Perspektiven gesellschaftlicher Innovation Nachhaltige Lösungen für die Zukunftsfelder Finanzen, Energie, Kommunikation von Karl Peter Sprinkart, Peter Dürr, Marcus Hipp, Klaus Sailer 1. Auflage

Walhalla Fachverlag Regensburg 2014 Verlag C.H. Beck im Internet: www.beck.de ISBN 978 3 8029 3926 6

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Schnellübersicht

Impulse für einen neuen Zukunftsdiskurs . . . . . . .

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Ernährung & Zukunftsdiskurs . . . . . . . . . . . . 21 Umwelt & Nachhaltigkeit . . . . . . . . . . . . . . . 57 Politik & Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Wirtschaft & Finanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 Zukunft & Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . 177

Ein neues Innovationsparadigma . . . . . . . . . . . . . 216 Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 Kurzvita der Referenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 Kurzvita der Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231

Inhalt

Impulse für einen neuen Zukunftsdiskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1 Ernährung & Zukunftsdiskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Weltbilder und neues Denken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Das Paradigma des Lebendigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Peter Dürr

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Ernährung ist Leben – Ökosoziale Innovationen auf dem Weg zu einer nachhaltigen Land- und Lebensmittelwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karl Ludwig Schweisfurth

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2 Umwelt & Nachhaltigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einführung in den aktuellen Nachhaltigkeitsdiskurs . . . . . .

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Klimaschutz als Modernisierungsstrategie . . . . . . . . . . . . . . Ernst Ulrich von Weizsäcker

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Wie Geschäftsmodellinnovationen die Veränderung der Gesellschaft beeinflussen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gunter Pauli

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3 Politik & Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einführung in den aktuellen politischen Innovationsdiskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Welche Bürgerbeteiligung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesine Schwan

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Wie schaffen wir Initiative weckende Rahmenbedingungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 Götz W. Werner

4 Wirtschaft & Finanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 Einführung in den aktuellen Diskurs über wirtschaftliche Innovation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 Mit Migranten nicht nur für Migranten: Das MiMi-Programm als Schlüsseltechnologie der Integration und Beitrag zu gesellschaftlicher Innovation . . 132 Ramazan Salman Zum Wohle aller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 Helmut Lind

5 Zukunft & Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Einführung in den Diskurs über gesellschaftliche Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 Kurswechsel für eine lebenswerte Zukunft: Wie zähmen wir die Diktatur des Jetzt? . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Maja Göpel Umweltrisiko und Utopie in der Populärkultur . . . . . . . . . . 198 Alexa Weik von Mossner

Ein neues Innovationsparadigma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 Kurzvita der Referenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 Kurzvita der Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231

Impulse für einen neuen Zukunftsdiskurs Der Mensch, wie die übrige Natur, ist im Grunde kreativ. Alles und alle sind an der Gestaltung der Zukunft beteiligt. Der Mensch erfährt dies – wohl als einziger – auch in einem bewussten und absichtsvollen Sinne. Er ist bewusst kreativ und trägt deshalb auch Verantwortung für die Zukunft. Hans-Peter Dürr, dt. Physiker und Philosoph (1929–2014)

Dieses Buch will einen neuen Blick auf Zukunftsthemen ermöglichen. Jenseits des Anspruchs der klassischen Futurologie, Zukünfte voraussagen zu können, sollen mit dem Fokus auf gesellschaftliche Innovationen Impulse zur Gestaltung von Zukunft gesetzt werden. Das Versprechen dieses Bandes und der gesamten Buchreihe „Gesellschaftliche Innovation“ besteht darin, in den jeweiligen Handlungsfeldern bisher ungewohnte Blickwinkel auf Zukunftsthemen zu beleuchten und so für den in vielen Punkten festgefahrenen Zukunftsdiskurs neue Horizonte zu eröffnen. Gesellschaftliche Innovation: Versuch einer Kartierung1 „Gesellschaftliche Innovation“ hat Konjunktur. Der Begriff ist in den letzten Jahren zu einem stetigen Begleiter in den Foren der Zivilgesellschaft und in jüngster Zeit zunehmend auch innerhalb des politischen Planungsdiskurses geworden.2 Ohne Zweifel hat dieser Begriff Unschärfen, die zum Teil auch seinen Erfolg erklären. Er kann nahezu alles bezeichnen: vom innovativen Sozialprojekt, über zivilgesellschaftliche oder politische Steuerungsansätze bis hin zu einem umfassenden sozialwissenschaftlichen Erklärungsbegriff, der gute Chancen hat, dem in die Jahre gekommenen Begriff des „gesellschaftlichen Wandels“ den Rang abzulaufen.3

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Ausführlicher dazu siehe: Gottwald, F.-T./Sprinkart, K. P.: Social Business. Für ein neues Miteinander. München 2013, S. 15 ff. Die beiden Begriffe „soziale“ und „gesellschaftliche“ Innovation werden hier synonym verwendet. Dies geschieht in Anlehnung an den amerikanischen Sprachgebrauch, der mit „social“ immer auch einen aufs gesellschaftliche Ganze zielenden Begriff meint. Der Begriff meint dabei aktiv gestaltete Prozesse der Entwicklung, Durchsetzung oder Vorbereitung neuer sozialer Spielregeln, Wertsysteme und Praktiken des gesellschaftlichen Miteinanders. Vgl. Howaldt, J./Jacobsen, H. (Hrsg.): Soziale Innovation. Auf dem Weg zu einem postindustriellen Innovationsparadigma. Wiesbaden 2010. www.WALHALLA.de

