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#96888 Karger – FoKom 4/11 – Art. 02005 Unger Übersichtsarbeit · Review Article Forsch Komplementmed 2011;18:000–000 DOI: 10.1159/000330937 Publish...
Author: Teresa Baum
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#96888 Karger – FoKom 4/11 – Art. 02005 Unger

Übersichtsarbeit · Review Article Forsch Komplementmed 2011;18:000–000 DOI: 10.1159/000330937

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Pharmakokinetische Arzneimittelinteraktionen zwischen Tumortherapeutika und Arzneimitteln der Komplementären Medizin: Mechanismen und Klinische Relevanz Matthias Unger

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Institut für Pharmazie und Lebensmittelchemie, Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Deutschland

Schlüsselwörter Arzneimittelinteraktionen · Cytochrom-P450-Enzyme · Johanniskraut · Komplementärmedizin · Pflanzliche Arzneimittel · P-Glykoprotein · Tumortherapeutika

Keywords Drug interactions · Cytochrome P450 enzymes · St. John’s wort · Complementary medicine · Herbal drugs · P-Glycoprotein · Tumor therapeutics

Zusammenfassung Pflanzliche Zubereitungen sind ein wichtiger Bestandteil der Komplementärmedizin und erfreuen sich aufgrund ihrer großen therapeutischen Breite und geringen Nebenwirkungsrate bei Tumorpatienten einer großen Beliebtheit. Beispielsweise wirken Extrakte aus Johanniskraut (Hypericum perforatum) antidepressiv, besitzen aber nicht die typischen Nebenwirkungen synthetischer Antidepressiva. Zubereitungen aus Pflanzen können demnach die Lebensqualität der Patienten verbessern oder, wie im Fall der Mistel (Viscum album) und des indischen Weihrauchs (Boswellia serrata), auch einen darüber hinaus­ gehenden therapeutischen Effekt besitzen. Allerdings können pflanzliche Vielstoffgemische genau wie synthetische Arzneistoffe die Bioverfügbarkeit von Arzneistoffen verändern und damit auch das Nutzen-Risiko-Verhältnis von Chemotherapeutika verschlechtern, wobei eine Zunahme der Toxizität oder ­Abnahme der therapeutischen Wirkung in der Regel durch eine Inhibition oder Induktion von Fremdstoff metabolisierenden ­Enzymen und/oder Transportvorgängen verursacht wird. Zum Beispiel wird die Bioverfügbarkeit der Zytostatika Irinotecan und Imatinib durch die Anwendung Hyperforin-haltiger Johanniskrautextrakte klinisch relevant um 41 bzw. 30% vermindert, weil Hyperforin die Expression des für den Metabolismus und Transport von vielen Zytostatika hauptsächlich verantwort­ lichen Cytochrom-P450-Enzyms 3A4 (CYP3A4) und des Effluxtransporters P-Glykoprotein (P-gp) steigert. Eine klinisch relevante Hemmung von CYP3A4 oder P-gp durch Phytotherapeutika wurde bei Krebsmedikamenten bisher noch nicht gezeigt. Allerdings erscheint diese sehr wahrscheinlich, da z.B. für die in Europa vor allem im Internet erhältlichen Zubereitungen aus der Kanadischen Gelbwurz (Goldenseal, Hydrastis canadensis) und Wu Wei Zi (Schisandra sphenanthera/chinensis) eine Hemmung von CYP3A4 und P-gp sowohl durch In-vitro- als auch ­In-vivo-Studien gezeigt werden konnte.

Summary Pharmacokinetic Drug Interactions between Anticancer ­Therapeutics and Drugs of Complementary Medicine: ­Mechanisms and Clinical Relevance Herbal preparations are an important part of complementary medicine and enjoy great popularity among cancer patients due to their broad therapeutical window and low rate of adverse effects. For example, extracts from St. John’s wort reduce depression without the typical side effects of synthetic antidepressant drugs. According to this, herbal preparations are able to improve the quality of life or, as in the case of mistletoe (Viscum album) and Indian olibanum (Boswellia serrata), exhibit an additional therapeutic effect. However, herbal extracts are complex mixtures which, comparable to synthetic drugs, can change the bioavailability of drugs and therefore ­deteriorate the benefit-risk ratio of chemotherapeutics at which an increased toxicity or reduced therapeutic value is caused by an inhibition or induction of drug metabolism and/or transport. St. John’s wort extracts containing hyperforin, for instance, cause a clinically relevant reduction of the bioavailability of the anticancer drugs irinotecan und imatinib by 41 and 30%, respectively, because hyperforin increases the expression of the cytochrome P450 (CYP) enzyme 3A4 and the efflux transporter P-glycoprotein (P-gp), which are primarily responsible for the metabolism and transport of anticancer drugs. However, a clinically relevant inhibition of CYP3A4 or P-gp by herbal extracts has so far not been shown for anticancer therapeutics. However, this appears to be very likely, since for goldenseal (Hydrastis canadensis) and Wu Wei Zi (Schisandra sphenanthera/ chinensis), which are readily available via the internet, in vitro and in vivo studies have shown a significant inhibition of

