online-Untersuchungen der Gerinnungsverfahren von Milch

Chemie Ingenieur Technik 2008, 80, No. 8 DOI: 10.1002/cite.200800074 Gerinnungsverfahren 1125 Inline/online-Untersuchungen der Gerinnungsverfahren...
Author: Mathilde Franke
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Chemie Ingenieur Technik 2008, 80, No. 8

DOI: 10.1002/cite.200800074

Gerinnungsverfahren

1125

Inline/online-Untersuchungen der Gerinnungsverfahren von Milch Bernhard Senge* In memoriam H. G. Kessler (1932 – 1998) In der Lebensmittelindustrie ablaufende stoffwandelnde Prozesse bzw. Verfahrensschritte werden nur in wenigen Ausnahmen mit prozessbegleitenden Methoden verfolgt. Aus diesem Grunde wurden materialwissenschaftliche Untersuchungen zur Erfassung des Strukturierungsverlaufes für die Labkäse-, Frischkäse- und Sauermilchproduktion durchgeführt. Die Viskosität kann am Beispiel der Prozessviskosität in Abhängigkeit von der Zeit als objektive Messgröße zur Kontrolle des Produktionsprozesses herangezogen werden. Die Ergebnisse sollen dazu beitragen, den Kenntnisstand über die Milchgerinnung und die Bildung von Milchgelen zu erweitern, so dass die Herstellung von fermentierten Milchprodukten objektiviert bzw. verbessert werden kann. Der Einfluss verschiedener Gerinnungsparameter auf den Prozessviskositätsverlauf der in der Molkereitechnologie wichtigen Gerinnungsverfahren soll erfasst und bewertet werden. Untersuchungen zum Koagulationsverhalten der Caseine in Abhängigkeit von der Produktvorbehandlung, der Zusammensetzung und der Fermentationsführung werden aus milchwissenschaftlicher und strukturtheoretischer Sicht beschrieben. Schlagwörter: Gerinnungsverfahren, Lebensmitteltechnologie, Milch, Viskosität Eingegangen: 18. April 2008; Revision: 4. Juni 2008; akzeptiert: 16. Juni 2008

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Einleitung

Die Untersuchungen dienen der Optimierung der Labkäse-, Frischkäse- und Sauermilchproduktion und sollen ein tieferes Verständnis der biochemischen Veränderungen der Caseine und der Strukturierungsmechanismen der technologisch relevanten Milchgerinnungsverfahren liefern. Sie stellen die Verbindung milchprotein- und materialwissenschaftlicher Untersuchungen dar. Am Beispiel der Labkäseherstellung wird gezeigt, dass die chemisch-analytischen und strukturellen Veränderungen der Caseinmizellen im Verlauf der labinduzierten Gerinnung konform mit den Strukturierungsmechanismen an verkehrsfähigen Milchproben einhergehen. Die zugrunde liegende enzymatische Reaktion beruht auf molekularen Wechselwirkungen zwischen Lab und den Caseinmizellen in Milch und nachfolgend der Spaltung der labsensitiven Bindung (Phe105 Met106) im mizellär gebundenen j-Casein. Im Verlauf dieser Reaktion wird das extrem elektronegative glykosylierte Caseinmakropeptid (CMP) abgespalten und kontinuierlich in die Molke abgegeben [1 – 8]. Die inhärenten molekular-strukturellen Veränderungen der enzymatisch modifizierten Caseinmizellen

in Milch wurden mehrfach nachgewiesen, u. a. durch Trübungsmessungen [9, 10]. Kurz vor dem Abschluss dieser Reaktion verlieren die Mizellen ihre kolloidale Stabilität und die Milch beginnt zu gerinnen. Das GMP ist identisch mit den C-terminalen, teilweise hoch glykosylierten Sequenzen, die auf der Oberfläche von Caseinmizellen verteilt für die Stabilität natürlicher Mizellen im kolloidalen System von Milch zuständig sind. Für den weiteren Verlauf der Enzymreaktion ist die mizelläre Struktur nun so verändert, dass die labsensitiven Peptidbindungen im Inneren der Caseinmizellen gespalten werden können. Die betreffenden Sequenzen dieser j-Casein-Moleküle sind nicht glykosyliert und hydrophob [11 – 18]. Zum Mechanismus der kombinierten LabSäure-Gerinnung zur Herstellung von Speisequark wurde bisher nur sehr wenig berichtet. Für die Frischkäseherstellung als kombiniertes Gerinnungsverfahren wird erstmals durch die Anwendung rheologischer Messverfahren der bis zu 20-stündige Fermentationsverlauf kontinuierlich erfasst und in strukturrelevante Abschnitte unterteilt [19, 20]. Zur Herstellung von Magerquark kann z. B. das Thermoquarkverfahren genutzt werden. Generelle Hinweise zur Technologieführung werden in [5] gegeben.

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Die chemischanalytischen und strukturellen Veränderungen der Caseinmizellen im Verlauf der labinduzierten Gerinnung gehen konform mit den Strukturierungsmechanismen an verkehrsfähigen Milchproben.

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Forschungsarbeiten

Für die Frischkäseherstellung als kombiniertes Gerinnungsverfahren wird durch die Anwendung rheologischer Messverfahren der bis zu 20-stündige Fermentationsverlauf kontinuierlich erfasst und in strukturrelevante Abschnitte unterteilt.

Der Unterschied zwischen traditionellem Quark nach dem Separatorenverfahren und Thermoquark liegt im Wesentlichen in der Temperaturführung der Kesselmilch.

