Predigt vom 29.5.2016 Johannes 4, 46-54 „Besonderheiten am Glauben“ Pfr. i.R. Herbert Großarth

Johannes 4 46 Auf seinem Weg durch Galiläa kam Jesus auch wieder nach Kana, wo er Wasser in Wein verwandelt hatte. In Kapernaum lebte ein königlicher Beamter, dessen Sohn sehr krank war. 47 Als dieser Mann hörte, dass Jesus aus Judäa nach Galiläa zurückgekehrt war, ging er zu ihm und bat: "Komm schnell in mein Haus, und heile meinen todkranken Sohn!" 48 "Wenn ihr nicht immer neue Zeichen und Wunder seht, glaubt ihr nicht", hielt Jesus ihm entgegen. 49 Aber der Beamte flehte ihn an: "Herr, komm doch schnell herab, sonst stirbt mein Kind!" 50 "Geh nach Hause", sagte Jesus, "dein Sohn lebt!" Der Mann glaubte ihm und ging nach Hause. 51 Noch während er unterwegs war, kamen ihm einige seiner Diener entgegen. "Dein Kind ist gesund!", riefen sie. 52 Der Vater erkundigte sich: "Seit wann geht es ihm besser?" Sie antworteten: "Gestern Mittag gegen ein Uhr hatte er plötzlich kein Fieber mehr." 53 Da erinnerte sich der Vater, dass Jesus genau in dieser Stunde gesagt hatte: "Dein Sohn ist gesund!" Seitdem glaubte dieser Mann mit allen, die in seinem Haus lebten, an Jesus. Liebe Gemeinde, In dieser Geschichte geht es um den Glauben. Mehrfach kommt dieses Wort vor. Zunächst ganz zu Beginn. Da sagt Jesus: (V.48) "Wenn ihr nicht immer neue Zeichen und Wunder seht, glaubt ihr nicht". Und wir denken an die vielen Menschen heute, die uns in Diskussionen und Gesprächen sagen: Ja, wenn Gott sich einmal zeigen würde … Ja, wenn jetzt ein Wunder passieren würde … Ja, wenn Gott jetzt in den Krisen- und Katastrophengebieten eingreifen würde … Ja, wenn … wenn … wenn … Und es fallen uns auch Situationen aus dem eigenen Leben ein, wo auch wir nach einem Zeichen, einem Wunder verlangt haben: als Stärkung für unsren Glauben als Vergewisserung als Hilfe in auswegloser Situation. 1

Ich denke, dass das uns allen nicht fremd ist. Doch oft genug bleiben die Zeichen und Wunder aus, oft genug stehen wir ratlos da und haben auch keine Erklärung, warum dies oder jenes passiert ist. Da bleibt die Situation verfahren; da bleibt die Krankheit, mehr noch: sie verschlimmert sich und es kommt der Tod; da bleiben die Probleme in der Familie, am Arbeitsplatz, in der Gemeinde. Ich habe es schon oft hier gesagt: Ich habe bis heute viele Fragen, auf die ich keine Antwort bekommen habe. Da hat Gott offensichtlich viele Gebete nicht erhört, zumindest hat er nicht so gehandelt, wie ich es erbeten, ja erfleht hatte. "Herr, komm doch schnell, sonst stirbt mein Kind!" sagt der königliche Beamte. „Herr, greif doch ein. Du hast doch die Macht zu heilen – sonst stirbt er, sonst stirbt sie …“ Mehr als einmal habe ich so gebetet, habe ich so mit Gott gerungen… Und es kam doch so ganz anders als erbeten, als gewünscht. Und ich weiß, es gibt eine Reihe von Leuten hier im Gottesdienst, die haben das auch so erlebt. Haben wir falsch gebetet? Es bleiben Fragen. Gut, sie bedrängen mich heute nicht mehr so. Aber es bleiben Fragen. Und ich bin skeptisch gegenüber so manchen vollmundigen frommen Sprüchen. Es geht nicht jede fromme Rechnung auf. Glauben ohne Anfechtung, ohne offene Fragen gibt es nicht. Ich sagte: In dieser Geschichte geht es um den Glauben. Da heißt es dann weiter: (V.50) Der Mann glaubte ihm und ging nach Hause. Ein Ausländer, ein Fremder, ein Heide, einer mit einem anderen Glauben, mit einem falschen Glauben. Er glaubt dem Wort Jesu – ohne Wenn und Aber. Er glaubt etwas Außergewöhnliches. Er glaubt, dass Jesus die Macht hat, mit einem Wort aus der Ferne zu heilen. In der Parallele bei Matthäus wird das sogar genauso ausgedrückt. Da lesen wir: (9,8) Sprich nur ein einziges Wort, dann wird mein Diener gesund. Jesus mutet dem Mann viel zu, und der Mann geht das Risiko ein: Er glaubt dem Wort Jesu. Auch hier fallen mir Menschen ein, die sich durchgerungen haben zum Glauben an Jesus. Denn Jesus mutet uns auch heute noch viel zu: Glauben ohne zu sehen, ohne letzte Beweise. Und wir hören die kritischen Stimmen, die von außen auf uns zukommen: Was ihr da Glaubenserfahrungen nennt, das sind doch subjektive Interpretationen, vielleicht sogar nur Einbildungen. Und Eindrücke, Bilder, die ihr habt und von denen ihr meint, sie kämen von Gott … Können die nicht ganz einfach Wünsche und Sehnsüchte oder auch Ängste eurer Psyche sein, die sich so verdichten, dass ihr meint, sie kämen von Gott? Dass ihr meint, ihr hörtet die reine Stimme Gottes? Jesus mutet uns auch heute noch viel zu: Glauben ohne letzte Beweise. 2