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Trotz seiner Unschärfe und modischen Zeitgeisthaftigkeit ist dieser Begriff unverzichtbar. Sein schillernder Charakter macht einen guten Teil seiner inspirierenden Kraft aus. Er beschreibt jenseits des Paradigmas technokratischer Planung ein verändertes Verständnis, wie gesellschaftliche Probleme angegangen und gelöst werden können und wie daraus eine veränderte gesellschaftliche Konstruktion unserer Lebenswelt und unserer sozialen Praxis werden kann. Mit sozialer Kreativität und neuem Denken, mit mutigem unternehmerischen Engagement und Unterstützungsnetzwerken, die zusammengenommen die Implementierung neuer Lösungsansätze ermöglichen. Im Kern steht hinter diesem Begriff die Frage, wie Potenziale und Perspektiven für gesellschaftliche Veränderungen entstehen und entwickelt werden können. Ein Blick auf die Diskursgeschichte Will man nicht auf diesen Begriff verzichten, so bedarf es einer Klärung. Hierzu bietet sich ein Blick auf die Diskursgeschichte dieses Begriffs innerhalb der Sozialwissenschaften an. Sie verdeutlicht, wie sich mit diesem Begriff neben dem technisch-industriellen Verständnis von Innovation und Fortschritt soziale Innovation als gewichtiges Modell unserer Zukunftsgestaltung etablieren konnte. In einem engen Verständnis werden gesellschaftliche Innovationen dabei stark mit jenen Fortschritten der Ausgestaltung sozialer Netze zur Daseinssicherung in Verbindung gebracht, etwa mit Meilensteinen der Sozialgesetzgebung oder mit der Durchsetzung von sozialen Beteiligungschancen zuvor ausgegrenzter gesellschaftlicher Gruppen, beispielsweise der Durchsetzung eines Mehrs an Bürgerbeteiligung bei Planungsprozessen. Innerhalb der klassischen Innovationsforschung werden soziale Innovationen häufig als sozialtechnologische Instrumente zur Begleitung technischer Innovationen angesehen; es geht im Regelfall darum, mittels Information und Kommunikation das Klima gegenüber technischer Innovation zu verbessern und so die Durchsetzung technischer Innovationen in der Bevölkerung zu erleichtern. Im Gegensatz zu diesen beiden Formen der Verkürzung des Begriffs wird hier ein Zugang vorgeschlagen, der unter sozialer bzw. gesellschaftlicher Innovation eine Diskursstrategie versteht, die auf eine Erweiterung der symbolischen Konstruktion unserer Lebenswelt und gesellschaftlicher Wirklichkeit zielt. Unsere alltägliche Lebenswelt ist voll von derartigen Konstruktionen oder nicht hinterfragwww.WALHALLA.de

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ten/nicht hinterfragbaren Grundtatsachen der sozialen Wirklichkeit. Hierzu zählen etwa jene Spielregeln, wie mit älteren Menschen institutionell umgegangen wird, wie in unserem Gesundheitswesen Krankheit mehr verwaltet als Gesundheit entwickelt wird oder wie man das Spiel im Kasino der Finanzmärkte zu regulieren versucht. Indem die blinden Flecke dieser Konstruktion aufgezeigt werden, insbesondere mit dem Aufzeigen machbarer Alternativen anhand von Praxisbeispielen, eröffnen sich neue soziale und gesellschaftliche Handlungsspielräume. Ziel dieser Dekonstruktion gewohnter Denkmuster und Sprachspiele, Erfolgskriterien und Wertebezüge ist eine Reorganisation der kommunikativen Ordnung des gesellschaftlichen Miteinanders und des Dialogs seiner Akteure. Ganz im Sinne der Michel FOUCAULT zugeschriebenen Formulierung „Ich bin kein Prophet. Meine Tätigkeit besteht darin, Fenster zu öffnen, wo es vorher nur Wände gab“4, wird mit dem Begriff der gesellschaftlichen Innovation in einer als alternativlos behaupteten Welt das Potenzial der Veränderung aufgespannt. Der Unternehmer als Innovator Im traditionellen Verständnis, insbesondere wenn es sich um Diskussionsbeiträge aus den Wirtschaftswissenschaften oder der betriebswirtschaftlichen Organisationslehre handelt, knüpft der Begriff „Innovation“ an die Ursprünge der Innovationsforschung bei Joseph SCHUMPETER an.5 Für SCHUMPETER ist Innovation der Garant für wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt. Ohne Innovation, die für ihn Aufbau und Zerstörung zugleich bedeutet, können sich unsere Lebensbedingungen nicht in produktiver Weise weiterentwickeln. Zentral ist dabei aus seiner Sicht die Rolle des Unternehmers. Er, nicht der Erfinder einer neuen Technologie, ist der eigentliche Innovator. Auslöser für Innovationsprozesse bilden sichtbar gewordene Lücken, Ungleichgewichte in einem bestimmten Bereich des Güter- oder Dienstleistungsangebots. Der innovative Unternehmer sucht diese Lücken mithilfe einer Neustrukturierung des Produkt- oder Dienstleistungsangebots zu schließen und so ein Funktionieren des Systems auf einem höheren Niveau, auf einem neuen Equilibrium, zu erreichen. Soziale Innovationen haben bei Schumpeter dabei lediglich eine flankierende Rolle, die darauf ab4 5

Freedman, L.: Strategy. Oxford/New York 2013, S. 414. Schumpeter, J.: Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung. Nachdruck der 1. Auflage von 1912. Herausgegeben von J. Röpke und O. Stiller. Berlin 2006.

