Pflege und Versorgung von Menschen mit Demenz in Europa: Ergebnisse des RightTimePlaceCare Projektes

Pflege und Versorgung von Menschen mit Demenz in Europa: Ergebnisse des RightTimePlaceCare Projektes Gabriele Meyer, Prof. Dr. phil. Institut für Gesu...
5 downloads 3 Views 3MB Size
Pflege und Versorgung von Menschen mit Demenz in Europa: Ergebnisse des RightTimePlaceCare Projektes Gabriele Meyer, Prof. Dr. phil. Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Über die Lebenssituation von Menschen mit Demenz und ihre pflegenden Angehörigen in der Häuslichkeit und unmittelbar nach Einzug in ein Pflegeheim, ihre gesundheitliche und sozioökonomische Situation ist wenig bekannt und Studien fehlen. Die Entscheidungsfindung über das am besten geeignete Setting zum richtigen Zeitpunkt erfolgt nicht gestützt auf empirische Erkenntnisse.

RightTimePlaceCare Konsortium Multidisziplinäre Gruppe von Wissenschaftlern: Pflegewissenschaftler, Geriater, Gerontopsychiater, Psychologen, Ökonomen, Biometriker • Lund University, SE • University of Turku, FI • University of Tartu, EE • Manchester University, UK • Maastricht University, NL

• University of Witten/Herdecke, DE • University of Toulouse, FR • Hospital Clinic of Barcelona, ES

Ablauf des Projektes WP 1 Management (DE)

WP 2 Beschreibung der Versorgungsstrukturen/ Intersektorale Kommunikation (Fokusgruppeninterviews) (SE)

WP 3 Befragung zur Pflege und Versorgung von Menschen mit Demenz Übergang ambulante/ stationäre Versorgung (NL)

WP 4 Ökonomische Evaluation (DE)

WP 6 Verbreitung der Ergebnisse (DE)

WP 5 Entwicklung von „Gute Praxis” Strategien mit Literaturreviews und Balance of Care approach (EE, ES, UK)

Ablauf des Projektes WP 1 Management (DE)

WP 2 Beschreibung der Versorgungsstrukturen/ Intersektorale Kommunikation (Fokusgruppeninterviews) (SE)

WP 3 Befragung zur Pflege und Versorgung von Menschen mit Demenz Übergang ambulante/ stationäre Versorgung (NL)

WP 4 Ökonomische Evaluation (DE)

WP 6 Verbreitung der Ergebnisse (DE)

WP 5 Entwicklung von „Gute Praxis” Strategien mit Literaturreviews und Balance of Care approach (EE, ES, UK)

Forschungsfragen 1. Faktoren, die mit kürzlichem Einzug ins Heim assoziiert sind.

2. Lebensqualität von Menschen mit Demenz, die sich am Übergang zwischen häuslicher und stationärer Betreuung befinden 3. Qualität der Pflege, die Menschen mit Demenz am Übergang zwischen häuslicher und stationärer Betreuung erhalten

Stichprobe 2014 Personen mit Demenz (PmD) und ihre pflegenden Angehörigen in 8 europäischen Ländern (n=235 in DE) 791 PmD in stationären Einrichtungen (n=119 in DE)

1223 PmD in häuslicher Pflege (n=116 in DE)

Alle PmD hatten eine Unterstützung durch professionelle Pflege

Studienpopulation Estonia Finland France Germany Netherlands Spain Sweden United Kingdom Total

Nursing Home 115 122 49 119 113 113 84 76 791

Home Care 172 182 175 116 177 174 146 81 1223

8

Methoden Interviews mit Menschen mit Demenz, pflegenden Angehörigen und professionellen Pflegekräften

Erstbefragung und Zweitbefragung nach 3 Monaten Zeitraum: 11/2010 bis 4/2012

Gewinnung von Zentren (Deutschland) Hamburg

Herne Dortmund Bochum Duisburg Essen Witten Hattingen Herdecke Krefeld Spockhövel Wetter Wuppertal Hagen Düsseldorf Jüchen

Selfkant

Waldenrath

Solingen Dormagen Grevenbroich Köln

Düren Nörvenich Vossenack

10

Einschlusskriterien Menschen mit Demenz

Pflegende Angehörige

>65 Jahre alt > 2 x im Monat vor Ort Diagnose Demenz MMSE ≤24 Keine weitere psychiatrische Erkrankung

In der Häuslichkeit: PmD mit erhöhter Wahrscheinlichkeit, ins Pflegheim umzuziehen Im Pflegeheim: PmD vor < 3 Mon. eingezogen

Instrumente – Menschen mit Demenz • Kognitiver Status (MMSE)

• Aktivitäten des Täglichen Lebens (KATZ) • Neuropsychiatrische Symptome (NPI-Q) • Lebensqualität (QoL-AD, Selbst- und Fremdeinschätzung) • Komorbidität (Charlson Index) • Medikamente

• Aspekte der Pflegequalität: Dekubitus, Schmerz, Stürze, freiheitsentziehende Maßnahmen, Gewicht (Zunahme/Abnahme) • Soziodemographische Daten, Informationen zu Demenztyp und Diagnosezeitpunkt

Fragen und Instrumente - pflegende Angehörige • Sozidemographische Daten • Lebensqualität (EQ-5D)

• Erleben der Pflege (ZBI; CRA) • Allgemeiner Gesundheitszustand (GHQ-12) • Einschätzung der Pflegequalität (CLINT)

• Nutzung von Ressourcen im Gesundheitswesen (RUD) • Offene Fragen zum Übergang in die Pflegeeinrichtung: – Hauptgründe für den Umzug in ein Pflegeheim? – Warum halten Sie einen Umzug in ein Pflegeheim für notwendig?

