Projektleitung: Dr. Bernd Heins, IG BCE, Hannover

"Zertifikathandel für CO2-Emissionen auf dem Prüfstand Ausgestaltungsprobleme des Vorschlags der EU für eine Richtlinie zum Emissionshandel" Richtlini...
Author: Bernhard Becke
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"Zertifikathandel für CO2-Emissionen auf dem Prüfstand Ausgestaltungsprobleme des Vorschlags der EU für eine Richtlinie zum Emissionshandel" Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über einen Rahmen für den Handel mit Treibhausgasemissionen in der Europäischen Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96/61/EG des Rates vom 23.10.2001

Projektleitung: Dr. Bernd Heins, IG BCE, Hannover

Untersuchung im Auftrag der IGBCE, der Unternehmen RWE, E.ON, HEW/LAUBAG/VEAG und BASF, der Verbände der Zement-, Glas- und Papierindustrie sowie des Gesamtverbandes des deutschen Steinkohlenbergbaus

Ergebnisse des Zwischenberichts

RWI, Essen und AGEP-Münster

Gutachter: Prof. Dr. Wolfgang Ströbele, Dipl. Volkswirt Bernhard Hillebrand, Dipl.Volkswirt Dr. Alexander Smajgl, Dipl. Mathematiker Eric-Christian Meyer, Dipl. Volkswirt Jan-Marc Behringer

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1. Gegenstand der Untersuchung Die EU-Kommission hat am 23.10.2001 einen Richtlinienvorschlag für die Einführung eines Handels mit Treibhausgasemissionen in der Europäischen Union vorgelegt1. Mit diesem Vorschlag soll ein umweltpolitisches Instrument, das gemäß Lehrbuch nicht nur als ökologisch treffsicher, sondern auch als wirtschaftlich effizient gilt, für die EU-weite Klimaschutzpolitik eingesetzt werden. Der Handel soll ab dem Jahr 2005 auf Unternehmensebene verbindlich eingeführt werden, wobei der Handel gravierenden Beschränkungen unterworfen wird, die dem Idealmodell eines freien Handelssystems zwischen den Annex-B-Staaten nicht entsprechen: so ist der Handel auf die Betreiber von Stromerzeugungs- und ausgewählten energieintensiven Produktionsanlagen begrenzt, umfasst nur Kohlendioxid (CO2), ist zudem auf Anlagen und Unternehmen innerhalb der EU beschränkt und lässt die Minderungsmöglichkeiten von Projekten aus Joint Implementation (JI) oder Clean Development Mechanismen (CDM), die nach dem KyotoProtokoll und den Vereinbarungen von Bonn und Marrakesch möglich sind, ungenutzt. In Deutschland ist seit Beginn der neunziger Jahre eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen worden, mit denen die Freisetzung von klimawirksamen Spurengasen deutlich reduziert wurde und in Zukunft weiter verringert werden soll. Das Maßnahmenbündel reicht von ordnungsrechtlichen Ge- und Verboten über zusätzliche Steuern und Abgaben bis hin zu freiwilligen Vereinbarungen. Angesichts dieses umfangreichen Maßnahmenbündels stellt sich die Frage, ob und wenn ja unter welchen Bedingungen der Handel mit Emissionen nach den Vorstellungen der EU-Kommission kompatibel zum nationalen Klimaschutzprogramm ist, welche zusätzlichen Minderungen von diesem Instrument erwartet werden können und welche sektoralen und gesamtwirtschaftlichen Wirkungen damit verbunden sein werden. Da diese Fragen im Richtlinienvorschlag wenn überhaupt nur unzureichend behandelt sind, haben die Industrie-Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE), die Unternehmen RWE, E.ON, HEW/LAUBAG/VEAG und BASF, die Verbände der Zement-, Glas- und Papierindustrie sowie der Gesamtverband des deutschen Steinkohlenbergbaus (GVSt) unter der Projektleitung von Dr. Bernd Heins, IGBCE, das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) und die AGEP-Münster unter Leitung von Prof. Dr. W. Ströbele beauftragt, die ökonomischen und ökologischen Konsequenzen eines Emissionshandels nach dem Vorschlag der EU-Kommission im Detail zu untersuchen. Das vorliegende Papier fasst die bislang erzielten wichtigsten Ergebnisse der Studie zusammen.

