Programmtext SHMF. Eine besondere Beziehung

Programmtext SHMF Eine besondere Beziehung In Kürze Frederic Chopin und Szymon Laks waren nur zwei jener vielen polnischen Musiker, die für längere Ze...
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Programmtext SHMF Eine besondere Beziehung In Kürze Frederic Chopin und Szymon Laks waren nur zwei jener vielen polnischen Musiker, die für längere Zeit in Paris lebten und manchmal – wie in ihren Fällen – sogar dort starben: Ausdruck einer spezifischen, gelegentlich fast symbiotisch wirkenden Affinität zweier Kulturkreise im Gefolge ähnlich enger politischer Verbindungen. Dabei bringt der Abstand eines knappen Jahrhunderts, in dem beide an der Seine eintrafen, einen nachhaltigen Wandel der Erinnerungsperspektiven: während Chopin gerade aus dem sehnsuchtsgespannten Patriotismus seiner Exilsituation heraus zum polnischen Nationalkomponisten werden konnte, fügte sich Laks, ohne seine slawischen (und jüdischen) Wurzeln zu verleugnen, einer vielfarbigen kosmopolitischen Szene ein, der es eher um die Spiegelung ihrer turbulenten „modernen Zeiten“ während der Zwischenkriegsjahre als um nationale Spezifika ging. So wirken die feinen Risse in den Dramaturgien des Polen wie ein moderateres Echo jener radikalen Klänge zivilisationskritischer Skepsis, denen Maurice Ravel - interessierter Kontaktmann der polnischen „Künstlerkolonie“ – in seinem Spätwerk Ausdruck gab. Text Dass Frederic Chopin, der bekannteste und national am heißesten verehrte polnische Komponist, den größten Teil seines schöpferischen Lebens außerhalb der Heimat verbringen musste, erscheint als eine politische und persönliche Tragödie. Dass sein „Standort“ für dieses halblebenslange Exil die französische Hauptstadt wurde, war freilich unter diesen Bedingungen wiederum eine relativ glückliche Fügung – nicht nur auf Grund der halb französischen Wurzeln des Künstlers, dessen Vater aus Lothringen nach Polen eingewandert war, sondern auch wegen der engen, fast symbiotischen Beziehung beider Nationen im 19. Jahrhundert, die sich dann noch weit in die Moderne hinein fortspann. Dass hatte – abgesehen davon, dass die französische Sprache und Kultur im „romantischen“ Jahrhundert lange eine ähnliche Leitfunktion besaß wie das Englische (oder besser: USAmerikanische) heutzutage – vor allem politische Ursachen: die katholisch geprägten Nationen Frankreich wie Polen gerieten in ihrer Geschichte oft in ähnliche gelagerte Rollen als Widerpart Deutschlands (oder, im engeren Sinne, Preußens) und Russlands – die romanische Nation eher aktiv, die slawische, zwischen beiden Großmächten eingekeilt, öfter

unterdrückt und zerstückelt. Andererseits waren Polen und Franzosen, so weit es kulturellästhetische Prägungen betrifft, untereinander dennoch verschieden genug, um sich gegenseitig anregen und befruchten zu können. Wenn allerdings Franz Liszt – gebürtiger Ungar und insofern ebenfalls abseits seiner Wurzeln wirkend – Chopins Lied „Meine Freuden“ für Klavier bearbeitete, dann tat er das sicher weniger im Sinne der speziellen polnisch-französischen „Entente cordiale“, sondern als pianistischer Kosmopolit, der bei anderen Gelegenheiten auch zu Verdi oder Wagner griff. Adam Mickiewicz wiederum, Chopins Textlieferant, gehörte wie dieser zu den exilierten künstlerischen Heroen Polens und lebte gleichfalls lange an der Seine; aus einem der vielen gemeinsamen Jahre -1837 – stammt die Vertonung. Gedicht und Lied freilich sind ferne von irgendwelchen politischen Assoziationen: es handelt sich um ein sinnenfrohes Liebesbekenntnis von jugendlich-poetischem Schwung, überhöht durch zwei leidenschaftlich emphatische Höhepunkte und verklingend in einem glückssatten, leise zurückgenommenen Nachspiel. Liszt behängt die Melodie für seine Tastenfassung zwar mit allerlei perlend flitternden (und im gegebenen Kontext nicht allzu sinnfälligen) Melismen – aber den leisen Ausklang immerhin behält er, wenn auch in veränderter Form, bei: eine Balance von Einfühlung und freier Umformung, wie sie auch für die ganze Bearbeitung kennzeichnend ist, die weniger eine Adaption als eine freie Improvisation über Chopins Lied darstellt. Respektvoller – freilich, wenn man so will, auch langweiliger – ging Nathan Milstein bei seiner Bearbeitung von Chopins um 1830 entstandenem, doch erst nach dessen Tod publiziertem Nocturne cis-moll vor, indem er nicht viel mehr tat, als die silbertönende, trillerverzierte Klavier-Diskantstimme an die Violine „abzugeben“. Der samtig weiche, zu schwärmerischen Träumen einladende Charakter des Stückes (mit einer etwas bewegteren, nostalgisch tönenden und gleichfalls freundlich gestimmten Balladenmelodie als Kontrastteil) bleibt erhalten, wobei die dialogische Fassung durch ihre Klangfarben-Differenzierung vielleicht ein noch geringfügig höheres Potenzial zur Entfaltung von Glanz und Dramatik einbringt; freilich sind just das Qualitäten, die gerade dieses Nocturne gar nicht unbedingt braucht. Das dritte Chopin-Stück des heutigen Programms schließlich, sein allbekannter Des-Dur„(Minuten-)Walzer“ op. 64 Nr.1, steht für die kapriziös-ironischen Seiten im Naturell des Komponisten: die grotesk-possierliche, holprig ansetzende und dann wie ein gasgefüllter Ballon abhebende Hauptmotivik wird von einem entspannt wiegenden, bei seiner Wiederholung mit blitzenden Diskant-Perlen überzuckerten B-Teil durchbrochen; eine

