Politikwissenschaften

Diskriminierung aufgrund des Alters in einer alternden europäischen Gesellschaft Marie Mercat-Bruns CNAM/Politikwissenschaften Gliederung I. Was be...
Author: Mona Frei
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Diskriminierung aufgrund des Alters in einer alternden europäischen Gesellschaft Marie Mercat-Bruns CNAM/Politikwissenschaften

Gliederung I.

Was bedeutet Diskriminierung aufgrund des Alters?

II.

Die Ambivalenz der Diskriminierung aufgrund des Alters: die Anerkennung des Verbots der Diskriminierung aufgrund des Alters in der europäischen Rechtsprechung

III.

Diskriminierung aufgrund des Alters unterliegt einer doppelten Kontrolle: auf Begründetheit und Verhältnismäßigkeit

I- Was bedeutet Diskriminierung aufgrund des Alters? - Wie ist „Alter‟ zu definieren? - Welches Alter meint die Rechtsprechung der Europäischen Union in Fragen der Diskriminierung im Bereich der Beschäftigung?

Wie ist Alter als Diskriminierungskriterium zu definieren?  Im europäischen Recht gibt es keine Definition von -

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„Alter‟: Art. 19 AEUV verweist unmittelbar auf das Verbot der Diskriminierung aufgrund des Alters. Art. 21 der Grundrechte-Charta der EU Präambel, Erwägungsgrund 8 und 25 sowie Art. 2 und 6 der Richtlinie 2000/78 nennen das „Alter‟, definieren es aber nicht. Das einzelstaatliche Recht der Mitgliedsstaaten ist auch nicht viel präziser.

Welches Alter meint das Verbot der Diskriminierung aufgrund des Alters?  Diese Frage ist wesentlich, um zu verstehen, wie die

europäische Rechtsprechung aufgebaut ist:  Entweder wird das Alter erwähnt, aber nicht näher präzisiert

(EU), oder es wird eine besondere Altersgruppe angesprochen (in den USA 40+). Die Definition von „Alter‟ ist klar: „Alter‟ ist ein biologischer Marker für die zwischen der Geburt und dem Tod verstrichene Zeit.  Dennoch wird „Alter‟ häufig mit dem sehr viel komplexeren

„Altern‟ verwechselt.

 Vielleicht liegt es daran, dass zunehmend von Diskriminierung

aufgrund der subjektiven und objektiven Dimension des Alters als sozialem Konstrukt die Rede ist.

Alter als Indikator für subjektive Risiken: Altern und Stereotype  

Altern hat verschiedene Gründe: Dem Menschen eigene endogene Gründe (verschiedene medizinische Theorien)  Exogene Gründe insofern, als der Körper dem Einfluss gewisser übermäßiger Beanspruchungen ausgesetzt wird (je nach Kontext)  Das Fortschreiten des Alterns ist also von Mensch zu Mensch verschieden, und das chronologische Alter ist eher ein Indikator für die möglichen Folgen des Alterns in einzelnen Lebensphasen.  Das Alter spiegelt die mit dem Alter verbundenen Verfallsrisiken und ihre Auswirkungen z.B. auf die Gesundheit am Arbeitsplatz wider, aber das Alter hat keine automatische kausale Folge.  Diese Komplexität des Alterns erklärt, warum mit jungem Alter

und fortgeschrittenem Alter jeweils subjektive Stereotype verbunden sind.

Alter als objektives Auswahlkriterium in der Beschäftigungs-, Gesundheitsund Rentenpolitik  Häufig wird das Alter bei der Regelung des

Zugangs zu Beschäftigung, Fortbildung, Rente usw. auch als objektives Ersatzkriterium insbesondere zur Berücksichtigung des Dienstalters verwendet. Der Zugang zu den Leistungen eines sozialen Sicherungssystems und der Beschäftigungspolitik ist mit wirtschaftlichen Überlegungen verknüpft. Das Alter gilt dabei als objektiveres Kriterium zur Gewährung oder Nichtgewährung einer Leistung. Dies wirkt sich auf die Kosten und die Beschäftigungssicherheit jüngerer und älterer Arbeitnehmer aus.

