Phasen der Denkentwicklung nach Piaget

Phasen der Denkentwicklung nach Piaget Kurs Bildungswissenschaften 15. Mai 2010 Kathrin Fornet-Ponse Jean Piaget - Biographie * 9. August 1896 in N...
Author: Mathilde Bieber
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Phasen der Denkentwicklung nach Piaget

Kurs Bildungswissenschaften 15. Mai 2010 Kathrin Fornet-Ponse

Jean Piaget - Biographie * 9. August 1896 in Neuchatel, † 16. September 1980 in Genf früh wissenschaftlicher Eifer; als 13jähriger Fachaufsätze, vor dem Abitur anerkannter Spezialist für Weichtiere Biologiestudium in Neuenburg, 1918 Promotion über Weichtiere 1919 Umzug nach Paris: Psychologie und Psychopathologie, mathematische Logik; standardisierte für das Labor Alfred Binet Intelligenztests für Kinder → Entwicklungspsychologie bis 1967 leitet er das „Internationale Büro für Erziehung“ in Genf → Verbreitung von pädagogischen Methoden weltweit, die „dem Geiste des Kindes besser angepasst sind“ „Das Recht auf Bildung in der gegenwärtigen Welt“

Ideal: „Kind bleiben bis zum Ende“

Allgemeine Grundsätze kindliches Denken grundverschieden von dem der Erwachsenen Denken geht vom Konkreten zum Abstrakten, in einer strukturellen Entwicklung, die sich in Interaktion mit der Umwelt vollzieht und in der das Individuum selbst tätig ist auf jeder Stufe findet eine Neuorganisation statt man kann einem Kind nichts abverlangen, wenn es dazu schlicht noch nicht in der Lage ist Mensch ist für Piaget ein offenes System, das sich die Welt durch Assimilation (Aneignung der Umwelt) und Akkomodation (Veränderung individueller Strukturen) zu eigen macht Kind reagiert nicht auf Reize, sondern sucht sie, ist tätig, organisiert sich in der Welt (Gegensatz zu Behaviourismus) „alles, was wir einem Kind beibringen, kann es nicht mehr selbst lernen“

Phasen der Denkentwicklung nach Piaget - Überblick Piaget unterscheidet vier Phasen während der kognitiven Entwicklung von Kindern: 1. Die sensu-motorische Phase (0-2 Jahre) 2. Die voroperationale Phase (2-7 Jahre) 3. Die Phase der konkreten Operationen (7-11 Jahre) 4. Die Phase der formalen Operationen (11 Jahre +)

Die sensu-motorische Phase von Geburt bis etwa 24. Lebensmonat Entdeckung von Zusammenhängen zwischen Sinnesempfindungen („sensu“) und motorischem Verhalten 1. Lebensmonat: Verhaltensweisen ohne Zusammenspiel, Reflexe als Reaktion auf Umweltreize, erste gewisse Anpassungen folgende Monate: Verbesserung der Anpassung, Wiederholung von vorher zufällig zustande gekommenen Verhaltensweisen

Die sensu-motorische Phase 4. bis 10. Lebensmonat: enorm wachsendes Interesse an der Umwelt → wachsende Neugier, aktives Erkunden der Umwelt 10. bis 12. Monat: Rückgriff auf Erfahrungen, um sie zur Lösung eines neuen Problems einzusetzen 12. bis 18. Monat: „Experimentierphase“, Gefahrenquellen werden noch nicht erkannt 18. bis etwa 24. Monat: Kind setzt sich auf begrifflich-symbolischer Ebene mit einer Problemsituation auseinander

Die sensu-motorische Phase

„Objektpermanenz“

Die voroperationale Phase vorbegriffliche Phase: 2. bis 4. Lebensjahr gewisse Vorstellungen von Gegenständen, Raum und Zeit, die aber noch nicht den Begriffen des Erwachsenen entsprechen Phase des anschaulichen Denkens (intuitive Phase): 4. bis 7. Lebensjahr Ausführen gewisser „Operationen“, Erkennen von Beziehungen, aber kein Erkennen von Gründen oder Regeln für das Verhalten

Die voroperationale Phase Symbolfunktion Ich-Bezogenheit (Egozentrismus) Klassifikationsleistungen: 2-5 Jahre: Schwierigkeiten, eine Ordnungsleistung durchzuhalten 5-7 Jahre: hierarchische Ordnung wird erkannt, aber kein Herstellen von Beziehungen zwischen den einzelnen Ebenen (kein abstrakter Klassenbegriff) Invarianz-Probleme: Aufmerksamkeit nur auf jeweils ein Merkmal der Situation, irreversibles Denken

Die voroperationale Phase

„Lack of conservation“

Die Phase der konkreten Operationen erheblicher Fortschritt in der Denkentwicklung um das siebte Lebensjahr Fortschritt nicht nur bei konkreten Operationen → Kind kann nun „reversibel“ denken nicht nur Ergebnis von Reifungsprozessen, notwendig sind entsprechende Erfahrungen Denken folgt in wachsendem Maße den Regeln der Logik bedeutsame Einschränkung: Kind kann zwar klassifizieren und vergleichen, muss sich dabei aber auf konkrete Gegebenheiten beziehen

