PD Dr. Marianne Kneuer

Die Demokratisierung der Slowakei

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PD Dr. Marianne Kneuer Die Demokratisierung der Slowakei Diese Ringvorlesung deckt etliche und verschiedene Aspekte der Osterweiterung ab. Dass die Slowakei unter dem Aspekt der Demokratisierung betrachtet werden soll, hat seine Berechtigung, ist sie doch unter den neuen EU-Mitgliedern eine Ausnahmeerscheinung auf Grund ihres Rückfalls in der demokratischen Entwicklung. Die Slowakei hat – obwohl geographisch und historisch-kulturell zu Ostmitteleuropa gehörend – eine andere Entwicklung durchgemacht und fällt aus dem Bild, das die anderen Visegrád-Länder - also Polen, Tschechien und Ungarn - abgeben, heraus. Daher ist die Demokratisierung der Slowakei nicht nur mit der Frage nach dem Aufbau der Demokratie, sondern auch mit der nach der Rückkehr zur Demokratie und ihrer Konsolidierung verknüpft. Innerhalb des breiten Spektrums von postsozialistischen Transformationen wird gemeinhin die zentraleuropäische oder Visegrád-Variante als erfolgreichste bezeichnet, da sie recht bald einen irreversiblen Systemwechsel in der Wirtschaft vollzog und ein politisches System und eine politische Kultur vorwies, die in Richtung einer konsolidierten Demokratie, einer funktionierenden Marktwirtschaft und in Richtung Europäische Union zielte. Von dieser Variante, die den Transformationsweg Polens, Tschechiens und Ungarns umfasst, unterschied sich die Slowakei jedoch markant. In der Slowakei war eine verzögerte Konsolidierung zu beobachten, das heißt, es gab zwar eine demokratische Verfassung und die demokratischen Institutionen waren zwar etabliert, aber von einer Verfestigung der demokratischen politischen Ordnung samt ihrer Verfahren konnte man nicht sprechen. Zwischen 1993 und 1998 war nicht klar, ob das Land auf dem in der Tschechoslowakei zwischen 1989 und 1992 angefangenen demokratischen Weg bleiben und damit letztlich der zentraleuropäischen Variante der Transformation folgen würde oder ob es sich auf einen Autoritarismus à la Weißrussland, Russland oder Ukraine hin bewegen, also eher dem Transformationsmodell der postsowjetischen Republiken entsprechen würde. Premierminister Vladímir Mečiar, der für den demokratischen Rückschritt und die stecken gebliebene Konsolidierung verantwortlich war, schuf selbst den Begriff vom „slowakischen Weg“. Dieser „slowakische Weg“ führte das Land nicht nur weg von dem demokratischen, sondern auch von dem Weg nach Europa, denn die Slowakei ist auf Grund ihrer demokratischen Defizite von der ersten Verhandlungsrunde mit der EU ausgeschlossen worden. Daher ist der Beitritt der Slowakei weniger selbstverständlich gewesen als der der anderen Kandidaten. Vielleicht ist deswegen die Unterstützung für die EU-Mitgliedschaft innerhalb der Visegrád-Länder auch die relativ höchste.1 Ich werde im Folgenden nun zunächst 1. die Besonderheit des slowakischen Demokratisierungsprozesses skizzieren, 2. stellt sich dann die Frage, wie die Slowakei aber dann doch auf den demokratischen Pfad zurückkam, und welche Faktoren dabei eine Rolle spielten, 3. möchte ich kurz einen Blick werfen auf die momentane politische Situation und fragen, ob denn die Slowakei nun als konsolidiert zu bezeichnen ist oder nicht. 1. Die Demokratisierung der Slowakei: doppelte Transition und verzögerte Konsolidierung

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57% in der Slowakei gegenüber 50% in Polen, 49% in Ungarn und 45% in Tschechien. Vgl., Eurobarometer 62, Herbst 2004, S. 10

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Kommen wir zu dem ersten Punkt, der Besonderheit der slowakischen Demokratisierung: Wir können im Verlauf der slowakischen Demokratisierung, das ist für mich der Gesamtprozess vom Ende der Diktatur bis zur konsolidierten Demokratie, zwei Besonderheiten feststellen: eine doppelte Transition und eine verzögerte Konsolidierung. Unter Demokratisierung oder demokratischer Transformation fasst man gemeinhin drei Phasen: den Zusammenbruch des undemokratischen Regimes, die Transition, womit die Etablierung der demokratischen Institutionen gemeint ist, und schließlich die Konsolidierung, bei der über die Institutionalisierung hinaus die Verfestigung demokratischer Werte, Normen und demokratischen Verhaltens, nicht nur der politischen Elite, sondern auch der breiten Bevölkerung vollzogen wird. Bei der Konsolidierung handelt es sich somit um einen Prozess, der auch deswegen komplexer und langwieriger ist, weil er die Herausbildung einer demokratischen politischen Kultur erfordert sowie die diffus-affektive Unterstützung, das „Systemvertrauen“ (Fritz Stern). Linz/Stepan unterscheiden daher drei Ebenen der Konsolidierung: die konstitutionelle, die Verhaltens- und die Einstellungsebene.2 Es stellt sich zunächst das Problem, wie man die Transition der Slowakei festlegen kann. Einerseits hat die Slowakei als Teil der Tschechoslowakei nach 1989 denselben Transitionspfad absolviert. Zwischen 1990 und 1992 wurden die neuen demokratischen Institutionen geschaffen. Der gemeinsame Staat scheiterte allerdings an dem Unvermögen aller beteiligten Politiker, das entsprechende Fundament, eine Verfassung oder einen Staatsvertrag über das Verhältnis der beiden Republiken, zustande zu bringen.3 Die Tschechische Republik konnte nach der Teilung 1993 in die Phase demokratischer Konsolidierung übergehen, verfügte sie doch über einen vollständig funktionierenden Staat mit eingerichteten Institutionen und dem entsprechenden know how sowie nicht zuletzt über eine homogene Gesellschaft. Zudem war sie das einzige früh modernisierte Land in Mitteleuropa und konnte davon profitieren, dass sie bereits vor der Auferlegung des sowjetischen Systems mit Kapitalismus und Modernisierung Erfahrung gehabt hatte. Auf solche Grundlagen konnte die Slowakei nicht zurückgreifen. Die Ausgangsbedingungen der Slowakei waren im Vergleich mit den anderen VisegrádStaaten die am wenigsten günstigen Bedingungen für eine Konsolidierung, und auch im Vergleich zu Tschechien deutlich ungünstiger.4 Erstens, stellte die Aufspaltung der Tschechoslowakei die Slowakei ab 1993 vor vier gleichzeitig ablaufende Prozesse: die Staatsbildung und die Nationenbildung, die politische und die wirtschaftliche Transformation. Diese parallel verlaufende vierfache Transformation verkomplizierte den Fortgang des Regimewechsels erheblich. Zweitens, weist die Slowakei den höchsten Grad an ethnischer Heterogenität und eine hohe subkulturelle Segmentation auf. 2

