Nur keine falsche Scham!

Sabrina Winter Nur keine falsche Scham! ROMAN A »Der erotische Roman« Band 141 © 2010 Edition Combes AG, Luzern Vertrieb: Edition Combes im Verla...
Author: Robert Maurer
10 downloads 0 Views 59KB Size
Sabrina Winter

Nur keine falsche Scham! ROMAN

A

»Der erotische Roman« Band 141

© 2010 Edition Combes AG, Luzern Vertrieb: Edition Combes im Verlag Frank de la Porte Frankenstraße 17 D-96328 Küps Tel. 0 92 64 - 97 66 Fax 0 92 64 - 97 76 www.edition-combes.de ISBN 978-3-937914-74-9 Alle Rechte vorbehalten. Es ist verboten, dieses Werk im Ganzen oder auszugsweise nachzudrucken oder durch Bild, Funk, Fernsehen, Internet, Tonträger und EDV-Systeme zu verbreiten. Zuwiderhandlungen werden strafrechtlich verfolgt.

Vorwort Um es vorweg zu sagen: Die Idee zu dieser Story stammt nicht von mir, sondern von meinem Chefredakteur. Mein Name ist Sabrina Winter. Ich bin neununddreißig Jahre alt, deutsche Staatsbürgerin, römisch-katholisch, Mutter und geschieden. Ich bin mit Haut und Haaren Journalistin. Seit etwas mehr als sechzehn Jahren arbeite ich für eine Zeitschrift, die von einem Verlag im Rhein-Main-Dreieck verlegt wird. Heute bin ich für die Reportagen und die Sonderthemen – wir nennen sie hier Specials – zuständig. Im Dezember des vergangenen Jahres hatte ich mir beim Skiurlaub in Cortina d’Ampezzo das linke Oberschenkelbein gebrochen und war für etwas mehr als drei Monate zu vollkommener Tatenlosigkeit verdammt. Der Bruch war kompliziert. Dr. Willunat, mein Hausarzt, sprach von einer »subkapitalen Mehrfragmentefraktur« und verordnete mir für den Rest meiner Rekonvaleszenz absolute Ruhe. Der weiße Gipsverband reichte bis zu meiner Schenkelbeuge herauf; ich war an mein Bett – oder besser: an meine Penthousewohnung im vornehmen hessischen Königstein gefesselt und kam geradezu um vor Langeweile. Wer mich näher kennt, weiß, daß ich nicht ohne Arbeit leben kann. Ein Journalist ist wie ein Tatort-Kommissar vierundzwanzig Stunden am Tag und dreihun5

dertfünfundsechzig Tage im Jahr im Dienst. Ich hatte noch ein riesenformatiges Buch über den großen Hollywoodproduzenten David O. Selznick zu lesen, um später eine Rezension darüber zu verfassen, und obgleich mich dieses Buch und vor allem die beiden opulent bebilderten Kapitel über »King Kong« und »Vom Winde verweht« in ihren Bann rissen, war ich damit nach einer Woche fertig. Frau Kemmerle, meine rumänische Haushälterin, die sich in diesen Tagen und Wochen wie eine Mutter um mich kümmerte, schlug mir vor, einen Roman zu schreiben oder es zumindest mit einer Novelle oder einer Kurzgeschichte zu versuchen, aber ich bin kein besonders kreativ veranlagter Mensch. Einen Roman zu schreiben, ist nämlich für eine Journalistin leichter gesagt als getan. In meinem Beruf bin ich gewohnt, Fakten zu verarbeiten, zu recherchieren, Tatsachen ins rechte Licht zu rücken und – sprachlich gesehen – komplizierte Sachverhalte zu vereinfachen, ohne sie zu verfälschen. Ein Roman hingegen enthält immer viel Fiktives und unterliegt ganz anderen Gesetzen als zum Beispiel eine Reportage. Ich habe daher dankend abgelehnt und ihr versprochen, mich an einer Erzählung zu versuchen, um ihr zu zeigen, wie sehr ich ihren heißen Tip schätzte. Den Stein ins Rollen brachte schließlich ein Anruf meines Chefredakteurs. Wie immer, so traf es mich auch an diesem verschneiten, bitterkalten Donnerstagnachmittag wie ein Blitz aus dem schon sprichwörtlichen heiteren Himmel. Arnold Holsten ist ein Choleriker, wie er im Buche steht, und seine berühmten Tobsuchtsanfälle 6