© 2011 S. Karger GmbH, Freiburg 1661-4119/11/0184-••••$38.00/0 Fax +49 761 4 52 07 14 [email protected] www.karger.com

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CYP3A4 und P-gp.

PD Dr. Matthias Unger Institut für Pharmazie und Lebensmittelchemie Julius-Maximilians-Universität Würzburg Am Hubland, 97074 Würzburg, Deutschland Tel. +49 931 318-5463, Fax -5494 [email protected]

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Einleitung

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Die Komplementäre Medizin besitzt in der Onkologie gegenüber den konventionellen Therapiemaßnahmen der Schul­ medizin (z.B. Bestrahlung, Chemotherapie) nur einen geringen Stellenwert, obwohl Methoden und Heilmittel der Komplementären Medizin in der Bevölkerung auf eine zunehmende Akzeptanz treffen. Diese Akzeptanz ist zum Teil darin begründet, dass in der Vergangenheit auch bei pflanzlichen Arzneimitteln ein therapeutischer Nutzen durch klinische Studien ­gezeigt werden konnte. Zum Beispiel bewirken hochdosierte Weihrauchextrakte beim Glioblastom eine dem Dexamethason vergleichbare Ödemreduktion ohne die Glucocorticoid-typischen Nebenwirkungen [1, 2]. Bedingt ist das große Interesse an den pflanzlichen Arzneimitteln der Komplementären Medizin allerdings hauptsächlich durch die ausgeprägten Nebenwirkungen der Chemotherapie, wie z.B. Diarrhö, Erbrechen, Haarausfall und Kachexie. Hinzu kommen depressive Verstimmungen aufgrund der großen psychischen Belastung. Eine ­Reduktion dieser stark belastenden Nebenwirkungen und ­depressiven Verstimmungen ist extrem wichtig, weil so die ­Lebensqualität der Patienten verbessert und damit der Krankheitsverlauf günstig beeinflusst wird. Während z.B. Johanniskrautextrakte eine antidepressive Wirkung entfalten, lindern ätherische Öle hauptsächlich in Form von Kräutertees Entzündungen der Mund-, Rachen-, Magen- und Darmschleimhaut. Besonders interessant ist die Anwendung alternativer Heilmethoden, wenn zusätzlich zur Reduktion von Nebenwirkungen auch ein Tumor hemmender Effekt vorliegt. Dies ist sowohl bei Weihrauch- als auch Mistelextrakten der Fall [1–4]. Mistelzubereitungen reduzieren Fatigue und verbessern somit zusätzlich zu ihrer Antitumorwirkung die Lebensqualität der Patienten [4]. Allerdings können die in der Bevölkerung als nebenwirkungsfrei geltenden Phytotherapeutika den Erfolg der ­Chemotherapie auch gefährden, wenn z.B. Entgiftungssysteme der Enterozyten oder Leberzellen durch die in den Pflanzen­ extrakten enthaltenen Inhaltsstoffe gehemmt oder induziert werden. Solche pharmakokinetischen Interaktionen scheinen bei pflanzlichen Zubereitungen mindestens eine ebenso große Rolle zu spielen wie pharmakodynamische Wechselwirkungen,

bei denen durch synergistische oder antagonistische Wirkungen der pharmakologische Effekt abgeschwächt oder verstärkt wird [5–7]. Da die Bioverfügbarkeit von vielen Arzneistoffen hauptsächlich durch den Metabolismus sowie einwärts- bzw. auswärtsgerichtete Influx- oder Effluxpumpen bestimmt wird [5, 6, 8], ist eine Hemmung oder Induktion von Fremdstoff metabolisierenden Enzymen und/oder Transportvorgängen mit einer ausgeprägten Verschlechterung des Nutzen-RisikoVerhältnisses verbunden. Während für den Metabolismus von Tumortherapeutika hauptsächlich Cytochrom-P450-Enzyme verantwortlich sind, spielt bei Transportvorgängen der Effluxtransporter P-Glykoprotein die größte Rolle. Diese Mechanismen sollen nachfolgend kurz vorgestellt werden.

