Ordnung durch Tinte und Feder? Genese und Wirkung von Instruktionen im zeitlichen Langsschnitt vom Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert

Herausgegeben -yon Anita Hipfinger, Josef Loffler, Jan Paul Niederkorn, Martin Scheutz, Thomas Winkelbauer, Jakob Wiihrer

Sonderdruck

2012 Bohlau Verlag Wien Oldenbourg Verlag Mlinchen

Einige kommentierende Bemerlrungen Von Stefan Brakensiek

Die Veranstalter der Tagung "Ordnung durch Tinte und Feder? Genese und Wirkung von Instruktionen im zeitlichen Langsschnitt" haben mich um einen Kommentar zu dieser aspekt- und ertragreichen Konferenz gebeten. Dem Auftrag komme ich gem nach und interpretiere ihn - mangels detaillierter Instruktion - recht frei. Meine Bemerkungen verstehen sich als Versuch, einige mir wesentlich erscheinende Aspekte der Tagung zusammenzutragen. Naturgemiill kann ich dabei weder dem empirischen Gehalt der einzelnen Beitrage geniigen, noch die unterschiedlichen Konzeptionen der Autorinnen und Autoren angemessen wiedergeben. Als Friihneuzeithistoriker konzentriere ich mich auf diese Epoche, was freilich auch dem Zuschnitt von Konferenz und Tagungsband entspricht. Auf Literaturangaben und Querverweise wird verzichtet.

Grundsatzliche

Bedeutung von Instruktionen

Innerhalb der friihneuzeitlichen Oberlieferung gehoren Instruktionen zu den weit verbreiteten Quellen. Sie entstanden iiberall dort, wo einzelne Personen oder Organisationen in schriftlicher Form bC';,auftragtwurden, im Namen eines Inhabers von Herrschaftsrechten titig zu werden. Das -... Aufkommen dieses Quellentyps im Spatmittelalter und seine massenhafte Verbreitung seit dem 16. Jahrhundert waren eng mit dem europaischen Staatsbildungsprozess verbunden. Dieser Prozess der Konzentration und der Steigerung der Staatsgewalt kam zwar in erster Linie den erblichen Fiirstentiimem zugute, erfasste aber auch Wahlmonarchien und Republiken. Man kann sogar feststellen, dass die der Staatsbildung teils vorgelagerten, teils inharenten Verschriftlichungs-, Biirokratisierungs- und Verrechtlichungsprozesse von der papstlichen Kurie und den Stadtrepubliken ausgingen, bevor sie die fiirstlichen Territorien erfassten. Die Tendenz, Anordnungen schriftlich zu verfassen und ihnen dadurch ein hoheres MaG an Eindeutigkeit, Verbindlichkeit und Dauerhaftigkeit zu verleihen, blieb jedoch keineswegs auf die entstehenden Staaten begrenzt, sondem breitete sich auch auf komplexe privatwirtschaftliche Organisationen aus, wie z.B. die Latifundien der Aristokratie, die global vernetzten Niederlassungen der Handelskompanien und das groBgewerbliche Berg- und Hiittenwesen.