Auf welches Alter bezieht sich die europäische Rechtsprechung?  Bezug auf alle Altersbereiche, jüngere und ältere. Alter

einer Einzelperson oder einer Kohorte  Beispiel aus der europäischen Rechtsprechung:  EuGH Rechtssache C-341/08 Petersen: ältere Arbeitnehmer  EuGH Rechtssache C-88/08 Hütter: junge Arbeitnehmer  Die Urteile können sich auf einen Altersunterschied

beziehen. EuGH C-427/06 Bartsch: Altersunterschied zwischen einem verstorbenen Bezieher einer Rentenleistung und seiner Witwe

Alter – ein verdächtiges Kriterium?  Kann man das Alterskriterium ebenso wie die Rasse oder

das Geschlecht insofern als verdächtig betrachten, als es hinsichtlich des Gleichheitsgrundsatzes und des Diskriminierungsverbots einer strengen richterlichen Kontrolle unterworfen werden sollte?  Der Oberste Gerichtshof der USA betrachtet das Alter

nicht als verdächtiges Kriterium, siedelt es also nicht auf derselben Ebene an wie Geschlecht oder Rasse (MurgiaUrteil).  Im europäischen Recht wird das Alter ambivalent

gesehen, mit anderen Kriterien gleichwertig und dennoch anders:

Alter – ein verdächtiges Kriterium?  So verbietet die Richtlinie 2000/78

Diskriminierung aufgrund des Alters ebenso wie aus allen anderen Gründen:  Artikel 1: “Zweck dieser Richtlinie ist die Schaffung eines

allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in Beschäftigung und Beruf im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten.“  Artikel 2: “Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet „Gleichbehandlungsgrundsatz“, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe geben darf.“

Alter – ein verdächtiges Kriterium? 

Andererseits ist der Bereich der Diskriminierung aufgrund des Alters in der Auslegung durch die europäische Rechtsprechung deutlich begrenzt:

 

Artikel 4 der Richtlinie 2000/78: Berufliche Anforderungen „Ungeachtet des Artikels 2 Absätze 1 und 2 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass eine Ungleichbehandlung wegen eines Merkmals, das im Zusammenhang mit einem der in Artikel 1 genannten Diskriminierungsgründe steht, keine Diskriminierung darstellt, wenn das betreffende Merkmal aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt.“ (vgl. EuGH Rechtssache C-229/08 Wolf und C-447/09 Prigge) Artikel 6 der Richtlinie 2000/78 führt zum Alter ausdrücklich aus: „Ungeachtet des Artikels 2 Absatz 2 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung darstellen, sofern sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind.“ Siehe auch Palacios C-411/05; Fuchs C-159/10

 



II- Die Ambivalenz der Diskriminierung aufgrund des Alters: die Anerkennung des Verbots der Diskriminierung aufgrund des Alters in der europäischen und einzelstaatlichen Rechtsprechung 

Die Ambivalenz der Diskriminierung aufgrund des Alters kann ein Grund dafür sein, dass die Richter den grundlegenden Charakter des Verbots der Diskriminierung aufgrund des Alters festschreiben, um seine Legitimität gegenüber den anderen Diskriminierungskriterien zu begründen:



„Insoweit ist zum einen zu beachten, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, wie in Rn. 20 des vorliegenden Urteils ausgeführt, in der Richtlinie 2000/78 nicht verankert ist, sondern dort nur konkretisiert wird, und zum anderen, dass das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts ist, da er eine spezifische Anwendung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes darstellt“.



„Es obliegt daher dem nationalen Gericht, bei dem ein Rechtsstreit über das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters in seiner Konkretisierung durch die Richtlinie 2000/78 anhängig ist, im Rahmen seiner Zuständigkeiten den rechtlichen Schutz, der sich für den Einzelnen aus dem Unionsrecht ergibt, sicherzustellen und die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten, indem es erforderlichenfalls jede diesem Verbot entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts unangewendet lässt.“ Rechtssache C-555/07 Kücükdeveci, Rn. 50 und 51



Anerkennung des allgemeinen Grundsatzes des Verbots der Diskriminierung aufgrund des Alters durch den EuGH und die einzelstaatlichen Gerichte: 