Oder: Glauben, dass er letztlich doch die Macht hat – gegen allen Augenschein. Wir sehen, ja wir erleiden, dass ganz andere Mächte das Sagen haben, die sogar durch unvorhersehbare Terrorakte in unser gesellschaftliches Leben hinein wirken und Angst und Schrecken verbreiten. Und dann hören wir sein Wort: „Mir ist gegeben alle Macht im Himmel und auf Erden …“ Jesus mutet uns auch heute noch viel zu: Glauben, dass er letztlich die Macht hat – gegen allen Augenschein. Oder: Glauben, dass sein Wort auch heute noch verändernde, heilende Kraft hat, und ich sehe so viel Zerbruch, so viel Kümmerlichkeit, so viel Verwundetes, NichtHeilgewordenes auch im Leben von Christen, auch im Zusammenleben unserer Gemeinde. Da ist ja auch nicht alles Gold, was glänzt. Auch da gibt es Neid und Misstrauen und Rederei hinten herum … Oder: Glauben, dass sein Wort tatsächlich nicht leer zurück kommt, obwohl Millionen gleichgültig, ablehnend, distanziert ihr Leben leben - ohne Gott, ohne Jesus und deswegen gar nicht mal unglücklich sind. Im Gegenteil - Vor drei Tagen las ich eine Notiz in der WAZ. Darin wurde von einer Umfrage berichtet. In der gaben 52% der Befragten an, sich nicht vorstellen zu können, ohne das Internet glücklich zu sein. Ein Glücklichsein ohne Gott ist hingegen für etwa 80% denkbar. So sieht die Realität wohl aus in Deutschland. Liebe Gemeinde, Jesus mutet uns auch heute noch eine Menge zu. Und ich gestehe: Manchmal fällt es mir schwer. Da werde ich durch die Erfahrungen mit der Realität ganz schön verunsichert und ich stehe auch ein bisschen hilflos und ratlos vor den bombastischen Erfahrungen anderer, die davon berichten, wie sie Worte Gottes gehört haben wollen und dadurch Führung – sogar im Detail - erfahren haben. Ich frage vielmehr: Wo bleibt Jesu verändernde, Jesu heil machende Kraft? Wenn sie da wäre, müsste es doch in unserem persönlichen Leben, in unserem Gemeindeleben anders aussehen. Dann müssten von uns allen, wenn wir zu Jesus gehören, heilende Kräfte ausgehen – Ströme lebendigen Wassers nennt Jesus das mal – dann müsste hier in der APO mehr und mehr eine heilende, heilmachende Atmosphäre entstehen, in der man wirklich „zu Hause“ ist – wie es unser Ziele-und-Werte-Papier sagt. Deswegen frage ich: Wo erleben wir allein oder auch zusammen das Wirken des Hl. Geistes? Noch einmal: 3

