Patientensicherheit in der Anästhesie

Patientensicherheit in der Anästhesie A. Gottschalk Auf der Grundlage von Daten aus 56 Mitgliedsstaaten der WHO wird geschätzt, dass jedes Jahr weltw...
Author: Gundi Kuntz
0 downloads 1 Views 151KB Size
Patientensicherheit in der Anästhesie A. Gottschalk

Auf der Grundlage von Daten aus 56 Mitgliedsstaaten der WHO wird geschätzt, dass jedes Jahr weltweit mehr als 230 Millionen größere operative Eingriffe in Allgemeinanästhesie durchgeführt werden (1). Bei diesen Eingriffen wird in Industrienationen mit einer Komplikationsrate von 3-16% gerechnet, und bei 0,4-0,8% aller Patienten kommt es zu bleibenden Schäden oder gar Todesfällen, dies entspricht einer Zahl von ca. 1 Million Patienten. In einer Aufsehen erregenden Untersuchung mit dem Titel „To err is human: building a safer health care system“ musste das Institue of Medicine (IOM) im Jahre 1999 feststellen, dass es in den USA jährlich zu bis zu 98.000 Todesfällen durch medizinische Fehler kommt (2). Übertragen auf die Luftfahrt in den USA würde dies einem täglichen Absturz eines Passagierflugzeuges mit ca. 270 Menschen an Bord entsprechen. Wer würde da noch fliegen wollen? Entsprechend einer jüngeren Publikation konnte allerdings gezeigt werden, dass die Krankenhausmortalität durch Optimierung der Patientenversorgung in den USA von 1,64% im Jahre 1996 auf 1,14% im Jahre 2006 reduziert werden konnte (3). Bei all diesen Zahlen stellt sich jedoch die Frage inwieweit das perioperative anästhesiologische Management diese Zahlen beeinflusst, bzw. inwieweit durch optimiertes anästhesiologisches Management eine Reduktion der Krankenhausmortalität und Morbidität erreicht werden kann.

Anästhesiologie und Mortalität In der Diskussion um Anästhesiologie und Mortalität muss zwischen anästhesieassoziierter und anästhesiebedingter Mortalität unterschieden werden (siehe Kasten 1) (4). In den letzten Jahrzehnten konnte durch Entwicklung neuer Techniken, Überwachungsmöglichkeiten und eine verbesserte Ausbildung der Anästhesisten eine deutliche Reduktion der Mortalität erreicht werden. So wurde beispielsweise in den Jahren 1948-1952 an 10 Universitätskliniken in den USA noch eine anästhesieassoziierte Mortalität von 64/100.000 Anästhesien festgestellt werden (5). Dies entsprach einer Mortalität von 3,3/100.000 Einwohnern und war somit höher als die Mortalität durch die damals epidemisch auftretende Poliomyelitis. Bereits Ende der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts konnte zeitlich parallel zu der Einführung weiterer Sicherheitsstandards, wie der Pulsoxymetrie und der Kapnometrie eine Reduktion der anästhesiebedingten Mortalität auf 0,4/100.000 Narkosen erreicht werden (6). Kasten 1 – Definitionen: Anästhesieassoziierte Mortalität: Mortalität im Rahmen einer Operation, die unter Anästhesie (Allgemein- oder Regionalanästhesie) durchgeführt wurde. Ein kausaler Zusammenhang zwischen den anästhesiologischen Maßnahmen und dem Versterben des Patienten kann jedoch nicht hergestellt werden. Aus diesen Gründen ist die anästhesieassoziierte Mortalität schwer zu fassen, wodurch sich die genaue Bewertung der Anästhesie im Gesamtoutcome schwierig gestaltet. Anästhesiebedingte Mortalität: Mortalität, die direkt durch anästhesiologische Maßnahmen hervorgerufen wird.