Vgl., Linz, Juan J./Stepan, Alfred, Problems of Democratic Transition and Consolidation.Southern Europe, South America and Post-Communist Europe, Baltimore/London 1996, S. 5f 3 Dies spiegelt die herrschende Meinung in der Literatur wider. Vgl. den sehr ausgewogenen Beitrag von Bútorova, Zora/Bútora, Martin, „Die unerträgliche Leichtigkeit der Trennung“, in: Kipke, Rüdiger/Vodička, Karel, (Hrsg.), Abschied von der Tschechoslowakei. Ursachen und Folgen der tschechisch-slowakischen Trennung, Köln 1993, S. 108-140, sowie die Dratsellung von Beteiligten wie Zdenĕk Jičínský, „Das Scheitern der tschechoslowakischen Föderation“, in: a.a.O., Kipcke, Vodička, S. 63-76 oder Fedor Gál, „Zerfall der Tschechoslowakei unter innenpolitischen Aspekten“, in: a.a.O., Kipke/Vodička, S. 140-153. 4 Siehe dazu Szomolányi, Soňa, „Identifying Slovakia’s Emerging Regime“, in: Szomolányi, Soňa/Gould, John A., (Hrsg.), Slovakia: Problems of Democratic Consolidation and the struggle for the Rules of the Game, Bratislava 1997, S. 9-35, a.a.O., 1999 und “The Slovak Path to Democracy: From a Deviant Case to a Standard New Democracy”, in: Slovakia: Ten Years of Independence and a Year of Reforms, Bratislava 2004, S. 9-27

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Drittens, erfuhr die Slowakei eine späte verzögerte Modernisierung. Während Tschechien ein sehr früh sehr weit modernisiertes Land war, handelt es sich bei der Slowakei um die „peripheral modernization of an early late-comer“, bei dem auch die sehr intensiv durchgeführte Industrialisierung durch die Sowjetunion den tief verwurzelten Traditionalismus nicht vollkommen beseitigen konnte. Die Slowakei war somit 1989 zwar ein industrialisiertes Land, aber – anders als Tschechien - mit einem geringen Grad an Modernität, vor allem in kultureller Hinsicht. Viertens, ist die Slowakei das einzige Land, das nie eine nachhaltige, historische Erfahrung mit staatlicher Selbständigkeit gehabt hatte. Und als sie dann 1993 unabhängig wurde, musste sie Fünftens, verschiedene staatliche Institutionen ganz neu installieren. So mussten das Amt des Staatspräsidenten und ein Verfassungsgericht, eine Armee und ein Sicherheitsdienst, ein diplomatisches Netz und Zollämter, und wirtschaftliche Institutionen wie Zentralbank, Börse, Handelsvertretungen geschaffen werden. Des Weiteren fehlten dem Land qualifiziertes Personal in Politik und Administration sowie das politische know-how, das erst neu erworben werden musste. Die Slowakei durchlief somit eine doppelte Transition, einmal innerhalb der CSFR und dann noch einmal als selbständige Republik. Damit hatte sie zweifelsohne ungünstigere Bedingungen als die anderen Visegrád-Staaten für eine Konsolidierung ihrer Demokratie. Dennoch hätten weder die prä-moderne, fragmentierte slowakische Gesellschaft, noch der institutionelle Neuanfang und die fehlende Erfahrung mit Staatlichkeit oder die fehlende nationale Identität unüberwindbare Hürden darstellen müssen. Die Verzögerung der Konsolidierung der slowakischen Demokratie nach der Unabhängigkeit wurde maßgeblich verursacht durch den bewussten Verstoß gegen demokratische Prinzipien und Regeln und den Regierungsstil Mečiars sowie seine nationalistische und populistische Politik. Bereits als Ministerpräsident der slowakischen Teilrepublik zur Zeit der CSFR zeigte sich Mečiars undemokratischer Stil, weshalb ihn seine eigene Partei, damals noch die Bewegung „Öffentlichkeit gegen Gewalt“ (VPN), 1991 absetzte. Mit seiner daraufhin gegründeten Partei Bewegung für eine Demokratische Slowakei (HZDS) ging er aber als stärkste Kraft aus den Parlamentswahlen von 1992 hervor und wurde somit wiederum Ministerpräsident. Den Wahlsieg verdankte er vor allem der Instrumentalisierung der nationalen Frage im Zusammenhang mit den beiden Schlüsselthemen Verfassung und Wirtschaftsreform. Unter den Slowaken bestanden große soziale Ängste – mehr als bei den Tschechen -, sie standen der Marktwirtschaft (60% der Tschechen waren voll einverstanden versus 32% der Slowaken) und der Privatisierung deutlich skeptischer gegenüber als die Tschechen (45% der Tschechen erwarteten eher gutes von ihr gegenüber 28% der Slowaken; Eher Schlechtes erwarteten 29% der Slowaken gegenüber 12% der Tschechen).5 Während die Tschechen eine liberale Grundhaltung hatten und durchaus hinter der von Klaus begonnenen schnellen Reform standen, war für die Slowaken soziale Absicherung sehr wichtig und sie befürworteten eher einen langsamen Übergang.6 Daher verband Mečiar geschickt die Ablehnung der radikalen Wirtschaftsreform à la Klaus mit populistischen Versprechungen wie einer „schmerzlosen 5

Zahlen nach Kipke, Rüdiger/Vodicka, Karel, Slowakische Republik, Studien zur Politischen Entwicklung, Münster 2000, S. 84f 6 Im November 1991 befürworteten 52 % der Tschechen gegenüber 33% der Slowaken eine Marktwirtschaft. Fast umgekehrt sind die Zahlen in Bezug auf ein Gemischtes System: 53% der Slowaken befürworten dies gegenüber 39% der Tschechen. A.a.O., Brokl/Mansfeldová, S. 188ff, siehe dazu auch: a.a.O., Bútorová/Bútora, 1993, S. 118ff sowie Gyárfášová, Olga, „Slovak Society in the First Year of Independence“, in: Szomolányi, Soňa/Mesežnikov, Grigorij, (Hrsg.), The Slovak Path of Transition – to Democracy?”, Bratislava 1994, S. 41-51, hier: S. 42f. Zu den wirtschaftlichen Aspekten und den Wertvorstellungen auch Haarland, Hans Peter/Niessen, Hans-Joachim, Hrsg.), Die Transformationsprozeß in der Tschechischen und Slowakischen Republik, Köln 1995