„… das Gemeinschaftsrecht und insbesondere Artikel 6 Absatz 1 der Richtlinie 2000/78 … (sind) dahin auszulegen …, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren streitigen, nach der der Abschluss befristeter Arbeitsverträge mit Arbeitnehmern, die das 52. Lebensjahr vollendet haben, uneingeschränkt zulässig ist, sofern nicht zu einem vorhergehenden unbefristeten Arbeitsvertrag mit demselben Arbeitgeber ein enger sachlicher Zusammenhang besteht, entgegenstehen.“ „Es obliegt dem nationalen Gericht, die volle Wirksamkeit des allgemeinen Verbotes der Diskriminierung wegen des Alters zu gewährleisten, indem es jede entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts unangewendet lässt, auch wenn die Frist für die Umsetzung der Richtlinie noch nicht abgelaufen ist.“ C-144/04 - Werner Mangold v Rüdiger Helm, Rn. 78 Das Verbot jeder Diskriminierung u. a. wegen des Alters ist in Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union enthalten, die seit dem 1. Dezember 2009 den gleichen rechtlichen Rang hat wie die Verträge (Hennig C-297/10 und Prigge C-447/09) Der Grundsatz des Verbots der Diskriminierung aufgrund des Alters wurde auch durch französische Gerichte zitiert. (Soc. 11. Mai 2010, Nr. 08-43681)

III- Das Verbot der Diskriminierung aufgrund des Alters unterliegt einer doppelten Kontrolle: auf Begründetheit und Verhältnismäßigkeit (gemäß Artikel 6 der Richtlinie 2000/78)  



 





Präambel, Erwägungsgrund 25: „’Das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters stellt ein wesentliches Element zur Erreichung der Ziele der beschäftigungspolitischen Leitlinien und zur Förderung der Vielfalt im Bereich der Beschäftigung dar. Ungleichbehandlungen wegen des Alters können unter bestimmten Umständen jedoch gerechtfertigt sein und erfordern daher besondere Bestimmungen, die je nach der Situation der Mitgliedstaaten unterschiedlich sein können. … ’’ Richtlinie 2000/78, Art. 6: “… die Mitgliedstaaten (können) vorsehen, dass Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung darstellen, sofern sie objektiv und angeL 303/20 DE Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 2.12.2000 messen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. Derartige Ungleichbehandlungen können insbesondere Folgendes einschließen: a) die Festlegung besonderer Bedingungen für den Zugang zur Beschäftigung und zur beruflichen Bildung sowie besonderer Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Bedingungen für Entlassung und Entlohnung, um die berufliche Eingliederung von Jugendlichen, älteren Arbeitnehmern … zu fördern oder ihren Schutz sicherzustellen; b) die Festlegung von Mindestanforderungen an das Alter, die Berufserfahrung oder das Dienstalter für den Zugang zur Beschäftigung oder für bestimmte mit der Beschäftigung verbundene Vorteile; c) die Festsetzung eines Höchstalters für die Einstellung aufgrund der spezifischen Ausbildungsanforderungen eines bestimmten Arbeitsplatzes oder aufgrund der Notwendigkeit einer angemessenen Beschäftigungszeit vor dem Eintritt in den Ruhestand.

III- Das Verbot der Diskriminierung aufgrund des Alters unterliegt einer doppelten Kontrolle: auf Begründetheit- und Verhältnismäßigkeit (gemäß Artikel 6 der Richtlinie 2000/78)  Die europäische Rechtsprechung sowie insbesondere die

Urteile in den Rechtssachen Mangold, Palacios, Age Concern England, Hutter, Petersen, Rosenbladt, Andersen , Georgiev, Fuchs und Henning liefern wesentliche Hinweise auf angemessene und verhältnismäßige Begründungen für Ungleichbehandlungen im Rahmen der einzelstaatlichen Maßnahmen gemäß Artikel 6 der Richtlinie 2000/78.  Der EuGH regt ein zweistufiges Analyseraster an:  Artikel 6 Abs. 1 der Richtlinie sieht zwei Bedingungen vor, die erfüllt sein müssen, damit eine Ungleich-behandlung legitim ist: sie setzt das Bestehen eines rechtmäßigen Ziels und die Tatsache voraus, dass die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich, d.h. verhältnismäßig sind.