sind in der Redaktion ebenso gefürchtet, wie seine genialen Ideen überwältigend sind. »Womit auch immer Sie gerade beschäftigt sind, lassen Sie alles stehen und liegen, Winter«, machte er es durch die Hörmuschel meines elfenbeinfarbenen Telefonhörers besonders spannend, »ich habe genau die richtige Arbeit für Sie. Wir machen eine Serie. Sieben Folgen, der Themenplan steht bereits. Die Sache können Sie bequem von Ihrem Bett aus erledigen.« Ich war geneigt, meinen Chefredakteur darauf hinzuweisen, daß ich durchaus in der Lage sei, aus meinem Bett aufzustehen, aber er ließ sich in seinem Redeschwall nicht unterbrechen. So ist er eben – ein Journalist aus Fleisch und Blut und mit jeder Faser seines Herzens, wie es ihn heute sonst nur noch in alten Hollywoodfilmen zu finden gibt. Vermutlich stapelten sich gerade auf seinem schweren Schreibtisch die allerwichtigsten Nachrichten aus Politik, Handel, Sport und Gesellschaft, und ich sah Arnold Holsten vor meinem geistigen Auge – die Hemdsärmel hochgekrempelt, die Krawatte schief am Kragen, eine teure, bis zur Bauchbinde aufgerauchte »Rafael Gonzales« im Mundwinkel. Er erledigt eintausend Arbeiten auf einmal. Um die geringste Kleinigkeit kümmert er sich, nichts überläßt er dem Zufall. Die Titelseite muß in einer Stunde in den Satz, und es fehlt noch der richtige Aufmacher. Mit seinen mehr als fünfundvierzig Jahren Berufserfahrung hat er ein untrügliches Fingerspitzengefühl dafür entwickelt, was »seine« Leute lesen wollen und was nicht. »Die Serie berichtet ausschließlich über die Fickerei, 7

das kommt immer an. Sex sells«, belferte er durch das Telefon in meinen Gehörgang. »Natürlich keine Standard-, sondern nur Tabuthemen. Mit dem Inzest fangen wir an. Aus aktuellem Anlaß, wie Sie wissen. Vater mit Tochter, Bruder mit Schwester, Sohnemann mit Mütterlein. Sie haben vollkommen frei Hand, Frau Winter. Recherchieren Sie bei der Justiz, bei den Sozialämtern, in den Bibliotheken. Wenn Sie mobile Hilfe brauchen, stellen ich Ihnen eine Volontärin an die Seite. Wir setzen zusätzlich eine Annonce in die Tageszeitung. Sie können die Leute in Ihrer Wohnung interviewen. Alles muß absolut authentisch sein – keine Mätzchen, keinen erhobenen Zeigefinger, keine Schachtelsätze. Gute, klare deutsche Prosa. Natürlich versichern wir den Leuten, daß sie anonym bleiben. Fangen Sie an, Sie schaffen das schon. In einem Monat will ich die erste Folge druckreif auf meinem Schreibtisch haben.« Ich wollte schon antworten, aber es machte »Klick!« in der Leitung. Arnold Holsten hatte aufgelegt. Offensichtlich ging es in der Redaktion an diesem Donnerstagnachmittag wieder drunter und drüber. Wenn ich meinen Chefredakteur richtig verstanden hatte, verlangte er von mir einen ersten Beitrag über ein Thema, das in unserem und in den anderen Ländern der westlichen Zivilisation in der Tat verdrängt oder – besser – an den Rand der Gesellschaft geschoben wird: die sexuelle Beziehung zwischen Blutsverwandten ersten und zweiten Grades. Um es kurz zu machen, dieser Auftrag reizte mich. Holsten verlangte keine wissenschaftliche oder tiefenpsychologische Abhandlung von mir, sondern einen hand8

