Psychiatrische Pflege im Wandel

Psychiatrische Pflege im Wandel – Adhärenz Therapie als ein Beispiel für ein zukunftsfähiges Berufsprofil 11.09.2008 Dr. rer. medic. Michael Schulz ...
Author: Kerstin Voss
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Psychiatrische Pflege im Wandel – Adhärenz Therapie als ein Beispiel für ein zukunftsfähiges Berufsprofil

11.09.2008 Dr. rer. medic. Michael Schulz

Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Münster

Klinik für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin

Gilead Krankenanstalten

Die Zukunft hat viele Namen. Für Schwachen ist sie das Unerreichbare. Für die Furchtsamen ist sie das Unbekannte. Für die Tapferen ist sie die Chance. Victor Hugo

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Der Schwache

Anzahl der Entlassung pro Pflegekraft

Durchschnittliche Vergütung Krankenhauspersonal (in TSD Euro)

Aus Salfeld et al, 2007

Arbeitsüberlastung/ Unzufriedenheit mit der Arbeit 25% fühlen sich überlastet, aber nur 5% sind unzufrieden mit der Arbeit, diese Werte sind in Psychiatrie und Somatik nahezu identisch

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Der Furchtsame

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Finanzierungssystem • DRG oder PsychPV oder beides? • Überalterung der Berufsgruppe • Schwitzkasten: Ressourcendruck und Allokation

Der Tapfere

Burnout (Maslach Burnout Inventory, MBI) Emotionale Erschöpfung:

Somatik 35,6%, Psychiatrie 20,4%

Depersonalisation:

Somatik 16,1%, Psychiatrie 8,2%

Effort-Reward-Imbalance 20% der Studienteilnehmer weisen einen Score >1 auf, d.h. das Verhältnis zwischen Arbeit/Anstrengung und Ertrag/Belohnung ist negativ In der Somatik liegt dieser Anteil bei 26%, in der Psychiatrie bei 11%

Schulz et al in press

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Aus der Pflegedokumentation:

„Hausbesuch mit Frau M. hat gut geklappt. Wahn ist so Lala. Katze ok“.

Psychiatrische Pflege in der Krise „

„Psychiatrische Pflege steht an einem Scheidepunkt, an dem sie Gefahr läuft, sowohl, ihre Bedeutung, als auch ihre Identität innerhalb der Profession zu verlieren. Sie hat es bis heute versäumt, auf die dramatisch veränderten Rahmenbedingungen mit entsprechenden Konzepten zu reagieren“. Susan McCabe

Gliederung des Vortrages „ „

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Rahmenbedingungen Problembeschreibung und Definition von Adhärenz Vom Handlungsbedarf zur Intervention Einordnung der Intervention in die Diskussion um die aktuellen Anforderungen an psychiatrischer Pflege

Demographischer Wandel Steigende Bedeutung von Chronizität

Steigender Kostendruck der Gesundheitsund sozialsysteme

Psychiatrische Pflege

Wissenschaftliche Erkenntnis Akademisierung

Europäisierung Globalisierung

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Gesagt ist nicht getan

Wahrscheinlich ohne Wissen des Behandlungsteams.

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Problembeschreibung und Definition von Adherence Vom Handlungsbedarf zur Intervention Einordnung der Intervention an aktuelle Anforderungen psychiatrischer Pflege

Begriffsklärung „

Adhärenz (engl.:Adherence für Festhalten, Befolgen), bezeichnet die Einhaltung der gemeinsam von Patient und Behandlungsteam gesetzten Therapieziele. Der Begriff ersetzt zunehmend den Begriff Compliance

Wandlung des „Compliance-Begriffes“ in den letzten 50 Jahren in der wissenschaftlichen Literatur „

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50er Jahre: Willfährigkeit und Gehorsam des Patienten gegenüber dem Arzt • Patient ist bei Therapieversagen „schuld“ 60er Jahre: Versachlichung der therapeutischen Beziehung 80er Jahre: das „therapeutische und soziale Umfeld des Patienten wird in das ComplianceKonzept mit einbezogen“ Ab den 90er Jahren wird der Begriff um eine ökonomische Dimension erweitert

