Praxispapier zum Themenkorridor. Partizipation

Praxispapier zum Themenkorridor „Partizipation“ 1. Rahmenbedingungen des Handlungsfeldes Nationale Rahmenbedingungen:  Die UN-Konvention über die...
Author: Mina Flater
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Praxispapier zum Themenkorridor

„Partizipation“ 1.

Rahmenbedingungen des Handlungsfeldes

Nationale Rahmenbedingungen: 

Die UN-Konvention über die Rechte des Kindes von 1989 erkennt die allgemeinen Menschenund Bürgerrechte und damit vielfältige Autonomie- und Teilnahmerechte (Art. 12-16) auch Kindern unter 18 Jahren zu. Deutschland hat diese Konvention in 2010 vollständig angenommen.



Ausgehend von der UN-Konvention hat Deutschland einen Nationalen Aktionsplan „Für ein kindergerechtes Deutschland 2005 – 2010“ vorgelegt, in dem gefordert wird: „Kinder- und Jugendbeteiligung muss systematisch und den Gegebenheiten vor Ort angepasst ermöglicht werden. Dazu gehören [..] die Verankerung der Beteiligungsprozesse in verbindlichen Gremienbeschlüssen. Es geht um die konsequente Etablierung einer neuen Kultur der lokalen Kinder- und Jugendbeteiligung in sämtlichen Institutionen, die das Leben von jungen Menschen prägen“1.



Es bestehen auf nationaler Ebene und auf Ebene der Bundesländer vielfältige Berechtigungen für Kinder und Jugendliche, über ihre Belange mitzuentscheiden bzw. angehört zu werden. Angefangen vom im Grundgesetz für alle Bürger/innen verbrieften Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit über Bestimmungen zur Rechtsfähigkeit, Familienrecht, elterlicher Sorge im BGB bis hin zum Baugesetzbuch2.



Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen ist in der Kinder- und Jugendhilfe bundesweit einheitlich durch das Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII, KJHG, § 8.1) geregelt: „Kinder und Jugendliche sind entsprechend ihrem Entwicklungsstand an allen sie betreffenden Entscheidungen der öffentlichen Jugendhilfe zu beteiligen“. Eine gesetzlich geregelte Ausformung und finanzielle Ausstattung wurde jedoch nicht vorgenommen, so dass sich heute vielfältige Partizipationsformen in der Kinder- und Jugendhilfe wiederfinden.

Akteure: 

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Die Kommunen und freien Träger tragen gemäß dem Subsidiaritätsprinzip einen Hauptanteil an Aktivitäten, die auf die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen abzielen. Hierzu zählen Jugendparlamente, die Mitbestimmung in Jugendzentren, Jugendbürgermeister u.a. Auf Ebene der Länder haben erst wenige Bundesländer Kinder- und Jugendbeteiligung zu einer verbindlichen Aufgabe gemacht. Ausnahmen stellen hier u.a. Baden-Württemberg mit der

„Perspektiven für ein kindergerechtes Deutschland“. Abschlussbericht des Nationalen Aktionsplans „Für ein kindergerechtes Deutschland 2005 – 2010“, S. 16, Berlin, November 2010 2 „Bei der Aufstellung der Bauleitpläne sind insbesondere [..] die sozialen und kulturellen Bedürfnisse [..] der jungen [..] Menschen [zu berücksichtigen]“ Baugesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. September 2004 (BGBl. I S. 2414), das zuletzt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 12. April 2011 (BGBl. I S. 619) geändert worden ist, 1. Kapitel, Allgemeines Städtebaurecht, 1. Teil, Bauleitplanung, 1. Abschnitt, Allgemeine Vorschriften, S. 10

gesetzlichen Verankerung von Jugendgemeinderäten3 und Schleswig-Holstein mit einer frühen rechtlichen Berücksichtigung der Kinder- und Jugendbeteiligung in der Gemeindeordnung4 dar. Der Bund agiert (neben dem erwähnten NAP) vor allem auf der Ebene von Aktionsprogrammen5. Auf der Seite der freien Träger der Jugendhilfe gibt es eine Vielzahl von Akteuren, die im Feld Partizipation aktiv sind – angefangen von Jugendverbänden und ihren Dachorganisationen, über Einrichtungen der politischen Bildung und einer Vielzahl von zivilgesellschaftlichen Initiativen, von denen nicht wenige direkt und unmittelbar von Jugendlichen getragen werden. Europäische Rahmenbedingungen

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Allgemein regelt der EU-Vertrag die Rechte der Teilhabe der europäischen Bürgerinnen und Bürger: „Alle Bürgerinnen und Bürger haben das Recht, am demokratischen Leben der Union teilzunehmen“6.