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spezifisch slowakischen Wirtschaftsreform“. Dazu kamen stimmungsmachende und nationalistische Attacken. „Entstanden als Begleiterscheinung der ersten Umbruchsphase, wäre der geweckte Nationalismus wahrscheinlich schnell wieder abgeflaut, hätte sich der überwiegende Teil der slowakischen politischen Eliten im Parteien- und Wahlkampf nicht der nationalen bzw. nationalistischen Rhetorik bedient.“7 In dem Diskurs um den wirtschaftlichen Weg, der seit 1991 geführt wurde und der auch im Hinblick auf die Wahlen 1992 hoch kochte, verband Mečiar soziale und nationale Demagogie und gewann nicht zuletzt auf diese Weise mit der HZDS die Mehrheit im slowakischen Parlament. Sowohl die undemokratischen Praktiken als auch die populistische Instrumentalisierung und Mobilisierung nationaler Gefühle setzte sich nach der Unabhängigkeit fort. Dazu kam der klientelistische und eigennützige Ansatz, den Privatisierungsprozess zu beherrschen.8 All dies und die Verurteilung seiner autokratischen Methoden durch Staatspräsident Kovác führte dann zu einem Misstrauensvotum und der Ersetzung Mečiars. Allerdings ging seine Partei bei der Wahl von 1994 wieder als stärkste Kraft hervor. Diese Regierung unter Meciar war gekennzeichnet durch klare Verstöße gegen demokratische Prinzipien, das Umgehen der demokratischen Kompetenzen und Missachten demokratischer Verfahrens- und Verhaltensregeln. Mečiar beschnitt die politischen Rechte der Opposition (Besetzung von Parlamentsausschüssen und anderen Organen nach dem Proporzprinzip; unrechtmäßige Aberkennung des Status eines Parlamentsabgeordneten), behinderte wichtige Verfassungsinstitutionen (verfassungswidriges Misstrauensvotum gegen den Staatspräsidenten, verfassungswidrige Entbindung von seinen Kompetenzen), scherte sich wenig um die parlamentarischen Kompetenzen (Ausschluss der Opposition aus dem Organ, das den Geheimdienst kontrolliert), ignorierte die Verfassungsgerichtsbarkeit (die Regierung missachtete Verfassungsgerichtsurteile, die etliche der von der Regierung vorgelegten Gesetze verwarfen), manipulierte Referenden (das NATO-Referendum sowie das Referendum über die Direktwahl des Präsidenten) und schränkte auch Freiheiten wie die der Presse oder der Information ein. Dazu kamen Menschenrechtsverletzungen in Form der Diskriminierung der ungarischen Minderheit. Mečiar schreckte auch nicht zurück vor Rechtsbeugung oder sogar verbrecherischen Maßnahmen wie der Entführung des Sohnes von Präsident Kovác, der für ihn einen „Störfaktor“ darstellte, bei der die Beteiligung des slowakischen Geheimdienstes inzwischen nachgewiesen ist. Dazu kam Klientelismus in Verwaltung und Regierung, Korruption, ein selbstherrlicher, auf seine Person zugeschnittener Regierungsstil. Meciar gebärdetet sich als „rigoros opportunistischer Machtpolitiker, der weder repressiven Druck auf die heimischen Medien noch korrumpierende Mittel zur Erreichung seiner Ziele scheute“ (Fromme/Wolf). Das zweite Kennzeichen Mečiars Politik, das die Konsolidierung behinderte, war die populistische Instrumentalisierung nationaler Gefühle. Mečiar und seine Partei HZDS, mit signifikanten Anteilen von ehemaligen Kommunisten, zeichnen sich durch programmatische Diffusität und eine ideologisch eher unklare Richtung aus. Letztlich ersetzten Machterhaltungsstrategien die politischen Inhalte, so dass man von „nonideological postcommunist pragmatists“9 sprechen kann. Mečiar hatte auch kein politisches Konzept für die 7

Schneider, Eleonora, Quo vadis, Slowakei? Von der eingeleiteten Demokratie zum Autoritarismus?, Bericht des BIOst Nr. 36/1997, S. 19 8 Generell versuchte Mečiar, Ämter wie das des Staatspräsidenten mit seinen Gefolgsleuten zu besetzen. Im Fall des Privatisierungsprozesses schlug er sich sogar selber Funktionen zu – zum Beispiel das des Privatisierungsministers und zugleich des Vorsitzenden des Fonds des Nationaleigentums. 9 A.a.O., Duleba, S. 224

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unabhängige Slowakei. Die Verbindung von nationaler und sozialer Demagogie, die sich in den Wahlen von 1992 und 1994 als erfolgreich erwiesen hatte, insofern er ein Drittel (37,26 bzw. 34,96 Prozent) der Bevölkerung hinter sich wusste, setzte er fort. Sie wurde der rote Faden seiner Politik. „Der Nationalismus war anfänglich nicht im Mittelpunkt der HZDSPolitik, er wurde nur zur effektiveren Manipulation der Bevölkerung eingesetzt“.10 Die programmatische Diffusität und die nationalistische Ausrichtung wurden zudem geschürt durch die Koalitionspartner. Auf der einen Seite war die Slowakische Nationalpartei, SNS, eine rechtsextreme, nationalistische Partei, die sich von Anfang an für die Auflösung der Tschechoslowakei eingesetzt hatte, die z.B. gegen einen EU- und NATO-Beitritt war und die eine konfrontative Politik gegen die ungarische Minderheit verfolgte. Auf der anderen Seite stand die ZRS, die neo-kommunistische Arbeitervereinigung der Slowakei, eine egalitärpopulistische, anti-Reform und anti-westlich eingestellte Partei.11 Der gemeinsame Nenner der drei sehr unterschiedlichen Regierungsparteien war die nationalistische Haltung. Nach 1993 verstärkte sich die nationalistische Rhetorik zur nachträglichen Legitimierung des eigenen Staates und der Teilung der Tschechoslowakei, der die Mehrheit der Bürger ablehnend gegenüberstand. Andererseits fiel durch die Teilung sozusagen der „innere Feind“ weg, gegen den sich die nationalistischen Töne gewendet hatten. Mečiar fand aber in der ungarischen Minderheit schnell ein neues Ziel für seine nationalistische Demagogie und weckte damit die in großen Teilen der slowakischen Bevölkerung latenten antiungarischen Stimmungen.12 Der Nationalismus Mečiars, populistisch instrumentalisiert, konterkarierte von Anfang an eine Staats- und Nationbildung ex positivo. Statt einer Identitätsbildung auf der Grundlage und in Fortsetzung des Revolutionsslogans „Rückkehr zu Europa“ – wie dies in den anderen Visegrad-Staaten geschah – schuf Mečiar eine Staatsideologie auf der Grundlage nationalistischer Gefühle und isolationistischer Orientierung. Nationale Gefühle wurden lieber gegen andere instrumentalisiert als für ein gemeinsames Ziel zusammengeführt – im Inneren wie im Äußeren. Statt eine integrierende innere Identitätsbildung zu fördern und eine klare Vision internationaler Verortung anzubieten, generierte er somit eine Identität ex negativo, was auch bestimmte Bevölkerungsteile ansprach. Statt eine positive nationale Identität zu befördern, die solch ein neuer Staat gebraucht hätte, förderte Mečiar eine fragmentierte politische Identität der Slowaken und die Polarisierung der Gesellschaft. Der Aspekt nationaler Identitätsfindung hat bislang wenig Aufmerksamkeit in der Transitionsliteratur gefunden.13 Derweil birgt dieser Aspekt wichtige Hinweise auf das Elitenhandeln einerseits und auf den Zusammenhang von innerer und äußerer Neuordnung der jungen Demokratie. Für die neue politische Elite eines Transformationslandes stellt sich die doppelte Aufgabe einer inneren als auch äußeren Neuordnung.14 So wie sich das Land innenpolitisch für Demokratie und Marktwirtschaft entscheidet, muss es sich außenpolitisch ebenso entscheiden etwa zwischen einer westlichen und östlichen Ausrichtung oder sicherheitspolitisch zwischen einer NATO-Mitgliedschaft oder Neutralität. Das heißt, so wie 10

A.a.O., Schneider, S. 20 Mesežnikov, Gregorij, “Domestic Political Development and the Political Scene in the Slovak Republic”, in: Bútora, Martin/Hunčik, Péter, (Hrsg.), Global Report on Slovakia. Comprehensive Analyses from 1995 and Trends from 1996, S. 11-33, hier: S. 22f 12 Vgl., a.a.O., Schneider, S. 19 13 Vgl., Judy Batt, „Introduction: Region, State and Identity in Central and Eastern Europe“, in: Batt, Judy/Wolczuk, Kataryna, (Hrsg.), Region, State and Identity in Central and Eastern Europe, London 2002, S. 115, hier: S. 2f 14 Zu den folgenden Ausführungen siehe Kneuer, Marianne, Die EU als externer Akteure bei Demokratisierungen. Süd- und Osteuropa im Vergleich, unveröffentlichte Habilitationsschrift, Eichstätt 2004 11