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Begriffs bestirrunung Wie immer, wenn Historiker einen zeitgenossischen Quellenbegriff nutzen, um einen historischen Sachverhalt in systematischer Absicht zu bezeichnen, ergibt sich eine semantische Grauzone: Oftmals lasst sich die Sache in frUher, zeitgleich oder spater verfassten Quellen auch unter anderen Namen firiden. Alillerdem kann ein Begriff in seiner Epoche so verbreitet sein, dass er nicht nur eine einzige klar umgrenzte Bedeutung hat, sondern mehrere Phanomene bezeichnet. In diese Dilemmata gerat man auch mit dem Begriff "Instruktion". Verschriftlichte Delegationsauftrage gab es nicht nur in der frUhmodernen Epoche, sondern unter anderen Bezeichnungen bereits in karolingischer Zeit. Und auch nach der Epochenschwelle um 1800 blieben Instruktionen sehr verbreitet. In grofier Zahl findet man sie noch heutzutage, sowoW innerhalb von staatlichen als auch in privatwirtschaftlichen Administrationen. Bei der Untersuchung der friihneuzeitlichen Quellen wird deutlich, dass der Begriff "Instruktion" in dieser Epoche mehrerlei bedeuten konnte: 1. Eine Instruktion erhielten Gesandte, die im Auftrag eines Herrn (ofrmals, aber beileibe nicht immer eines souveranen Fiirsten) mit einem anderen Herrn Verhancllungen fuhrten, die hochst unterschieclliche Gegenstiinde berUhren konnten (Blindnisse, Beendigung eines Kriegszustandes, Kreditgeschafte u. v. m.). 2. "Instruktion" bezeichnete daruber hinaus die schriftliche Anweisung fur eine Person, die im Auftrag und im Namen eines Herrn fur eine bestimmte Frist oder dauerhaft ratig wurde, haufig an weiter entfernten Orten oder in komplexen Organisationen, die sich der alltaglichen Einflussnahme des Auftraggebers entzogen. 3. Auch Kommissionen wurden instruiert, wenn sie situativ oder auf Dauer mit bestimmten Kontrollaufgaben betraut wurden, in der Regel, um das Amtsgebaren von ihrerseits instruierten Amtstragern auf dessen Normkonformirat zu uberprufen. 4. ScWiefilich konnte "Instruktion" auch eine Sammlung von Normen bezeichnen, die fur einen Fiirstenhof, eine Behorde, ein Gericht oder ein Unternehmen galten. Diese zeitgenossische Verwendung von "Instruktion" erscheint mit als Forschungsbegriff entbehrlich, weil wir dafur auf das friihneuzeitliche Synonym "Ordnung" zuruckgreifen konnen. Freilich konnen zwischen den beiden Gattungen - Instruktionen und Ordnungen - zaWreiche intertextuelle Beziehungen festgestellt werden: Ordnungen wurden bisweilen aus gesarnmelten und systematisierten Instruktionen kompiliert; Instruktionen enthielten haufig Verweise auf Ordnungen als ganze oder auf einzelne darin enthaltene Artikel. Es bedarf demnach in jedem einzelnen Fall der genauen Bestimmung, was die Zeitgenossen unter einer Instruktion vers tanden. GleichwoW nahm der Begriff keineswegs derart weit variierende Bedeutungen an, dass er als Gattungsbegriff fur die historische Forschung untauglich ware. So gehorte das mit "Instruktion" Bezeichnete stets in den praskriptiv-normativen Bereich. Je nach ihrer Funktion konnte eine Instruktion formal unterschiecllich aufgebaut sein; die Untergliederung in Artikel ("punktiert" bzw. "paragraphiert") setzte sich jedoch allgemein durch.

Enige kommentierende Bemerkungen

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Funktionen Instruktionen delegierten Kompetenzen emes Auftraggebers an einen Beauftragten. Das bedeutet zugleich, dass em hierarchisches Gefålle zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer bestand: Hoher- oder Gleichrangige lieBen sich grundsiitzlich nicht mstruieren, Niederrangige, die tiber weitgehende Autonomie verfiigten, nur unter groBen Schwierigkeiten. Entsprechend betrafen Instruktionen vor allem Diplomaten und Angehorige von patrimonialen Herrschaftsverbiinden, wiihrend die Instruierung von Wahlbeamten und Stiindevertretern stets mit groBen Problemen behaftet blieb. Instruktionen kano man auch als Medien der Selbstbeschreibung und Selbstdarstellung von Organisationen mterpretieren. In jeder Instruktion wird der ihr zugrunde liegende Delegationsprozess sichtbar gemacht Insofern symbolisiert sie die Subordination des Instruierten unter den Willen des Instruierenden. Dadurch zeigt sich m einer Instruktion bereits auf den ersten Blick das Selbstverstiindnis des Normgebers, genaueres Hinsehen erschlieBt aber oft auch das Selbstverstiindnis der Gesamtorganisation. Instruktionen enthielten typischerweise mehr oder minder genaue Beschreibungen der tibertragenen Aufgaben. Hiiufig, aber nicht notwendigerweise wurde m Instruktionen eme Abgrenzung von Kompetenzen zu anderen, eventuell konkurrierenden Beauftragten vorgenommen. Durch eine Instruktion wurde ihr Empfånger nicht nur mit bestimmten sachlichen Auftriigen versehen, sondern auch an hancllungsleitende Normen gebunden. In der Regel wurde der Instruierte verpflichtet, unmittelbar nach Erledigung semes Auftrags oder m regelmiiBigen Abstiinden tiber sein Handeln Rechenschaft zu geben, d. h. Bericht zu erstatten und tiber die entstandenen Kosten Rechnung zu legen. Im administrativen Alltag waren Instruktionen tibrigens kaum priisent, ihre tiberragende Bedeutung erwies sich vor allem im Konfliktfall, wenn sie als Gruncllage fur die Beurteilung der Hancllungsweisen und Unterlassungen emes Beauftragten dienten. Mittelalterliche Instruktionen sollten tiberwiegend Probleme losen, die sich aus groBer riiumlicher Distanz ergaben. Wo immer Interaktion unter Anwesenden moglich war, griff man zu diesem - im Sinne des Worts - naheliegenden Vorgehen. Das Aufkommen von Instruktionen auch fur Personen, die sich m riiumlicher Niihe Zum Instruktionsgeber aufhielten, kano somit als Signatur der Neuzeit aufgefasst werden: Die seit dem 16. Jahrhundert immer hiiufiger erteilten Instruktionen fur Angehorige von HOfen und von zentralen Verwaltungsstiiben bilde ten einen wichtigen Teilaspekt der allgemein voranschreitenden Verschriftlichungs-, Verrechtlichungs- und BUrokratisierungsprozesse. Neben der Leistungsfåhigkeit von Instruktionen forderte die Tagung auch einige grundsiitzliche Probleme zutage. Wo immer flexible Reaktionen auf Situationen erforderlich waren, die sich rasch veriindern konnten - auf dem Schlachtfeld, m komplizierten, auf konkrete Ergebnisse zielenden diplomatischen Verhancllungen - stieBen allzu detaillierte Weisungen an Grenzen. Diese Schwierigkeiten und inneren Widerspriiche wurden teilweise m den Instruktionen selbst thematisiert: FUr den Fall, dass der Delegierte emem Artikel nur unter Inkaufnahme schwerer Nachteile fur den Auftraggeber folgen konnte, wurde er von der wortwortlichen Befolgung dispensiert Bei besonders heiklen Missionen, deren Ausgang wegen zahlreicher Unwiigbarkeiten vollig unsicher war, wurden Instruktionen sowieso nur mit allgememen Verhaltenserwartungen versehen, die dem Instruierten em flexibles, situationsadiiquates Handeln ermoglichten und zugleich abverlangten. Das galt auch fur Kommissionen, die sich im Auftrag eines FUrsten auf

