulze-Fielitz, Umweltschutz im Föderalismus – Europa, Bund und Länder, in: NVwZ 2007, 250-260 [256].

- 21 legt ein anderes Berechnungsmodell zugrunde. Dieses sieht der nds. Landesgesetzgeber als eine eigene Vollregelung für ausreichend an, um den Grundgedanken der bundesgesetzlichen Vorgabe einer naturschutzrechtlichen Ersatzgeldzahlung in Niedersachsen landesrechtlich umsetzen zu können. Darin mag er inhaltlich irren. Das ist noch gesondert abzuklären. Indes ist es nicht zulässig, die Frage der inhaltlichen Fehlerhaftigkeit der landesgesetzlichen Lösung mit der an dieser Stelle behandelten Kompetenzfrage vermengen. Für die Geschlossenheit der eigenen landesgesetzlichen Regelung der Abweichung ist es durchaus folgerichtig, den verordnungsrechtlichen Regelungsbereich des § 15 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG 2009 alsdann auszuschließen. Auch damit hat der niedersächsische Landesgesetzgeber den bundesrechtlichen Rahmen des § 15 Abs. 6 und 7 BNatSchG 2009 noch nicht verlassen.61 (3) Der nds. Landesgesetzgeber „verzichtet“ gegenüber der bundesrechtlichen Vorgabe des § 15 Abs. 6 Satz 3 BNatSchG 2009 auf die „Berücksichtigung der dem Verursacher daraus erwachsenden Vorteile“. Wenn der Bundesgesetzgeber selbst nur eine Pflicht zur Berücksichtigung ausspricht, wird man dieses Berechnungselement schwerlich als Strukturelement im Sinne des Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GG ansehen können. Der Bundesgesetzgeber hat selbst in § 15 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG 2009 vorgesehen, dass durch Rechtsverordnung „die Höhe der Ersatzzahlung“ geregelt werden kann. Er ist außerdem in § 15 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG 2009 damit einverstanden, dass Landesrecht subsidiär eingreift. Dann nimmt er hin, dass das Landesrecht auch eigenständige Regelungen zur Höhe der Ersatzzahlung schafft. Dieses bundesgesetzliche Regelungskonzept schließt es insgesamt aus, in der landesrechtliche Begrenzung der Ersatzzahlung bereits a priori ein verfassungswidriges Abweichen von bundesgesetzlichen Vorgaben zu sehen. Denn ein ausformuliertes Berechnungsmodell ist offensichtlich kein Bestandteil der (allgemeinen) Grundsätze des Naturschutzes. Die statuierte „Deckelung“ würde dann – und nur dann – Grundzüge des Naturschutzes berühren, wenn sie angesichts ihrer geringen Höhe „strategisch“ zur Umgehung einer Naturalrestitution einladen würde. Davon kann indes keine Rede sein.

IV. § 6 Abs. 2 NAGBNatSchG 2010 als Gegenstand einer „Abweichung“? (1) Die bloße Festlegung, dass das betreffende Bundesgesetz im Land keine Geltung haben soll, kann die Anforderungen an eine "Regelung" im Sinne einer Rechtsgestaltung erfüllen, wie sie Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG voraussetzt. Einzelheiten sind allerdings umstritten.62 Problematisch ist vor allem die Abgrenzung zur bereits erörterten Negativgesetzge61

Vgl. zu diesem Hilfskriterium u.a. OVG Greifswald, Urteil vom 21.10.2009 - 4 K 11/09 - AUR 2010, 95 Rn. 29; ferner Christian Seiler, in: Volker Epping/Christian Hillgruber, GG, 2009, Art. 125b Rn. 2.1. 62 Vgl. großzügig Volker Haug, Die Abweichungsgesetzgebung - ein Kuckucksei der Föderalismusreform?, in: DÖV 2008, 851-857 [854]; ebenso – bezogen auf Ersetzung – Arnd Uhle, Verfassungsnorm im Aufwind: Art. 125 a GG. Zugleich eine Anmerkung zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Juni 2004 (1 BvR 636/02, BVerfGE 111, 10), in: DÖV 2006, 370-379 [373 f.]; Ulrich Häde, Zur Föderalismusreform in Deutschland, in: JZ 2006, 930-940 [933]; deutlich enger die wohl h. M., vgl. Christoph Degenhart, Die Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen durch die Föderalismusreform, in: NVwZ 2006, 1209-1216 [1213]; Wolfgang Köck/Rainer Wolf, Grenzen der Abweichungsgesetzgebung im Naturschutz. Sind Eingriffsregelung und Landschaftsplanung allgemeine Grundsätze des Naturschutzes?, in: NVwZ 2008, 353-360 [356]; Claudio Franzius, Die Abweichungsgesetzgebung, in: NVwZ 2008, 492-499 [494, 495], spricht in diesem Zusammenhang von einer "Konkretisierungs- oder Änderungsgesetzgebung". Vgl. kritisch insgesamt Lars Mammen, Der neue Typus der konkurrierenden Gesetzgebung mit Abweichungsrecht, in: DÖV 2007, 376380.

- 22 bung. Zu prüfen ist also, ob § 6 Abs. 2 NAGBNatSchG 2010 als eine „abweichende“ Regelung im Sinne des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GG oder als ein Fall einer unzulässigen Negativgesetzgebung aufzufassen ist. (2) § 6 Abs. 2 NAGBNatSchG 2010 schließt die Anwendung des § 15 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG 2009 vollständig aus. Damit ist es ausgeschlossen, dass der Bund über die in § 15 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG 2009 enthaltene Ermächtigungsgrundlage durch den Erlass einer Bundesverordnung in Niedersachsen hinein regiert. Das betrifft nicht nur die hier behandelte Frage der naturschutzrechtlichen Ersatzgeldzahlung. Diese Regelungsweise könnte als eine Negativgesetzgebung verstanden werden und damit die erörterte verfassungsrechtliche Problemstellung aufrufen. Indes wäre diese Sichtweise nur eine äußerliche. Ob der niedersächsische Landesgesetzgeber eine Abweichung oder ein umfassende und daher unzulässige „Abwahl“ vorgenommen hat, ist jedoch nicht isoliert anhand der für unanwendbar erklärten Bundesnorm zu beurteilen. Maßgebendes Kriterium ist das innere System sowohl der Bundes- als auch der Landesebene. (3) Welchen Sinn der Gesetzgeber § 6 Abs. 2 NAGBNatSchG 2010 zugewiesen hat und ob ihm eine derartige Regelung verfassungsrechtlich – aus der Sicht des Bundesrechts – überhaupt möglich war, soll im Zusammenhang mit der Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift erörtert werden. Bemerkenswert ist es, dass bereits der Bundesrat im Novellierungsverfahren 2009 vorgeschlagen hatte, die von der Bundesregierung vorgesehene Ermächtigungsgrundlage des § 15 Abs. 7 BNatSchG zu streichen. 63 Dem hatte die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung nachdrücklich widersprochen. Nach ihrer Ansicht sollten mit der an die Zustimmung des Bundesrates gebundenen Rechtsverordnung zur Regelung des Näheren zur Kompensation von Eingriffen notwendige bundeseinheitliche Standards gesetzt werden. Dies diente u. a. der Erleichterung der Planung und Durchführung öffentlicher und privater Vorhaben. Etwaige darüber hinausgehende länderspezifische Regelungen sollten damit nicht von vornherein ausgeschlossen werden.

D. Auslegung und Anwendungsfähigkeit des § 6 Abs. 1 Satz 1 NAGBNatSchG 2010 In welcher Höhe ein Vorhabenträger zu einer naturschutzrechtlichen Ersatzgeldzahlung in Niedersachsen verpflichtet sein kann, lässt sich anhand des Gesetzestextes offenkundig nicht ohne weiteres ermitteln. Es entspricht herkömmlicher Auslegung, eine Präzisierung durch Rückgriff auf die Entstehungsgeschichte einer Rechtsvorschrift zu erreichen. Das soll auch hier geschehen. Gleichsam als gegenläufiger Test wird die bisherige Spruchpraxis der niedersächsischen Verwaltungsgerichte analysiert. Gefragt wird insoweit, wie sich diese Spruchpraxis gegenüber der offenkundigen semantischen Unschärfe des § 6 Abs. 1 NAGBNatSchG 2010 verhält. Aus dem Befund lassen sich Erkenntnisse dazu ableiten, ob die zu untersuchende Rechtsvorschrift verfassungsrechtlichen Anforderungen der Bestimmtheit zu genügen konzeptionell und interpretatorisch in der Lage ist.

63

Vgl. Stellungnahme des Bundesrates vom 15.5.2009 (vgl. BTags-Drucks. 16/13298) zur BTags-Drucks. 16/12785, BRats-Drucks. 8/09. Danach sollten Ausgleich und Ersatz als Formen der Realkompensation alternativ nebeneinander gestellt werden (S. 3), mit derselben Zielsetzung der nds. Entschließungsantrag der Fraktionen CDU und FDP vom 14.2.2010 (LTags-Drucks. 16/2412), dazu Beschlussempfehlung des LTagsAusschusses für Umwelt und Klimaschutz vom 21.2.2011 (LTags-Drucks. 16/3360), dazu Beschluss des Landtages vom 15.3.2011 (LTags-Drucks. 16/3465).

- 23 -

I. Entstehungsgeschichte der Neuregelung in § 6 NAGBNatSchG 2010 (1) § 6 Abs. 1 NAGBNatSchG 2010 löst die frühere Regelung des § 12b NNatG2004 ab. Bereits diese hatte für den Fall der fehlenden Feststellbarkeit der tatsächlichen Kosten bestimmt, dass sich die Ersatzzahlung allein nach Dauer und Schwere des Eingriffs bestimme und höchstens sieben vom Hundert der Kosten für die Planung und Ausführung des Vorhabens einschließlich der Beschaffungskosten für Grundstücke betragen dürfe. Auf die Entstehungsgeschichte des § 12b NNatG 2004 wird noch gesondert einzugehen sein. Die Fraktionen der CDU und der FDP brachten am 23. November 2009 den Entwurf eines § 6 NAGBNatSchG ein (LTags-Drucks. 16/1902). Die Vorschrift hatte folgenden Inhalt: §6 Verursacherpflichten; Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen (1) Sind die Kosten nach von § 15 Abs. 6 Satz 2 BNatSchG nicht feststellbar, so bemisst sich die Ersatzzahlung abweichend von § 15 Abs. 6 Satz 3 BNatSchG allein nach Dauer und Schwere des Eingriffs und beträgt höchstens sieben vom Hundert der Kosten für die Planung und Ausführung des Vorhabens einschließlich der Beschaffungskosten für Grundstücke. Für Maßnahmen im Sinne von § 15 Abs. 6 Satz 7 BNatSchG gilt § 15 Abs. 2 Satz 4 BNatSchG entsprechend. (2) Die oberste Naturschutzbehörde wird ermächtigt, durch Verordnung das Nähere zur Kompensation von Eingriffen abweichend von einer Rechtsverordnung nach § 15 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG zu regeln.

Die Regelung ist weitgehend wortlautidentisch mit § 12a (Kompensationszahlung) des seinerzeitigen Gesetzesentwurfes der Fraktionen CDU und FDP zu einem „Gesetz zur Änderung des Niedersächsischen Naturschutzgesetzes“ vom 3.9.2003 (LTags-Drucks. 15/395). In der Begründung des Entwurfs heißt es: Als Maßstab für deren Höhe dient die Dauer und Schwere des Eingriffs. Da diese Merkmale im Einzelfall nicht immer ohne weiteres festgestellt und in einen Geldbetrag umgewandelt werden können, ist als Obergrenze ein Wert von 7 % der Investitionssumme festgelegt. Dies entspricht einem ungefähren Erfahrungswert der Kosten von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen. Durch Herausnahme von Beschaffungskosten für Grundstücke soll verhindert werden, dass die Kompensationszahlung je nach Zeitpunkt des Grundstückserwerbs höher oder geringer ausfällt. Zudem werden die Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft nicht durch das Grundstück selbst, sondern durch das auf dem Grundstück zu verwirklichende Vorhaben bewirkt. Insofern ist es auch ange64 messen, die Kosten für das Grundstück nicht zu berücksichtigen.

In der späteren Entwurfsbegründung der Fraktionen CDU und FDP vom 23. November 2009 zu § 6 NAGBNatSchG-E heißt es in Anknüpfung an die frühere Regelung des § 12b NNatG 2004: „Absatz 1 Die abweichende Vorschrift von Satz 1 entspricht, vom Wegfall der Anwendungsbeschränkung auf den Fall der objektiven Unmöglichkeit abgesehen, § 12 b Abs. 1 Satz 3 NNatG g. F. Die Obergrenze von 7 vom Hundert hat sich bewährt (s. Unterrichtung des Niedersächsischen Landtags vom 8.7.2009, LT-Drs. 16/1416). Die Vorschrift gilt damit in Fällen, in denen der Verursacher die Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen nicht vornehmen kann, z. B. weil zu ihrer Durchführung Grundstücke benötigt werden, die er sich nicht oder nur mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verschaffen kann (subjektive Unmöglichkeit) und in Fällen, in denen es keine denkbare Maßnah64

LTags-Drucks. 15/395 S. 4 zu § 12a Abs. 2 NNatG 2003-E (Gesetzesentwurf der Fraktionen von CDU und FPD vom 3.9.2003).

- 24 me gibt, mit der der Eingriff kompensiert werden kann (objektive Unmöglichkeit). Diese Fallgruppe kommt u. a. in bestimmten Fällen beim Schutzgut „Landschaftsbild“ zum tragen, nämlich bei Errichtung und Betrieb von Windenergieanlagen ab 50 m Nabenhöhe oder im Küstengewässer, von Sendemasten ab 50 m Gesamthöhe, von Hoch- und Höchstspannungsleitungen sowie von baulichen Anlagen und Brückenbauwerken jedenfalls hinsichtlich der über 30 m Höhe hinausgehenden Teile (s. Unterrichtung des Niedersächsischen Landtags vom 8.7.2009, LT-Drs. 16/1416). Durch die nähere landesrechtliche Vorschrift im Sinne von § 15 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG wird mit Satz 2 klargestellt, dass entsprechend der Anwendungspraxis zu der Vorschrift des § 12b Abs. 3 Satz 2 NNatG g. F., die nahezu wortgleich § 15 Abs. 6 Satz 7 BNatSchG entspricht, auch künftig verfahren werden kann. Absatz 2 Eine nähere Regelung zur Kompensation von Eingriffen ist nicht erforderlich. Um das Abweichungsrecht des Landes des Art. 72 Abs. 3 Satz 2 GG wahrnehmen zu können, bedarf es der vorgesehenen Verordnungsermächtigung.

§ 6 NAGBNatSchG in der Entwurfsfassung versteht sich als Abweichungsregelung im Sinne des Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GG. Die bundesrechtliche Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen nach § 15 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG 2009 wird im Gesetzentwurf der Regierungskoalition nicht ausgeschlossen. Eine substantielle Änderung gegenüber der Regelung des § 12b Abs. 1 Satz 3 NNatG 2004 ist nicht beabsichtigt. Im Gegenteil. Der Entwurf hebt ausdrücklich durch Bezugnahme auf die Erklärung der Landesregierung vom 8. Juli 2009 (LT-Drucks. 16/1416) hervor, dass sich diese Regelung „bewährt“ habe. Man sieht mithin keinen Anlass, irgendetwas zu ändern. Auch im folgenden Gesetzgebungsverfahren verändert sich dieser Standpunkt nicht. Das Lösungskonzept des § 12b Abs. 1 Satz 3 NNatG 2004 soll in § 6 Abs. 1 NAGBNatSchG 2010 fortgeschrieben werden. Eine andere Deutung ist in historischer Sicht ausgeschlossen. (2) Der Ausschuss für Umwelt und Klimaschutz ändert dies in seiner Sitzung vom 8. Februar 2010.65 Eine landesgesetzliche Ermächtigungsgrundlage zum Erlass von Rechtsverordnungen zur näheren Regelung zur Kompensation solle es in Niedersachsen nicht geben. Daher wird § 15 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG 2009 durch den neugefassten § 6 Abs. 2 NAG65

Im ersten Durchgang am behandelte der Ausschuss am 1. Februar 2012 den Gesetzentwurf auf der Grundlage der Vorlage 28 des Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes (GBD) abschließend und empfahl den mitberatenden Ausschüssen mehrheitlich, ihn in der Fassung der Vorlagen 27 und 28 einschließlich der noch besprochenen Änderungen anzunehmen. Dem waren vorausgegangen Anhörungen, und zwar von folgenden Organisationen: Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände Niedersachsens, Bundesverband Beruflicher Naturschutz e. V., Bund deutscher Landschaftsarchitekten, Landvolk Niedersachsen, Landesbauernverband e. V., Schutzgemeinschaft Deutscher Wald, Landesverband Niedersachsen, Naturschutzverband Niedersachsen e. V., BUND Landesverband Niedersachsen, Naturschutzbund Deutschland e. V., Landesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz Niedersachsen e. V., Unternehmerverbände Niedersachsen, Wirtschaftsverband Baustoffe-Naturstein e. V., Landesjägerschaft Niedersachsen, Zentralverband der Jagdgenossenschaften und Eigenjagden in Niedersachsen e. V., Deutscher Falkenorden, Bund für Falknerei, Greifvogelschutz und Greifvogelkunde e. V., Landesverband Niedersachsen/Bremen, Heimatbund Niedersachsen e. V., Prof. Dr. Christian Schrader, Hochschule Fulda. Der Ausschuss behandelte den Gesetzentwurf alsdann am 8. Februar 2010 in einem zweiten Durchgang. Er empfahl dem Landtag mit den Stimmen der Fraktionen der CDU und der FDP gegen die Stimmen der Fraktion der SPD, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion DIE LINKE, den Gesetzentwurf in der Fassung der Vorlage 30 unter Berücksichtigung der an diesem Tage abgehaltenen Sitzung besprochenen Änderungen sowie der von der Staatskanzlei angeregten redaktionellen Änderungen anzunehmen. Außerdem empfahl er dem Landtag mit den Stimmen der Fraktionen der CDU und der FDP, gegen die Stimmen der Fraktion der SPD und der Fraktion DIE LINKE sowie bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die in die Gesetzesberatungen einbezogene Eingabe 1413 für erledigt zu erklären.

- 25 BNatSchG-E „suspendiert“. Dagegen verbleibt die in § 15 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG 2009 vorgesehene landesrechtliche Subsidiarität. Dazu heißt es erläuternd im Schriftlichen Bericht des Ausschusses für Umwelt und Klimaschutz zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Naturschutzrechts (LTags-Drucks. 16/2216): „Das Regelungsziel des Absatzes 2 ist von den Regierungsfraktionen dahin gehend präzisiert worden, dass eine mögliche Rechtsverordnung des Bundes in Niedersachsen von vornherein nicht zur Anwendung kommen solle, da die Eingriffsregelung in Niedersachsen auch ohne weitere Regelungen vollziehbar sei. Auch eine (zusätzliche) Verordnungsermächtigung für die oberste Naturschutzbehörde werde somit nicht benötigt. Der Ausschuss empfiehlt daher, die in § 15 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG enthaltene Verordnungsermächtigung für Niedersachsen für nicht anwendbar zu erklären und insoweit vom Bundesrecht abzuweichen. Diese Empfehlung berücksichtigt, dass die Frage, ob und wie die Länder von einer bundesrechtlichen Verordnung abweichen können, durch die Föderalismusreform und die grundgesetzlichen Regelungen zum Abweichungsrecht der Länder nicht beantwortet worden ist. Eine rechtliche Argumentation, nach der den Ländern ein Abweichungsrecht im Hinblick auf bundesrechtliche Verordnungen bzw. die entsprechenden Verordnungsermächtigungen überhaupt nicht zustünde, weil die Artikel 70 ff. GG - wie bislang - nur für Parlamentsgesetze, nicht aber für Verordnungen gelten (BK-Heinzen, Stand: Dez. 2003, Art. 70, Rn. 46; Maunz/Dürig-Uhle, GG, Stand: Oktober 2008, Art. 70, Rn. 42; Dreier-Stettner, GG, Supplementum 2007, 2. Auflage 2007, Art. 70, Rn. 53), hat der Ausschuss für zu eng gehalten, da dann seitens des Bundes die Möglichkeit bestünde, die Abweichungskompetenz der Länder durch eine Vielzahl von Verordnungsermächtigungen auszuhöhlen. Aber auch die Regelung der Entwurfsfassung, die davon ausgeht, dass das den Ländern zustehende Abweichungsrecht auch für Verordnungen entsprechende Anwendung findet und die daher eine Art „vorsorgliche Abweichungsbefugnis“ im Hinblick auf eine mögliche Bundesverordnung enthält, hat der Ausschuss für rechtlich zu risikoreich gehalten, weil sie im Hinblick auf Artikel 72 Abs. 3 Satz 1 GG, wonach das jeweils spätere Gesetz vorgeht, auch „ins Leere gehen“ könnte. Die Empfehlung setzt daher bei der bereits vorhandenen gesetzlichen Regelung des Bundes, nämlich der Verordnungsermächtigung selbst an, und erklärt diese für nicht anwendbar. Dem Vorschlag der Fraktion der Grünen, § 6 im Hinblick auf die rechtlichen Probleme ersatzlos zu streichen, vermochte sich die Ausschussmehrheit nicht anzuschließen.“

Die Ausschussbegründung, soweit sie Auffassung der Regierungsfraktionen vermittelt, gibt einige Rätsel auf. Die Regierungsfraktionen sind offenbar von ihrer früheren Auffassung der Notwendigkeit einer landesgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage zum Erlass einer Rechtsverordnung abgerückt. Die wirklichen Motive bleiben unklar. Es hat sich ersichtlich die Auffassung durchgesetzt, dass – wie auch nach bisheriger Rechtslage – § 6 Abs. 1 NAGBNatSchG-E ausreichend sei, um Festsetzungen über die Ersatzgeldzahlung vornehmen zu können. § 6 Abs. 1 NAGBNatSchG-E ist dann nach einem derartigen Verständnis eine landesrechtliche Regelung im Sinne des § 15 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG 2009. Insoweit schien es dem Ausschuss ersichtlich folgerichtig, für Niedersachsen nur die Anwendung des § 15 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG 2009 auszuschließen. Sprachlich und in der Sache ist dies allerdings missglückt. Der Landesgesetzgeber kann keine bundesrechtliche Ermächtigungsgrundlage gänzlich „abwählen“. Der Bund bleibt unverändert befugt, mit Rechtsgültigkeit auch für Niedersachsen, eine Rechtsverordnung nach § 15 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG 2009 zu erlassen. Der Landesgesetzgeber kann – allenfalls – vorsehen, dass eine Rechtsverordnung des Bundes, welche die Ermächtigungsgrundlage ausnutzt, in Niedersachsen nicht anzuwenden ist. Dann muss man allerdings die verfassungsrechtliche Frage entscheiden, welchen Regelungsgehalt Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG im Hinblick auf eine bundesrechtliche Rechtsverordnung besitzt. Der politische Wille des Ausschusses ist allerdings klar. Der Ausschuss – ihm folgend der Landesgesetzgeber – wollt ein jeder Hinsicht verhindern, dass eine bundesrechtliche Regelung einen Einfluss auf die Höhe der Ersatzgeldzahlung nehmen kann, wenn Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen nicht durchführbar sind. Die bundesrechtliche Ermächtigungsgrundlage als solche ist

- 26 dagegen kein geeigneter Gegenstand einer „Regelung“ im Sinne des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG. Kurzum, der Ausschuss hat sich verfassungsrechtlich vertan. Im Ergebnis der gutachterlichen Fragestellung ist dies jedoch belanglos. Sie wäre mutmaßlich relevant, wenn die Rechtsverordnung erlassen würde und der Bund deren Geltung in Niedersachsen beanspruchte. Die Annahme des Berichtes, dass „die Eingriffsregelung in Niedersachsen auch ohne weitere Regelungen vollziehbar sei“, ist erkennbar unzutreffend. Die These des Berichtes wird anhand der zu dem textgleichen § 12b Abs. 1 NNatG 2004 entstandenen Verwaltungspraxis deutlich widerlegt. Darauf wird noch gesondert eingegangen. (3) Im Zeitpunkt der Sitzungen des Ausschuss für Umwelt und Klimaschutz zur Novellierung der Naturschutzgesetzes am 11. Januar 2012, am 29. Januar 2012, am 1. Februar 2012 und am 8. Februar 2012 war das noch ausführlich zu behandelnde Urteil des OVG Lüneburg vom 16. Dezember 2009 – soweit ersichtlich – nicht Gegenstand der Erörterung. Die 7 %- Regelung erwähnte der Abg. Christian Meyer (GRÜNE) nur beiläufig. 66 Es ist daher ausgeschlossen, in § 6 Abs. 1 NAGBNatSchG 2010 eine irgendwie geartete „Bestätigung“ der Interpretation des OVG Lüneburg zu sehen.

II. Entstehungsgeschichte des Vorläufers (§ 12b NNatG 2004) Der Gesetzgeber des NAGBNatSchG 2010 übernahm zu § 6 Abs. 1 NAGBNatSchG 2010 die frühere naturschutzrechtliche Ersatzgeldlösung des § 12b NNatG 2004. Demgemäß ist dessen Entstehungsgeschichte bedeutsam. 1. Wortlaut des § 12b NNatG2004 § 12b NNatG 2004 lautet im vollen Umfang: (1) Der Verursacher hat eine Ersatzzahlung zu leisten, wenn Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen ganz oder teilweise 1. nicht möglich sind, 2. nicht vorgenommen werden können, weil zu ihrer Durchführung Grundstücke benötigt werden, die sich der Verursacher oder ein nach §10 Abs. 3 Sätze 1 bis 3 oder §12 Abs. 2 Verpflichteter nicht oder nur mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verschaffen kann, 3. mit einem bestehenden Landschaftsplan nicht vereinbar sind. Die Ersatzzahlung ist mit der Gestattung des Eingriffs zumindest dem Grunde nach festzusetzen. Im Fall des Satzes 1 Nr. 1 bemisst sich ihre Höhe nach der Dauer und Schwere des Eingriffs; sie beträgt höchstens 7 vom Hundert der Kosten für die Planung und Ausführung des Vorhabens einschließlich der Beschaffungskosten für Grundstücke. Die Höhe der Ersatzzahlung entspricht in den Fällen des Satzes 1 Nrn. 2 und 3 den Kosten der Planung und Durchführung der unterbliebenen Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen. (2) Die Ersatzzahlung steht der Naturschutzbehörde zu, in deren Zuständigkeitsbereich der Eingriff verwirklicht wird. Wird der Eingriff im Zuständigkeitsbereich mehrerer Naturschutzbehörden verwirklicht, so steht ihnen die Ersatzzahlung im Verhältnis der von dem Eingriff betroffenen Grundflä66

Sten. Ber. 61. Plenarsitzung vom 16.1.2010, S. 7638: „An vielen Stellen sind Sie dabei über das verfassungsrechtlich Vertretbare hinausgegangen. Der GBD hat das oft kritisiert, etwa bei Ihrer Wegdefinition von Eingriffen in die Bodennutzung in § 5 oder bei der Festlegung, dass Naturzerstörungen nur noch bis zur Höhe von 7 % der Kosten des Eingriffs und nicht mehr vollständig ausgeglichen werden sollen.“

- 27 chen zu. Die oberste Naturschutzbehörde kann im Einzelfall einen abweichenden Verteilungsmaßstab für verbindlich erklären. Wird der Eingriff außerhalb des Zuständigkeitsbereichs unterer Naturschutzbehörden verwirklicht, so fließt das Geld an eine von der obersten Naturschutzbehörde zu bestimmende Stelle. (3) Das Aufkommen aus Ersatzzahlungen darf nicht mit anderen Einnahmen vermischt werden. Es ist zweckgebunden für die Verbesserung des Zustandes von Natur und Landschaft zu verwenden und darf nicht für Maßnahmen verwendet werden, zu deren Durchführung eine rechtliche Verpflichtung besteht. (4) Die Naturschutzbehörde ist berechtigt, Einnahmen aus Ersatzzahlungen zur Verwendung nach ihren Vorgaben auf Dritte zu übertragen. Die Naturschutzbehörden können zu diesem Zweck gemeinsame Organisationen bilden.