1

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über einen Rahmen für den Handel mit Treibhausgasemissionen in der Europäischen Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96/61/EG des Rates; KOM (2001) 581, Brüssel Oktober 2001. 2

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2. Konstruktionsmängel des EU-Richtlinienvorschlags 2.1. Struktur des Kyoto-Protokolls und EU-Burden Sharing Nur internationale Kooperation sichert wirkungsvolle Klimavorsorgepolitik. KyotoProtokoll (1997) und EU Burden Sharing gelten für Nationalstaaten und schaffen eine „vertikale“ Struktur der Verpflichteten. Auf dieser Ebene sind auch die flexiblen Instrumente Joint Implementation, Clean Development Mechanism und Emissions Trading angesiedelt. Die Lehrbuch-Konzeption einer global einheitlichen Umweltpolitik für global wirkende Schadstoffe wird damit zwar aufgegeben; angesichts der großen Probleme, überhaupt internationale Kooperation zu erreichen, muss man von dieser Kyoto-Struktur (aktuell durch die Konferenz von Marrakesch weiter entwickelt und konkretisiert) ausgehen, wenn man die internationale Klimapolitik nicht gefährden will. Die Europäische Union hat im Kyoto-Protokoll eine Reduktionszusage von 8 % für alle sechs Treibhausgase (THG) gegenüber 1990 bis zur Phase 2008 – 2012 unterzeichnet. Bei insgesamt 4250 Mill. t2 Treibhausgasemissionen im Basisjahr bedeutet dies eine Reduktion um 340 Mill. t in der EU. Diese Verpflichtung wurde im Burden Sharing sehr unterschiedlich auf die europäischen Staaten aufgegliedert. Deutschland übernahm mit national –21 % (= 254 Mill. t) den Löwenanteil der EU-Verpflichtungen. Selbst wenn man die Effekte der Wiedervereinigung – die ja keineswegs „kostenlos“ waren – für Deutschland und die EU mit ca. 100 Mill. t herausrechnet, trägt Deutschland rund 2/3 der gesamten EU-Reduktionsverpflichtung. Nach der Marrakesch-Konferenz 2001 ist der deutsche Anteil sogar noch höher. In der Anerkennung der einzelnen Mitgliedstaaten als Träger der Verpflichtungen liegt begründet, dass diese die zur Erfüllung der Reduktionsverpflichtungen notwendigen Maßnahmen autonom treffen können. Eine Verpflichtung zur Anwendung eines bestimmten Instruments oder Maßnahmenbündels existiert insoweit nicht. Dies gilt insbesondere auch für einen staatenübergreifenden Emissionshandel nach KyotoProtokoll. 2.2. Struktur und Begründung des EU-Richtlinien-Vorschlags Ein Herunterbrechen von Reduktionsverpflichtungen der jeweiligen Staaten auf einzelne Unternehmen und Schaffung eines neuen „wettbewerbsneutral“ gestalteten „horizontalen“ Systems mit obligatorischem Emissionshandel auf Unternehmensebene (ETSystem gemäß EU-Richtlinie-Vorschlag) ist logisch etwas völlig anderes. Damit entsteht das Risiko, dass bei zukünftigen internationalen Verhandlungen kein Nationalstaat auf der Basis „zumutbarer eigener Belastungen“ Zusagen mehr machen wird, da sie ex post durch ein anderes System ersetzt zu werden drohen. Gleichzeitiges Erfüllen der nationalen Burden Sharing Beiträge und wettbewerbsneutrale Ausgestaltung eines ET-Systems sind nur dann möglich, wenn im Nicht-ET-System

2

Einheit „CO2-Äquivalent“, d.h. die übrigen THG wurden je nach Klimaschädlichkeit in entsprechende Einheit CO2 umgerechnet. 3

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(spiegelbildlich) erhebliche Unterschiede in den Belastungen entstehen → größere Ineffizienzen im Nicht-ET-System sind die Konsequenz. Die Begründung der vermeintlichen Effizienzgewinne in Höhe von 1,3 Mrd. € p.a. durch Emissionshandel in den EU-Modellrechnungen übersieht vier Punkte: •

Der Referenzmaßstab müsste die bereits implementierte Klimaschutzpolitik sein. Diese ist jedoch nicht so undifferenziert wie in den EU-Modellrechnungen unterstellt: Die realisierbaren Effizienzgewinne werden dadurch deutlich geringer sein als die geschätzten 1,3 Mrd. € p.a.: realistisch maximal 650 Mill. € jährlich.