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Der Unterschied zwischen traditionellem Quark nach dem Separatorenverfahren und Thermoquark liegt im Wesentlichen in der Temperaturführung der Kesselmilch. Durch die intensivere Wärmebehandlung werden die Molkenproteine auf die Caseine kopräzipitiert, so dass sie der menschlichen Ernährung nicht verloren gehen, insbesondere b-Lactoglobulin. Joghurt ist das verbreitetste gesäuerte Milchprodukt [21]. Über saure Milcherzeugnisse und Joghurt existiert ein umfangreiches Schrifttum; vor allem sei auf die Veröffentlichungen von [5, 22 – 30] hingewiesen. Am Beispiel der Milchsäuregerinnung bei der Joghurtherstellung werden konventionelle Fermentationen mit den heute üblichen höheren Molkenproteinkonzentrationen verglichen und ein spezifisches Strukturierungsverhalten in Abhängigkeit von der Funktionalität der eingesetzten Molkenproteine ermittelt. Die internen milieubedingten Wechselwirkungen wie Säuerungsverlauf und Gerinnungsverlauf in Abhängigkeit von der Zeit werden inline/online erfasst, ebenso die ablaufenden Strukturierungsprozesse zur Kennzeichnung der StrukturEigenschaftsbeziehung, was gleichzeitig auch als Qualitätskriterium für die eingesetzten Molkenproteine genutzt werden kann. Die Unterschiede der klassischen Verfahrensweise werden im Vergleich zum forcierten Einsatz von Molkenproteinen (hier Pulvereinsatz) in der Sauermilchproduktion ermittelt und kritisch bewertet. Korrelationen zur zeitlichen Abgrenzung der Phasen bezüglich des pH-Verlaufes, der Strukturierungsmechanismen im Verlauf der Gelbildung bzw. Angaben zur Strukturkinetik werden ermittelt.

2

Material und Methoden

2.1 Material 2.1.1 Labkäseuntersuchungen

Anhand der kinetischen Untersuchungen lässt sich erkennen, dass die Freisetzung von Glycomakropeptid (GMP) unmittelbar nach der Labzugabe beginnt.

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Labkäseuntersuchungen: Rohmilch als Sammelmilch von ca. 120 Milchkühen, Entfettung und pH-Justierung bei < 6 °C durch Zugabe von Glucono-D-lacton (8 %) angesäuert. Für die chemischen und rheologischen Untersuchungen wird der Ca2+-Gehalt in den Milchproben um 2 mmol mit CaCl2 erhöht, um entstandene Defizite durch Kühlung und Zentrifugation der Rohmilch wieder auszugleichen. Labenzym: flüssiges Labprodukt CHYMAXTM Plus (Chr. Hansen DK 2970 Harsholm angegebene Labstärke: 9000 U, bestimmte Labstärke mit rekonst. „low-heat“ – Milchpulver (NIZO): 8475 U; eingesetztes Enzym/Substrat-Verhältnis (E/S in mL/mL) 0,02.

2.1.2 Frischkäseuntersuchungen Für die rheologischen Untersuchungen wurden prinzipiell Originalsubstrate vor Ort in Molkereien vermessen. 2.1.3 Joghurtuntersuchungen Das Probenmaterial (Milch bzw. fermentierte Produkte aus den Produktionsabschnitten) wird prinzipiell frisch aus der laufenden Produktion entnommen und unmittelbar durch konventionelle Laboranalytik der Molkerei vermessen.

2.2 Methoden/Messsysteme 2.2.1 Spektrophotometrische Analyse von CMP und GMP nach Vorschrift von [1] – Rheologische Messungen Rheometer-System PHYSICA-RHEOSWING® RSD 1-1 (Physica Messtechnik GmbH Stuttgart). Mit diesem Torsionsschwinger kann der Strukturierungsvorgang von der fluiden Ausgangsmilch bis hin zur viskoelastischen Caseingallerte sowohl als Labor- als auch Prozessmesssystem verfolgt werden. Durch eine Amplitude im nm-Bereich mit vernachlässigbarem Energieeintrag kann die native Strukturierung der Caseine zerstörungsfrei Inline/ online erfasst werden. [18, 19, 31]

3

CMP-GMP-Umwandlungskinetik und Strukturierungsverlauf Labkäse

Zur Bestimmung von glykosyliertem und nicht-glykosyliertem Caseinmakropeptid wird auf ein kinetisches Modell der Makropeptidanalyse zurückgegriffen, wie es von Lieske et al. [1] publiziert worden ist. Dadurch lässt sich der Gehalt an Caseinmakropeptid sowie dessen glykosylierten Varianten in Abhängigkeit von der Zeit bestimmen. In Abb. 1 ist der ermittelte zeitliche Verlauf der Abspaltung von CMP und Glycomakropeptid (GMP) einer verkehrsfähigen Rohmilch exemplarisch am Beispiel der Charge 8 enthalten. Anhand der kinetischen Untersuchungen lässt sich erkennen, dass die Freisetzung von GMP unmittelbar nach der Labzugabe beginnt. Die zeitgleich durchgeführten rheologischen Messungen zeigen, dass die Viskosität bis zur 6. Minute leicht abfällt, was mit dem Verlust der Hydrathülle der Mizellen erklärt werden kann. Diese resultiert aus der bereits begonnenen Abspaltung des GMPs, welches als „Härchen“ ins

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Gerinnungsverfahren

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Kinetik der CMP - GMP Umwandlung einer Rohmilch Absorption bei 217nm