2. Entstehungsgeschichte des § 12b NNatG 2004 2.1 Die frühere bundesnaturschutzrechtliche Ausgangslage Nach § 19 Abs. 4 des Gesetzes über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz – BNatSchG 2002) vom 25. März 2002 (BGBl. I S. 1193) konnten die Länder insbesondere Vorgaben zur Anrechnung von Kompensationsmaßnahmen treffen. Sie konnten vorsehen, „dass bei zuzulassenden Eingriffen für nicht ausgleichbare oder nicht in sonstiger Weise kompensierbare Beeinträchtigungen Ersatz in Geld zu leisten ist (Ersatzzahlung)“. Niedersachsen machte von dieser Regelungskompetenz zunächst keinen Gebrauch. Das zeitnah nach Erlass des BNatSchG 2002 ergangene Landesgesetz vom 27. Januar 2003 (Nds. GVBl S. 39) sah eine Regelung über Ersatzzahlungen nicht vor. Auch das Niedersächsische Naturschutzgesetz (NNatG 1993) vom 11. April 1994 (Nds. GVBl S. 155) sah in seiner Eingriffsregelung zwar Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen vor (§§ 10, 12 NNatG1994), nicht jedoch eine Pflicht zur Ersatzzahlung. Der Landesgesetzgeber wollte dies ändern. 2.2 Neuregelung durch § 12b NNatG 2004 – Entstehungsgeschichte (1) Mit der Einfügung des § 12b NNatG 2004 in das Niedersächsische Naturschutzgesetz mit Wirkung vom 1. Januar 2004 durch das Gesetz zur Änderung naturschutzrechtlicher Vorschriften vom 19. Februar 2004 (Nds. GVBl S. 75) schuf der Gesetzgeber eine Ermächtigungsgrundlage, Ersatzzahlungen zu fordern. Er machte damit von der rahmenrechtlichen Regelung des § 19 Abs. 4 BNatSchG 2002 Gebrauch. Im Fall des § 12b Satz 1 Nr. 1 NNatG 2004 bemisst sich die Höhe der Ersatzzahlung „nach der Dauer und Schwere des Eingriffs“. Sie beträgt höchstens 7 vom Hundert der Kosten für die Planung und Ausführung des Vorhabens einschließlich der Beschaffungskosten für Grundstücke (§ 12 b Abs. 1 Satz 2 und 3 NNatG). (2) Gesetzesentwurf. Die gesetzliche Regelung des § 12b NNatG 2004 beruht auf dem Entwurf der Fraktionen der CDU und der FDP zu einem „Gesetz zur Änderung des Niedersächsischen Naturschutzgesetzes“ vom 3. September 2003 (LTags-Drs. 15/395). Danach sollte das NNatG um eine Regelung der Kompensationszahlung in § 12a Abs. 1 (dem späteren § 12b Abs. 1) ergänzt werden. § 12a Abs. 1 dieser Entwurfsfassung hatte folgenden Inhalt:

- 28 -

„(1) Der Verursacher hat eine Kompensationszahlung zu leisten, wenn Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen ganz oder teilweise 1. nicht von ihm selbst vorgenommen werden können, 2. nach Auffassung der Naturschutzbehörde mit den Belangen von Naturschutz und Landschaftspflege nicht vereinbar sind oder 3. nicht möglich sind. Die Kompensationszahlung ist mit der Gestattung des Eingriffs zumindest dem Grunde nach festzusetzen. Ihre Höhe entspricht in den Fällen des Satzes 1 Nrn. 1 und 2 den Kosten der Planung und der Durchführung der unterbliebenen Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen. Im Fall des Satzes 1 Nr. 3 bemisst sie sich nach der Dauer und Schwere des Eingriffs; sie beträgt maximal 7 von Hundert der Investitionskosten. Investitionskosten sind die Kosten für die Planung und Errichtung des Vorhabens ausschließlich der Beschaffungskosten für Grundstücke.“

In der Einzelbegründung des Entwurfs heißt es dazu u.a.( LTags-Drucks. 15/395, S. 4) erläuternd: “Auf diese Weise wird zugleich sichergestellt, dass derjenige, der eine Kompensationszahlung leistet, im Ergebnis nicht besser steht, als derjenige, der Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen durchzuführen hat. Nummer 3 betrifft den Fall, dass keine Ausgleichsund Ersatzmaßnahmen möglich sind. Hier soll eine Kompensationszahlung gefordert werden, um den Vorhabenträger nicht besser als andere zu stellen. Als Maßstab für deren Höhe dient die Dauer und Schwere des Eingriffs. Da diese Merkmale im Einzelfall nicht immer ohne weiteres festgestellt und in einen Geldbetrag umgewandelt werden können, ist als Obergrenze ein Wert von 7% der Investitionssumme festgelegt. Das entspricht einem ungefähren Erfahrungswert der Kosten von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen. Durch Herausnahme von Beschaffungskosten für Grundstücke soll verhindert werden, dass die Kompensationszahlung je nach Zeitpunkt des Grundstückserwerbs höher oder geringer ausfällt. Zudem werden die Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft nicht durch das Grundstück selbst, sondern durch das auf dem Grundstück zu verwirklichende Vorhaben bewirkt. Insoweit ist es auch angemessen, die Kosten für das Grundstück nicht zu berücksichtigen“. (3) Ausschussberichte. Der federführende Umweltausschuss des Landtages erstattete über den angegebenen Gesetzesentwurf unter dem 11. Februar 2004 Bericht (LTagsDrucks. 15/804). Danach sollte der maßgebende Gesetzestext wie folgt gefasst werden: „§ 12b Ersatzzahlung (1) Der Verursacher hat eine Ersatzzahlung zu leisten, wenn Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen ganz oder teilweise 1. nicht möglich sind, 2. nicht vorgenommen werden können, weil zu ihrer Durchführung Grundstücke benötigt werden, die sich der Verursacher oder ein nach § 10 Abs. 3 Sätze 1 bis 3 oder § 12 Abs. 2 Verpflichteter nicht oder nur mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verschaffen kann, 3. mit einem bestehenden Landschaftsplan nicht vereinbar sind. Die Ersatzzahlung ist mit der Gestattung des Eingriffs zumindest dem Grunde nach festzusetzen. Im Fall des Satzes 1 Nr. 1 bemisst sich ihre Höhe nach der Dauer und Schwere des Eingriffs; sie beträgt höchstens 7 vom Hundert der Kosten für die Planung und Ausführung des Vorhabens einschließlich der Beschaffungskosten für Grundstücke. Die Höhe der Ersatzzahlung entspricht in den Fällen des

- 29 Satzes 1 Nrn. 1 und 2 den Kosten der Planung und Durchführung der unterbliebenen Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen.“

Der Bericht des Umweltausschusses (Beschlussempfehlung) enthielt zunächst keine weitere Begründung. Die textliche Empfehlung des Ausschusses entspricht den Voten der mitberatenden Ausschüsse für Rechts- und Verfassungsfragen, für den ländlichen Raum, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und für Haushalt und Finanzen. Der Bericht des Umweltausschusses erging später (LTags-Drucks. 15/2164 – ausgegeben 7.9.2005). Dieser Bericht enthält neben dem Inhalt des in der Sitzung des Niedersächsischen Landtags am 18. Februar 2004 gehaltenen mündlichen Berichts (s. Stenografischer Bericht, 26. Sitzung, S. 718 f.) weitere Erläuterungen zur Beschlussempfehlung, auf die im mündlichen Bericht Bezug genommen wurde. In der Begründung des Berichtes heißt es dann zu dem neugefassten § 12b NNatG u.a. (LTags-Drucks. 15/2164, S. 3 f., a.D. [ausgegeben erst am 7.9.2005]): „In der Anhörung waren Bedenken gegen die Präzision und die rahmenrechtliche Zulässigkeit der tatbestandlichen Voraussetzungen erhoben worden, die die Entwurfsfassung für die Erhebung eines Ersatzgeldes vorsah. Die Beschlussempfehlung konkretisiert nun die drei Fallgruppen, in denen eine Ersatzzahlung geschuldet wird, weil Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen ganz oder teilweise tatsächlich, rechtlich oder wirtschaftlich nicht möglich sind. Der Umweltausschuss war mit den Vertretern des Umweltministeriums und des GBD der Auffassung, dass der nun vorgeschlagene Wortlaut den im Ausschuss diskutierten praktischen Bedürfnissen entspricht und rahmenrechtskonform ist. Der Absatz wurde zudem neu geordnet. Die Vorschrift beschreibt den Maßstab, nach dem sich die Höhe des Ersatzgeldes im Falle der Unmöglichkeit einer Ausgleichs- und Ersatzmaßnahme bemisst. Sie entspricht ihrem Regelungsinhalt nach den Sätzen 4 und 5 der Entwurfsfassung. In der Anhörung hatten die Umweltverbände insbesondere die Deckelung der Ersatzgeldzahlungen auf 7 % der Investitionskosten abzüglich der Kosten für die Grundstücksbeschaffung als Einführung eines sachfremden Kriteriums kritisiert. Die Vertreterin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen schloss sich dieser Kritik an; systematisch korrekt sei nur eine generelle Anknüpfung an Dauer, Schwere und Fernwirkungen eines Eingriffs in Natur und Landschaft. Ein entsprechender Antrag wurde im federführenden Ausschuss abgelehnt. Die Ausschüsse waren in ihrer großen Mehrheit vielmehr der Meinung, dass an der 7 %-Deckelung zunächst festgehalten werden sollte: Die Deckelung gilt für Fälle, in denen Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahmen unmöglich sind. In diesen Fällen kann die Höhe des Ersatzgeldes nicht anhand der ersparten Aufwendungen für konkrete Maßnahmen ermittelt werden, sondern nur im Wege einer Bewertung von Dauer und Schwere des zuzulassenden Eingriffs. Eine Deckelung dieses Betrages durch den Anteil der Investitionskosten, der bei einem Vorhaben erfahrungsgemäß auf Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen verwandt werden muss, ist sachgerecht. Die 7 %-Grenze erscheint zunächst einmal als ein für die praktische Arbeit tauglicher Wert. Dieser Wert soll aber – wie sich aus dem von CDU, SPD und FDP getragenen Entschließungsantrag in der Drucksache 15/793 ergibt – nach Ablauf von fünf Jahren noch einmal überprüft werden. Soweit in der Anhörung auch beanstandet worden war, dass die Grundstückskosten aus den Vorhabenkosten herausgerechnet wurden, wurde dem Rechnung getragen: Sie werden nun in die Vorhabenkosten einbezogen.“

- 30 Vergleicht man die Entwurfsfassung der genannten Fraktionen und die Beschlussempfehlung, so unterscheiden sich beide nur in der Frage, wie die Investitionskosten zu berechnen sei. Am weiteren Berechnungsmodus wurde nichts geändert. (4) § 12b NNatG 2004 trat aufgrund des Gesetzes zur Änderung naturschutzrechtlicher Vorschriften vom 19. Februar 2004 (Nds. GVBl. S. 75) rückwirkend mit Wirkung vom 1. Januar 2004 in Kraft.

3. Die rechtstatsächliche Umsetzung des § 12b NNatG 2004 Der Landesgesetzgeber und die nds. Landesregierung betonen, dass sich das 2004 eingeführte niedersächsische Regelungssystem der Ersatzzahlung „bewährt“ habe. Zweck des nachfolgenden Abschnittes ist es, diesen Befund anhand der Verwaltungspraxis und der entstandenen Spruchpraxis im Hinblick auf Rechtsklarheit und Rechtssicherheit näher zu untersuchen.

3.1 Der Prüfauftrag der Landesregierung (2009) 3.1.1 Entschließungsantrag Von Interesse für die Beurteilung der Entstehungsgeschichte des § 12b NNatG 2004 ist eine parlamentarische Erörterung. Begleitet wurde die skizzierte gesetzgeberische Regelung durch einen Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und FDP vom 10. Februar 2004 (LTags-Drucks. 15/793). Der Antrag hatte folgenden Wortlaut: Die Landesregierung wird gebeten, die mit der Einführung der Ersatzzahlung vorgesehene Begrenzung auf maximal 7 % der Investitionssumme in § 12 b Abs. 1 NNatG nach fünf Jahren im Hinblick auf die Erfahrungen der Praxis zu überprüfen. Zur Begründung heißt es: Der Wert von 7 % basiert auf Erkenntnissen im Fernstraßenbau infolge der Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“. Bei anderen Bauprojekten kann er im Einzelfall anders liegen, ohne dass hierüber derzeit Erkenntnisse vorliegen. Diese sollen auf der Grundlage der Neuregelung in § 12b Abs. 1 NNatG gesammelt werden. Die dabei gewonnenen Erfahrungen können dann ggf. nach fünf Jahren in die Gesetzesregelung einfließen, sofern eine abweichende Festlegung geboten erscheint. Der Antrag fand im Landtag am 18. Februar 2004 eine Mehrheit (vgl. LTags-Drucks. 15/823).

3.1.2 Prüfungsergebnis der Landesregierung 2009 (1) Die Landesregierung kam der Entschließung des Landtages vom 18. Februar 2004 im Sommer 2009 nach. In ihrer Antwort vom 8. Juli 2009 führt die Landesregierung aus, dass sich im Ergebnis die für die Fälle des § 12b Abs. 1 Nr. 1 NNatG [2004] festgelegte Obergrenze von 7 vom Hundert „bewährt“ habe (LTags-Drucks. 16/1416). Die Antwort hat folgenden Wortlaut:

- 31 -

„… Bei der Ersatzzahlung in Niedersachsen sind somit drei Fallgruppen zu unterscheiden: 1. § 12 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 NNatG stellt die Fallgruppe der „objektiven Unmöglichkeit“ dar. Dies bedeutet, dass es keine denkbare Maßnahme gibt, mit der der Eingriff kompensiert werden kann. Unerheblich ist hierbei das Leistungsvermögen des Antragstellers. Es betrifft also die Fälle, in denen es niemandem möglich wäre, eine Kompensation zu erbringen. Diese Fallgruppe kommt in bestimmten Fällen beim Schutzgut „Landschaftsbild“ zum Tragen. Im Hinblick auf Eingriffe im Sinne von § 7 Abs. 1 NNatG, die das Landschaftsbild erheblich beeinträchtigen können, kann festgestellt werden, dass Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen im Sinne von § 12 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 NNatG nicht möglich sind bei der Errichtung und dem Betrieb von a) Windenergieanlagen ab 50 m Nabenhöhe oder im Küstengewässer, b) Sendemasten ab 50 m Gesamthöhe, c) Hoch- und Höchstspannungsleitungen, d) baulichen Anlagen und Brückenbauwerken, jedenfalls hinsichtlich der über 30 m Höhe hinausgehenden Teile. Dabei bleibt die Geltung des Vermeidungsgebotes im Sinne von § 8 NNatG von der Anwendung des § 12 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 NNatG unberührt. 2. § 12 b Abs.1 Satz 1 Nr. 2 NNatG stellt die Fallgruppe der „subjektiven Unmöglichkeit“ dar, auch Unvermögen genannt. Diese Fallgruppe liegt vor, wenn eine Kompensation des Eingriffs grundsätzlich möglich oder denkbar ist, es dem Antragsteller aber selbst nicht möglich ist, die Kompensationsmaßnahme zu erbringen. In der Regel kann dies nur dann der Fall sein, wenn die für die Kompensation erforderlichen Grundstücke nicht zur Verfügung stehen. Daher hat der Gesetzgeber diesen Grund ausdrücklich benannt. 3. Fälle nach § 12 b Abs. 1 Nr. 3 NNatG sind in der Praxis weitgehend unerheblich. Die Höhe der Ersatzzahlung bemisst sich im Fall des § 12 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 NNatG nach der Dauer und Schwere des Eingriffs; sie beträgt höchstens 7 vom Hundert der Kosten für die Planung und Ausführung des Vorhabens einschließlich der Beschaffungskosten für Grundstücke. Nach der Landtagsentschließung hat das MU die Praxis der Ersatzzahlung beobachtet. Die Beobachtung umfasste einen jährlichen Bericht der 56 unteren Naturschutzbehörden. In diesem Bericht wurde u. a. die Anzahl der Fälle nach § 12 b Abs. 1 Nrn. 1 und 2 NNatG, die Art der Fälle, der prozentuale Anteil der Ersatzzahlung an der Investitionssumme sowie die Höhe der insgesamt festgesetzten und eingenommenen Zahlungen erfasst und ausgewertet. Im Zeitraum 2004 bis 2008 sind insgesamt ca. 19,9 Mio. Euro als Ersatzzahlung festgesetzt worden. Davon wurden 9,8 Mio. Euro bereits eingenommen. Aus der Höhe der festgesetzten Ersatzzahlungen kann bei Zugrundelegen der nachstehend genannten prozentualen Anteile der Ersatzzahlung an den Investitionskosten auf Eingriffe mit einem Investitionsvolumen von insgesamt ca. 790 Mio. Euro geschlossen werden. Im Durchschnitt der erfassten Fälle bewegte sich die Höhe der Ersatzzahlung im Berichtszeitraum zwischen 2,2 und 2,8 vom Hundert bezogen auf die Investitionssumme des Eingriffs. Fälle zwischen 5 und 7 vom Hundert sind eher die Ausnahme. Diese beschränken sich bestimmungsgemäß auf Eingriffe mit besonders schwerwiegenden Folgen. Ein großer Anteil der Ersatzzahlungen entfällt auf Windenergieanlagen und Windfarmen, die der Fallgruppe des § 12 b Abs. 1 Nr. 1 NNatG zuzurechnen sind. In den Fällen des § 12 b Abs. 1 Nr. 2 NNatG bemisst sich die Höhe der Ersatzzahlung nach der Höhe der unterbliebenen Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen. Die Ergebnisse zeigen, dass es in der Höhe der Ersatzzahlung zwischen den beiden Fallgruppen keine signifikanten Unterschiede gibt. Nur in Ausnahmefällen überschreitet die Ersatzzahlung in den Fällen des § 12 b Abs. 1 Nr. 2 NNatG die Höhe von 7 vom Hundert. Diese (wenigen) Fälle begründen aber keine Anpassung der für die Fälle des § 12 b Abs. 1 Nr. 1 NNatG festgelegten Obergrenze von 7 vom Hundert. Es zeigt sich vielmehr, dass die 2004 festgelegte Obergrenze weitgehend den Kosten entspricht, die üblicherweise bei einer Naturalkompensation entstehen. Der Wert entspricht den im Bundesfernstra-

- 32 ßenbau ermittelten Kosten für Kompensation und wurde vom Gesetzgeber aus diesem Grunde als Obergrenze gewählt. Die Ergebnisse bestätigen auch, dass die Ersatzzahlung den Verursachern von Eingriffen nicht leichtfertig auferlegt wird, sondern auf die Fälle beschränkt bleibt, für die sie das Gesetz ermöglicht oder verlangt. Die Zahlen widerlegen damit die von verschiedener Seite geäußerten Befürchtungen, die Möglichkeit der Ersatzzahlung führe zu einer missbräuchlichen Praxis, zum Ende der eigentlich geschuldeten Eingriffsfolgenbewältigung und bloß noch zu Geldleistungen. Zugleich zeigt die Höhe der in den vergangenen fünf Jahren festgesetzten und eingenommenen Mittel, dass die 2004 eingeführte Ersatzgeldregelung den finanziellen Spielraum für die Durchführung von Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege beträchtlich erweitert hat. Diese Ergebnisse werden auch von den Erkenntnissen und Eindrücken aus dem Erfahrungsaustausch bestätigt, den das MU im Berichtszeitraum in einer Reihe von Dienstbesprechungen mit allen unteren Naturschutzbehörden über die Ausgestaltung und Praxis der Ersatzgeldregelung kontinuierlich geführt hat. Im Ergebnis hat sich die für die Fälle des § 12 b Abs. 1 Nr. 1 NNatG festgelegte Obergrenze von 7 vom Hundert bewährt. Für die Landesregierung sind keine Anhaltspunkte erkennbar, die Anlass für eine Absenkung oder Erhöhung der Grenze geben könnten.“

(2) Bereits an dieser Stelle ist kritisch anzumerken, dass der Bericht der Landesregierung nicht näher angibt, nach welchem inhaltlichen Kriterium beurteilt wurde, ob sich die Regelung des § 12b NNatG 2004 „bewährt“ habe. Das mitgeteilte Zahlenmaterial erlaubt dazu jedenfalls keine nachprüfbare Beurteilung. Das beruht unter anderem darauf, dass die Fallgruppen von § 12b Abs. 1 Nr. 1 NNatG 2004 und § 12b Abs. 1 Nr. 2 NNatG 2004 nicht getrennt ausgewiesen sind, sondern zusammengefasst wurden. Da zudem die Grenze des § 12b Abs. 1 Nr. 1 NNatG 2004 limitierend wirkt, führt dieses zu einer Verfälschung der Vergleichbarkeit. Die Landesregierung gibt dazu an, „im Durchschnitt der erfassten Fälle“ habe sich die Höhe der Ersatzzahlung im Berichtszeitraum zwischen 2,2 und 2,8 vom Hundert bewegt, bezogen auf die Investitionssumme des Eingriffs. Die Normalverteilung der erhobenen Daten wird damit nicht angegeben, so dass der zentrale Grenzwertsatz nicht dargestellt und auch eine Standardabweichung überhaupt nicht beschrieben werden kann. Man darf berechtigt mutmaßen, dass mit der Antwort nur ein „einfaches“ arithmetisches Mittel zugrunde gelegt wurde. Varianz und Standardabweichung werden nicht angegeben. Das muss in der Aussage, die offenbar empirisch gemeint ist, notwendig zu statistischen Verfälschungen führen. Bereits ein gewichtetes harmonisches Mittel wäre ausdrucksstärker. Derartige Mängel in der Mitteilung der Landesregierung lassen mutmaßen, dass es dem zuständigen Ministerium entweder an statistischen Grundkenntnissen ermangelt oder eine politische Aussage getroffen werden sollte. Die Rechtsfrage ist auch eine andere: Sie geht dahin, ob die gesetzgeberischen Kriterien – nämlich Dauer und Schwere des Eingriffs – sich signifikant in der Praxis abbilden lassen. Die Angaben der Landesregierung sind auch aus anderen Gründen recht zweifelhaft. Die in den Jahren 2001/2002 ermittelten und in Niedersachsen ersichtlich übernommen Daten betreffen jedenfalls keine Windenergieanlagen bzw. Hochspannungsmasten. Es fehlt an einer Vergleichbarkeit der Konfliktlage und der Berechnungsgrundlagen. Die vom Landesgesetzgeber gewählte Vergleichsebene betrifft Daten, die ausschließlich im Straßenverkehr entstanden sind. Das sagt die Landesregierung selbst. Zu diesen Daten vgl. etwa die Untersuchungen von DEGES DEUTSCHE EINHEIT FERNSTRASSEN-PLANUNGS- UND BAU GMBH 2002A: Schriftliche Mitteilungen über Preisspannen und Mittelpreise zu trassenfernen Kompensations- und trassennahen Gestaltungsmaßnahmen im Zuge mehrerer Autobahnneubau- und Autobahnausbauvorhaben; DEUTSCHE BAHN VERKEHRSBAU GMBH 2002: Schriftliche Mitteilungen über Kosten für Kompensationsmaßnahmen im Zuge mehrerer Infrastrukturvorhaben; FREIE UND HANSESTADT HAMBURG, UM-

- 33 WELTBEHÖRDE 2001B: Preisspiegel/Kostenübersicht für Ausgleichsmaßnahmen in der verbindlichen Bauleit- und Landschaftsplanung in Anlehnung an das Kostenerstattungsgesetz. Stand November 2001. Für den Straßenverkehr lässt sich hinreichend genau feststellen, welche Kosten die gebotene und durchgeführte Realkompensation ausgelöst haben. Es liegt also die Fallgestaltung des § 15 Abs. 6 Satz 2 BNatSchG 2009 vor. Der Landesgesetzgeber hatte mit § 15 Abs. 6 Satz 3 BNatSchG 2009 aber gerade eine andere Fallgestaltung zu beurteilen und kostenmäßig zu bewerten, in der es an einer Vergleichbarkeit konkreter Kosten a priori fehlt. In diesem Sinne ist der Landesgesetzgeber einem Trugschluss erlegen. Das Prüfungsergebnis der Landesregierung vermag diesen Strukturmangel nicht auszugleichen. Sie setzt diesen nur fort. Nimmt man die noch darzustellenden Judikatur des niedersächsischen Gerichte zu § 12b Abs. 1 Nr. 1 NNatG 2004 hinzu, dann bleibt die Aussage, die festgelegte Obergrenze von 7 vom Hundert habe sich „bewährt“, nicht nachvollziehbar.

3.1.3 Exkurs: Kleine Anfrage des Abg. David McAllister u.a. 2009 (1) Die Kleine Anfrage der Abg. David McAllister, Karl-Heinrich Langspecht, Martin Bäumer und Ingrid Klopp (CDU) hatte folgenden Wortlaut:67 Ersatzzahlungen statt Ausgleichsfläche gemäß § 12b NNatG In der Vergangenheit konnten Eingriffe in die Natur nicht immer optimal kompensiert werden. Mangels Alternativen gingen außerdem der Landwirtschaft wertvolle Flächen verloren, die für Kompensationsmaßnahmen herangezogen wurden, obwohl sie naturschutzfachlich nur wenig geeignet waren. Um diese Situation zu verbessern, hat der Niedersächsische Landtag im Jahr 2004 durch den neuen § 12b NNatG die Möglichkeit einer Ersatzzahlung geschaffen. Neben Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen ist damit in bestimmten Fällen ein Ausgleich in Geld möglich. Die Einnahmen stehen der unteren Naturschutzbehörde zu, in deren Zuständigkeitsbereich der Eingriff verwirklicht wird. Die Neuregelung fördert zudem die Gewerbeansiedlung in den einzelnen Kommunen, da sie es einzelnen Vorhabenträgern erleichtert, ihre gesetzlichen Kompensationspflichten zu erfüllen. Wir fragen die Landesregierung: 1. Wie viele untere Naturschutzbehörden Niedersachsens wenden das Mittel der Ersatzzahlung mittlerweile regelmäßig und mit welcher Akzeptanz an? 2. Welche Auswirkungen sind bis heute spürbar für den Natur- und Landschaftsschutz, die regionale Wirtschaft und die Kommunen? 3. Welche Möglichkeiten werden gesehen, die gesetzlichen Vorschriften für die Ersatzzahlungen noch zu verbessern?

Antwort des Ministeriums für Umwelt und Klimaschutz Neben Überlegungen zu einer großräumigen Kompensation dient die Möglichkeit, Eingriffsfolgen durch Ersatzgeld zu kompensieren, der Flexibilisierung der Eingriffsregelung und begünstigt so eine weitere Entbürokratisierung und Deregulierung. Zulassungsverfahren können beschleunigt werden, weil Vorhabenträger nicht mehr wertvolle Zeit in die Suche nach geeigneten Kompensationsflächen investieren müssen. Die von der Landesregierung angestrebte Gleichstellung von Realkompensation und Ersatzgeld ist insbesondere auch deshalb geboten, weil Grund und Boden endlich sind und eine zunehmende Flächenverknappung zu beobachten ist. Es müssen auch in Zukunft ausreichende landwirtschaftliche Flächen für die Ernährung der Bevölkerung und für die Energiegewinnung im Sinne des Klimaschutzes zur Verfügung stehen. Gleichzeitig verbessern die Ein67

Nds. Landtag, Sten. Ber. 16 WP – 38. Plenarsitzung vom 14.5.2009 – S. 4767, Anlage 23.

- 34 nahmen aus den Ersatzzahlungen die Möglichkeiten, Naturschutzprojekte umzusetzen, die einen wirksamen Beitrag zur Erhaltung der biologischen Vielfalt leisten können. Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage namens der Landesregierung wie folgt: Zu 1: Circa 90 % der unteren Naturschutzbehörden waren bisher mehrfach oder mindestens einmal mit Eingriffen befasst, die zur Festsetzung einer Ersatzzahlung nach § 12b NNatG führten. Eine aktuelle Abfrage des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt und Klimaschutz hat ergeben, dass die unteren Naturschutzbehörden seit 2004 insgesamt rund 11,8 Millionen Euro einnahmen. Während es im Jahr 2005 noch 1,2 Millionen Euro waren, stieg die Summe auf 5,3 Millionen Euro im Jahr 2008. Daher ist die Akzeptanz positiv einzuschätzen. Zu 2: Mit dem aus Ersatzzahlungen eingenommenen Geld konnten im vergangenen Jahr zahlreiche Vorhaben im Naturschutz und der Landschaftspflege in ganz Niedersachsen realisiert werden. So wurden Gewässer und Moore renaturiert, Wallhecken und Kleingewässer angelegt oder Maßnahmen zum Gelege- und Weißstorchschutz realisiert. Beispiele solcher Projekte sind - im Landkreis Hameln-Pyrmont das Pilotprojekt „Kontrollierte eigendynamische Gewässerentwicklung der Saale“, - im Landkreis Nienburg das Projekt „Renaturierungsmaßnahmen im Krähenmoor“, - im Landkreis Goslar die Entwicklung von Acker-flächen zu Kalkhalbtrockenrasen, - im Landkreis Harburg die Anlage von Kleingewässern sowie die Entwicklung und dauerhafte Erhaltung von Offenland- und Magerrasenbiotopen, - im Landkreis Oldenburg die Renaturierung des Schwarzen Moors. Mit derartigen Projekten kann für die Verbesserung des Zustandes von Natur und Landschaft in der Regel mehr erreicht werden als durch einzelne Kompensationsmaßnahmen. Zu Auswirkungen für die regionale Wirtschaft und die Kommunen liegen keine konkreten Untersuchungen vor. Es ist davon auszugehen, dass die Einführung des Ersatzgeldes zu erheblichen Erleichterungen für die Investitionsvorhaben der Wirtschaft und zu einem erheblichen Bürokratieabbau in der Verwaltung geführt hat. Zu 3: Die Landesregierung setzt sich im Rahmen des Gesetzentwurfes zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege im Bundesrat und auf parlamentarischer Ebene dafür ein, dass künftig eine Gleichstellung von Realkompensation (Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen in der Natur) und monetärer Kompensation (Ersatzzahlung) landesrechtlich möglich wird. Ziel ist, dass die Vorhabenträger künftig ein Wahlrecht zwischen beiden Alternativen haben. Das würde im Vergleich zur derzeitigen Rechtslage zu einer weiteren Flexibilisierung und Beschleunigung von Verfahren sowie einer noch größeren Entlastung der Verwaltung führen

(2) Die danach von der Landesregierung angestrebte Gleichstellung von Realkompensation und Ersatzgeld entsprach und entspricht weder der bundes- noch der landesrechtlichen Gesetzeslage. Diese bereits in der Novellierung des BNatSchG vom Bundesrat 2009 verfolgte Zielsetzung hatte sich gegenüber der Bundesregierung und im Bundestag nicht durchzusetzen vermocht.68 Dass die Einführung des Ersatzgeldes zu erheblichen Erleichterungen für die Investitionsvorhaben der Wirtschaft und zu einem erheblichen Bürokratieabbau in der Verwaltung geführt hat, ist empirisch durch nichts belegt. Es wurden zudem nur die Naturschutzbehörden befragt, nicht indes die Baugenehmigungsbehörden, die Ortsgemeinden, die Wirtschaftsverbände oder die Industrie- und Handelskammern. Die gegebene Antwort setzt zudem voraus, dass die Höhe des Ersatzgeldes für Investitionsvor-

68

Vgl. Stellungnahme des Bundesrates vom 15.5.2009 (vgl. BTags-Drucks. 16/13298) zur BTags-Drucks. 16/12785. Danach sollten Ausgleich und Ersatz als Formen der Realkompensation alternativ nebeneinander gestellt werden (S. 3): „An Stelle von vorrangig durchzuführenden Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen kann vom Verursacher ausnahmsweise eine Ersatzzahlung auch dann verlangt werden, wenn mittels der Ersatzzahlung die Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege besser verwirklicht werden können.“ In ihrer Gegenäußerung lehnte die BReg. diesen Vorschlag ab.