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die innere Neuordnung mit einer entsprechenden nationalen Identitätsstiftung – als Demokratie und Marktwirtschaft – unterfüttert werden muss, ist auch die Festlegung der äußeren Koordinaten mit einer Identitätsfindung verbunden, die ich internationale Verortung nenne. Die politische Elite muss also sowohl die nationale Identitätsbildung als auch die internationale Verortung der neuen Demokratie gestalten. Die Konsolidierung bedarf daher eines Elitenkonsenses, der sich sowohl auf die innere Ordnung als auch auf die grundlegenden Parameter der internationalen Verortung der neuen Demokratie beziehen muss.15 Diesen Konsens in Bezug auf die innen- und außenpolitische Grundorientierung des Landes gab es in der Mečiar-Zeit nicht. Das Ergebnis war damit eine gespaltene Gesellschaft und eine ebenso gespaltene Elite, ablesbar in der Parteienlandschaft, wobei die Trennlinien der Parteien nicht in einem LinksRechts-Schema verliefen, sondern einerseits zwischen pro-demokratischen und proeuropäischen Modernisierungsbefürwortern und andererseits den Parteien, die einen antiwestlichen oder „eigenen“ neutralen Weg suchten sowie wirtschaftlichen Reformen und demokratischen Regeln eher distanziert gegenüber standen; der slowakische Sozialwissenschaftler Grigorij Mezešnikov benutzt dafür die Begriffe Standard- und Nichtstandardparteien. Zusammengefasst ist zu sagen: In der Regierungszeit Mečiar vollzog sich in Bezug auf die demokratische Entwicklung, auf die Ausgestaltung der wirtschaftlichen Reformpolitik und in Bezug auf die außenpolitische Orientierung ein klarer demokratischer Rückschritt. Erstens, hat Mečiar mit den demokratischen Regeln gebrochen, was zu jenem unkonsolidierten Zustand führte, zweitens, brach er mit dem Muster der begonnenen wirtschaftlichen Transformation vor allem bei der Privatisierung und Industriepolitik, indem er ein klientelistisches Belohnungssystem einführte, und drittens, entfernte er sich nicht nur durch die innenpolitischen Aktivitäten, sondern auch durch das Abblocken der westlichen Kritik sowie durch eine ambigue außenpolitische Orientierung von dem Weg nach Europa. Mečiar ignorierte die Demarchen und Warnungen der EU, die mit wachsender Sorge und zunehmender Kritik an den demokratischen Missständen reagierte, kokettierte mit der Idee des dritten Weges, als neutrale Brücke zwischen West und Ost oder drohte gar: „Wir werden uns Richtung Osten wenden, wenn der Westen uns nicht will.“ Wie kann man diese Phase zwischen 1994 und 1998 typologisieren? Die Slowakei war weder als funktionierende Demokratie noch als autoritäres System zu bezeichnen, sondern als Demokratie mit Defiziten, als defekte, illiberale Demokratie.16 Zwar wurde das Wahlrecht fair umgesetzt, wurden korrekte Regierungswechsel vollzogen, funktionierten die grundlegenden demokratischen Institutionen, die Dimension des liberalen Rechts- und Verfassungsstaates 15

Vgl., ebd., S. 490f Wir folgen hier dem Konzept „defekter Demokratie“ von Merkel/Croissant/Thierry. Sie definieren sie als Herrschaftssysteme, in denen freie, geheime, gleiche und allgemeine Wahlen den Herrschaftszugang regeln, die „gleichzeitig aber signifikante Einschränkungen der Funktionslogik von Institutionen zur Sicherung grundlegender politischer und bürgerlicher Partizipations- und Freiheitsrechte, Einschränkungen der horizontalen Gewaltenkontrolle und –verschränkung und/oder Einschränkungen der effektiven Herrschaftsgewalt demokratisch legitimierter Autoritären aufweisen.“ Defekte Demokratien unterscheiden sich einerseits von funktionierenden, rechtsstaatlichen Demokratien, da die institutionellen Mechanismen fehlen oder eingeschränkt sind; andererseits unterscheiden sie sich zugleich auch von autoritären Systemen, da „zentrale demokratische Spielregeln institutionalisiert sind und die Wahl der Regierenden durch die Regierten gewährleisten“ (Merkel, Wolfgang/Croissant, Aurel, “Formale und Informale Institutionen in defekten Demokratien“, in: Politische Vierteljahresschrift, 1/2000, S. 3-31, hier: S. 3). 16

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aber wurde verletzt. (der Aushöhlung der Gewaltenteilung, dem Versuch der Exekutive, in andere Staatsorgane einzugreifen, fehlende Respektierung der konstitutionellen Prinzipien, Verstöße gegen die Meinungs- und Informationsfreiheit, gegen Bürgerrechte, vor allem gegen Minderheitenrechte). Die Illiberalität des slowakischen Systems unter Mečiar deckt sich in vielen Punkten mit jenem postsowjetischen Transformationsmodell, das sich durch Missachtung der konstitutionellen Prinzipien, der Tendenz zur Zentralisierung der exekutiven Macht etwa im Amt des Premierministers und das Etablieren einer mächtigen BesitzOligarchie charakterisiert.17 Dazu kommt ein Verständnis und eine Praxis von Demokratie als „populist type of unchecked majority rule“ und ein delegativer Typus und ein personenzentriertes Konzept von Autorität.18 Dem sind zwei weitere Komponenten hinzuzufügen, nämlich zum einen eine wenn nicht anti-westliche, so doch skeptische Haltung gegenüber der EU und dem Westen sowie zum anderen eine Politik, die weniger von ideologischen Inhalten als von pragmatischer Machterhaltung in Form von nationalistischem Populismus geprägt war. Die Slowakei verließ damit den Weg des demokratischen Übergangs, den die ostmitteleuropäischen Länder gemeinsam eingeschlagen hatten und zwar sowohl in Bezug auf die inneren als auch in Bezug auf die äußeren Aspekte der Demokratisierung. Vor den Wahlen 1998, also fünf Jahre nach der Unabhängigkeit waren beide Möglichkeiten offen: autoritäre Regression oder demokratische Konsolidierung. Die Wahlen von 1998 bekamen den Charakter einer „critical election“, also eine für die weitere Demokratisierung entscheidende Bedeutung. Tatsächlich wurden sie zum Wendepunkt in der slowakischen Entwicklung. Damit sind wir beim zweiten Punkt und der Frage, wie Frage, wie die Slowakei zur Demokratie zurückkehrte und welche Faktoren dabei eine Rolle spielten. 2. Rückkehr zum demokratischen Pfad – innere und äußere Faktoren Die Mečiar-Ära wurde beendet mit den Wahlen im September 1998 und dem Wahlsieg des oppositionellen demokratischen Wahlbündnisses SDK, das fünf Parteien vereinte unter der Führung von Mikulaš Dzurinda. Diesen Wendepunkt wurde sowohl durch innere, aber auch durch äußere Faktoren bedingt. Traditionell wurden Demokratisierungen als interne Prozesse betrachtet und die internationale Dimension und externe Faktoren entweder negiert oder vernachlässigt. Damit wurde auch weitgehend die Interaktion zwischen internen Prozessen und externen Akteuren außer Acht gelassen. Auch wenn die Relevanz der internationalen Dimension beim Umbruch in Osteuropa nicht mehr in Frage gestellt wird, bleibt die Erforschung dieser Interaktionen weiterhin ein Desiderat. Die genauere Untersuchung des slowakischen Demokratisierungsprozesses, den ich in meiner Habilitation unternommen habe, zeigt, dass die Rückkehr zur Demokratie das Ergebnis eines komplexen Prozesses interner und externer Interaktion ist, bei dem die Europäische Union als Einflussfaktor sowohl direkt als auch indirekt eine Rolle spielte. Es wäre zu weit gegriffen und methodisch schwer haltbar von einer Kausalität zu sprechen. Wohl aber kann man davon sprechen, dass bestimmte interne Prozesse sowohl bei der Einstellung der Bevölkerung als auch in der Elitekonstellation als Ergebnis einer Interaktion verschiedener Variablen zu bewerten sind, zu denen auch zweifellos die EU gehört. 17