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Medikamentenmanagement als eine langfristige Aufgabe Corbin Strauss: Trajectory • (Krankheits-) verlaufskure

Krankenhaus

Chronisch vs. Recovery „

Chronisch ist retrospektiv langandauernd und prospektiv unveränderbar Nils Greve

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Stigma der Unheilbarkeit

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Kranker

Familie

Alltagsarbeit Abbildung 1: Arbeitsprozesse der Krankheitsbewältigung

Strauss/Corbin

Schätzung der WHO (2003) „

Therapieabbrüche bei chronisch erkrankten Menschen innerhalb des ersten Jahres • Entwickelte Länder: 50 % • Ergebnisse aber diagnoseunabhängig • Entwicklungsländer: höher

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“Die Entwicklung von Strategien, zu einer verbesserten Akzeptanz von Therapieprogrammen ist ein wesentliches Element um weltweit Krankheitsfolgen zu verringern” (WHO, 2003)

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Medikamente – Pflege - Psychiatrie

Antipsychotika / Warum? Erstmanifestation: > 70% Rezidiv innerhalb 9-12 Monaten „ ABER: • 15-30% Rezidiv trotz AP • 10-20% ohne AP rezidivfrei • „intend to treat“ = 2 Pat. • Bewertung: Betroffener, Medizin, Behandler

• „Die beste Medikation ist komplett wirkungslos, wenn sie nicht eingenommen wird“. „

Therapieregime werden trotz erwiesener Wirksamkeit v.a. außerhalb stationärer Versorgungssettings bei chronischer Erkrankung nicht langfristig umgesetzt.

Was beeinflusst Adherence? Die fünf Dimensionen der WHO Behandlungsteam und Gesundheitssystem

Sozioökonomische Faktoren

Adherence

Krankheitsbedingte Verfassung des Patienten

Therapiebezogene Faktoren

Patientenbezogene Faktoren

Qualitative Aussagen über nicht so gute Aspekte der Einnahme von Medikamenten „

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“Ich habe anderen Menschen nicht erzählt, dass ich Medikamente einnehmen muss, da ich schlechte Erfahrungen mit meinem Chef gemacht habe. Ich möchte sie nicht für immer einnehmen”. (Frau, 39 Jahre alt, Leipzig) Müdigkeit beeinflusst mein Leben so, dass ich immer das Bedürfniss habe zu schlafen. Ich hasse es, Medikamente zu nehmen, es geht mir auf die Nerven”. (Frau, 24 Jahre alt, London) Mein Krankheitszustand hat sich in den letzten 20 Jahren eigentlich nicht verändert … das ist enttäuschend. Es ist mir nicht möglich, Pläne für die Zukunft zu machen. Manchmal denke ich, ich kann so nicht mehr weitermachen”. (Frau, 41 Jahre alt, Verona)

Aussagen über die guten Seiten der Medikamente „

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“Sie helfen mir dabei, dass ich nicht mit Menschen, die mir wichtig sind, in Streit gerate”. (Mann, 24 Jahre alt, Amsterdam)

“Alles in meinem Kopf ist wieder an seinem richtigen Platz, meine Gedanken sind in Ordnung und da sind keine Stimmen mehr. So kann ich nun weiterleben”. (Frau, 52 Jahre alt, Leipzig) “Medikamente helfen; andere berichten, dass es einfacher ist, mit mir zu reden. Die schlechten Gedanken über die Menschen sind weg und ich bin ruhiger”. (Mann, 25 Jahre alt, Verona)

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Problembeschreibung und Definition von Adherence Vom Handlungsbedarf zur Intervention Einordnung der Intervention an aktuelle Anforderungen psychiatrischer Pflege

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Adhärenz Therapie

Adherence Therapie „

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Nach Kemp et al 1998 und Gray et al 2002 Community Psychiatric Nursing Manualisiert 8 Einheiten à 40-60 Minuten Einzelkontakte Grundlagen aus der Verhaltenstherapie und des Motivational Interviewing (nach Miller und Rollnick)