- 35 haben der Wirtschaft gedanklich voraus berechenbar ist. Das ist – wie noch zu zeigen sein wird – gerade nicht der Fall.

3.2 Zur Frage einer verwaltungsmäßigen Umsetzung des § 12b NNatG 2004 oder des § 6 NAGBNatSchG 2010 3.2.1 Keine amtlichen Ausführungsregelungen (1) § 6 NAGBNatSchG 2010, aber auch sein Vorläufer § 12b NNatG 2004 schreiben keine (lineare) Berechnungsmethode für die Höhe des Ersatzgeldes vor. Die Gesetze bestimmen nur, dass das Ersatzgeld höchstens 7 vom Hundert der Kosten für die Planung und Ausführung des Vorhabens einschließlich der Beschaffungskosten für Grundstücke betrage. Eine konkretisierende Rechtsverordnung fehlt. Die kann und konnte mangels landesgesetzlicher Ermächtigungsgrundlage nicht erlassen werden. Die Landesregierung ging zu § 12b Satz 1 Nr. 1 NNatG 2004 ersichtlich davon aus, dass die Vorschrift hinreichend bestimmt und eine ausführende Rechtsverordnung nicht geboten sei. Der Landesgesetzgeber hat die Auffassung mit der Novellierung des NAGBNatSchG 2010 wiederholt. Ganz sicher war er sich darin nicht. Noch der von den Fraktionen der CDU und der FDP einbrachte Gesetzesentwurf vom 23. November 2009 (LTags-Drucks. 16/1902) sah in einem § 6 Abs. 2 NAGBNatSchG-E vor, die oberste Naturschutzbehörde zu ermächtigen, durch Verordnung das Nähere zur Kompensation von Eingriffen abweichend von einer Rechtsverordnung nach § 15 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG 2009 zu regeln. Erst in der parlamentarischen Erörterung sah man von einer eigenen landesrechtlichen Ermächtigungsgrundlage ab. (2) Auch (ministerielle) Verwaltungsvorschriften zur Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben des § 12b Satz 1 Nr.1 NNatG 2004 sind nicht ergangen. Sie sind – dem Vernehmen nach – auch zu § 6 NAGBNatSchG 2010 nicht zu erwarten. Im Schriftlichen Bericht des Ausschusses für Umwelt und Klimaschutz zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Naturschutzrechts (LTags-Drucks. 16/2216 neu vom 4. März 2010) war – wie bereits erörtert – angegeben worden, dass „die Eingriffsregelung in Niedersachsen auch ohne weitere Regelungen vollziehbar sei“. Das trifft nach der Beurteilung der befassten Referate des nds. Ministeriums für Umwelt offenkundig nicht zu: Aus einer Stellungnahme des Referates 10 dieses Ministeriums vom 10. Mai 2011 (Referatsleiter Bobzien) ergibt sich als reale Zustandsbeschreibung der entstandenen Verwaltungspraxis, dass “die tatsächliche Höhe in einem langwierigen und bürokratischen Prozess unter Beteiligung von Gutachten basarartig festgelegt“ wird (vgl. Textauszug unten S. ??). 3.2.2 Das „Ersatzmodell“: Die NLT-Papiere (1) Eine Arbeitsgruppe „Naturschutz und Windenergie“ beim Niedersächsischen Landkreistag (NLT) hatte zur früheren Rechtslage 2005 Empfehlungen zur Berechnung der Ersatzzahlung erarbeitet. Diese „Hinweise zur Berücksichtigung des Naturschutzes und der Landschaftspflege … bei Standortplanung und Zulassung von Windenergieanlagen, Stand: Mai 2005“ – im folgenden „NLT-Papier 2005 – sollten einer praxisgerechten Umsetzung des früheren § 12b NNatG 2004 dienen. Der Niedersächsische Landkreistag e. V. ist die Vereinigung ("Kommunaler Spitzenverband") der 37 niedersächsischen Landkreise und der Region Hannover. Hoheitliche Aufgaben sind ihm nicht übertragen. Ferner entstanden NLT-Hinweise zur Anwendung der Eingriffsregelung beim Bau von Hoch- und Höchstspannungsfreileitungen und Erdkabeln (Stand: Januar 2009). Ferner hat die Bund/Länder-

- 36 Arbeitsgemeinschaft Naturschutz, Landschaftspflege und Erholung (LANA) Empfehlungen für die Eingriffsbewältigung beim Netzausbau vom 7. März 2012 herausgegeben. Die Empfehlungen richten sich an die Vollzugsbehörden. Der rechtliche Status dieser Empfehlungen ist unsicher. Das ursprüngliche NLT-Papier 2005 wurde inzwischen durch die „Arbeitshilfe Ersatzzahlung nach dem Bundesnaturschutzgesetz (nunmehr Stand: 4. Fassung Oktober 2011)“ abgelöst.69 Die in ihr enthaltenen Hinweise verstehen sich wiederum als „Anwendungshilfe“. Aufgrund der Novellen der niedersächsischen Naturschutzgesetze wurde zwar eine umfassende Neubearbeitung der Arbeitshilfe vorgenommen. Die Maßstäbe für die Bemessung der Ersatzzahlung wurden jedoch im Wesentlichen beibehalten. In Ermangelung eines staatlichen Durchführungserlasses verfahren die für die Festsetzung zuständigen Landkreise mehr oder weniger nach den „NLT-Papieren“ in deren jeweils aktueller Fassung.70 Es ist nicht ersichtlich, dass die Anwendung der NLT-Papiere ggf. durch ministerielle oder anderweitige behördliche Anordnung als Verwaltungsvorschrift „eingeführt“ wurde. Es handelt sich also um einen „unverbindlichen“ Erörterungstext. Hier gilt das, was das BVerwG (1987) sehr skeptisch hinsichtlich der DIN-Normen geäußert hatte.71 Das BVerwG hat dies 2008 wiederholt.72 Den Kriterien der Repräsentanz und der Publizität kommt umso eher und umso mehr Bedeutung zu, je stärker die einschlägigen Fachkreise zugleich Interessengruppen sind und je stärker sich in den Regelwerken fachliche Einschätzungen und Wertungen verbinden. Betrachtet man die Zusammensetzung der Arbeitsgruppe „Naturschutz und Windenergie“, lässt sich von einer ausgewogenen Pluralität nicht sprechen. Die „Empfehlungen“ NTL 2005 bis 2011 stellen danach keine durch Fachkonsens oder Konvention festgelegten Maßstäbe für die Höhe einer naturschutzrechtlichen Ausgleichsabgabe dar, sondern wollen diese Maßstäbe erst schaffen. (2) NLT-Papier (Fassung 2005) ist vom VG Lüneburg nicht in vollem Umfang „bestätigt“ worden.73 Dies spricht dem äußeren Anschein nach dagegen, dass die „Empfehlungen“ des NLT 2005 von subsumtionsfähiger Klarheit sind. Das NLT-Papier 2005 ist abgelöst worden durch Neufassungen von 2007 sowie vom Januar und vom Oktober 2011. Daneben gibt es die „Hinweise zur Festlegung und Verwendung der Ersatzzahlung nach dem Bundesnaturschutzgesetz sowie dem Niedersächsischen Ausführungsgesetz zum Bundesnaturschutzgesetz“ (Stand: Januar 2011). Die Hinweise verstehen sich wiederum als „Anwendungshilfe“. Sie lösen die 2006 aufgrund der früheren Rechtslage herausgegebenen Hinweise zur Ersatzzahlung ab. Die Novellen der Naturschutzgesetze gaben Anlass zu einer umfassenden Neubearbeitung der Arbeitshilfen. Die Maßstäbe für die Bemessung wurden im Wesentlichen beibehalten.

69

Es gibt folgende Veröffentlichungen des NLT: 1. Naturschutz und Windenergie, Hinweise …, Fassungen 2005, 2007, Jan. 2011 und Okt. 2011; 2. Arbeitshilfe Ersatzzahlung nach dem Bundesnaturschutzgesetz (Jan. 2011), löst ab die Arbeitshilfe Hinweise zur Anwendung der §§ 12a und 12b NNatG; 3. Hinweise Mobilfunkmasten und Naturschutz (2. Aufl. Jan. 2011) und 4. Hinweise Hochspannungsleitungen und Naturschutz (2. Aufl. Jan. 2011). 70 Vgl. Niedersächsische Landkreistag (2006), Hinweise zur Anwendung der §§ 12 a und 12 b des Niedersächsischen Naturschutzgesetzes. Informationsdienst Naturschutz Niedersachsen. 26. Jg. Nr. 1: 59-64. 71 BVerwG, Urteil vom 22.5.1987 - 4 C 33 bis 35.83 - BVerwGE 77, 285 [291] = DVBl 1987, 907 = NJW 1987, 2886. 72 BVerwG, Beschluss vom 15.1.2008 - 9 B 7.07 - NVwZ 2008, 675. 73 VG Lüneburg, Urteil vom 20.9.2007 - 2 A 569/06 – juris.

- 37 3.2.3 Interne Stellungnahme des Referates 10 des Nds. Ministeriums für Umwelt vom 10. Mai 2011 (1) Das Referat 10 des Nds. Ministeriums für Umwelt hat unter dem 10. Mai 2011 folgenden Vermerk zu den Akten74 gebracht (Aktz. 10 – 27.40.1.3. zu Stellungnahme zum Vermerk der RGL N vom 8. April 2011 zur Ersatzgeldbemessung bei Windenergieanlagen auf Grund der Handlungsempfehlung des Niedersächsischen Landkreistages75): „Die Handlungsempfehlung des Niedersächsischen Landkreistages (NLZ) zum Ausbau der Windenergie haben massiven Einfluss auf ein Kernelement niedersächsischer Energiepolitik. Die niedersächsische Landesregierung hat auf die Entwicklung der Handlungsempfehlung durch den NLT keinen Einfluss. Die vom NLT eingesetzte Arbeitsgruppe besteht ausschließlich aus Personen die naturschutzfachliche Ziele verfolgen. Andere Ziele der Landesregierung (z. B. Klimaschutz, Energiepolitik, Raumplanung, etc.) finden keine Berücksichtigung. Die Handlungsempfehlungen werden regelmäßig von den zuständigen Planungsbehörden ohne kritische Betrachtung angewendet. Die Handlungsempfehlungen werden wiederkehrend von der Arbeitsgruppe überarbeitet (Mai 2005, Juli 2007, Januar 2011) und dabei in der Regel verschärft. Bei der letzten Überarbeitung (Januar 2011) wurden beispielsweise die artspezifischen Abstände deutlich vergrößert, die Bemessungsregelung für das Ersatzgeld verschärft und nachteilige Regelungen zum Repowering aufgenommen. Nach Kenntnis von Referat 10 bestehen in keinem anderen Bundesland ähnlich Windkraft verhindernde Rahmenbedingungen, wie in Niedersachsen durch das NLT-Papier. Aus Sicht von Referat 10 sind dabei insbesondere die großen art- und gebietsspezifischen Abstandsempfehlungen sowie die vorgeschlagene Bemessensregelung für das Ersatzgeld für die Entwicklung der Windenergie in Niedersachsen problematisch. Bemessensregelung für das Ersatzgeld Gemäß dem Niedersächsischen Ausführungsgesetz zum Bundesnaturschutzgesetz (NAGBNatSchG) soll die Ersatzzahlung für alle nicht ausgleichbaren Eingriffe (Natur und Landschaft) höchsten 7% der Kosten der Planung und Ausführung einer Windkraftanlage betragen. Ausführungsbestimmungen des Landes wurden dazu nicht erlassen. Das NLT-Papier will zu dieser Regelung Ausführungsempfehlungen geben. Da die Regelung bei einer vollumfänglichen Anwendung in der Regel zu erheblichen Ersatzgeldzahlungen führen würde und die Projekte damit regelmäßig unwirtschaftlich machen würde, wird die tatsächliche Höhe in einem langwierigen und bürokratischen Prozess unter Beteiligung von Gutachten basarartig festgelegt. Dieses Verfahren führt regelmäßig dazu, dass die Genehmigungsverfahren verzögert werden und neue Gutachter zu den möglichen Eingriffen vorgelegt werden müssen. Auch kann dieses nicht transparente Verfahren von den Landkreisen dazu genutzt werden Winkraftanlagen trotz einer vorangegangenen Abwägung im Planungsprozess zu verhindern. Darüber hinausführt der Bezug des NLT auf die Investitionshöhe zu einer Benachteiligung teurerer Ablagen, wie sie z. B. die niedersächsische Firma Enercon anbietet. Auch steht die Investitionshöhe in keinem Bezug zum Einfluss der Anlagen auf das Landschaftsbild. Dieser Bezug besteht einzig in der Gesamthöhe der Anlage und ihrer Bauart. Die Festsetzung von Ersatzgeld für die Beeinträchtigung des Landschaftsbildes wird nach Kenntnis von Referat 10 in den Bundesländern sehr unterschiedlich gehandhabt. Ob weitere Bundeslän74

Akten des nds. Umweltministeriums lfd. Nr. 27.42.5.1 Bd. 1, ohne Paginierung. Gemeint sind die Hinweise zur Berücksichtigung des Naturschutzes und der Landschaftspflege sowie zur Durchführung der Umweltprüfung und Umweltverträglichkeitsprüfung bei Standortplanung und Zulassung von Windenergieanlagen, Januar 2011. 75

- 38 der die Höhe des Ersatzgeldes von der Investitionssumme abhängig machen ist Referat 10 nicht bekannt. Alternative Regelungen in Niedersachsen würden die Festlegung im NAGBNatSchG (7 %) aus Sicht von Referat 10 nicht entgegenstehen. Einige Bundesländer berechnen beispielsweise die Höhe des Ersatzgeldes in Abhängigkeit von der Gesamthöhe der Anlage. Da das NLT-Papier bereits Landschaftsbildeinheiten mit sehr hoher, hoher und mittlerer Bedeutung als potenzielle Ausschlussgebiete für die Windkraftnutzung nennt und vorrangig stark vorbelastete Bereiche in Anspruch genommen werden sollen, könnte nach Auffassung von Referat 10 auf die Festsetzung von Ersatzgeld für mögliche Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes im Regelfall ganz verzichtet werden. Darüber hinaus müssen gemäß dem NLT-Papier Windkraftanlagen ohnehin zu Landschaftsbildeinheiten mit sehr hoher, hoher und mittlerer Bedeutung deren Landschaftsbild geschützt werden soll bzw. Gebiete mit besonderer Bedeutung für die Erholung großen Abstand halten, um eine Zerstörung oder erhebliche Beeinträchtigung der zu schützenden Gebiete bzw. ihrer Bestandteile auszuschließen oder die Beeinträchtigung zumindest zu beschränken. Vor diesem Hintergrund erscheint ein Verzicht auf Ersatzgeld für mögliche Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes gerechtfertigt.“

(2) Dieser Blick in die Verwaltungsinterna ist verräterisch. Selbst die NLT-Papiere 2005, 2007 und 2011 (Fassung Januar 2011) haben danach die von der eingesetzten Arbeitsgruppe erhoffte (rationale)Anwendungsfähigkeit des § 6 Abs. 1 NAGBNatSchG 2010 nicht erbracht. Das ist um so bemerkenswerter, als der Arbeitsgruppe bei der Überarbeitung des NLT-Papiers 2005 bereits die noch zu referierende Judikatur der nds. Verwaltungsgerichte bekannt sein konnte. Bestehen innerhalb der öffentlichen Hand Interessengegensätze, wäre es gerade Aufgabe einer klaren Normsetzung diese Gegensätze entscheidungsfähig auszugleichen.

III. Spruchpraxis der niedersächsischen Verwaltungsgerichte 1. Problemsicht der Verwaltungsgerichte –Überblick Bislang liegen keine Entscheidungen der Niedersächsischen Verwaltungsgerichte zur Frage der Ersatzzahlung nach § 6 NAGBNatSchG 2010 vor, und nur wenige zur textidentischen Vorläuferregelung des § 12b NNatG2004. Das VG Lüneburg hat in seinem Urteil vom 20.9.2007 – 2 A 569/06 – die Frage der Verfassungsgemäßheit des § 12b NNatG 2004 nicht problematisiert.76 Das Gericht bestätigt im Grundsatz die Anwendung des „NLT-Papieres“, allerdings mit Abweichungen „nach unten“, die bereits der zuständige Landkreis und die Widerspruchsbehörde vorgenommen hatten. Das hierauf bezogene Berufungsurteil des OVG Lüneburg vom 16.12.2009 – 4 LC 730/07 verneint Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 12b Abs. 1 Satz 3 NNatG 2004.77 Das Gericht erachtet die landesgesetzliche Regelung nach Maßgabe des Bundesverfassungsrechts für hinreichend bestimmt. Die in § 12b Abs. 1 Satz 3 Hs. 2 NNatG 2004 normierte 7 %-Grenze begrenze nicht nur die Höhe der Ersatzzahlung, sondern stelle zugleich auch die Obergrenze eines Rahmens dar, innerhalb dessen die Ersatzzahlung nach Maßgabe von Dauer und Schwere des Eingriffs linear abgestuft zu bemessen ist. 76

Abgedruckt NuR 2007, 839 Abgedruckt OVGE MüLü 52, 492 = NdsVBl 2010, 158 = NuR 2010, 133 = ZUR 2010, 262 = BauR 2010, 758 = BRS 74 Nr. 229 (2009). 77

- 39 Das VG Stade hat in seinem Urteil vom 18.6.2009 – 2 A 1277/08 – juris – den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz als gewahrt angesehen.78 Das Gericht billigt im Grundsatz eine am „NTL-Papier“ ausgerichtete Berechnung, auch wenn die beklagte Behörde „eigene Überlegungen“ angestellt habe. Die verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen betreffen Windenergieanlagen. Andere Eingriffslagen werden offensichtlich als unproblematisch angesehen. Der Gesetzgeber sei unter Berücksichtigung des Normzweckes ohnedies nicht in der Lage, eine klar umrissene Zahlungsregelung vorzugeben. Der Nachweis für diese Auffassung wird allerdings nicht geführt.

2. Zielsetzung der Analyse der bisherigen Spruchtätigkeit zu § 12b NNatSchG 2004 (1) Nach § 12b Abs. 1 Satz 3 NNatG 2004, ebenso § 6 Abs. 1 NAGBNatSchG 2010, bemisst sich die Höhe der Ersatzzahlung im Falle des § 12b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 NNatG 2004 nach der Dauer und Schwere des Eingriffs. Sie beträgt höchstens 7 vom Hundert der Kosten für die Planung und Ausführung des Vorhabens einschließlich der Beschaffungskosten für Grundstücke. Für das konkrete Berechnungsverfahren gibt der Gesetzgeber damit drei Merkmale an, nämlich zwei positive, die Schwere des Eingriffs und seine Dauer, und ein negatives, nämlich die Höchstgrenze mit 7% der näher definierten Investitionskosten. Dabei ist bereits hier anzumerken, dass § 12b Abs. 1 NNatG 2004 sich auf jede naturschutzrechtliche Eingriffslage bezieht. Eine sachgerechte Auslegung hat also zu beachten, dass der Eingriff durch die Errichtung von Windenergieanlagen nur eine gewiss typische Fallgruppe, aber nicht selbst Regelungsgegenstand der gesetzlichen Vorschrift ist. (2) Die genannten Merkmale sind rechtsstaatlich dann bestimmt, wenn mit ihrer Hilfe eine hinreichend konkrete Bestimmung der Höhe der Ersatzzahlung bei einer Eingriffslage abgeleitet werden kann. Nach dem bloßen Wortlaut des § 12b Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 NNatG 2004 bestehen keine Anhaltspunkte dafür, wie ein nach Dauer und Schwere bewerteter Eingriff in eine Ersatzzahlung "umzurechnen" ist.79 Das ist auch rechtsstaatlich nicht gefordert (vgl. dazu unten näher). Gerade deshalb ist es von interpretatorischem Interesse und als Befund aufzunehmen, in welcher Weise Behörden und Verwaltungsgerichte bislang tatsächlich eine Präzisierung versucht haben. Gelingt es Behörden und Verwaltungsgerichten nicht, zwischen Normtext und Zahlenwerk einen nachvollziehbaren, d.h. auch rechnerischen Ableitungszusammenhang herzustellen, dann darf man dies als Indiz dafür werten, dass die gesetzlichen Kriterien nicht hinreichend geeignet sind, dem rechtsstaatlichen Grundsatz der Bestimmtheit zu genügen. Als Prüfmaterial dienen drei Gerichtsentscheidungen, die sich ihrerseits auf behördliche Entscheidungen beziehen. Angefochten wurden zwei Festsetzungsentscheidungen und hierauf bezogene Widerspruchsbescheide. Als Befundmaterial stehen mithin vier Behördenentscheidungen und drei Judikate zur Verfügung. 3. VG Lüneburg – Urteil vom 20.9.2007 (1) Im Ausgangssachverhalt setzte der beklagte Landkreis mit Bescheid vom 27. Juli 2005 ein Ersatzgeld in Höhe von 199.058 € fest.80 Bei der Berechnung war der Landkreis von einer Investitionssumme (Kosten für Planung und Ausführung einschließlich der Beschaffungskosten für die Grundstücke) von rd. 1.860.000 € pro Windkraftanlage ausgegangen. Die Genehmigung betraf die Errichtung von 8 Windkraftanlagen mit einer Nabenhöhe von 78 79 80

Veröffentlicht in der Rechtsdatenbank juris. OVG Lüneburg vom 16.12.2009 - 4 LC 730/07 – NdsVBl 2010, 158 Rn. 58. VG Lüneburg, Urteil vom 20.9.2007 - 2 A 569/06 – juris.

- 40 105 m und einem Rotordurchmesser von 90 m. Überstiegen die Kosten für die festgelegten Ausgleichsmaßnahmen gemeinsam mit der Ersatzzahlung (199.058 €) 7 % der Investitionskosten der Windkraftanlagen (= 1.041.880,- EUR), so sollten die über 7 % liegenden Kostenanteile von der Ersatzzahlung „absetzbar“ sein. Zur näheren Berechnung heißt es im Tatbestand des Urteils referierend: „.. eine landschaftsgerechte Neugestaltung und die Festlegung von Ersatzmaßnahmen für die Beeinträchtigung des Landschaftsbildes seien nicht möglich. Daher seien Ersatzzahlungen nach § 12 b Abs. 1 Ziffer 1 NNatG festzusetzen, die unter Bewertung von Dauer und Schwere des Eingriffs nach einem ungefähren Erfahrungswert der Kosten für Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen höchstens 7 % der Investitionssumme betrügen. Vorliegend sei unter Berücksichtigung einer mittleren Wertigkeit der Beeinträchtigung (Herabstufung auf 5 % der Investitionssumme), der Vorbelastung des Landschaftsraums mit 11 bereits vorhandenen Windkraftanlagen (weitere Herabstufung auf 4 % und Abschlag von 0,1 % pro Anlage = 3 %) und unter Herausrechnung sichtverstellter und sichtverschatteter Bereiche die Ersatzzahlung zu berechnen. Bei einer Gesamtinvestitionssumme von 14.884.000,- EUR und einer tatsächlich beeinträchtigten Fläche von 1.628 ha (44,58 % der potentiell beeinträchtigten Fläche von 3.652 ha) errechne sich daraus die festgesetzte Ersatzzahlung (14.884.000,- EUR x 3 % x 44,58 % = rd. 199.058 EUR).“ Der hierauf bezogene Widerspruchsbescheid bestätigte im Wesentlichen diese Berechnung, und zwar unter Bezugnahme auf das „NLT-Papier“ 2005. Dieses bezeichnet der Bescheid als „praxisgerechte und nachvollziehbare Empfehlung“. Allerdings berücksichtige das NLTPapier nicht, dass eine Beeinträchtigung des Landschaftsbildes für einen objektiven Betrachter nicht stattfinde, wenn die Windkraftanlagen durch Bewuchs oder Bebauung nicht sichtbar seien. Da mit Bescheid vom 10. Mai 2006 eine weitere Windkraftanlage genehmigt worden sei, sei die Investitionssumme entsprechend zu erhöhen und ein Eingriff in das Landschaftsbild mit 9 Windkraftanlagen zu berücksichtigen. Im Einzelnen ergebe sich nunmehr folgende - vom Ausgangsbescheid abweichende Berechnung (in €): Investitionskosten insgesamt max. zulässige Ersatzzahlung (7 %) abzügl. Ausgleichsmaßnahmen nicht ausgleichbar verbleiben abzügl. mittlere Wertigkeit (5 %) abzügl. Vorbelastung Landschaftsraum durch WKA (4 %) abzügl. 11 vorhandene WKA (3 %) abzügl. sichtverschatteter Bereich (44,58 %) abzügl. Ersatzzahlung pro WKA bei 9 WKA Ersatzzahlung für 8 WKA rd.

16.361.362,00 1.145.295,34 - 339.994,43 805.300,91 = 575.214.94 = 460.171,95 = 345.128,96 = 153.858,49 - 17.095,39 = 136.763,00

(2) Obwohl der Ausgangs- wie auch der Widerspruchsbescheid darauf hinweisen, es solle von NLT 2005 ausgegangen werden, kommen die Behörden zu sehr abweichenden Ergebnissen. Der Zahlungsbetrag ist im Widerspruchsverfahren gegenüber dem Bescheidbetrag von 199.058 € auf 136.763 € gemindert. Wenn selbst die befassten Behörden zu derartigen Unterschieden gelangen, spricht dies bereits dem äußeren Anschein nach dagegen, dass die „Empfehlungen“ des NLT 2005 von subsumtionsfähiger Klarheit sind. Das VG Lüneburg meint in seinem klageabweisenden Urteil, bei seiner Berechnung habe der Beklagte nicht nur die im NLT-Papier vorgesehenen Kriterien bei der angemessenen Bewertung der Landschaftsbildbeeinträchtigung durch Windkraftanlagen angewandt, sondern weitere Kri-

- 41 terien zu Gunsten der damaligen Klägerin entwickelt und herangezogen. Das trifft für Ausgangs- und Widerspruchsbescheid in unterschiedlichem Umfang zu. (3) Tatsächlich hat das VG Lüneburg keine Rechtsprüfung im Sinne einer subsumtiven Berechnung vorgenommen. Es hat vielmehr narrativ über die Berechnung des Widerspruchsbescheides berichtet. Dabei hat es in Anlehnung an das NLT-Papier 2005 die einzelnen Berechnungsschritte des Widerspruchsbescheides als „nachvollziehbar und plausibel“ (Rn. 22 des Urteils) bezeichnet. Im Ergebnis sei festzustellen, dass der im Widerspruchsbescheid festgesetzte Betrag, der lediglich 0,84 % der gesamten Herstellungskosten beträgt, jedenfalls nicht in einem unangemessenen Verhältnis zu der Beeinträchtigung des durch die Windkraftanlagen nachhaltig gestörten Landschaftsbildes stehe. Die tatsächliche Vorgehensweise des VG Lüneburg zeigt auf, dass sich das Gericht auf eine Kontrolle der Nachvollziehbarkeit der behördlichen Berechnung beschränkt hat. Eine eigene Berechnung hat das Gericht nicht vorgenommen. Ein Ableitungszusammenhang zwischen Normtext und Betragshöhe ist nicht erkennbar. Das Gericht hat seine Kontrollfunktion faktisch so praktiziert, als hätte es eine behördliche Entscheidung in der Weise zu prüfen, wie es die Rechtsprechung für Entscheidungen mit behördlicher Einschätzungsprärogative entwickelt hat. Dies ist bereits hier als Befund festzuhalten. Die Einräumung eines begrenzten behördlichen Entscheidungsspielraums bei der Auslegung und Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffes bedarf indes einer (besonderen) gesetzlichen Ermächtigung.81 Der Umstand, dass für eine uneingeschränkte gerichtliche Kontrolle ggf. fachspezifischer Sachverstand erforderlich ist und dies ggf. die Einholung von Sachverständigengutachten erfordert, rechtfertigt noch nicht die Annahme eines administrativen Beurteilungsspielraums und die Zurücknahme der gerichtlichen Kontrolldichte. (4) Das VG Lüneburg versucht nicht einmal im Ansatz den Nachweis zu erbringen, dass § 12b Abs. 1 Satz 3 NNatG 2004 den niedersächsischen Behörden einen Beurteilungsspielraum eröffnet habe. Dafür ist auch nichts erkennbar. Dass das Gericht in Verkennung der sich aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG ergebenden gerichtlichen Kontrollaufgabe gleichwohl so vorgeht wie es vorgeht, ist erklärungsbedürftig. Die Erklärung ist leicht zu finden. Sie liegt in der für das VG Lüneburg fehlenden tatbestandlichen Subsumtionsfähigkeit des § 12b Abs. 1 Satz 3 NNatG 2004. Aus diesem Grunde weicht es in die ihm geläufige Prüfungsebene der Nachvollziehbarkeit aus. Das Gericht lässt es dabei bei einer Plausibilitätskontrolle der behördlichen Vorgaben bewenden. Gleichsam als „Zeuge“ in eigener Sache bestätigt das VG Lüneburg die fehlende Bestimmtheit der von ihm anzuwendenden Norm eindrucksvoll. In seiner abschließenden Bemerkung kommt seine Entscheidungsintention dabei gut zum Ausdruck: Es sei im Ergebnis festzustellen, dass der zu zahlende Betrag, der lediglich 0,84 % der gesamten Herstellungskosten beträgt, jedenfalls nicht in einem unangemessenen Verhältnis zu der Beeinträchtigung des durch die Windkraftanlagen nachhaltig gestörten Landschaftsbildes stehe. Das mag sein. Das Gericht hatte aber dies nicht zu prüfen. Dass das VG Lüneburg hinsichtlich der Frage der rechtsstaatlich gebotenen Bestimmtheit arglos war, wurde bereits bemerkt.