Wenn die in den EU-Rechnungen ausgewiesenen Größenordnungen von Zertifikatpreisen von über 20 - 33 €/ t CO 2 gelten, wird es kurzfristig einen drastischen Strompreisanstieg, mittelfristig einen massiven Rückgang des Kohleeinsatzes geben. Die volkswirtschaftlichen Kosten dieses Impulses konzentrieren sich auf wenige Regionen in der EU. Diese Umverteilung von Lasten (inklusive Arbeitslosigkeit etc.) auf die Länder mit relativ hohem Kohleeinsatz war nicht Grundlage des Burden Sharing. Alleine die Kosten für zusätzliche Arbeitslose in Deutschland sowie für vorzeitiges Ersetzen noch funktionierender Kohlekraftwerke liegen bei weit über 1000 Mill. € jährlich (zumindest für die kommenden 10 – 12 Jahre). Diese Kosten erfasst das EUModell nicht.



Zusätzliche Kosten für Bürokratie (Monitoring, Durchsetzung, ...) und das Handelssystem selbst werden bei 5000 Anlagen leicht in einer Größenordung von 50 Mill. € p.a. liegen.



Der ausgelöste Strukturwandel hin zu Kernenergie und Erdgas stärkt die Position der Erdgasproduzenten, von denen ein großer Teil außerhalb der EU liegt: Ein induzierter Preisanstieg von nur 2 €/MWh verteuert alleine die deutschen Erdgasimporte aus Russland um 600 Mill € p.a.: Die „Effizienzgewinne“ landen außerhalb der EU.

Per Saldo ist somit eher mit volkswirtschaftlichen Verlusten zu rechnen: Strukturkrisen und deren Kosten sowie veränderte Terms-of-trade bildet das EU-Modell nämlich nicht ab und zudem wird ein nicht relevanter Vergleichsmaßstab benutzt, um die „Effizienzgewinne“ abzuschätzen. Die EU-Richtlinie würde ein völlig neues Instrument schaffen, das quer zu den eingegangenen völkerrechtlich verbindlichen Verpflichtungen liegt. Dies wird seitens der EU mit Effizienzgewinnen aus Modellrechnungen begründet. Diese sind aber unvollständig und äußerst fragwürdig, so dass die Richtlinie im Ergebnis keine Begründung hat. 2.3. Ausgestaltungsprobleme des Richtlinien-Vorschlags Der Schritt auf Unternehmensebene nach EU-Richtlinien-Vorschlag verlangt eine individuelle Zuweisung von Emissionsrechten an jedes Unternehmen mit bestimmten Anlagen: Caps and Trade-System.

