Potentiale und Grenzen der Argumentrekonstruktion

Potentiale und Grenzen der Argumentrekonstruktion Am Beispiel der Beurteilung der gesellschaftlichen Erwünschtheit von Smart Grid Technologien Konfere...
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Potentiale und Grenzen der Argumentrekonstruktion Am Beispiel der Beurteilung der gesellschaftlichen Erwünschtheit von Smart Grid Technologien Konferenz „Transformationsprozess Energiewende: Methoden der Partizipation und Kommunikation“ Berlin, 30.06.16 Eugen Pissarskoi IÖW – Institut für ökologische Wirtschaftsforschung, Berlin

Thesen – Methode der Argumentrekonstruktion und -analyse erlaubt es: – in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen zu identifizieren: – kontroverse, – schwer rechtfertigbare,

– normativ umstrittene Überzeugungen;

– Interessierte Öffentlichkeit dabei zu unterstützen, eine wohlbegründete Position innerhalb einer Kontroverse einzunehmen – Technologieentwicklung: – Im Vorfeld mögliche Kontroversen identifizieren und analysieren

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Inhalt 1. Idee einer Argumentanalyse 2. Argumentanalyse in Bezug auf Smart Grids

3. Ergebnisse der Argumentanalyse: 1. Wie man nicht argumentieren sollte; 2. Wie man argumentieren könnte 4. Fazit: Lehren aus der Argumentanalyse 3

Argumentanalyse –

Methode:

Beispiel für ein Argument:

– Rekonstruktion von deduktiv gültigen Argumenten – Deduktive Gültigkeit: – Wenn alle Prämissen eines Arguments wahr sind, dann muss die Konklusion wahr sein.



Analyse der Prämissen: – Empirisch: – Identifikation von kontroversen Prämissen

– Normativ: – Rechtfertigbarkeit von normativen Prämissen



Zweck der Methode: – Aufklärung von gesellschaftlichen Kontroversen

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1. Globale Erderwärmung von über 2°C verursacht Veränderungen von Klimasystemen, durch welche die in der Zukunft lebenden Menschen geschädigt werden. 2. Ein Zustand, der dazu führt, dass andere Personen geschädigt werden, ist moralisch verwerflich. 3. Also: Globale Erderwärmung von über 2°C ist moralisch verwerflich.

Gesellschaftliche Kontroversen und Smart Grids – Stakeholder-Interviews:

– Welche gesellschaftlichen Chancen und Risiken werden mit Smart Grids verbunden? –

Vorteile – Weniger Starkstromleitungen nötig – Sicherung der Netzstabilität durch Smart Grids

Nachteile: – Sammlung von sensiblen Daten – Datenschutz – Datensicherheit

– Akzeptanz der Energiewende

– Zwang zum Mitmachen

– Kostenvorteile für die Energiewende

– Kostennachteile für einzelne soziale Gruppen

– Komforterhöhungen durch Smart-GridEndanwendungen – Ermöglichung von IT-Lösungen für andere gesellschaftliche Herausforderungen (wie demographischer Wandel und Überalterung der Gesellschaft) 5



Thesenübersicht

Argumentative Beziehung?

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Pro-Argumente: zwei normative Quellen

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Argumentrekonstruktion:

Wie man nicht argumentieren sollte

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1. Moralisches Argument für SG 1. Ohne eine flächendeckende Einführung von SG wird die Energieversorgung in Deutschland nicht hinreichend stark dekarbonisiert.

Deskriptive Prämisse: Konsequenzen der SG-Technologien

2. Eine hinreichend starke Dekarbonisierung der Energieversorgung in Deutschland ist moralisch geboten (aus Gründen der Klimagerechtigkeit).

Normative Prämisse: moralische Relevanz der Energiewende

3. Wenn p notwendig ist für q und q moralisch geboten ist, dann ist auch p moralisch geboten.

Aussagenlogisches Prinzip

4. Also: Es ist moralisch geboten, dass Smart Grids flächendeckend eingeführt werden. 9

Konklusion

1. Moralisches Argument für SG 1. Ohne eine flächendeckende Einführung von SG wird die Energieversorgung in Deutschland nicht hinreichend stark dekarbonisiert.