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zielt, die ökonomische Effektivität technischer Innovationen zu gewährleisten. Soziale Innovation im Sinne eines eigenständigen Innovationskonzepts wird im deutschen Sprachraum erstmals 1989 systematisch von Wolfgang ZAPF behandelt. Er definierte soziale Innovationen als „neue Wege, Ziele zu erreichen, insbesondere neue Organisationsformen, neue Regulierungen, neue Lebensstile, die die Richtung des sozialen Wandels verändern, Probleme besser lösen als frühere Praktiken, und die deshalb wert sind, nachgeahmt und institutionalisiert zu werden“.6 In einem Übersichtsbeitrag der Querschnittsgruppe „Arbeit und Ökologie“ des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung definiert Katrin GILLWALD: „Soziale Innovationen sind, kurz gefasst, gesellschaftlich folgenreiche, vom vorher gewohnten Schema abweichende Regelungen von Tätigkeiten und Vorgehensweisen. Sie sind überall in gesellschaftlichen Systemen möglich, im Ergebnis Verhaltensänderungen und verwandt, aber nicht gleich mit technischen Innovationen.“7 Soziale Innovation als eigenständiges Konzept Beide Definitionsversuche sind nicht unbedingt sehr spezifisch gefasst. Man könnte sie auch als deskriptive Metaphern sozialen Wandels lesen. Wichtiger allerdings als begriffliche Klarheit ist an dieser Stelle die Tatsache, dass es überhaupt zur Formulierung eines eigenständigen, von technischer, wissenschaftlicher, künstlerischer oder wirtschaftlicher Innovation abgegrenzten Konzepts der sozialen Innovation kommt. In dieser Begriffsbildung reflektiert sich das Anliegen, sozialen Innovationsprozessen eine eigenständige Bedeutung zuzuweisen. Soziale Innovation als eigenständiges Konzept steht zweifelsohne in direktem Zusammenhang mit dem, was man aus heutiger Sicht den Legitimationsverlust der wissenschaftlich-technischen Utopie der Nachkriegsära nennen könnte. Die Notwendigkeit gesellschaftlicher Innovationen wird zunehmend artikuliert, angefangen mit dem Sichtbarwerden der „Grenzen des Wachstums“ und einer zunehmend kritischen Sicht auf die technologische Entwicklung und ihre Problemlösungspotenziale im Zuge der Technikfolgenabschät6

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Zapf, W.: Über soziale Innovationen. In: Soziale Welt. 40. Jg. 1989. Heft 1–2, S. 170–183. Gillwald, K.: Konzepte sozialer Innovation. WZB Paper: Querschnittsgruppe Arbeit und Ökologie. Berlin 2000. (http://bibliothek.wzb.eu/pdf/2000/p00-519.pdf)

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zungs-Forschung. Verstärkt wird diese Selbstbehauptungstendenz zudem durch das ungebrochene Fortbestehen einer technikfixierten Innovationspolitik. Wichtig: Aktuell erleben wir einen Umbau unserer Wirtschaftsordnung, einen sehr weitreichenden Übergang von der Industrie- zur Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft. Den materialen Hintergrund hierfür bilden die digitale Revolution und eine zunehmende mediale Vernetzung unserer Arbeits- und Lebenswelt. Damit einher geht eine erhebliche Veränderung der sozialen Spielregeln, nach denen Unternehmen intern organisiert werden und Märkte, sprich die Beziehungen zwischen Unternehmen und ihren Kunden, sich einrichten. Produktinnovationen, in der Unternehmensorganisation einst ein Geschäft für Entwicklungsabteilungen mit klarer Trennung von Vertrieb und Marketing, gestalten sich immer mehr als vernetzter Zusammenhang. Mitarbeiter und ihr Wissen werden in die Formulierung innovativer Unternehmensstrategien eingebunden, Kunden können bereits in der Phase der Produktentwicklung ihre spezifischen Erfahrungen und Wünsche mit einbringen. Die Formulierung neuer Unternehmensstrategien und die Entwicklung von Produkt- und Dienstleistungsinnovationen verlaufen dialogisch, einfach aus der Einsicht heraus, dass sich so Innovationsprozesse in ihrer Qualität verbessern und zugleich spätere Akzeptanzprobleme vermeiden lassen. Vergleichbares lässt sich auch im institutionellen Bereich feststellen: Parteien, bisher Hort von im Hinterzimmer getroffenen Entscheidungen, fragen ihre Mitglieder nach deren Haltung zu zentralen Zukunftsfragen, und Kirchen, bislang eher als Inbegriff autoritärer Führungsstrukturen bekannt, führen Zukunftswerkstätten zur neuen Gestaltung der Kirchenorganisation mit ihren Gläubigen durch. Man setzt auf Innovation durch Inklusion, man setzt darauf, den Weg in die Zukunft erfolgreicher gestalten zu können, indem man den Dialog intensiviert, wie dies webbasiert modellhaft in der Zivilgesellschaft vorgelebt wird. Diese Beispiele legen eine verstärkte Gewichtung sozialer Innovation gegenüber der technischen nahe. Sie mögen auch erklären, warum sich gesellschaftliche Innovation als ein eigenständiges Konzept in der Wissenschaft und im gesellschaftlichen Diskurs etablieren konnte. Ein wesentliches Kennzeichen dieses neuen Innovationsparadigmas ist die Öffnung des Innovationsprozesses hin zur 12