39

Bezüglich neuerer Daten zur Mortalität in Zusammenhang mit der Anästhesie muss initial festgehalten werden, dass es sich bei den publizierten Studien in der Regel um retrospektive Analysen handelt, die sich mit verschiedenen Kritiken an der durchgeführten Methodik auseinandersetzen müssen. So wurden beispielsweise im Rahmen einer epidemiologischen Studie anhand von ICD-10-Kodierungen, die sich auf anästhesiologische Komplikationen beziehen, Todesbescheinigungen aus den Jahren 1999 bis 2005 in den USA ausgewertet (7). Hierbei ergab sich eine anästhesieassoziierte Mortalitätsrate von 8,2/100.000. Die anästhesiebedingte Mortalität betrug lediglich 0,22/100.000. In weiteren Untersuchungen zu dem Einfluss der Anästhesie auf die Mortalitätsrate ergaben sich für die anästhesieassoziierte Mortalität Werte von 4,7-5,5/100.000 Anästhesien und 13,6/100.000 für die Zeit innerhalb von 24h postoperativ, bzw. für die anästhesiebedingte Mortalität 0,69/100.000 Anästhesien (8). Insbesondere zuletzt genannte Studie von Lienhard et al. konnte einen Zusammenhang zwischen dem ASA-Status und der Mortalitätsrate detektieren. So konnte eine Steigerung der anästhesieassoziierten Mortalitätsrate von 0,4/100.000 bei ASA-1-Patienten über 5/100.000 (ASA-2) und 27/100.000 (ASA-3) bis auf 55/100.000 bei ASA-4-Patienten feststellen. Ähnliche Entwicklungen wurden für den Einfluss des Alters der Patienten festgestellt (0-7Jahre: Mortalitätsrate 0,6/100.000; 8-15 Jahre: 1,2/100.000; 15-39 Jahre: 0,52/100.000; 40-75 Jahre: 5,2/100.000; >75 Jahre: 21/100.000). Vor dem Hintergrund der Optimierung von Sicherheitsaspekten in der Anästhesiologie wurden im Rahmen einer Studie Risikofaktoren des anästhesiologischen Managements untersucht, indem 807 perioperative Todesfälle 883 vergleichbaren Patienten ohne Mortalität gegenüber gestellt wurden (9). Eine Aufstellung der identifizierten Risikofaktoren findet sich in Tabelle 1. Odds-Ratio Check der Geräte mit Checkliste

0,64

Dokumentation des Gerätechecks

0,61

Kein Wechsel des Anästhesisten während der OP

0,44

Direkt verfügbarer Anästhesist

0,46

Anwesenheit von Anästhesiepflege (Ganztagsstelle)

0,41

Zwei Personen bei Narkoseausleitung

0,69

Antagonisierung von Muskelrelaxantien und/oder Opioiden

0,1/0,29

Postoperative Analgesie mit: Opioiden

0,16

Lokalanästhetika

0,06

Opioide/Lokalanästhetika

0,325

Tab. 1: Risikofaktoren der anästhesiologischen Versorgung nach (9).

Anästhesie und Morbidität Sowohl bei der Allgemein- als auch bei der Regionalanästhesie kann es zu anästhesiespezifischen Komplikationen und Nebenwirkungen kommen. Im Rahmen der Allgemeinanästhesie steht hier als am meisten gefürchtetes Risiko der schwierige Atemweg im Vordergrund. Aber auch Komplikationen wie Aspiration, PONV, Awareness sowie postoperative Restcurarisierung müssen in diesem Zusammenhang genannt werden. Im Bereich der Regionalanästhesie stehen insbesondere infektiöse Komplikationen, Nervenschäden, sowie die Querschnittsymptomatik nach rückenmarknaher Regionalanästhesie im Vordergrund. Die entsprechend der Literatur geschätzten Häufigkeiten der einzelnen Komplikationen sind in Tabelle 2 dargestellt. 40