Teilnehmer Häuslichkeit

“ At risk ”

1223 zu Hause

Pflegeheim

791 kürzlich ins PH 126 Umzug zu Hause  PH

950 nach 3 Monaten

650 nach 3 Monaten

Faktoren, assoziiert mit kürzlichem Einzug ins Pflegeheim • Große Variation – Kein allgemeingültiger Faktor

• Relevanz in allen Ländern – Abhängigkeit in den ATLs – Demenz-assoziierte Verhaltenssymptome – Hohe Belastung pflegender Angehöriger

Lebensqualität - Menschen mit Demenz

Nursing home Home

Belastung pflegender Angehöriger 40 35 30 25 20 15

Home

10

Nursing home

5 0

EU

DE

UK

EE

FI

FR

NL

ES

SE

Pflegequalität (Pflegeheim, ausgewählte Aspekte) Hohe Dekubitusrate: Estland: 14% (EU mean: 7%) Hohe Rate FEM: - Spanien: 83% - Estland: 48% - Finnland: 40% (EU mean: 32%) Hohe PM-Rate: - Frankreich: 90% - Spanien: 81% (EU mean: 70%)

Pflegequalität am Übergang – Ergebnisse für Deutschland Stat. Wohn.

Zu Hause

9%

20%

64%

56%

Dekubitus

2,5%

6%

Stürze

34%

23%

Schmerz (täglich oder seltener)

33%

50%

Freiheitsentziehende Maßnahmen (FEM) Anwendung psychotroper Medikation (Antipsychotika, Anxiolytika, Hypnotika/Sedativa und Antidepressiva)

FEM

Stat. Wohn.

Zu Hause

Gurt

3%

1%

Stecktische im Stuhl

1%

0%

Tiefer Sessel

1%

1%

Abgeschlossene Tür

1%

18 %

Bettgitter

9%

19 %

Gründe für den Einzug in ein Pflegeheim: Die Sicht der pflegenden Angehörigen in 8 EU-Ländern • • •

Insgesamt große Unterschiede zwischen den Ländern Neuropsychiatrische Symptome häufig benannt in allen Ländern (unter 5 häufigsten Gründen – außer in Estland) Anteil an Angehörigen, die eigene Belastung benennen, ist zwischen Ländern vergleichbar (ca. 15%)

Nach dem Einzug in ein Pflegeheim? Zusatzfrage in Deutschland: Wie empfinden Sie die momentane Situation Ihres Angehörigen mit Demenz im Vergleich zu den letzten Wochen vor dem Umzug in die Wohneinrichtung?

Situation inzwischen verbessert: 61% (n=70/114) Häufigste genannte Gründe: • Allgemeine positive Veränderung (ruhiger, weniger Angst) • Verbesserter Gesundheitszustand • Bessere Versorgung • Mehr soziale Kontakte Situation gleich geblieben/sowohl verbessert als auch verschlechtert: 20% (n=22/114)

Situation verschlechtert 20% (n=22/114) Häufigste genannte Gründe: • Mehr dementielle Symptome (verwirrter als zu Hause) • Fortschreiten der Demenz • Verschlechterter Gesundheitszustand • Allgemeine negative Reaktion (hat sich aufgegeben)

Ablauf des Projektes WP 1 Management (DE)

WP 2 Beschreibung der Versorgungsstrukturen/ Intersektorale Kommunikation (Fokusgruppeninterviews) (SE)

WP 3 Befragung zur Pflege und Versorgung von Menschen mit Demenz Übergang ambulante/ stationäre Versorgung (NL)

WP 4 Ökonomische Evaluation (DE)

WP 6 Verbreitung der Ergebnisse (DE)

WP 5 Entwicklung von „Gute Praxis” Strategien mit Literaturreviews und Balance of Care approach (EE, ES, UK)

Was macht gute Kommunikation und Zusammenarbeit aus? Ergebnisse einer länderübergreifenden Fokusgruppenstudie (WP2)

Vorgehen Methode: Leitfaden gestützte, qualitative Fokusgruppeninterviews mit 1) Professionellen Akteuren, die •

Versorgungsstrukturen repräsentieren



„Gute-Praxis“ Erfahrungen mitbringen

2) Menschen mit Demenz, Angehörigen, Interessenvertretern Zeitraum: Herbst/Winter 2011 Auswertung: Landesspezifische Auswertung, Synthese der übersetzten Ergebnisse (Universität Lund, Schweden)