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Gesellschaft. Neben Unternehmen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen werden auch Bürger und Kunden zu relevanten Akteuren im Innovationsprozess, indem sie bei der Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen zur Lösung von Problemen beitragen. Begriffe und Konzepte wie „Open Innovation“, Kundenintegration oder Koproduzenten-Netzwerke spiegeln einzelne Aspekte dieser Entwicklung wider. Das Thema „Gesellschaftliche Innovation“ ist eng mit dem Thema Zivilgesellschaft verknüpft. In Abgrenzung zu den gängigen industriellen Strategien machten sich Akteure der Zivilgesellschaft dafür stark, dass „Konzepte für soziale Innovationen in öffentlichen Diskursen wirksam verankert und in zentralen gesellschaftlichen Sektoren wie Wirtschaft, Bildung und Politik eine wachsende Zahl von effektiven sozialen Innovationen realisiert werden [und ihnen] ein ähnlicher Stellenwert zukommt, wie ihn bisher nur wirtschaftlich verwertbare technische Innovationen haben“.8 Büro für Soziale Innovationen und Bürgerbeteiligung Auch auf internationaler politischer Ebene wird dem Thema „Gesellschaftliche Innovation“ zunehmend Aufmerksamkeit entgegengebracht. Präsident OBAMA hat ein „Büro für Soziale Innovationen und Bürgerbeteiligung“9 eingerichtet und mit Haushaltsmitteln von 50 Millionen US-Dollar im Haushaltsjahr 2010 ausgestattet.10 Für die die EU-Kommission erklärte Kommissionspräsident Manuel BARROSO in einem Statement 2009: „Kreativität und Innovation im Allgemeinen und soziale Innovation im Besonderen sind gerade in Zeiten der Wirtschafts- und Finanzkrise die wesentlichen Faktoren für die Förderung von nachhaltigem Wachstum, die Sicherung von Arbeitsplätzen und die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit.“11 Zudem hatte in der europäischen Innovationspolitik frühzeitig ein Umdenken begonnen, das sich in der veränderten Gewichtung bei 8

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ZSI (Zentrum für soziale Innovation): Impulse für die gesellschaftliche Entwicklung. ZSI Diskussionspapier. Wien 2008. Office of Social Innovation and Civic Participation, ausführlicher dazu siehe unter: http://www.whitehouse.gov/administration/eop/sicp What is the Social Innovation Fund? (http://www.whitehouse.gov/blog/What-Isthe-Social-Innovation-Fund/) Barroso, J. M.: Förderung der sozialen Innovation – Dialog mit Präsident Barroso. Europa Press Releases Rapid, Reference: IP/09/81 vom 20.01.2009. (http://europa. eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=IP/09/81&format=HTML&aged=0&lan guage=DE&guiLanguage=en)

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EU-Forschungsrahmenprogrammen und klaren Aussagen der EUKommission zum Innovationsthema niederschlug: „Innovation ist nicht nur ein wirtschaftlicher Mechanismus oder ein technischer Prozess. Sie ist vor allem ein soziales Phänomen […]. Von daher sind Zweckbestimmung, Folgen und Rahmenbedingungen der Innovation eng mit dem sozialen Klima verbunden, in dem sie entsteht.“12 Die Ideen eines Innovationsmanagements auf der Grundlage sozialer Innovation gewinnt somit auf vielfältigen Ebenen erhöhte Akzeptanz. Angesichts eines erweiterten Innovationsparadigmas im Sinn von „Open Innovation“ und einer Wertschöpfung, die zunehmend wissensbasiert ist, ist diese naheliegend. Auch wenn es dem Konzept der gesellschaftlichen Innovation an begrifflicher Schärfe noch mangeln mag, eröffnet sich mit diesem Begriff doch ein Ansatz, der über das Paradigma technisch-industrieller Lösungen hinausgeht. Der Begriff spannt für den aktuellen Innovationsdiskurs in Wirtschaft und Gesellschaft eine konkrete Utopie auf. Der Geist der Innovation: Wie die Ringvorlesung entstand Das Nachvollziehen der Begriffsgeschichte ist aufschlussreich und stellt spannende Bezüge her. Allerdings wird sie nicht der Lebendigkeit und Fülle gerecht, die sich aktuell mit diesem Begriff verbindet. Eine wirkliche Annäherung an das Phänomen „Gesellschaftliche Innovation“ erfordert vielmehr ein mulitperspektivisches Vorgehen, das innovative gesellschaftliche Praxis gleichrangig neben Theorie stellt und dabei auch den Dialog nicht vergisst. Genau dies war das zentrale Anliegen der Ringvorlesung „Gesellschaftliche Innovation“, deren Beiträge in dieser Buchreihe zum Nachlesen vorgestellt werden. Es ging darum, einen Diskussionsraum zu schaffen, einen Ort, an dem unterschiedliche Perspektiven zu besagtem Thema miteinander in Dialog treten können, ein Ort auch, an dem die Besucher der Veranstaltung selbst Teil gesellschaftlicher Innovation werden, sich austauschen, sich vernetzen, andere Perspektiven kennenlernen können. Entstanden war die Ringvorlesung aus dem Zusammenspiel von Akteuren, die sich jeweils in ihrem spezifischen Handlungsfeld darum bemühen, gesellschaftliche Innovationen voranzutreiben.

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Europäische Kommission: Grünbuch zur Innovation. 12/1995. (http://europa.eu/ documents/comm/green_papers/pdf/com95_688_de.pdf)