Serum ragt. Die Folge ist eine Mizellenverkleinerung, welche zu einer geringeren Viskosität führt. Bis zur 6. Minute werden am Beispiel dieses Versuches 51,4 % des glykosylierten Makropeptids enzymatisch freigesetzt. 20 Minuten nach der Labzugabe beginnt die visuell bestimmte Gerinnung (in Grafik durch Pfeil angedeutet). Zu diesem Zeitpunkt sind bereits 98,8 % des GMPs freigesetzt. Auffällig ist, dass zwischen der 25. und 35. Minute ein Knick in der Kurve des CMPs auftritt, der ebenfalls konform mit einer Erhöhung des Viskositätslevels einhergeht. Da der Gehalt an Makropeptid nicht abnehmen kann, ist dieses Phänomen auf strukturelle Umwandlungen zurückführbar. Ist das GMP vollständig freigesetzt, ist die Gelbildung dominanter Strukturierungsmechanismus. Dadurch wird die analytische Verfügbarkeit schlagartig verändert und man findet zunächst weniger Makropeptid vor. Der Gehalt an CMP steigt bis zur 15. Minute linear an. In dieser Zeit werden 88,4 % des glykosylierten Makropeptids freigesetzt. Danach flacht die Kurve etwas ab, da der Großteil des GMPs bereits abgespalten wurde. Zwischen

0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0 1,5

3

6

10

15

20

25

30

35

40

50

60

70

Zeit in min

CMP

GMP

Abbildung 1. Freisetzung von Caseinmakropeptid (CMP) und dessen glykosylierten Anteil (GMP).

der 20. und 25. Minute ist die Freisetzung des GMPs bereits beendet. Danach wird nur noch der nicht-glykosylierte Teil des Caseinmakropeptids abgespalten, woraus ein flacherer Kurvenanstieg resultiert. Die aus den zeitlichen Mittelwerten von 52 eingehenden Einzelmesswerten pro Minute ermittelten Prozessviskositätsverläufe der exemplarisch dargestellten Milchchargen 6, 7, 8

Gerinnung verkehrsfähiger Milch 60

1

mPa·s 55

0,9

50 0,8 45 0,7 40 0,6

35

30

0,5

η 25

0,4

20 0,3 15 0,2 10 0,1

5

0

0 0

20

40

60

80

100

120

140

160

180

200

220

240

min 260

Zeit t

VM30.10./01.11. 1

η

VM23.10./24.10. 1

η

VM 06.11./ 07.11.05 1

η

Abbildung 2. Prozessviskositätsverlauf Chargen 6, 7, 8 über der Zeit.

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Forschungsarbeiten

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30 Prozeßviskosität (mPas)

1128

I

II

III

IV

V

25 20

P rim ä rp h a s e T e rtiä rp h a s e

15 S e k u n d ä rp h a s e 10 5 0

Abbildung 3. Schematisierte Darstellung der labinduzierten Gerinnung.

Aufgrund des angewandten rheologischen Messverfahrens können die aus milchwissenschaftlicher Sicht definierten drei Bereiche auf fünf Abschnitte erweitert werden.

Da rheologische Messungen mit speziell eingestellten Torsionsschwingern (Oszillationsmessungen) aufgrund der Messvorgabe zerstörungsfrei messen, kann der Strukturaufbau nativ ermittelt werden.

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0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

110

120

130

Z e it (m in )

sind in Abb. 2 dargestellt. Aus wissenschaftlicher Sicht erfolgt eine Untersuchung über den Einschneidezeitpunkt (denkbar 25 min nach Einlabung) hinaus. Zu erkennen ist die für Milchgerinnungsprozesse (außer kombinierte Lab-Säuregerinnung) typische sigmoide Kurvenform mit dem kontinuierlichen Übergang von der fluiden Milch über Strukturviskosität (Flockulation) zur Ausbildung der viskoelastischen Gallerte. Am Beispiel dieser weit über den Einschneidezeitpunkt hinaus geführten Messung soll exemplarisch eine Strukturdiskussion durchgeführt werden. Dabei wird der Zeitbereich bis zur 60. Minute untersucht und bewertet. Ein Trend zur Synärese ist im grünen Kurvenverlauf erkennbar. Die einzelnen Phasen der Labgerinnung nach Flüeler [32] sind im Kurvenverlauf in Abb. 3 schematisch zugeordnet. Aufgrund des angewandten rheologischen Messverfahrens können die aus milchwissenschaftlicher Sicht [32] definierten drei Bereiche auf fünf Abschnitte erweitert werden. Weiter erlaubt diese Unterteilung eine differenzierte materialwissenschaftliche Betrachtung der jeweilig ablaufenden Strukturierungsmechanismen. Da rheologische Messungen mit speziell eingestellten Torsionsschwingern (Oszillationsmessungen) aufgrund der Messvorgabe zerstörungsfrei messen, kann der Strukturaufbau nativ ermittelt werden. Das Messverfahren ist damit ein analytisches Fenster zur Ermittlung der auf molekularer Ebene ablaufenden Prozesse. Der Einfluss der eingehenden technologischen Parameter kann durch eine Kurvendiskussion (pH, Ca2+, Kultur, Fettgehalt, Temperatur) ermittelt werden. Ebenso kann die Gerinnungstauglichkeit/Labfähigkeit der Milch schnell aus dem Kurvenverlauf erkannt werden [18, 19, 30, 33]. Dabei stellen die eingeführten Abschnitte (römische Zahlen) folgende Strukturzustände dar: 1. Strukturlosigkeit, Newton-Verhalten der eingesetzten Milch

2. Strukturviskosität: nicht-Newtonische strukturviskose Flüssigkeit mit vorliegenden Ketten 3. Viskoelastizität: Abschnitt mit konstanter Gelbildungsgeschwindigkeit 4. Viskoelastizität: sigmoider Verlauf der Gelbildungsgeschwindigkeit 5. Viskoelastizität: Synärese (für die Käsereitechnologie relevant: Abschnitte 1 bis 3) Abschnitt 1 kennzeichnet dabei die reine Primärphase. Die Abschnitte 2 und 3 beinhalten die Sekundärphase der Labgerinnung nach [32]. Anhand der rheologischen Messungen und der damit möglichen Differenzierungen können die Primärphase und die Sekundärphase in drei strukturbildungsrelevante Abschnitte unterteilt werden.