81

Vgl. etwa u.a. BVerwG, Urteil vom 25.11.1993 - 3 C 38.91 - BVerwGE 94, 307 [309] = NVwZ 1995, 707; BVerwG, Urteil vom 21.12.1995 - 3 C 24.94 - BVerwGE 100, 221 [225] = DVBl 1996, 811 = NVwZ 1997, 179; BVerwG, Urteil vom 6.10.1998 - 6 C 11.98 - BVerwGE 107, 245 [253] = NVwZ-RR 1999, 254; BVerwG, Beschluss vom 22.9.2005 - 1 WB 4.05 - DVBl 2006, 574; vgl. Nachweise auch bei Eberhard Schmidt-Aßmann in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 197 ff.

- 42 4. VG Stade – Urteil vom 18.6.2009 (1) Im Ausgangssachverhalt setzte der beklagte Landkreis mit Bescheid vom 20. August 2007 ein Ersatzgeld in Höhe von 734.851 € fest.82 Die nähere Berechnung hatte das Naturschutzamt des Beklagten anhand des NTL-Papiers vorgenommen. Das Widerspruchsverfahren blieb ohne Erfolg. Die Widerspruchsbehörde bestätigt die Höhe der vom beklagten Landkreis festgesetzten Ersatzzahlung. Im Ergebnis folgte der Widerspruchsbescheid der Berechnung des Naturschutzamtes des Beklagten. (2) Das VG Stade hält § 12b Abs. 1 NNatG 2004 für verfassungsgemäß. Dem beklagten Landkreis sei es auch „im Wege einer rechtlich nicht zu beanstandenden Auslegung des § 12b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 NNatG 2004 gelungen, die Berechnung der Ersatzzahlung anhand von objektiven Kriterien vorzunehmen und damit eine noch hinreichend voraussehbare und damit willkürfreie Handhabung zu gewährleisten.“83 Bereits diese Sprachführung ist aus dem Verständnis des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG jedenfalls irritierend. Auch das VG Stade nimmt indes ähnlich wie das VG Lüneburg keine eigene Rechtsprüfung im Sinne einer subsumtiven Berechnung vor. Vielmehr prüft das Gericht, ob die vom Beklagten zugrunde gelegten Ansätze und Bewertungen nachvollziehbar sind. Diese Prüfung erfolgt zwar umfangreich, legt aber im Kern ausschließlich die vom Naturschutzamt des Beklagten aufgemachte Berechnung zugrunde. Diese wird schrittweise auf ihre „Willkürfreiheit“ überprüft. Wörtlich heißt es dazu in den Entscheidungsgründen: „Vielmehr wird die Berechnung der Höhe der Ersatzzahlung ausgehend von 7 % der Gesamtinvestitionskosten, insbesondere abzüglich der auf der Grundlage fachlicher Bewertung ermittelten Bedeutung des Landschaftsbildes und der Auswirkungen des Windparks, d.h. nach einzelnen vom NLT erarbeiteten Kriterien, der (praxisgerechten) Umsetzung der Norm gerecht. Diese auf dem NLT-Papier fußende Berechnungsmethode ermöglicht eine im Mindestmaß voraussehbare Festsetzung der Höhe der Ersatzzahlung und schließt auf der Grundlage fachlicher Beurteilungen eine willkürliche Handhabung durch den Beklagten aus.“84 Das VG Stade stellt dann fest, dass diese Berechnungsmethode auch im Einklang mit der Begründung zur Gesetzesvorlage (LTags-Drucks. 15/395) stehe. Das kann indes schwerlich der Fall sein, denn die oben wiedergegebene Gesetzesvorlage enthält gerade keine Berechnungsweise. Zudem muss sich das VG Stade vorhalten lassen, dass nicht die LTagsDrucks. 15/395 (Gesetzesentwurf der Fraktionen der CDU und FDP) Grundlage des Gesetzes war, sondern die Berichtsfassung des federführenden Umweltausschusses (LTagsDrucks. 15/804 vom 11.2.2004 [ohne nähere Begründung85], 15/2164 [Bericht] o.D.). Beide Fassungen unterscheiden sich gerade in der Frage, ob die Beschaffungskosten für Grundstücke zu berücksichtigen seien. Die Annahme, die in NLT 2005 erarbeiteten Kriterien stellten eine „praxisgerechte“ Umsetzung der Norm dar, verbietet sich bereits chronologisch. Als die Arbeitsgruppe „Naturschutz und Windenergie“ beim Niedersächsischen Landkreistag ihre Arbeit aufnahm, gab es keine Praxis in der Festsetzung der Höhe der Ersatzzahlung. Sie konnte es auch nicht geben, weil die Pflicht zur Zahlung einer derartigen Zahlung erstmals mit § 12b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 NNatG 2004 geschaffen wurde. Das Ge-

82

VG Stade, Urteil vom 18.6.2009 - 2 A 1277/08 – juris. VG Stade, Urteil vom 18.6.2009 - 2 A 1277/08 – juris Rn. 65. 84 VG Stade, Urteil vom 18.6.2009 - 2 A 1277/08 – juris Rn. 67. 85 Vgl. dazu mündlicher Bericht in der Sitzung des Niedersächsischen Landtags am 18.2.2004 (s. Stenografischer Bericht, 26. Sitzung, S. 2718 f.). 83

- 43 richt suggeriert mit seiner Begründung eine Situation, die es nicht gab. Das NLT 2005Papier ist kein „geronnener Sachverstand“. Die maßgebliche Rechtsfrage ist indes nicht, ob die Berechnungsmethode des NTL-Papiers 2005 mit § 12b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 NNatG 2004 kompatibel ist, sondern allenfalls, ob die Berechnungsmethode des NTL-Papiers die einzig mögliche Interpretation des § 12b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 NNatG 2004 ist. Das nimmt das VG Stade selbst nicht an. Sonst wäre es kaum verständlich, dass es sich in der Anwendungsprüfung auf eine Erörterung beschränkt, ob der Beklagte zutreffend und „nachvollziehbar“ und „willkürfrei“ seiner Berechnung des Ersatzgeldes einen Kompensationsansatz zugrunde gelegt hat. (3) Gewiss ist der argumentatorische Aufwand, den das VG Stade in seinen Entscheidungsgründen niederlegt, deutlich höher als die seinerzeitige des VG Lüneburg. Im Kern hat auch dieses Verwaltungsgericht vor einer eigenen subsumtiven Anwendung des § 12b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 NNatG 2004 kapituliert. Es hat sich auf eine Plausibilitätskontrolle des behördlichen Entscheidungsergebnisses beschränkt. Auch das VG Stade bestätigt daher als „Zeuge“ in eigener Sache die fehlende Bestimmtheit der von ihm anzuwendenden Norm eindrucksvoll. Da das Gericht ein Mindestmaß an gerichtlicher Kontrolle gleichwohl gewährleisten will, weicht es auf die Prüfungsebene der Nachvollziehbarkeit aus, ohne hierfür hinreichende Gründe anzugeben. Die von ihm zudem angegebenen Hinweise auf eine „willkürfreie“ Entscheidung sind mehr als irreführend. Dass sich das Gericht in derartige kritische Bereiche geradezu verirrt, zeigt fast mehr als eine dogmatische Analyse, in welchem Dilemma sich das VG Stade eigentlich sah. Es versucht der Frage der Bestimmtheit des § 12b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 NNatG 2004 dadurch zu begegnen, dass es das Prüfungsprofil faktisch auf eine Willkürkontrolle absenkte.86 5. OVG Lüneburg – Urteil vom 16.12.2009 5.1 Lösungsansatz des OVG Lüneburg – Urteil vom 16.12.2009 (1) Die bislang einzige Entscheidung des OVG Lüneburg zu § 12b Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 NNatG 2004 ist das Berufungsurteil vom 16.12.2009 zum vorerwähnten Verfahren des VG Lüneburg (2007).87 Soweit ersichtlich wurden im seinerzeitigen Berufungsverfahren Beweisanträge nicht gestellt. Nach Ansicht des OVG Lüneburg verletzt die Festsetzung der Ersatzzahlung auf 136.763 € die Klägerin nicht in ihren Rechten. Das Berufungsurteil wurde rechtskräftig. Die nachfolgenden Bemerkungen beziehen sich nicht auf die Frage der Verfassungsgemäßheit des § 12b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 NNatG 2004, sondern im vorliegenden Zusammenhang allein darauf, ob und wie das OVG Lüneburg die Höhe der festgesetzten Ersatzzahlung für nicht kompensierbare Eingriffe in das Landschaftsbild gleichsam einfachrechtlich geprüft und als rechtens angesehen hat. (2) Das OVG Lüneburg führt aus: Nach dem bloßen Wortlaut des § 12b Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 NNatG 2004 bestünden keine Anhaltspunkte dafür, wie ein nach Dauer und Schwere bewerteter Eingriff in eine Ersatzzahlung "umzurechnen" sei.88 Das Gericht meint 86

Das Berufungsverfahren 4 LC 244/09 wurde durch Vergleich beendet. Die Vergleichssumme betrug 352.073,68 €. Das entsprach dem gerichtlichen Vergleichsvorschlag. Die Forderung des beklagten Landkreises hatte 734.851 € betragen. 87 OVG Lüneburg vom 16.12.2009 - 4 LC 730/07 – NdsVBl 2010, 158 = NuR 2010, 133 = BauR 2010, 758 = BRS 74 Nr. 229 (2009). 88 Dort Rn. 58.

- 44 dazu interpretatorisch, dass mit zunehmender Perpetuierung und Erheblichkeit des Eingriffs auch die Höhe der Ersatzzahlung steigen müsse. Damit beschreibt das Gericht zunächst einmal abstrakt eine Abhängigkeit verschiedener Merkmale, die § 12b Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 NNatG 2004 für relevant erklärt. Der Gesetzgeber habe die Naturschutzbehörde zur Orientierung auf eine Obergrenze in Höhe von 7 % der Investitionskosten verwiesen. Das OVG Lüneburg erläutert diese Obergrenze dahin, dass diese „einem ungefähren Erfahrungswert der Kosten von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen“ entspreche. Diese Obergrenze setzt das Gericht alsdann interpretatorisch mit der höchsten Eingriffsintensität gleich. Damit ist nach Auffassung des Gerichtes ein Bemessungsrahmen von 0 % bis 7 % der Investitionskosten nach Maßgabe von Dauer und Schwere des Eingriffs eröffnet (Rn. 60, 62). Die nachfolgenden Bemerkungen beziehen sich zunächst nicht auf die naheliegende Frage, mit welcher Methodik dieser so durch Auslegung geschaffene Bemessungsrahmen in einer Weise konkretisiert werden kann, dass daraus nunmehr eine Betragszahl ableitbar wird. Vielmehr soll an dieser Stelle zunächst nur gefragt werden, ob die vom OVG Lüneburg vorgeschlagene Auslegung in ihren Prämissen zutrifft und damit interpretatorisch belastbar ist. Die nachfolgenden Bemerkungen sollen aufzeigen, dass dies zu verneinen ist. Auch das OVG Lüneburg kann dem § 12b Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 NNatG 2004 kein „solides“ Berechnungsverfahren entnehmen. Mehr soll an dieser Stelle nicht aufgewiesen werden. 5.2 Analyse der Interpretationsarbeit des OVG Lüneburg – Urteil vom 16.12.2009 Für die funktionale Deutung der normierten 7%-Prozentgrenze stehen grundsätzlich zwei Sichtweisen zur Verfügung. Dieser unterschiedliche Zugriff wird durch die Wortwahl „Obergrenze“ verschleiert.

5.2.1 Zwei Deutungsmuster des § 12b Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 NNatG 2004 Eine textnahe Sichtweise versteht die Anordnung des § 12b Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 NNatG 2004 als limitierende „Deckelung“ (Kappung), berechnet auf der Grundlage der konkreten Investitionskosten. Gedanklich bedeutet dies, dass der Gesetzgeber es als möglich ansieht, dass die Kriterien „Schwere“ und „Dauer“ des Eingriffs auch zu einer die Kappungsgrenze übersteigenden Betragshöhe führen könnten. Das müssten dann etwa „Eingriffe mit besonders schwerwiegenden Folgen“ sein, wie es in den Antwort der Landesregierung vom 8.7.2009 (LTags-Drucks. 16/1416) heißt. Ein anderes Verständnis vertritt das OVG Lüneburg. Das Gericht versteht die Obergrenze des § 12b Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 NNatG 2004 als inhaltlichen Rahmen (Rn. 59) der zu betrachtenden Eingriffsintensität. Diese Auffassung liegt auch den „Arbeitspapieren“ NLT 2005, 2007 und 2011 zugrunde. Die unterschiedlichen Sichtweisen haben prinzipielle Bedeutung. Sie nehmen interpretatorischen Einfluss auf die Frage, wie die Berechnung des Ersatzgeldes nach Maßgabe des vorgegeben Gesetzestextes strukturell zu erfolgen hat. Daher soll dies hier behandelt werden. Die Zielsetzung des OVG Lüneburg ist verständlich. Das Gericht versucht, das gesetzliche Kriterium der Schwere und Dauer des Eingriffs in einem Berechnungsmodell abzubilden. Das Ziel zu erreichen misslingt, wie nunmehr aufzuweisen ist. Das Gericht scheitert letztlich an einem konstruktiven Mangel des Gesetzes. Das ist kein Vorhalt gegenüber dem Gericht. Hier soll nur aufgewiesen werden, dass auch das interpretatorische Bemühen des OVG Lüneburg an der legislatorischen Fehlkonstruktion nichts ändern kann.

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5.2.2 Entstehungsgeschichtliche und grammatikalische Vorgaben (1) Entgegen der dezidierten Bekräftigung des OVG Lüneburg entspricht sein Interpretationsansatz jedenfalls nicht dem historischen Willen des Landesgesetzgebers. Dieser hat die 7%-Prozentgrenze als „Deckelungsgrenze“ (Kappungsgrenze) angesehen und normiert. Das zeigt zunächst die seinerzeitige Begründung des Gesetzesentwurfes der Fraktionen der CDU und der FDP (LTags-Drucks. 15/395 vom 3.9.2003). Die gewählte Obergrenze von 7% der Investitionssumme entspreche „einem ungefähren Erfahrungswert der Kosten von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen“, heißt es dort.89 Da bis zum Inkrafttreten des § 12b Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 NNatG 2004 keine eigenen Erfahrungswerte in Niedersachsen gesammelt sein konnten, kann es sich nur um andere, mithin „fremde“ handeln. Die Begründung der nahezu zeitgleich verabschiedeten Entschließung des Landtages gesteht dies auch zu.90 Der Entschließungsantrag wurde von Fraktionen der CDU und der FDP eingebracht (LTags-Drucks. 15/793). In ihm wird darauf verwiesen, dass der Wert von 7 % auf Erkenntnissen im Fernstraßenbau infolge der Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ basiere.91 Das trifft zu. Anhand der Akten des nds. Ministeriums für Umweltwelt lässt sich dazu folgendes festhalten: In einem Vermerk des Referates 28 vom 9. Juli 2003 (Aktz. 2822450/1/1) wird die Frage der Ersatzgeldzahlung bei naturschutzrechtlichen Eingriffen erörtert. Der Vermerk bezieht sich auf eine Ministervorlage, die der Novellierungsarbeit 2003 dienen soll. In ihm heißt es u.a.: „Das Landesamt teilt auf Anfrage mit, dass es keine belastbaren Zahlen über die Gesamtaufwendungen für Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen gibt. Dies wird erst zum Teil möglich sein, wenn das im Aufbau befindlichen Flächenkataster für Kompensationsmaßnahmen vollständig eingeführt und entsprechend mit Daten gefüllt ist. Eine frühere Kostenerhebung des BMVBW hat bei Bundesfernstraßen einen durchschnittlichen Kostenanteil der Maßnahmen im Verhältnis zu den gesamten Baukosten von 3,5 % ergeben. Eine Nachfrage bei den Bezirksregierungen Lüneburg und Weser-Ems als Planfeststellungsbehörden ergibt, dass diese Behörden über keine Statistiken hinsichtlich der Kompensationsmaßnahmen beim Gewässerschutz (insbes. Küstenschutz / Deichschutz) verfügen.“

In einem weiteren Vermerk vom 10. Juli 2003 heißt es dazu ergänzend: Die Kosten für Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen machen bei den Verkehrsprojekten Deutsche Einheit bezogen auf Gesamtinvestitionssumme 5 bis 7 Prozent aus (Angaben von H. Hassmann, Nieders. Straßenamt für Straßenbau, bei Seminar der Vereinigung der Straßenbau- und Verkehrs-

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Die Textstelle lautet vollständig: „Hier soll eine Kompensationszahlung gefordert werden, um den Vorhabenträger nicht besser als andere zu stellen. Als Maßstab für deren Höhe dient die Dauer und Schwere des Eingriffs. Da diese Merkmale im Einzelfall nicht immer ohne weiteres festgestellt und in einen Geldbetrag umgewandelt werden können, ist als Obergrenze ein Wert von 7 % der Investitionssumme festgelegt. Dies entspricht einem ungefähren Erfahrungswert der Kosten von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen. Durch Herausnahme von Beschaffungskosten für Grundstücke soll verhindert werden, dass die Kompensationszahlung je nach Zeitpunkt des Grundstückserwerbs höher oder geringer ausfällt. Zudem werden die Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft nicht durch das Grundstück selbst, sondern durch das auf dem Grundstück zu verwirklichende Vorhaben bewirkt. Insofern ist es auch angemessen, die Kosten für das Grundstück nicht zu berücksichtigen.“ 90 Der Vergleich zum Straßenbau der Projekte der „Deutschen Einheit“ ist bereits für sich genommen dubios. Er lässt in keiner Hinsicht erkennen, auf welcher Investitionsgrundlage überhaupt gerechnet wurde. 91 Mutmaßlich bezieht sich die Entschließungsbegründung auf folgende Dokumentation: DEGES, Schriftliche Mitteilungen über Preisspannen und Mittelpreise zu trassenfernen Kompensations- und trassennahen Gestaltungsmaßnahmen im Zuge mehrerer Autobahnneubau- und Autobahnausbauvorhaben, 2002; DEGES, Schriftliche Mitteilungen über Kosten für Kompensationsmaßnahmen im Zuge mehrerer Infrastrukturvorhaben, 2002. Dem Gutachter stehen diese Berichte nicht zur Verfügung.

- 46 ingenieure e. V. „Umweltverträglichkeitsprüfung im Straßenbau“ am 18.02.1998, unveröffentlicht).

Auf diesem gewiss schwankenden und unsicheren empirischen Boden beruht letztlich die Gesetz gewordene Regelung. Niemand hat sich im exekutivischen und parlamentarischen Verfahren erkennbar die Mühe gemacht, die Frage der Vergleichbarkeit der Datenmenge ernsthaft aufzuwerfen. (2) Noch viel deutlicher ist der (schriftliche) Bericht des federführenden Umweltausschusses des Nds. Landtages, der zugleich über die Diskussionslage aus der durchgeführten Anhörung berichtet (Text wiedergegeben oben S. ??).92 Die Problemebene wird von Anfang an in einer „Deckelung der Ersatzgeldzahlungen auf 7 % der Investitionskosten“ gesehen. Dann heißt es ferner recht deutlich: „Die Ausschüsse waren in ihrer großen Mehrheit vielmehr der Meinung, dass an der 7 %-Deckelung zunächst festgehalten werden sollte“. Man will also den Erfahrungssätzen der Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ folgen. Dann fügt der Bericht noch hinzu: „Eine Deckelung dieses Betrages durch den Anteil der Investitionskosten, der bei einem Vorhaben erfahrungsgemäß auf Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen verwandt werden muss, ist sachgerecht. Die 7 %-Grenze erscheint zunächst einmal als ein für die praktische Arbeit tauglicher Wert.“ Nimmt man die Äußerungen der Entwurfsbegründung und des Ausschussberichtes zusammen, so ist die historische Sichtweise hinsichtlich der Ableitung des 7%-Satzes und der Funktion eindeutig und insoweit in sich stimmig. Man kann auch die entwicklungsgeschichtliche Gegenprobe machen: Es gibt keinerlei Hinweise dafür gibt, dass irgendeiner der am Gesetzgebungsprozess des Beteiligten zu § 12b NNatG 2004 von einer Rahmenregelung ausgegangen ist. In der Aussprache im Plenum des Landtages betont der Abg. Axel Miesner (CDU) für die Regierungskoalition nochmals: „Wir sind davon überzeugt, dass die 7 %-Regelung, die auf Erkenntnissen im Fernstraßenbau „Deutsche Einheit“ basiert, auch auf diesem Gebiet zu pragmatischen Ergebnissen führen wird. Wir möchten jedoch auch Erfahrungen mit anderen Bauprojekten sammeln und plädieren daher für die Überprüfung nach fünf Jahren.“ Auch die Berichterstatterin des Umweltausschusses, die Abg. Sigrid Rakow (SPD), spricht in der Landtagssitzung vom 18. Februar 2004 ausdrücklich von einer „Deckelung auf 7 %“ und äußert dazu verfassungsrechtliche Bedenken.93 Auch zu § 6 Abs. 1 NAGBNatSchG 2010 sind insoweit neue Erwägungen nicht angestellt worden. (3) Der Prozentsatz selbst wird als „Erfahrungswert der Kosten von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen“ verstanden. Diese historische Sicht findet im Gesetzeswortlaut auch ihren Niederschlag, in dem die Ersatzzahlung „höchstens“ 7% der Bemessungsgrundlage betragen darf. Beiläufig sei bemerkt: Es war und ist ein kühnes Unterfangen, die gegenständlich allein aus straßenrechtlichen Eingriffslagen rechnerisch abgeleitete Obergrenze verallgemeinernd auf alle Fälle des naturschutzrechtlichen Eingriffs zu übertragen. Allen Beteiligten dürfte bewusst gewesen sein, dass es bei der Umsetzung in § 12b NNatG 2004 vorran92

Die Verfahrensweise des nds. Landesgesetzgebers darf als ungewöhnlich bezeichnet werden. Die Beschlussempfehlung des zuständigen Umweltausschusses datiert vom 11.2.2004 Bericht (LTags-Drucks. 15/804). Die Berichterstatterin, die Abg. Sigrid Rakow (SPD), erstattet in der Sitzung des Niedersächsischen Landtags am 18.2.2004 einen „mündlichen“ Bericht (26. Sitzung, Sten. Ber. S. 2718 f.). In derselben Sitzung ergeht der Gesetzesbeschluss. Der schriftlichen Bericht wird erst am 7.9.2005 „nachgereicht“ (LTagsDrucks. 15/2164). Die Berichterstatterin gibt ihre „Erklärung“ indes nur „zu Protokoll“. Man hatte sich im Ausschuss zuvor beim Gesetzgebungs- und Beratungsdienst (GBD) ohnedies um Formulierungshilfe für die Gesetzesänderung versichert und diese auch erhalten. 93 26. Sitzung vom 18.2.2004, Sten. Ber. S. 2721.

- 47 gig oder fast ausschließlich um die Eingriffslage bei Windenergieanlagen gehen würde.94 Die vom Landesgesetzgeber in seiner Begründung vorgenommene Gleichsetzung der Eingriffs- und Kompensationslage von Straßenbau und Windenergieanlagen scheitert an einem Mindestmaß an tatsächlicher und rechtlicher Vergleichbarkeit der zu beurteilenden Eingriffslagen. Autobahnneubauvorhaben und Autobahnausbauvorhaben erforderten und erfordern in unterschiedlicher Weise trassenferne Kompensations- und trassennahe Gestaltungsmaßnahmen. Die dadurch ausgelösten Kosten lassen sich in der Tat zwar jeweils als Teil der Gesamtkosten des Vorhabens verstehen und errechnen. Die Rechtsgrundlagen für derartige Ersatzmaßnahmen bestimmen sich nach dem jeweiligen Landesnaturschutzrecht.95 Das gilt auch für Enteignungsmaßnahmen.96 Diese Berechnungsweise spiegelt aber in keiner Weise die Dauer und die Intensität des jeweiligen Eingriffs „vor Ort“ wieder. Ein innerer Zusammenhang der Kosten der Ersatzmaßnahmen im Autobahnbau mit den jeweiligen Investitionskosten des Vorhabens (etwa je Bau-km) ist ohnedies nicht gegeben. Derartige Berechnungen dienen nur dazu, kennzahlengestützte Kostenschätzungen zu ermöglichen. Das bedingt eine gewisse Typik. Das alles fehlt bei Windenergieanlagen oder Hochspannungsleitungen. Es gibt dort keinen flächenbezogenen „Landschaftsverbrauch“. Es spricht auch für sich, dass der Gesetzgeber am 18. Februar 2004 zugleich mit dem Gesetzesbeschluss eine „Überprüfungsentschließung“ fasste. Man war sich also seiner empirischen Fundierung nicht einmal prognostisch sicher. (4) Die 7-%-Regelung ist ohnedies nicht einmal hinsichtlich der Verkehrsprojekte Deutscher Einheit (DEGS) hinreichend rational ableitbar. Es lagen außer zum Fernstraßenbau keine belastbaren Erkenntnisse vor. Es handelt sich ausschließlich um eine rechnerisch abgeleitete Zahl. Beim Straßenbau gehen Bund und Land davon aus, dass alle Eingriffe in den Naturhaushalt und in das Landschaftsbild durch Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen voll kompensierbar sind. Es gibt mithin bei Straßenbauvorhaben grundsätzlich überhaupt keine Ersatzzahlungen. Die Kompensationsmaßnahmen für das Landschaftsbild sind im Straßenbau von völlig untergeordneter Bedeutung im Vergleich zur Beeinträchtigung des Naturhaushalts. Beeinträchtigung des Naturhaushalts bedeutet Störung der Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushaltes (vgl. § 14 Abs. 1 BNatSchG 2009). Bei Windenergieanlagen ist dies in der Tendenz gerade umgekehrt. Auch insoweit fehlt es strukturell an einer Verallgemeinerungsfähigkeit. 5.2.3 Das Modell der „gleitenden“ Berechnung des OVG Lüneburg – 16.12.2009 5.2.3.1 Ausgangsthese: Von der Kappungsgrenze zum „Höchstwert“ Es ist von weiterführendem Interesse, wie das OVG Lüneburg auf der Grundlage seiner Vorstellung der Parallelität von Eingriffsintensität und Kostenberechnung eine gerichtliche Kontrolle des angegriffenen Festsetzungsbescheides ermöglichen will. Die gegebene Begründung erweist sich als zwiespältig. 94

Das macht es auch verständlich, dass der NLT als erstes (2005) die Arbeitsgruppe „Naturschutz und Windenergie“ einsetzte. 95 Vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 23.2.2005 - 4 A 4.04 - BVerwGE 123, 37 Rn. 51 = DVBl 2005, 914 = NVwZ 2005, 803 (§ 9 Abs. 3 SächsNatSchG); BVerwG, Urteil vom 1.9.1997 - 4 A 36.96 - BVerwGE 105, 178 = DVBl 1998, 44 = NVwZ 1998, 504 (zu § 7 Abs. 2 NatSchVorlG TH). 96 Vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 23.2.2005 - 4 A 1.04 DVBl 2005, 913 = NVwZ 2005, 810 Rn. 58 (§ 9 Abs. 3 SächsNatSchG); BVerwG, Urteil vom 23.8.1996 - 4 A 29.95 - DVBl 1997, 68 = NVwZ 1997, 486 (zu (§ 14 BbgNatSchG); BVerwG, Urteil vom 28.1.1999 - 4 A 18.98 - NVwZ-RR 1999, 629 (zu § 1 Abs. 3 NatSchG MV 1); BVerwG, Urteil vom 1.9.1997 - 4 A 36.96 - BVerwGE 105, 178 = DVBl 1998, 44 = NVwZ 1998, 504 (zu § 7 Abs. 2 NatSchVorlG TH).

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In einer Kernaussage führt das Gericht aus (Rn. 63), dass „die vom Beklagten unter Anwendung der NLT Hinweise 2005 gewählte Methode der Gewichtung von der gesetzlich bestimmten Obergrenze von 7 % der Investitionskosten ausgeht und im konkreten Anwendungsfall abhängig von der Wertigkeit des beeinträchtigten Landschaftsbildes, der vorhandenen Vorbelastungen und der Fernwirkungen der Beeinträchtigung eine Reduzierung dieses Wertes vornimmt“, keinen Bedenken begegne. Dem liegt der Gedanke zugrunde, den in § 12b Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 NNatG 2004 enthaltenen „Höchstwert“ nicht als Kappungsgrenze, sondern als den Fall intensivster naturschutzrechtlicher Beeinträchtigung zu verstehen. Auf dieser interpretatorischen Grundlage ist dann nach seiner Ansicht eine lineare Betrachtung im Sinne einer Intensitätskurve des Eingriffs nachzuzeichnen. Das OVG Lüneburg lässt dann gleichwohl offen, ob der vom Gesetzgeber vorgegebene Bewertungsrahmen durch die NLT Hinweise 2005 bzw. 2007 zutreffend ausgefüllt wird. Das Gericht begründet dies mit der Erwägung, die beklagte Behörde habe den vom Gesetzgeber festgelegten Bewertungsrahmen anhand der im hier zu beurteilenden konkreten Einzelfall nachgewiesenen Wertigkeit des beeinträchtigten Landschaftsbildes und der Intensität der Beeinträchtigungen durch die genehmigten Windkraftanlagen in einer Weise „ausgefüllt“, die den Vorhabenträger zumindest nicht in seinen Rechten verletze.