In dieser Geschichte geht es um den Glauben. Am Ende heißt es: (V.53 Seitdem glaubte dieser Mann mit allen, die in seinem Haus lebten, an Jesus. Der Mann hatte Außergewöhnliches geglaubt, und nun macht er eine außergewöhnliche Erfahrung: Sein Sohn lebt tatsächlich. Und er forscht nach, und er erfährt: Es war zu der Stunde, als er das Gespräch mit Jesus hatte – seitdem ging es dem Sohn besser. Meine erste Reaktion: Das müsste ich auch mal erleben. So drastisch, so massiv, so Knall auf Fall – ganz ohne Medikamente. Hier ´n Gebet, dann der waghalsige Sprung in den Glauben, ins volle Risiko – und dann der Erweis der Macht Jesu: Es hat geklappt. D e r Mann braucht nicht mehr gegen allen Augenschein zu glauben. Er hat Jesu Macht massiv erfahren, mit eigenen Augen gesehen. Da i s t was passiert. Da h a t sich was verändert: Sein Sohn lebt. Volles Risiko – voller Erfolg … Ist das Glauben? Kann man solch einen Automatismus aufstellen? Volles Risiko - voller Erfolg! Wir wollen uns den Glauben dieses Mannes, besser: die Glaubensgeschichte, die Glaubensentwicklung noch einmal näher ansehen. Ich entdecke drei Besonderheiten: 1. Sein Glaube entsteht in der Not 2. Sein Glaube bewährt sich oder: reift in der Begegnung mit Jesus 3. Sein Glaube macht anderen Mut, auch zu glauben.

1. Sein Glaube entsteht in der Not Der Mann, der zu Jesus kommt, ist am Ende. Eigentlich ist er ein Mann voller Energie und Aktivität und voller Ideen, ein Mann, der schon viel angepackt und bewerkstelligt hat, der schon so manchen Erfolg für sich verbuchen konnte - Dieser Mann weiß sich keinen Rat mehr. Er sieht seine elende, ausweglose Situation und geht zu Jesus. Ein Mann mit dem Gefühl der absoluten Ohnmacht, ein Mann am Rande der Verzweiflung – er sucht Jesus auf. Warum? Sicher hat er von ihm gehört, dass er Kranke geheilt hat, also besondere Kräfte hat. Oder er hat von dem weinwunder bei der Hochzeit zu Kana gehört. Mehr hat er über Jesus sicher nicht gewusst. Aber in seiner Verzweiflung hofft er auf ein Wunder. So macht er sich auf den beschwerlichen Weg. Nichts ist ihm zu viel; wenn nur sein Kind gerettet würde! Dieser Mann hat noch nicht viel Ahnung vom Glauben, kein großes Wissen, kein dickes Glaubensbekenntnis. Er hat nur den Funken Hoffnung, dass Jesus helfen kann. 4

Liebe Gemeinde, es ist völlig egal, aus welchen Gründen wir zu Jesus kommen. Es ist völlig egal, was wir an Vorwissen, an Erfahrung, an Glauben mitbringen. Hauptsache, wir kommen. Hauptsache, wir suchen ihn auf. Hauptsache, wir sprechen vor ihm aus, was uns bedrückt, was uns quält, was uns Angst macht. Hauptsache, wir sagen ihm, was unsere Not ist. Vielleicht ist es eine Krankheitsnot oder ein Schicksalsschlag oder ein familiäres Problem oder auch ein beruflicher Rückschlag – Egal. So fängt Glauben oft an: Dass uns irgend e t w a s, dass uns irgend w e r zu Jesus hinführt, vielleicht sogar zu Jesus hinzieht. Egal, aus welchen Gründen wir kommen – Hauptsache, wir kommen. Dann kann unsere Glaubensgeschichte, dann kann unsere Glaubensentwicklung beginnen.