festen, knallharten Report ohne Schnörkel und linke Rechthaberei – eine Artikelcollage, wie sie unter anderen Chefredakteuren auch in anderen, berühmteren Blättern möglich gewesen wäre. Die Annonce, die Holsten angekündigt hatte, erschien schon am nächsten Morgen in einer der größten Tageszeitungen und nahm eine ganze Viertelseite Platz für sich in Anspruch. Sie war seriös gehalten und vermittelte den Eindruck, als würde auf Sensationshascherei ausdrücklich verzichtet. Ein ganzes Drittel wurde darauf verwendet, zu betonen, wie sensibel man mit diesem Thema umgehen wolle und daß Diskretion absolut selbstverständlich sei. Die Anzeige forderte die Leser mit einschlägigen Erfahrungen auf, sich telefonisch oder schriftlich bei der Redaktion zu melden. Schon kurz nach neun leitete unsere Redaktion den ersten Anruf an meine private Telefonnummer weiter. Am Apparat war ein junges Mädchen mit einer außergewöhnlich angenehmen Stimme. Sie sei gerade sechzehn geworden, erwähnte sie, und sie habe mir so eine »hypergeile Superstory« anzubieten, daß sich die Tastatur meines Notebooks vor Scham sträuben würde, die Buchstaben an meine Textverarbeitung weiterzuleiten. Mein Interesse war geweckt. Was konnte ein sechzehnjähriges Mädchen mit einer solchen glockenreinen Stimme schon erlebt haben – außer etwas Petting mit ihrem Bruder oder einem Zungenkuß mit ihrem Vater vielleicht! Ich lud sie für den Nachmittag zum Tee zu mir nach Hause ein und versicherte ihr, daß der Verlag für ihre Unkosten aufkäme und zusätzlich noch ein kleines 9

Honorar zahlen würde. Nachdem sie das Wort »Honorar« vernommen hatte, atmete sie tief durch und fragte mich nach meiner Adresse. Wir wollen sie Nicole Lohmann nennen. Nicole kam um drei und war ein hübsches, sehr schlankes Mädchen mit langen Teenagerschenkeln, kleinen, aber festen Brüsten und einem schönen Gesicht, das noch kein Makeup benötigte. Sie war blond wie eine Schwedin, und ihre kobaltblauen Augen schienen auf geheimnisvolle Art und Weise von innen heraus zu leuchten. Es waren die schönsten blauen Augen, in die ich in meinem ganzen Leben gesehen habe. Was sie trinken wolle, fragte ich sie. Eine heiße Schokolade, antwortete sie, aber noch besser sei ein Glas Karambolensaft. An diesem Nachmittag hatte ich keinen Karambolensaft im Haus, aber Nicole gab sich auch mit einer Orangeade zufrieden. Während wir tranken, saßen wir uns in meinem Wohnzimmer mit Aussicht auf die Skyline des Frankfurter Börsenviertels in zwei Polstersesseln gegenüber und betrachteten einander. Nicole war in der Tat ein sehr hübsches Mädchen, um nicht zu sagen: eine wahre Schönheit. »Am Start erkennt man den Gewinner«, sagt Robert de Niro in »Es war einmal in Amerika«, und in diesem Augenblick mußte ich ihm recht geben. Mit ihrer alles überstrahlenden natürlichen Schönheit würde Nicole sich niemals auf die Seite der Verlierer begeben müssen. »Ich bin neugierig auf Ihre Story«, gab ich zu. Nicole wischte sich mit dem Handrücken den gelben 10

Schaumkranz ab, den der Orangensaft rund um ihren rosenfarbenen Mund hinterlassen hatte. »Das kann ich mir denken. Die Story ist so geil, daß Ihnen das Höschen von den Schenkeln gleiten wird – sofern Sie eines anhaben. Aber bitte, duzen Sie mich. Nennen Sie mich Nicole. Ich bin es nicht gewöhnt, daß mich die Leute mit ,Sie‘ ansprechen.« »Ja gern, und ich heiße Sabrina«, sagte ich und schaltete mein kleines japanisches Diktiergerät ein. »Aber jetzt fang bitte an. Laß unsere Leser an deiner ,hypergeilen Superstory‘ teilhaben.« Nicole schlug ein Bein über das andere und lehnte sich in ihrem Sessel zurück. Ihr Blick huschte über die Tonbandkassette in meinem schwarzen Diktiergerät, dann kehrte er zu meinen Augen zurück.