5.2.3.2 Logische Friktionen in der hermeneutischen Ableitung (1) Dem statuierten Höchstsatz von 7% der Investitionskosten liegen – wie dargelegt – so genannte „Erfahrungswerte“ zugrunde. Gemeint ist damit eine Durchschnittsbetrachtung, also ein Mittelwert. Als Bezugsgröße werden in den Ausschussberatungen die Investitionskosten angegeben.97 Der Gesetzgeber übernimmt diese Sicht. Der Umfang der Investitionskosten wird alsdann gesetzgeberisch fixiert. Inhaltlich variiert die Bezugsgröße zwischen der Fassung des Gesetzesentwurfes und der Ausschusslösung. Das macht es nicht überzeugender, dass man von einem „Erfahrungswert“ ausgegangen sei. Auch die Antwort der Landesregierung vom 8.7.2009 (LTags-Drucks. 16/1416) klärt dies nicht näher auf. Danach entspreche die 2004 festgelegte Obergrenze „den im Bundesfernstraßenbau ermittelten Kosten für Kompensation und wurde vom Gesetzgeber aus diesem Grunde als Obergrenze gewählt.“ Auch das OVG Lüneburg selbst spricht an anderer Stelle zutreffend von „durchschnittlichen Kosten von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen“. Dies darf man so verstehen, dass es einen Erfahrungssatz gibt, welche Kosten eine Mehrzahl von Vorhabenträgern aufwenden muss, wenn sie Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen durchführen müssen. Nur dann gibt es Sinn, von einem „Erfahrungswert“ zu sprechen. Über diesen Erfahrungswert hinaus soll eine Belastung nicht eintreten. Der Ausschussbericht bezeichnet diese Funktion zutreffend als „Deckelung“. Damit wird bestätigt, dass der Erfahrungswert als „Mittelwert“ verstanden werden soll. Es handelt sich also um einen variablen Wert, der aus den tatsächlich aufgebrachten Kosten von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen abgeleitet wird. Das ist genau die Vorstellung des Landtages, wenn er in einer Entschließung eine Überprüfung der Deckelung nach Ablauf von fünf Jahren für erforderlich ansieht. Denn dann – so darf man ergänzen –, kann man aus der Umsetzung des NNatG 2004 inzwischen „eigene“ Erfahrungswerte ableiten. 97

Wie wenig die politischen Gremien allerdings die Sachlage durchschauen, zeigt sich darin, dass der Satz von 7% unverändert bleibt, obwohl sich Entwurf und Ausschussbericht im Umfang der Investitionskosten unterscheiden. Das wäre nur dann unerheblich, wenn die Beschaffungskosten für Grundstücke unbedeutend wären. Dass gerade dies nicht der Fall ist, zeigt die politische Auseinandersetzung im Nds. Landtag.

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(2) Eine Mittelwertannahme und die darauf bezogene begrenzende Deckelungsfunktion schließen sich denkgesetzlich aus. Eine Mittelwertannahme erlaubt in concreto keine lineare Rückrechnung. Die Summanden, die zu einem Mittelwert geführt haben, bleiben unbekannt. Die Ermittlung der Durchschnittskosten erfolgte in der Regel über das arithmetische Mittel aus den Einzelkosten zahlreicher Vorhaben. In der Logik des Mittelwertes – sowohl eines arithmetischen oder ggf. eines gewichteten – liegt es, dass es Werte gibt, die oberhalb des errechneten Durchschnittswertes liegen. Bereits damit ist das Verständnis des OVG Lüneburg überaus kritisch, man könne aus dem Erfahrungswert einer Kappungsgrenze eine lineare, das heißt gleichmäßige Stufung der Einzelwerte vornehmen und dies mit der (mutmaßlichen) Eingriffstiefe korrelieren. Das Gericht weist in seiner Begründung nicht auf, wie ihm dies unter der von ihm selbst gebilligten Prämisse eines durchschnittlichen Erfahrungswertes möglich ist. Das ist auch nicht möglich: Aus einem gegebenen arithmetischen Mittel lässt sich nun einmal keine ordinale Verteilung zurückrechnen. Verständlich wird dieser Irrtum, wenn man sich das Bemühen des Gerichtes vor Augen hält, der gesetzgeberischen Regelung des § 12b Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 NNatG 2004 ein irgendwie anwendungsfähiges Berechnungsmodell zu entnehmen. Um dieses zu erreichen, akzeptiert das OVG Lüneburg nicht nur eine bedenkliche logische Unschärfe, sondern übergeht zudem den unzweifelhaften historischen Begründungszusammenhang. Die von ihm angenommene lineare Deutung des § 12b Abs. 1 Satz 3 NNatG 2004 missachtet vor allem die klar ausgesprochene Deckelungsfunktion. Mit der Deckelung unterstellt der Gesetzgeber gerade, dass es eine höhere Kostenbelastung gegeben hat und diese demgemäß auch nicht auszuschließen ist. Der Gesetzgeber nimmt gerade hin, dass bei durchzuführenden Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen ein Kostenvolumen (§ 12b Abs. 1 Satz 2 NNatG 2004) bestehen kann, das den Erfahrungswert von 7% der Investitionskosten übersteigt. Will man überhaupt einen Zusammenhang von Investitionskosten und Eingriffsintensität herstellen – was fragwürdig genug ist –, dann setzt § 12b Abs. 1 Satz 3 NNatG 2004 eine Eingriffsintensität voraus, die auch oberhalb von 7 % liegen kann. Damit ist die vom OVG Lüneburg zugrunde gelegte Auslegung des § 12b Abs. 1 Satz 3 NNatG 2004 jedenfalls nicht durch die Entstehungsgeschichte legitimierbar. Sein Versuch, eine erste interpretatorische Präzisierung der „Obergrenzen“ durch Parallelität von Kostenlimitierung und Eingriffsintensität zu gewinnen, muss als gescheitert angesehen werden. Nochmals: Der Versuch ist ehrenwert, aber er kann wegen konstruktiver Mängel der gesetzgeberischen Lösung interpretatorisch nicht gelingen. Durch Auslegung lassen sich die immanenten und grundlegenden Mängel des § 12b Abs. 1 Satz 3 NNatG 2004 nicht beseitigen. Es gibt keinen interpretatorisch aufzuhellenden Zusammenhang zwischen kostensparender Kappung und Intensität der Eingriffslage.

5.2.3.3 Inhaltliche Bedenken gegen den Interpretationsansatz des OVG Lüneburg Es gibt auch innere Gründe, aus denen sich die vom OVG Lüneburg favorisierte Lösung verbietet. Diese liegen zum einen in den entstehungsgeschichtlich belegbaren Zielsetzungen der Regelung. Zum anderen aber in dem auch vom Landesgesetzgeber zu beachtenden Grundsatz der Gleichbehandlung. (1) Der Gesetzgeber hat ein Berechnungsmodell wählen wollen, das denkbare Vorteile des Vorhabenträgers, den dieser dadurch haben kann, dass er nicht mit berechnungsfähigen Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen belastet ist, durch die Ersatzzahlung gleichsam ab-

- 50 schöpft. Das ist die Belastungsstruktur des Vorhabenträgers. Darin schwingt auch der Gesichtspunkt der ökonomischen Gleichbehandlung mit. Der Bundesgesetzgeber bringt dies deutlich mit dem Kriterium des „Vorteils“, der zu berücksichtigen sei, zum Ausdruck (vgl. § 15 Abs. 6 Satz 3 BNatSchG 2009).98 Das meint eigentlich auch das OVG Lüneburg. An der tatsächlich eintretenden Beeinträchtigung von Natur und Landschaft ändert das System der Ersatzgeldzahlung ohnedies nichts. Die gesetzgeberische Zielsetzung kommt zunächst darin zum Ausdruck, dass der Landesgesetzgeber überhaupt Ersatzgeldzahlungen für den Fall des unvermeidbaren und nicht ausgleichsfähigen Eingriffs vorsieht. Wenn dieser „Vorteil“ allein in den ersparten Aufwendungen für Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen gesehen werden soll, dann erlaubt der ermittelte „Erfahrungswert“ von 7% der Investitionskosten keine nochmalige Abstufung nach der Intensität und Dauer des Eingriffs. Die Maßgeblichkeit dieser Kriterien ist nämlich – wie dargelegt – bereits im (durchschnittlichen) Erfahrungswert enthalten. Bereits hier sieht man, dass der Gesetzgeber sich in einen Zirkel begeben hat. Aus der Höhe der Investitionskosten sinnvolle Aussagen über Schwere und Dauer des Eingriffs abzuleiten, ist nun einmal – auch pauschalierend – verfehlt.99 Damit kann der kraft Bundesrecht bestehende naturschutzrechtliche Grundsatz der Kompensation (vgl. § 15 Abs. 2 BNatSchG 2009) nicht hinreichend gesichert werden. Der grundlegende Gesichtspunkt ist der der „Wiedergutmachung“, bezogen auf den status quo ante. Die darin liegende Einstandspflicht des Verursachers wird dadurch begrenzt, dass er nur, aber auch nicht mehr als dasjenige auszugleichen hat, was aufgrund der durch das zugelassene Projekt ausgelösten Wirkungen auszugleichen ist.100 Für den Bereich der möglichen Naturalkompensation wird der Gedanke der ökonomischen Belastung ausgeschaltet. Es liegt auf der Hand, dass ein sehr tiefgreifender Eingriff in die Funktionsfähigkeit des Naturhaushaltes möglicherweise mit sehr geringem Kostenaufwand an anderer Stelle „ersatzmäßig“ ausgeglichen werden kann. Dann besitzt der Vorhabenträger gleichsam einen „Lagevorteil“.101 Auch das Umgekehrte gilt: Ein relativ geringer Eingriff in die Funktionsfähigkeit des vorhandenen Naturhaushaltes erfordert möglicherweise einen erheblichen Kostenaufwand, um diesen Eingriff an anderer Stelle „ersatzmäßig“ im Sinne einer naturschutzrechtlichen Gesamtbilanz ausgleichen zu können. Dieser durchaus wechselseitige Zurechenzusammenhang ist dem naturschutzrechtlichen Ausgleichssystem immanent. Es gibt in der bundesrechtlichen Zielsetzung des § 15 Abs. 6 BNatSchG 2009 keinen Anhalt dafür, dass ein subsidiäres, nämlich finanzielles Ausgleichssystem diese Systemimmanenz relativieren will. Jedes Berechnungsmodell muss ergebnisbezogen leisten, dass bei annähernd gleicher Eingriffsintensität nach Dauer und Schwere des Eingriffs eine annähernd gleichhohe Ersatzzahlung begründet werden kann. Dabei sind wichtige Indikatoren der Wert des Schutzgutes, in das eingegriffen wird, einerseits und das Gewicht des Eingriffs andererseits. Das kann man sich leicht bei einem Vergleich von Onshore-WEA mit Offshore-WEA vor Augen führen.

98

Man muss an der Rationalität der niedersächsischen Gesetzgebung zweifeln. In der parlamentarischen Auseinandersetzung wird betont, dem Vorhabenträger, dem eine reale Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahme nicht möglich sei, dürfe daraus kein ökonomischer Vorteil erwachsen. Dann ist es unverständlich, wenn der Landesgesetzgeber das in § 15 Abs. 6 Satz 3 BNatSchG 2009 statuierte Kriterium des „erwachsenen“ Vorteil in § 6 NAGBNatSchG 2010 gerade „abgewählt“ hat. 99 So deutlich BVerwG, Beschluss vom 5.4.2002 - 4 B 15.02 - ZfBR 2003, 50 = BauR 2002, 1835 = BRS 65 Nr. 223 (2002). 100 Vgl. Erich Gassner, Zur Verfassungswidrigkeit naturschutzrechtlicher Ersatzzahlungen, in: DVBl 2011, 1268-1274 [1269]. 101 Vgl. dazu auch Erich Gassner, Zur Verfassungswidrigkeit naturschutzrechtlicher Ersatzzahlungen, in: DVBl 2011, 1268-1274 [1272]; Hans-Ulrich Marticke, Zur Methodik einer naturschutzrechtlichen Ausgleichsabgabe, in: NuR 1996, 387-399 [393].

- 51 Es fehlt also in § 12b Abs. 1 NNatG 2004 und damit auch in § 6 Abs. 1 NAGBNatSchG 2010 an einem interpretatorisch herstellbaren Synallagma zwischen Eingriffsintensität und Bemessungsgrundlage, wie sie der Landesgesetzgeber in der Kappungsgrenze zugrunde legt. Der Gesetzgeber hat sich schlicht vertan.102 Das interpretatorische Bemühen des OVG Lüneburg wird verständlich, wenn man es vor dem Hintergrund sieht, die innere Widersprüchlichkeit des § 12b Abs. 1 Satz 3 NNatG 2004 einerseits und die damit verbundene Unbestimmtheit eines nachvollziehbaren Berechnungsverfahrens andererseits zu verstehen.103 Das Gericht bemüht sich, die Schwelle der verfassungswidrigen Unbestimmtheit interpretatorisch zu überwinden. Das gebotene Synallagma zwischen Eingriffsintensität und Bemessungsgrundlage ist bundesrechtlich nicht nur für die vom Landesgesetzgeber normierte Kappungsgrenze geboten, sondern auch für das vom OVG Lüneburg verfolgte „Rahmenkonzept“ des § 6 Abs. 1 NAGBNatSchG 2010. Hier gilt die Forderung nach einem berechnungsfähigen Synallagma erst recht. Das OVG Lüneburg will für sein Konzept offenbar annehmen, dass das skizzierte Synallagma gewahrt bleibt. Indes gibt es zwischen der Höhe der Investitionskosten – mit welchem Inhalt auch immer – und der Intensität des naturschutzrechtlichen Eingriffs, der „fingierend“ ausglichen werden soll, keinen inhaltlichen Zusammenhang.104 Das galt auch stets für den Straßenbau. Ein Brückenbauwerk in einem Gebiet mit geringem Naturschutzwert wird beispielweise hohe Investitionskosten auslösen, während die Aufwendungen für das benötigte Ersatzland verhältnismäßig gering sind. Auch hier gilt das Umgekehrte: Die Eingriffsintensität kann beispielsweise bei einem Bodenabbau hoch sein, während die Projektkosten vergleichsweise gering sind. Das Kriterium der Investitionskosten hat zudem keinen inhaltlichen Bezug zum bundesrechtlich vorgegebenen Kriterium der Dauer des Eingriffs. Das OVG Lüneburg will offenlassen, ob die ausschließliche Ausrichtung der Höhe der Ersatzzahlung an der Höhe der Investitionskosten eine sachfremde Anknüpfung darstellt.105 Der mit § 12b Abs. 1 Satz 3 HS. 2 NNatG 2004 gesetzte Rahmen knüpfe nur vordergründig an die Investitionskosten an, letztlich aber an den durchschnittlichen Kosten von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen, „die lediglich in Relation zu den Investitionskosten abgebildet“ worden seien.106 Das kann nicht überzeugen. Das Gericht übersieht, dass die gesetzgeberisch maßgebende Relation aus der Feststellung absoluter Beträge (Kosten) gewonnen und alsdann verallgemeinert wurde. Es wird eben nicht isoliert gefragt, welches die im Straßenrecht entstehenden durchschnittlichen Kosten von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen sind. Eine derartige Feststellung ist ohne Erkenntniswert, wenn sie nicht in Korrelation zu einer anderen Größe gesetzt wird. Wählt der Gesetzgeber dazu die jeweiligen Investitionskosten, dann kommt er nicht umhin, den Nachweis zu führen, dass zwischen der Höhe dieser Kosten und der naturschutzrechtlichen Eingriffslage ein innerer Zusammenhang besteht. Gerade diesen Nachweis vermisst man in der Begründung des Gerichts. (2) Die gesetzgeberische Kappungsgrenze als solche wirft bereits Fragen der Gleichbehandlung auf. Maßstab ist die gesetzespolitische Zielsetzung, Vorteile für jene Gruppe abzuschöpfen, deren Vorhaben einen unvermeidbaren und nicht ausgleichsfähigen Eingriff darstellt. Für diese Gruppe sieht der Gesetzgeber eine Deckelung vor. Für diejenigen Vorhaben, bei denen der Eingriff durch Ausgleichs- und Ersatzmaßnahen kompensationsfähig 102

Wie hier Stephan Gatz, Windenergieanlagen in der Verwaltungs- und Gerichtspraxis, Bonn 2009, S. 138 Rn. 310. 103 Zur Unbestimmtheit vgl. Erich Gassner, Zur Verfassungswidrigkeit naturschutzrechtlicher Ersatzzahlungen, in: DVBl 2011, 1268-1274 [1273]. 104 Wie hier Stephan Gatz, Windenergieanlagen in der Verwaltungs- und Gerichtspraxis, Bonn 2009, S. 138 Rn. 310; Peter Fischer-Hüftle/Anke Schumacher, in: Peter Fischer-Hüftle/Jochen Schumacher (Hrsg.), BNatSchG, 2. Aufl. 2011, § 15 Rn. 142. 105 Rn. 62 a.E. 106 Rn. 62.

- 52 ist, besteht keine Begrenzung der vom Vorhabenträger zu erbringenden Aufwendungen. Maßgebend ist allein, ob der Eingriff ausgeglichen wird (vgl. § 19 Abs. 2 S. 2 BNatSchG 2002, § 15 Abs. 2 S. 2 BNatSchG 2009). Dass diese Aufwendungen oberhalb der Kappungsgrenze von 7% liegen können, zeigt gerade – wie erörtert – der vom Landesgesetzgeber zugrunde gelegte Durchschnittswert. Das bedeutet: In der betriebswirtschaftlichen Berechnung kann es durchaus sein, dass die Kosten für die durchzuführenden Ausgleichsund Ersatzmaßnahmen einen Satz von 7 % übersteigen. Das wird nahezu regelhaft dann der Fall sein, wenn das Vorhaben mit geringen Investitionskosten, aber vergleichsweise höherer Eingriffsintensität verbunden ist. Beide Gruppen werden also ungleich behandelt. Art. 3 Abs. 1 GG verbietet einerseits, Sachverhalte ungleich zu behandeln, wenn sich die Differenzierung sachbereichsbezogen nicht auf einen vernünftigen oder sonst einleuchtenden Grund zurückführen lässt107, und andererseits, Art und Ausmaß tatsächlicher Unterschiede sachwidrig außer Acht zu lassen.108 Die gesetzliche Differenzierung muss sachbereichsbezogen sein. Das ist nicht erkennbar. Die naturschutzrechtliche Eingriffslage ist für beide Gruppen – wie bereits erörtert – strukturell identisch. Es ist kein Grund dafür erkennbar, weshalb nicht für beide Gruppen eine Kappungsgrenze statuiert wurde. Das soll hier weiter nicht vertieft werden. Hervorzuheben ist etwas anderes: Die bestehende Ungleichbehandlung wirkt sich bei dem vom OVG Lüneburg entwickelten „linearen“ Modell der Eingriffsintensität verstärkend aus. Denn nun wird noch deutlicher, dass der Zusammenhang zwischen der Höhe des Ersatzgeldes und der Intensität des Eingriffs kaum noch herzustellen ist. Ein „nach Dauer und Schwere“ eher als gering anzunehmender Eingriff in Natur und Landschaft kann im Falle möglicher Realkompensation gleichwohl erhebliche kostenintensive Maßnahmen erfordern.109 Sind Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen möglich, sieht das Gesetz für den Vorhabenträger keine Abgabengrenze vor. Sind derartige Maßnahmen nicht möglich, wird die ökonomische Belastung auf 7% der Investitionskosten limitiert. Das gesetzgeberische Ziel der Vermeidung von Vorteilen der letztgenannten Gruppe gegenüber der erstgenannten wird also gerade nicht erreicht. Mit anderen Worten: Der Landesgesetzgeber führt das zugrunde gelegte Verursacherprinzip (vgl. § 15 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG 2009) nicht folgerichtig durch.110 Dieses Prinzip begründet gerade den Zusammenhang zwischen eingriffsbedingter Beeinträchtigung von Natur und Landschaft und zugeordneter Kompensation. Insoweit ist das Prinzip sowohl haftungsbegründend als auch in der Belastung limitierend. Ohne Frage gehört das naturschutzrechtliche Verursacherprinzip zu den „allgemeinen Grundätzen“ im Sinne des Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GG (vgl. auch Art. 191 Abs. 2 UAbs. 2 AEUV). Es steht damit nicht zur Disposition des Landesgesetzgebers. Systemwidriges Vorgehen des Gesetzgebers ist, für sich genommen, noch nicht verfassungswidrig, erlangt dann jedoch verfassungsrechtliche Relevanz, wenn die einfachgesetzliche Regelung sich in ihren prägenden Elementen als Ausdruck verfassungsrechtlicher Grundsätze darstellt. Dies kann bei der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung der Fall sein. Verantwortung des Verursachers, Grundsätze des Bestandsschutzes und der Ressour107

Vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 31.1.1996 - 2 BvL 39/93 - BVerfGE 93, 386 [397] = DVBl 1996,

503. 108

Vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 3.4.2001 - 1 BvR 1629/94 - BVerfGE 103, 242 [258] = DVBl 2001,

902. 109

Wie hier Stephan Gatz, Windenergieanlagen in der Verwaltungs- und Gerichtspraxis, Bonn 2009, S. 138 Rn. 310. 110 Vgl. zu diesem Grundsatz BVerwG, Urteil vom 20.1.1989 – 4 C 15.87 – BVerwGE 81, 220 = DVBl 1989, 658 (Naturschutzrechtliche Ausgleichsabgabe in Baden-Württemberg); vgl. auch BVerwG, Urteil vom 4.7.1986 - 4 C 50.83 - BVerwGE 74, 308 = DVBl 1986, 1009 (Zulässigkeit einer naturschutzrechtlichen Ausgleichsabgabe in Baden-Württemberg).

- 53 censchonung fordern Vermeidung von nachteiligen Einwirkungen und im Fall unvermeidbarer Beeinträchtigungen deren Kompensation.111 Die Gleichbehandlung erfordert als Maßstab innere Systemgerechtigkeit und Belastungsgleichheit. Ob also § 6 Abs. 1 NAGBNatSchG 2010 sich systemgerecht in die grundsätzlichen Strukturen des Naturschutzrechts einfügt, ist angesichts der normprägenden Vorgaben des Art. 20a GG auch verfassungsrechtlich relevant. Auch wenn also eine systemwidrige Durchbrechung der geltenden Eingriffsregelung noch nicht per se das Verdikt des Verfassungsverstoßes begründet, indiziert sie doch einen relevanten normativen Rückschritt. 5.3 Fehlende Anwendungssicherheit des „Linearkonzeptes“ des OVG Lüneburg – 16.12.2009 (1) Das OVG Lüneburg gibt in seinem Urteil vom 16. Dezember 2009 selbst keinen eigenen Maßstab an, an dem es die Richtigkeit der im Streitfall festgesetzten Ersatzgeldhöhe misst. Dann müsste das Gericht nämlich in der Lage sein, den entsprechenden Betrag auch ohne eine von der beklagten Behörde gegebene Begründung festzulegen. Das ist dem Gericht ersichtlich nicht möglich. Das Gericht verfährt – wenngleich mit einem deutlich höheren interpretatorischen Aufwand – strukturell ebenso wie die Vorinstanz. Auch als Berufungsgericht beschränkt es sich auf eine Plausibilitätskontrolle der behördlichen Vorgaben. Dazu wird eine Reihe von Erwägungen angestellt. Das Gericht verhält sich also wie die Vorinstanz. Es prüft und erörtert allein, ob die von der beklagten Behörde aufgemachte Rechnung der gesetzlichen Rechtslage entspricht, ohne diese selbst subsumtionsfähig auszulegen. Das ist nichts anderes als die Überlegung, ob die von dem Beklagten vorgegebene Berechnung „nachvollziehbar“ ist. Das Gericht beschränkt sich damit auf die Prüfung, ob die Festsetzungsentscheidung des Landkreises zu einem offensichtlich falschen Ergebnis führt, von einem falschen Sachverhalt ausgeht und auch im übrigen plausibel erscheint. (2) Für diese Vorgehensweise – selbst auf der Grundlage seines „linearen“ Anwendungsmodells – müsste das OVG Lüneburg den Nachweis erbringen, dass § 12b Abs. 1 Satz 3 NNatG 2004 den niedersächsischen Behörden einen Beurteilungsspielraum eröffnet. Das wird nicht gesagt. Aber faktisch wird so verfahren. Mit seiner Auffassung räumt das OVG Lüneburg dem jeweiligen Landkreis der Sache nach eine Letztentscheidungsbefugnis über die Abgabenhöhe ein. Sieht man sich die tatsächliche Praxis des Gerichtes näher an, so wird die fehlende Berechenbarkeit offenkundig. Bemerkenswert ist es zum einen, dass das Gericht einzelne Berechnungskomponenten des NLT-Modells in Frage stellt. Gefragt oder problematisiert wird, ob es sich bei Eingriffen in das Landschaftsbild durch Windkraftanlagen überhaupt um einen Eingriff gerade höchster Intensität handelt, ob die Bewertungsfaktoren der einzelnen NLT-Papiere für die Bewertung des Landschaftsbildes angemessen sind, ob Sichtverschattungen abgezogen werden müssen und ob die Kosten der Realkompensation abgezogen werden dürfen und müssen. Das Kritikpotential derartiger Fragen ist ein klares Verdikt gegenüber der „Selbstwahrnehmung“ der NLT-Papiere, hier würde ein interpretatorisches Ergebnis der Gesetzeslage referierend angegeben. Das OVG Lüneburg vermag dieses Defizit selbst nicht zu substituieren. Zum anderen: Die vom Gericht zu § 12b NNatG 2004 eingeleitete und durchaus erfolgreich umgesetzte Vergleichspraxis belegt nicht nur das hohe Maß an Rechtsunsicherheit, sondern die erschreckende Beliebigkeit der behördlichen Festsetzungen. Dem Gutachter sind folgende Beispiele aus der Vergleichspraxis bekannt gemacht worden: 111

Vgl. Christoph Degenhart, Regelungsmöglichkeiten des Bundes zur Gleichstellung von Ersatzgeld und Naturalkompensation im Rahmen der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung – verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen (Expertise), Leipzig Januar 2011.

- 54 -

Berufungsverfahren

Ausgangsbehörde

4 LC 244/09 4 LC 107/09 4 LC 108/09 4 LC 277/09

734.851.00 € 322.952.00 € 121.107.00 € 102.068.00 €

Widerspruchsbehörde

VG

677.606.47€ 243.080.00€

112

77.886,93€

113

Vergleichswert OVG 352.073,68 € 200.000,00 € 69.000.00 € 46.033,22 €

Das ist eine erstaunliche Schwankungsbreite. Sie zeigt mit Deutlichkeit, dass die behördeninterne Bewertung einer „basarartigen“ Festsetzungspraxis ersichtlich der Realität entspricht. Die erkennbare Vergleichspraxis stellt das Modell, welches das OVG Lüneburg in seinem Urteil vom 16. Dezember 2009 interpretatorisch zu entwickeln suchte, selbst nachdrücklich in Frage, und zwar unabhängig davon, dass dieses Modell keinen hinreichenden Ableitungszusammenhang mit der vorgegebenen gesetzlichen Textlage besitzt.

6. Ergebnis der Analyse der Spruchtätigkeit der nds. Verwaltungsgerichte (1) Als Befund der Analyse der bisherigen Spruchtätigkeit der niedersächsischen Verwaltungsgerichte lässt sich festhalten: Die Variationsbreite des interpretatorischen Zugriffs ist außerordentlich. Keine der drei untersuchten Entscheidungen kann einen korrekten Ableitungszusammenhang zwischen den Kriterien der „Schwere“ und der Dauer“ des naturschutzrechtlichen Eingriffs einerseits und der Höhe des Ersatzgeldes andererseits interpretatorisch, d.h. mit den üblichen Regeln der Auslegung, darstellen. Angesichts dieses Befundes prognostizierte Stephan Gatz (2009) in seiner Arbeit „Windenergieanlagen in der Verwaltungs- und Gerichtspraxis“, man werde auf der Vollzugsebene zu höchst unterschiedlichen Ergebnissen gelangen.114 Das ist zutreffend. Der Befund ist indes noch schwerwiegender. Die Spruchpraxis hat sich auf eine Plausibilitätskontrolle eingelassen. Damit steht hinreichend fest: Der Vorhabenträger kann nicht einmal im Ansatz wissen, welche Zahlungsverpflichtungen auf ihn zukommen werden.115 Er kann auch nicht erwarten, dass diese Unbestimmtheit des § 12b Abs. 1 Satz 3 NNatG durch eine klarstellende Spruchpraxis gemildert wird. Es mag bereits zweifelhaft sein, ob die Rechtsprechung überhaupt gehalten ist, Unklarheiten über den Anwendungsbereich von Rechtsätzen durch Präzisierung und Konkretisierung im Wege der Auslegung nach Möglichkeit auszuräumen.116 Selbst wenn man dies – in Grenzen – annähme, haben die drei behandelten Entscheidungen dazu nichts beigetragen. Zwar hat sich das OVG Lüneburg um eine inhaltliche Interpretation bemüht. Es ist ihm aber nicht gelungen, anwendungsbezogene Kriterien zu entwickeln. Das Gericht hat keine nachvollziehbaren Kriterien dafür zu benennen vermocht, in welcher Höhe das Ersatzgeld im Einzelfall zu bestimmen ist.117 Im Ergebnis hat es sich bei seiner Prüfung auf eine Plausibilitätskontrolle beschränkt. Es hat sich eher täuschen lassen: Der Zahlenwert von 7% Investitionskosten, verstanden als arithmetische Mittelwert, darf jedoch nicht dahingehend missverstanden werden, dass er das allein "richtige" Ergebnis ausdrückt. Er setzt vielmehr das Vorhandensein von höheren und niedrigeren 112

Herabsetzung durch beklagten Landkreis in mündlicher Verhandlung beim VG. Herabsetzung durch beklagten Landkreis in mündlicher Verhandlung beim VG. 114 Stephan Gatz, Windenergieanlagen in der Verwaltungs- und Gerichtspraxis, Bonn 2009, S. 139 Rn. 313. 115 Stephan Gatz, Windenergieanlagen in der Verwaltungs- und Gerichtspraxis, Bonn 2009, S. 139 f. Rn. 316. 116 Jüngst bejahend für § 266 StGB BVerfG, Beschluss vom 23.6.2010 - 2 BvR 2559/08 - BVerfGE 126, 170 = NJW 2010, 3209 (Untreue Landowsky). 117 Vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 12.7.2006 - 10 C 9.05 - BVerwGE 126, 222 Rn. 35 = DVBl 2006, 1520 = NVwZ 2006, 1413 113

- 55 Werten voraus, denen die Statistik innerhalb einer Bandbreite keine beachtlich größere oder geringere Wahrscheinlichkeit zurechnet. Der mathematisch exakt ermittelte Zahlenwert – die Vergleichbarkeit einmal unterstellt - täuscht eine Genauigkeit vor, die ihm nicht zukommt und bei zutreffender Betrachtung als Kappungsgrenze auch nicht zukommen soll.118 (3) Die Unbestimmtheit eines Berechnungsverfahrens findet ihren Grund in der inneren Widersprüchlichkeit des § 12b Abs. 1 NNatG. Diese ergibt in erster Linie aus der Verwendung einer von vornherein ungeeigneten Bemessungsgrundlage (Investitionskosten). Dieser Befund verstärkt sich, wenn die Deckelung bzw. die vom OVG Lüneburg angenommenen Obergrenze eines Rahmens sich nur auf den „Restschaden“ und nicht auf die Gesamtkompensation bezieht. Die bundesrechtlich vorgegebenen Kriterien der Dauer und Schwere des Eingriffs reichen dazu offenbar nicht aus, auf dieser Grundlage die Höhe des Ersatzgeldes zu bestimmen. Das OVG Lüneburg führt zutreffend aus, dass Vollkompensation bei einer Beeinträchtigung des Landschaftsbildes durch Windkraftanlagen mit einer Nabenhöhe von mindestens 50 m nur in Ausnahmefällen möglich sei.119 Wenn nach dem bloßen Wortlaut des § 12b Abs. 1 Satz 3 Hs. 1 NNatG keine Anhaltspunkte dafür bestehen, wie ein nach Dauer und Schwere bewerteter Eingriff in eine Ersatzzahlung "umzurechnen" ist, dann muss die Unbestimmtheit der gesetzlichen Regelung diagnostiziert werden.