Siehe dazu Duleba, Alexander, „Democratic Consolidation and the Conflict over Slovak International Alignment“, in: Szomolányi, Soňa/Gould, John A., (Hrsg.), Slovakia: Problems of Democratic Consolidation and the struggle for the Rules of the Game, Bratislava 1997, S. 209-231, hier: S. 224 18 Szomolányi, Soňa, „Slovakia between Western and Central European Ways of Transition“, in: Dvořáková, Vladimíra, (Hrsg.), Success or Failure? Ten years after, Prag 1999, S. 24-39, hier: S. 25

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Im Inneren lässt sich während der Mečiar-Zeit ein Prozess des political learning oder auch der demokratischen Reifung der Bevölkerung beobachten. Die Meinungsumfragen zeigen, dass die Bevölkerung den eingeschlagenen Weg zunehmend als die falsche Richtung wahrnahm. Während der Mečiar-Zeit wuchs die Unterstützung für die Demokratie in der Bevölkerung wie auch ihre Sensibilität für Verstöße gegen demokratische Regeln. Insofern kann man von einem politischen Lernprozess der Bürger sprechen. 1995 waren 67 Prozent der Bürger mit dem Zustand der Demokratie unzufrieden, 1996 steigerte sich die Zahl auf 74 Prozent.19 In der Öffentlichkeit hatte sich das Gefühl verstärkt, dass die Demokratie bedroht sei; dies meinten 1997 immerhin 52 Prozent. Demokratie und Achtung vor der Verfassung wurde von der Bevölkerung als drittwichtigstes Problem perzipiert, noch vor der Wirtschaft.20 In den meisten Politikbereichen – außer der Minderheitenpolitik – hielt sie Mečiars Politik für nicht korrekt.21 Nach den demokratischen Prinzipien und dem politischen Stil gefragt ließ sich von 1994 bis 1997 beobachten, dass die Befürwortung der autoritären, majoritätsbetonten Politik der „starken Hand“ ab- und die Befürwortung von Respekt vor dem Gesetz, Pluralismus, Verhandlung, Respektierung der Minderheiten und Medienfreiheit zunahm. In einer Kategorisierung von „professed political principles“ ergibt sich daraus folgendes Bild: Professed Political Principles of Slovakia’s Citizens (in percentages) Type

of 1994

1995

1997

principles Democratic

47

55

59

Hybrid

40

35

30

Non-democratic

13

10

12

aus: Bútorová, Zora, „Public Opinion“, in: Bútora, Martin/Skladony, Thomas W., (Hrsg.), Slovakia 1996-1997: A Global Report on the State of Society, Bratislava 1998, S. 67-80, hier: S. 72

Auf diesen Einstellungswandel traf 1997 die Manipulation der Referenden um den NATOBeitritt und die Direktwahl des Präsidenten durch die Regierung Mečiar. Die vom Präsidenten genehmigten Stimmzettel mit drei Fragen zur NATO und einer zur Direktwahl wurden wenige Tage vor dem Referendum vom Innenminister eliminiert und neu ausgedruckt ohne die letzte Frage zur Direktwahl. Daraufhin rief die Zentralkommission für die Volksabstimmung die Bürger zum Boykott des Referendums auf. Tatsächlich stimmten nur zehn Prozent ab. Das Verfassungsgericht bestätigte die Verfassungswidrigkeit und annullierte das Referendum als „von der Regierung vereitelt“. Dieser Vorgang führte zu massiven Protesten im In- und Ausland. Für die EU und die NATO war es der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte: Bereits Mitte 1997 war klar, dass die Slowakei weder von der NATO in die erste Erweiterungsrunde noch von der EU zur ersten Gruppe über Beitrittsverhandlungen, die im März 1998 begannen, eingeladen werden würde. Die Begründung stellte auf die demokratischen Defizite des Landes ab, was im Falle der EU 19

Bútorova, Zora, “Public Opinion”, in: Bútora, Martin/Hunčík, Péter, (Hrsg.), Global Report on Slovakia. Comprehensive Analyses from 1995 and Trends from 1996, Bratislava 1997, S. 265-287, hier: S. 270f 20 Bútorova, Zora, „Public Opinion“, in: Bútora, Martin/Skladony, Thomas W., (Hrsg.), Slovakia 1996-1997: A Global Report on the State of Society, Bratislava 1998, S. 67-80, hier: S. 67 (im Folgenden als Bútorova, 1998b) 21 Dies gilt insbesondere für die Privatisierungspolitik, die 72% ablehnte. Dies galt aber auch für die Medienpolitik, die Sozialpolitik und Verbrechensbekämpfung. Vgl., ebd., S. 69

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besonders bitter war, da die wirtschaftlichen Daten durchaus ausreichend gewesen wären. Und bitte auch, weil sich die Slowakei damit nicht mehr auf gleicher Augenhöhe mit ihren Višegrad-Nachbarn befand. Damit sind wir bei den externen Faktoren, nämlich der wiederholten Kritik an den undemokratischen Handlungen und die Mahnungen von der EU und der NATO bzw. den USA, die schließlich in jenem Ausschluss und jener Isolation innerhalb der Visegrád-Gruppe gipfelte. Die EU war dabei der gewichtigere Faktor, da die Bevölkerung ihr weitaus mehr Bedeutung zumaß sowie mehr Vertrauen in die EU hatte. Und auch das Interesse der Regierung Mečiar an der EU war größer als an der NATO, der er eher distanziert gegenüber stand. Die EU reagierte direkt auf die ersten und demokratischen Handlungen Mečiars und tat dies in der Folge wiederholt und im Ton verschärft. Die einzelnen Organe der EU (Kommission, Rat, Parlament) schöpften dabei die üblichen diplomatischen Möglichkeiten aus: Empfehlungen, Demarchen, Noten, bilaterale Gespräche, Mahnungen. Dazu kamen die Treffen im Rahmen des politischen Dialogs in den Assoziierungsorganen. All dies unterstrich die Bedeutung der Erfüllung der politischen Kriterien als Bedingungen zum Beitritt. Der Ausschluss aus den Verhandlungen aus politischen Gründen war ein sehr drastischer Schritt. Allerdings sah die EU ab von wirtschaftlichen Sanktionen oder dem Kürzen oder Einfrieren der Unterstützungsprogramme, Maßnahmen, wie sie sie etwa bei Griechenland 1967 oder der Türkei 1980 angewandt hatte, ab. Die Strategie der EU stellte eher darauf ab, die Beziehungen zur Slowakei, den politischen Dialog als auch die Hilfsprogramme im Rahmen der EuropaAbkommen und später der Heranführungsstrategie nicht abzubrechen, sondern mit erhöhter Aufmerksamkeit auf die Schwachpunkte weiter zu führen. Damit behielt sie sich ein Druckmittel, nämlich das Einfrieren der Hilfsprogramme oder der Rückzug aus dem Assoziierungsvertrag, vor, quasi als letzte Waffe. Zudem wandte die Kommission sich ab 1997 verstärkt an die Bevölkerung und suchte das Gespräch mit der demokratischen Opposition, was auch ein Signal an die Bevölkerung darstellte. Dieser konditionierte Druck auf die Regierung mit gleichzeitiger Unterstützung der demokratischen Kräfte und Signalen an die Bevölkerung bewegte Mečiar zwar nicht zur Umkehr auf den demokratischen Weg, zeitigte aber eine Wirkung auf die Bevölkerung und die zivilgesellschaftlichen Gruppen. In der Slowakei wird diese Strategie der EU heute für positiv bewertet. So wird die Wirkung unterstrichen, die die wiederholte und offene Betonung der Notwendigkeit von Demokratisierung, auf die öffentliche Meinung hatte.22 Der Druck der EU habe deutlich gemacht, wie wichtig die politische Seite im Beitrittsprozess sei. Die Bevölkerung habe verstanden, dass ihre Politik bzw. Politiker über den Beitritt entscheiden. Zugleich sei es richtig gewesen, die Slowakei nicht außen vor zu lassen und die EuropaAbkommen nicht zu kündigen.23 Aus Sicht der Beteiligten im Verhandlungsprozess wird die Strategie der EU ebenfalls positiv bewertet: Dadurch dass all die technischen Vorbereitungen, die mit der Erfüllung der politischen Kriterien zu tun hatten, weitergelaufen seien und dass die EU nicht den ganzen Beitrittsprozess wegen der Nichterfüllung der politischen Kriterien gestoppt habe, konnte nach der Mečiar-Zeit der bestehende Verhandlungsrückstand auf die anderen Visegrád-Staaten aufgeholt werden.24 Die Bevölkerung nahm sowohl die Kritik der EU als auch die außenpolitischen Fehlleistungen, schließlich das Scheitern der Integrationspolitik sehr genau war. Ganz im 22