Deskriptive Prämisse: Konsequenzen der SG-Technologien

2. Eine hinreichend starke Dekarbonisierung der Energieversorgung in Deutschland ist moralisch geboten (aus Gründen der Klimagerechtigkeit).

Normative Prämisse: moralische Relevanz der Energiewende

3. Wenn p notwendig ist für q und q moralisch geboten ist, dann ist auch p moralisch geboten.

Aussagenlogisches Prinzip

4. Also: Es ist moralisch geboten, dass Smart Grids flächendeckend eingeführt werden. 10

Konklusion

2. Moralisches Argument für SG

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1.

Eine flächendeckende Einführung von SG wird dazu beitragen, dass die Energiewende akzeptiert und politisch unterstützt wird.

2.

Eine flächendeckende Einführung von SG wird die gesamtgesellschaftlichen Kosten der Energiewende bei Aufrechterhaltung der Netzstabilität (um einen Betrag X) reduzieren im Vergleich zum Szenario ohne SG.

Vorteile der SGTechnologien

3.

Die Energiewende in Deutschland ist moralisch geboten (aus Gründen der Klimagerechtigkeit).

4.

Eine flächendeckende Einführung von SG wird dazu führen, dass persönliche Daten zum Energieverbrauch erhoben und verarbeitet werden, dass manche Menschen unfreiwillig zur Nutzung von SGTechnologien gezwungen werden und dass manche soziale Gruppen höhere Energiekosten tragen werden.

Nachteile der SGTechnologien

5.

Wenn p es erleichtert, dass q umgesetzt wird, und q moralisch geboten ist, und p zu weiteren moralisch signifikanten Nachteilen für Dritte führen wird, dann ist es moralisch geboten, p umzusetzen.

Aussagenlogisches Prinzip

6.

Also: Es ist moralisch geboten, dass Smart Grids flächendeckend eingeführt werden.

Konklusion

2. Moralisches Argument für SG

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1.

Eine flächendeckende Einführung von SG wird dazu beitragen, dass die Energiewende akzeptiert und politisch unterstützt wird.

2.

Eine flächendeckende Einführung von SG wird die gesamtgesellschaftlichen Kosten der Energiewende bei Aufrechterhaltung der Netzstabilität (um einen Betrag X) reduzieren im Vergleich zum Szenario ohne SG.

Vorteile der SGTechnologien

3.

Die Energiewende in Deutschland ist moralisch geboten (aus Gründen der Klimagerechtigkeit).

4.

Eine flächendeckende Einführung von SG wird dazu führen, dass persönliche Daten zum Energieverbrauch erhoben und verarbeitet werden, dass manche Menschen unfreiwillig zur Nutzung von SGTechnologien gezwungen werden und dass manche soziale Gruppen höhere Energiekosten tragen werden.

Nachteile der SGTechnologien

5.

Wenn p es erleichtert, dass q umgesetzt wird, und q moralisch geboten ist, und p zu weiteren moralisch signifikanten Nachteilen für Dritte führen wird, dann ist es moralisch geboten, p umzusetzen.

Aussagenlogisches Prinzip

6.

Also: Es ist moralisch geboten, dass Smart Grids flächendeckend eingeführt werden.

Konklusion

Argumentrekonstruktion:

Plausiblere Argumente

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Keine Lehnstuhl-Argumente möglich – Erwünschtheit von SG hängt ab von empirischen Sachverhalten: – Höhe der Einsparungen bei der Energiewende – Menge der Daten zum Energieverbrauch, die durch die SG gesammelt werden.

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Wie BefürworterInnen von SG argumentieren sollten 1.

Eine flächendeckende Einführung von SG wird die gesamtgesellschaftlichen Kosten der Energiewende bei Aufrechterhaltung der Netzstabilität signifikant reduzieren im Vergleich zum Szenario ohne SG.

Vorteile der SGTechnologien

2.