einzige Minute ist für all das zwar entschieden zu knapp angesetzt, doch aphoristisch geprägt ist das Stück ohne Frage. Knapp 100 Jahre nach Chopin ging auch Szymon Laks – gebürtiger Warschauer jüdischer Herkunft – nach Paris; zunächst schlicht deswegen, weil die Seine-Metropole damals neben Wien und Berlin eine Art Musik-Welthauptstadt darstellte. Außerdem gab es in Paris bereits eine lebhaft kommunizierende polnische „Musikerkolonie“, die sich 1926 sogar als formelle Vereinigung („Association des jeunes musiciens polonais“) formierte. Ihre ästhetischen Leitlinien fand sie vor allem im damals aktuellen Neoklassizismus; er prägt auch noch Laks’ 1933 entstandene „Trois pièces de concert“. Der Komponist schrieb sie in alternativen Fassungen für Violine und Violoncello. Erhalten ist nur die letztgenannte, aus der Judith Ingolfsson die heute gespielte Variante für ihr Instrument rekonstruierte. Klar geprägte Linienführung, Übersichtlichkeit und Eingängigkeit zeichnen die Stücke aus, die man sich leicht im Sinne einer klassischen dreisätzigen Sonate „zusammenhören“ kann. Gelegentlich tauchen stilisierte Folkloreanklänge auf – eine Art Rückbindung an die entfernte Heimat. Das einleitende Allegretto beginnt mit einer zärtlich-vorsichtig und tastend eröffneten, in ihrem Charakter etwas nostalgisch-gezierten Melodie, die im Fortgang variativ umspielt, gesteigert und bis zu fast majestätischer Festlichkeit verdichtet wird. Man könnte sich diese sehr gestisch geprägte Musik gut als Begleitung zu einem freundlichen Marionetten-Theaterstück vorstellen. Auch die beiden folgenden Teile wahren die „neusachliche“ Balance von Stilisierung und Einfühlung, wobei letztere im zentralen Andante vorübergehend die Oberhand gewinnt. Aus dem träumerischen, ganz privat-diskreten Sinnieren der Violine, über einer anfangs sehr schlichten akkordischen Begleitung immer weiter und freier ausschwingend, wächst ein inniges, zunehmend leidenschaftlich intensiviertes Miteinander der beiden Partner, das sich schließlich nach einer längeren Solopassage des Streichinstruments wieder in zärtliche Stille zurückzieht. Das Schluss-Allegro ist dann ein perpetuum-mobile-artiger Kehraus, nervösunrastig mit einigen rhythmischen Kapriolen und einem lakonischen Schluss: eine Art Eingeständnis, dass die ideale Welt des Mittelstücks wohl doch nicht von ewiger Dauer sein kann. Sie war es auch für Szymon Laks nicht: 1941 als „Auslandsjude“ von den deutschen Okkupanten verhaftet, durchlebte er als Leiter der Lagerkapelle die Höllen von Birkenau und Dachau. Dass sein kompositorisches Gesamtwerk so schmal (und gerade in Deutschland noch kaum bekannt) ist, hat auch mit diesen traumatischen Erlebnissen zu tun, für deren Aufarbeitung er zunächst die literarische Form vorzog; auch in seinen späteren Jahren