E. Rechtsstaatswidrige Unbestimmtheit des § 12b Abs. 1 Satz 2 NNatG 2004 und des § 6 Abs. 1 NAGBNatSchG 2010 I. Fragestellung Der zu D. dargestellte Befund ist eindeutig. Die analysierten Judikate haben im Ergebnis darauf verzichtet, ein interpretatorisch ableitbares Berechnungssystem für die Höhe der jeweiligen Ersatzzahlung darzustellen. Eine methodengerechte Auslegung, welche diesen Namen noch verdient, ist nicht möglich Die analysierten Judikate haben – um es zu wiederholen – das Berechnungssystem des § 12b Abs. 1 NNatG 2004 durch eine Plausibilitätskontrolle substituiert. Das wirft die Frage nach den Gründen für diese Vorgehensweise der Spruchgerichte auf. Diese müssen schwerwiegender Art sein. Denn die angerufenen Gerichte waren sich ohne Zweifel bewusst, dass sie unter dem verfassungsrechtlichen Gebot des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG standen, einen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten. Dazu gehörte es, die angefochtenen Verwaltungsakte in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht auf ihre Rechtmäßigkeit vollständig nachzuprüfen. Sie waren sich gewiss auch darüber im Klaren, dass sie keine Beurteilungsspielräume „erfinden“ durften. Es gab zudem keinerlei Anhalt dafür, dass der Landesgesetzgeber genau dies mit § 12b Abs. 1 Satz 2 NatSchG 2004 beabsichtigt gehabt haben könnte. Ohnedies darf der Gesetzgeber die durch Art 19 Abs. 4 S. 1 GG garantierte Effektivität der Gerichte nicht durch Beurteilungsspielräume für einen ganzen Sachbereich aushebeln (siehe näher dazu unten).120 Die Gerichte dürfen nicht durch eine fernliegende Interpretation oder ein Normverständnis, das keine klaren Konturen erkennen 118

Vgl. in einem anderen Zusammenhang BVerwG, Urteil vom 17.4.2002 - 9 CN 1.01 - BVerwGE 116, 188 = DVBl 2002, 1409 = NVwZ 2002, 1123. 119 Rn. 45 f. 120 BVerfG, Beschluss vom 31.5.2011 - 1 BvR 857/07 – NVwZ 2011, 1062; BVerfG, Beschluss vom 20.2.2001 - 2 BvR 1444/00 - BVerfGE 103, 142 [156] = DVBl 2001, 637.

- 56 lässt, dazu beitragen, bestehende Unsicherheiten über den Anwendungsbereich einer Norm noch zu erhöhen. Wenn sich also die niedersächsischen Verwaltungsgerichte trotz dieses verfassungsrechtlichen Anforderungsprofils an einer Plausibilitätskontrolle der jeweils gegebenen Begründung des Festsetzungsbescheides ausrichteten – um überhaupt ein Mindestmaß an Rechtsschutz zu eröffnen –, dann scheint es für diese Vorgehensweise nur eine hinreichende Erklärung zu geben, nämlich die Unbestimmtheit der Regelung. Und so formuliert das VG Stade geradezu entlarvend, wenn es ausführt, dem beklagten Landkreis sei es auch „im Wege einer rechtlich nicht zu beanstandenden Auslegung des § 12b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 NNatG gelungen, die Berechnung der Ersatzzahlung anhand von objektiven Kriterien vorzunehmen und damit eine noch hinreichend voraussehbare und damit willkürfreie Handhabung zu gewährleisten“.121 Anders ausgedrückt: § 12b Abs. 1 Satz 2 NatSchG 2004 entbehrt der inhaltlichen Steuerungsqualität. Gerade dies ist jedoch ein verfassungsrechtlich relevantes Defizit. Das OVG Lüneburg nimmt für sich in Anspruch, innerhalb eines von ihm für richtig gehaltenen Rahmenkonzepts einzelne Kriterien abweichend von den Begründungen der Behörden festzulegen. Damit verfolgt das Gericht unverändert eine Plausibilitätskontrolle, auch wenn es das eine oder andere Begründungselement neu entwickelt, dieses dann gegen Begründungselemente der zu überprüfenden Behördenentscheidungen austauscht oder solche, welche die Behörde gewählt hat, im Einzelfall bestätigt. Das alles vermag das diagnostizierte Gesamtbild des „rechtlichen Chaos“ nicht zu verändern. Um überhaupt zu einer Entscheidungsreife zu gelangen, akzeptiert das Gericht mithin ein Verfahren des muddling through. In seiner Habilitationsschrift „Das Kompensationsprinzip“ hat Andreas Voßkuhle 1998 das Grundproblem mit großer Klarheit beschrieben. Eine Monetarisierung von Umweltgütern und eine Monetarisierung von Umweltschäden schließt grundsätzlich einen Rückgriff auf (reine) Marktpreise aus.122 Aus eben diesem Grunde muss eine Rückkoppelung an Investitionskosten als systemwidrig scheitern. Eine Simulierung einer preisbezogene Marksituation ist vor allem bei Beeinträchtigungen eines Landschaftsbildes nicht möglich. Im vorliegenden Fallbereich scheiden auch verhaltensorientierte „Ersatzmodelle“ aus. Ein kostenorientiertes Vorgehen ist nicht möglich. Voßkuhle folgert aus dieser Lage, dass nur durch eine „geordnete“ Dezision eine rechtsstaatlich akzeptable Lösung möglich ist. Im parlamentarischen System erfordert dies gesetzlich statuierte Konkretisierungshilfen, die eine differenzierende Anwendungspraxis erlauben.

II. Bestimmtheit von Gesetzesnormen – Rechtsanwendungsgleichheit 1. Bundesverfassungsrechtliche Problemebene und generelle inhaltliche Ausformung (1) Das rechtsstaatliche Gebot der Gesetzesbestimmtheit und das Postulat der Rechtsanwendungsgleichheit können sowohl dem Landesverfassungsrecht als auch dem Bundesverfassungsrecht entnommen werden. Insoweit es dem Bundesrecht entnommen wird, bindet es auch den Landesgesetzgeber. Die Grundzüge des Gebots der Gesetzesbestimmtheit sind anhand der Judikatur des BVerfG schnell geklärt, desgleichen der Inhalt der Anwendungs121

VG Stade, Urteil vom 18.6.2009 - 2 A 1277/08 – juris Rn. 65. Andreas Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip: : Grundlagen einer prospektiven Ausgleichsordnung für die Folgen privater Freiheitsbetätigung – zur Flexibilisierung des Verwaltungsrechts am Beispiel des Umwelt- und Planungsrechts, Tübingen 1999, S. 399; vgl. auch Matthias Behrens-Egge, Monetäre Bewertung von Umweltgütern - Möglichkeiten und Grenzen der Monetarisierung in der Umweltpolitik, 1989. 122

- 57 gleichheit nach Maßgabe des allgemeinen Gleichheitssatzes. In den Zielsetzungen bestehen in Rechtsprechung und Schrifttum keine Meinungsverschiedenheiten. Die Grundsätze des Rechtsstaates fordern, dass auch Ermächtigungen der Exekutive zur Vornahme belastender Verwaltungsakte durch das ermächtigende Gesetz nach Inhalt, Gegenstand, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt und begrenzt sind, so dass die Eingriffe messbar und in gewissem Umfang für den Staatsbürger voraussehbar und berechenbar werden.123 Zugleich ist das Gebot der Rechtsanwendungsgleichheit zu beachten. Danach gilt zusammenfassend: (2) Das in Art. 20 Abs. 3 GG verankerte Rechtsstaatsprinzip begründet das Gebot hinreichender Bestimmtheit der Gesetze.124 Das ist im Kern nicht zweifelhaft. Gesetzliche Tatbestände sind so zu fassen, dass die Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten daran ausrichten können. Welche Anforderungen an die Bestimmtheit zu stellen sind, lässt sich indes nicht generell und abstrakt festlegen, sondern hängt auch von der Eigenart des Regelungsgegenstands und dem Zweck der betroffenen Norm ab.125 Nach dem Rechtsstaatsgebot sind vor allem Eingriffsregelungen so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte und mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist.126 Jeder Rechtsunterworfene muss in zumutbarer Weise erkennen können, was von ihm verlangt wird.127 Gesetzliche Tatbestände sind so zu fassen, dass die Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten daran ausrichten können.128Sie müssen für ihr Verhalten selbst entscheiden können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm ausgesprochene Rechtsfolge vorliegen.129 Die Bestimmtheit wird also gefordert aus Gründen der Rechtssicherheit und des effektiven Rechtsschutzes durch gerichtliche Kontrollfähigkeit der exekutivischen Anwendung. Neben die verfassungsrechtlich verbürgte Rechtsschutzgarantie tritt das Demokratieprinzip. Dieses verlangt eine nachprüfbare Gesetzesbindung. Der Gesetzgeber ist daher gehalten, seine Regelungen so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart des zu ordnenden Lebenssachverhalts mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist. Insoweit ergibt sich aus den Zielwerten bereits ein Minimum an Eindeutigkeit.130 Das gilt insbesondere für Ermächtigungsgrundlagen, die belastende Eingriffe erlauben. Grundrechtseingriffe verlangen verschärfte Anforderungen an die Präzisierung der Norm.131 123

So bereits BVerfG, Beschluss vom 12.11.1958 - 2 BvL 4/56 - BVerfGE 8, 274 = DVBl 1959, 171 (Ermächtigung im Sinne des § 2 Abs. 1 PreisG zum Erlass von Rechtsverordnungen und Verwaltungsakten zur Aufrechterhaltung der Preisstabilität). 124 BVerfG, Beschluss vom 7.5.2001 - 2 BvK 1/00 - BVerfGE 103, 332 [384] = DVBl 2001, 1415 = NVwZ-RR 2002, 81. 125 BVerfG, Beschluss vom 20.6.2012 - 2 BvR 1048/11 - NJW 2012, 3357 Rn. 118; BVerfG, Beschluss vom 23.6.2010 - 2 BvR 2559/08 - BVerfGE 126, 170 [196] = NJW 2010, 3209; BVerfG, Beschluss vom 3.6.1992 - 2 BvR 1041/88 - BVerfGE 86, 288 [311] = NJW 1992, 2947; BVerfG, Beschluss vom 15.4.1970 2 BvR 396/69 - BVerfGE 28, 175 [183]. 126 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 18.5.2004 - 2 BvR 2374/99 - BVerfGE 110, 370 [396] = NVwZ 2004, 1477; BVerfG, Beschluss vom 9.8.1995 - 1 BvR 2263/94 und 229, 534/95 - BVerfGE 93, 213 [238] = NJW 1996, 709; BVerfG, Urteil vom 17.11.1992 - 1 BvL 8/87 - BVerfGE 87, 234 [263] = NJW 1993, 643. 127 BVerfG, Beschluss vom 26.9.1978 - 1 BvR 525/77 - BVerfGE 49, 168 [181] = DVBl 1978, 881 = NJW 1978, 2446. 128 BVerfG, Beschluss vom 17.7.2003 - 2 BvL 1/99 - BVerfGE 108, 186 = DVBl 2003, 1388 = NVwZ 2003, 1241 Rn. 172. 129 BVerfG, Beschluss vom 24.11.1981 - 2 BvL 4/80 - BVerfGE 59, 104 Rn. 32 = NJW 1982, 1275; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 23.4.1974 - 1 BvR 6/74 - BVerfGE 37, 132 [142] = DVBl 1974, 675. 130 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 8.5.1988 - 2 BvR 579/84 - BVerfGE 78, 205 [212] = DVBl 1988, 839. 131 BVerfG, Beschluss vom 24.11.1981 - 2 BvL 4/80 - BVerfGE 59, 104 [114] = NJW 1982, 1275; BVerfG, Beschluss vom 3.6.1992 BVerfGE 86, 288 [311] = NJW 1992, 2947 (lebenslange Freiheitsstrafe); BVerfG, Beschluss vom 27.11.1990 - 1 BvR 402/87 - BVerfGE 83, 130 [152] = DVBl 1991, 261 (Josefine Mutzenbacher).

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Deshalb ist im Wege einer wertenden Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung möglicher Regelungsalternativen zu entscheiden, ob der Gesetzgeber seinen Verpflichtungen nachgekommen ist. Eine weiterführende Testfrage lautet hier, ob es für den Landesgesetzgeber keine Möglichkeit einer Konkretisierung gab. Diese Frage ist zu bejahen, wie ein Blick in § 15 Abs. 7 BNatSchG 2009 und in andere landesgesetzliche Regelungen ergibt. Kein anderes Land hat – wie es Niedersachsen in § 6 Abs. 2 NAGBNatSchG 2010 getan hat – die Ermächtigungsregelung des § 15 Abs. 7 BNatSchG 2009 ausgeschlossen. Dabei muss erneut daran erinnert werden, dass § 12b Abs. 1 Satz 2 NNatG2004 oder § 6 NAGBNatSchG 2010 sich zwar in tatsächlicher Hinsicht auf Windenergieanlagen beziehen, diese aber nicht normierter Regelungsgegenstand sind. (3) Das rechtsstaatliche Gebot der Bestimmtheit kann die prinzipielle Unbestimmtheit jenseits mathematischer Festlegungen wegen der grundsätzlichen Unbestimmtheit aller textlichen Vorgaben nicht beseitigen. In diesem Sinne gibt es stets in der Sprache und ihrer Verschriftlichung eine semantische „Unschärferelation“.132 Das Bestimmtheitsgebot bedeutet also nicht, dass der Gesetzgeber gezwungen wäre, sämtliche Tatbestände ausschließlich mit unmittelbar in ihrer Bedeutung für jedermann erschließbaren deskriptiven Tatbestandsmerkmalen zu umschreiben. Es schließt die Verwendung wertausfüllungsbedürftiger Begriffe bis hin zu Generalklauseln nicht von vornherein aus.133 Daher kann es genügen, wenn sich der Inhalt der vom Gesetzgeber zugelassenen Belastung im Wege der Auslegung der einschlägigen Bestimmung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln feststellen lässt.134 Dabei kann eine Präzisierung durch Heranziehung anderer Vorschriften desselben Gesetzes, durch Berücksichtigung des Normzusammenhangs oder aufgrund einer gefestigten Rechtsprechung eine zuverlässige Grundlage für eine Auslegung und Anwendung der Norm erreichbar sein.135 Welchen Grad an gesetzlicher Bestimmtheit der einzelne Eingriffstatbestand alsdann gleichwohl haben muss, lässt sich nach alledem nicht allgemein sagen.136 Welche Toleranzgrenzen hier zu beachten sind, lässt sich ebenfalls kaum konkret beschreiben. Differenzierungen nach Anwendungsbereich, Eingriffsintensität, betroffenem grundrechtlichen Schutzbereich, Komplexität der Regelungsmaterie und Zielsetzung der gesetzlichen Regelung sind möglich. Interpretationsspielräume durch Benutzung sog. unbestimmter Rechtsbegriffe sind nicht per se als Verstoß gegen den Grundsatz der Bestimmtheit zu missbilli132

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 3.6.1992 - 2 BvR 1041/88 - BVerfGE 86, 288 [311] = NJW 1992, 2947; vgl. auch Frankenburg, AK-GG, 3. Aufl. 2001, Art. 20 Abs. 1-3 IV Rn. 37. 133 Vgl. zum Strafrecht BVerfG, Beschluss vom 15.3.1978 - 2 BvR 927/76 - BVerfGE 48, 48 [56 f.] = NJW 1978, 1423; BVerfG, Beschluss vom 10.1.1995 - 1 BvR 718/89 - BVerfGE 92, 1 [12] = NJW 1995, 1141 (Sitzblockade III); ferner BVerfG, Beschluss vom 6.5.1987 - 2 BvL 11/85 - BVerfGE 75, 329 [341 f.] = NJW 1987, 3175 (Blankettstrafbestimmung). 134 Man unternehme den Versuch, den Regelungsgehalt des § 12b NNatG 2004 mit Hilfe der klassischen Interpretationsregeln der grammatikalischen, der historischen, der logisch-systematischen und der teleologischen Auslegung zu präzisieren. Die erörterten Judikate der nds. Verwaltungsgerichte bemühen sich nicht einmal im Ansatz, auf eines dieser Merkmale zuzugreifen. 135 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 20.6.2012 - 2 BvR 1048/11 - NJW 2012, 3357 Rn. 118; BVerfG, Beschluss vom 3.6.1992 - 2 BvR 1041/88 – BVerfGE 86, 288 [311] = NJW 1992, 2947; BVerfG, Beschluss vom 21.6.1977 - 2 BvR 308/77 - BVerfGE 45, 363 [371 f.] = NJW 1977, 1815. 136 BVerfG, Beschluss vom 23.6.2010 - 2 BvR 2559/08 - 126, 170 [196] = NJW 2010, 3209; BVerfG, Beschluss vom 17.7.2003 - 2 BvL 1/99 - BVerfGE 108, 186 = DVBl 2003, 1388 = NVwZ 2003, 1241 Rn. 172; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 24.6.1993 - 1 BvR 689/92 - BVerfGE 89, 69 [84] = DVBl 1993, 995 = NJW 1993, 2365; BVerfG, Urteil vom 8.2.2001 - 2 BvF 1/00 - BVerfGE 103, 111 [135] = DVBl 2001, 463 = NJW 2001, 1048; BVerwG, Beschluss vom 11.5.1993 - 7 NB 8.92 - NVwZ-RR 1994, 77 („Belebung des Landschaftsbilds“).

- 59 gen. Da sich die Vielfalt der Verwaltungsaufgaben nicht immer in klar umrissenen Begriffen einfangen lässt, ist auch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe nicht von vornherein verfassungsrechtlich bedenklich. Aber auch dann gilt, dass die Rechtsvorschrift so formuliert zu sein hat, dass die Rechtsunterworfenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einrichten können.137 Das gilt auch für Beurteilungsspielräume der Exekutive.138 Ob der Exekutive ein Entscheidungsspielraum eingeräumt werden darf, verlangt allerdings nach einem sachlichen Grund. Nur ausnahmsweise und bei Vorliegen ganz besonderer Voraussetzungen ist es zu rechtfertigen, der Verwaltungsbehörde bei der Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs einen eigenen, gerichtlicher Kontrolle nicht mehr zugänglichen Beurteilungsspielraum einzuräumen.139 Eine verringerte Kontrolldichte lässt sich etwa mit der Unvertretbarkeit oder Unwiederholbarkeit einer Entscheidung, mit wertenden und prognostischen Elementen einer Entscheidung oder mit zuerkanntem spezifischem Sachverstand der Entscheidungsträger rechtfertigen.140 Auch bei sog. Massenerscheinungen ist eine typisierende Sichtweise des Gesetzgebers eher tolerabel und mindert eine einzelfallbezogene Subsumtionsfähigkeit. Von derartigen Besonderheiten kann vorliegend nicht die Rede sein. Bei allen diesen dem Bestimmtheitsgebot gegenläufigen Kriterien gilt stets die Forderung, dass der Gesetzgeber gehalten ist, „seine Regelungen so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte und mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist“141 Aus der gesetzlichen Regelung müssen sich Zweck und Inhalt der Rechtsbegriffe ausreichend ermitteln und objektive Kriterien gewinnen lassen, die eine willkürliche Handhabung ausschließen.142 Bei der Frage, welche Bestimmtheitsanforderungen im einzelnen erfüllt sein müssen, ist auch die Intensität der Einwirkungen auf die von der Regelung Betroffenen zu berücksichtigen.143 Welche Anforderungen an das Ausmaß der erforderlichen Bestimmtheit im Einzelfall zu stellen sind, hängt zudem von der Intensität der Auswirkungen der Regelung für die Betroffenen und von der Eigenart des geregelten Sachverhalts ab, insbesondere auch davon, in welchem Umfang dieser einer genaueren begrifflichen Umschreibung überhaupt zugänglich ist. Bei der Höhe der von den Behörden geforderten Ersatzgeldzahlungen kann man jedenfalls nicht von Quisquilien sprechen. Auf jeden Fall gilt: Die Rechtsunterworfenen müssen in zumutbarer Weise feststellen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm ausgesprochene Rechts-

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Vgl. u.a. BVerfG, Beschluss vom 28.6.1983 - 2 BvR 539/80 - BVerfG 64, 261 [286] = NJW 1984, 33; BVerfG, Urteil vom 3.11.1982 - 1 BvR 210/79 - BVerfGE 62, 169 [182 f.] = NJW 1983, 2309; BVerfG, Beschluss vom 12.6.1979 - 1 BvL 19/76 - BVerfGE 52, 1 [41] = DVBl 1980, 158 = NJW 1980, 985; BVerfG, Beschluss vom 12.1.1967 - 1 BvR 169/63 - BVerfGE 21, 73 [79] = DVBl 1967, 232 = NJW 1967, 619. 138 Vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 28.6.1983 - 2 BvR 539/80 - BVerfGE 64, 261 [279] = NJW 1984, 33; BVerfG, Beschluss vom 17.4.1991 - 1 BvR 419/81 - BVerfGE 84, 34 [50] = DVBl 1991, 801 (Neubewertung von Prüfungsleistungen). 139 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 28.6.1983 - 2 BvR 539/80 - BVerfGE 64, 261 [279] = NJW 1984, 33; BVerwG, Urteil vom 25.11.1993 – 3 C 38.91 - BVerwGE 94, 307 Rn. 22 = NVwZ 1995, 707; BVerwG, Urteil vom 1.3.1990 - 3 C 50.86 - DVBl 1991, 46 = NVwZ 1991, 568. 140 Vgl. auch aus bereits früherer Judikatur BVerfG, Beschluss vom 8.8.1978 - 2 BvL 8/77 - BVerfGE 49, 89 [133 ff] = DVBl 1979, 45 (Kalkar I); BVerfG, Beschluss vom 8.7.1982 - 2 BvR 1187/80 - BVerfGE 61, 82 [111] = DVBl 1982, 940 (Sasbach). 141 BVerfG [K], Beschluss vom 29.4.2010 - 2 BvR 871/04 - HFR 2010, 860 Rn. 39 – „Milchabgabe“; BVerfG, Beschluss vom 24.11.1981 - 2 BvL 4/80 - BVerfGE 59, 104 Rn. 32 = NJW 1982, 1275; BVerfG, Beschluss vom 26.9.1978 - 1 BvR 525/77 - BVerfGE 49, 168 [181] = DVBl 1978, 881 (Aufenthaltserlaubnis); BVerwG, Urteil vom 4.8.2010 - 9 C 6.09 - BVerwGE 137, 325 Rn. 44 = NVwZ 2011, 41 (Lkw-Maut); BVerwG, Urteil vom 12.7.2006 - 10 C 9.05 - BVerwGE 126, 222 Rn. 30 = DVBl 2006, 1520 = NVwZ 2006, 1413. 142 BVerwG, Urteil vom 27.9.1978 - I C 48.77 - BVerwGE 56, 254 [257] = NJW 1979, 1112. 143 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 8.8.1978 - 2 BvL 8/77 - BVerfGE 49, 89 [133] = DVBl 1979, 45 (Kalkar I).

- 60 folge vorliegen. Ist diese Rechtsfolge „offen“, muss diese in ihrer jeweiligen Dimension voraussehbar sein. (4) Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG enthält u. a. das Gebot der Rechtsanwendungsgleichheit.144 Seine Beachtung bedingt, dass die Anwendungsgleichheit durch hinreichende Bestimmtheit der maßgebenden Normen herstellbar ist. Nur dann kann – namentlich bei belastenden Vorschriften – dem Gebot des Art. 20 Abs. 3 GG, nämlich die Bindung der vollziehenden Gewalt an das Gesetz, entsprochen werden. Der Gleichheitssatz verlangt dazu, dass die belasteten Bürger nicht nur rechtlich, sondern auch tatsächlich gleich belastet werden. Diese Belastungsgleichheit hat als ihre Komponenten also sowohl die Gleichheit der normierten Pflicht als auch die Gleichheit bei deren Durchsetzung. Daraus folgt auch, dass die belastende Norm in ein normatives Umfeld eingebettet sein muss, welches die Gleichheit der Belastung auch hinsichtlich des tatsächlichen Erfolges prinzipiell gewährleistet.145 Dieses ihm so auferlegte Ziel der Anwendungsgleichheit kann der Gesetzgeber indes nicht erreichen, wenn er durch Unbestimmtheit seines normativen Netzwerkes seiner ihm möglichen Steuerungskapazität nicht genügt. Das wiederum ist u.a. der Fall, wenn er eine hinreichende Gesetzesbindung nicht erreicht. So liegt es hier. Die festgestellte tatsächliche Handhabung des § 6 Abs. 1 NAGBNatSchG 2010 zeigt auf, dass der Landesgesetzgeber eine Regelung getroffen hat, die eine Belastungsungleichheit nicht nur nicht verhindert, sondern diese typischerweise auslöst. Dieser Befund ist nicht auf eine Unfähigkeit der normdurchführenden Exekutive oder auf eine verfehlte Judikatur zurückzuführen, sondern auf die Unbestimmtheit der Normvorgabe.

2. Besonderheiten des Abgabenrechts im weiteren Sinne (1) Lässt man die hier nur skizzierten allgemeinen rechtsstaatlichen Anforderungen gegenüber § 12b Abs. 1 Satz 2 NatSchG 2004 und § 6 NAGBNatSchG 2010 gleichsam Revue passieren, lässt sich jedenfalls nicht auf Anhieb sagen, dass die landesgesetzliche Regelung in der Frage ihrer Bestimmtheit unbedenklich ist. Dieser Eindruck verschärft sich, wenn man die entstandene Rechtsprechung hinsichtlich der Bestimmtheit in Abgabenfragen hinzuzieht. Das gilt auch dann, wenn man an die tatbestandliche Fixierung keine nach der konkreten Sachlage unerfüllbaren Anforderungen stellt.146 (2) Für öffentlich-rechtliche Abgaben gelten keine einheitlichen, generell-abstrakt formulierbaren Anforderungen an die hinreichende Bestimmtheit des Gesetzes; vielmehr kommt es auch hier auf die Eigenart des geregelten Sachbereichs wie auf das Betroffensein von Grundrechten an.147 Die Bemessung der Abgabe ist verfassungsrechtlich dann gerechtfertigt, wenn ihre Höhe durch zulässige Abgabenzwecke, die der Gesetzgeber bei ihrer tatbe-

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Vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 14.1.1986 - 1 BvR 209/79 - BVerfGE 71, 354; BVerfG, Beschluss vom 4.4.1984 - 1 BvR 276/83 – BVerfGE 66, 331 [335]; BVerfG [K], Beschluss vom 14.9.1992 - 2 BvR 1941/89 - NJW 1993, 997. 145 Vgl. BVerfG, Urteil vom 27.6.1991 - 2 BvR 1493/89 - BVerfGE 84, 239 (Zinsurteil). 146 Vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 8.1.1981 - 2 BvL 3/77 - BVerfGE 56, 1 [12] = NJW 1981, 1311. 147 BVerfG, Beschluss vom 17.7.2003 - 2 BvL 1/99 - BVerfGE 108, 186 Rn. 173 = DVBl 2003, 1388 = NVwZ 2003, 1241; Vgl. für das Steuerrecht BVerfG, Beschluss vom 19.4.1978 - 2 BvL 2/75 - BVerfGE 48, 210 [221] = DVBl 1978, 698 = NJW 1978, 2143; BVerfG, Beschluss vom 9.11.1988 - 1 BvR 243/86 BVerfG, BVerfGE 79, 106 [120] = NJW 1989, 1599; für das Gebühren- und Beitragsrecht BVerwG, Beschluss vom 20.8.1997 - 8 B 170.97 - BVerwGE 105, 144 [147 f.] = DVBl 1998, 51 = NVwZ 1998, 408.