Ambivalenz Heraus- und bearbeiten

Problemlösung

Annahmen + Einstellungen besprechen

Assessment

Nach vorne blicken

Rückblick

Evidence based - wissenschaftliches Fundament

Prozess Fähigkeiten

Interpersonelle Fähigkeiten

Einbeziehung der Patienten & Widerstand gering halten Austausch von Informationen & Diskrepanzen herausarbeiten

Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten

Zufriedenheit mit den Medikamenten

Wichtigkeit der Medikamenteneinnahme

Phasen der Adherence Therapie „ „ „ „

Kennenlernphase Assessmentphase Therapeutische Phase Evaluationsphase

Assessment „ „ „ „ „

Praktische Probleme Alkohol und Konsum anderer Drogen Nebenwirkungen Bedeutung, Vertrauen, Zufriedenheit Überzeugungen und Bedenken bezüglich Medikation

Bearbeitung praktischer Probleme „

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Wo kommen die Rezepte und Medikamente her? Welche Strategien helfen zur regelmäßigen Einnahme? Wie gehe ich mit Nebenwirkungen um?

Praktische Probleme „

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„Am Tag seiner Entlassung rief Pat. an, er bekomme kein Rezept. Ich habe dieses dann von Frau Dr. S. ausstellen lassen und habe, nach telefonischer Rücksprache, dieses an die von ihm angegebene Apotheke gefaxt. Das Original habe ich noch am selben Abend in den Briefkasten der Apotheke geworfen. Trotzdem hat es, aus welchen Gründen auch immer nicht geklappt, dass Pat. seine Medikamente erhielt“.

Rückblick „

Häufig wird erst im Rückblick klar, was geholfen hat

Rückblick Erste Krankenhausaufnahme, sehr ängstlich, Spritzen erhalten, drei Monate Aufenthalt .

Im ersten Jahr beim Abitur durchgefallen 2000

Die Menschen fingen an, über mich zu sprechen und verhielten sich schrecklich

Begonenn viel Cannabis zu rauchen, um sich zu entspannen Eintritt in die Universität, fühlt sich anders im Gegensatz zu den anderen Studenten

Probleme mit den Nachbarn, Polizei wurde gerufen

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Meine Mutter hat mich zum Arzt gebracht Habe aufgehört zu essen, da andere‘ Menschen Dinge in mein Essen getan haben

Zweite Aufnahme, Einstellung auf Risperdal

Einnahme von Med. zur Beruhigung für einige Monate, was ich im Anschluss an die Entlassung abgestezt, habe, weil es mich zu müde gemacht hat

Praktikum für vier Montae

Immer noch die Einnahme von Risperdal. Weiterhin Müdigkeit, möchte gerne etwas anderes nehmen

Überzeugungen und Befürchtungen bezüglich psychiatrischer Medikation „

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Ich brauche keine Medikamente mehr nehmen, wenn es mir besser geht. Ich bin nicht anders mit oder ohne Medikation Ich fühle mich freier und leistungsfähiger ohne Medikation

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Ich nehme nur auf Druck Anderer Medikamente ein. Medikamente vergiften einen ganz langsam

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Die unerwünschten Effekte der Medikation sind immer vorhanden Ich kann besser mit Menschen umgehen, wenn ich Medikamente einnehme Es ist unnatürlich, dass mein Gehirn und mein Körper von Medikamenten kontrolliert werden Wenn ich Medikamente nehme, kann ich einem Zusammenbruch vorbeugen es kann einer Psychose vorbeugen , aber ich werde nur psychotisch, wenn ich Cannabis oder LSD nehme

Ambivalenzen herausarbeiten Medikamente absetzen

Medikamente einnehmen Nicht so gut Ich höre immer noch Stimmen ƒ Ich schlafe zu viel ƒ ich habe ein starkes Verlangen nach Süssigkeiten ƒ Ich habe 3 Kilo zugenimmen ƒ

Gut

gut Ich bin weniger gehemmt ƒ Ich trinke nicht zu viel Alkohol ƒ Ich habe heute längere Phasen, in denen es mir gut geht ƒ

Ich würde abnehmen • Ich wäre vielleicht fröhlicher • Ich wäre nicht so faul und schwerfällig •