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Erwartete Zertifikatpreise von über 20 €/ t CO 2 verbieten eigentlich Auktionen als Zuteilungsverfahren, da sie faktisch Enteignung bedeuten würden. Dennoch sind Auktionen im Richtlinien-Vorschlag für die Phase 2008 – 2012 nach Artikel 10 keineswegs ausgeschlossen. Innerhalb des Europäischen Parlaments und bei der Generaldirektion Umwelt waren im Zusammenhang mit der Diskussion des EU-Grünbuchs zum Zertifikathandel durchaus ernst zu nehmende Stimmen zugunsten eines Auktionsverfahrens zu hören, ebenso aus der Bundesregierung, die sich für eine Kombination aus Versteigerung und kostenloser Vergabe ausspricht. Sollte eine bestimmte Quote gratis zugewiesen werden, kommt den einzelnen Komponenten eines Grandfathering die Schlüsselrolle zu: Basisjahr (1990 für Unternehmen in Deutschland vermutlich zum Teil unmöglich wegen Wiedervereinigung) und Reduktionsvorgabe bestimmen europaweit die Ausstattung jedes einzelnen Unternehmens. Dies kann dazu führen, dass einem deutschen Unternehmen erhebliche Reduktionsverpflichtungen auferlegt werden, einem irischen ansonsten gleichen Unternehmen Zuwächse von über 10 % zugestanden werden. Für energieintensive Unternehmen, die bereits nahe der bestmöglichen Wirkungsgrade arbeiten, bedeutet die Vorgabe individuell zulässiger CO2-Emissionsgenzen eine staatliche Vorgabe der maximal möglichen Produktion zu wettbewerbsfähigen Preisen.3 Sogenannte Early Actions, d.h. frühzeitige Maßnahmen zur Reduzierung der THG-Emissionen können bei ungünstiger Wahl des Basisjahrs nachträglich bestraft werden. Dieser Aspekt des Richtlinien-Vorschlags fördert Attentismus der Investoren und wirkt kontraproduktiv für den Klimaschutz. Andererseits ist gerade für die Neuen Bundesländer das Kyoto-Basisjahr 1990 auf der Ebene der einzelnen Unternehmen nicht praktikabel: Zahlreiche heute bedeutende Unternehmen existierten 1990 juristisch noch nicht. Ihre Anlagen auf heute modernstem Stand können jedoch bei „unglücklicher“ Festlegung eines späteren Basisjahrs nur die minimale Erstausstattung erhalten: Wie dann noch weitere Reduktionen erreicht werden sollen außer durch Produktionskürzungen, ist unklar. 2.4. Wettbewerbswirkungen Damit es keine Wettbewerbsverzerrungen gibt, muss für Newcomer ein Zuteilungsverfahren gefunden werden: Outsourcing und Neugründungen werden lohnend und können nur durch bürokratische Kontrolle unterbunden werden. Noch gravierender werden die Leakage-Effekte sein: ausländische Wettbewerber können zulasten der EU-Anbieter expandieren. Im EU-Inland gebremste Unternehmen werden ihren Standort zumindest für zusätzliche Produktion außerhalb der EU wählen müssen.

3

Da CO2 dann durch keine technische Maßnahme mehr weiter verringert werden kann, liegt hier ein völlig anderes Problem als bei Schwefel- oder Stickoxid-Emissionen vor, wo End-of-Pipe-Techniken und Katalysatoren unterschiedliche Standards an Emissionen erlauben. Die Kosten für Entschwefelung und DENOX liegen maximal im Bereich weniger Prozentpunkte der gesamten Produktionskosten, wohingegen ein Zertifikatpreis von bspw. 20 €/t CO 2 etwa bei Kohletechniken leicht die Energiekosten zusätzlicher Produktion um 100 % oder sogar mehr erhöht. Vergleiche mit Zertifikatmodellen für SO2 und NOx sind deshalb fehl am Platze. 5

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Wenn die Zertifikatpreise bei 20 - 33 €/ t CO 2 liegen werden4, bedeutet ein Zukauf von Zertifikaten für innovative wachsende (energieintensive) Unternehmen, dass sie einen Teil ihrer Innovationsvorsprünge abführen müssen an weniger erfolgreiche Wettbewerber: Faktisch wirkt dann die Vorgabe des Basisjahrs und des einzelnen Reduktionspfades via Grandfathering wie ein Strafmechanismus in einem Kartell auf dem Gütermarkt. Das ETSystem funktionierte dann als Kopie des internen Stabilisierungsmechanismus des Kartells der „Sieben Schwestern“ auf dem Ölmarkt aus den 50er und 60er Jahren. Ein marktwirtschaftlicher Mechanismus auf der Emissionsseite könnte faktisch als Wettbewerbshindernis auf dem Gütermarkt wirken ! Da die im ET-System zusammen geführten betroffenen Anlagen einander bezüglich der Vermeidungs-Grenzkosten sehr ähnlich sind (außer im Brennstoff-Einsatz), kann es durch Handel keine hohen Effizienzgewinne geben. Diesen geringen potentiellen Effizienzgewinnen stehen hohe bürokratische Kosten gegenüber. Die einzigen „Vorteile“ entstehen durch massive Umstrukturierung des Brennstoffeinsatzes: §

Dies liegt aber nicht in der Kompetenz der EU,

§

betrifft selektiv einige EU-Länder besonders hart, was über deren Konzept beim Unterschreiben des BSA weit hinausgeht,

§

erzeugt zusätzliche volkswirtschaftliche Kosten, die bisher im EU-Modell nicht berücksichtigt wurden und