2. Sein Glaube bewährt sich oder auch: reift in der Begegnung mit Jesus. Der verzweifelte Mann steht vor Jesus, trägt ihm sein Anliegen vor, legt seine ganze Hoffnung hinein – und … - wird erst einmal enttäuscht. Kurz und schroff weist Jesus ihn ab: „Wenn ihr nicht immer neue Zeichen und Wunder seht, glaubt ihr nicht". Er sagt damit: Ich bin kein Wunderheiler, kein Magier, kein Zauberdoktor. Wer nur kommt, damit ich ihn aus einer augenblicklichen Not, aus einer augenblicklichen Verlegenheit heraus helfen soll und danach so weiter lebt wie bisher, der ist bei mir an der falschen Adresse. Jesus weist den Mann zunächst ab, ziemlich schroff, ziemlich brüsk. Eigentlich hätte der Mann sich nun zurück ziehen können – enttäuscht, frustriert: Jesus k a n n doch nicht helfen. Er ist auch nicht besser als die anderen. Oder. Jesus w i l l nicht helfen. Ich bin ihm wohl nicht gut genug. Er hat also doch Vorurteile. Er ist genauso arrogant wie viele andere. Sonderbar – Der Mann lässt sich nicht abweisen. Beharrlich bleibt er dran. Es heißt im Text: Der Beamte flehte ihn an: "Herr, komm doch schnell herab, sonst stirbt mein Kind!" Herr, so nennt er Jesus. Herr, ich brauche dich. Herr, erbarme dich. Herr, komme herab in meine Not. Ich brauche dich. Damit breitet der Mann seine ganze Not, seine ganze Verzweiflung vor Jesus aus. Damit sagt er ihm: Ich kann mir selber nicht mehr helfen. Keiner kann mir mehr helfen. Ich brauche dich. Komm in mein Haus, komm, ich brauche dich! Liebe Gemeinde, oftmals lässt uns Gott in solche Situationen der Not, der Verzweiflung kommen, damit wir wieder die richtige Blickrichtung bekommen: Herr, komm zu mir herab, sonst geht es nicht weiter. Nur du kannst eine Wende herbei führen. Das ist uns oft gegen den Strich. Wir wollen was vorweisen können. Wir wollen selber de Dinge regeln. wir wollen selber die Krise meistern. Unser Stolz, auch unser frommer Stolz, treibt oft sonderbare Blüten. Da sind wir am Ende, doch wir geben es nicht zu. Wir wurschteln lieber weiter selber herum. Unser Stolz steht uns im Wege, vor Jesus klein bei zu geben und endlich zusagen: Herr, komm du 5

herab, mein Glaube stirbt sonst. Herr, komm du herab, meine Liebe, meine Hoffnung, meine Freude sterben sonst. Herr, komm du herab, unsere Gemeinschaft, unser Vertrauen zueinander, unsere Offenheit stirbt sonst. Das ist nicht leicht, den eigenen Stolz fahren zu lassen. Das weiß ich selber nur zu gut. Man ist doch wer! Man hat sich doch einen Namen gemacht – auch als Gemeinde. Man hat doch schon so viel erreicht. Man hat doch schon so viele gute und besondere Glaubenserfahrungen gemacht. Und man hat doch noch so viel Ideen, so viel Energie, so viel Kreativität. Der Mann aus der Geschichte sieht seine Not, sieht seine Ohnmacht und bringt sie zu Jesus. Der Mann aus der Geschichte steht mit leeren Händen vor Jesus und erwartet alles von ihm. Der Mann aus der Geschichte lässt nicht locker. Und dann bekommt er eine Antwort, bekommt der eine Verheißung: (V.50) "Geh nach Hause", sagte Jesus, "dein Sohn lebt!" Ein Wort nur, eine Zumutung, aber eine Verheißung. Noch ist nichts davon zu sehen. Noch kann er es nur glauben. Noch hat er einen weiten, beschwerlichen Weg vor sich. So ungefähr 30 km, und das durch die Nacht. Da werden ihm sicherlich Fragen gekommen sein: Wird es wirklich so sein? Wird es eine gute Zukunft geben? Was, wenn nicht? Er geht zurück, durch die Nacht - auf das Wort Jesu hin, Er geht zurück durch die Nacht mit dem Wort Jesu. Er geht, und die Verheißung geht mit. Er geht – und gewissermaßen geht Jesus mit. Und schließlich noch die dritte Beobachtung. 3. Sein Glaube macht anderen Mut, auch zu glauben Es heißt im Text: (V. 53) „Seitdem glaubte dieser Mann mit allen, die in seinem Haus lebten, an Jesus.“ Ich verstehe das so: Er kann nicht für sich behalten, was er erlebt hat. Er muss davon erzählen. Das ist uns nicht neu. Viele machen das so. Sie haben Jesus gefunden – vielleicht in der Lichtspur - und erzählen von ihm, laden andere ein zu ihm. Aber ich denke, da ist noch etwas, was anziehend wirkt: Der Mann ist selbst von dem, was er erlebt hat, so gepackt, dass er einfach davon reden m u s s . Man spürt es ihm ab: Sein Glaube ist echt. Sein Glaube ist keine aufgesetzte Frömmigkeit. Sein Glaube ist nicht gestellt, keine missionarische Pflicht, keine kalte Ideologie, auch kein dogmatischer Fanatismus. Man spürt es ihm ab: Er ist persönlich betroffen, fasziniert, dankbar. Die Begegnung mit Jesus, diese besondere Erfahrung hat ihn verändert. So ein Glaube wirkt befreiend, einladend. Ich wünschte, dass unser Glaube sich dahin entwickelt. Nein – wir werden nicht von einem Glaubenshoch zum nächsten schweben. 6