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Studiengang „Management Sozialer Innovationen“ Hier ist zunächst der Studiengang „Management Sozialer Innovationen“ zu nennen. Selbst entstanden im Rahmen eines Innovationsprojekts an der Hochschule München zur Entwicklung innovativer Studiengänge, zielt er auf eine neuartige Verbindung von sozialwissenschaftlicher Gesellschaftsanalyse und betriebswissenschaftlicher Steuerung. Er reagiert damit auf die Einsicht, dass in der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung klassische Modelle des Sozialstaats brüchig werden und es innovativer Ansätze bedarf, um gesellschaftliche Zukunftsherausforderungen in Bereichen wie Integration, Demografie, Gesundheitswesen oder Bildung lösen zu können. Er reagiert auch darauf, dass klassische Denkmodelle der Steuerung und des Managements an Überzeugungskraft verloren haben und es darum geht, neue Formen des strategischen Managements und der Einbeziehung von Stakeholdern zu finden, um in zentralen gesellschaftlichen Zukunftsfeldern Konsens und Fortschritt zu ermöglichen.13 Strascheg Center for Entrepreneurship Der zweite Partner, das Strascheg Center for Entrepreneurship (SCE)14 brachte ein umfangreiches Know-how in der Unterstützung von Gründungsprozessen in technischen Fachbereichen sowie der Begleitung von Start-ups durch Businessplan-Wettbewerbe oder andere Formen der Gründungsförderung in die Zusammenarbeit ein. Dieses Know-how wurde in den letzten Jahren mit Blick auf die Gründungsförderung in sozialen Handlungsfeldern erfolgreich weiterentwickelt. Auf diese Weise konnte das Thema Social Business bzw. Social Entrepreneurship ins Betreuungsportfolio integriert werden. Aber auch klassische Felder wirtschaftlicher Tätigkeit wurden von der Perspektive eines „Responsible Entrepreneurship“ inspiriert. Das SCE hat sich national und international einen hervorragenden Ruf15 für innovatives Entrepreneurship Coaching und einen eigenständigen Ansatz zur Begleitung von Innovationsprozessen16 13

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Ausführlicher dazu siehe unter: http://www.hm.edu/ 씮 Studienangebote 씮 Bachelor-Studiengänge 씮 Management Sozialer Innovationen Ausführlicher dazu siehe unter: http://www.sce.de/entrepreneurship.html Vgl. etwa die Rolle des SCE im EU-Projekt. Ausführlicher dazu siehe unter: http:// www.coneeect.eu/ Vgl. Sprinkart, K. P./Gottwald, F.-T./Sailer, K.: Fair Business. Wie Social Entrepreneurs die Zukunft gestalten. Regensburg 2014, S. 111–163.

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erworben. Es hat sich zu einem wichtigen Netzwerkknoten in der Diskussion um ein erweitertes Innovationsparadigma entwickelt. BMW Stiftung Herbert Quandt Die BMW Stiftung17 engagiert sich für Responsible Leadership. Da die Ringvorlesung aufs Engste das Innovationsthema mit dem Thema Führungsverantwortung verbindet und in diesem Rahmen gesellschaftliches Engagement und Möglichkeiten der Beteiligung an Aktivitäten der Zivilgesellschaft konkret gemacht werden, kann in dieser Zusammenarbeit ein wichtiger Beitrag zur Begleitung junger Führungskräfte entstehen. Insbesondere wenn es darum geht, jüngere Führungskräfte aus allen Disziplinen zu ermutigen, sich „pro bono“ für gemeinnützige Organisationen zu engagieren. Mit ihrem Know-how und als Multiplikator können sie potenziell viel bewegen und gleichzeitig einen besonderen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt leisten. Indem sie mit einem ehrenamtlichen Engagement die Denk- und Argumentationslogik ihres eigenen Sektors verlassen, erweitern sie wiederum ihren beruflichen Horizont und ihr Handlungsrepertoire als Führungskraft. Um die gesellschaftliche Innovationsfähigkeit zu stärken, engagiert sich die BMW Stiftung außerdem in den Themenfeldern Social Entrepreneurship, Social Intrapreneurship und Venture Philanthropy. Social Entrepreneurship Akademie (SEA) Konsequenterweise schloss sich zuletzt die Social Entrepreneurship Akademie als Partner dem Netzwerk gesellschaftliche Innovation an. Die SEA ist die gemeinsame Plattform der Entrepreneurship Center der vier großen Münchner Hochschulen: Hochschule München, LMU München, TU München, Universität der Bundeswehr München. Unter dem Leitspruch „Education for Societal Change“ qualifiziert die Social Entrepreneurship Akademie Sozialunternehmer und solche, die es werden wollen. Derzeit bietet sie für Studierende oder Young Professionals das Zertifikatsprogramm „Gesellschaftliche Innovationen“ an und fördert soziale Gründungsprojekte gezielt durch Coaching und Mentoring. Die Social Entrepreneurship Akademie treibt zudem den Aufbau eines breiten Netzwerks zur Verankerung von Social Entrepreneurship in der Gesellschaft voran, um unternehmerisches Handeln mit sozialem Denken in Einklang zu 17

Ausführlicher dazu siehe unter: http://www.bmw-stiftung.de/

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bringen. Im Rahmen der Initiative „Deutschland – Land der Ideen“ wurde die Social Entrepreneurship Akademie bereits 2012 als „Ausgewählter Ort“ ausgezeichnet. Die Akademie gehörte damit zu den Preisträgern im bundesweiten Wettbewerb „365 Orte im Land der Ideen“. Betrachtet man das Zusammenspiel der Gründer des Netzwerks „Gesellschaftliche Innovation“, das die Ringvorlesung trägt, so spiegelt diese Verbindung in vielen Aspekten den aktuellen Innovationsdiskurs wider: Es geht um die Verbindung von sozialer Kreativität mit „responsible Entrepreneurship“, eine Form von Engagement, die ein gesellschaftliches Anliegen und den Aufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen mit dem Mut zu handeln, dem Mut zur Implementierung zu verbinden weiß. Innovation braucht Inspiration: Unsere Referenten Gründer, Pioniere und Vordenker im Feld der gesellschaftlichen Innovationen geben in der Ringvorlesungsreihe „Gesellschaftliche Innovation“ einen Einblick in ihre Arbeit. Worin besteht der gesellschaftliche Mehrwert ihrer Innovation? Welche Erfolge erzielen sie und wie werden diese nachgewiesen? Wo braucht die Gesellschaft Innovationen? Die im Jahr 2009 etablierte Reihe hat es im Lauf der Zeit auf eine illustre Reihe von Rednern gebracht. Sie alle, dies lässt sich ohne Übertreibung sagen, sind Promotoren des gesellschaftlichen Wandels, sie alle haben auf jeweils ihre Weise den Diskurs über gesellschaftliche Innovation beeinflusst und vorangetrieben. Die Vortragenden stehen dabei für sehr unterschiedliche inhaltliche Zugänge, für innovative gesellschaftliche Praxis ebenso wie für neue Formen des Zukunftsdenkens, weg vom gesellschaftlichen Reißbrett hin zu dialogischen Formen eines fest im Rahmen der Zivilgesellschaft fundierten Entwickelns von Zukunftsideen. Sie kommen aus unterschiedlichsten Professionen mit unterschiedlichen Backgrounds, aus verschiedenen sozialen Lebenswelten und aus unterschiedlichen Kontinenten. Sie stehen somit auch für eine breite internationale Sicht auf die Frage gesellschaftlicher Innovation. Die Vortragenden und die Autoren dieser Reihe sind Menschen, die die Diskussion um gesellschaftliche Innovation mit ihren Ideen oder mit ihrer Praxis vorangetrieben haben. Sie sorgen während der Vorträge bei ihrem Publikum für Gänsehautfeeling. In solchen Momenwww.WALHALLA.de