Vgl. Bútora, Martin/Bútorová, Zora, „Slovakia’s Democratic Awakening“, in: Journal of Democracy, 1/1999, S. 80-96 23 So Vladimir Bilcik, Slovac Foreign Policy Association, im Interview mit der Autorin. 24 So die Abteilungsleiterin für Europafragen im slowakischen Außenministerium, Veronika Lombardini, im Interview mit der Autorin.

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Gegensatz zur Regierung war sie eindeutig und mehrheitlich pro-europäisch eingestellt und wünschte sich einen Beitritt zur EU. 1997 sagten drei Viertel, sie seien für einen EU-Beitritt, ein Wert, der sich über die Jahre so hoch hielt.25 Die Kritik der EU wurde daher sehr aufmerksam rezipiert. Auf die Protestwelle der EU 1995 reagierte die Bevölkerung zustimmend. Gut zwei Drittel unterstützten die Meinung, dass die EU das Recht habe, von der Slowakei verlangen zu können, den gleichen Regeln zu folgen wie die anderen assoziierten Länder. Ebenso viele waren zudem der Ansicht, die Regierung sollte die undemokratischen Merkmale ablegen, die die Kritik des EP verursacht hat.26 Die Bevölkerung wurde sich zunehmend der Inkongruenz zwischen ihren eigenen Zielvorstellungen und den Handlungen der Regierung bewusst. So meinte Ende 1996 über die Hälfte, die Regierungskoalition würde das Land nicht zur Integration führen. 58 Prozent führten dies darauf zurück, dass die Regierung es ablehnte, eine demokratischere Politik durchzuführen trotz der wiederholten Warnungen der internationalen Gemeinschaft.27 Im Laufe der Regierungszeit Mečiar bekam das Thema der europäischen Integration einen prominenten Platz in der öffentlichen Diskussion. Es wurde zu einem „quite important and frequently discussed factor of the political scene.“28 Das hatte zur Folge, dass die Frage der Integration eine immer größere Rolle spielte in der Innenpolitik, für den demokratischen Wandel und für die Wahlen 1998, war es doch allzu klar geworden, dass Demokratie und EU-Beitritt aneinandergekoppelt waren. Der Ausschluss aus den EU-Verhandlungen und die Manipulation der Referenden waren schließlich die Anlässe, die sowohl die Opposition als auch die Bevölkerung wachrüttelten. Sie wirkten 1. als Mobilisierungsfaktor für die Bevölkerung. Ein Jahr vor den Wahlen sagten 54% der Bevölkerung, sie seien ernstlich besorgt wegen des Ausschlusses der Slowakei aus der ersten Integrationswelle der EU und 53% waren besorgt wegen der Manipulation des Referendums. Vor den Wahlen im September 1998 meinten 70 Prozent der Bürger, das Land ginge in die falsche Richtung.29 Das heißt, die Defekte der Mečiar-Zeit und die Reaktion der EU darauf führten zu einer Sensibilisierung für die demokratischen Werte und ihrer beschleunigten Verfestigung in der Bevölkerung. Es standen Demokratie und Einbindung in den Westen versus Illiberalität und Isolationismus zur Abstimmung. Die hohe Mobilisierung der Bevölkerung (84,24%) spricht dafür, dass diese Botschaft durchaus verstanden worden war. 2. als Katalysator für die demokratische Opposition, sich zu einem Wahlbündnis zusammenzuschließen, um bei den bevorstehenden Wahlen die Ablösung Mečiars zu erreichen. So entstand die Slowakische Demokratische Koalition (SDK) aus dermaßen unterschiedlichen Parteien wie der Christlich-Demokratischen Bewegung (KDH), der Demokratischen Union (DU), einer eher liberalen Partei, der Sozialdemokratischer Partei der Slowakei (SDSS) und der Partei der Grünen in der Slowakei (SZS). Der Druck der EU, so Mezešnikov, half den demokratischen Kräften sich zu mobilisieren, die demokratische Allianz zu bilden, die Koalition und die Entwicklung im Land zu ändern.30 Auch Bilčik hält 25

Bútorova, Zora/Bútora, Martin, “Slovakia and the World”, in: Bútorová, Zora, (Hrsg.), Democracy and Discontent in Slovakia: A Public Opinion Profile of a Country in Transition, Bratislava 1998, S. 175-191, hier: S. 180 26 Vgl., a.a.O., Bútorová, 1997b, S. 279 27 Vgl., a.a.O., Bútorová, 1998, S. 73 28 Interview Martin Bútora. In diesem Sinne auch Mesežnikov, Grigorij, „How Political Actors View European Integration in Slovakia“, in: Bajomi-Lazar, Peter/Hegedus, Istvan, Media and Politics, Budapest 2001, hier zitiert nach der Internetversion vom 27.7.2001, S. 1 29 Bútorova, Zora/Gyárfašová, Oľga/Velčic, Marián, „Public Opinion“, in: Mesežnikov, Grigorij/Ivantyčyn, Ivan/Nicholson, Tom, (Hrsg.), Slovakia 1998-1999. A Global Report on the State of Society, Bratislava 1999, S. 137-167, hier: S. 137 30 Interview Mezešnikov