3.1 Abschnitt Der erste Abschnitt beginnt unmittelbar nach der Zugabe des Gerinnungsenzyms und endet im absoluten Viskositätsminimum, es finden die wesentlichen j-Casein-Umwandlungen als Startreaktion der Gerinnung statt. Aus diesem Grunde wird der Verlauf der Viskosität in diesem Abschnitt vergrößert im Zeitbereich bis 12 min in Abb. 4 dargestellt. Wie aus Abb. 4 erkennbar ist, wird bis zur 10. Minute ein minimaler Viskositätsabfall ermittelt. Etwa ab der 4. bis zur 10. Minute liegt ein ausgeprägtes flaches Minimum der Viskositätskurve mit einer Bruttoviskositätsänderung → 0 vor. Abschnitt 1 endet bei ca. 60 % der visuellen Gerinnungszeit durch den Verlust der äußeren Hydrathülle in Verbindung mit der enzymatischen Freisetzung von GMP. Bestätigt wird die Verkleinerung der Mizelle durch Verlust der Hydrathülle und des GMP als Startreaktion der Gerinnung. Die hier vorgestellten zeitlichen Relationen im Mikrobereich korrespondieren mit den Ergebnissen der biochemischen Untersuchungen.

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Gerinnungsverfahren

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Gerinnung verkehrsfähiger Milch 1,5

1

mPa·s 1,48 0,9 1,46 1,44

0,8

1,42 0,7 1,4 1,38

0,6

1,36 0,5 η

1,34 1,32

0,4

1,3 0,3 1,28 1,26

0,2

1,24 0,1 1,22 1,2

0 0

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

min

12

Zeit t

VM30.10./01.11. 1

η

VM23.10./24.10. 1

η

VM 06.11./ 07.11.05 1

η

Abbildung 4. Prozessviskositätsverlauf im Abschnitt 1.

3.2 Abschnitt In Abb. 5 ist die aus Abb. 2 vergrößerte Kurve für den Zeitbereich des 2. Abschnittes im Bereich von der 12. bis zur 26. Minute dargestellt. Wie die Analyse des Viskositätsverlaufes ergibt, muss dieser Abschnitt als entscheidend für die Strukturveränderungen bei der labinduzierten Gerinnung angesehen werden. Aus diesem Grunde erfolgt eine Differenzierung in die Unterabschnitte 2.1 (12. bis 16. min), 2.2 (16. bis 22. min) und 2.3 (22. bis 26. min). Die Unterabschnitte 2.1 und 2.3 können mit guter Näherung durch eine Geradenfunktion; Unterabschnitt 2.2 durch eine Exponentialfunktion beschrieben werden. Unterabschnitt 2.1. beginnt mit einem Viskositätsminimum und endet zum Zeitpunkt der kritischen Hydrolyse, d. h. ersten molekularen Interaktionen und Anlagerungen zwischen den Caseinmizellen. Bis zum Ende dieses Abschnitts (80 % vGZ) liegen die Mizellen gleich verteilt ohne Strukturierung vor, d. h. es besteht kaum Kontakt untereinander. Der Anteil an Viskositätsänderung (geringer Anstieg)

im Abschnitt 2.1 ist minimal und liegt gering oberhalb des Levels des 1. Abschnittes. Der Viskositätsverlauf im Abschnitt 2.2. erscheint als eindeutig nichtlineare Funktion und kennzeichnet den Übergang im Strukturierungsverhalten, jetzt Kettenbildung. Ab der 16. Minute findet ein nichtlinearer Anstieg der Messkurve bis zur 22. Minute als Unterabschnittsgrenze statt. Unterabschnitt 2.2. beschreibt den kontinuierlichen Übergang aus der enzymatischen in die Flockulationsphase, also von 80 % (16. Minute) der vGZ bis zu 100 % (20. Minute) der vGZ. Die rheologischen Untersuchungen verlaufen mit den beschriebenen biochemischen Untersuchungen zeitlich konform. Erst wenn ein Anteil von mindestens 88,4 % (15. Minute) GMP abgespalten ist, findet die Flockulation statt, wodurch ab jetzt stetige Viskositätsänderungen verursacht werden. In diesem Unterabschnitt dominiert die Kettenbildung bis etwa zu einer Viskosität von 2,2 mPas in der 22. Minute nach Labzugabe. Eine weitere Kettenausbildung der Mizellen auf eine kritische Kettenlänge und kritische Kettenkonzentration wird im Unterab-

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Forschungsarbeiten

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Gerinnung verkehrsfähiger Milch 1 4,4 mPa·s

0,9

4 0,8

3,8 3,6

0,7 3,4 3,2

0,6

3

η

0,5

2,8 2,6

0,4 2,4 2,2

0,3

2 0,2

1,8 1,6

0,1 1,4 1,2

0 12

13

14

15

16

17

18

19

20

21

22

23

24

min 26

25

Zeit t

VM30.10./01.11. 1

η

VM23.10./24.10. 1

η

VM 06.11./ 07.11.05 1

η

Abbildung 5. Viskositätsverlauf im 2. Abschnitt.

schnitt 2.3 gefunden. Dieser Abschnitt liegt in etwa im Bereich 100 bis 130 % der vGZ. Der Prozessviskositätsverlauf in Abhängigkeit von der Zeit gestaltet sich im Unterabschnitt als eine Geradenfunktion und induziert andere Strukturbildungsmechanismen am Beispiel der Prozessviskosität, da oberhalb einer kritischen Kettenlänge und Kettenkonzentration die Ausbildung eines räumlichen Netzwerkes in Form der Gallerte/Dickete stattfindet. Die Wärme- und Stofftransportmechanismen werden durch den Strukturierungszustand bestimmt. Liegen im Abschnitt 1 sowie Unterabschnitt 2.1 noch freie Konvektion sowie ungehinderte Brownsche Molekularbewegung vor, können im Unterabschnitt 2.3 sowie im Abschnitt 3 nur noch Diffusionsprozesse Stofftransport zur Ausbildung eines geordneten Zustandes der Caseinketten zum räumlichen Netzwerk ermöglichen. Dem Unterabschnitt 2.2 wird eine eingeschränkte Konvektion in einer nicht-Newtonschen strukturviskosen Flüssigkeit zugeordnet. Die im Abschnitt 2 stattfindende Kettenbildung oder nichträumliche Vorstrukturierung ist anhand dieser Untersuchungen vom Zeitbedarf

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her der zweite geschwindigkeitsbestimmende Schritt des Labgerinnungsvorganges.