Cytochrom-P450-Enzyme

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Cytochrom-P450(CYP)-Enzyme katalysieren den Metabolismus von zahlreichen exogenen und endogenen Substanzen. Es sind Hämproteine, die im katalytischen Zentrum Eisen als Zentralatom enthalten und durch Kohlenmonoxid stark gehemmt werden. Das UV-Absorptionsmaximum des Kohlenmonoxid-Häm-Komplexes liegt exakt bei 450 nm, was sich im Namen der CYP-Enzyme widerspiegelt. Für den Arzneistoffmetabolismus besonders wichtig sind die CYP-Isoenzyme 1A2, 2B6, 2C8, 2C9, 2C19, 2D6 und vor allem 3A4 (Tab. 1). CYP3A4 besitzt eine Sonderstellung, weil es nicht nur 50– 70% aller Arzneistoffe metabolisiert und eine sehr geringe Substratspezifität aufweist, sondern auch mit etwa 35% die Hauptmenge der CYP-Enzyme in der Leber darstellt [9]. CYP3A4 wird – neben wenig CYP2C19 und CYP2D6 – auch in den Epithelzellen des Dünndarms (Enterozyten) in relativ großen Mengen exprimiert [8, 9]. Man vermutet, dass die ­geringe Substratspezifität und relativ starke Expression von CYP3A4 im Dünndarm eine wichtige Rolle spielt als Schutzmechanismus vor toxischen Substanzen, die sonst unverändert die systemische Zirkulation erreichen würden. Aufgrund der geringen Substratspezifität von CYP3A4 gibt es eine große Anzahl von kompetitiven Inhibitoren und damit ver-

Tab. 1. Für den Arzneistoffmetabolismus wichtige CYP-Enzyme mit dazugehörigen Substraten, Inhibitoren und Induktoren

Gen/Isoenzym

Substrat

Inhibitor

Induktor

CYP1A2 CYP2B6

Coffein, Erlotinib Cyclophosphamid, Ifosfamid, Thiotepa

Ciprofloxacin, Fluvoxamin Thiotepa, Ticlopidin

Omeprazol, Tabakrauch Phenobarbital

CYP2C8 CYP2C9 CYP2C19 CYP2D6 CYP3A4

Paclitaxel, Amodiaquin Glimepirid, Phenprocoumon Bortezomib, Omeprazol Tamoxifen Bortezomib, Imatinib, Irinotecan, Midazolam, Paclitaxel, Thiotepa

Montelukast, Quercetin Fluvoxamin, Sulfaphenazol Fluvoxamin, Fluoxetin Chinidin, Goldenseal Goldenseal, Grapefruitsaft, Ketoconazol, Schisandra spec.

Rifampicin Rifampicin, Johanniskraut Rifampicin, Johanniskraut Carbamazepin, Rifampicin, Johanniskraut

Goldenseal: Wurzeln von Hydrastis canadensis.

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Tab. 2. In der Onkologie verwendete Arzneistoffe, die sowohl über CYP3A4 metabolisiert als auch durch P-Glykoprotein transportiert werden; ebenso dargestellt sind Arzneistoffe, die CYP3A4 und P-gp besonders stark hemmen oder induzieren Substrat

Inhibitor

Induktor

Actinomycin D Dasatinib Docetaxel Doxorubicin Erlotinib Etoposid Imatinib Irinotecan Lapatinib Loperamid Mitoxantron Morphin Nilotinib Paclitaxel Sorafenib Sunitinib Teniposid Vinblastin Vincristin

Clarithromycin Erythromycin Itraconazol Ketoconazol Lapatinib Ritonavir Sorafenib Verapamil

Carbamazepin Dexamethason Doxorubicin Hyperforin Phenobarbital Phenytoin Rifampicin Vinblastin