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ten wird der Geist der Innovation ganz unmittelbar spürbar. Die intensiven Gespräche nach den Vorträgen, die umlagerten Referenten am Ende der Vorträge zeigen, dass Gespräche angestoßen werden, dass Netzwerkkontakte entstehen und dass der Diskurs über gesellschaftliche Innovation längst nicht zu Ende ist. Das Buchprojekt und der Aufbau des ersten Bandes Diesen Geist der Innovation spürbar werden zu lassen, ist auch das zentrale Anliegen eines auf drei Bände angelegten Publikationsprojekts. Die Idee dazu entstand im Kontext der Ringvorlesung „Gesellschaftliche Innovation“. Aufgrund der zahlreichen Nachfragen nach Vorlesungsmanuskripten entschlossen wir uns, die Beiträge der Ringvorlesung zu publizieren. Zudem gab es auf der Ringvorlesungswebsite mit den Kurzinterviews der Referenten immer wieder Bitten, das Material der Vorlesungen in ausführlicher Form zur Verfügung zu stellen. All dies deutete darauf hin, dass die Wirkung der Ringvorlesung weit über das unmittelbare Geschehen der Abende hinausreicht. Mit der Buchreihe „Gesellschaftliche Innovation“ wollen wir diese indirekte Wirkung verstärken. Der reiche Schatz der Vorträge wird in drei Bänden gebündelt, die im Sinne eines Kompendiums zusammengestellt wurden. Unter dem Titel „Perspektiven gesellschaftlicher Innovation“ präsentiert der erste Band dieser Reihe wichtige Ansätze und Personen, die dazu beigetragen haben, unseren Blick für den gesellschaftlichen Innovationsbedarf in zentralen Zukunftsfeldern zu schärfen und so überraschende neue Handlungsperspektiven zu eröffnen. Im zweiten Band geht es um „Netzwerke“ gesellschaftlicher Innovation. Der dritte Band zeigt inspirierende Praxisbeispiele, die nachhaltige Lösungen für das jeweilige Praxisfeld vorstellen. Die Referenten Der erste Band versammelt dabei Diskussionsbeiträge zu den Zukunftsfeldern Nachhaltigkeit, Politik, Wirtschaft und Kommunikation. Er adressiert vor allem jene neuen Blickwinkel, die sich für diese Felder ergeben, sobald man sich ihnen mit einem erweiterten, an Prinzipien der Nachhaltigkeit orientierten Verständnis von gesellschaftlichem Fortschritt nähert. Mit Beiträgen von

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Impulse für einen neuen Zukunftsdiskurs

쐍 Hans-Peter Dürr und Karl Ludwig Schweisfurth zum Thema Weltbilder und neues Denken, 쐍 Ernst Ulrich von Weizsäcker und Gunter Pauli zum Thema Umwelt und Nachhaltigkeit, 쐍 Gesine Schwan und Götz W. Werner zum aktuellen gesellschaftlichen Politdiskurs, 쐍 Ramazan Salman und Helmut Lind zum Thema Wirtschaft und schließlich 쐍 Maja Göpel und Alexa Weik von Mossner zum Thema Kommunikation kommen Autoren zu Wort, die für den aktuellen Diskurs des jeweiligen Feldes einen zentralen Stellenwert einnehmen. Um dem Leser die Orientierung zu erleichtern und die jeweiligen Beiträge besser im aktuellen Diskurszusammenhang des jeweiligen Zukunftsfeldes einordnen zu können, wird es zu jedem dieser Zukunftsthemen eine kurze Einführung geben, die die beiden Beiträge zu jedem der Felder in den aktuellen Diskussionszusammenhang stellt. Website zur Vorlesungsreihe Als zusätzliche Orientierungsmöglichkeit sei auf die Website zur Vorlesungsreihe verwiesen: http://www.sce.de/ringvorlesung.html Begleitend dazu wurden Interviews mit den jeweiligen Referenten geführt. Diese Videointerviews können unter der nachfolgenden Website abgerufen werden und eröffnen so die Möglichkeit, die Referenten auch im Bild zu erleben: https://www.youtube.com/user/MSocialInnovation/videos Noch eine wichtige Anmerkung zum Schluss: Grundlage dieser Publikation bilden Vorträge, die im Kontext der Ringvorlesung „Gesellschaftliche Innovation“ gehalten wurden. Aus diesem Grund wollten wir eine Balance finden zwischen Lesbarkeit und Sprechtext. Wir haben versucht, die Texte so nahe wie möglich am gesprochenen Wort zu belassen und den Sprechtext nicht künstlich in einen sorgfältig ausformulierten wissenschaftlichen Text zu verwanwww.WALHALLA.de