3.3 Abschnitt Die räumliche Ausbildung des Caseinnetzwerkes (Gallerte) erfolgt mit Beginn des 3. Abschnitts im Bereich > 130 % der vGZ. Hier verfestigt sich das Netzwerk aufgrund sich ausbildender Calciumbrückenbindungen. Dieser Bereich ist für die Käsereitechnologie von besonderer Bedeutung, weil hier das Einschneiden durchgeführt wird. In Abbildung 6 ist der Abschnitt 3 des Gerinnungsvorganges dargestellt, der sich als Geradenverlauf abbildet. Tab. 1 zeigt eine Zusammenstellung der Viskositäts-Zeit-Relation der Strukturbildung. Wie aus Tab. 1 ersichtlich, liegt im Abschnitt 2 der größte Zeitbedarf vor. Die eigentliche Strukturausbildung zum Labgel findet im Abschnitt 3 mit einer konstanten Strukturbildungsgeschwindigkeit statt. Das Messgerät RHEOSWING® RSD 1-1 konnte erfolgreich zur Verfolgung der Dick-

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Gerinnungsverfahren

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Gerinnung verkehrsfähiger Milch 4,4

24 mPa·s

4,2 22 4 20 3,8 18 3,6 16 3,4 η

14

3,2

12

3

10

2,8

2,6

8

2,4 6 2,2 4 25

30

35

40

45

50

55

min

60

Zeit t

η

VM30.10./01.11. 1

VM23.10./24.10. 1

η

VM 06.11./ 07.11.05 1

η

Abbildung 6. Viskositätsverlauf im 3. Abschnitt.

legung während der Weichkäseherstellung im kontinuierlich arbeitenden Alpma-Koagulator, im quasikontinuierlichen Karussellbetrieb sowie in Käsefertigern eingesetzt werden.

4

Fermentationsuntersuchungen Frischkäse

Den Verlauf der Prozessviskositätskurve einer kombinierten Lab-Säure-Gerinnung zeigt Abb. 7. In diesem Kurvenverlauf treten infolge Strukturumbau während der Fermentation ein relatives Maximum und ein relatives Mini-

mum auf. In Abhängigkeit vom Prozessviskositätsverlauf kann eine Einteilung in sechs Abschnitte vorgenommen werden, denen die während der Lab- und Säuregerinnung ablaufenden Vorgänge aus milchwissenschaftlicher Sicht zugeordnet werden können. 1. Adaption der Kultur und Säuerung bis zum Einlabungs-pH-Wert 2. Primärphase der Labgerinnung (enzymatische Hydrolyse der Phe105 – Met106-Peptidbindung des j-Caseins) 3. Einsetzen Sekundärphase der Labgerinnung (Flockulation und Gelbildung)

Abschnitt Zeit min

Zeitdifferenz min

Viskosität mPas

Viskositätsdifferenz in Strukturierungszustand mPas

1

12

12

1,3

→0

Fluide Milch/Newton

2

26

14

4,2

2,9

Strukturviskosität als Übergangsbereich zwischen 1 und 3

2.1

16

4

1,3

→0

Fluide Milch/Newton

2.2

22

6

2,2

0,9

Strukturviskosität-Ketten

2.3

26

4

4,2

2,0

viskoelastische Gallerte

3

60

34

23,5

19,3

viskoelastische Gallerte

Tabelle 1. Viskositäts- und Zeitrelationen für Abschnitte der labinduzierten Gerinnung.

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Forschungsarbeiten

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4. Demineralisierung und Zerfall der Caseinmicellen, Umbau der Gelstruktur 5. Dominanz der Säurewirkung. Säuregerinnung, Bildung des endgültigen Lab-SäureGels 6. Synärese in Form von Mikrosynärese und im weiteren Verlauf Makrosynärese Das relative Minimum resultiert aus der Überlagerung der beiden Gerinnungsmechanismen: Auf der einen Seite erfolgt eine Erhöhung aufgrund der Labgerinnung und andererseits eine Erniedrigung aufgrund der mit der Säuerung verbundenen Demineralisierung der Mizellen infolge Ca2+-Dissoziation. Dieses Phänomen führt zu einer vorübergehenden Schwächung der Bindungsverhältnisse, deren Ursache in der Demineralisierung des sich bildenden Labgels zu finden ist. Der vorübergehende Festigkeitsverlust wird im weiteren Fermentationsverlauf wieder ausgeglichen. Der Viskositätsverlauf kann beispielsweise durch die Labkonzentration, die Wärmebehandlung der Milch oder den pH-Wert zum Zeitpunkt des Einlabens beeinflusst werden. Untersuchungen zum Einfluss der Wärmebehandlung der Milch, der Labkonzentration, zum Zeitpunkt der Labzugabe liegen vor und wurden materialwissenschaftlich ausgewertet. In Abb. 8 wird der Einfluss der thermischen Behandlung bzw. des Mischungsverhältnisses zwischen erwärmter Milch für das Seperatoren- bzw. Thermoquarkverfahren dargestellt. Von technologischer Bedeutung ist der Nachweis des veränderten Strukturverhaltens der Temperaturbehandlung der Prozessmilch. Eindeutig ist infolge Kopräzipitation der Mol-

kenproteine insbesondere des ß-Lactoglobulins die festere Gelstruktur erkennbar, die in Form der durch das Processing entstehenden Mikrogelpartikeldispersion bestehen bleibt. Umfangreiche weitere Untersuchungen sind in [19, 20] enthalten.