Richterliche Prüfung, erster Schritt: Was bedeutet „legitimes sozialpolitisches Ziel‟?  In den Urteilen in den Rechtssachen Mangold (Randnummer

63) und Palacios bekräftigt der EuGH: “Insoweit verfügen die Mitgliedstaaten unbestreitbar über einen weiten Ermessensspielraum bei der Wahl der Maßnahmen zur Erreichung ihrer Ziele im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik.“  Das Urteil in der Rechtssache Hutter bestätigt den Umfang der möglichen staatlichen Maßnahmen.  Die hier genannten Maßnahmen werden der richterlichen Prüfung unterworfen, sind aber nicht unbedingt staatliche Maßnahmen, sondern können auch in den privaten Sektor hineingreifen, wenn es etwa darum geht, dass die einzelstaatliche Gesetzgebung vorsieht, dass eine Zwangsversetzung in den Ruhestand aufgrund gesetzlicher oder vertraglicher Vorschriften stattfindet. (Urteile Palacios und Age concern England).

Was heißt: Eine Politik verfolgt ein legitimes Ziel? Und kann diese Einstufung sich im Laufe der Zeit und aufgrund wirtschaftlicher Erwägungen ändern?  Die Schwierigkeit besteht in der Tatsache, dass die Legitimität

von Maßnahmen sich je nach wirtschaftlichem Hintergrund ändern kann. Die im Palacios-Urteil angeordnete Versetzung in den Ruhestand war durch die schlechte Wirtschaftskonjunktur gerechtfertigt.  Der Einfluss des wirtschaftlichen Hintergrunds ist eine wichtige

Frage. Das zeigt das Urteil in der Rechtssache Petersen. Hier beabsichtigte die Regierung zu dem Zeitpunkt, da der EuGH mit der Sache befasst wurde, die Verweigerung der Zulassung zur vertragszahnärztlichen Versorgung entfallen zu lassen. Es stellt sich also die Frage: Zu welchem Zeitpunkt ist die Legitimität der Sozialpolitik zu beurteilen? Im Moment ihrer Verabschiedung oder wenn das Gericht mit einer entsprechenden Rechtssache befasst wird? – Fuchs , C-159/10

Was bedeutet: Eine Sozialpolitik verfolgt ein legitimes Ziel?  Legitime Ziele sind nicht Ziele des Arbeitgebers, z.B.

individuelle Ziele im Bereich der Kostensenkung oder der Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens (vgl. Age Concern England), selbst wenn die Maßnahmen der Notwendigkeit einer gewissen Flexibilität im Interesse der Unternehmen Rechnung tragen.  In der Rechtssache Hutter hat das Gericht anerkannt, dass die Mitgliedsstaaten bei der Wahl der erforderlichen staatlichen Maßnahmen zur Förderung der Beschäftigung und der Sozialpolitik (hier in der Förderung der Ausbildung) Spielraum brauchen. Die einzelstaatlichen Gesetze können legitime Maßnahmen auflisten. Frankreich beispielsweise hat seine Liste per Gesetz Nr. 2008-496 vom 27. Mai 2008 geändert, damit die Richtlinie 2000/78 eingehalten wird.

Was bedeutet: Eine Sozialpolitik verfolgt ein legitimes Ziel?  

 



Beispiele für Maßnahmen zugunsten jüngerer oder älterer Arbeitnehmer, die angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt sind: Eher flexibler gerichtlicher Ermessensstandard zur Beurteilung der Legitimität der Sozialpolitik eines Mitgliedsstaats. Kücükdeveci C-555/07; Andersen C-499/08, Rosenbladt C-45/09, Georgiev C-250/09, Fuchs C-159/10 und Henning C-297/10. Im Urteil in der Rechtssache Georgiev: Rn. 45: „Die Ausbildung und Beschäftigung von Lehrkräften sowie die Anwendung einer konkreten, die Berücksichtigung der besonderen Lage der Angehörigen der betreffenden Disziplin ermöglichenden Arbeitsmarktpolitik, auf die sich die Universität und die bulgarische Regierung berufen, können Ausdruck des Willens sein, die Professorenstellen optimal auf die Generationen zu verteilen, und zwar insbesondere durch Einstellung junger Professoren. Zum letztgenannten Ziel hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass die Förderung von Einstellungen unbestreitbar ein legitimes Ziel der Sozial- oder Beschäftigungspolitik der Mitgliedstaaten darstellt (Urteil Palacios de la Villa, Rn. 65), zumal wenn es darum geht, den Zugang jüngerer Personen zur Ausübung eines Berufs zu begünstigen (vgl. in diesem Sinne Urteil Petersen, Rn. 68). Demgemäß könnte die Förderung von Einstellungen im Bereich der Hochschulbildung durch das Angebot von Professorenstellen an jüngere Personen ein solches legitimes Ziel darstellen.“ Dieselbe Nachsicht findet man auch in der französischen Rechtsprechung (Soc.17. November 2010).