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bunden auch zahlreiche Arzneimittelinteraktionen [5, 6, 9, 10]. Allerdings spielen bei klinisch relevanten Interaktionen vor allem mechanismusbasierte Inhibitoren (z.B. Furano­ cumarine in Grapefruitsaft) eine große Rolle, weil bei diesen Inhibitoren eine zeitabhängige Inaktivierung von CYP3A4 erfolgt [5, 6, 10]. Die CYP3A4-Expression im Dünndarm ist eine erste Barriere für viele Arzneistoffe und mitverantwortlich für den ausgeprägten First-Pass-Effekt von Arzneistoffen wie Cyclosporin, Saquinavir oder Paclitaxel [8]. Deren orale Bioverfügbarkeit liegt unter 30% und schwankt zudem stark interindividuell, sodass z.B. Paclitaxel ausschließlich intra­ venös appliziert wird. Die Expression von CYP3A4 beim Menschen wird durch verschiedene Transkriptionsfaktoren (nukleäre Rezeptoren) reguliert, wobei der Pregnan-X-Rezeptor (PXR) die größte Rolle spielt. Der PXR wird vorwiegend in der Leber, aber auch in Darm und Nieren exprimiert [11]. Durch die Bindung von Liganden (Induktoren), wie z.B. Rifampicin oder Phenobarbital, dimerisiert der PXR mit dem Retinoid-X-Rezeptor (RXR), einem weiteren Transkriptionsfaktor. Dieser Komplex wandert in den Zellkern, bindet an die DNA und steigert dadurch die mRNA-Synthese und Expression von CYP3A4 [11]. Ebenfalls an der Induktion von CYP3A4 beteiligt sind der konstitutive Androstan-Rezeptor (CAR), der Vitamin-DRezeptor (VDR) und der Glucocorticoid-Rezeptor (GR) [11]. Klinisch relevante Induktoren von CYP3A4 sind besonders die Antiepileptika Carbamazepin, Oxcarbamazepin und Phenytoin, die nichtnukleosidischen Reverse-TranskriptaseHemmstoffe Efavirenz und Nevirapin, der Johanniskraut-­ Inhaltsstoff Hyperforin, das Antituberkulostatikum Rifam­ picin sowie das Glucocorticoid Dexamethason [12].

P-Glykoprotein

Membranproteine, die Substanzen aus Zellen heraustransportieren, werden Effluxtransporter genannt. Da es sich hierbei um einen aktiven, ATP-abhängigen Prozess handelt, spricht man auch von Membranpumpen. Eine der bekanntesten Membranpumpen ist das P-Glykoprotein (P-gp), ein 170-kDa Protein und Genprodukt des MDR1-Gens, das zur Familie der ATP-Binding Cassette (ABC)-Transporter gehört. P-gp, das eine große Rolle bei der Multidrug-Resistenz von Tumoren spielt, besteht aus 7 Transmembrandomänen und besitzt 2 Bindungsstellen für ATP [13, 14]. Durch die Hydrolyse von ATP wird die für den aktiven Transport der Substrate notwendige Energie zur Verfügung gestellt. P-gp wird unter ­anderem in den apikalen Membranen der Epithelien des Dünndarms, der proximalen Nierentubuli und der Blut-HirnSchranke sowie in den kanalikulären Membranen der Hepatozyten exprimiert [8, 14]. Während P-gp im Gastrointestinaltrakt die Aufnahme und damit systemische Verfügbarkeit von Arzneistoffen limitiert, wird die Elimination von Arznei­ stoffen durch die Expression des Effluxtransporters in den

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Hepatozyten und den proximalen Tubuluszellen der Niere ­gesteigert [8, 13, 14]. Vergleichbar mit CYP3A4 ist auch die Substratspezifität von P-gp sehr gering, sodass zahlreiche strukturell sehr verschiedene Moleküle transportiert werden können. Die Induktion von P-gp wird hauptsächlich über den PXR vermittelt, der auch die Expression von CYP3A4 steigert. Die Anwesenheit von P-gp in der Blut-Hirn-Schranke verhindert die Penetration von zahlreichen potenziell toxischen Substanzen in das Gehirn und stellt somit einen physiologisch sinnvollen Schutzmechanismus dar [15]. Da P-gp die Verfügbarkeit zahlreicher Arzneistoffe im Gehirn stark limitiert, kann eine Hemmung des Effluxtransporters zu einer ausgeprägten Neurotoxizität oder im Falle einer Induktion zu einer verminderten Arzneistoffkonzentration im Gehirn führen. Tumortherapeutika, die sowohl durch CYP3A4 metabolisiert als auch über P-gp transportiert werden, sind in ­Tabelle 2 aufgelistet. Werden beide Mechanismen konzertiert beeinflusst, wie z.B. bei der simultanen Induktion von CYP3A4 und P-gp in Dünndarm und Leber durch Johanniskrautextrakte, ist mit einer klinisch relevanten Beeinflussung der Arzneistoffbioverfügbarkeit zu rechnen [5, 6, 16].