5

Fermentationsuntersuchungen Joghurt

Die Qualität von Joghurt ist mit der regulär verlaufenden Säuregerinnung und der Gallertebildung eng verbunden. Unter Säuregerinnung versteht man vereinfacht die isoelektrische Fällung des Caseins als Folge der Anlagerung von H-Ionen und die Abspaltung von caseingebundenem Calcium [5, 24]. Die Caseinmizellen verlieren dabei ihre Hydrathüllen, werden unlöslich und fallen aus. Während der Säuerung von Milch erfahren viele physikochemische Eigenschaften der Caseinmizellen beträchtliche Veränderungen, besonders im pH-Bereich 5,5 – 5,0. Nachstehend sind die pH-abhängigen Veränderungen der Caseinmizellen angeführt: Dissoziation des Calciumphosphats, Auswandern der Caseine, Änderung der Voluminosität und der Solvatation. Änderung der Oberflächenladung und des Zeta-Potenzials [22 – 28]. Die Strukturbildung von Milchproteinen während der Säuregerinnung wird im Allgemeinen als ein 4-Phasen-Prozess mit Induktionsphase, Flockulationsphase, Gelbildungsphase und nach Abschluss der Strukturbildung mit beginnender Synäresephase beschrieben [24].

60

6, 0

5, 5

40

pH-Wert

Synärese

Säurewirkung

80

Zerfall der Caseine

1 00

6, 5

Demineralisierung und

Primärphase der Labgerinnung

Adaption der Kultur

1 40

1 20

Sekundärphase der Labgerinnung

1 60

Prozeßviskosität in mPas

1132

5, 0

20

0 0

100

20 0

300

40 0

500

6 00

70 0

8 00

90 0

10 0 0

1100

1 20 0

4, 5 13 0 0

P r o ze ß z e it in m in Abbildung 7. Prozessviskositäts- und pH-Verlauf während der kombinierten Lab-Säure-Gerinnung.

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Gerinnungsverfahren

Chemie Ingenieur Technik 2008, 80, No. 8

M is chung sve rhältnis 74 ºC : 86 ºC 0 :1

160

1 :1

140

6 ,5

120

3 :1

100

6 ,0 1 :0

80

5 ,5

60 40

pH-Wert

Prozeßviskosität in mPas

7 ,0

5 ,0

20 0 3 00

4 00

5 00

600

700

80 0

90 0

1000

4 ,5 1100

Abbildung 8. Einfluss der Wärmebehandlung auf die kombinierte Lab-SäureGerinnung.

Z eit in m in

Zum generellen Strukturierungsverhalten durch Oszillationsmessungen liegt eine Vielzahl von Untersuchungen vor. In der Regel werden infolge des Messvorganges mit konventionellen Oszillationsrheometern bei Phasenänderung keine nativen Strukturen vermessen, weil die Parameter der Messanstellung für die Erfassung der Gelstruktur gesetzt sind. Der Einsatz von Torsionsschwingern umgeht diese Schwachstelle und liefert unter Produktionsbedingungen stabile Ergebnisse. Fermentationen des Produktes Joghurt, cremig 1,5 % Fett (Langzeitversuch (Doppelbestimmung)) wurden bis zu 20 Stunden Inline/ online untersucht. Übergangslos kann die Messung von der Newtonflüssigkeit Milch über Strukturviskosität bis zur komplexen Viskosität des Milchsäuregels begleitet werden (Abb. 9). Von großer Bedeutung für die Technologieführung und den Effekt der Fermentation sind

180,0

t0 t1

t2

t420

t3

die erreichten Level der komplexen Viskosität in Abhängigkeit von der Fermentationszeit und der eingehenden Parameter (Milchvorbehandlung, Eiweißzugabe, Kultureinsatz, pHVerlauf, Temperaturführung). Im Durchschnitt werden am Beispiel des Produktes Joghurt, cremig, 150 mPas Prozessviskosität innerhalb der betrieblichen Fermentationszeit erreicht. Das Ereignisfeld toleriert im Bereich ± 10 mPas. Nach der betrieblich vorgegebenen Fermentationszeit von 420 Minuten ist das Anwachsen der Gallertefestigkeit nur noch unbedeutend und macht ca. 10 % aus. Abb. 9 zeigt eine klassische Milchsäurefermentation mit ca. 12 % Molkenproteinanteil in der Prozessmilch nach Eiweißstandardisierung. Die Säuerungs- und die Viskositätskurven zeigen einen typischen Fermentationsverlauf für den Einsatz einer Mischkultur (YM4 und Biogarde®) bei der Joghurtherstellung.

7,0

t600

160,0

6,5 Viscosity 6,0

120,0 5,5 100,0 5,0

pH

Viscosity [mPas]

140,0

pH

80,0

4,5

60,0

4,0

40,0

3,5

20,0 0,0 0

100

200

300

400

500

600

700

800

900

1000

1100

3,0 1200

Time [min]

Abbildung 9. Prozessviskositäts- und pH-Verlauf Joghurt cremig 38 °C.