Inzidenz/Anästhesien Aspiration - Bei Schwangeren im 2. Trimenon

1/2-3000 (28) 1/1000 (29)

Awareness

1-1,5/1000 (30)

Atemwegs-/Intubationsprobleme

1,5-13/100 (31)

Querschnitt nach rückenmarknaher RA

1/3600-1/200.000 (32,33)

Transiente neurologische Schädigungen nach PNB - Interscalenäre Blockade

2,84/100

- Axillärer Plexusblock

1,48/100

- Femoralisblock

0,34/100 (34)

Infektiöse Komplikationen bei Katheterverfahren - Rückenmarknah

2,7/100

- Periphere Nervenblockaden

1,3/100 (35)

Tab. 2: Morbidität in der Anästhesiologie.

Initiativen zur Steigerung der Patientensicherheit „…there should be no room for complacency when there is more to be done.“ (10). Mit diesen Worten wird verdeutlicht, dass, obwohl sowohl die anästhesieassoziierte als auch anästhesiebedingte Mortalität weiterhin als niedrig einzuschätzen ist, die Notwendigkeit besteht, die Patientensicherheit weiter zu erhöhen. In ihrem Editorial „To err is human“ schreiben Hardmann und Moppett: „Errors are an inevitable part of anaesthetic practice. Anaesthetists are human and humans make errors“ (11). Insbesondere vor dem Hintergrund dieser Tatsache muss alles unternommen werden, um Fehler in der Anästhesie, die fatale Folgen haben können, so weit wie möglich zu vermeiden. Dabei muss immer auch betont werden, dass die Anästhesie im Rahmen der perioperativen Patientenversorgung und insbesondere auch bei der Steigerung der Patientensicherheit im interdisziplinären Kontext steht. Dies bedeutet, dass viele Schritte zur Verbesserung der Patientensicherheit nur in enger Zusammenarbeit mit den operativen Disziplinen umgesetzt werden können. Einen weiteren Schritt in Richtung der Optimierung der Patientensicherheit stellt die Verabschiedung der „Helsinki Declaration on Patient Safety in Anesthesiology“ dar, die in Zusammenarbeit des European Board of Anaesthesiology (EBA) und der European Society of Anaesthesiology (ESA) verfasst und verabschiedet wurde (10). In dieser Erklärung werden alle Kliniken für Anästhesiologie in Europa u.a. aufgefordert folgende Maßnahmen zur Optimierung der Patientensicherheit zu ergreifen: – Erstellen von Verfahrensanweisungen/SOP für folgende sicherheitsrelevante anästhesiologische Aspekte: o Präoperative Einschätzung und Vorbereitung der Patienten o Regelmäßiger Geräte- und Medikamentencheck o Schwieriger Atemweg/Intubation o Maligne Hyperthermie o Anaphylaxie o Toxizität von Lokalanästhetika o Massiver Blutverlust o Infektionsvermeidung o Postoperative Versorgung inklusive Schmerztherapie – Labelling von Spritzen – Anwendung der WHO „Surgical Safety Checklist“ (12) – Beteiligung an Fehlermeldesystemen (CIRS) 41

– Jährliche Erstellung eines Berichtes über die Morbidität und Mortalität der anästhesiologischen Abteilung – Jährliche Erstellung eines Berichtes über die zur Optimierung der Patientensicherheit getroffenen Maßnahmen und deren Ergebnisse. Auf einzelne Aspekte der „Helsinki Declaration on Patient Safety in Anesthesiology“ soll im Folgenden etwas detaillierter eingegangen werden.