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die Suche nach Kreditgebern machten. Solche Instruktionen sind meist recht allgemein gehalten und zeugen von einem Verhaltnis zwischen Normgeber und Normempfånger, das von Diskretion und grundsiitzlichem Vertrauen gepriigt war.

Offentlichkeit oder Geheimhaltung? Mehrere Tagungsbeitriige befassen sich mit der Frage, in welchen Fiillen Instruktionen geheim gehalten bzw. verOffentlicht wurden. Instruktionen von Amtstriigern weisen hiiung weite inhaltliche Oberschneidungen mit deren Bestallungsbriefen auf. Solche Bestallungen waren immer Offentlich, denn sie wiesen den Amtstriiger als vom Fiirsten legitimiert aus. Dagegen unterlagen Instruktionen von Amtstriigern zwar in der Regel keiner Geheimhaltung, aber auch keiner Publizitiit, geschweige denn einer Publikationspflicht. Die Untersuchung der vergleichsweise wenigen Fiille, in denen Amtstriiger eine Offentliche Bestallung und eine davon abweichende, geheime Instruktion erhielten, verspricht erhellende Befunde zur politischen Kultur in den Monarchien der Friihen Neuzeit. 1m Gesandtschaftswesen der Zeit waren solche doppelten Instruktionen dagegen ublich: Die schriftlichen Instruktionen von Diplomaten wurden recht allgemein und unverfånglich formuliert, da sie meist dem besuchten Hof ausgehiindigt wurden. Parallel dazu erhielten die Gesandten jedoch wesentlich detailliertere und recht unverbllimt formulierte Geheimanweisungen, deren besonders verfångliche Teile vorsichtshalber mlindlich erteilt wurden. Wie problematisch 6ffentliche Instruktionen wirken konnten, verdeutlicht das Beispiel der Reichstagskommissionen Maximilians 1., deren Verhandlungsspielraum wegen des stets drohenden Gesichtsverlusts ihres Auftraggebers derart eingeschriinkt war, dass die Ergebnislosigkeit der Verhandlungen vorprogrammiert erscheint. Entsprechend liegt die Vermutung nahe, das s der kaiserliche Hof absichtsvoll vorging: Die Kommissionen dienten wohllediglich dazu, den versamrnelten Reichsstiinden Offentlich Respekt zu zollen, ohne dass ernsthaft Verhandlungsl6sungen angestrebt wurden. Erst die pers6nliche Anwesenheit des Kaisers auf einem Reichstag schuf einen Handlungszwang fur alle Beteiligten, so dass Entscheidungen wahrscheinlicher und Kompromisse m6glich wurden. Gesetzt den Fall man strebt schnelle Probleml6sungen an, ist Interaktion unter Anwesenden wohl grundsiitzlich Formen delegierter Verhandlungsfuhrung uberlegen.

Kurz- und langfristige Wirkungen 1m Allgemeinen vertrauten die frlihneuzeitlichen Normgeber nicht darauf, dass Normativitiit als solche bereits die beabsichtigten Wirkungen zeitigen wiirde. Auffålligerweise enthalten die meisten Instruktionen nicht allein konkrete Anweisungen, was ihr Empfånger zu tun bzw. zu unterlassen habe, sondern auch Hinweise auf Sanktionen bei Nichtbefolgung von Normen sowie Generalklauseln, die grundsiitzliche Loyalitiit einfordern. Diese Klauseln weisen groBe Ahniichkeiten zu den entsprechenden Passagen in Bestallungsurkunden auf. Zum Teil handelt es sich um wortw6rtliche Obernahmen aus dem Lehnseid. Des Weiteren enthalten Instruktionen oftmals Paragraphen, die Haftungsfragen regeln.