§

gefährdet die Versorgungssicherheit

Der Anspruch der EU, eine „wettbewerbsneutrale“ Ausgestaltung des ET-Systems zu finden, ist nicht einlösbar. 2.5. Wirkungen auf die Versorgungssicherheit Die faktischen Wirkungen eines EU-weiten ET-Systems führen zu einem starken Rückgang des Kohleeinsatzes und einem Anstieg der Beiträge von Erdgas und Kernenergie. Damit gerät die EU in Konflikt mit ihrem ebenfalls verfolgten Ziel der Versorgungssicherheit auf der Basis eines breiten Energiemixes (siehe Grünbuch dazu!). Die Unternehmen im ET-Sektor benötigen typischerweise sehr langfristige Planungshorizonte. Die Aussicht, dass ein Konflikt über einen nationalen Zuteilungsplan zu einer Ablehnung gemäß Artikel 8 der Richtlinie führt, was dann die Zuteilung von Zertifikaten verhindert, was wiederum den Betrieb der Anlagen unmöglich macht, schafft das Gegenteil von Planungssicherheit. Dies schadet auch der Klimavorsorgepolitik. 2.6. Wirkungen auf andere Instrumente der Klimaschutzpolitik Die bereits funktionierenden Klimaschutzinstrumente werden durch das EU-ETSystem teilweise hinfällig. Insbesondere wird das Instrument der branchenbezogenen Selbstverpflichtung durch ein ET-System gemäß EU-Richtlinienvorschlag nicht mehr

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Unterer und oberer Wert der Modellergebnisse der EU-Rechnungen. 6

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funktionieren: Niemand kann ein Unternehmen darauf verpflichten, Zertifikate nur innerhalb der eigenen Branche zu handeln. Die geäußerte Idee der Generaldirektion Umwelt, dann sollten die Verbände jeweils Akteure des Handels mit CO2-Zertzfikaten werden, ist in der konkreten Umsetzung absurd und kann nicht funktionieren. Dabei hat gerade Deutschland u.a. mit dem Instrument der branchenbezogenen Selbstverpflichtung deutliche Reduktionen an THG-Emissionen vorzuweisen. Das Ausklammern von JI und CDM schafft Ineffizienzen. Es ist bereits heute absehbar, dass das ET-System auf Unternehmensebene gemäß EU-RL-Vorschlag mit den international verhandelten Spielregeln zur Umsetzung des Kyoto-Protokolls und Beachtung der nationalen Reduktionspflichten praktisch nicht kompatibel gemacht werden kann. Mit Einbeziehung von JI und CDM würden aber die Lasten (bei gleicher Zielerreichung an globalen THG-Emissionen) für die EU-Länder deutlich geringer als derzeit veranschlagt. 2.7. Anreize für Klimavorsorgepolitik Die Staaten unterliegen bisher keinen Sanktionsmechanismen für unzureichende Klimaschutzpolitik. Wenn die EU das Klimavorsorgeziel effektiv verfolgen will, sollte sie Sanktionen für Staaten vereinbaren, die ihren Verpflichtungen aus dem Burden Sharing nicht nach kommen. Andernfalls entstehen innerhalb der EU zwei Bereiche: Für die Unternehmen im ET-Sektor gelten drakonische Strafen5, für den Nicht-ET-Sektor und die Staaten insgesamt greifen bisher höchstens die Regeln des EU-Vertragsverletzungsverfahrens mit demgegenüber lächerlich niedrigen Sanktionen. Dem Klimavorsorgeziel wird auch nicht gedient, wenn jeder Nationalstaat in Kenntnis dieser unterschiedlichen Sanktionen relativ „weiche“ Pläne für den ET-Bereich und lediglich „auf dem Papier“ weitreichende Reduktionspläne für den Nicht-ET-Bereich erstellt. Solange dafür keine vergleichbaren Sanktionen vorgesehen sind, entstehen Ineffizienzen. 2.8. Resümee Die institutionellen Details für einen funktionsfähigen Zertifikatehandel auf Unternehmensebene (zusätzlich beschränkt auf wenige Sektoren) werfen derart viele Probleme auf, dass dem Klimaschutz nicht gedient wird, stattdessen zusätzliche bürokratische Kosten entstehen und im Ergebnis Brennstoffeinsatz und Produktion in den energieintensiven Unternehmen durch die staatlichen Planer gesteuert werden. Produktionsverlagerungen außerhalb der EU werden die Folge sein. Der vermeintlich marktwirtschaftliche Koordinationsmechanismus „Handel“ erweist sich unter diesen konkreten Ausgestaltungsbedingungen der EU-Richtlinie als Hemmnis sowohl für Klimaschutz und Markt.