Labelling von Spritzen Aufgrund der zahlreichen Medikamente, die in Anästhesie, Intensiv- und Notfallmedizin zum Einsatz kommen und der häufigen Notfallsituationen in den genannten Bereichen sind diese Arbeitsbereiche prädestiniert für Medikationsirrtümer. So musste in einer europäischen Studie festgestellt werden, dass es im Rahmen der Intensivmedizin zu 75 Ereignissen im Sinne von Medikationsirrtümern pro 100 Patiententage kam. Dadurch kam es bei ca. 1% der Patienten zu einem bleibenden Schaden, oder die Patienten verstarben gar daran (13). Vor diesem Hintergrund wurde von der Internationalen Organisation für Standardisierung (ISO) die Norm ISO-26825 entwickelt. Diese Norm entspricht dem bereits in vielen Ländern (USA, Australien,Neuseeland, Großbritannien) eingeführten Standard zur farblichen Kennzeichnung von anästhesiologischen Medikamenten. Sie beinhaltet, dass Medikamente einer Wirkungsgruppe einer bestimmten Farbe zugeordnet werden (z.B. Opioide/Opiate hellblau). Dieser Zuordnung liegt die Überlegung zu Grunde, dass Verwechslungen innerhalb einer Medikamentengruppe weniger schwerwiegende Konsequenzen haben. Bereits im Jahre 2009 wurde die Umsetzung der ISO-Norm vom Präsidium der DGAI als Empfehlung verabschiedet (14). Nur ein Jahr später wurde die Umsetzung der ISO-Norm auch für den Bereich der Intensiv- und Notallmedizin von den Gremien der DIVI u.a. in Zusammenarbeit mit der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (AKdÄ), der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Krankenhausapotheker (ADKA) und der DGAI empfohlen (15). Somit sollte die einheitliche farbliche Kennzeichnung der Spritzen in allen anästhesiologischen und intensivmedizinischen Abteilungen umgesetzt werden, Diese Umsetzung könnte auch einen Beitrag dazu leisten im Rahmen der interdisziplinäre Zusammenarbeit oder auch bei der Einarbeitung neuer Kollegen nach einem Klinikwechsel oder bei einem Wechsel aus der Anästhesiologie in die Intensivmedizin oder umgekehrt Medikationsirrtümer im Sinne der Patientensicherheit zu reduzieren.

Surgical Safety Checklist Bereits im Jahre 2008 hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Empfehlungen publiziert, die in verschiedenen Bereichen einen Beitrag zur Erhöhung der Patientensicherheit leisten können (16). Auf der Grundlage dieser Empfehlungen wurde eine 19 Punkte umfassende Checkliste, die weltweit einsetzbar sein sollte, entwickelt (siehe Abb.1). Durch den Einsatz dieser Checkliste sollte die Rate schwerer perioperativer Komplikationen gesenkt werden. Im Rahmen einer prospektiven multizentrischen, prä- und postinterventionellen Studie, an der jeweils ein Krankenhaus aus 8 verschiedenen Ländern (Jordanien, Indien, USA, Neuseeland, Tansania, Philippinen, Kanada, England) teilnahm, wurde die Effektivität der Checkliste überprüft (17). Vor Einführung der Checkliste wurden 3733 Patienten, nach Einführung 3.955 Patienten eingeschlossen. Durch die Einführung der Surgical Safety Checklist konnte die perioperative Mortalität von 1,5 auf 0,8% gesenkt werden. Darüber hinaus wurde die perioperative Komplikationsrate von 11 auf 7% gesenkt werden. Mit selbiger Checkliste konnte auch im Bereich von Notfalloperationen eine Reduktion der Mortalitätsrate von 3,7 auf 1,4% und der Komplikationsrate von 18,4 auf 11,7% erreicht werden (18). 42

Surgical Safety Checklist Before induction of anaesthesia

Before skin incision

Before patient leaves operating room

(with at least nurse and anaesthetist)

(with nurse, anaesthetist and surgeon)

(with nurse, anaesthetist and surgeon)

Has the patient confirmed his/her identity, site, procedure, and consent? Yes Is the site marked? Yes Not applicable Is the anaesthesia machine and medication check complete? Yes Is the pulse oximeter on the patient and functioning? Yes Does the patient have a: Known allergy? No Yes Difficult airway or aspiration risk? No Yes, and equipment/assistance available Risk of >500ml blood loss (7ml/kg in children)? No Yes, and two IVs/central access and fluids planned

Confirm all team members have introduced themselves by name and role. Confirm the patient’s name, procedure, and where the incision will be made. Has antibiotic prophylaxis been given within the last 60 minutes? Yes Not applicable Anticipated Critical Events To Surgeon: What are the critical or non-routine steps? How long will the case take? What is the anticipated blood loss?