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deln. All die Relativierungen und Einschränkungen, die solche Texte in der Regel auszeichnen, fehlen somit. Dadurch kommt die Botschaft, sprich das, was gesagt werden soll, das, worauf es den Autoren ankommt, möglicherweise deutlicher zum Ausdruck und transportiert das, was einen lebendigen Zukunftsdialog ausmacht: klar erkennbare Positionen, klare Bilder der Zukunft, über die im Dialog diskutiert werden kann. Viel Spaß bei der Lektüre! Karl Peter Sprinkart

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Ernährung & Zukunftsdiskurs

Weltbilder und neues Denken . . . . . . . . . . . 22 Das Paradigma des Lebendigen . . . . . . . . . . 26 Hans-Peter Dürr Ernährung ist Leben – Ökosoziale Innovationen auf dem Weg zu einer nachhaltigen Land- und Lebensmittelwirtschaft . . . . . . . . 41 Karl Ludwig Schweisfurth

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Weltbilder und neues Denken Will man die aktuelle Debatte um gesellschaftliche Innovation angemessen verstehen, so muss man sich klarmachen, dass es in dieser Debatte um eine grundsätzliche Umwertung der Werte und Denkmuster geht. War der Zukunftsdiskurs früherer Jahre stark bestimmt von dem Glauben, dass Technologie und Wissenschaft den zivilisatorischen Fortschritt garantieren könnten, so steht im Zentrum des aktuellen Zukunftsdiskurses die Prämisse, dass wir über Lösungen nachdenken müssen, die nicht mehr lineare Weiterentwicklungen des naturwissenschaftlich-technischen Zivilisationsmodells darstellen. Nicht mehr das immer Neue technologischer Innovation, sondern ein in mühsamen sozialen Aushandlungsprozessen gefundener Ausgleich stellt die Weichen für die Entwicklung unserer Lebens- und Arbeitsbedingungen. Bestimmend für diese Kehrtwende des Zukunftsdiskurses waren vor allem zwei Einsichten: zum einen die Einsicht in die Grenzen des Wachstums, vor allem vor dem Hintergrund einer Begrenztheit der für unser Zivilisationsmuster unabdingbar erforderlichen natürlichen Ressourcen, zum anderen aber die Einsicht, dass wissenschaftliches Wissen und die wissenschaftliche Methodik kein Garant für Rationalität und eine nicht hintergehbare Wahrheit darstellen. Diese Einsicht gründet in einer sorgfältigen Betrachtung der Geschichte des wissenschaftlichen Wissens: Diese ist nicht als linearer Entwicklungsprozess zu beschreiben. Vielmehr resultieren zentrale Entwicklungen wissenschaftlichen Wissens aus einem abrupten Wechsel von grundlegenden Prämissen, die dann zu neuen Methoden und Erkenntnissen führen. Der Begriff Paradigmenwechsel beschreibt genau diese Relativierung des Absolutheitsanspruchs des die technisch-wissenschaftliche Zivilisation begründenden Wissenschaftsbegriffs. Muss man nämlich akzeptieren, dass wissenschaftliche Wahrheit und Methodiken bestenfalls innerhalb bestimmter Rahmenvorgaben Gültigkeit beanspruchen können, dann verliert dieses Wissen auch seine legitimierende Kraft fürs Ganze und dessen immer wieder gern behauptete Alternativlosigkeit. Hinzu kommt ein zweiter Gesichtspunkt: Bei genauerer Betrachtung zeigt nämlich die am weitesten fortgeschrittene Wissenschaft, die wegen ihres stetigen Gangs und ihrer praktischen Anwendbarkeit seit der Aufklärung als Vorbild gefeierte Physik, dass Kausalität und Linearität als leitendes Beschreibungsmodell unserer Wirklich22

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keit nicht universelle Gültigkeit beanspruchen können. Dies ist die wissenschaftstheoretische Kernbotschaft jener Physik, die seit Beginn des 20. Jahrhunderts unser Weltbild revolutioniert hat. Mit ihren Einsichten in die Unschärferelationen unserer Naturbeschreibungen fordert sie all jene heraus, die glauben, zivilisatorische Entwicklungsprozesse auf Linearität und Mechanik begründen zu können. Prof. Hans-Peter DÜRR, der Autor des ersten Beitrags in diesem Abschnitt, war als Physiker dazu prädestiniert, diese Relativierung mechanischer und linearer Lösungsmuster mithilfe des neuen Denkens der Quantenphysik verständlich zu machen. Er hat sich darüber hinaus immer bemüht, die gesellschaftlichen Implikationen dieses neuen Denkens aufzuzeigen und diesen Denkansatz zu einem Paradigmenwechsel für unsere zivilisatorischen Lösungsmuster auszuweiten. Dieses neue Paradigma bleibt dabei nicht bei einer Relativierung und negativen Definition stehen. DÜRR offeriert einen neuen Denkansatz, der das Lebendige ins Zentrum stellt. In der Welt des Lebendigen existieren Vorbilder für Lösungsansätze, die systemische Zusammenhänge berücksichtigen. Hier gibt es nichtlineare Kausalität, Entwicklung, die nicht einer Logik der klassischen Mechanik, sondern einer Logik bewusst getroffener menschlicher Entscheidungen folgt. Hieraus ergibt sich auch ein neuer Verantwortungsbegriff – für Wissenschaftler, aber auch für jeden Bürger. Wenn gesellschaftliche Prozesse sich nicht nach der Logik linearer Kausalität entwickeln, dann kommt es auf den Einzelnen, auf die von ihm im Kleinsten getroffenen Entscheidungen an, ob der Lebensstil, den wir pflegen, uns in ein unabsehbares soziales und ökologisches Chaos stürzen wird oder ob jenseits der Mechanik des klassischen Denkens neue Alternativen gewählt werden. In kaum einem anderen Feld ist dieses neue Denken derart alltagspraktisch geworden wie im Feld Ernährung. Kaum ein Thema hat darüber hinaus im aktuellen Zukunftsdiskurs so viel unmittelbare Aufmerksamkeit erhalten wie das Thema Ernährung. Dies mag damit zusammenhängen, dass wir alle in sehr direkter Weise damit konfrontiert sind und es in zentraler Weise unsere alltägliche Lebenswelt bestimmt. Gleichzeitig ist Ernährung ein Thema, das wie kaum ein anderes geeignet ist, den Gegensatz der Lebensperspektiven zwischen Erster und Dritter Welt zu illustrieren. Während es in der einen um Antworten auf die schlichte Frage nach dem Überleben einer wachsenden Menschheit geht, sind es in der anderen die www.WALHALLA.de