vertraute er oft eher der Wirksamkeit der Buchstaben als der der Noten, wobei er die meisten seiner publizistischen und literarischen Arbeiten weiter in Polnisch verfasste, obwohl er 1956 französischer Staatsbürger geworden war. Den tiefen biographischen Einschnitt, den Okkupation und Inhaftierung für Laks darstellten, kann man seiner 1949 entstandenen Ballade „Hommage à Chopin“ weniger anhören als vielleicht erwartet - obwohl sie eines der ersten Werke war, mit dem sich der Künstler nach Kriegsende und Befreiung wieder musikalisch artikulierte. Vielleicht erklärt sich der elegische, später auch schmerzlich zerrissene, aber kaum wirklich existenziell aufgewühlte Charakter der Komposition mit ihren impressionistischen Klangauflockerungen und sanft gleitenden Modulationen aus einer Art identifikationsstiftender Einfühlung in den Widmungsträger (Laks schrieb das Stück für den ersten Warschauer Chopin-Wettbewerb nach dem Weltkrieg); dessen ästhetische Sublimierung seines politisch-patriotischen wie persönlichen Leids konnte inmitten der europäischen Ruinenfelder, hundert Jahre nach Chopins Tod, durchaus wieder zum Leitbild werden. Zu jenen Komponisten, die enge Verbindung mit der Pariser Zirkel polnischer Musiker hielten, zählte der damals bereits hoch renommierte, aber auch schon von den Anfängen seiner finalen Nervenkrankheit gezeichnete Maurice Ravel. Überliefert ist, dass in mindestens einem Konzert – wie auch heute - die „Trois pièces“ von Laks neben einer Klavierfassung (der Komponist erstellte sowohl eine zwei- wie auch eine vierhändige) von dessen „La Valse“ erklangen: jener als Tanzstück geplanten Komposition von 1920, die Jahre vorher als Huldigung an die Lebensfreude des Wiener Walzers geplant und nun, nach dem einschneidenden Erlebnis des 1. Weltkriegs, zum „fratzenhaft verzerrten Abgesang auf ein ganzes Jahrhundert“ – so Michael Stegemann – geworden war. Das Stück beginnt mit einem dumpf-animalischen Pulsieren – als lege man das Stethoskop an eine menschliche Brust oder höre als Embryo den mütterlichen Herzschlag. Dann tauchen geisterhaft verflatternde Walzer-Schattenbilder auf, die sich, ganz nach dem Muster der Strauß-Dynastie, zu einer Tanzkette formieren. Freilich ist bei Ravel alles, was im k.u.k.Wien kultiviert und domestiziert erschien, bis an die Grenze des Umkippens forciert: erotisches Begehren wird zu sexueller Aggressivität, frischer Schwung zu militant auftrumpfenden Schneid. Wenn sich die Walzerzitate am Ende immer mehr fragmentieren, ineinanderschieben und auf wankendem Boden wie von einem Malstrom angesogen werden, verkehrt sich die animalische Geborgenheit des Beginns zu einem ungeschützten Sturz in gleißende Leere: Sinnbild einer „zerstörerischen Dynamik des Begehrens“ (Jan Brachmann), die zu Kontrollverlust und Zusammenbruch führt.

Im Gegensatz zur „Valse“, die bereits existierte, als Laks nach Paris kam, stammt die nach langer Entstehungszeit 1927 beendete Violinsonate Ravels direkt aus den Jahren seiner Kontakte zu der polnischen Gruppe: eines jener späten kammermusikalischen Werke, die der Franzose seiner zunehmend labilen Gesundheit abrang und die, obwohl nicht vordergründig tragisch gestimmt, ihre inneren Spannungen in einer bohrend kriselnden Nervosität abarbeiten. So findet schon die Vielgestaltigkeit des ersten Satzes keine rechte Bodenhaftung. Eher erscheint die Musik so, als zögen Wolkenschatten über eine bewegte Wasserfläche: schwankend, oft ins Unscharfe verlaufend und mehr durch Bewegungsform und Atmosphäre als durch fest umrissene thematische Gestalten gekennzeichnet – ausgenommen das gleichzeitig weich gleitende und nervös flimmernde Eingangsmotiv, das zwischen den träumerischen Ruhepunkten immer wieder neu angesteuert wird. Der folgende „Blues“ nimmt zwar, bis hin zu den gezupften Banjo- oder KontrabassAnverwandlungen der Violine, tatsächlich Elemente elegischer Jazz-Varianten auf, lässt freilich in seiner anfänglich schmachtend-lasziven, dann mit zunehmendem Swing aufgeheizten Atmosphäre ebenso auch Spanisches und Lateinamerikanisches durchscheinen. Ehe sich die Violine in der Coda wie eine maunzende Katze (oder, musikintern, wie ein glissandierendes Saxophon) verabschiedet, rennen sich die Partner erst einmal heftig fest – Vorgriff auf einige analoge Stellen rasenden Stillstands im nervös sprüngigen, instabilen und bei aller Energie oft ziellos wirkenden Finale, das auch Motive der vorangegangenen Sätze wieder aufgreift und schließlich ähnlich abrupt, wenn auch nicht so katastrophisch endet wie Ravels „Bolero“ oder eben „La Valse“: die „goldenen Zwanziger“ erscheinen bei dem skeptischen Franzosen weniger als Zeiten mitreißender Dynamik denn als solche einer tief greifenden Verunsicherung.

Gerald Felber

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