Nurse Verbally Confirms: The name of the procedure Completion of instrument, sponge and needle counts Specimen labelling (read specimen labels aloud, including patient name) Whether there are any equipment problems to be addressed To Surgeon, Anaesthetist and Nurse: What are the key concerns for recovery and management of this patient?

To Anaesthetist: Are there any patient-specific concerns? To Nursing Team: Has sterility (including indicator results) been confirmed? Are there equipment issues or any concerns? Is essential imaging displayed? Yes Not applicable

This checklist is not intended to be comprehensive. Additions and modifications to fit local practice are encouraged.

Revised 1 / 2009

© WHO, 2009

Abbildung 1: Surgical Safety Checklist (mit freundlicher Genehmigung der WHO).

Wenngleich die Checkliste keine wirklich neuen Aspekte in die perioperative Versorgung der Patienten einbrachte, sondern vielmehr teilweise sogar Selbstverständlichkeiten abgefragt werden, scheint die Einführung dennoch effektiv zu sein. Dies scheint einerseits mit einer verbesserten Kommunikation aller am perioperativen Prozess Beteiligten zu liegen, andererseits aber auch an der Implementierung einer Sicherheitskultur in den beteiligten Kliniken (19). Somit ist eine Einführung der Checkliste an allen Kliniken dringend im Sinne der Patientensicherheit geboten. Diese Einführung erfordert aber zur effektiven Umsetzung das uneingeschränkte Engagement der Entscheidungsträger in den Kliniken (20). Dies schließt sowohl die beteiligten Chefärzte/Klinikdirektoren ebenso wie administrativen Leitungen der Krankenhäuser ein.

Beteiligung an Fehlermeldesystemen (CIRS) In den letzten Jahren wird der Einrichtung von Fehlermeldesystemen in der Medizin eine zunehmende Bedeutung zugemessen. Diese Entwicklung kann als ein Teil einer sich allerdings noch viel zu langsam entwickelten Fehlerkultur gedeutet werden. In vielen Bereichen führen immer noch überholte hierarchische Strukturen ohne ausreichende Selbstreflexion zu einer unzureichenden Fehlerkultur. Dabei gilt insbesondere im Bereich der Fehlerkultur der bereits zitierte Satz: „To err is human“. Wenn im medizinischen Bereich Fehler passieren, sollten diese jedoch dazu genutzt werden, abteilungsintern oder auch interdisziplinär konstruktiv zu diskutieren und dazu beizutragen, dass auch Unbeteiligte aus diesen Fehlern oder auch aus Beinahe-Fehlern lernen können (21,22). Ein konstruktiver, kritischer Umgang mit Fehlern oder Beinahe-Fehlern kann darüber hinaus dazu beitragen eventuelle systematische Probleme zu detektieren und anzugehen. Hier sei beispielsweise der Umgang mit Gerätefehlern in der Anästhesie zu nennen (23). Neben der Einrichtung eines Fehlermeldesystems innerhalb einer Klinik kann auch die Nutzung von bundesweit eingerichteten Fehlermeldesystemen zu einem konstruktiven Umgang mit Fehlern beitragen. Dadurch kann quasi prophylaktisch aus Fehlern, die in 43

