Psychotherapeutische Interventionen nach einer Lungentransplantation

18.12.06 Rheinfelder Tage: Psychosomatik und Lunge - Workshop - Überblick Psychotherapeutische Interventionen nach einer Lungentransplantation Psy...
Author: Stephan Hauer
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18.12.06

Rheinfelder Tage: Psychosomatik und Lunge - Workshop -

Überblick

Psychotherapeutische Interventionen nach einer Lungentransplantation

Psychotherapeutische Interventionen (Modell, Beispiele) Hybris & Weisheit

Prof. Dr. med. Lutz Götzmann Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Segeberger Kliniken, Bad Segeberg

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Verarbeitung der Transplantation: Psychodynamisches Modell

S. Freuds Eisberg-Modell

Hier und Jetzt

Psychisches Problem

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Krisenmodell für die psychische Verarbeitung einer Organtransplantation (nach de Coulon, 1999)

Psychotherapie nach einer Organtransplantation

Auslösender Faktor: Transplantation

Auftauchen aus der Krise

Postoperative traumatische Krise Regression

Erholung durch psychosoziale Interventionen Spontane Erholung

Krise: Unsicherheit Angst 5

De Coulon N (1999). La Crise. Stratégies d´ intervention thérapeutic en psychiatrie. Paris: Gaetan Morin Editeur

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Verarbeitung der Transplantation: Trauma – Krankheit - Transplantation

Atem – Angst

Organverlust

„Hier und jetzt“

Organverlust

(Teufelskreis)

Beispiele:

Angst

Verlust / Fragmentierung Differenz Ichideal – körperliche Leistungsfähigkeit Objektverlust 7

Goetzmann L (2006) The “feeling to be unsafe” after a lung transplant: Aetiological considerations and psychotherapeutic intervention tools. Psychodynamic8 Practice 12: 165-176.

Psychotherapie nach einer Organtransplantation

Holding Containing Encouragment

Compliance-Probleme / Todestrieb & Selbstdestruktion

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Psychosoziale Profile vor und nach einer Organtransplantation

Infection

Rejection

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Goetzmann L et al. (2008) Psychosocial Profiles after Transplantation: a 24-Month Follow-up in Heart, Lung, Liver, Kidney and Allogeneic Bone-Marrow Patients. Transplantation, 86, 12 662-668.

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„Todestrieb“

Jenseits des Lustprinzips

Chiffre für einen aggressiven Prozess, der zum Tode führen kann, weil das Individuum eine Abschaffung oder Auflösung seiner selbst oder der Anderen anstrebt.

vs.

Traumatisches Genießen (jouissance)

A. Green, Le travail du négatif

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Non-Adherence nach Organtransplantation

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Problemfelder bei Non-Adherence nach Organtransplantation

20-30 % Non-Adherence nach Organtransplantation

Organisatorische Probleme Probleme in der Arzt-Patientenbeziehung Aktuelle psychosoziale Probleme Überdauernde psychische Probleme

Probleme bei Einnahme von Medikamenten, Einhalten von Terminen, Durchführen weiterer BehandlungsMassnahmen (z.B. Inhalieren)

(z.B. Todestrieb-Phänomene)

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Lebens- und Todestrieb in der Psychoanalyse Lebens- und Todestrieb in der Psychoanalyse

Idee eines biologischen Triebs, Antagonismus

Erste Konzepte

Sigmund Freud Sabina Spielrein: - „Werde- und Zerstörungstrieb“ als Teile des Fortpflanzungstriebs (1912) - Antagonismus zwischen Lebens- und Todestrieb

Spielrein S. Die Destruktion als Ursache des Werdens. Jahrbuch für psychoanalytische und psychopathologische Forschungen, Bd. IV, 1912, 465-503.