Phytotherapeutika beeinflussen die Pharmakokinetik von Arzneistoffen Phytotherapeutika sind ein wichtiger Bestandteil der Komplementärmedizin und erfreuen sich in der Bevölkerung einer zunehmenden Beliebtheit. Sie enthalten komplexe Vielstoff-

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Tab. 3. Beeinflussung der Bioverfügbarkeit von Tumortherapeutika durch pflanzliche Zubereitungen Extrakt/Präparat TM

SJW Bio Nutrition, Health Products Li 160 (SJW) Milk thistle, GNCTM

Dosis/Tag, mg

Dauer, Tage

N

Komedikation

Effekt

Ref.

900 900 600

18 14 12

5 12 6

Irinotecan Imatinib Irinotecan

AUC SN-38 ê (41%) AUC ê (30%) AUC Irinotecan  (14%)*, AUC SN-38 ê (5%)*

[18] [19] [23]

* Statistisch nicht signifikant. AUC = Area under the curve, N = Probandenzahl, SJW = Saint John’s wort, Milk thistle = Mariendistel.

wohl renal als auch biliär eliminiert [18]. Nach der Einnahme von 900 mg eines nicht näher spezifizierten Johanniskraut­ extraktes wurde bei 5 Krebspatienten im Schnitt eine 41%ige Abnahme der AUC (area under the curve) des aktiven Metaboliten SN-38 gemessen (Tab. 3), was von den Autoren auf einen verstärkten CYP3A4-vermittelten Metabolismus von Irinotecan und eine damit verbundene Reduktion der SN-38Entstehung zurückgeführt wurde [18]. Da eine verstärkte Glucuronidierung von SN-38 dessen Bioverfügbarkeit ebenfalls erniedrigt, wurde auch die Konzentration des SN-38-­ Glucuronids bestimmt. Das Verhältnis der AUC des SN-38Glucuronid-Metaboliten zur AUC von SN-38 war allerdings nicht verändert, sodass eine verstärkte Glucuronidierung als Grund für die reduzierte AUC von SN-38 ausgeschlossen wurde [18]. Auch die Bioverfügbarkeit des Tyrosinkinase-Inhibitors und P-gp bzw. CYP3A4-Substrats Imatinib (Glivec®) wurde durch die 14-tägige Gabe eines Hyperforin-haltigen ­Johanniskrautextraktes (900 mg/Tag) bei 12 Probanden signifikant vermindert (durchschnittlich 30%; Tab. 3) [19]. Da die Induktion von CYP3A4 und P-gp auf das in den Johanniskrautextrakten enthaltene Hyperforin zurückzuführen ist, wird die Pharmakokinetik von CYP3A4- und P-gp-Substraten durch weitgehend Hyperforin-freie Johanniskrautpräparate nicht beeinflusst [21]. In den letzten Jahren wurden neben Zubereitungen aus ­Johanniskraut auch Extrakte aus der Mariendistel (Silybum marianum) auf eine mögliche Beeinflussung der Arzneistoffbioverfügbarkeit untersucht [5, 6, 22, 23]. In vitro hemmt ­Silybin, der Hauptinhaltsstoff des in Mariendistelextrakten hauptsächlich enthaltenen Flavonolignan-Gemisches Silymarin, die CYP-Enzyme 2C9 und 3A4 sowie das für die Glucuronidierung von SN-38 verantwortliche Glucuronosyltransferase-Isoenzym UGT1A1 [22]. Durch Mariendistelextrakte könnte also sowohl die CYP3A4-vermittelte Inaktivierung von Irinotecan als auch die UGT1A1-vermittelte Konjugation und anschließende renale bzw. biliäre Elimination des SN-38Glucuronids gehemmt werden. Deshalb untersuchten Van Erp et al. [23] den Einfluss einer Zubereitung aus Marien­ distelfrüchten auf die Pharmakokinetik von Irinotecan. 6 Krebspatienten im Alter von 18–75 Jahren erhielten 1-mal pro Woche für 4 aufeinanderfolgende Wochen eine Irino­ tecan-Infusion (125 mg/m2). Vier Tage vor der zweiten Applikation von Irinotecan erhielten die Patienten 3-mal täglich