Nein – wir werden nicht immer - wie auf Kommando - die Stimme Gottes hören. Es gibt auch die Erfahrung des schweigenden Gottes. Und wir haben es mit der besten Methode nicht in der Hand, dass Gott redet. Das wäre Anmaßung, ja sogar Magie. Nein – wir werden nicht laufende Meter bombastische oder übernatürliche Erfahrungen machen, auch nicht „Wunderheilungen auf Knopfdruck“, wie bestellt in gewissen spektakulären Heilungsgottesdiensten, die mehr Show und sensationslüsterne Happenings sind als Gottesdienste. Und das sage ich als einer, der sich vor einiger Zeit ganz bewusst für charismatische Elemente des Glaubens geöffnet hat. Es gibt keine Garantie für ein übernatürliches Wirken Gottes. Das sage ich mit Nachdruck: Doch – es g i b t ein übernatürliches Handeln Gottes, aber wir haben es nicht in der Hand, dass er übernatürlich handelt. Allerdings: Auch wenn er nicht übernatürlich handelt, werden wir die Erfahrung machen: Er ist da; Er ist dabei. Es ist die Erfahrung von Psalm 23: „… und ob ich schon wanderte im finsteren Tal fürchte ich kein Unglück. Denn du bist bei mir. Dein Stecken und Stab trösten mich.“ Im Aidlinger Bibellesezettel „Zeit mit Gott“ fand ich am Himmelfahrtstag einen schönen Gedanken: „Für die Wanderung durch dunkle Täler der Krankheit und des Leides gilt: Über dir sind die segnenden Hände des auferstandenen Herrn. Es sind die durchbohrten Hände, die dir sagen: Jesus ist Sieger. Er will seinen Sieg mit dir teilen. Er bleibt für immer bei dir.“ Ich will Ihnen zum Schluss von einem Erleben erzählen, wo ich Beides erlebt habe: Eine große Enttäuschung und zugleich die Erfahrung: Jesus ist da und gibt eine Verheißung; Ja, Jesus geht mit und eröffnet eine große, neue Perspektive. So offen rede ich jetzt zum ersten Mal in einer Predigt davon. Manche erinnern sich vielleicht noch an Lea Perret, die mit 14 Jahren einen aggressiven Krebs bekam. 10 Jahre zuvor war ihre Mutter bei einem Verkehrsunfall tödlich verunglückt. Viele, viele haben für Lea gebetet – auch in der APO, sogar bei Willow Creek. Eine Zeitlang schien es, als würde der Krebs tatsächlich besiegt werden können. Doch dann gab es einen heftigen Rückfall, und irgendwann sagten die Ärzte: Wir werden das nicht den Griff kriegen. Es wird zu Ende gehen. Da war sie 15 Jahre alt. Es war der Sommer 2010. Es war die WM. Wir hatten Gemeindefest morgens mit einem Familiengottesdienst auf der APO-Wiese. Es gab ein Theaterstück. Da ging es um die Heilung eines Kranken. Einer spielte Jesus. Und der heilte den Kranken auf der Bühne.