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- Todestrieb = biologischer Trieb (1920) - Ziel: Nullzustand der energetischen Erregung = Anorganizität - Lebenstrieb fasst Elemente in grösseren Einheiten („aufbauen, bejahen, binden“) - Todestrieb zielt in Richtung Auflösung, Entstrukturierung, Entbindung. - Sadismus / Masochismus: Partialtriebe des Todestriebs Freud S. Jenseits des Lustprinzips 1920, GW XIII, S. 1-69

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Lebens- und Todestrieb in der Psychoanalyse Lebens- und Todestrieb in der Psychoanalyse

Entbindung Anorganizität

Lebenstrieb

Triebmischung, Ubiquität Sigmund Freud -Eros und Todestrieb sind ubiquitär (1923) -Eros und Todestrieb sind normalerweise gemischt (1923) -Seelische Konflikte = Kampf zwischen libidinösen und destruktiven Impulsen (1937)

Todestrieb

Bindung Organizität

Freud S. Das Ich und das Es, 1923 GW XIII, S. 235-289 Freud S. Die endliche und unendliche Analyse. 1937, GW 16, S. 57-99.

Mischung & Konflikt

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Lebens- und Todestrieb in der Psychoanalyse „Nur das Zusammen- und Gegeneinanderwirken beider Urtriebe, Eros und Todestrieb, erklärt die Buntheit der Lebenserscheinungen, niemals einer von ihnen allein.“

Nicht atmen vergessen!

Otto Jägersberg

Freud S. Die endliche und unendliche Analyse. 1937, GW 16, S. 57-99. 21

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Lebens- und Todestrieb in der Psychoanalyse

Lebens- und Todestrieb in der Psychoanalyse

Triebentmischung nach Herbert Rosenfeld (1990) Anorganizität Destruktive Teile des Selbst werden von einem libidinösen und sorgenden Selbst abgespalten. Das libidinöse Selbst scheint zu verschwinden. Das gesamte Selbst wird vorübergehend mit dem destruktiven Selbst identifiziert.

Metapher für den Zustand eines unbezogenen, empfindungslosen, mineralischen Elements der anorganischen Natur? Oder gefühlter Zustand?

Rosenfeld H. Beitrag zur psychoanalytischen Theorie des Lebensund Todestriebes aus klinischer Sicht: Eine Untersuchung der aggressiven Aspekte des Narzissmus. In: Bott Spillius E. Melanie Klein heute. Entwicklungen in Theorie und Praxis, Band 1. Beiträge zur Theorie. Klett-Cotta: Stuttgart 1990. 23

Innere Wahrheit?

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Die Rolle des Wiederholungszwangs Die Rolle des Wiederholungszwangs

Restitutiv-bindend / Repräsentanzen aufbauend

Repetitiv-entbindend, Repräsentanzen auflösend

Psychische Bindung: Eine traumatische Erfahrung überflutet die Psyche; die Abwehr versucht, diese Überschwemmung zu binden, indem sie die Stimulation filtert und die Erfahrung durch Repräsentanzen strukturiert.

Psychische Regression: Eine früherer Zustand wird angestrebt, der unter dem Druck äusserer Kräfte aufgegeben wurde.

Bewältigung von Traumata in Handlungen oder mit Worten. 25

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Masochismus / Sadismus (nach Freud)

Die Rolle des Wiederholungszwangs „Wiederholung“ – von der Fixierung auf die Lust („Erinnerung, Wiederholen, Durcharbeiten”, 1914) zur Wiederbegegnung mit dem Trauma („Jenseits des Lustprinzips“, 1920)

Objekt Subjekt

Masochismus Ursprünglicher Partialtrieb des Todestriebes, wendet sich in Form von Sadismus sekundär gegen das Objekt.

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Die Rolle des Wiederholungszwangs (nach Melanie Klein, 1946)

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Todestrieb nach André Green (1993)

Wendung des Todestriebes nach aussen

Es gibt kein klinisches Argument als Beweis für die Existenz des Todestriebs. Todestrieb = Chiffre für einen aggressiven Prozess, der zum Tod führen kann, weil das Individuum eine Abschaffung oder Auflösung seiner selbst oder der Anderen anstrebt.

= Wendung der Aggressivität gegen anderes Objekte Individuum erschafft sich mit Hilfe der Projektion ein „schlechtes Objekt“, das aggressiv behandelt werden kann Todestrieb in der Gegenübertragung Gefühl von Lähmung, Totsein, Pessimismus, Hoffnungslosigkeit oder Aggressivität (letzteres z.B. wenn Analytiker zum verfolgenden Überich wird).