Enige kommentierende Bemerkungen

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Offenbar waren sich die Zeitgenossen dariiber im Klaren, dass der Vereindeutigung von Instruktionen Grenzen gesetzt waren. Trotz dieser Skepsis waren Instruktionen bevorzugte Vehikel des administrativen Wandels. Wiihrend runfassende Ordnungen nicht stindig erneuert und an veranderte Gegebenheiten angepasst werden konnten, also als vergleichsweise trage Textgattung zu gelten haben, wurden Instruktionen von Fall zu Fall verandert. In der administrativen Praxis entwickelten sich niimlich immer wieder Routinen, die von den Ordnungsbestimmungen abwichen. Instruktionen waren geeignet, auf diese Abweichungen rasch zu reagieren: Entweder man bezeichnete diese als Missbrauche und belegte sie mit Sanktionen, oder man bezog den veranderten Usus fur die Zukunft normativ mit ein. Dadurch ergab sich eine standige, undramatisch verlaufende Verdichtung der in Instruktionen geregelten Sachverhalte. 1m Einzelfalllasst sich nachweisen, dass auch Normempfånger auf den Inhalt ihrer Instruktion Einfluss nahmen, run die Normen an einmal erkannte Notwendigkeiten anzupassen und sich vor spateren Anklagen und Regressforderungen zu schiitzen. Durch diese Prozesse einer Norm-Praxis-Norm-Riickkopplung dienten Instruktionen als kurzfristig wirksame, vergleichsweise flexible Steuerungswerkzeuge. Sie trugen zu einer systemadaquaten Verhaltensnormierung im Sinne eines weithin geteilten Verstindnisses guter Praxis bei. Im Umkehrschluss konnte man den steten Wandel von Instruktionen als Indiz fur die Anpassungsfåhigkeit einer Organisation interpretieren, wiihrend die Formulierung und Implementierung einer runfassenden Ordnung eher als Hinweis auf tiefgreifende Probleme der Organisation bis hin zu einer allgemeinen Vertrauenskrise zu sehen ware. Will man langfristige Wirkungen von Instruktionen benennen, tut sich eine auch in anderen historischen Zusammenhangen feststellbare Differenz auf zwischen iiberindividuellen Prozesskategorien (Biirokratisierung, Verrechtlichung, okzidentaler Rationalisierungsprozess o. A) und dem Wandel von konkreten Handlungsformen, der an einzelne Personen und deren individuelle Motivlagen gebunden war. Bestand innerhalb der friihrnodernen Fiirstenstaaten ein durchgehend wirksamer Zwang zur Biirokratisierung? Zweifel sind geboten, denn neben Phasen des Ausbaus biirokratischer Organisation lassen sich immer wieder auch Situationen erkennen, in denen man zu traditioneilen Formen herrschaftlicher Steuerung griff Man sollte sich vor Augen halten, dass zur Delegation von furstlichen Aufgaben an instruierte Amtstrager immer auch eine Alternative bestand: die "indireet rule" durch die nicht instruierbaren GroBen des Reichs, denen man das Regiment in den Regionen iiberlassen konnte. Die Frage, ob Instruktionen langfristig wirksame Disziplinierungsprozesse vorangetrieben haben, ist ebenfalls karun abschlieBend zu beantworten. Normgebung zeitigt nur dann dauerhafte Disziplinierungseffekte, wenn unter den davon betroffenen Personengruppen selbstreferentielle Prozesse ablaufen, wenn durch gegenseitige Uberwachung und kommunikative Setzung professioneller Standards ein Sozialisationsprozess in Gang gesetzt wird, der die Einhaltung bestimmter generalisierter Verhaltenserwartungen als selbstverstindlich erscheinen lasst. In einem so verstandenen Disziplinierungsprozess biirokratischer Stabe konnen Instruktionen als wichtige Elemente gelten. Gleichwohl miissen moglichst viele unterschiedlich geartete Quellen herangezogen werden, run so weit dimensionierte Probierne zu kliiren. Die Tagung hat jedoch gezeigt, das s auch die intensive Beschaftigung mit nur einer Quellengattung sehr fruchtbar sein kann, wurden durch den intertemporalen und interregionalen Vergleich doch historische Strukturen

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und Prozesse deutlich, die keinem der Konferenzteilnehmer sein diirften.

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vorher bekannt gewesen -