Oliver Wolf Sacks (*1933)

1. Biographie 2. Kurzer Abriss seiner Arbeit 2.1 Einzelfallstudien der Parkinsonpatienten 2.2 Schicksal und Normalität

3. Bezug zur Syndromanalyse/ Vergleiche bzw. Bezüge zu anderen Personen 3.1 Bezug zur Syndromanalyse 3.2 Vergleiche bzw. Bezüge zu anderen Personen 3.2.1 Alexander Romanowitsch Lurija 3.2.2 Andre` Frank Zimpel

Literatur

1. Biographie

9.07.1933

In London geboren Eltern Neurologen, 3 älteren Brüder auch Mediziner

1944-1951

Besuch der St. Paul`s School, London

1951-1958

Medizinstudium am Queen`s Collage in Oxford Spezialisierung auf Chirurgie und Neurologie

1960

Übersiedlung in die USA

1961-1962

Leiter der Abteilung für Parkinsonkranke im Mount Zion Hospital San Francisco

1962-1965

Tätig an der Neurologischen Klinik der Universität Kalifornien in Los Angeles

1966

Professur für klinische Neurologie am Albert Einstein Collage in New York

1973

Veröffentlichung seiner Berichte über Parkinsonpatienten

1980

Verfilmung der Studien über Parkinsonpatienten („Awakenings“) Lebt heute in N.Y. mit eigener Praxis und ist medizinischer Berater mehrerer Senioreneinrichtungen und Krankenhäuser

2. Kurzer Abriss seiner Arbeit

Oliver Sacks übernimmt im Personenkreis um die Syndromanalyse in gewisser Weise den praktischen Teil. Ihm sind in seiner praktischen Tätigkeit als Neurologe viele verschiedene Menschen mit unterschiedlichen Krankheitssymptomen begegnet. Als Mediziner hat er seine Arbeit den Krankheiten gewidmet. Während dieser Arbeit ist ihm aufgefallen, dass die Kranken ihn auf Gedanken bringen, auf die er sonst nie gekommen wäre. Er bemerkte gewisse Gegensätze in seiner Tätigkeit und in sich selbst. Auf der einen Seite ist er Arzt und andererseits Naturwissenschaftler „(...) ich interessiere mich gleichermaßen für Menschen wie für Krankheiten“(Sacks, 2002, S.I). Zerebrale, geistige Funktionen sind nie ausschließlich biologischer Natur. Der Einfluss von Erfahrungen und Kultur des Individuums spielen ebenso eine große Rolle. Aufgrund seiner Beobachtungen und seiner Arbeit mit einer Patientengruppe der 1916/1917 ausgebrochenen Schlafkrankheit (Encephalitis lethargica) veränderte sich Sacks theoretische Fragestellung. Er sah seine Patienten nicht mehr nur allein als Arzt und stellte

nicht ihre Krankheit in den Vordergrund, sondern versuchte sich ebenso ein Gesamtbild ihrer Lebens- und Krankheitsumstände zu machen. In sein medizinisches Denken flossen nun auch Bedingungen des menschlichen Daseins ein. Sacks versucht das medizinische Problem der neurologischen Störung und das anthropologische Problem der Lebensbehinderung durch die Krankheit zu verbinden. Eine noch so umfangreiche Beschreibung der Krankheitsgeschichte allein ist immer sehr subjektiv und somit oberflächlich. Erst durch Einbeziehen der Lebensgeschichte wird der Kranke zum Patienten, „(...) der in seiner Beziehung zur Krankheit, in seiner Beziehung zum Körperlichen fassbar wird“ (Sacks, 2002, S.II). Sacks ist es wichtig, den Menschen in seiner Ganzheit zu betrachten und darzustellen, um Faktoren ausfindig zu machen, die der Persönlichkeitsstruktur und der Persönlichkeitsentwicklung zu Grunde liegen. Das jeweilige Syndrom muss immer auf die Person und die Person auf das Syndrom bezogen werden. Sacks arbeitet nach der von Lurija beschriebenen „romantischen“ Wissenschaft, in der sowohl die neurologischen Funktionen und Tätigkeiten des Menschen als auch sein Ich zum Gegenstand der (neuropsychologischen) Diagnostik gemacht werden. Die Beobachtungen, die Sacks bei seinen Patienten machte, hat er teilweise zu Papier gebracht. Dabei vereinigte er diskursive, analytische Texte und erzählend aufklärende Texte zu kurzen, anschaulichen und für jeden verständlichen Fallgeschichten. Sacks verbindet das Beschreibende mit dem Erklärenden zu einem Ganzen. Es geht hierbei nicht vordergründig um eine medizinische Betrachtung, sondern um die Darstellung der Welt, in der diese Menschen leben. Eines seiner Ziele ist es hiermit zu zeigen, welche Auswirkungen physiologische Prozesse auf das weitere Leben und die Lebensgeschichte haben können. Die Geschichten machen deutlich, was das Gehirn im Stande ist zu leisten und welche Auswirkungen auch schon kleine Störungen auf das Leben, das Lebensumfeld und vor allem die Persönlichkeit eines Menschen haben können. Sacks beschreibt alle Determinanten, die der jeweiligen Persönlichkeitsentwicklung zu Grunde liegen und bringt damit ebenso die Einmaligkeit jedes Individuums zum Ausdruck.