Green A. Pulsion de mort, narcissisme négatif, fonction désobjectalisante. In: Le travail du négatif. Paris Éds. de Minuit) 1993, S. 113-122.

Klein M. Notes on some schizoid mechanism. The development of mental functioning. International Journal of Psycho-Analysis 1946, 27, 99-110. 29

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Lebens- und Todestrieb in der Psychoanalyse

Todestrieb nach André Green (1993)

Todestrieb nach André Green und Hanna Segal Bedürfnisse

• Objektalisierung: Das Individuum schafft eine Beziehung zu inneren und äusseren Objekten, die Objektalisierung kann auch psychische Aktivitäten betreffen.

Frustration

Erfüllung

• Desobjektalisierung: Angriff der Objektbeziehung, des Ichs und sogar der Besetzung ( = Manifestation des Todestriebes). Green A. Pulsion de mort, narcissisme négatif, fonction désobjectalisante. In: Le travail du négatif. Paris Éds. de Minuit) 1993, S. 113-122.

Befriedigung der Bedürfnisse

Destruktion der Bedürfnisse

Liebe → Selbst Liebe → Umwelt

Objektalisierung

Destruktion → Selbst Destruktion → Umwelt

Konflikt

Desobjektalisierung

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Todestrieb bei Transplantationspatienten Todestrieb nach Hanna Segal (1993)

Frühe Frustrationen + aktuelle Frustrationen Medizinisch: Abstossung, NW Psychosozial: Regression, Überlebens-Schuld, negative therapeutische Reaktion

Der Todestrieb produziert… Angst (vor der Vernichtung) Schmerz (durch die Bedrohung) Schuld (durch das Überich) Freude (durch die Befriedigung des Todestriebs)

Wiederholungszwang Trieb-Entmischung

Segal H. On the clinical usefulness of the concept of the death instinct. Int J Psycho-Anal 1993, 74, 55-61

Besetzungsabzug / Desobjektalisierung = Non-Adherence 33

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Lebens- und Todestrieb bei Non-Adherence Aktuelle Frustrationen

Destruktivität (Non-Adherence)

Fallvignette: Zaun, Kälte, Revolver Frühe Frustrationen 35

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Todestrieb bei Transplantationspatienten Das therapeutische Problem der Wiederholung

Frühe Frustrationen

1.) repräsentierte Wiederholung 2.) nicht-repräsentierte Wiederholung, die zur Repräsentation gelangen kann 3.) die nicht-repräsentierbare Wiederholung in Form von Erinnerungsspuren, die sich als „Schicksal“ tarnen. Marucco NC. Zwischen Erinnerung und Schicksal: die Wiederholung. Psyche – Z Psychoanal 61, 2007, 322-344

+ aktuelle Frustrationen Medizinisch: Abstossung, NW Psychosozial: Regression, Überlebens-Schuld, negative therapeutische Reaktion

Wiederholungszwang Trieb-Entmischung

Besetzungsabzug / Desobjektalisierung = Non-Adherence 37

Das therapeutische Problem der Wiederholung (nach Noberto C. Marucco, 2007)

Das therapeutische Problem der Wiederholung (nach Noberto C. Marucco, 2007)

„Reine Wiederholung“ (Todestrieb) ist eine Art „Triebkeim“, der sich im „Agieren“, in der „Somatisierung“ oder als „Schicksal“ äußert und die Patienten zum Verstummen bringt: die psychische Substanz verarmt. Transplantationspatienten: Agieren: Non-Adherence Somatisierung: Dyspnoe / Erschöpfung Schicksal: Resignation

Ansprechen + psychisches Gewebe wiederherstellen (Beziehung, Kontakt)

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Das Nicht-Repräsentierbare wird von den Elementen des Unbewussten angezogen + tritt in Form von Symptomen, Handlungen, aber auch von Träumen und Gedanken auf.

Durch Konstruktionen (Kälte, Zaun) wird ein „Auffangnetz“ aus Repräsentanzen hergestellt – Aufbau einer inneren Welt.