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den Druck der EU für einen ausschlaggebenden Faktor für die Formierung der Opposition. Sie habe sich einigen müssen.31 Diese katalysierende Wirkung auf den Zusammenschluss der oppositionellen Kräfte zu jener Wahlkoalition ist ein zentraler Faktor der Ablösung der Mečiar-Regierung gewesen, den die EU-Politik indirekt beeinflusst hat. Ein direkter Einfluss der EU ist in Bezug auf die zivilgesellschaftlichen Strukturen auszumachen. Neben den wirtschaftlichen und finanziellen Hilfen an die Länder unterstützte die EU auch ab 1992 den Nichtregierungssektor in den Transformationsländern. Im Falle der Slowakei empfahl die Kommission 1992 die Einrichtung einer unabhängigen, nichtgouvernementalen Stiftung. Die Civil Society Development Foundation bekam ab 1993 Gelder von der Kommission, die sie wiederum völlig unabhängig an NGOs weitergeben konnte. Der damalige tschechoslowakische Außenminister (1991/92) und heutige Chairman of the Board dieser Stiftung, Pavol Demeš, bewertet diese durch die EU-Strategie als wichtigen Faktor, da so die Regierung keine Entscheidungsgewalt über das Geld hatte und die Unabhängigkeit des Nichtregierungssektors auch während der Mečiar-Zeit garantiert wurde.32 Die EU wurde mit dem PHARE-Demokratisierungsprogramm einer der wichtigsten Förderer des NGO-Sektors in der Slowakei mit den zweithöchsten finanziellen Zuwendungen nach der Open Society Foundation von George Soros.33 Mit dem Sieg der demokratischen Opposition und deren Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament war die Chance gegeben, den unter Mečiar paralysierten Konsolidierungsprozess der Slowakei wieder zu beleben. Die neue Regierung hatte drei zentrale Ziele: 1. die Herstellung von Demokratie, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Minderheitenschutz, 2. die Slowakei in EU und NATO zu führen sowie 3. die Wirtschaft auf Kurs zu bringen (marktwirtschaftliche Strukturen einzuführen, ausländische Investitionen wieder anzulocken, Klientelismus und Korruption abzubauen). Im Zentrum der Regierungsarbeit dieser Koalition standen in erster Linie die Wiederherstellung der demokratischen Prinzipien und Verfahren und die glaubwürdige pro-westliche Ausrichtung des Landes. Das bedeutete, dass die Reformtätigkeit der Regierung sich darauf konzentrierte, die autoritären Prozeduren (z.B. Verteilung der Ausschussvorsitze) und Entscheidungen (z.B. die o.g. Amnestien) sowie die undemokratische Gesetze, etwa gegen die Minderheiten, rückgängig zu machen. Wichtig war auch, dass ein Stilwandel vollzogen wurde, indem die neue Regierung die Opposition im Parlament fair behandelte. Zudem versuchte Dzurinda, der inneren Polarisierung der Gesellschaft die Grundlage zu entziehen. Dadurch dass die Ungarischen Koalition SMK in der Regierung vertreten war, veränderte sich die Repräsentation und Partizipation der ungarischen Minderheit am politischen Leben. Dass die Verstöße gegen die Rechte der ungarischen Bevölkerung rückgängig gemacht wurden, trug zur Entspannung der aufgeladenen Situation bei. Dzurinda vermittelte die Idee, dass das nationale Interesse in der EU-Mitgliedschaft bestehe, somit beide Ebenen nicht gegenläufig seien. Damit machte er einer Identitätsbildung Raum, die nationale und europäische Interessen als konvergent perzipiert. Die Abwahl Mečiars 1998 allein konnte allerdings noch nicht ausreichen, um von einer konsolidierten Demokratie zu sprechen.34 Zwar machten sowohl die Opposition als auch die Bevölkerung Fortschritte im politischen Lernprozess. Aber es handelte sich noch um einen 31

Interview Bilčik; so auch Adamiš, Mezešnikov, Śebej Interview mit Pavol Demeš 33 Vgl. dazu Demeš, Pavol, „The Third Sector and Volunteerism“, in: Mesežnikov, Grigorij/Ivantyčyn, Ivan/Nicholson, Tom, (Hrsg.), Slovakia 1998-1999. A Global Report on the State of Society, S. 347-365, hier: S. 351 34 Szomolányi meinte 1999, dass mindestens noch ein Wahlzyklus nötig wäre, um die Stabilität der slowakischen Institutionen und Werte zu testen. Vgl., a.a.O., Szomolányi, 1999, S. 34, 35 32

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„brüchigen Transformationspfad“, die innenpolitischen Stabilisierungsresultate waren immer noch reversibel, die außenpolitische Orientierung bedurfte noch eines lagerübergreifenden Elitenkonsenses35, denn „(d)emocratic stability also requires consensus on the country’s basic foreign policy orientation.“36 Die Regierungskoalition aus mehreren und zudem heterogenen Parteien schränkte die Effektivität des Regierungshandels oft ein, zwang zu permanenten Kompromissen und verlangte großes Verhandlungs- und Vermittlungsgeschick des Ministerpräsidenten. Trotz der permanenten Schwierigkeiten in der Koalition, des weiterhin konfrontativen Stils der HZDS, nun als Opposition37, und wachsender Unzufriedenheit in der Bevölkerung konnte Dzurinda die Koalition zusammenhalten. Nicht zuletzt auch wegen des inhärenten Drucks, dass ein Scheitern möglicherweise wieder den Weg in EU und NATO versperrt hätte. Erst die Bestätigung der demokratischen Kräfte bei der Wahl 2002 kann man als eindeutiges Signal für die Konsolidierung der slowakischen Demokratie werten. Die HZDS Mečiars galt als nicht koalitionsfähig und stand daher von allen demokratischen Parteien isoliert da. Die Wählerschaft der HZDS ist weiter abgeschmolzen, eine Regierungsbeteiligung ist ausgeschlossen, SNS und ZRS sind nicht mehr im Parlament vertreten. Das nationalistischautoritäre Experiment hat sich als abgeschlossenes Kapitel für die slowakische Gesellschaft bewiesen. War der Elitenkonsens in der ersten Legislatur Dzurindas noch nicht gänzlich gefestigt, kann man dies sehr wohl für die zweite Amtsperiode feststellen. Es gibt seit 2002 sowohl hinsichtlich der politischen Verfahren als auch hinsichtlich der inneren Orientierung (Demokratie, Marktwirtschaft) und äußeren Verortung (Einbindung im Westen, EU- und NATO-Mitgliedschaft) einen breiten Konsens in der politischen Klasse. Damit sind nun auch Elitenverhalten und die innen- und außenpolitischen Vorstellungen der Bevölkerung kongruent. Die Wahl von 2002 hat zudem der Slowakei endgültig die Mitgliedschaft in der EU und in der NATO gesichert. Beide Organisationen hatten sich vorher dahingehen artikuliert, dass dies mit einer HZDS an der Regierung nicht möglich sein würde. Dies zeigt, dass die EU den Abbau der nichtdemokratischen Elemente und die Stabilisierung der Demokratie in der Slowakei sehr aufmerksam begleitete. Der Regierungswechsel 1998 allein und die ersten Schritte der Regierung Dzurinda, die den Willen zu demokratischen Verhältnissen und das klare Bekenntnis zur EU zeigten, waren für die EU noch nicht ausreichend, grünes Licht für Verhandlungen zu geben. Eine Wahl, so die Kommission, sei noch nicht genug, um den dauerhaften Charakter eines Wandels zu garantieren. Der Druck zur Erfüllung bestimmter politischer Kriterien von Seiten der EU blieb zwischen 1998 und 2002 bestehen, so die Notwendigkeit demokratischer Institutionen und drei kurzfristige Prioritäten: freie und faire Präsidentschafts- und Kommunalwahlen, ein Gesetz über die Minderheitensprachen, und die Frage der Abschaltung des V-1-Reaktors von Bohunice.38 Andererseits ermöglichte die Kommission durch eine spezielle Arbeitsgruppe (High Level Working Group), die nachzuholenden Kapitel der Beitrittsverhandlungen innerhalb eines Jahres aufzuarbeiten. Für die Regierung Dzurinda war das von Anfang an verfolgte Prinzip der „own merits“ äußerst bedeutsam. Sowohl für die Heranführung als auch für die Verhandlungen galt der Vorbereitungsstand eines jeden Landes als entscheidend.39 Dieses Konzept in Helsinki 1999 35

Vgl., Lang, Kai-Olaf, „Slowakei: Rissiges Fundament der Orientierung auf NATO und EU“, Aktuelle Analyse des BIOst Nr, 23/2000, S. 6 36 A.a.O., Szomolányi, 1997, S. 24 37 In den Jahren 1999 und 2000 stellte die HZDS elf Misstrauensanträge gegen Regierungsmitglieder und Anfang 2000 initiierte sie ein Referendum über vorzeitige Wahlen, das mit einer Wahlbeteiligung von nur 20,03% allerdings scheiterte ebenso wie alle Misstrauensanträge. 38 Kommission, Fortschrittsbericht, Bulletin 11-1998, S. 83 39 Dies war bereits in Kopenhagen 1993 als auch in Luxemburg 1997 unterstrichen worden.