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Forschungsarbeiten

Chemie Ingenieur Technik 2008, 80, No. 8

Die Unterteilung des Viskositäts- und Säuerungsverlaufes in vier Abschnitte ermöglicht differenzierte Aussagen zu Wechselwirkungen der mikrobiellen Aktivität (Säuerung) und Strukturbildungsgeschwindigkeit – und den ablaufenden Strukturierungsmechanismen. Eine Analyse des Fermentationsprozesses in den genannten Abschnitten geschieht durch eine Differenzbildung der sich zeitlich ändernden Viskositätswerte in Abb. 9 als Sprungfunktion (Übergang der abfallenden Geradenfunktion in eine Exponentialfunktion anhand von 14 Versuchen). Tab. 2 enthält die Zeit-, Viskositäts- und pHRelationen sowie Angaben zum Strukturierungszustand einer konventionellen Fermentation. Eindeutig tritt die Strukturbildung erst nach erfolgter Säuerung ein. Die Zeitkorrelation der Phasen ermöglicht eine komplexe Bewertung des Fermentationsvorganges. (Abschnitt 5 und 6 wurden aus wissenschaftlichem Interesse untersucht) Die Korrelation von Säuerungsverlauf und Gelierungsverlauf wurde in dieser Form noch nicht beschrieben. Aus Tab. 2 kann man den spiegelbildlichen Zusammenhang zwischen vorherlaufender Säuerung und als Resultat die Gelbildung als Entladungsreaktion der Caseine erkennen. Beim Einsatz von Molkenproteinen zur Trockenmasseerhöhung muss in Abhängigkeit vom Casein-Molkenproteinverhältnis mit strukturellen Besonderheiten gerechnet werden. Die Ursachen liegen in der Funktionalität der eingesetzten Molkenproteine. Insbesondere das Herstellungsverfahren der WPC 65- oder WPC 35-Pulver bedingt eine durch die angewandten thermischen Verfahren bei der Eindampfung der Molke induzierte Veränderung der Funktionalität der WPC. Auch sind Grenzwerte der b-Lactoglobulinbeladung auf das Casein bekannt. Da Molkenproteine keine Strukturbildner im eigentlichen Sinne darstellen, findet prinzipiell der Gelaufbau auf einem geringeren Level der komplexen Viskosität statt. Abschnitt

Dt = ti – ti–1

Von Bedeutung, neben der Molkenprotein/ Caseinrelation im Produkt, ist die Frage der Funktionalität der eingebrachten Molkenproteine. So können bei nicht gewährleisteter Funktionalität der Molkenproteine aufgrund der in der Regel thermischen Vorbehandlungsverfahren unerwünschte Interaktionen der Molkenproteine mit den Caseinen bzw. untereinander auftreten, die sich strukturell als Fehlfermentation ausweisen. Diese Fermentationen liefern Partikelgele, die im Processing und nach Becherabfüllung während des MHD ein besonderes Verhalten zeigen. Zunächst wird bei allen mit WPC-Pulvern angereicherten Produkten ein so genannter Molkenproteinknick unmittelbar nach dem linearen Bereich der Gelbildungsphase 3 gefunden. Aus den Untersuchungen geht weiter hervor, dass aufgrund der Änderung der Pufferkapazität der Prozessmilch infolge des Fehlens einwertiger Kationen die Durchsäuerung langsamer vonstatten geht. In Abb. 10 ist eine Fermentation mit erhöhtem Molkenproteinanteil von ca. 30 % dargestellt. Deutlich kann der Molkenproteinknick im Anschluss an die Phase konstanter Gelbildungsgeschwindigkeit erkannt werden. Ebenso sinkt das Level der komplexen Viskosität deutlich auf Werte unter 150 mPas der klassischen Fermentation, hier ca. 80 mPas. Abb. 10 zeigt die Strukturausbildung bei der Fermentation mit erhöhten Molkenproteinenanteilen, der in fünf Strukturierungsabschnitte unterteilt werden kann (Casein- zu Molkenproteinanteil 2,1:1). Das so gebildete Partikelgel verfügt unmittelbar nach Fermentation über ein geringeres Viskositätsniveau, ist grießiger und neigt verstärkt zur Synärese nach Bearbeitung. Den bekannten positiven nutritiven Eigenschaften des Einsatzes der Molkenproteine stehen Probleme in der Strukturausbildung bei der Milchsäurefermentation gegenüber. Die Resultate zeigen eindeutig, dass die Strukturelemente der Joghurtfermentation durch die

Dg = gi – gi–1

DpH = pHi – pHi–1

Strukturbereich

min

%

mPas

%



%

1.

129–0 =129

31

1,47–1,72=–0,25

0

6,4–5,4=1,0

52

2.

172–129=43

10

10,29–1,72=8,57

6

5,4–5,1=0,3

16

Strukturviskosität

3.

205–172=33

8

47,96–10,29=37,67

28

5,1–4,9=0,2

11

Gel

4.

420–205=215

51

135–37,67=97,37

72

4,9–4,5=0,4

21

Gel

100 %

420

135

1,9

5.

600–420=180

150–135=15

4,60–4,50=0,1

Gel

6.

1000–420=580

161–150=11

4,50–4,40=0,1

Gel

Newton

Tabelle 2. Zeit-, Viskositäts- und pH-Werte konventionelle Joghurtfermentation/Strukturbereiche.