7

Und als ich die Szene so sah – ich saß an der Hecke, wo das Klettergerüst ist – da kamen mir die Tränen. Und ich betete, ja flehte Jesus an: „Jesus, du bist doch auferstanden. Du hast doch noch dieselbe Kraft wie damals. Das, was damals geschehen ist, kann auch heute noch geschehen. Strecke deine Hand aus und heile den Krebs der Lea. Es ist dir doch ein Kleines! Jesus, hab doch Erbarmen!“ Aber er hat das nicht getan. In der Nacht darauf ist sie gestorben. Dirk, der Vater, hat mich per Telefon benachrichtigt und ich bin von Kamperbrück über die Rheinfähre nach Voerde gefahren. Unterwegs war ich aufgebracht, wütend, enttäuscht – voller Fragen und Anklagen – wieder einmal! Wir hatten in der APO ja schon vorher so einiges Schlimme erlebt. Junge Menschen starben – plötzlich, einfach so. Menschen, die ein so brennendes Herz für Jesus hatten. Das Alles stand mir wieder vor Augen. Und ich habe meine Enttäuschung, meinen Frust in meinem Auto hinaus geschrien … Dann kam ich dort an. Natürlich - alle tief traurig – mit verweinten Augen. Sie lag noch in ihrem Bett. Friedlich. Entspannte Gesichtszüge. Wir haben sie lange angesehen, schweigend. Dann fragte ich irgendwann: Kann ich einen Psalm lesen, Liederverse? Das habe ich dann gemacht. Liedverse, die mir einfielen … Dann kam vom Vater der Vorschlag: Wir könnten doch auch singen … Und wir sangen – mit leiser, aber fester Stimme – Glaubenslieder, Choräle … Und wir fingen an von Lea zu erzählen … Haben uns Fotos angesehen – aus der letzten Zeit, aber auch aus ihrem Leben davor…. Es war eine besondere Atmosphäre … Kaum zu beschreiben … Für mich war es ein heiliger, besonderer, kostbarer Augenblick. Ich habe es im Nachhinein so beschrieben: - Und jetzt können Sie ruhig sagen: Der spinnt, denn ich kann das ja nicht beweisen – Es war mir, als ob der auferstandene Jesus im Raum gewesen wäre, unsichtbar, aber spürbar, ja – greifbar nahe … als ob er seine segnenden Hände auf uns alle gelegt hätte … als ob er gesagt hätte: „Fürchtet euch nicht! Lea lebt – bei mir in der Ewigkeit.“ Wir haben den toten Körper gesehen. Unser Herz war voll Traurigkeit. Sie hätte so gern noch gelebt. Und wir hätten sie so gern noch unter uns gehabt, besonders die Familie und Freunde. Das tat alles so weh. Aber wir haben seine Verheißung gehört. Sie lebt. Das hat uns eine stille Freude gegeben, Zuversicht und Hoffnung.

8

Sie lebt – Die Verheißung ging mit uns. Und darum haben wir die Trauerfeier nicht Trauerfeier sondern „Trost- und Hoffnungsgottesdienst“ genannt. Nein – wir haben kein spektakuläres, übernatürliches Wunder erlebt. Das hatten wir uns so gewünscht! Und doch haben wir ein Wunder erlebt: Wir haben das Wirken des Hl. Geistes erlebt. Wir haben die Gegenwart Jesu erlebt. Ich rede noch einmal von mir: Voller Anklage war ich hergefahren, tief bewegt, im Herzen tief berührt von Jesu Gegenwart, ja – gesegnet bin ich weg gefahren. Und Sie werden es nicht glauben: Auf dem Heimweg habe ich eine CD aufgelegt mit ruhigen Lobpreis- und Anbetungsliedern und sie leise, ja - unter Tränen, aber mit voller Gewissheit mitgesungen. Unsere Gebete wurden nicht erhört, das stimmt. Und das Abschied-Nehmen tat weh. Aber dennoch: Tief in mir drin war eine große Dankbarkeit. Dieses Erleben ist bis heute ganz tief in mir drin, ist wie ein kostbarer Schatz. Ich habe es mit Ihnen heute geteilt, um Ihnen Mut zu machen, um Sie zu trösten, wenn Dinge passieren, die anders laufen, als Sie es gewünscht und erbeten haben. Wie schon einige Jahre zuvor habe ich die Erfahrung machen können, wie wahr der Satz des Paulus ist: (1. Thessalonicher 4,13) Seid nicht so traurig, wie die, die keine Hoffnung haben. Seid traurig, ja – aber nicht so abgrundtief, so verzweifelt traurig. Ihr habt doch Hoffnung, denn Jesus lebt. Und seine Verheißung gilt: (Johannes 17, 24) „Vater, ich will, dass wo ich bin, auch die sind, die du mir gegeben hast, damit sie meine Herrlichkeit sehen.“ Das gilt für Lea und für alle, die an Jesus glauben.

Amen

9