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Behandlungshinweise bei Selbst-Destruktivität nach einer Organtransplantation

Fazit für die Praktiker! („Angewandte Psychoanalyse“)

Erkennen der Abwendung („Desobjektalisierung“) (Wieder-)Aufbau der therapeutischen Beziehung Kontakt mit dem libidinösen Anteil Thematisierung der aktuellen Frustrationen Verbindung zu früheren Frustrations-Erfahrungen (Traumata, Konflikte) Verarbeitung der aktuellen und frühen Frustrationen Problem I: „Wiederholungszwang“ Problem II: Nicht-Repräsentierbarkeit früher Erfahrungen

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Non-Adherence ist multifaktoriell bedingt Individuelles Muster der Risikofaktoren erkennen (organisatorisch vs. psychosozial vs. psychisch) Subjektives Erleben berücksichtigen Selbstdestruktive Tendenzen erkennen und behandeln Seminare für Experten und Patienten Interdisziplinäre Zusammenarbeit 42

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Fazit für die Praktiker! („Angewandte Psychoanalyse“)

Cave:

Kurzer Ausflug in die Welt der psychosomatischen Symptome

Schleichende Desobjektalisierung (negative therapeutische Reaktion, mangelnde Selbstfürsorge)

+ Massenabfertigung 43

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Die Achse der Psychosomatischen Totalität Konversionsstörung, symbolischer Typ

Konversionsstörung, asymbolischer Typ

Abwehr

Abwehr

- Metapher -

Achse am symbolisch-imaginäre Pol Das Imaginäre konnte sich entfalten und ist intakt (= erträgliche Abwesenheit / Anwesenheit des Primärobjekts) + Triangulierung ( symbolische Kapazität Symbolisierung

- Metonymie -

Chimäre / Image - Zone der Präsenz -

Symbolisch-imaginärer Pol

Imaginär-organischer Pol

Boromäische Matrix

Das Reale, Imaginäre & Symbolische

R E A L I T Ä T

triangulärer Konflikte / aktueller Traumata)

Achse am imaginär-organischen Pol Das Imaginäre konnte sich nicht entfalten und / oder wurde von traumatischen* Krypten durchlöchert (= unerträgliche Abwesenheit / Anwesenheit des Primärobjekts) + traumatische Dyade ( keine symbolische Kapazität) * nicht-repräsentiert, nicht-repräsentierbar vgl. Abraham N, Torok M. Kryptonymie. Das Verbarium des Wolfsmanns. Engeler, Basel / Weil am Rhein, 2008.

Zone der Präsenz

In der „Mitte“ der Achse ist eine Stelle, an welcher Körper und Psyche im Gleichgewicht sind, d.h. die psychosomatische Brust (Container / Contained) funktioniert (vgl. Magnenat, 2016).

Zum Abschluss

Hybris & Weisheit in der Transplantationsmedizin

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Das Transplantat als narzisstische Prothese

Die Tragik des „Göttlichen Ichs“....

„Der Mensch ist sozusagen eine Art Prothesengott geworden, recht großartig, wenn er alle seine Hilfsorgane anlegt, aber sie sind nicht mit ihm verwachsen und machen ihm gelegentlich noch viel zu schaffen.“

S. Freud: Das Unbehagen in der Kultur (1930, 450-451) 49

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Die Frage des Prothesengottes in der Transplantationsmedizin (vgl. Decker, Der Prothesengott, 2004)

Potential des Narzissmus

Das Transplantat als Prothese bedeutet ...

man's creativity ability to be empathic capacity to contemplate his own impermanence sense of humor wisdom

•für die Patienten eine narzisstische Erweiterung des Körpers, z.B. als Übergangsobjekt oder inkorporiertes Introjekt, er kann damit überleben Bedenke: endlicher Körper •für die Ärzte einen Akt narzisstischer Omnipotenz, Einlösung einer allmächtigen Heilserwartung (vgl. „das göttliche Ich“) Bedenke: Sterblichkeit der Patienten, eigene Grenzen

Kohut, H. Forms and Transformations of Narcissism. Journal of the American Psychoanalytic Association 1966, 14: 243-272

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Die Summe des Leidens ist Weisheit. Rolf Herrmann (1951-2008) Das Neue Leben 53

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