Richterliche Prüfung, zweiter Schritt: verhältnismäßige Maßnahmen. Welche Mittel der Sozialpolitik gelten als „angemessen und notwendig‟? 

Die Mangold-Entscheidung ist in diesem Punkt eindeutig: Unbefristete Verlängerung der Arbeitsverträge von Arbeitnehmer über 52 Jahren geht über das notwendige Maß der Beschäftigungsförderung für ältere Arbeitnehmer hinaus.  In der Palacio-Entscheidung wurde eine zwangsweise Versetzung in den Ruhestand als vor dem beschäfitungs-politischen Hintergrund angemessen betrachtet und stand den Sozialpartnern zu. Die Zahlung einer Pension ohne alleiniges Abheben auf das Alter des Beziehers erschien nicht als “unangemessene oder nicht erforderliche” Maßnahme zur Förderung dieser Politik. Was hat die negative Formulierung des Gerichtshofs im zweitgenannten Beispiel zu bedeuten? 

In jüngerer Zeit scheint der Gerichtshof in seinen Entscheidungen in den Rechtssachen Andersen, Rosenblad, Georgiev, Fuchs und Henning im Rahmen seiner Verhältnismäßigkeitsüberprüfung zwischen Maßnahmen zu unterscheiden, die angemessen sind und solchen die notwendig sind, um dadurch aufzudecken, welche Mittel einer bestimmten legitimen altersabhängigen Sozialpolitik wenig angemessen, zu weitgehend oder inkonsequent sind.

Das Verbot der Diskriminierung aufgrund des Alters und die Verhältnismäßigkeitsüberprüfung: Welche Mittel gelten als angemessen? Erfordernis „angemessener‟ Mittel (EuGH in der Rechtssache Georgiev, Rn. 52):  „Diese Beurteilung trifft auch auf die Ausübung einer Tätigkeit wie der des Universitätsprofessors zu. Da nämlich die Zahl der Stellen von Universitätsprofessoren im Allgemeinen begrenzt ist und sie Personen vorbehalten sind, die im betreffenden Bereich die höchsten Qualifikationen erreicht haben, und da eine vakante Stelle verfügbar sein muss, damit jemand als Professor eingestellt werden kann, ist davon auszugehen, dass ein Mitgliedstaat es für angemessen halten kann, eine Altersgrenze festzusetzen, um beschäftigungspolitische Ziele wie die in der Rn. 45 und 46 des vorliegenden Urteils genannten zu erreichen.“  In Bezug auf die Beurteilung, welchen Grad an Genauigkeit die erforderlichen Beweismittel aufweisen müssen, ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten über einen weiten Ermessensspielraum bei der Wahl einer Maßnahme verfügen, die sie für erforderlich halten (EuGH in der Rechtssache Fuchs, Rn. 80-81) 

Das Verbot der Diskriminierung aufgrund des Alters und die Verhältnismäßigkeitsüberprüfung: Welche Mittel gelten sind erforderlich Georgiev (Randnummern 54 und 55) 