- 61 standlichen Ausgestaltung erkennbar verfolgt, legitimiert ist.148 Das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot ist im Abgabenrecht verletzt, wenn die für die Abgabenfestsetzung maßgeblichen Bemessungsgrößen keine klare Entscheidung über die Höhe der Abgabe ermöglichen. Das ist insbesondere der Fall, wenn es an den für eine Festsetzung notwendigen normativen Festlegungen fehlt. Steuerrechtsregelungen, Gebührenregelungen oder andere Abgabenpflichten genügen dem Bestimmtheitsgebot dann, wenn der Gesetzgeber die wesentlichen Bestimmungen über die Steuer oder Abgabe mit hinreichender Genauigkeit trifft. Nach dem rechtsstaatlichen Grundsatz der Normenklarheit und mit Blick auf den weiten Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum des Gebührengesetzgebers muss der Abgabenpflichtige –erforderlichenfalls im Wege der Auslegung – erkennen können, für welche öffentliche Leistung die Abgabe erhoben wird und welche Zwecke der Gesetzgeber bei der Abgabenbemessung verfolgt.149 Dazu braucht der Gesetzgeber gewiss nicht jede einzelne Frage zu entscheiden und ist hierzu angesichts der Kompliziertheit der zu erfassenden Vorgänge oft nicht in der Lage. Zweifelsfälle haben Verwaltung und Gerichte mit den anerkannten Auslegungsmethoden bei der Gesetzesauslegung zu klären.150 Die Auslegungsbedürftigkeit einer Regelung des Abgabenrechts nimmt ihr also noch nicht per se die verfassungsrechtlich gebotene Bestimmtheit.151 Das setzt allerdings voraus, dass eine Präzisierung im Wege der Auslegung methodengerecht auch möglich ist. Eine richterliche „Rechtsergänzung“ im Sinne einer Rechtsfortbildung, die letztlich legislatorische Regelungsdefizite zu substituieren versucht, ist im materiellen Abgabenrecht ausgeschlossen.152 Richterliche Rechtsfortbildung darf nicht dazu führen, dass der Richter seine eigene materielle Gerechtigkeitsvorstellung an die Stelle derjenigen des erkennbaren Willens des Gesetzgebers setzt.153 Ein Richterspruch darf sich also über die aus Art. 20 Abs. 3 GG folgende Gesetzesbindung hinwegsetzen, wenn die vom Gericht zur Begründung seiner Entscheidung angestellten Erwägungen erkennen lassen, dass es sich aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz begeben wird.154 Die zu entrichtende Abgabe muss also nicht generell anhand des normativ vorgegebenen Gebührentatbestandes "auf den Cent genau" vorausberechnet werden können.155 Gleichwohl: Für alle Abgaben gilt als allgemeiner Grundsatz, dass abgabebegründende Tatbestände so bestimmt sein müssen, dass der Abgabepflichtige die auf ihn entfallende Abgabe

148

Vgl. BVerfG [K], Beschluss vom 20.1.2010 - 1 BvR 1801/07 - NVwZ 2010, 831 Rn. 11 zu Wasserentnahmegebühren nach §§ 47ff nds. Wassergesetz. 149 Vgl. BVerwG, Urteil vom 4.8.2010 - 9 C 6.09 - BVerwGE 137, 325 Rn. 17 = NVwZ 2011, 41 (LkwMaut) 150 Vgl. u.a. BVerfG, Beschluss vom 9.11.1988 -1 BvR 243/86 - BVerfGE 79, 106 [120] = NJW 1989, 1599 (Steuerrecht); BVerwG, Urteil vom 4.8.2010 - 9 C 6.09 - BVerwGE 137, 325 = NVwZ 2011, 41 (LkwMaut); BVerwG, Urteil vom 12.6.2006 - 10 C 9.05 - BVerwGE 126, 222 Rn. 30 = DVBl 2006, 1520 = NVwZ 2006, 1413; BVerwG, Urteil vom 1.12.2005 - 10 C 4.04 - NVwZ 2006, 589 [594]. 151 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 9.5.1989 - 1 BvL 35/86 - BVerfGE 80, 103 = NJW 1989, 1985 (Streitwertfestsetzung in Scheidungsverfahren); BVerfG, Beschluss vom 14.3.1967 - 1 BvR 334/61 - BVerfGE 21, 209 [215] - Kreditgewinnabgabe; BVerfG, Beschluss vom 18.5.1988 - 2 BvR 579/84 - BVerfGE 78, 205 [212] = DVBl 1988, 839 (Schatzregal Baden-Württemberg). 152 Vgl. u.a. BVerfG [K], Beschluss vom 20.4.2010 - 1 BvR 1670/09 - BVerfGK 17, 240 Rn. 16 (Gebührenverzeichnis) 153 Vgl. BVerfG [K], Beschluss vom 16.2.2012 - 1 BvR 127/10 - HFR 2012, 545Rn. 22; BVerfG, Beschluss vom 3.4.1990 - 1 BvR 1186/89 - BVerfGE 82, 6 [12] = DVBl 1990, 690 = NJW 1990, 1593; BVerfG [K], Beschluss vom 5.4.2006 - 1 BvR 2780/04 - BVerfGK 8, 10 [14] = NVwZ 2006, 926 Rn. 20. 154 Deutlich BVerfG, Beschluss vom 25.1.2011 - 1 BvR 918/10 - BVerfGE 128, 193 = NJW 2011, 836 (Berechnung des nachehelichen Unterhalts: „eigenes Modell“ des Gerichtes). 155 Vgl. BVerwG, Urteil vom 4.8.2010 - 9 C 6.09 - BVerwGE 137, 325 = NVwZ 2011, 41 Rn. 44 ff.; BVerwG, Urteil vom 4.8.2010 - 9 C 7.09 – juris Rn. 13; BVerwG, Urteil vom 4.8.2010 - 9 C 6.09 - BVerwGE 137, 325 = NVwZ 2011, 41 (Lkw-Maut)

- 62 – in gewissem Umfang156 – vorausberechnen kann.157 Bei kostenorientierten Abgaben ist es dazu erforderlich, dass ein Mangel an konturenscharfen Regelungen zumindest dadurch ausgeglichen wird, dass eine hinreichende Bestimmtheit der Bemessungsfaktoren gegeben ist, um damit die Höhe der Abgabe jedenfalls annäherungsweise abschätzen zu können. Insoweit fordert das Bestimmtheitsgebot im Bereich des Gebühren- und Beitragsrechts, aber auch bei kostenorientierten Sonderabgaben, eine dem jeweiligen Zusammenhang angemessene Regelungsdichte, die eine willkürliche Handhabung durch die Behörden ausschließt.158 Das schließt nicht aus, dass z. B. Rahmenabgaben festgelegt werden oder die Abgabenhöhe an unbestimmte Rechtsbegriffe geknüpft wird, um der Behörde eine Festsetzung zu ermöglichen, die unterschiedlichen Einzelfallumständen gerecht wird. Der Bürger muss sich aus dem Gesetz oder aus untergesetzlichen Normen nicht in jeder Hinsicht absolute Gewissheit über die Höhe des festzusetzenden Werts verschaffen können.159 Es ist dem Normgeber indes „nur“ gestattet, abgabenrechtliche Regelungen in der Weise zu verallgemeinern und zu pauschalieren, dass er an Regelfälle eines Sachbereichs anknüpft.160 Dabei kann er sich auch auf Erfahrungstatsachen stützen und ggf. auch mit Wahrscheinlichkeitsmaßstäben arbeiten. Ein Verstoß gegen das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot liegt jedoch dann vor, wenn es wegen der Unbestimmtheit der abgabenrechtlichen Regelungen nicht mehr möglich ist, objektive Kriterien zu gewinnen, die insbesondere eine willkürliche Handhabung durch die Behörden ausschließen.161 Durchgreifende Bedenken bestehen dann auch unter dem Gesichtspunkt des Demokratieprinzips. Dieses setzt einer versteckten Verlagerung von Gesetzgebungsbefugnissen Grenzen. Unzulässig sind danach insbesondere pauschale Blankoermächtigungen an die ausführende Exekutive. Es muss voraussehbar sein, was dem Bürger gegenüber zulässig sein soll. Gewiss darf das Gebot der Gesetzesbestimmtheit nicht übersteigert werden; die Gesetze würden sonst zu starr und kasuistisch werden. Sie müssen aber in ihrer Steuerungsfunktion konkretisierbar sein.

III. Anwendung zu § 12b Abs. 1 Satz 3 NNatG 2004 und § 6 Abs. 1 NAGBNatSchG 2010 Überträgt man die erörterten allgemeinen und die zum Abgabenrecht besonderen Anforderungen an die tatbestandliche Bestimmtheit auf die als Ermächtigungsgrundlage normierten Regelungen des § 12b Abs. 1 Satz 3 NNatG 2004 und des § 6 Abs. 1 NAGBNatSchG 2010, ergibt sich ein deutliches rechtsstaatliches Defizit. Das erörterte Urteil des OVG Lü-

156

Vgl. bereits BVerfG, Beschluss vom 10.10.1961 - 2 BvL 1/59 - BVerfGE 13, 153 [160] = MDR 1962,

26. 157

BVerfG, Beschluss vom 17.7.2003 - 2 BvL 1/99 - BVerfGE 108, 186 Rn. 174 = DVBl 2003, 1388 = NVwZ 2003, 1241 158 Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.8.1997 - 8 B 170.97 - BVerwGE 105, 144 [147] = DVBl 1998, 51 = NVwZ 1998, 408. 159 BVerfG, Beschluss vom 9.5.1989 - 1 BvL 35/86 - BVerfGE 80, 103 Rn. 17 = NJW 1989, 1985. 160 BVerwG, Beschluss vom 16.6.2011 - 9 BN 4.10 - NVwZ-RR 2011, 745; BVerwG, Urteil vom 25.8.1982 - 8 C 54.81 - DVBl 1983, 46 = NVwZ 1983, 289. 161 Vgl. BVerwG, Urteil vom 12.6.2006 - 10 C 9.05 - BVerwGE 126, 222 Rn. 30 = DVBl 2006, 1520 = NVwZ 2006, 1413; BVerwG, Beschluss vom 25.9.1989 - 8 B 95.89 - Buchholz 401.8 Verwaltungsgebühren Nr. 23 S. 8; BVerwG. Beschluss vom 15.11. 1995 - 11 B 72.95 - juris Rn. 5; BVerwG, Beschluss vom 10.4. 2000 - 11 B 61.99 - juris Rn. 10.

- 63 neburg vom 16. Dezember 2009 enthält die Tendenz, die erkennbaren Defizite der gesetzgeberischen Regelung durch ein „eigenes Modell“ der Berechnung zu substituieren. 1. Erste Testfrage: Kann der betroffene Bürger erkennen, was „auf ihn zukommt“? (1) Die Frage ist zu verneinen. NAGBNatSchG 2010 fehlt es an subsumtionsfähigen Kriterien. Der Betroffene kann anhand des Gesetzestextes nur zwei Fragen mit hinreichender Sicherheit beantworten: [1] Er muss davon ausgehen, dass bei einem naturschutzrechtlichen Eingriff eine Ersatzgeldzahlung in Betracht kommt. [2] Er kann damit rechnen, dass die Höhe des Ersatzgeldes 7% der Investitionskosten nicht übersteigen kann. In welcher Größenordnung sich der abverlangte Betrag bewegen könnte, kann er dem Gesetzestext nicht entnehmen. Er muss von einer Schwankungsbreite zwischen 0, 1% bis 7% ausgehen. (2) Der Bürger kann die maßgebenden Investitionskosten in der Regel zumindest annähernd einschätzen. Geht man einmal von Vorhaben aus, welche Windenergieanlagen zum Gegenstand haben, wirkt sich die Schwankungsbreite auch in ihrer jeweiligen absoluten Höhe aus. Es handelt sich also nicht um zu vernachlässigende Belastungsgrößen. Betrachtet man im Falle des VG Lüneburg (20.9.2007) das der Festsetzung zugrunde gelegte Abrechnungsverfahren, dann ist es ausgeschlossen, den Abrechnungsweg interpretatorisch aus der normativen Vorgabe des § 12b Abs. 1 Satz 3 NNatG 2004 bzw. § 6 Abs. 1 NAGBNatSchG 2010 auch unter Beachtung der Interpretationsspielräume abzuleiten. Es geht an dieser Stelle nicht darum, ob das konkrete Abrechnungsverfahren mit § 12b Abs. 1 Satz 3 NNatG 2004 bzw. § 6 Abs. 1 NAGBNatSchG 2010 (noch) vereinbar ist. Sollten mit § 6 Abs. 1 NAGBNatSchG 2010 unterschiedliche Abrechnungsverfahren vereinbar sein, dann steht es jedenfalls nicht zur Kompetenz der Exekutive, eine Alternative auszuwählen. Diese Befugnis hat nur der Gesetzgeber oder der von ihm dazu ermächtigte Verordnungsgeber. Die Handlungsanweisungen der NLT-Papiere können dieses Regelungsdefizit nicht substituieren. Im Ergebnis wird der Verwaltung die freie Entscheidung über die Bemessung der Höhe der Abgabe zugewiesen. Dass sich diese „Bemessung“ nach Angaben der Naturschutzbehörden in einem arithmetischen Durchschnittswert zwischen 2,2 und 2,8 %, bezogen auf die Investitionssumme des Eingriffs, faktisch „eingependelt“ hat, ändert an der Konstruktion des nur administrativen Zugriffs nichts. Es ist kein objektives Kriterium erkennbar, nach dem zuverlässig festgestellt werden kann, wie hoch die Abgabe nach Maßgabe der Leitkriterien „Schwere“ und „Dauer“ des Eingriffs zu bestimmen ist. Um es anders zu sagen: Es gibt derzeit kein Verfahren, wie diese Kriterien im Einzelfall hinreichend rational „heruntergebrochen“ werden können. Wenn es in einem Vermerk des Referates 10 des nds. Umweltministeriums vom 10. Mai 2011 heißt, die tatsächliche Höhe werde in einem langwierigen und bürokratischen Prozess unter Beteiligung von Gutachtern „basarartig“ festgelegt, kennzeichnet dies die tatsächliche Lage der Unbestimmtheit.162

2. Zweite Testfrage: Gab es für den Landesgesetzgeber Regelungsalternativen? (1) Die Frage ist zu bejahen. Ein Blick auf Regelungen anderer Bundesländer zur naturschutzrechtlichen Ausgleichsabgabe zeigt dies, auch wenn das Bild derzeit nicht gerade 162

Akten des Nds. Umweltministeriums, Aktz. 10 – 27.40.1.3 zu Stellungnahme zum Vermerk der RGL N vom 8. April 2011 zur Ersatzgeldbemessung bei Windenergieanlagen auf Grund der Handlungsempfehlung des Niedersächsischen Landkreistages.

- 64 einheitlich ist.163 Beispielhaft sei hier auf Thüringen und auf Bayern als „positive“ Regelungen, Sachsen-Anhalt als „negative“ Lösung verwiesen. Das Land Niedersachsen hat von Anfang an ein „Minimalprogramm“ verfolgt. Das wird durch § 6 NAGBNatSchG 2010 bestätigt. Die Entstehungsgeschichte weist aus, dass der Landesgesetzgeber meint, die geschaffene Regelung sei für die Umsetzung im Einzelfall ausreichend. (2) Thüringen. Nach § 8 Abs. 7 des (fortgeltenden) Thüringer Gesetzes für Natur und Landschaft vom 30. August 2006 ist die oberste Naturschutzbehörde ermächtigt, im Einvernehmen mit dem für Finanzen zuständigen Ministerium die Höhe der Ausgleichsabgabe und das Verfahren ihrer Erhebung näher zu regeln. Dabei sind Dauer und Schwere des Eingriffs sowie Wert und Vorteil für den Verursacher zugrunde zu legen. Die Höhe der Ausgleichsabgabe ist in der Regel anhand der geschätzten Herstellungskosten der nicht realisierbaren Ersatzmaßnahmen oder der beeinträchtigten Biotope bei fehlenden Ersatzmaßnahmen zu ermitteln. Dabei sind auch die Kosten der ersparten Planungsleistungen und für voraussichtliche Folge- und Pflegemaßnahmen einschließlich der Aufwendungen für die dauerhafte Sicherung dieser Maßnahmen zu berücksichtigen. Die oberste Naturschutzbehörde hat von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht. Sie hat in der fortgeltenden Thüringer Verordnung über die naturschutzrechtliche Ausgleichsabgabe (ThürNatAVO) vom 17. März 1999 zum einen bestimmt, dass die Ausgleichsabgabe zusammen mit den Kosten für die vom Vorhabenträger durchzuführenden Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen einen Betrag in Höhe von 10 v. H. der Gesamtbaukosten des Vorhabens nicht überschreiten dürfe. In der Anlage 2 Nr. 2 zu der Verordnung ist zur Berechnung der Ausgleichsabgabe für Windenergieanlagen vorgesehen:

50 Euro bis 100 Euro pro Meter Masthöhe bei einzelnen Windkraftanlagen, Hochspannungsleitungsmasten, Sendemasten, Nieder- und Mittelspannungsleitungsmasten sowie bei anderen mastenartigen Eingriffen in Abhängigkeit von der verbleibenden erheblichen Beeinträchtigung des Landschaftsbildes; der Betrag ist in den Schutzgebieten und bei den Schutzgegenständen nach den §§ 12 bis 18 ThürNatG, in den in Landschaftsplänen festgelegten Gebieten mit einem hochwertigen oder besonders empfindlichen Landschaftsbild und in den in Landschaftsplänen festgelegten Gebieten mit einer besonderen Bedeutung für die Vogelwelt zu verdoppeln. Bei Windparks ist der Betrag entsprechend zu ermitteln, aber auf den zweifachen Höchstbetrag für Einzelanlagen zu begrenzen.164

163

Vgl. auch Überblick bei Elke Sellmann/Christian Sellmann, Naturschutzrechtliche Ersatzzahlungen beim Bau von Windenergieanlagen – am Beispiel des niedersächsischen (Lösungs-?)Weges, in: NuR 2007, 49-55 [51 f.]. 164 Hinweis: Im Rahmen einer Überprüfung der Kostenansätze in Anlage 1 der Thüringer Ausgleichsabgabenverordnung (ThürNatAVO) vom 17.03.1999 (GVBl. Nr. 8 S. 254 ff.) wurden 2002 vom Ingenieurbüro HELK Ilmplan GmbH Kosten für die Herstellung, Pflege und Entwicklung von Ersatzmaßnahmen gem. § 7 ThürNatG im Auftrag des Thüringer Ministeriums für Landwirtschaft, Naturschutz und Umwelt ermittelt (HELK 2003). Hierzu wurden im Wesentlichen die folgenden, überwiegend thüringischen Quellen herangezogen: Zuordnung der für alle Einzelmaßnahmen arithmetisch berechneten Mittelwerte und gesetzten Durchschnittskosten. Die Ermittlung der Durchschnittskosten erfolgte in der Regel über das arithmetische Mittel der aus den o. g. Quellen entnommenen Einzelkosten. Die angegebenen Kostenspannen geben die Schwankungsbreite der ausgewerteten Kostenaufstellungen wieder. Die Einzelmaßnahmen sind sehr abhängig von den jeweiligen Ausführungsbedingungen (Maschineneinsatz, Flächengröße, Hangneigung etc.). Anders als bei den einmalig anfallenden Herstellungskosten, fallen Kosten für die Entwicklungs- und Unterhaltungspflege über einen längeren Zeitraum an. Bei der Erhebung von Kosten im Rahmen von Vorhabengenehmigungen müssen die Beträge aber in der Regel mit einer einmaligen Zahlung geleistet werden. Zur Berücksichtigung der wirtschaftlichen Nachteile einer einmaligen Zahlung gegenüber mehrjährigen Zahlungen wurden die Kosten für die Entwicklungs- und Unterhaltungspflege auf einen Zeitraum von 30 Jahren abgezinst. Für Niedersachsen ist eine vergleichsweise anspruchsvolle Analyse nicht bekannt.

- 65 Es wäre also auch für das Land Niedersachsen ein Leichtes gewesen, jedenfalls für den Bereich der Windenergieanlagen eine gesonderte Regelung zu treffen. Dass dieses Bedürfnis von Anfang an bestand, zeigen gerade die verschiedenen NLT-Papiere.165 (3) Bayern. Art. 8 Abs. 3 Nr. 2 des Gesetzes über den Schutz der Natur, die Pflege der Landschaft und die Erholung in der freien Natur (Bayerisches Naturschutzgesetz – BayNatSchG) vom 23. Februar 2011 (GVBl S. 82) ermächtigt die Staatsregierung, das Nähere zur Kompensation von Eingriffen durch Rechtsverordnung zu regeln, insbesondere die Höhe der Ersatzzahlung und das Verfahren zu ihrer Erhebung. Art. 8 Abs. 3 BayNatSchG 2011 enthält insoweit eine „Abweichung“ von § 15 Abs. 7 BNatSchG 2009. Die landesgesetzliche Ermächtigungsfassung ist mit der des Bundesrechts inhaltlich textidentisch. Der rechtspolitische Zweck ist wohl, die Möglichkeit zu schaffen, die Revisibilität auszuschalten. Eine bayer. Rechtsverordnung ist bislang nicht ergangen. Aussagen enthalten die vom Ministerrat am 20. Dezember 2011 beschlossenen "Hinweise zur Planung und Genehmigung von Windkraftanlagen in Bayern" (sog. Bayerischer Windenergieerlass). 166 Danach wird die Höhe der Ersatzzahlung (jedenfalls für Windkraftanlagen) in Abhängigkeit von der Bedeutung des Landschaftsbildes (Wertstufen) und der Anlagenhöhe (Anlagenhöhe = Nabenhöhe inklusive Roterblätter) festgesetzt. Die Ermittlung der Wertstufen erfolgt in einem Umkreis des Fünfzehnfachen der Anlagenhöhe um die Anlage. Insofern können auch Ausschlussgebiete … betroffen sein. Sind mehrere Wertstufen betroffen, ist eine anteilige Berechnung durchzuführen. Für die Berechnung der Ersatzzahlung ist eine im Erlass angegebene, differenzierende Matrix bestimmend. Man kann sich gut vorstellen, dass die im Erlass angegebene Berechnungsmatrix Gegenstand einer Rechtsverordnung sein könnte. (4) Exkurs: Sachsen-Anhalt. § 2 Verordnung über die naturschutzrechtliche Ersatzzahlung (Ersatzzahlungsverordnung) vom 28. Februar 2006 (GVBl. LSA 2006, S. 72) sieht folgende Regelung vor:167 (1) Die Höhe der Ersatzzahlung bestimmt sich mit Ausnahme der Fälle des Absatzes 4 nach den Kosten, die für die unterbliebenen Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen hätten aufgewendet werden müssen. …. (4) Kann die Höhe der Ersatzzahlung für verbleibende Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes nicht nach den Bestimmungen des Absatzes 1 ermittelt werden, ist für diese Beeinträchtigungen 1. bei mastenartigen Eingriffen eine Ersatzzahlung von 500 Euro je Meter über 20 Meter Gesamtbauhöhe, 2. bei der Errichtung anderer baulicher Anlagen eine Ersatzzahlung von 50 Cent je Kubikmeter die Erdoberfläche überragenden umbauten Raumes und 3. bei der Errichtung von Freileitungen zusätzlich zu der gemäß Nummer 1 ermittelten Ersatzzahlung eine Ersatzzahlung von 1 Euro je laufenden Meter Seil, wobei Bündelleiter jeweils als ein Leiterseil anzusehen sind, 165

Vgl. kritisch zur Umsetzung des § 19 Abs. 4 BNatSchG 2002 Reinhard Sparwasser/Holger Wöckel, Zur Systematik der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung, in: NVwZ 2004, 1189-1195. 166 Gemeinsame Bekanntmachung der Bayerischen Staatsministerien des Innern, für Wissenschaft, Forschung und Kunst, der Finanzen, für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie, für Umwelt und Gesundheit sowie für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 20.12.2011 - IIB5-4112.79-057/11, B4K5106-12c/28037, 33/16/15-L 3300-077-47280/11, VI/2-6282/756, 72a-U8721.0-2011/63-1 und E6-7235.31/396 (AllMBl. 2012, S. 34). 167 § 2 in der Fassung der ändernden Verordnung vom 18. März 2011 (GVBl. LSA S. 542).

- 66 -

zu erheben. (5) Für zeitlich begrenzte Vorhaben, deren Zulässigkeit auf einen Zeitraum von höchstens 30 Jahren beschränkt ist und die zurückgebaut werden können, ohne nachhaltige Beeinträchtigungen des Naturhaushalts und des Landschaftsbildes zu hinterlassen, beträgt die Höhe der Ersatzzahlung pro Standjahr ein Dreißigstel der nach Absatz 4 ermittelten Ersatzzahlung.

Obwohl hiermit eine sehr genaue Berechnungsweise geschaffen werden sollte, kann das sachsen-anhaltinische Modell nicht als beispielgebend bewertet werden. Das Berechnungsverfahren lässt die unterschiedliche Wertigkeit des Landschaftsbildes gänzlich außer Betracht. Darauf kommt es nach den Vorgaben der §§ 13, 14 Abs. 1, 15 Abs. 1 BNatSchG 2009 gerade an.

3. Dritte Testfrage: Könnte der Landesgesetzgeber eine Präzisierung an den nachgeordneten Verordnungsgeber delegieren? (1) Die Frage ist zu verneinen. Das Land Niedersachen hatte mit § 12b NNatG 2004 durch das Gesetz zur Änderung naturschutzrechtlicher Vorschriften vom 19. Februar 2004 (Nds. GVBl S. 75) zwar eine Ermächtigungsgrundlage geschaffen, Ersatzzahlungen zu fordern. Es machte damit – wie erwähnt – von der rahmenrechtlichen Regelung des § 19 Abs. 4 BNatSchG 2002 Gebrauch. Eine ausfüllende (ausführende) Verordnungsermächtigung hatte der Landesgesetzgeber dagegen nicht vorgesehen. In § 13 Abs. 1 Nr. 6 NNatG 2004 ist lediglich ergänzend bestimmt, dass die Behörde festsetzt, in welcher Höhe Ersatzzahlungen (§ 12b Abs. 1 NNatG 2004) zu leisten seien. Der seinerzeitige Bericht des federführenden Umweltausschusses (LTags-Drucks. 15/2164 – ausgegeben 7.9.2005) erwähnt die Frage einer Verordnungsermächtigung nicht. § 6 Abs. 2 NAGBNatSchG 2010 schließt im Wege der in Anspruch genommenen Abweichungsregelung – wie erörtert – die Anwendung des § 15 Abs. 7 BNatSchG 2009 gerade aus. (2) Im Gegensatz zu Niedersachsen sahen und sehen zahlreiche, wenngleich nicht alle anderen Bundesländer eine Ermächtigung zum Erlass von ausführenden Rechtsverordnungen vor. Die Zusammenstellung ergibt folgendes Bild: 1. Baden-Württemberg § 21 Abs.6 Gesetz zum Schutz der Natur, zur Pflege der Landschaft und über die Erholungsvorsorge in der freien Landschaft vom 13.12. 2005 (GBl. S. 745), zuletzt geändert durch Gesetz vom 17.12.2009 (GBl. S. 809, 816). Eine Ausgleichsabgabe ist zu entrichten, soweit ein Eingriff nicht ausgleichbar oder in sonstiger Weise kompensierbar ist. Sie ist auch festzusetzen, wenn die Maßnahmen nicht in angemessener Zeit zu einem vollständigen Ausgleich oder einer vollständigen Kompensation führen können. Weiteres bestimmt das Landesrecht nicht. Insoweit gilt ergänzend die bundesrechtliche Regelung. Eine Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen besteht. Nach § 21 Abs. 6 regelt das Ministerium durch Rechtsverordnung im Einvernehmen mit dem Innenministerium, dem Finanzministerium, dem Wirtschaftsministerium und dem Umweltministerium die Höhe der Ausgleichsabgabe und das Verfahren zu ihrer Erhebung. Die Höhe ist nach Dauer und Schwere des Eingriffs, nach dem Zeitraum zwischen Eingriff und voller Funktionsfähigkeit der Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen, Wert oder Vorteil für den Verursacher sowie nach der wirtschaftlichen Zumutbarkeit zu bemessen. Die Schwere des Eingriffs ist bei der Berechnung der Ausgleichsabgabe in der Regel anhand der beanspruchten Fläche und der Menge des entnommenen Materials (Entnahme) zu berücksichtigen. 2. Bayern