2.1 Einzelfallstudien der Parkinsonpatienten

Die Fallgeschichten über die Parkinsonpatienten, die Grundlage der späteren Verfilmung von „Awakenings – Zeit des Erwachens“ waren, machten Sacks bekannt. Sacks übernahm Ende der sechziger Jahre die Betreuung einer Gruppe Überlebender der Schlafkrankheit (Encephalitis lethargica). Nach langem Zögern begann er seine Patienten mit L-Dopa, einer nichtproteinogenen alpha-Aminosäure, zu behandeln. Diese Substanz wird in der Therapie von Menschen mit Parkinson angewandt, um einen vorzeitigen Abbau des Dopamins zu beschleunigen. Es handelte sich bei Sacks Patienten aber nicht um gewöhnliche Patienten mit der Diagnose Parkinson. Die Symptome seiner Patienten waren wesentlich umfangreicher und so sah er sich bei der Entscheidung L-Dopa zu verabreichen großen menschlichen und wissenschaftlichen Problemen gegenüber. Sacks war sich nicht sicher, was passieren würde. Vor allem die Tatsache, dass seine Patienten sich seit Jahren und sogar seit Jahrzehnten in einer Anstalt fernab vom normalen Leben aufhielten, verunsicherte ihn. Im März 1969 entschloss er sich, vorsichtig mit der Behandlung mit L-Dopa zu beginnen. Sacks konnte bei seinem „Experiment“ beobachten, dass es bei seinen Patienten zu teilweise außergewöhnlichen Reaktionen auf die Behandlung kam. Einige Patienten erwachten kurzfristig aus ihrer Starre und zeigten sogar eine Art Lebensfreude. Ein gutes Beispiel dafür ist die Geschichte von Magda B. Aufgrund einer extremen Akinesie (Verlust des primären Automatismus, der für spontane Bewegungen verantwortlich ist) war sie nicht in der Lage zu sprechen oder sonst irgend eine willkürliche Bewegung zu machen. Mahlzeiten zu sich zu nehmen fiel ihr sehr schwer. Dazu kam, dass sie unempfindlich gegenüber äußeren Reizen, teilnahmslos und unfähig emotional zu reagieren war. Sie war ein Pflegefall. Nach kurzer Behandlung mit L-Dopa begann sie wieder zu sprechen, war aufnahmebereiter und auch in der Lage Emotionen zu zeigen. Nach längerer Behandlungsdauer verbesserte sich ebenso ihre Motorik deutlich. Es war ihr nun möglich ihre Persönlichkeit zu zeigen, die fast vollständig von der Krankheit überlagert war. Eine große Rolle spielte dabei die Wiederherstellung

der emotionalen Kontakte zu ihren Kindern und anderen Verwandten sowie ihr wiedererlangtes Lebensgefühl. Während der Behandlung traten kleinere Komplikationen auf, die man gemeinsam in den Griff bekam.