„Zur Altersgrenze von 68 Jahren, die in der in den Ausgangsverfahren fraglichen nationalen Regelung festgelegt worden ist, geht es den Verfahrensakten hervor, dass sie fünf Jahre über dem gesetzlich festgelegten Alter liegt, in dem Männer in dem betreffenden Mitgliedstaat normalerweise einen Rentenanspruch erwerben und in den Ruhestand versetzt werden können. Sie erlaubt mithin den Universitätsprofessoren, denen die Möglichkeit gegeben wird, bis zur Vollendung des 68. Lebensjahrs zu arbeiten, ihren Beruf relativ lang ausüben. Eine solche Maßnahme kann nicht als übermäßige Beeinträchtigung der berechtigten Erwartungen der Arbeitnehmer angesehen werden, die wegen Erreichens der festgelegten Altersgrenze zwangsweise in den Ruhestand versetzt worden sind, da die einschlägige Regelung nicht nur auf ein bestimmtes Alter abstellt, sondern auch den Umstand berücksichtigt, dass den Betroffenen am Ende ihrer beruflichen Laufbahn ein finanzieller Ausgleich in Gestalt einer Altersrente wie die in der nationalen Regelung in den Ausgangsverfahren vorgesehene zugute kommt (vgl. in diesem Sinne Urteil Palacios de la Villa, Rn. 73). Die Festlegung einer solchen Altersgrenze für die Beendigung des Arbeitsvertrags geht somit nicht über das hinaus, was erforderlich ist, um beschäftigungspolitische Ziele wie die in der Rn. 45 und 46 des vorliegenden Urteils genannten zu erreichen, sofern die betreffende nationale Regelung diesen Zielen in kohärenter und systematischer Weise gerecht wird.“

Das Verbot der Diskriminierung aufgrund des Alters und die Verhältnismäßigkeitsüberprüfung: Welche Mittel gelten sind erforderlich?  







Rechtssache Hennig: 74: Der Rückgriff auf das Kriterium des Dienstalters in aller Regel zur Erreichung dieses Ziels angemessen ist, weil das Dienstalter mit der Berufserfahrung einhergeht ( Cadman, Rn. 34 und 35;Hütter, Rn. 47). 75: Die in den Ausgangsverfahren in Rede stehende Maßnahme ermöglicht dem Angestellten zwar einen stufenweisen Aufstieg in seiner Vergütungsgruppe in Abhängigkeit von der Zunahme seines Lebensalters und damit seines Dienstalters; wird jedoch ein Angestellter ohne jede Berufserfahrung eingestellt, so erfolgt bei seiner Einstellung die erstmalige Einstufung in eine bestimmte Stufe einer bestimmten Vergütungsgruppe allein anhand seines Alters. 76: So erhält ein Angestellter ohne jede Berufserfahrung, der im Alter von 30 Jahren für eine Tätigkeit eingestellt wird, die einer der Vergütungsgruppen von III bis X zugeordnet ist, ab seiner Einstellung die gleiche Grundvergütung wie ein gleichaltriger Angestellter, der die gleiche Tätigkeit ausübt, aber im Alter von 21 Jahren eingestellt wurde und in seiner Tätigkeit ein Dienstalter und eine Berufserfahrung von neun Jahren aufweist. 77: Dass die Stufe der Grundvergütung eines Angestellten im öffentlichen Dienst bei der Einstellung anhand des Lebensalters festgesetzt wird, geht folglich über das hinaus, was zur Erreichung des von der deutschen Regierung angeführten legitimen Ziels – der Berücksichtigung der Berufserfahrung, die der Angestellte vor seiner Einstellung erworben hat – erforderlich und angemessen ist.

Schlussbemerkungen 

Letztendlich war die Rechtsprechung des EuGH insofern konstruktiv, als síe die Mitgliedstaaten über die Beurteilung ihrer altersbezogenen Sozialpolitiken aufgeklärt hat. Artikel 6 der Richtlinie 2000/78 liefert den Richtern ein Grundraster und dem EuGH in gewisser Hinsicht die Fähigkeit festzulegen, welche Politiken der Mitgliedsstaaten als legitim und verhältnismäßig gelten dürfen.



Die europäische Rechtsprechung spricht in den Urteilen Petersen,Wolf und Prigge im Rahmen der Anwendung von Artikel 4 zu den wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderungen und von Artikel 6 von der Gefahr von Vorurteilen aufgrund des Alters.



Zur Anwendung des Begriffs der mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Alters hat der EuGH hat noch keine Hinweise gegeben. Die französische Rechtsprechung ist in ihrer Auslegung dieses Begriffs in Bezug auf das Alter eher restriktiv. (Soc. 30. April 2009; Soc. 19.Oktober 2010).



Außerdem erhöht die Fortsetzung der Berufstätigkeit bei gleichzeitiger Erhöhung des Rentenalters und Beibehaltung einer Beschäftigung über dieses Alter hinaus die Gefahr von Diskriminierungen aufgrund des Alters. (vgl. dazu Soc. 29. Juni 2011)