11

Der Liebhaber meiner Mutter Ich hatte es mir auf meinem Schrankbett gemütlich gemacht und las in einem Teenagermagazin einen Artikel über Justin Timberlake, als mich unsere Türklingel aus meiner Versunkenheit riß. Unwillkürlich blickte ich auf meine silberne Armbanduhr. Es war zehn Minuten nach sechs. Wer in Gottes Namen konnte das sein? Meine Mutter ist Bankkauffrau von Beruf, und ich wußte, an diesem Montagnachmittag würde sie später als gewohnt nach Hause kommen. Der Vierteljahresabschluß stand vor der Tür. Herr Bratesser, ihr Chef und Filialleiter, bestand darauf, pünktlich zum Monatsersten den Kassenbericht des Vormonats vorgelegt zu bekommen, und das bedeutete für Mutti und ihre Kollegen und Kolleginnen jedesmal einen Berg Arbeit, den sie nicht auf die lange Bank schieben konnten. Ich klappte das Magazin zu, warf es auf das kieferne Beistellschränkchen und schwang mich mit beiden Beinen zugleich von der Schlaffläche meines Bettes. Vor drei Tagen hatte ich gerade meinen sechzehnten Geburtstag gefeiert, und mein Zimmer war mit Postern und Fotos von Robbie Williams tapeziert, den ich anhimmelte. Sein schönes und ebenmäßiges Gesicht lächelte mir aus mehr als einem Dutzend Bildern zu, und da er in das Objektiv des Fotografen 12

lächelte, folgten mir seinen stahlblauen Augen in meinem Zimmer überallhin. Vor dem Garderobenspiegel im Flur strich ich mein schwarzweiß kariertes Mini-Faltenröckchen über meinen nackten Schenkeln zurecht und ging zur Tür, um durch den runden Spion ins Treppenhaus zu spähen. Eric stand auf der Matte, Muttis Lebensgefährte, wie man so sagt – obwohl er nicht das Leben mit ihr teilte, sondern nur ihr Bett. Er schaute lediglich einoder zweimal in der Woche vorbei, und in den allermeisten Fällen legte er seine Besuche so, daß sie am späten Nachmittag oder am frühen Abend stattfanden. Ich fragte mich die ganze Zeit schon, was für eine sonderbare Freundschaft das wohl war. Er tauchte wie ein Stundenjunge hier auf, amüsierte sich mit meiner Mutter und ging wieder. Mich hat er jedesmal mit einem gezwungenen Lächeln abgespeist. Wäre er ihr richtiger Freund gewesen, der ein bißchen eine ernste Absicht erkennen ließ, hätte er wenigstens ab und zu ein freundliches Wort auch für mich übrig haben müssen. Aber nichts dergleichen. So vermutete ich, was eigentlich naheliegend war: Eric war mit einer anderen Frau zusammen, vielleicht war er sogar so ein Hallodri, der es mit mehreren gleichzeitig trieb. Welchen anderen Grund sollte es dafür geben, daß er nur ein- oder zweimal in der Woche für ein paar Stunden vorbeikam. Der Schluß lag nahe, daß er sich von Mutter nur das holte, was er woanders nicht bekommen konnte. Oder er wollte sie sich warmhalten, wobei er nicht danach aussah, als 13

hätte er große Zukunftspläne mit ihr geschmiedet. Komischerweise ging meine Mutter auf sein sonderbares Verhalten ohne Wenn und Aber ein. Mehr noch: Sie machte nie viel Federlesens und zeigte sich mir gegenüber geradezu gleichgültig. Es hätte ihr doch peinlich sein müssen, mir in genau dieser Situation immer das Gefühl zu geben, daß ich überflüssig war. Ich konnte mir das einfach nicht erklären. Mutter war doch sonst so liebevoll, besorgt und rücksichtsvoll. Jetzt aber war sie dabei, wenn er holterdipolter zur Sache ging. Sobald er seinen grauen HumphreyBogart-Trenchcoat an einem freien Kleiderbügel unserer Garderobe aufgehängt hatte, wurde ich entsorgt. »Wolltest du nicht noch zu deiner Freundin, Kleines?« fragte sie dann. »Deine Hausaufgaben kannst du später machen.« Dann schob sie mich ganz dezent mit einer Hand zur Garderobe, wartete ungeduldig, bis ich mir meinen Anorak angezogen hatte, und begleitete mich, fast auf Tuchfühlung, bis zur Haustür. »Du weißt, wir haben noch etwas Wichtiges zu besprechen«, log sie mir noch hinterher. Und als diese Masche so abgenutzt war, daß es für alle peinlich wurde, griff sie großzügig in ihr Portemonnaie. »Ich hätte dich fast vergessen, mein Schatz! Hier, dein Kinogeld!« Und dann drückte sie mir einen Schein in die Hand und begleitete mich wieder zur Tür. Ihr Verhalten war so plump, daß es mir richtig unangenehm wurde, ein Teil dieses traurigen Spieles zu sein. Nicht nur meiner Mutter, sondern auch Eric gegenüber. Sie wollte unbedingt mit ihm ungestört sein, 14