anderen Institutionen passiert sind, gelernt werden, um diese Fehler im eigenen Umfeld zu verhindern. Sofern die Fälle kommentiert werden, können aus den Lösungsansätzen Informationen für eine erhöhte Patientensicherheit gewonnen werden. Gleichzeitig können auch durch überregionale, bzw. bundesweite Fehlermeldesysteme eventuell bestehende systematische Probleme aufdecken und zu der Lösung beigetragen werden. Der Berufsverband Deutscher Anästhesisten (BDA), die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) und das ärztliche Zentrum für Qualität in der Medizin unterhalten derzeit gemeinsam ein bundesweites Meldesystem (www.cirs-ains.de), welches eine anonyme Erfassung und auch Analyse von sicherheitsrelevanten Ereignissen in allen Bereichen unseres Fachgebietes anbietet.

Morbiditäts- und Mortalitätsberichte in der Anästhesiologie Die „Helsinki Declaration on Patient Safety in Anesthesiology“ fordert weiterhin dazu auf, dass alle anästhesiologischen Abteilungen die verfügbaren Daten zur Patientenmorbidität und Mortalität erheben und jährlich darüber berichten sollten. Darüber hinaus sollten alle Anästhesieabteilungen in Europa in der Lage sein, einen jährlichen Bericht über die Maßnahmen und deren Ergebnisse zur Erhöhung der Patientensicherheit abzugeben (10). Allein aus der Aufstellung der Patientenmorbidität und -mortalität ergibt sich in der Schlussfolgerung die Frage, inwieweit klinik- bzw. krankenhausweite Maßnahmen getroffen werden können, um eine Reduktion der Morbidität und Mortalität zu erreichen. Selbiges gilt auch für den jährlich zu erstellenden Bericht zu Maßnahmen zur Erhöhung der Patientensicherheit. Beide Berichte können im Sinne eines PDCA-Zyklus (Plan-DoCheck-Act) zu einer entsprechenden Selbstreflexion führen und die Sicherheitsstandards in der Abteilung bzw. dem Krankenhaus erhöhen. Entsprechende Vordrucke für die Abteilungsberichte zur Patientensicherheit und zu Morbidität und Mortalität finden sich auf der Internetseite www.patientensicherheit-ains.de. Über die oben genannten Aspekte hinaus muss besonderer Wert auf die weitere Optimierung der Ausbildung in der Anästhesiologie gelegt werden (24). Dies umfasst nicht nur die Ausbildung zum Facharzt für Anästhesiologie, sondern sollte ein kontinuierliches Sicherheitstraining auch unter Hinzuziehung von regelmäßigem Simulatortraining beinhalten (25,26). Weiterhin muss erneut auf die Parallelnarkoseurteile des BGH verwiesen werden, welcher rechtliche Mindestanforderungen festgelegt und die Schlussfolgerung gezogen hat, dass Anästhesieverfahren „grundsätzlich nur von einem als Facharzt ausgebildeten Anästhesisten oder – bei entsprechend fortgeschrittenen Ausbildungsstand – zumindest unter dessen unmittelbarer Aufsicht von einem anderen Arzt vorgenommen werden darf, wobei Blick- und Rufkontakt zwischen beiden bestehen muss“ (27). Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Anästhesiologie heute als sehr sicher eingeschätzt werden kann. Jedoch kommen durch z.B. durch die demographische Entwicklung und auch zunehmenden ökonomischen Druck Entwicklung auf die Anästhesiologie zu, auf die entsprechend reagiert werden muss, um den derzeit sehr hohen Sicherheitsstandard nicht zu gefährden. Einige grundlegende Maßnahmen werden in der „Helsinki Declaration on Patient Safety in Anesthesiology“ gefordert. Darüber hinaus muss jedoch festgehalten werden, dass zu einer Aufrechterhaltung, bzw. Erhöhung der Patientensicherheit insbesondere auch sog. Soft-Skills wie eine adäquate Fehler- und Sicherheitskultur, flache Führungsstrukturen und intensive interdisziplinäre und interprofessionelle Kommunikation eine entscheidende Rolle spielen. Trotz des zunehmenden ökonomischen Druckes in allen Kliniken sollte die Qualität der Patientenversorgung einen deutlich höheren Stellenwert einnehmen als die Quantität. Auch diese Grundeinstellung kann einen relevanten Beitrag zur Patientensicherheit leisten. 44

Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17.