Die EU-Grundrechtecharta definiert als Rechte von Kindern „[...] ihre Meinung frei [zu] äußern. Ihre Meinung wird in den Angelegenheiten, die sie betreffen, in einem ihrem Alter und ihrem Reifegrad entsprechend berücksichtigt“7.



Schon früh befasste sich der Europarat mit der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen. In der 2003 revidierten Charta zur Beteiligung junger Menschen am lokalen und regionalen Leben8 wurde Partizipation solcherart beschrieben „[..] dass man das Recht, die Mittel, den Freiraum, die Möglichkeit und, wenn nötig, die gewünschte Unterstützung hat, um bei Entscheidungen mitzusprechen, Entscheidungen zu beeinflussen und sich für alle Bemühungen um eine bessere Gesellschaft einzusetzen“.



Mit dem Weißbuch „Neuer Schwung für die Jugend Europas“ ist 2001 gewissermaßen das Gründungsdokument für die europäische Zusammenarbeit im Jugendbereich entstanden. Eine der vier Kernbotschaften aus dem vorbereitenden Konsultationsprozesses mit Jugendlichen ist, dass sich die Jugendlichen als aktive Staatsbürger einbringen möchten. Sie wollen nicht nur konsultiert und befragt, sondern bei der Entscheidungsfindung mit

§ 41a der Baden-Württembergischen Gemeindeordnung: „(1) Die Gemeinde kann Jugendliche bei Planungen und Vorhaben, die ihre Interessen berühren, in angemessener Weise beteiligen. Sie kann einen Jugendgemeinderat oder eine andere Jugendvertretung einrichten. [..] (2) Durch die Geschäftsordnung kann die Beteiligung von Mitgliedern der Jugendvertretung an den Sitzungen des Gemeinderats in Jugendangelegenheiten geregelt werden; insbesondere können ein Vorschlagsrecht und ein Anhörungsrecht vorgesehen werden.“ 4 § 47 f Gemeindeordnung Schleswig-Holsteins: „Die Gemeinde muss bei Planungen und Vorhaben, die die Interessen von Kindern und Jugendlichen berühren, diese in angemessener Weise beteiligen. Hierzu muss die Gemeinde über die Beteiligung der Einwohnerinnen und Einwohner nach den §§ 16 a bis 16 f hinaus geeignete Verfahren entwickeln“ 5 Wie z.B. das "Aktionsprogramm für mehr Jugendbeteiligung" von 2007 bis 2009, koordiniert vom BMFSFJ, der bpb und dem DBJR. 6 Artikel 10.3 der Konsolidierten Fassung des Vertrags über die Europäische Union, veröffentlicht im Amtsblatt der Europäischen Union am 9.5.2008, C 115/13 7 EU-Grundrechte-Charta, Art.24 Abs.1, 8 „Revised European Charter on the Participation of Young People in Local and Regional Life”, S. 9, hrsg. vom Congress of Local and Regional Authorities of Europe, Council of Europe, Strasbourg, Mai 2003 (erste Fassung von 1992)

einbezogen werden. Und schließlich fordern sie eine vorbehaltlose Förderung von Beteiligung, u. a. auch für nicht-organisierte Jugendliche9. 

Den Beginn des europäischen politischen Kooperationszyklus im Themenfeld Partizipation markiert die Entschließung des Rates vom 25. November 2003 über gemeinsame Zielsetzungen für die Partizipation und Information der Jugendlichen.10 Darin werden drei zentrale Zielsetzungen und 16 Aktionslinien vorgeschlagen. Die drei übergeordneten Zielsetzungen sind: 1. 2. 3.