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Gerinnungsverfahren

6,5

80,0 70,0 60,0 50,0 40,0 30,0 20,0 10,0 0,0

6,0

Viscosity

5,5

pH

Viscosity [mPas]

Chemie Ingenieur Technik 2008, 80, No. 8

5,0 pH

0

100

200

300

400

4,5

500

4,0 600

Tim e [m in]

Ziel der Untersuchungen war die Ermittlung des Strukturierungsverhaltens bei der Labgerinnung von Milch durch eine Inline/onlineMessung des Prozessviskositätsverlaufes in Abhängigkeit von den technologischen Parametern bei Einsatz des Messsystems RHEOSWING® RSD 1-1 für die wichtigsten Gerinnungsverfahren. Am Beispiel der Labkäseherstellung wurde korrespondierend durch eine biochemische Analytik die Untersuchung des Freisetzungsverhaltens des GMP vom CMP als vorauslaufende Proteinreaktion ermittelt. Eine zeitliche Analyse des Strukturierungsvorganges am Beispiel der Prozessviskosität ergibt, dass am Beispiel dieser Untersuchungen 88,4 % des CMP in der 15. Minute nach Einlabung abgespalten vorliegen, davon 38 % glykosyliert, und die Flockulation beginnt. Durch das angewandte rheologische Auswerteverfahren können die Zeitgrenzen für die Phasen der Gerinnung in weitere Abschnitte materialwissen-

schaftlich unterteilt und quantifiziert werden. Die Flockulationsphase als Abschnitt ist vom Zeitbedarf her unter den Bedingungen der Versuchsdurchführung mit 14 min am größten, gefolgt vom Zeitbedarf der enzymatischen Phase mit 12 min. Geringste strukturelle Änderungen liegen in beiden Phasen vor. Relativ zügig erfolgt dagegen nachfolgend die Gallerteausbildung am Beispiel der Viskositätserhöhung im 3. Abschnitt. Auf weitere Einflussfaktoren auf die Gerinnungsfähigkeit der Milch wie Wärmebehandlung, Labkonzentration und Genesis, Gerinnungstemperatur, Fettgehalt, pH-Wert, Kalziumgehalt konnte nicht eingegangen werden. Analog wurden die kombiniere Lab-SäureGerinnung untersucht und vom Strukturbildungsprozess her bewertet. Sechs relevante Strukturierungsbereiche wurden ermittelt und technologische Einflussgrößen variiert. Vier generelle Strukturierungsbereiche können bei der konventionellen Milchsäurefermentation ermittelt und als Masterkurve modelliert werden. Dabei determinieren die technologischen Randbedingungen den Strukturierungsverlauf eindeutig und lassen eine Kontrolle des Effekts z. B. von der Formulierung, Kultureinsatz und Temperatur zu. In den Prozess implementierte Störgrößen am Beispiel der Molkenproteinpulverfunktionalität können erkannt werden.

Abschnitt Dt = ti – ti–1

DpH = pHi – pHi–1

Funktionalität der eingesetzten WPC-Präparate beeinflusst werden. Eine materialwissenschaftliche Analyse des ablaufenden Strukturierungsprozesses im Vergleich zur klassischen Milchsäuerung ist in der Tab. 3 aufgeführt.

6

Zusammenfassung

Dg = gi – gi–1

Strukturbereiche

min

%

mPas

%



%

1.

120–0=120

20

1,6–1,4=0,2

2

6,45–5,8=0,65

33

Newton

2.

185–120=65

11

5,8–1,4=4,4

6

5,8–5,3=0,5

30

Strukturviskosität

3.

225–180=45

7

36–10,5=25,5

33

5,3–5,1=0,2

10

ungestörte Gelausbildung

4.1

235–225=10

1

40–36=4

5

5,08–5,05=0,03

2

Molkenproteinknick

4.2

360–235=125

21

62–40=22

29

5,05–4,73=0,33

17

Molkenproteingerade

5.

600–360=240

40

77–62=15

20

4,73–4,5=0,23

12

sigmoider Verlauf

100 %

600

77

Abbildung 10. Milchsäurefermentation mit erhöhtem Anteil Molkenprotein intakter Funktionalität.

1,95

Mittelwertbildung aus 12 Versuchen. Tabelle 3. Säuerungsverlauf bei erhöhtem Anteil Molkenprotein.

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Forschungsarbeiten

Chemie Ingenieur Technik 2008, 80, No. 8

Vor- oder begleitende rheologische Versuche sichern eine optimierte Technologieführung der Sauermilchproduktion und eine sensorische Akzeptanz des Endproduktes. Die mit Torsionsschwingern Inline/online ermittelbare Prozessviskosität ist eine geeignete Führungsgröße zur Differenzierung der Strukturbildungsmechanismen und erlaubt eine milchwissenschaftliche Bewertung der Phasenübergänge der Milch und ermöglicht Rückschlüsse auf eine Optimierung der Technologieführung.

Prof. Dr. B. Senge ([email protected]), TU Berlin, Fachgebiete Lebensmittelrheologie/ Lebensmittelqualität und Materialwissenschaft, Königin-Luise-Straße 22, D-14195 Berlin, Germany.

Formelzeichen t g

[min] Zeit [mPas] Prozessviskosität im 1. Abschnitt: dynamische Viskosität im 2. Abschnitt: Strukturviskosität im 3. Abschnitt: komplexe Viskosität/Viskoelastizität vGZ [min] visuelle Gerinnungszeit CMP Caseinmakropeptid GMP Glycomakropeptid i Laufindex

Literatur [1] B. Lieske, W. Faber, G. Konrad, Milchwiss. 1998, 51 (10), 548. [2] B. Lieske, Lait 1997, 77, 201. [3] K. I. Larsson, A. Andren, Int. Dairy J. 1997, 7, 615. [4] K. I. Larsson, A. Andren, T. J. Geurts, A. L. de Roos, P. Walstra, Int. Dairy J. 1997, 7, 43. [5] H. G. Kessler, Lebensmittel- und Bioverfahrenstechnik-Molkereitechnologie, 4. Auflage, Verlag A. Kessler München 1996, 455. [6] J. Kammerlehner, Labkäsetechnologie, Bd. 1, Verlag Th. Mann, Gelsenkirchen-Buer 1994. [7] P. F. Fox, Chemistry and Biochemistry of Cheese Manufacture and Ripening, Manual, Department of Food Chemistry, University College Cork, 1994. [8] B. Lieske, G. Konrad, Milchwiss. 1996, 51 (8), 431. [9] B. Lieske, W. Faber, G. Konrad, Milchwiss. 1999, 54 (8), 9.

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