Bei anderen Patienten wirkte L-Dopa ähnlich. Einige aber hatten große Schwierigkeiten und konnten sich nach so langer Zeit des Erstarrens nicht mehr auf die neue Situation des Erwachens einlassen und reagierten mit Unzufriedenheit.

2.2 Schicksal und Normalität In seinen Fallgeschichten zeigt Sacks Menschenschicksale auf, die von der „Normalität“ (gesellschaftlich und kulturell bedingte Verhaltensweisen in einer Gesellschaft) abweichen. Es wird deutlich, dass die Realität durch Wahrnehmungen entsteht. Diese werden im Gehirn gesteuert und sind beteiligt an der Entwicklung der eigenen Realität. Realität wird also im Gehirn entwickelt und andere Menschen haben große Schwierigkeiten sich in fremde Realitäten hinein zu versetzen. Jeder sieht seine Realität mit seinen eigenen Augen und bildet sich seine eigene Wirklichkeit. So sind für „normale“ Menschen die von Sacks beschriebenen „Ausfälle“ oder Krankheiten und vor allem das Leben mit diesen kaum vorstellbar.

3. Bezug zur Syndromanalyse/ Vergleiche bzw. Bezüge zu anderen Personen 3.1 Bezug zur Syndromanalyse Oliver Sacks arbeitet in seiner praktischen Arbeit nach den Theorien zur Syndromanalyse. Er erstellt für seine Patienten einen Syndromkomplex, in den sowohl die physiologischen und anatomischen Daten als auch die biografischen Daten des jeweiligen Patienten eingehen, um ein besseres Verständnis für das Syndrom zu entwickeln und die defizitäre Sichtweise teilweise zu entkräften. Er zeigt, dass Krankheiten immer aus unterschiedlichen Beobachterstandpunkten (Perspektiven) betrachtet und analysiert werden müssen. Nur im Zusammenhang mit den lebensgestaltenden Einflüssen können Krankheiten verstanden werden.

Als Einzelphänomen betrachtet könnte die Arbeit an der Genesung oder an einem Umgang mit der Krankheit leicht scheitern. Die Syndromanalyse hält einen wichtigen Stellenwert in der Diagnostik.

3.2 Vergleiche bzw. Bezüge zu anderen Personen 3.2.1 Alexander Romanowitsch Lurija Aufgrund eines Unfalls zog Sacks sich eine Verletzung der Muskeln zu. In Folge dessen kam es bei ihm zu einer Art Entfremdung des Beines, von für ihn beängstigender Auswirkung. Da sein behandelnder Arzt ihn nur unzulänglich beruhigen konnte, schrieb er an den bekannten Neuropsychologen Alexander Lurija, dessen Bücher er gelesen hatte. So begann ein Briefwechsel, der bis zum Tod von Lurija 1977 bestehen blieb. Sacks beschreibt, dass Lurija ihn in seiner Arbeit immer sehr unterstützt und ermuntert hat. Lurija sah in Sacks Schaffen seine „romantische Wissenschaft“ in die Praxis umgesetzt. Er hoffte, dass durch die Veröffentlichung der Fallgeschichten von Oliver Sacks der Umgang mit Krankheiten in der Medizin menschlicher und umfangreicher werden würde.

3.2.2 Andre` Frank Zimpel Es besteht ein stetiger Austausch und ein persönlicher Kontakt zwischen Sacks und Zimpel.

Literatur ¾ Lurija, Alexander R., Romantische Wissenschaft – Forschungen im Grenzbezirk von Seele und Gehirn, Reinbek bei Hamburg, 1993 ¾ Lurija Alexander R., Der Mann dessen Welt in Scherben ging, Reinbek bei Hamburg, 1991 ¾ Sacks, Oliver W., Der Tag, an dem mein Bein fortging, Reinbek bei Hamburg, 1991 ¾ Sacks, Oliver W., Awakenings - Zeit des Erwachens, Reinbek bei Hamburg, 12. Aufl., 2002 ¾ Sacks, Oliver W., Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte, Reinbek bei Hamburg, 21. Aufl., 2002

¾ Sacks, Oliver W., Onkel Wolfram - Erinnerungen (Autobiografie), Reinbek bei Hamburg, 3. Aufl., 2002