Die Ratifizierung der UN-Konvention über die

Strategie Neue Geschäftsfelder für Pflegedienste in den Bereichen Eingliederungs- und Jugendhilfe Mit flexiblen Leistungen Teilhabe ermöglichen Von d...
Author: Cornelia Boer
1 downloads 1 Views 544KB Size
Strategie Neue Geschäftsfelder für Pflegedienste in den Bereichen Eingliederungs- und Jugendhilfe

Mit flexiblen Leistungen Teilhabe ermöglichen Von der Politik forciert, verändern sich die Angebotsstrukturen in der Behindertenhilfe: Dem Inklusionsgedanken folgend, sollen quartiersnahe ambulante Angebote psychisch, geistig und körperlich behinderten Menschen gesellschaftliche Teilhabe und mehr Selbstbestimmung ermöglichen. Dies eröffnet ambulanten Pflegediensten neue Chancen, sofern sie die spezifischen Bedürfnisse der Zielgruppen frühzeitig erkennen und flexible Leistungsangebote entwickeln. Von Frauke Hennings und Ferdinand Schäffler

D

ie Ratifizierung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung durch die Bundesregierung im Jahr 2009 nimmt zukünftig starken Einfluss auf die politischen Entwicklungen in der Eingliederungshilfe. Der Fokus der gesellschaftlichen Teilhabe, Selbstbestimmung und die barrierefreie Gestaltung aller Lebensbereiche werden die Angebotsstrukturen der Behindertenhilfe in Deutschland nachhaltig verändern. Die Vision des Inklusionsgedankens versteht Behinderung als gesellschaftliche Aufgabe: Nicht der Mensch soll an seine Umwelt angepasst werden, sondern die Umwelt bestmöglich an die Belange des Einzelnen für seine individuelle Teilhabe. Zukünftig sollen Menschen mit Behinderung stärker als bis-

her in der Gemeinde und im Stadtteil als Akteure und Teilhabende sichtbar sein. Hierzu müssen gemeindeintegrierte Wohn-, Betreuungs- und Freizeitangebote gestärkt und geschaffen werden, die eine Differenzierung und Dezentralisierung der Angebotsstrukturen ermöglichen. In diesem Zusammenhang ist eine Weiterentwicklung der Leistungsstrukturen bereits auf den Weg gebracht. Die Einführung des Persönlichen Budgets (§ 17 SGB IX) sowie die Gewährung von Fachleistungsstunden ebnen den Weg von der institutionellen zur personengebundenen Förderung und stärken dadurch das Wunsch- und Wahlrecht der Betroffenen hinsichtlich der Dienstleistungszusammenstellung und der Anbieterwahl. Diese Entwicklung eröffnet neue Chancen für ambulante Dienste, sofern jene die Bedürfnisse der Zielgruppe frühzeitig erkennen und diesen mit individuellen Angeboten begegnen. Bundesweit haben bereits zahlreiche ambulante Dienste das enorme Marktpotenzial in diesem Segment erkannt und ihr Angebotsportfolio an die regionalen Bedingungen angepasst (Abbildung, Seite 21). Die folgenden Ausführungen veranschaulichen verschiedene Modelle aus der bundesweiten Praxis, die sich als neue Geschäftsfelder ambulanter Dienste etabliert haben. Hierzu zählen Hilfeleistungen im Haushalt sowie differenzierte Wohn- und Betreuungsangebote für Menschen mit geistiger Behinderung oder psychischer Erkrankung. Aufgrund der Vielfalt regionaler Besonderheiten im Bereich der Eingliederungshilfe verdeutlicht die abschließende Handlungsempfehlung wichtige Elemente für Ihre eigene Umsetzungsstrategie.

Hilfen für psychisch kranke Menschen

Foto:

20_

yy Ambulante psychiatrische Pflege: Die ambulante psychiatrische Pflege (APP) soll psychisch kranken Menschen ein würdiges und eigenständiges Leben in ihrem gewohnten November 2010_Häusliche Pflege