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Verstärktes staatsbürgerliches Engagement der Jugendlichen in ihrer Gemeinschaft Stärkere Einbeziehung der Jugendlichen in das System der repräsentativen Demokratie Stärkere Unterstützung der verschiedenen Formen des Erwerbs von Partizipationskompetenz



Als zusätzliches Instrument der jugendpolitischen Zusammenarbeit in Europa und zur Belebung der Partizipationsdebatte wurde 2005 der Strukturierte Dialog11 eingeführt. Die Mitgliedstaaten wurden aufgefordert, einen strukturierten Dialog mit Jugendlichen und ihren Organisationen über die sie betreffenden politischen Maßnahmen auf nationaler, regionaler und kommunaler Ebene unter Einbeziehung der im Bereich Jugendfragen tätigen Forscher auszubauen.



In einer Ratsentschließung von Oktober 200712 werden die Mitgliedstaaten ebenfalls ersucht, im Rahmen der Offenen Methode der Koordinierung (OMK) die verstärkten gemeinsamen Ziele zur Beteiligung junger Menschen umzusetzen.



In der Umsetzung des „Erneuerten Kooperationsrahmens zur jugendpolitischen Zusammenarbeit in Europa 2010-2018“ (Ratsentschließung vom 27. November 2009, auch EU Jugendstrategie genannt) in Deutschland schließlich wurde Partizipation als eines von drei Themenbereichen ausgewählt, auf die sich Bund und Länder bis Ende 2013 geeinigt haben. Im Rahmen des Themas Partizipation hat sich der Bund dabei zunächst die Themenschwerpunkte „e-participation“ und „Partizipation junger Menschen im demokratischen Europa“ gegeben.



Die aktuellste Initiative auf EU-Ebene ist die „Draft Resolution of the Council and of the Representatives of the Governments of the Member States, meeting within the Council, on

Weißbuch der Europäischen Kommission „Neuer Schwung für die Jugend Europas“, Brüssel, den 21.11.2001, KOM(2001) 681 endgültig 10 Entschließung des Rates vom 25. November 2003 über gemeinsame Zielsetzungen für die Partizipation und Information der Jugendlichen, ABl. vom 5.12.2003, C 295, S.6ff. 11 Entschließung des Rates, ABl. vom 24.11.2005, C 292, S.5. 12 Rat der Europäischen Union: Entwurf von Schlussfolgerungen des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten zu einem übergreifenden Konzept für die Jugendpolitik, das den Jugendlichen die Möglichkeit zur Ausschöpfung ihres Potenzials und zur aktiven Teilhabe an der Gesellschaft bieten soll, Brüssel 31.10.2007, 14426/07.

encouraging new and effective forms of participation of all young people in democratic life in Europe“, Brüssel, 15.04.2011. Förderinstrumente Auf europäischer Ebene spielen die Jugend-Programme der Europäischen Kommission seit 2000 eine wichtige Rolle in der Förderung von Jugendbeteiligung. Seit 2007 gibt es im Programm JUGEND in Aktion mit den Aktionen 1.3 (Projekte der Partizipativen Demokratie) und 5.1 (Dialog zwischen Jugendlichen und für Jugendpolitik Verantwortlichen) Förderlinien, die explizit Jugendpartizipation fördern. Doch auch schon vorher gab es mit der Förderung von Jugendinitiativen ein Instrument, das das unmittelbare Engagement und die Beteiligung junger Menschen in ihrem lokalen Umfeld unterstützte. Der Europarat bietet durch die Förderung für Pilotprojekte (Kategorie D) u.a. für neue und innovative Formen der Beteiligung ebenfalls eine Möglichkeit, in gewissem Maße „europäisches Geld“ für Jugendbeteiligung zu nutzen. Akteure Der Europarat mit seiner jahrzehntelangen Erfahrung in der Menschenrechtsbildung und Jugendpartizipation (seit 1979 existiert ein Co-Managementsystem im Bereich der Jugendpolitik des Europa-Rates) ist der älteste Akteur im Feld. Die EU-Kommission, die spätestens seit 2001 eine enorme Bedeutung in der Gestaltung von Jugendpolitik und der politischen Rahmung der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen hat, bildet mit dem Jugendministerrat und dem EU-Parlament das institutionelle Dreieck im Feld der jugendpolitischen Zusammenarbeit in der EU. Das European Youth Forum ist mehr und mehr als Partner in diesem institutionellen Geflecht vertreten, z.B. in der Durchführung der European Youth Week und in der Implementierung des Strukturierten Dialogs. Weitere NGOs wie z.B. die European Peer Training Organisation oder andere europäische Netzwerke tragen durch Projekte, Fortbildung und Expertise zu einer vielfältigen Akteurslandschaft in Europa bei. Mehr und mehr nehmen auch die Nationalagenturen des Programms JUGEND in Aktion ihren Gestaltungsspielraum als Akteure im Feld der Jugendbeteiligung und Jugendpolitik aktiv wahr.