5

Die vorgesehene Strafe von 100 €/ t CO2 bedeutet faktisch bei Einsatz von Steinkohle, dass das Fünffache des heutigen Kohlepreises als Strafzahlung vorgesehen ist. Für Kraftwerke oder Zementfabriken bedeutet das direkten Produktionsstopp, wenn die Zertifikate entweder nicht zugewiesen wurden oder nicht ausreichen. 7

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3. Sektorale und gesamtwirtschaftliche Wirkungen 3.1. Sektorale Verwerfungen Die Wirkungen des Richtlinien-Entwurfs auf die Energiewirtschaft und die energieintensiven Branchen in Deutschland wurden im RWI-Modell analysiert. Die bisherige Vernachlässigung von JI und CDM sowie die Rückwirkungen auf die Produzentenpreise wurde mit Hilfe eines Allgemeinen Gleichgewichtsmodells am Lehrstuhl für Volkswirtschaftstheorie der Universität Münster untersucht.6 Erste Ergebnisse lassen sich wie folgt beschreiben: Bei Umsetzung der EU-Richtlinie und den geschätzten Zertifikatpreisen wird der Energiesektor direkt und die energieintensiven Branchen werden sowohl direkt als auch über die höheren Stromkosten massiv belastet. Durch die gebremste Dynamik in der Volkswirtschaft geht auch die Beschäftigung in anderen Sektoren wie etwa der Investitionsgüterindustrie zurück, einer Branche, die unmittelbar von der Richtlinie gar nicht betroffen ist. Dies führt für die Kyoto-Periode 2008 – 2012 insgesamt zu Beschäftigungsrückgängen von nahezu 60.000 Arbeitsplätzen. Dieser Vergleich wurde gerechnet gegen das Referenzsystem „ein EU-weiter Handel mit Emissionen unter Einschluss von JIund CDM-Projekten". Tabelle 1 Beschäftigungseffekte nach Sektoren

2005 bis 2012, 1000 Personen 2005 2008 2010

2012

Landwirt

-0,2

-0,8

-1,0

-1,2

Energie

-1,4

-4,0

-7,2

-9,2

Grundstoffe

-0,7

-6,8

-10,3

-13,7

Invest.Güter

-1,3

-10,7

-15,9

-20,9

Verbr.Güter

-1,1

-4,6

-5,6

-6,2

0,1

-0,6

-0,7

-0,9

-3,1

-22,7

-32,5

-41,7

Nahr.u.Genuss Ver.Gewerbe Bau

0,0

-0,3

-0,7

-0,7

Handel:

-1,1

-5,2

-5,9

-5,6

Verkehr

0,1

-0,8

-1,1

-1,4

-0,1

-0,2

0,5

2,1

0,3

0,0

0,7

1,1

-5,5

-33,8

-47,3

-56,6

Dienstleistg Staat

Insgesamt Eigene Berechnungen

6

Dieses Modell generiert unter den EU-Annahmen und bei Abschaltung der Preiseffekte auf den internationalen Handel mit Energieträgern sehr ähnliche Ergebnisse wie das von der EU benutzte Modell PRIMES. 8

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Die Aussage im Folgenabschätzungsblatt des EU-RL-Vorschlags, dass es keine negativen Auswirkungen auf die Beschäftigung geben wird, beruhen auf einem gefährlichen Missverständnis: In einem Allgemeinen Gleichgewichtsmodell, wie es die EU zugrunde legt, gibt es das Problem struktureller Krisen und regionaler Schocks und der plötzlichen Entwertung von Qualifikationen per Annahme nicht; diese sind aber genau in der Realität sehr bedeutend, wenn innerhalb kurzer Zeit ein massiver Strukturwandel herbei geführt wird. Alleine in Deutschland sind Zehntausende von Arbeitsplätzen bedroht, wenn die EU-Richtlinie in der jetzt vorliegenden Version umgesetzt wird. Und einen Braunkohlebaggerfahrer aus der Lausitz setzt zwar das Computer-Modell der EU morgen früh in einem Büro in Frankfurt ein; realiter verliert er aber seinen Job ohne Aussicht auf eine vergleichbare Beschäftigung in seiner Gegend. Diese Kosten unterschlägt das EU-Computer-Modell. Die sektoralen Wirkungen auf die Wirtschaft ergeben sich zum einen jeweils direkt über die höheren eigenen Kosten für selbst eingesetzte Energieträger, aber auch sehr gravierend durch den Strompreisanstieg. Insofern werden auch Sektoren wie die Privaten Haushalte oder die Investitionsgüterbranche mit betroffen. Die Größenordnungen zeigt Tabelle 2. Tabelle 2 Kostenbelastungen nach Sektoren