Die Energiewende in Deutschland ist moralisch geboten (aus Gründen der Klimagerechtigkeit).

Bewertung der Vorteile

3.

Eine flächendeckende Einführung von SG wird dazu führen, dass persönliche Daten zum Energieverbrauch erhoben und verarbeitet werden, dass manche Menschen unfreiwillig zur Nutzung von SG-Technologien gezwungen werden und dass manche soziale Gruppen höhere Energiekosten tragen werden.

Nachteile der SGTechnologien

4.

Durch die unter (3) aufgelisteten Konsequenzen werden keine Menschen in ihren Grundrechten verletzt.

Bewertung der Nachteile

5.

Wenn p die Kosten der Realisierung einer Maßnahme q signifikant reduziert und q moralisch geboten ist und die möglichen Nachteile aus p keine Menschen in ihren Grundrechten verletzt, dann soll p realisiert werden.

Aussagenlogisches Prinzip

6. 15

Also: Es ist moralisch geboten, dass Smart Grids flächendeckend eingeführt werden.

Wie GegnerInnen von SG argumentieren sollten

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1.

Eine flächendeckende Einführung von SG wird die gesamtgesellschaftlichen Kosten der Energiewende bei Aufrechterhaltung der Netzstabilität geringfügig reduzieren im Vergleich zum Szenario ohne SG.

Vorteile der SGTechnologien

2.

Die Energiewende in Deutschland ist moralisch geboten (aus Gründen der Klimagerechtigkeit).

Bewertung der Vorteile

3.

Eine flächendeckende Einführung von SG wird dazu führen, dass persönliche Daten zum Energieverbrauch erhoben und verarbeitet werden, dass manche Menschen unfreiwillig zur Nutzung von SG-Technologien gezwungen werden und dass manche soziale Gruppen höhere Energiekosten tragen werden.

Nachteile der SGTechnologien

4.

Durch die Erhebung und Verarbeitung von persönlichen Daten zum Energieverbrauch können Menschen in ihren Grundrechten verletzt werden.

Bewertung der Nachteile

5.

Wenn q moralisch geboten ist, q durch p kostengünstiger realisiert wird, und p zu weiteren Konsequenzen führt, durch die einige Menschen in ihren Grundrechten verletzt werden können, dann soll p nicht realisiert werden.

Aussagenlogisches Prinzip

6.

Also: Smart Grids sollen nicht flächendeckend eingeführt werden.

Konklusion

Fazit: Lehren aus der Rekonstruktion

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Ergebnisse der Argumentrekonstruktion – Kontroverse über die Abwägung von Vor- und Nachteilen zu erwarten; – Die Abwägung ist komplex und dürfte kontrovers ausfallen: – Keine einfachen Prinzipien

– Abwägung zwischen: – Einem Beitrag zur Energiewende (und damit zum Schutz von Menschenrechten) und; – Moralischer Signifikanz einer Technologie, die Daten sammelt und damit Missbrauchspotential bietet.

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Lehren für die BefürworterInnen – Verdeutlichen, wie wichtig diese Technologie für die Realisierung der Energiewende ist: – Kosten quantifizieren? – Idealerweise aufzeigen, wie die Nachteile beseitigt werden können: – Möglichkeiten, mit denen verhindert werden kann, dass persönliche Daten gesammelt werden.

– Kompensationszahlungen für unfreiwillig benachteiligte soziale Gruppen

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Lehren für die GegnerInnen von SG – Aufzeigen, dass Smart Grids keinen signifikanten Beitrag zur Energiewende leisten – Gibt es andere, womöglich günstigere Wege, Spitzenlasten abzubauen? – Nachweisen, dass die Nachteile nicht beseitigt werden können: – Aufzeigen, dass durch die notwendigerweise gesammelten Daten Menschen in ihren Grundrechten beeinträchtigt werden können. – Aufzeigen, dass die unfreiwillig benachteiligten sozialen Gruppen nicht kompensiert werden können.

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Vielen Dank. Eugen Pissarskoi IÖW – Institut für ökologische Wirtschaftsforschung, Berlin [email protected]

30.06.16

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