Predigt zur Interkulturellen Woche Vielfalt. Das Beste gegen Einfalt. Lk 18,9-14. Auferstehungskirche Hannover am 27

Predigt zur Interkulturellen Woche 2016 Vielfalt. Das Beste gegen Einfalt. Lk 18,9-14 Auferstehungskirche Hannover am 27. September 2016 - Es gilt das...
Author: Silke Althaus
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Predigt zur Interkulturellen Woche 2016 Vielfalt. Das Beste gegen Einfalt. Lk 18,9-14 Auferstehungskirche Hannover am 27. September 2016 - Es gilt das gesprochene Wort -

9 Er sagte aber zu einigen, die sich anmaßten, fromm zu sein, und verachteten die andern, dies Gleichnis: 10 Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. 11 Der Pharisäer stand für sich und betete so: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner. 12 Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme. 13 Der Zöllner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig! 14 Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserm Vater und unserm Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde!

„Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner.“ Wer mit dieser Geschichte groß geworden ist, verteilt bereits an dieser Stelle Sympathie und Antipathie. Die Antipathie gilt dem Pharisäer, die Sympathie dem Zöllner. So haben wir es im Kindergottesdienst und im Religionsunterricht gelernt. Dort wurden jene Geschichten erzählt, in denen Jesus konsequent Partei für die Zöllner ergreift, während er mit den Pharisäern immer wieder über Kreuz liegt. Hier der protzige, selbstgefällige Pharisäer, dort der demütige Zöllner.

Damit geschieht dem Pharisäer und der ganzen pharisäischen Bewegung Unrecht. Was die pharisäische Bewegung zu Zeit Jesu war, was sie leistete zum Wohl des Volkes, aus welchen Traditionen sie sich speiste und was sie hervorbrachte, das würde für einen langen Film reichen. Was erfahren wir von diesem pharisäischen Menschen, der sich um die Mittagszeit zum Gebet in den Tempel aufmacht? Er steht in den Tempel und betet: „Ich danke Dir Gott, dass ich nicht bin

wie andere Menschen: Räuber, Ungerechte, Ehebrecher.“ Er hat recht, wenn er feststellt: Es ist nicht egal, wie wir unser Leben gestalten. Ob wir Gott die Ehre geben oder ob uns seine Gebote egal sind. Und noch etwas weiß der Pharisäer, es ist fast verborgen in seiner Bemerkung: „Ich danke Dir, dass ich bin!“ Ich habe es Gott zu verdanken. Nicht aus mir heraus, sondern weil er mich dazu fähig gemacht hat, kann ich mein Leben gestalten. Doch sein geäußertes „dass ich nicht bin“ wirkt sofort unangenehm, arrogant, selbstherrlich.

Doch schauen wir auch auf den Zöllner und nehmen ihn nicht zu schnell zum Vorbild! Auch er ist ein problematischer Kerl. Er wirkte als Steuereinzieher im Dienste des römischen Staates. Die Zöllner mussten dem Staat im Voraus eine Summe abliefern und hatten nachher das Recht, von den Leuten Geld einzuziehen. Manche zogen zu viel ein und wurden reich. Außerdem machte der Umgang mit den Römern diese Zöllner, die Juden waren, kultisch unrein. Deshalb zählte man sie zu den Heiden und Sündern. Die Verachtung, die der Zöllner zu spüren bekommt, hat also durchaus Gründe.

Pharisäer und Zöllner vor Gott im Gebet. Diese Szene steht in einer Reihe von Gesprächen, die Jesus auf einer Wanderung erzählt. Vielleicht kam er gerade durch ein Dorf, er sitzt mit einigen Jüngern und Neugierigen zusammen, es wird frisches Wasser aus dem Brunnen getrunken, etwas gegessen. Und vielleicht hörte Jesus dann auch die Gespräche der umstehenden Menschen. In der Bibel heißt es:

„Einige, die sich anmaßten, fromm zu sein und die anderen verachteten.“

Es wird so gewesen sein, wie es eben ist, wenn Menschen zusammen sind. Sie reden über sich und über andere. Das Bild, das man dabei von der eigenen Person zeichnet, ist in der Regel gut. Wer von uns ist schon schwierig und gibt dies auch noch zu? Wer von uns geht schon mit seinen Fehlern hausieren und stellt sie zur Schau? Niemand. Wir rücken uns in der Regel in ein gutes Licht und sehen uns ja auch in diesem Licht. Besonders im Vergleich zu den anderen. Wie gut, dass ich nicht bin wie die anderen.

Doch wie gut kennen wir diesen Satz: „.. sich anmaßen, fromm zu sein und andere zu verachten.“ Wir beurteilen ständig und immerzu, alles und jeden. Wir investieren viel Energie: um uns selbst positiv herauszustellen und andere in den Schatten.

In der Erzählung vom Pharisäer und Zöllner geht es, glaube ich, nicht um eine einzelne konkrete Schuld, die beim Zöllner ja schnell festzustellen wäre. Es geht um eine grundsätzliche Haltung dem Leben und anderen Menschen gegenüber. Pharisäer und Zöllner verkörpern für mich nicht nur einzelne Menschen, sondern eine Gesellschaft und ihre geschriebenen und ungeschriebenen Ordnungen. Mit einer Haltung, die sich oftmals unbemerkt über Reichtum, Schönheit oder Macht definiert.

In geistlichen Dingen, so schien es, war der Pharisäer dem Zöllner haushoch überlegen. Es ist die Versuchung, sich über Stärke zu definieren. Manchmal auch über andere Merkmale, von denen wir meinen, sie zeichnen uns aus: Redlichkeit, Ehrlichkeit oder Güte. Wir hier drinnen im sicheren Land, das haben wir uns verdient! Und ihr da draußen vor den Grenzen, selbst schuld! Wie viel Missgunst und Schäbigkeit konnte man in den Gesprächen der vergangenen Jahre über Griechen oder Rumänen hören. Über Menschen aus Algerien oder Somalia.