Die Phase der konkreten Operationen

„Reversibles Denken“

Die Phase der formalen Operationen alle Kinder sämtlicher Kulturen durchlaufen die Phasen 1 bis 3, die Phase 4 scheint nicht überall aufzutreten: dafür sind bestimmte Umweltanregungen notwendig; sind diese gegeben, zeigt sich um das 11./12. Lebensjahr ein weiterer Fortschritt in der Denkentwicklung Merkmale des formal operationalen Denkens: Abstraktionsfähigkeit Mögl. / tatsächl. Ergebnisse: Hypothesenbildung Egozentrismus

Die Phase der formalen Operationen

„Formale Operationen – deduktives Denken“

Überblick Stufe

Alter

Hauptmerkmal

sensu-motorisch

Geburt – 2 Jahre

voroperational

2-7 Jahre

Konkrete Operationen

7-11 Jahre

Formale Operationen

11 Jahre +

Entdeckung des Zusammenhangs zwischen sensomotorischen Aspekten Gebrauch von Symbolen, um Objekte intern zu repräsentieren, insbesondere durch Sprache Entwicklung der Logik und Entwicklung rationalen Denkens Entwicklung des abstrakten und hypothetischen Denkens

Bedeutung Piagets für die Pädagogik mechanisches Lernen ist wenig effektiv und des Menschen unwürdig Einheit von Lern- und Entwicklungsprozess, von Aneignung und Subjektwerden „sinnvolles“ Lernen kann nur selbstbestimmt in der Zusammenarbeit mit anderen vonstatten gehen Erziehung nicht als Dressur, sondern mit Wertlegung auf kritischem Widersprechen, selbstständigem Urteil und kreativem Denken → Lernen entlastet von Zwang und Angst, von Bevormundung und Zeitdruck

Bedeutung Piagets für die Pädagogik Einwände gegen Piagets Theorie der Denkentwicklung: Vernachlässigung der Bedeutung affektiver Prozesse Übersehen von klassenspezifischen Differenzen in der Sozialisation fortschrittsoptimistischer Entwicklungsbegriff

Bedeutung Piagets für die Pädagogik Warum ist es sinnvoll, sich mit Piaget auseinanderzusetzen? neue Perspektive auf den eigenen Umgang mit Kindern bei der „Übersetzung“ seiner Theorie in die Gestaltung von Erziehungs- und Bildungsprozessen kann dazu beigetragen werden, der Entwicklung von Phantasie, selbstständigem Denken, kritischem Urteil und Autonomie Raum zu geben

Bedeutung Piagets für die Pädagogik traditioneller Schulunterricht wird von Piaget folgendermaßen eingeschätzt: „Das Ansehen, das er in den Augen des Kindes genießt, führt dazu, dass es die Aussagen des Lehrers fix und fertig akzeptiert und dass ihm die Autorität das Überlegen erspart. Da die egozentrische Einstellung den Verstand zu unkontrollierten Behauptungen veranlasst, verstärkt die Achtung vor dem Erwachsenen oft die Ichbezogenheit statt sie zu korrigieren; sie ersetzt nämlich den individuellen Glauben einfach durch einen auf die Autorität gestützten Glauben – ohne jedoch zu jenem Überlegen und zu jener kritischen Diskussion zu führen, die die Vernunft bilden und die allein die Zusammenarbeit und die echte Wechselbeziehung entwickeln können.“ → ähnlich dem Begriff der Bildung in seiner Bedeutung, die dieser in der Aufklärung gewonnen hat

Aufgaben der Erziehung nach Piaget erstes Erziehungsziel: Menschen schaffen, die fähig sind, neue Dinge zu tun; Menschen, die schöpferisch, erfinderisch, die Entdecker sind zweitwichtigstes Ziel: Geister heranbilden, die kritisch sind, verifizieren können und nicht alles annehmen, was man ihnen anbietet Gefahr: Schlagworte, Kollektivmeinungen, gebrauchsfertige Denkmodelle → wir brauchen also Schüler, die aktiv sind, die frühzeitig lernen, selbst herauszufinden, was an einer Sache ist, teils durch eigene spontane Aktivität, teils durch Material, das wir ihnen beschaffen; die frühzeitig lernen, zu beurteilen, was durchführbar ist und was nur einfach eine erstbeste Idee

Piaget und mathematische Logik

Literatur Gerd Mietzel: „Phasen der Denkentwicklung nach Piaget“ Ali Wacker: „Zur aktuellen Bedeutung Piagets für die Pädagogik“ Jean Piaget: „ Aufgaben der Erziehung“ Lienhard Valentin: „Mit Kinder wachsen“ - Juli 2009 Richard & Rita Atkinson, Edward Smith ,Daryl Bem: „Introduction to psychology“