Nicht so gut Ich würde stä ständig Stimmen hören ƒ Menschen würden auf mich gehä gehässiger und kritischer wirken ƒ Missverstä Missverständnisse würden zunehmen ƒ Ich würde ängstlicher sein und wäre leichter zu irritieren ƒ Ich würde weniger schlafen

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Hausbesuch • Einbeziehung des Umfeldes • Überprüfung der Pläne in der Realität • Mit geplantem und raschen Ende • Pflegende lernen am meisten

Ein Patient erzählt „

Die Intervention war sehr hilfreich, insbesondere die Gespräche im stationären Setting haben zur Bewältigung und Stabilisierung beitragen können. Informationsgabe war besonders wichtig (Erkrankung / Medikation). Die Intervention sollte ins Therapieprogramm aufgenommen werden. Die Einstellung zu und der Umgang mit Medikamenten haben sich positiv verändert.

Die Schulung „

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Konzipiert in Zusammenarbeit mit dem Institut in London Fünf Tage Supervidierende Begleitung

Komplementärfunktionen von Medizin und Pflege Handlungsfeld der Krankenhausmedizin • Diagnose des körperlichen Zustands und der körperlichen Störung • Diagnose des medizinischen Rehabilitationspotentials • Entwurf des medizinischen Interventionsplans

Interdisziplinäre Abgestimmtes Handlungsfeld des Krankheitsmanagements • Diagnose • Planung • Aktion • Kontrolle

Handlungsfeld der Krankenhauspflege • Diagnose des Selbstpflegebedarfes • Diagnose des pflegerischen Unterstützungsbedarfes • Diagnose des Selbstpflegebezogenen Rehabilitationspotenzials • Entwurf des pflegetherapeutischen Interventionsplans

Aus: Stratmeyer: das patientenorientierte Krankenhaus. Juventa, 2002: 310

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Psychiatrische Pflege im Krankenhaus • • • • •

Leistungsverdichtung Krisenmanagement Ambivalentes Verhalten zur Medikamenten Pflege als Therapie? Organisation „ „ „

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kooperatives Prozessmanagement Bezugspflege Primary Nursing (Differenzierung – „Advanced Nursing practice“) Geschlossene Stationen?

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Problembeschreibung und Definition von Adherence Vom Handlungsbedarf zur Intervention Exkurs: aktuelle Diskussionen im Hinblick auf Antipsychotika Einordnung der Intervention in die aktuelle Diskussion um Anforderungen an die psychiatrischer Pflege

Warum ist diese Intervention ein Beispiel für eine zukunftsfähige psychiatrische Pflege? „ „

Settingübergreifend Differenzierung von Qualifikationsprofilen • Schulungsbedarf

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Wichtiger Beitrag an der Behandlung • Pflege als kommunikativer Beruf • Partnerschaftliche Zusammenarbeit im Team

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Macht explizit, was implizit schon vorhanden ist Evidence-based

Setting

Chronizität

Beispiel: Adherence Therapie

Qualifikationsprofile Skill Mix

Was ist Inhalt psychiatrischer Pflege? („Body of Knowledge“)

is often viewed as something we do for people, rather than with people. This is an unashamedly paternalistic view. This kind of care infantilies people: maintaining them in a state of dependency“

„Care

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„Pflege wird oft als etwas angesehen, was man für Menschen tut, anstatt es mit Menschen zu tun. Dies ist eine unverschämte paternalistische Sichtweise. Man behandelt Menschen dann wie Kinder: hält sie in einem Zustand der Abhängigkeit“

Take home „

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Psychiatrische Pflege braucht qualifizierte Interventionen Settingübergreifend Adherence Therapie fokussiert auf eine Kompetenzerhöhung im Hinblick auf langfristiges Krankheitsmanagement Nicht jeder Pflegende wird die Intervention durchführen können Adhärenz Therapie strukturiert Partizipation

Vielen Dank!

Horatio European Festival of Psychiatric Nursing Malta 5th - 9th November 2008

„Updateability“? „ „

Pflege als kommunikativer Beruf (+) Steigende Bedeutung von Krisenintervention im Krankenhaus • Gute Krisenmanager (+) • Ausschnitt der Erkrankung wird immer kleiner (-)