In all den vielen Worten, die wir in diesen aufgeregten Monaten in unserem Land reden, fehlen grundsätzliche Worte. Worte, die unser aller gesellschaftliche Mitverantwortung zum Ausdruck bringen. Worte, die von der schuldhaften Verstrickung in ungerechte, perspektivlose Lebensbedingungen reden. Worte, die unsere Mitverantwortung einklagen für Häme und Hetze in sozialen Netzwerken. Worte, die unsere Art des Wirtschaftens, Denkens und Politisierens infrage stellen. Ein Wort fehlt allerdings fast immer: „Gott, sei uns armen Sündern gnädig ..!“

Gott, sei mir Sünder gnädig. Allein vor Gott, da wird vieles in unserem Leben relativ. Wir spüren, dass wir in dieser Welt kleine Lichter sind und dass wir Gott in unserem Leben nicht gerecht werden. Gerade die bedeutendsten Theologen, die großen Einfluss auf die Geschichte des Christentums hatten, haben das für sich erkannt: angefangen vom Apostel Paulus über Augustin, Thomas von Aquin, Martin Luther, Dietrich Bonhoeffer. Wir sind Bettler, das ist wahr. So soll Luther z. B. auf dem Sterbebett gesagt haben.

Pharisäer und Zöllner vor Gott im Gebet. Der gute Pharisäer, dessen Dank in Überheblichkeit umschlägt, und der durchtriebene Zöllner, der nichts mehr herausbringt, und gerade darum zur Einsicht gelangt. Und die Erzählung schließt: „Ich sage euch: Dieser ging befreit in sein Haus zurück, jener nicht. Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.“

Darum wird es gehen: zu lernen, uns und unseren Nächsten im Lichte Gottes zu sehen. Es geht um Augenhöhe. Gott selbst hat es vorgemacht. Der Allmächtige, der Schöpfer des Himmels und der Erde kam in seinem Sohn Jesus Christus in Augenhöhe zu uns. Und wir? Wir schauen liebend gern von oben herab auf andere. Doch wer sich selbst erhöht, den holt Gott herunter.

Es gibt ein wunderbares Video der Aktion Mensch. Leicht zu finden unter You tube, Das erste Mal. Dort treffen sich zu einem scheinbaren Casting immer zwei Menschen im Studio, die sich zuvor noch niemals gesehen haben. Da steht zum Beispiel eine junge Frau und es fährt ein Rollstuhlfahrer herein. Dort wartet eine blinde Frau und trifft auf einen Sehenden, ein Stummer begegnet einer Sprechenden und hilft sich mit Gebärdensprache. Nun sollen die jeweiligen Paare, so der Vorschlag des Regisseurs, sich begrüßen und kennenlernen. Und anschließend miteinander kleine Szenen spielen. In einem Auftritt ist auch eine kleinwüchsige Frau zu sehen, die auf eine große Mitdarstellerin trifft. Die bemüht sich Augenhöhe herzustellen. Sie bückt sich hinunter, schließlich kniet sie und versucht so auf Augenhöhe zu kommen. Beide lachen. Schließlich sagt die Kleinwüchsige. „Lass, man, ist doch unbequem für Dich.“

Ich finde diesen Kurzfilm so schön, weil er in leichter und fröhlicher Weise zeigt, was Augenhöhe meint. Wir werden nicht gleich. Ich werde in aller Sympathie kein Sinti, kein Syrer, kein Marokkaner. Doch die Merkmale wie Hautfarbe oder Sprache verlieren ihren trennenden Charakter. Jesus bindet Menschen zusammen, statt sie zu trennen, über alle staatlichen oder kulturellen Grenzen hinweg. Er verbindet das Unmögliche. Nicht im Palast zu Jerusalem kommt er zur Welt, sondern im Stall von Bethlehem. Ohne Soldatenschutz, aber umgeben von Hirten, den Ausgegrenzten ihrer Zeit, mit denen man besser nichts zu tun haben wollte. Bei ihm kommen alle zusammen, unabhängig von ihrem Hintergrund oder der sozialen Stellung. Vielfalt. „Wer, dort, wo der Heilige Geist gesprochen hat, noch der Stimme seines Blutes, seiner Natur, seiner Sympathien und Antipathien Gehör leiht, versündigt sich am Sakrament“, so schreibt Dietrich Bonhoeffer in dem Buch Nachfolge (S. 250) und er fügt an:

„Verweigert die Welt Gerechtigkeit, so wird der Christ Barmherzigkeit üben, hüllt sich die Welt in Lüge, so wird er seinen Mund für die Stummen auftun und für die Wahrheit Zeugnis geben. Um des Bruders willen, sei er Jude oder Grieche, Knecht oder Freier, stark oder schwach, edel oder unedel, wird er auf alle Gemeinschaft der Welt verzichten; denn er dient der Gemeinschaft des Leibes Jesu Christi. So kann er in dieser Gemeinschaft auch nicht verborgen bleiben vor der Welt, Er ist herausgerufen und folgt nach. (S.253).

Der Weg, den die Geschichte vom Pharisäer und Zöllner beschreibt, war damals wie heute eine persönliche Herausforderung. Nicht nur in einer interkulturellen Woche, sondern jeden Tag, wenn ich auf mich und andere Menschen schaue braucht es Ehrlichkeit, Demut und Augenhöhe.

Gott helfe uns auf diesem Weg.

Amen