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nochmals und explizit als Prinzip der Differenzierung - oder salopp: Regatta-Prinzip formuliert und in Feira 2000 bekräftigt, ermöglichte der Slowakei ab 2000, den Rückstand auf die erste Gruppe aufzuholen und schließlich im Mai letzten Jahres der EU beizutreten. 3. Zu aktuellen Situation der Slowakei: Vom schwarzen Schaf zum Tatra Tiger? Heute kann man relativ sicher sagen, dass die slowakische Demokratie so weit konsolidiert ist, dass autoritäre Rückschritte in eine defekte Demokratie wie unter Mečiar kaum mehr wahrscheinlich sind. Die Polarisierung der 1990er Jahre in ein Lager national-populistischer Nichtstandardparteien und eine Gruppe demokratischer Standardparteien ist durchbrochen. Was der Slowakei weiterhin fehlt, ist ein stabiles Parteiensystem. Man wird beobachten müssen, ob dies ein Störfaktor für die slowakische Demokratie werden kann. Das Parteiensystem ist noch nicht gefestigt, seine Fragmentierung hat nicht abgenommen, Absplitterungsprozesse gehen eher weiter.40 Andererseits ist die Polarisierung zurückgegangen durch die Marginalisierung der nationalistischen ParteienMit aggressiven nationalen Gefühlen lassen sich keine Wähler mehr mobilisieren. Dennoch darf man nicht übersehen, dass die HZDS auch 2002 wieder stärkste Kraft blieb. Auch bei den Präsidentschaftswahlen im April 2004 bekam Vladimír Mečiar in der ersten Abstimmungsrunde völlig unerwartet die höchste Stimmenzahl (32,73%). Alle Kandidaten der Standardparteien fielen bei der ersten Runde heraus, so dass es zu einer Stichwahl zwischen Mečiar und seinem ehemaligen Parteifreund und ehemaligen Parlamentspräsident Ivan Gašparovic kam. Dass Mečiar dann verlor, bezeichnete der Vorsitzende der KDH als „definitive Niederlage für die Politik von Vladimír Mečiar“41. Letztlich aber war es auch ein Denkzettel für die demokratischen Kräfte, die Kandidaten der Regierungsparteien. Außerdem muss die Schwächung der HZDS nicht das Ende populistisch motivierter Politik bedeuten. Mit der von dem ehemaligen SDL-Mitglied Robert Fico 1999 gegründeten Partei „Smer“ (Richtung), die 2002 auf Anhieb drittstärkste Kraft wurde, ist eine weitere programmatisch eher diffuse Partei mit konfrontativem Stil im Parlament vertreten. Überdies ist die Situation der Regierungskoalition schwierig. Entgegen der Vermutung, dass die homogene Regierungsbildung von vier Mitte-Rechts-Parteien die politischen Entscheidungsfindungsprozesse erleichtern würde, ist die SDKU durch parteiinterne Spannungen und den Austritt einer Gruppe von Abgeordneten seit Dezember 2003 geschwächt, da sie seither nur über eine knappe Mehrheit verfügt. Dadurch sind die Koalitionspartner wiederum schwieriger zu bändigen. Dazu kommt, dass die Reformpolitik und der harte Sparkurs in der Bevölkerung sehr unpopulär sind. Nachdem Dzurinda in der ersten Legislatur die die politischen Reformen durchgeführt hatte, die zur Wiederherstellung der demokratischen Verfahren und Prinzipien notwendig waren, setzte er in der zweiten Legislatur eine beschleunigte und verstärkte Reformtätigkeit im wirtschaftlichen und sozialen Bereich in Gang. Trotz der schmalen Mehrheit im Parlament und der ablehnenden Haltung in der Bevölkerung verfolgt er diese zudem radikalen Reformen sehr konsequent. Die Steuerreform ebenso wie die Reformen im Renten- und Gesundheitswesen haben international Beachtung gefunden, da sie überaus ebenso innovativ wie fortschrittlich sind.42 Sowohl diese Reformen als auch die stark unternehmensfreundliche und frei-marktwirtschaftliche Politik Dzurindas haben dazu geführt, dass die Slowakei deutlich gestiegen ist in ihrem Ansehen als Wirtschafts- und Investitionsstandort und dass die

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Im Dezember 2003 trat der ehemalige Verteidigungsminister Šimko mit sieben weiteren Abgeordneten aus der SDKU aus und gründete das „Freie Forum“. Durch diesen Austritt verlor die Regierungskoalition ihre Mehrheit. 41 Pressburger Tagesblatt, 19.4.2004 42 Die Washington Post nannte das slowakische Steuersystem “one of the best systems in the world”. 29.11.2003

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Wachstums und Wirtschaftsperspektiven als sehr positiv eingeschätzt werden.43 Man spricht bereits vom Tatra Tiger. Auch wenn die Regierung noch einige Probleme, wie vor allem die Korruption, in den Griff bekommen muss, kann man sagen, dass die Perspektiven besser aussehen, als es die schwierige Koalitionsarbeit zunächst vermuten ließ. Eine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation und spürbare positive Ergebnisse der Reformpolitik spürbar werden, so dass auch regionale Disparitäten im Land abgebaut würden, würde das sicher zu einer weiteren Verfestigung des Demokratievertrauens führen, ähnlich wie wir es aus den 1950er Jahren der Bundesrepublik oder in den 1980er Jahren in Spanien kennen. Wichtig ist, dass die EU bestimmte Bereiche wie Stärkung der Verwaltung weiter begleiten wird, und zugleich künftig – auch für eine konsolidierte Slowakei – Anreize für weitere Reformanstrengungen bereithält, etwa in Form der Euro-Gruppe, der Schengen-Gruppe und der Lissabon-Strategie. Die Erfahrungen der Süderweiterung, bei der ebenfalls ehemalige Diktaturen aufgenommen wurden, haben zudem gezeigt, dass die EU bzw. EG nach dem Beitritt eine Art politisches und wirtschaftliches Korsett bildete, das sich stützend auf die weitere Verfestigung der Demokratie und die Entwicklung der Wirtschaft auswirkte. Damit ist auch schon auf neuen Stoff für die politikwissenschaftliche Bearbeitung hingewiesen: die Analyse der Folgen des Beitritts.

Dieser Text wurde veröffentlicht unter dem Titel Marianne Kneuer, „Der Aufbau der Demokratie in der Slowakei“, in: Bergsdorf, Wolfgang, Hoffmeister, Hans, Thumfart, Alexander, Wagner, Wolf, (hrsg.), Die Osterweiterung der Europäischen Union, Erfurt 2005, S. 155-179

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Siehe Gyárfašová, Oľga, „Slovakia: From Black Hole to Leading Light. How Slovakia transformed itself from a ‘black hole’ to an inverstor’s paradise”, in: Transition online, 6.10.2004