- 67 Ersatzzahlungen im Sinn des § 15 Abs. 6 BNatSchG sind gemäß Art. 7 des Gesetzes über den Schutz der Natur, die Pflege der Landschaft und die Erholung in der freien Natur (Bayerisches Naturschutzgesetz – BayNatSchG) vom 23. Februar 2011 (GVBl S. 82) an den Bayerischen Naturschutzfonds zu entrichten und von diesem im Bereich der vom Eingriff räumlich betroffenen unteren Naturschutzbehörde nach deren näherer Bestimmung für Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege zu verwenden. Art. 8 Abs. 3 Nr. 2 des BayNatSchG 2011 ermächtigt – wie gezeigt – die Staatsregierung, das Nähere zur Kompensation von Eingriffen durch Rechtsverordnung zu regeln, insbesondere die Höhe der Ersatzzahlung und das Verfahren zu ihrer Erhebung. Hinweis BGBl. I 2011, 365 3. Berlin Sind die Beeinträchtigungen nicht oder nicht vollständig ausgleichbar oder in sonstiger Weise kompensierbar und ist der Eingriff nicht unzulässig, hat der Verursacher nach § 14a Abs. 3 Satz 1 des Berliner Naturschutzgesetzes 2011 eine Ersatzzahlung zu entrichten. Die Höhe der Ersatzzahlung bemisst sich gemäß § 14a Abs. 4 des Gesetzes nach den Kosten für die Herstellung der unterbliebenen Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen; dazu gehören auch die Kosten für deren Planung, die Flächenbereitstellung und die Entwicklungspflege einschließlich der Kontrolle. Eine Regelung zum Erlass von Rechtsverordnungen besteht insoweit nicht. Der Senat kann Verwaltungsvorschriften erlassen. 4. Brandenburg § 15 des Gesetzes über den Naturschutz und die Landschaftspflege im Land Brandenburg (Brandenburgisches Naturschutzgesetz – BbgNatSchG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. Mai 2004 (GVBl.I/2004, S.350), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 15. Juli 2010 (GVBl.I/2010 S. 2) sieht keine Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen vor. 5. Bremen Nach § 8 Abs. 7 des Bremischen Gesetzes über Naturschutz und Landschaftspflege in der Fassung des Art. 4 Bremisches Bundesnaturschutz-Ausführungsgesetz vom 27.4.2010 (Brem. GBl. S. 315) kann abweichend von § 17 Absatz 11 des Bundesnaturschutzgesetzes der Senator für Umwelt, Bau, Verkehr und Europa das Nähere zu den in § 17 Absätze 1 bis 10 des Bundesnaturschutzgesetzes geregelten Verfahren einschließlich des Kompensationsverzeichnisses bestimmen. Eine abweichende Regelung über die Ersatzgeldfestsetzungen nach § 15 BNatSchG besteht nicht. 6. Hamburg § 6 Abs. 3 des Hamburgischen Gesetzes zur Ausführung des Bundesnaturschutzgesetzes (HmbBNatSchAG) vom 11. Mai 2010 (HmbGVBl. 2010, S. 350) bestimmt lediglich, dass im Falle der Beseitigung oder teilweisen Beseitigung von Gewässern im Hafennutzungsgebiet ein Eingriff festgestellt wird, abweichend von § 15 Absatz 2 BNatSchG Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahmen nur im Hafennutzungsgebiet durchzuführen sind. Sind entsprechende Maßnahmen im Hafennutzungsgebiet nicht möglich, beträgt die fällig werdende Ersatzzahlung abweichend von § 15 Absatz 6 BNatSchG 7,50 Euro je Quadratmeter beseitigter Wasserfläche. Die Ersatzzahlung fließt in die Stiftung Lebensraum Elbe. Damit wird zugleich die Verpflichtung aus § 2 Absatz 3 des Gesetzes über die Zuführungen an die Stiftung Lebensraum Elbe vom 11. Mai 2010 erfüllt. Weitere Regelungen bestehen nicht. Hinweis BGBl. I 2011, 93. 7. Hessen § 9 des Hessischen Ausführungsgesetzes zum Bundesnaturschutzgesetz (HAGBNatSchG) vom 20.12.2010 (GVBl. I 2010, 629) sieht Ersatzzahlungen vor. Eine landesrechtliche Regelung über die Höhe der Ersatzzahlung besteht nicht. Bestimmt ist nur, dass der Eingriffsverursacher „die zur Festsetzung notwendigen Unterlagen und Berechnungen vorzulegen“ hat. Näheres bleibt offen. Hinweis BGBl. I 2011, 663. 8. Mecklenburg-Vorpommern Gesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern zur Ausführung des Bundesnaturschutzgesetzes (Naturschutzausführungsgesetz – NatSchAG M-V) vom 23. Februar 2010 (GVOBl. M-V 2010, S. 66), zuletzt geändert durch Gesetz vom 12. Juli 2010 (GVOBl. M-V S. 383, 395). § 12 Abs. 4 des Gesetzes bestimmt, dass die Ersatzzahlung nach § 15 Absatz 6 des Bundesnaturschutzgesetzes an das Land zu leisten ist und an die Stiftung Umwelt- und Naturschutz Mecklenburg-

- 68 Vorpommern weitergeleitet wird. Näheres bleibt offen. Eine Ermächtigung zum Erlass von ausführenden Rechtsverordnungen besteht landesrechtlich nicht. 9. Niedersachsen Wie erörtert: kein Befund. Hinweis: BGBl. I 2010, 970. 10. Nordrhein-Westfalen § 5 des Gesetzes zur Sicherung des Naturhaushalts und zur Entwicklung der Landschaft (Landschaftsgesetz – LG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. Juli 2000 (GV. NRW. S. 568), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 16. März 2010 (GV. NRW. S. 185), sieht die Zahlung von Ersatzgeld vor. Geregelt wird nur die Verwendung des Ersatzgeldes. Eine Ermächtigung zum Erlass von ausführenden Rechtsverordnungen besteht landesrechtlich nicht. 11. Rheinland-Pfalz § 10 Abs. 3 Landesgesetz zur nachhaltigen Entwicklung von Natur und Landschaft vom 28.9.2005 (GVBl., 387) sieht zur Durchführung von in der Zulassungsentscheidung festgelegten Ersatzmaßnahmen die Zahlung des erforderlichen Geldbetrages an die jeweilige Naturschutzbehörde (Ersatzgeld) vor. Die Höhe des Ersatzgeldes bemisst sich nach den bei der Durchführung der Ersatzmaßnahmen üblicherweise aufzuwendenden Kosten. Die Einnahme des Ersatzgeldes und seine Verwendung sind der obersten Naturschutzbehörde jeweils anzuzeigen. Die Landesregierung regelt nach § 10 Abs. 5 des Gesetzes durch Rechtsverordnung das Nähere zum Vollzug der Eingriffsregelung, zur Höhe der Ersatzzahlung und zum Verfahren zur Erhebung und Verwendung der Ersatzzahlung. 12. Saarland Das Gesetz zum Schutz der Natur und Heimat im Saarland – Saarländisches Naturschutzgesetz – (SNG) – vom 5. April 2006 (Amtsblatt 2006, S. 726), zuletzt geändert durch das Gesetz vom 28. Oktober 2008 (Amtsbl. 2009 S. 3) sieht keine Ausgleichsabgaben vor. 13. Sachsen § 9 Abs. 5 Sächsisches Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege vom 3.7.2007 (SächsGVBl. S. 321), zuletzt geändert durch Gesetz vom 12.12. 2008 (SächsGVBl., S. 866), und Art. 3 des Gesetzes zur Anpassung des Landesumweltrechts an das neue Bundesrecht aufgrund der Föderalismusreform vom 28. April 2010 (SächsGVBl S. 114), zuletzt geändert durch Art. 17 des Gesetzes vom 15.12.2010 (SächsGVBl. S. 387, 398). Soweit der Eingriff nicht voll ausgleichbar oder in sonstiger Weise kompensierbar ist, hat der Verursacher eine Ausgleichsabgabe zu entrichten. Diese ist nach Dauer und Schwere des Eingriffs, dem Wert oder dem Vorteil für den Verursacher sowie nach der wirtschaftlichen Zumutbarkeit zu bemessen. Die Abgabe ist an den Naturschutzfonds zu zahlen und darf nur für Zwecke des Naturschutzes und der Landschaftspflege, möglichst mit räumlichem Bezug zum Eingriff, verwendet werden. Das Nähere zur Bemessung und Verwendung der Ausgleichsabgabe sowie zum Verfahren ihrer Erhebung bestimmt nach § 9 Abs. 5 des Gesetzes das Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft im Einvernehmen mit dem Staatsministerium der Finanzen und dem Staatsministerium für Wirtschaft und Arbeit durch Rechtsverordnung. In diese Verordnung sind auch allgemeine Regeln über Inhalt, Art und Umfang von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen aufzunehmen. Hinweis BGBl. I 2011, 842. 14. Sachsen-Anhalt § 8 des Naturschutzgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt (NatSchG LSA) vom 10. Dezember 2010 (GVBl. LSA 2010, S. 569) ermächtigt das für Naturschutz zuständige Ministerium, auch in Abweichung zu § 15 Abs. 7 Nr. 2 des Bundesnaturschutzgesetzes durch Verordnung das Erhebungsverfahren, die Berechnung der Höhe, die Verwendung und die Verwaltung der Mittel aus den Ersatzzahlungen näher zu regeln. Hinweis BGBl. I 2011, 30. 15. Schleswig-Holstein § 9 Abs. 5 des Gesetzes zum Schutz der Natur (Landesnaturschutzgesetz - LNatSchG) vom 24.2.2010 (GVOBl. 2010, 301) – in der Fassung des Art. 2 Nr. 1 Buchst. a des Gesetzes vom 13.7.2011 (GVOBl. 2011, 225) – sieht die Zahlung von Ersatzgeld vor. Die nach § 15 Abs. 6 BNatSchG zu leistende Ersatzzahlung ist in den Fällen des § 17 Abs. 1 BNatSchG in Verbindung mit § 11 Abs. 1 an die zu beteiligende zuständige Naturschutzbehörde, in den Fällen des § 17 Abs. 3 BNatSchG in Verbindung mit § 11 Abs. 2 und 3 an die für die Genehmigung zu-

- 69 ständige Naturschutzbehörde, bei Eingriffen, die von Bundesbehörden zugelassen oder durchgeführt werden, an die oberste Naturschutzbehörde zu leisten. Sie ist vor Beginn des Eingriffs zu leisten. § 9 Abs. 7 ermächtigt die Landesregierung, hinsichtlich der folgenden Nummern 2 und 3 auch abweichend von einer Verordnung nach § 15 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG, durch Verordnung das Nähere zur Kompensation von Eingriffen zu regeln, insbesondere abweichend von § 15 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG zu Inhalt, Art und Umfang von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen einschließlich von Maßnahmen zur Entsiegelung, zur Wiedervernetzung von Lebensräumen und zur Bewirtschaftung und Pflege sowie zur Festlegung diesbezüglicher Standards, insbesondere für vergleichbare Eingriffsarten, und abweichend zu § 15 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG die Höhe der Ersatzzahlung und das Verfahren zu ihrer Erhebung. Hinweis BGBl. I 2010, 450, BGBl. I 2011, 1979. 16. Thüringen § Abs.7 Thüringer Gesetz für Natur und Landschaft vom 30.8.2006 (GVBl., S. 421) ermächtigt die oberste Naturschutzbehörde, im Einvernehmen mit dem für Finanzen zuständigen Ministerium die Höhe der Ausgleichsabgabe und das Verfahren ihrer Erhebung näher zu regeln. Dabei sind Dauer und Schwere des Eingriffs sowie Wert und Vorteil für den Verursacher zugrunde zu legen. Die Höhe der Ausgleichsabgabe ist in der Regel anhand der geschätzten Herstellungskosten der nach § 7 Absatz 6 des Gesetzes nicht realisierbaren Ersatzmaßnahmen oder der beeinträchtigten Biotope bei fehlenden Ersatzmaßnahmen zu ermitteln. Dabei sind auch die Kosten der ersparten Planungsleistungen und für voraussichtliche Folge- und Pflegemaßnahmen einschließlich der Aufwendungen für die dauerhafte Sicherung dieser Maßnahmen zu berücksichtigen.

(3) Das BVerfG hält es für möglich, dass der Gesetzgeber zur näheren Regelung eine Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung vorsieht und dass eine verfassungsrechtliche Pflicht besteht, diese Ermächtigung – in Normsetzung gleichsam arbeitsteilig – auch auszunutzen.168 Schreibt der Gesetzgeber die Ausfüllung einer gesetzlichen Regelung durch eine Rechtsverordnung vor und bleibt der Verordnunggeber jedoch untätig, ist es Verwaltung und Rechtsprechung nicht stets verwehrt, die Vorschriften des Gesetzes unmittelbar anzuwenden. Das setzt allerdings dessen unmittelbare Anwendungsfähigkeit voraus.

4. Vierte Testfrage: Lässt sich mit Hilfe üblicher Auslegungsmethoden der Regelungsgehalt des § 12b Abs. 1 Satz 3 NNatG 2004 und § 6 Abs. 1 NAGBNatSchG 2010 präzisieren? (1) Die Frage ist zu verneinen. Die üblichen Auslegungsmethoden sind Wortauslegung (grammatikalische Auslegung), Entstehungsgeschichte (historische Auslegung), logischsystematische Auslegung (Auslegung im Kontext anderer Regelungen) und zweckbezogene (teleologische) Auslegung. Keine der „Auslegungsmethoden“ erlaubt auch nur annäherungsweise, einen nachvollziehbaren Zusammenhang zwischen den vorgegebenen Kriterien der Schwere und der Dauer des Eingriffs einerseits und einer festzusetzenden Betragshöhe herzustellen. Das wurde aufgewiesen. (2) Wie vertiefend erörtert, ist vor allem das OVG Lüneburg in seinem Urteil vom 16.12.2009 in eine Uminterpretation des § 12b Abs. 1 Satz 3 NNatG 2004 ausgewichen. Das geschah in zwei Schritten. Zum einen hat das Gericht das gesetzliche System der Kappungsgrenze in ein lineares Intensitätsmodell reformuliert. Zum anderen hat das Gericht – da auch das so reformulierte Modell keine weitere Präzisierung erlaubt – eine Plausibilitätsprüfung der jeweiligen behördlichen Entscheidung als hinreichend beurteilt. Insgesamt 168

BVerfG, Beschluss vom 30.11.1988 - 1 BvR 1301/84 – BVerfGE 79, 174 = DVBl 1989, 352 = NJW 1989, 1271.

- 70 ist die Prüfungsintensität textfern. Selbst die NTL-Papiere 2005 ff. legen nur Annäherungswerte einer Stufung der Schwere des Eingriffs zugrunde, ohne dafür eine nähere, am Gesetzestext ausgerichtete Begründung zu geben. (3) Von Bedeutung ist stets die Frage, ob im Wege einer verfassungskonformen Auslegung die Feststellung der Nichtigkeit der zu prüfenden Norm zu vermeiden ist. 169 Ein Gesetz ist nicht verfassungswidrig, wenn eine Auslegung möglich ist, die im Einklang mit dem Grundgesetz steht, und das Gesetz bei dieser Auslegung sinnvoll bleibt.170 Auch diese Möglichkeit besteht vorliegend nicht. Eine verfassungskonforme Auslegung findet dort ihre Grenzen, wo der klare historische Wille des Gesetzgebers missachtet werden würde. 171 Eine derartige Sachlage besteht hier. Die gegenläufigen Bemühungen des OVG Lüneburg, wie sie in seinem Urteil vom 16. Dezember 2009 unternommen werden, können nicht überzeugen.172 Sie werden dem historisch nachweisen Ableitungszusammenhang der 7%Regelung und der im gesetzgeberischen Entscheidungsverfahren sowohl zu § 12b Abs. 1 NNatG 2004 als auch zu § 6 Abs. 1 NAGBNatSchG 2010 nicht gerecht. Auch die Entschließung des Landtages zur Überprüfbarkeit der gesetzlichen Regelung und die darauf gegebene Antwort (vgl. oben S. ??) beschreiben einen anderen Kontext, als das OVG Lüneburg in seinem Urteil vom 16. Dezember 2009 zu rekonstruieren unternimmt. Selbst wenn man eine Art „verfassungskonformer“ Auslegung annehmen wollte, so muss diese ihrerseits den Anforderungen an den Grundsatz der Bestimmtheit erfüllen.173

5. Fünfte Testfrage: Lässt sich die landesgesetzliche Regelung durch Rückgriff auf die bundesgesetzliche Ermächtigungsgrundlage präzisieren? (1) Die Frage ist zu verneinen. § 12b Abs. 1 NNatG 2004 ist in Umsetzung der rahmenrechtlichen Regelung des § 19 Abs. 4 BNatSchG 2002 ergangen. Der Bundesgesetzgeber ermächtigt die Länder zu Regelungen, für nicht kompensierbare Beeinträchtigungen „Ersatz in Geld“ vorzusehen. Da vermutet werden darf, dass sich ein Landesgesetzgeber im Zweifel an die ihn ermächtigenden Vorgaben halten will, ist dies an sich ein geeignetes Mittel, um eine landesgesetzliche Regelung nicht nur bundesrechtskonform auszulegen, sondern dadurch zugleich interpretatorisch zu präzisieren. (2) Diese denkbare Vorgehensweise misslingt hier: Die seinerzeitige bundesgesetzliche Rahmenregelung des § 19 Abs. 4 BNatSchG 2002 enthielt ihrerseits keine näheren Maßstabskriterien, sondern nur eine an den Landesgesetzgeber gerichtete „rahmenrechtliche“ Ermächtigung. Der Bundesgesetzgeber hatte für den eigenen Regelungsbereich eine Er169

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.11.1958 - 2 BvL 4/56 - BVerfGE 8, 274 [324] Rn. 190 = DVBl 1959, 171 (Ermächtigung im Sinne des § 2 Abs. 1 PreisG zum Erlass von Rechtsverordnungen und Verwaltungsakten zur Aufrechterhaltung der Preisstabilität). 170 So bereits BVerfG, Beschluss vom 7.5.1953 - 1 BvL 104/52 – BVerfGE 2, 266 (Notaufnahmegesetz) 171 Vgl. bereits BVerfG, Beschluss vom 11.6.1958 - 1 BvL 149/52 – BVerfGE 8, 28 [33] = NJW 1958, 1227; aus neuerer Zeit u.a. BVerfG, Beschluss vom 21.7.2010 - 1 BvL 8/07 - BVerfGE 126, 331 [355]; BVerfG, Beschluss vom 22.9.2009 - 2 BvL 3/02 – BVerfGE 124, 251 [263] = DVBl 2009, 1447 (Besteuerung von Leibrenten); BVerfG, Beschluss vom 10.6.2009 - 1 BvR 825/08 – BVerfGE 124, 25 [39] (Basistarif); BVerfG, Beschluss vom 14.10.2008 - 1 BvR 2310/06 - BVerfGE 122, 39 [61] = DVBl 2008, 1500 (Beratungshilfe); BVerfG, Beschluss vom 12.3.2008 - 2 BvF 4/03 - BVerfGE 121, 30 [68] = DVBl 2008, 507 (Hessisches Privatrundfunkgesetz). Vgl. auch Michael Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG – Einführung, Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Rn. 54. 172 Rn. 59 f. 173 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 11.3.2008 - 1 BvR 2074/05 - BVerfGE 120, 378 [407] Rn. 153 ff. = DVBl 2008, 575 = NJW 2008, 1505 (automatisierte Kennzeichenerfassung); BVerfG, Beschluss vom 16.1.2003 - 2 BvR 716/01 - BVerfGE 107, 104 [128 f.] = NJW 2003, 2004 (Anwesenheitsausschluss im JGG-Verfahren).

- 71 satzgeldzahlung nicht vorgesehen. Da der nds. Landesgesetzgeber in § 6 NAGBNatSchG 2010 eine Übernahme der bundesgesetzlichen Ersatzgeldlösung (§ 15 Abs. 6 und 7 BNatSchG 2009) gerade bewusst ausgeschlossen hat, kann das Landesrecht insoweit auch nicht bundesrechtskonform interpretiert werden.

6. Sechste Testfrage: Hat der Landesgesetzgeber der Exekutive einen Beurteilungsspielraum eingeräumt? (1) Die Frage ist im Grundsatz zu verneinen. Ob das materielle Recht in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise das Entscheidungsverhalten nicht vollständig determiniert und der Verwaltung einen Einschätzungs- und Auswahlspielraum belässt, muss sich ausdrücklich aus dem Gesetz ergeben oder durch Auslegung hinreichend deutlich zu ermitteln sein. Es kann weder der Verwaltung noch den Gerichten überlassen werden, ohne gesetzliche Grundlage durch die Annahme behördlicher Letztentscheidungsrechte die Grenzen zwischen Gesetzesbindung und grundsätzlich umfassender Rechtskontrolle der Verwaltung zu verschieben.174 Andernfalls könnten diese "in eigener Sache" die grundgesetzliche Rollenverteilung zwischen Exekutive und Judikative verändern. Will der Gesetzgeber die gerichtliche Kontrolle zurücknehmen, so hat er zu berücksichtigen, dass die letztverbindliche Normauslegung und die Kontrolle der Rechtsanwendung im Einzelfall grundsätzlich den Gerichten vorbehalten ist. Nimmt also ein Gericht ein behördliches Letztentscheidungsrecht an, das mangels gesetzlicher Grundlage nicht besteht, und unterlässt es deshalb die vollständige Prüfung der Behördenentscheidung auf ihre Gesetzmäßigkeit, steht dies nicht nur in Widerspruch zur Gesetzesbindung der Gerichte (Art. 20 Abs. 3, Art. 97 Abs. 1 GG), sondern verletzt vor allem auch das Versprechen wirksamen Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG.175 (2) Angesichts dieser verfassungsrechtlichen Ausgangslage kann eine administrative Letztentscheidung – auch in der Variante eines Beurteilungsspielraums – nur bei einer hinreichend klaren Auslegungslage angenommen werden. Das ist bei § 12b Abs. 1 NNatG 2004 und bei § 6 Abs. 1 NAGBNatSchG 2010 nicht gegeben. Der Gesetzestext enthält für die zu prüfende Annahme, der Landesgesetzgeber habe den ausführenden Behörden einen Beurteilungsspielraum einräumen wollen, keinen Hinweis. Die gesetzgeberische Lösung bestimmt lediglich, dass die zuständige Behörde die Höhe der Ausgleichsabgabe festzusetzen habe. Der bereits erwähnte Bericht des federführenden Umweltausschusses (LTagsDrucks. 15/2164 – ausgegeben 7.9.2005) erwähnt die Frage eines Beurteilungsspielraumes nicht. Auch im übrigen erwähnte die Entstehungsgeschichte der Gesetzesänderung NNatG 2004 die Frage nicht einmal ansatzweise. Danach darf man den Gesetzgeber dahin verstehen, dass er von der Annahme ausging, der geschaffene § 12b Abs. 1 NNatG 2004 sei hinreichend „subsumtionsfähig“.

7. Siebente Testfrage: Wäre der Landesgesetzgeber befugt gewesen, der Exekutive einen Beurteilungsspielraum einzuräumen? (1) Die Frage ist zu verneinen. Es ist gibt keine Beliebigkeit für den Gesetzgeber, administrative Beurteilungsspielräume einzuräumen. Das BVerfG hat zwar jüngst offen gelassen, ob gerichtlich nur eingeschränkt nachprüfbare Entscheidungsspielräume der Verwaltung (ausnahmsweise) auch ohne gesetzliche Grundlage von Verfassungs wegen dann zu174 175

BVerfG, Beschluss vom 31.5.2011 - 1 BvR 857/07 – NVwZ 2011, 1062 Rn. 74. BVerfG, Beschluss vom 31.5.2011 - 1 BvR 857/07 – NVwZ 2011, 1062 Rn. 74.

- 72 lässig sind, wenn eine weitergehende gerichtliche Kontrolle zweifelsfrei an die Funktionsgrenzen der Rechtsprechung stieße.176 So ist die Sachlage vorliegend nicht. Für die administrative „Bearbeitung“ der Ersatzgeldregelung können nicht einmal im Ansatz Gründe für eine immanente Funktionsbegrenzung gefunden werden. Das hier erörterte Problem der Bestimmtheit ist keines der Administration, sondern des Landesgesetzgebers, der sich nicht um eine subsumtionsfähige Regelung bemüht. Es fehlt im übrigen auch – ohne dass es darauf mangels der erforderlichen gesetzlichen Regelung noch entscheidend ankäme – an einem tragfähigen Sachgrund für eine behördliche Letztentscheidungsbefugnis. Die Rechtsprechung gelangt bei der Überprüfung einer behördlichen Festsetzungsentscheidung nicht an die Grenzen einer immanenten Funktionsfähigkeit, weil diese Frage dem Sachproblem inhärent ist. Vielmehr läuft die am Maßstab des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG auszurichtende effektive Kontrolldichte leer, weil die gesetzlichen Regelungen unbestimmt, nicht determinierend und damit defizitär sind. Ein hinreichend bestimmtes Entscheidungsprogramm besteht nicht.177 Die rekonstruierende Annahme eines faktisch zugrunde gelegten Beurteilungsspielraums kaschiert diesen Befund nur, kann ihn aber deshalb nicht legitimieren. Das BVerfG hat wiederholt betont, dass es in diesem Zusammenhang unerheblich ist, ob Entscheidungen der Verwaltung auf fachlichen Bewertungen beruhen, die ohne spezialisierten Sachverstand nicht nachvollziehbar sind. Der Verwaltung stehe auch bei besonderer fachlicher Kompetenz kein besonderer, einer gerichtlichen Überprüfung entzogener Entscheidungsspielraum zu. Das BVerfG hat in seiner Rechtsprechung dementsprechend einen Beurteilungsspielraum der Exekutive nur in Ausnahmefällen und nur dann anerkannt, wenn jener aus besonderen Gründen unumgänglich erschien.178 Die Argumentationslast steht beim Normgeber, nicht indes beim betroffenen Bürger. (2) Selbst wenn man die NLT-Papiere funktional als Verwaltungsvorschrift ansehen würde, ändert dies an der Rechtslage nichts. Soweit allgemeine Verwaltungsvorschriften die einheitliche Rechtsanwendung durch die Behörden für diese verbindlich regeln wollen, verändert dies nichts an Umfang und Intensität der durch Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gebotenen gerichtlichen Kontrolle. Verwaltungsvorschriften, mit denen die Verwaltung einen einheitlichen Verwaltungsvollzug bei der Auslegung und Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe oder bei der Ausübung des Verwaltungsermessens sicherstellen will, sind grundsätzlich Gegenstand, nicht jedoch Maßstab richterlicher Kontrolle des Verwaltungshandelns.179

F. Zusammenfassung 1. Bundesrechtlich vorgegeben ist, dass erhebliche Eingriffe in Natur und Landschaft, die nicht zu vermeiden sind oder die nicht in angemessener Frist ausgeglichen werden können, eine Ersatzzahlung nach sich ziehen (vgl. §§ 13, 15 Abs. 6 S. 1 BNatSchG 2009). 176

BVerfG, Beschluss vom 31.5.2011 - 1 BvR 857/07 – NVwZ 2011, 1062 Rn. 76 mit Bezugnahme auf BVerfG, Beschluss vom 17.04.1991 - 1 BvR 419/81 - BVerfGE 84, 34 [50] = DVBl 1991, 801 = NJW 1991, 2005; BVerfG, Beschluss vom 17.4.1991 1 BvR 1529/84 - BVerfGE 84, 59 [77 f.] = DVBl 1991, 805. 177 Vgl. hinzu BVerfG, Beschluss vom 10.12.2009 - 1 BvR 3151/07 - DVBl 2010, 250 = NVwZ 2010, 435 mit Bezugnahme auf BVerfG, Beschluss vom 16.12.1992 - 1 BvR 167/87 - BVerfGE 88, 40 [56] = NVwZ 1993, 666; BVerfG, Urteil vom 20.2.2001 - 2 BvR 1444/00 - BVerfGE 103, 142 [156 f.] Rn. 50 ff. = DVBl 2001, 637 = NJW 2001, 1121. 178 Vgl. Überblick bei Klaus Rennert, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 114 Rn. 51 ff. 179 BVerfG, Beschluss vom 31.5.2011 - 1 BvR 857/07 – NVwZ 2011, 1062 Rn. 71.

- 73 2. § 6 Abs. 1 Satz 1 NAGBNatSchG 2010 ist aus bundesverfassungsrechtlicher Sicht nicht kompetenzwidrig. Den sich aus der Abweichungskompetenz des Landes nach Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GG ergebenden bundesverfassungsrechtlichen Anforderungen wird genügt. Problematisch bleibt, wie § 6 Abs. 2 NAGBNatSchG 2010 zu verstehen ist. Der Landesgesetzgeber betrachtet eine verordnungsrechtliche Ermächtigung zur Detailregelung als überflüssig. Nach seiner Ansicht enthält § 6 Abs. 1 NAGBNatSchG 2010 einen kompletten Regelungsgehalt. Ob die Regelung inhaltlich verfassungswidrig ist, berührt die Kompetenzfrage nicht. 3. § 6 Abs. 1 Satz 1 NAGBNatSchG 2010 muss sich inhaltlich an Bundesverfassungsrecht messen lassen. Bestandteil bundesverfassungsrechtlicher Ordnung ist der rechtsstaatliche Grundsatz der Bestimmtheit jeder gesetzlichen Regelung. Diesem Erfordernis kann der Landesgesetzgeber allein oder ggf. im Zusammenwirken mit einer Rechtsverordnung, zu deren Erlass er ermächtigt ist, genügen. Der gebotene Detailreichtum seiner Regelung bestimmt sich nach dem Sachbereich, der zu normieren ist. Kriterium ist die Anwendungssicherheit, verbunden mit dem aus Art. 3 Abs. 1 GG abzuleitenden Gleichbehandlungsgrundsatz. Bestandteil bundesverfassungsrechtlicher Ordnung ist auch eine auf tatsächliche Verhältnisse zurückzuführende rationale Gesetzgebung. 4. § 6 Abs. 1 Satz 1 NAGBNatSchG 2010 genügt diesen Anforderungen nicht. Die landesgesetzliche Regelung ist bundesverfassungswidrig. Versuche, durch eine übliche juristische Auslegung einen gesicherten Anwendungskern zu ermitteln, scheitern. Hinreichende Belege hierfür sind zum einen die uneinheitliche Judikatur der niedersächsischen Verwaltungsgerichte. Sie weisen auf, dass die Gerichte sich der Sache nach in Ermangelung klarer normativer Vorgaben auf eine Plausibilitätskontrolle beschränken. Dazu fehlt es indes an einer gesetzlichen Ermächtigung. Sie wäre auch bundesverfassungsrechtlich nicht zulässig. Eine von Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG geforderte effektive Rechtsschutzkontrolle scheitert, weil es an einer subsumtionsfähigen Regelung fehlt. Zum anderen zeigt die faktische „Erlasspraxis“ des Niedersächsischen Landkreistages (NLT), dass eine sachgerechte Auslegung mit beabsichtigter Anwendungssicherheit nicht gelingt. Eine derartige „Erlasspraxis“, welche eine fehlende verordnungsrechtliche Regelung zu substituieren sucht, verstößt ohnedies gegen den Vorbehalt und den Vorrang des Gesetzes. 5. Die Entstehungsgeschichte des § 6 Abs. 1 Satz 1 NAGBNatSchG 2010 und der Vorgängerregelung des §12b NNatSchG 2004 enthält deutliche Mängel einer rationalen Gesetzgebung. Die Begrenzung der Ersatzzahlung auf einen Prozentsatz einer Investitionssumme stellt außerdem einen Zusammenhang zwischen Aufwand und Eingriffsintensität her, der sachwidrig ist.

Jörg Berkemann Hamburg/Berlin, den 28. Dezember 2012

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