18. 19.

20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29.

Weiser TG, Regenbogen SE, Thompson KD, Haynes AB, Lipsitz SR, Berry WR, Gawande AA. An estimation of the global volume of surgery: a modelling strategy based on available data. Lancet 2008;372:13944. Kohn LT, Corrigan JM, Donaldson MS. To err is human. Building a safer health system. Washington D.C.: National Academy Press, 2000. Weiser TG, Semel ME, Simon AE, Lipsitz SR, Haynes AB, Funk LM, Berry WR, Gawande AA. In-hospital death following inpatient surgical procedures in the United States, 1996-2006. World journal of surgery 2011;35:1950-6. Gottschalk A, Van Aken H, Zenz M, Standl T. Is anesthesia dangerous? Deutsches Arzteblatt international 2011;108:469-74. Beecher HK, Todd DP. A study of the deaths associated with anesthesia and surgery: based on a study of 599, 548 anesthesias in ten institutions 1948-1952, inclusive. Annals of surgery 1954;140:2-35. Eichhorn JH. Prevention of intraoperative anesthesia accidents and related severe injury through safety monitoring. Anesthesiology 1989;70:572-7. Li G, Warner M, Lang BH, Huang L, Sun LS. Epidemiology of anesthesia-related mortality in the United States, 1999-2005. Anesthesiology 2009;110:759-65. Lienhart A, Auroy Y, Pequignot F, Benhamou D, Warszawski J, Bovet M, Jougla E. Survey of anesthesiarelated mortality in France. Anesthesiology 2006;105:1087-97. Arbous MS, Meursing AE, van Kleef JW, de Lange JJ, Spoormans HH, Touw P, Werner FM, Grobbee DE. Impact of anesthesia management characteristics on severe morbidity and mortality. Anesthesiology 2005;102:257-68; quiz 491-2. Mellin-Olsen J, Staender S, Whitaker DK, Smith AF. The Helsinki Declaration on Patient Safety in Anaesthesiology. Eur J Anaesthesiol 2010;27:592-7. Hardman JG, Moppett IK. To err is human. Br J Anaesth 2010;105:1-3. Haynes AB, Weiser TG, Berry WR, Lipsitz SR, Breizat AH, Dellinger EP, Herbosa T, Joseph S, Kibatala PL, Lapitan MC, Merry AF, Moorthy K, Reznick RK, Taylor B, Gawande AA. A surgical safety checklist to reduce morbidity and mortality in a global population. N Engl J Med 2009;360:491-9. Valentin A, Capuzzo M, Guidet B, Moreno R, Metnitz B, Bauer P, Metnitz P. Errors in administration of parenteral drugs in intensive care units: multinational prospective study. BMJ 2009;338:b814. Prien T. Empfehlung der DGAI zur farbigen Kennzeichnung von Spritzen. Anästh Intensivmed 2009:3334. Sybrecht GW. Empfehlungen zur Kennzeichnung von Spritzen in der Intensiv- und Notfallmedizin. Anästh Intensivmed 2010;51:371-4. World Alliance for Patient Safety. WHO guidelines for safe surgery. Geneva: World Health Organisation. 2008. Haynes AB, Weiser TG, Berry WR, Lipsitz SR, Breizat AH, Dellinger EP, Herbosa T, Joseph S, Kibatala PL, Lapitan MC, Merry AF, Moorthy K, Reznick RK, Taylor B, Gawande AA. A surgical safety checklist to reduce morbidity and mortality in a global population. The New England journal of medicine 2009;360:491-9. Weiser TG, Haynes AB, Dziekan G, Berry WR, Lipsitz SR, Gawande AA. Effect of a 19-item surgical safety checklist during urgent operations in a global patient population. Annals of surgery 2010;251:97680. Haynes AB, Weiser TG, Berry WR, Lipsitz SR, Breizat AH, Dellinger EP, Dziekan G, Herbosa T, Kibatala PL, Lapitan MC, Merry AF, Reznick RK, Taylor B, Vats A, Gawande AA. Changes in safety attitude and relationship to decreased postoperative morbidity and mortality following implementation of a checklistbased surgical safety intervention. BMJ quality & safety 2011;20:102-7. Conley DM, Singer SJ, Edmondson L, Berry WR, Gawande AA. Effective surgical safety checklist implementation. Journal of the American College of Surgeons 2011;212:873-9. Staender S. Incident reporting in anaesthesiology. Best practice & research Clinical anaesthesiology 2011;25:207-14. Mahajan RP. Critical incident reporting and learning. British journal of anaesthesia 2010;105:69-75. Cassidy CJ, Smith A, Arnot-Smith J. Critical incident reports concerning anaesthetic equipment: analysis of the UK National Reporting and Learning System (NRLS) data from 2006-2008*. Anaesthesia 2011;66:879-88. Staender SE. Patient safety in anesthesia. Minerva Anestesiol 2010;76:45-50. Cumin D, Weller JM, Henderson K, Merry AF. Standards for simulation in anaesthesia: creating confidence in the tools. Br J Anaesth 2010;105:45-51. Boulet JR, Murray DJ. Simulation-based assessment in anesthesiology: requirements for practical implementation. Anesthesiology 2010;112:1041-52. Münsteraner Erklärung: Gemeinsame Stellungnahme des BDA und der DGAI zur Parallelnarkose. . Anaesth Intensivmed 2005;46:32-4. Warner MA, Warner ME, Weber JG. Clinical significance of pulmonary aspiration during the perioperative period. Anesthesiology 1993;78:56-62. Dindelli M, La Rosa M, Rossi R, Di Nunno D, Piva L, Pagnoni B, Ferrari A. [Incidence and complications of the aspiration of gastric contents syndrome during cesarean section in general anesthesia]. Annali di ostetricia, ginecologia, medicina perinatale 1991;112:376-84.