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gemische, deren Inhaltsstoffe sich hinsichtlich ihrer Struktur und chemischen Eigenschaften erheblich unterscheiden. Pflanzeninhaltsstoffe werden ebenso wie chemisch-synthe­ tische Arzneistoffe in Dünndarm und Leber metabolisiert, ­sodass eine reversible kompetitive Hemmung des Arzneistoffmetabolismus grundsätzlich in Betracht gezogen werden muss. Zusätzlich hierzu ist auch eine irreversible Inaktivierung von z.B. CYP-Enzymen möglich [5, 6, 10]. Die Popularität von pflanzlichen Arzneimitteln und ihre breite Akzeptanz in der Bevölkerung haben in der Vergangenheit häufig zu einer unkritischen Anwendung solcher Präparate geführt, wobei vor allem die Verfügbarkeit von pflanzlichen Arzneimitteln im Internet und die damit einhergehende fehlende Beratung durch den Arzt und Apotheker ein großes Problem darstellen. Zudem konnten Haefeli und Mitarbeiter zeigen, dass die Einnahme von Pflanzenextrakten, wie z.B. Johanniskrautextrakt, dem behandelnden Arzt oftmals nicht mitgeteilt wird [17]. Da bei einer Chemotherapie von Tumoren häufig mehrere toxische Substanzen mit einer geringen therapeu­ tischen Breite verabreicht werden, ist die gleichzeitige Einnahme von Pflanzenextrakten problematisch, da sowohl eine Hemmung als auch eine Aktivierung des Arzneistoffmetabolismus dramatische Auswirkungen haben kann. Zum Beispiel wird die Bioverfügbarkeit des aktiven Irinotecan-Metaboliten SN-38 und von Imatinib durch Hyperforin-haltige Johanniskrautpräparate klinisch relevant vermindert (Tab. 3) [18–20]. Oftmals ist weder den Patienten noch den betreuenden Ärzten oder Apothekern bekannt, dass das in Hypericum-Extrakten enthaltene Hyperforin über eine Wechselwirkung mit dem PXR die Expression von CYP3A4 und P-gp in Dünndarm und Leber erheblich steigert, was mit einer signi­fikanten Erniedrigung der Bioverfügbarkeit von CYP3A bzw. P-gpSubstraten einhergeht. In einer nicht verblindeten, randomisierten Crossover-­ Studie wurde der Effekt einer Hyperforin-haltigen Johanniskraut-Zubereitung auf die Pharmakokinetik des Zytosta­ tikums Irinotecan (CPT-11, Campto®; Pfizer Deutschland GmbH, Berlin, Deutschland) untersucht [18]. Irinotecan ist ein Prodrug, das im Körper durch eine Esterspaltung mithilfe von Carboxyesterasen intrazellulär in den aktiven Metabo­ liten SN-38 umgewandelt wird. SN-38 wird schließlich im Dünndarm und der Leber durch das GlucuronosyltransferaseIsoenzym UGT1A1 mit Glucuronsäure konjugiert und so-

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die Aktivität von CYP3A4 und CYP2D6 klinisch relevant erniedrigt [26, 27]. Zubereitungen aus der Wurzel von Hydrastis canadensis werden häufig in Kombination mit Echinacea bei grippalen Infekten eingesetzt und sind über das Internet leicht erhältlich. Problematisch ist die Einnahme solcher ­Zubereitungen nicht nur im Hinblick auf eine Toxizitäts­ erhöhung von CYP3A4-Substraten, wie z.B. Irinotecan oder Imatinib, sondern auch im Hinblick auf die CYP-katalysierte Bioaktivierung von Prodrugs, wie z.B. Tamoxifen, dessen Umwandlung zu pharmakologisch aktiven Metaboliten vor allem durch CYP3A4 und CYP2D6 katalysiert wird. Eine gleichzeitige Hemmung dieser CYP-Enzyme durch Goldenseal-Wurzelextrakte könnte die Wirkung von Tamoxifen nahezu völlig aufheben.