2005 bis 2012, Mill. Euro 2005 2008 2010 Grundstoffe

2012

661,5

3331,8

5203,8

7153,5

73,1

300,1

462,7

635,5

177,9

1258,6

2008,1

2773,2

88,5

362,2

539,8

724,1

Invest.Güter

210,1

889,9

1320,0

1908,8

Verbr.Güter

85,2

353,1

517,9

738,7

26,1

124,6

206,1

299,3

Feinkeramik

4,6

23,9

36,6

49,1

Nahr.u.Genuss

34,9

139,4

200,4

270,6

Verkehr

46,2

191,1

274,1

402,3

Gewerbe u.a.

731,6

2996,5

4459,1

6213,1

Haushalte

588,7

2167,3

3069,7

4032,6

Insgesamt

1944,2

7729,7

11293,2

15523,1

darunter: Zement Stahl Chemie

darunter: Glas

Eigene Berechnungen

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Nur bei Einbeziehung von JI und CDM lassen sich deutlich niedrigere Grenzkosten für die CO2-Minderung erreichen. Der Ausgestaltung dieser Effizienzsteigerung der Klimavorsorgepolitik sollte sich die Politik deshalb mit höherer Priorität widmen. Die Verlierer der EU-Richtlinie werden Unternehmen und deren Beschäftigte sein, die im Energiesektor oder in den energieintensiven Branchen aktiv sind. Andere Unternehmen wie etwa Fahrzeugbau, Maschinenbau oder Elektrotechnik sind nicht in das ET-System einbezogen und können sich bestenfalls Aufträge für zusätzliche Messtechnik erhoffen.7 Außerdem liegen dort die Energiekosten i.d.R. derart niedrig, dass bereits das sachliche Verständnis für die Sorgen der tatsächlich hart betroffenen Branchen nicht sehr hoch sein wird. Gewinner werden Makler, Händler und Juristen oder Experten für Zertifizierung von Anlagen u.ä. sein. Eine Phase mit Zertifikathandel unter lediglich freiwilliger Teilnahme von Unternehmen kann keine belastbaren Erkenntnisse bringen: Die teilnehmenden Unternehmen würden keinen repräsentativen Querschnitt über alle potentiell betroffenen Anlagen darstellen. Dadurch würde eine solche Phase systematisch zu niedrige Zertifikatpreise generieren, die in einem anschließenden obligatorischen Regime weit überschritten würden. 3.2. Einigkeit „der Wirtschaft“ ? Wegen dieser unterschiedlichen Betroffenheiten ist eine einheitliche Stellungnahme der diversen Wirtschaftsverbände zum Richtlinien-Vorschlag nicht zu erwarten. Damit ist die politische Reaktion schwieriger: „Die Wirtschaft“ ist sich nicht einig. Die ökonomischen Wirkungen des vorgelegten Richtlinien-Vorschlags für Wachstum und Beschäftigung sind derart negativ, dass sie in der vorgelegten Form nicht in Kraft treten sollte. Sie trägt nicht zu einer Effizienzsteigerung der Klimavorsorgepolitik bei. Spätestens seit der Kalifornien-Krise, die ja im Kern auf einen von der Politik geschaffenen unglücklichen neuen institutionellen Rahmen zurückzuführen ist, weiß man: „Gut gemeint ist noch nicht gut gemacht.“

7

Die oben genannten Rechnungen zeigen allerdings, dass auf indirektem Wege auch vermeintlich kaum betroffene Sektoren Auswirkungen spüren werden. 10

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