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Ernährung & Zukunftsdiskurs

Frage nach den gesundheitlichen Folgen des Überflusses, die Frage nach der Verschwendung von Nahrungsmitteln oder die zunehmend deutlich werdende Kluft zwischen industrieller Produktionsrealität unserer Nahrung und vorindustriell-handwerklichem Werbemythos, die die Menschen bewegen. Das Thema ist vielschichtig. Es hat vielfältige Dimensionen, besonders wenn es um die Frage nach Zukunftsperspektiven geht. Das Spektrum der Antworten reicht dabei von einer leidenschaftlich geführten Genfood-Debatte bis hin zur Frage, ob nicht gerade eine mit modernen Finanzinstrumenten durchgeführte Spekulation mit Nahrungsmitteln das Problem des Hungers in den armen Ländern dieser Erde überhaupt erst künstlich schafft. Es reicht von einer ebenso leidenschaftlich geführten Debatte über Haltungsbedingungen von Tieren bis hin zur Frage einer ganz persönlichen Lebensentscheidung in Geschmacksfragen und einer Lebensqualität zwischen Convenience und Slow Food. Angesichts dieser Ausgangslage ist es nicht verwunderlich, dass das Thema Ernährung zu einem Schlachtfeld geworden ist, auf dem der Zukunftsdiskurs zwischen industriellem und postindustriellem Lebensstil ausgetragen wird. Dass dieses neue, vertiefte Bewusstsein für das Ernährungsthema überhaupt entstanden ist, dass der Schein des Selbstverständlichen, der dieses Thema gemeinhin umgibt, verschwunden ist, ist nicht zuletzt dem Engagement der beiden im Folgenden vorzustellenden Autoren zu verdanken. Sie haben dazu beigetragen, die Mythen moderner Lebensmittelproduktion durchschaubar zu machen und gleichzeitig Ansatzpunkte für einen veränderten gesellschaftlichen Umgang mit Lebensmitteln zu beschreiben, der inzwischen – zumindest in den Industrienationen – in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Karl Ludwig SCHWEISFURTH steht dabei wie kein anderer für den Paradigmenwechsel von einer industriellen zu einer ökologisch ausgerichteten Lebensmittelwirtschaft. In seinem ersten Leben als Konzernchef von Herta war er Europas größter Metzger, hat mit seinen plastikverpackten Wurstwaren den Hauch der Moderne in die deutschen Supermarktregale gebracht. Nach einer völligen Kehrtwendung begann er mit einer Neuausrichtung, einer Wiedererfindung der handwerklichen Dimension der Lebensmittelherstellung und realisierte diese Neuausrichtung in einem Musterbetrieb, den Herrmannsdorfer Landwerkstätten. Aus dem Traum einer vernetzten, 24

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systemisch ausgerichteten Produktion wurde die konkrete Realität eines auf der Grundlage einer klaren Werteorientierung und traditioneller Handwerkskunst arbeitenden Ökobetriebs, die zu einem Genuss für alle Sinne einlädt. Und schließlich ist in jüngster Zeit noch einmal etwas Neues entstanden: die Idee einer symbiotischen Landwirtschaft, in der die Trennung zwischen Tiergattungen aufgehoben und auf ein Zusammenspiel von Tier und Mensch gesetzt wird. Karl Peter Sprinkart

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Umwelt & Nachhaltigkeit

Einführung in den aktuellen Nachhaltigkeitsdiskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Klimaschutz als Modernisierungsstrategie . 60 Ernst Ulrich von Weizsäcker Wie Geschäftsmodellinnovationen die Veränderung der Gesellschaft beeinflussen . 66 Gunter Pauli

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Politik & Partizipation

Einführung in den aktuellen politischen Innovationsdiskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 Welche Bürgerbeteiligung? . . . . . . . . . . . . . 88 Gesine Schwan Wie schaffen wir Initiative weckende Rahmenbedingungen? . . . . . . . . . . . . . . . . 112 Götz W. Werner

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Wirtschaft & Finanzen

Einführung in den aktuellen Diskurs über wirtschaftliche Innovation . . . . . . . . . . . . . . 130 Mit Migranten nicht nur für Migranten: Das MiMi-Programm als Schlüsseltechnologie der Integration und Beitrag zu gesellschaftlicher Innovation . . . . . . . . . . . . 132 Ramazan Salman Zum Wohle aller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 Helmut Lind

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Zukunft & Kommunikation

Einführung in den Diskurs über gesellschaftliche Kommunikation . . . . . . . . 178 Kurswechsel für eine lebenswerte Zukunft: Wie zähmen wir die Diktatur des Jetzt? . . . 181 Maja Göpel Umweltrisiko und Utopie in der Populärkultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 Alexa Weik von Mossner

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