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200 mg Mariendistelextrakt standardisiert auf 80% Silymarin über einen Zeitraum von 12 Tagen [23]. Die pharmakokinetischen Parameter (z.B. maximale Plasmakonzentration; AUC) von Irinotecan, SN-38 und SN-38-Glucuronid waren nach der 4- bzw. 12-tägigen Einnahme des Mariendistelpräparates nahezu unverändert [23]. Lediglich die Irinotecan-Clearance wurde durch den Mariendistelextrakt nach 12 Tagen klinisch nicht signifikant von 31,2 auf 25,6 L/h erniedrigt [23]. Zudem war die Erhöhung der AUC von Irinotecan (14%) sowie ­Verminderung der AUC von SN-38 (5%) statistisch nicht signifikant (Tab. 3). Aufgrund der in dieser Studie erhaltenen Ergebnisse ist eine klinisch relevante Beeinflussung der Irinotecan-Pharmakokinetik durch standardisierte MariendistelZubereitungen nicht zu erwarten, obwohl die In-vitro-Daten zur Hemmung von CYP3A4 und UGT1A1 durch Mariendistelextrakte eine klinisch relevante Wechselwirkung andeuten [22]. Da in diesem Fall keine positive In-vitro/in-vivo-Korrelation vorliegt, sollten In-vitro-Daten zum Interaktionsrisiko von pflanzlichen Arzneimitteln sehr vorsichtig interpretiert werden [6, 7]. Während Hyperforin-reiche Johanniskrautextrakte die ­Expression von CYP3A4 und P-gp verstärken und somit die Bioverfügbarkeit von Tumortherapeutika erniedrigen können, werden diese Mechanismen durch Schisandra-Inhaltsstoffe gehemmt, was zu einer Erhöhung der Bioverfügbarkeit von CYP3A4- und P-gp-Substraten führt [5, 24, 25]. So erhöhte ein Extrakt aus den Früchten von Schisandra sphenanthera die AUC des CYP3A4-Substrats Midazolam (Dormicum®; Roche Deutschland, Grenzach-Wyhlen, Deutschland) um 119% und die maximale Plasmakonzentration um 86% [24]. Bei dem Immunsuppressivum Tacrolimus (FK506, Prograf®; Astellas Pharma, Deerfield, IL, USA), einem CYP3A4und P-gp-Substrat, wird die Bioverfügbarkeit sogar um 164% erhöht, was auf die duale Inhibition von CYP3A4 und P-gp zurückgeführt werden kann [25]. Aufgrund der sehr starken Erhöhung der Bioverfügbarkeit von Midazolam und Tacrolimus kann man spekulieren, dass die Schisandra-Inhaltsstoffe nicht nur im Dünndarm, sondern auch in der Leber die Aktivität von CYP3A4 und P-gp hemmen. Im Vergleich zu Schisandra-Präparaten, die neben CYP3A4 auch P-gp hemmen, wird durch die Einnahme von Extrakten aus den Wurzeln der Kanadischen Gelbwurz (Goldenseal, Hydrastis canadensis)

Schlussfolgerung

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Aufgrund der zunehmenden Beliebtheit von pflanzlichen ­Zubereitungen in der Komplementären Medizin besteht hinsichtlich pharmakokinetischer Arzneimittelinteraktionen in der Onkologie durchaus ein gewisses Risikopotenzial. Die Beeinflussung von Entgiftungs- und Transportprozessen durch Phytotherapeutika kann bei Tumortherapeutika sowohl zum Therapieversagen als auch zu einer übersteigerten Toxizität führen. Die in den vergangenen Jahren auch von Arzneimitteln der Traditionellen Chinesischen Medizin, wie z.B. Schisandra spec. (Wu Wei Zi), propagierten Wirkungen und die sehr gute Verfügbarkeit von entsprechenden Präparaten im Internet, können Krebspatienten zu einer Einnahme verleiten, ohne dass die betreuenden Ärzte davon erfahren. Interaktionen zwischen Krebsmedikamenten und pflanz­ lichen Arzneimitteln der Komplementären Medizin lassen sich zukünftig nur vermeiden, wenn die Fortbildung bei Ärzten und Apothekern die oben dargestellte Problematik berücksichtigt und die Patienten über mögliche Risiken umfassend aufgeklärt werden.

Disclosure Statement

Es besteht kein Interessenkonflikt beim Autor.

Literatur

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