Länderübergreifende Ergebnisse Fokusgruppeninterview/ Land Professionelle Akteure Anzahl Gruppen (Teilnehmer) Pflegende Angehörige & Menschen mit Demenz Anzahl Gruppen (Teilnehmer)

EE

DE

FI

FR

NL

ES

SE UK Gesamt

2 2 2 2 2 2 3 2 17 (15) (13) (14) (12) (13) (15) (26) (23) (131)

2 3 2 2 2 2 4 3 20 (14) (17) (18) (13) (10) (13) (24) (27) (136)

Sowohl zwischen den beiden Gruppen als auch länderübergreifend  hohes Maß an Übereinstimmung hinsichtlich guter Kommunikation und Zusammenarbeit

Länderübergreifende Ergebnisse … nur Fachwissen ist nicht genug Klare Bezugsperson/ -Einrichtung

Professionelle Haltung

- Zugewandt sein - Engagement

Bedürfnisorientierung

Beziehungsebene - Vertrauen - Empathie

Fachliche Ebene

Familienzentrierte Versorgung Menschen mit Demenz und ihre Familien

Besondere Herausforderungen in Deutschland • Wettbewerbsstrukturen/Diversität der Anbieter „[…] In dem Augenblick wo die starreren Strukturen der einzelnen Träger teilweise dann in das System mit reinkommen, wird das schon sehr viel formalistischer und unter Umständen auch abgeschnitten […]“ (Einzugsberater in einer gerontopsychiatrischen Wohneinrichtung)

• Kommunikation/Zusammenarbeit mit niedergelassenen Ärzten und mit/in Krankenhäusern • Balance zwischen professioneller Hilfe/Ehrenamt und familiärer Unterstützung finden

Besondere Herausforderungen in Deutschland • Den Türöffner finden: Demenz erkennen und Zugang zu den Familien finden. „Alles was nach dem Türöffner kommt, das ist, glaube ich, inzwischen leicht, aber das, was davor ist, finde ich schon sehr schwierig. […] Dieses davor. Wie oft ich so mitbekomme, dass Leute sich wirklich ganz, ganz lange wehren und sagen „Nein, nein, wir machen das, wir nehmen keine Hilfe an“. […] Also dieser Weg ist noch immer sehr lang und holprig.“ (Krankenschwester, Leiterin einer Tagespflegeeinrichtung & Mitarbeiterin in einem Projekt zur Integration der Demenzversorgung in die Kommune)

• Übergänge zwischen den Versorgungsformen erleichtern/sanfte Übergänge schaffen.

Welche Faktoren unterstützen gute Kommunikation und Kooperation?

Von Anfang an und frühzeitig … Erstkontakt mit den professionellen Helfern von großer Bedeutung und häufig entscheidend für den weiteren Verlauf der Kommunikation. Ernst genommen werden: Erste Anzeichen einer Demenz und Sorgen der Betroffenen ernst nehmen (z.B. im Gespräch mit dem Hausarzt). Paßgenaue Informationen und gute Beratung bei und nach Diagnosestellung: Information sollte angeboten und nicht gesucht werden müssen.

Hemmschwellen und Tabus überwinden helfen: Niedrigschwellige und offene Angebote, die erste Information bis Beratungsgespräche (z.B. Demenz Cafés) Frühzeitige Kontaktaufnahme: Hilfs- und Unterstützungsangebote planen, langsam aufbauen und ausprobieren. Später Kontakt in akuten Notsituationen: Krisenintervention. Verlauf der Erkrankung frühzeitig thematisieren Hilfsangebote aufzeigen (bspw. stationäre Wohneinrichtung)

„Ankerpunkte schaffen“: Soziales Netzwerk aufbauen und stärken, Hilfen frühzeitig planen und verorten.

Zusammenfassung • Auf europäischer Ebene konnte kein Set an allgemeingültigen Faktoren isoliert werden, die mit dem Einzug in ein Heim assoziiert sind. • Die Belastung der pflegenden Angehörigen und die Abhängigkeit in den Aktivitäten des täglichen Lebens sind in allen Ländern mit Heimeinzug assoziierte Faktoren und insofern bei der Versorgungsplanung für Menschen mit Demenz zu berücksichtigen.

Zusammenfassung • Die Ergebnisse zu den Indikatoren der Pflegequalität sind sehr unterschiedlich. • Es gibt jedoch offensichtlich Potential für Verbesserung der Pflegeoutcomes, a) in allen Ländern, z.B. psychotrope Medikation und b) landesspezifisch, z.B. im Bereich FEM, Dekubitus usw.

• Die Interaktion und Kommunikation zwischen Menschen mit Demenz/pflegenden Angehörigen und Leistungsanbietern und zwischen den Settings bleibt zu optimieren: im Zentrum einer “durchlässigen” Versorgung muss ein familienorientierter Versorgungsansatz stehen.

Suggest Documents