45

30. Sebel PS, Bowdle TA, Ghoneim MM, Rampil IJ, Padilla RE, Gan TJ, Domino KB. The incidence of awareness during anesthesia: a multicenter United States study. Anesthesia and analgesia 2004;99:833-9, table of contents. 31. Randell T. Prediction of difficult intubation. Acta anaesthesiologica Scandinavica 1996;40:1016-23. 32. Popping DM, Zahn PK, Van Aken HK, Dasch B, Boche R, Pogatzki-Zahn EM. Effectiveness and safety of postoperative pain management: a survey of 18 925 consecutive patients between 1998 and 2006 (2nd revision): a database analysis of prospectively raised data. British journal of anaesthesia 2008;101:83240. 33. Moen V, Dahlgren N, Irestedt L. Severe neurological complications after central neuraxial blockades in Sweden 1990-1999. Anesthesiology 2004;101:950-9. 34. Brull R, McCartney CJ, Chan VW, El-Beheiry H. Neurological complications after regional anesthesia: contemporary estimates of risk. Anesthesia and analgesia 2007;104:965-74. 35. Volk T, Engelhardt L, Spies C, Steinfeldt T, Gruenewald D, Kutter B, Heller A, Werner C, Heid F, Burkle H, Gastmeier P, Wernecke KD, Koch T, Vicent O, Geiger P, Wulf H. [Incidence of infection from catheter procedures for regional anesthesia: first results from the network of DGAI and BDA]. Der Anaesthesist 2009;58:1107-12.

46

Suggest Documents