2. Aktionsformen und Praxisbezüge der Jugendhilfe im Themenkorridor mit europäischer Dimension 2.1

Aktionsfeld: „eParticipation“ 

Aktionsfelder: Im Themenkorridor Partizipation sollen neue Partizipationsformen und –instrumente entwickelt werden, die an die Lebenswelt und die kulturellen Rezeptionserwartungen der Jugendlichen anschlussfähig sind. Unter den Sammelbegriff „ePartizipation“ fallen hier onlinegestützte Beteiligungsverfahren, aber auch Mobilisierung durch Soziale Netze wie Facebook, Twitter etc. und weitere ggf. neu zu entwickelnde Informations- und Beteiligungsprozesse im Web 2.0.

a. Ziele: Erfahrungsaustausch über Entwicklung, Erprobung und Auswertung innovativer ePartizipationsverfahren und -modelle. Angestrebt wird der Transfer von bereits vorliegenden Erkenntnissen sowie mit einzelnen Partnern ein zeitnahes Erproben vergleichbarer Modelle, um Erfahrung über unterschiedliche Umsetzungsstrategien zu gewinnen und auch für Dritte (z.B. EU) verfügbar zu machen. Übergeordnetes Ziel im Themenfeld ist die Unterstützung, Beratung und gemeinschaftliche Weiterentwicklung netzbasierter Beteiligungsformate. b. Aufgaben: - Identifizierung innovativer ePartizipationsverfahren auf nationaler und internationaler Ebene - Systematisierung einer wirksamen Partizipation anhand jugendgerechter Kategorien - Begleitung von Modellvorhaben öffentlicher Verwaltungen und der Jugendarbeit im Rahmen ihrer Erprobung - Weiterentwicklung von Modellvorhaben und ePartizipationsverfahren in Form von partnerschaftlicher Beratung c. Partner: Stakeholder des „Dialog Internet“: Akteure der Jugendarbeit, Vertreter/-innen der politischen Bildung, der Forschung, Stiftungen, Initiativen der Netzgemeinde, der parlamentarischen Netzpolitik, IT-Verbände, Ministerien und Verwaltungen, eGovernment-, Opendata- und ePartizipation-Initiativen, Expert(inn)en mit ähnlichen Profilen in Partnerländern.

2.2

Aktionsfeld: „Partizipation junger Menschen im demokratischen Europa“: 

Aktionsfelder: „Partizipation junger Menschen im demokratischen Europa“ kann in zwei Aktionsfelder unterteilt werden : Einerseits geht es um die Weiterentwicklung von Rahmenbedingungen, durch die Jugendbeteiligung gestärkt und wirkungsvoll gemacht werden kann, anderseits geht es um die „Europäisierung“ von Partizipationsmöglichkeiten und -projekten. Ein weiterer Schwerpunkt ist „Demokratie stärken“, worunter die vielfältigen Formen politischer Bildung sowie die Abwehr demokratiefeindlicher) Entwicklungen und Bewegungen fallen

a) Ziele: Übergeordnet kann für das Aktionsfeld „Partizipation“ als Ziel formuliert werden, ein „Klima der Beteiligung zu schaffen“ 13, also eine systematische und nachhaltige Verankerung von Jugendbeteiligung in der politischen Gestaltung wichtiger Zukunftsfragen zu erreichen. Dies umfasst ein verändertes Denken auch bei Entscheidungsträgern, die lernen müssen, Partizipation (und damit Machtteilung) zuzulassen. Konkret sind hier folgende Ziele zu verfolgen:

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Siehe auch Ergebnisse des Werkstattgesprächs vom 28.6.2011

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Weitere Zielgruppen für Beteiligung gewinnen (jüngere Menschen