Lebensumfeld ermöglichen und möchte einen Beitrag zur Wiederherstellung und Förderung der seelischen Gesundheit leisten. Die aufsuchende Dienstleistung bezieht den psychosozialen Kontext der Betroffenen mit ein, um deren soziale Integration nachhaltig zu verwirklichen. Neben der Beteiligung und Entlastung der Angehörigen fungiert sie als Bindeglied zwischen Beratungsstellen, Kliniken, Rehabilitationseinrichtungen, Ärzten, Therapeuten, Tageskliniken, betreutem Wohnen und anderen psychosozialen Institutionen im Gemeinwesen. Durch APP sollen wiederkehrende Klinikaufenthalte der Betroffenen vermieden und Behandlungsabbrüchen vorgebeugt werden. Tipp: Die Tätigkeitsmerkmale der APP werden von der „BAPP – Bundesinitiative Ambulante Psychiatrische Pflege e.  V.“ online unter: www.bapp.info/ texte/taetigkeiten.pdf zur Verfügung gestellt. An das eingesetzte Personal der APP werden hohe Anforderungen gestellt. Mitarbeiter werden zu „Befähigern“, die dem psychisch kranken Menschen, persönliche, soziale und institutionelle Ressourcen im Gemeinwesen verfügbar machen, um ein möglichst selbstständiges und selbstbestimmtes Leben zu führen. Hierzu ist neben einem hohen Maß an fachlicher und kommunikativer Kompetenz, die Akzeptanz individueller Lebensentwürfe und die kontinuierliche Reflexion der eigenen Rolle erforderlich. Die Kosten werden in der Regel von den Krankenkassen nach §  37 SGB  V übernommen, sofern Klinikaufenthalte durch diese Maßnahme verkürzt oder vermieden werden können und die ärztliche Behandlung sichergestellt bleibt. Weiterhin kommen die Pflegekassen und Sozialämter sowie in seltenen Fällen die Betroffenen selbst für einen Teil der Dienstleistung auf. Dabei darf die Ambulante Psychiatrische Pflege ausschließlich von Fachärzten, wie Psychiatern oder Neurologen verordnet werden. yy Personenbezogene Hilfen für psychisch kranke Menschen: Beim, teils ergänzenden, spezifischen Hamburger Angebot der „Personenbezogenen Hilfen für psychisch kranke Menschen“ (PPM) erfolgt die Betreuung ebenfalls in der eigenen Wohnung. Ziel der .. Problem & Lösung Problem: Psychische Erkrankungen nehmen zu. Werden sie chronisch, stellen sie für viele Menschen eine lebenslange seelische Behinderung dar. Gleichzeitig gibt es zu wenige ambulante Angebote, die frühzeitig im angestammten Lebensraum der betroffenen Menschen greifen und so eine stationäre Aufnahme zunächst verhindern helfen. Lösung: Indem ambulante Pflegedienste u. a. speziell für psychisch kranke und behinderte Menschen ein Leistungsangebot aufbauen, verschaffen sie sich Zugang zu einer größer werdenden Zielgruppe. Von der multiprofessionelleren Ausrichtung des Angebots profitieren auch die Mitarbeitenden in der Pflege.

Häusliche Pflege_November 2010

.. XXX

ambulante psychiatrische Pflege (APP)

Soziotherapie

Haushaltsnahe Dienstleistungen

Familienpflege

Neue Geschäftsfelder für ambulante Dienste

Personenbezogene Hilfen

Wohnassistenz

Päd. Begleitung im eigenen Wohnraum (PBW)

In der Eingliederungshilfe kann eine ganze Palette möglicher Leistungen das Angebotsportfolio ambulanter Dienste sinnvoll ergänzen.  Quelle: contec

Hilfe ist es, vollstationäre Aufenthalte zu vermeiden oder zu verkürzen. Begründet ist diese ambulante Eingliederungshilfeleistung nach dem zwölften Sozialgesetzbuch (SGB XII). Anspruchsberechtigte müssen folglich die Voraussetzungen gem. § 53 SGB XII erfüllen und mittels einer fachärztlichen Stellungnahme ihre Zugehörigkeit zum Personenkreis nachweist. Wesentliches Ziel der personenbezogenen Hilfen ist es, psychisch kranken Menschen die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft, beispielsweise nach längeren Klinikaufenthalten, zu sichern oder wieder herzustellen. Dabei soll die Selbstständigkeit und Eigenverantwortung der Betroffenen gestärkt und gefördert werden. Unterstützungsleistungen umfassen u. a. die Handhabe des täglichen Lebens, der Freizeitgestaltung, die Haushaltsführung, die Unterstützung bei Behördengängen oder der Wohnsituation. In Hamburg schließen Anbieter mit der Stadt einen Vertrag ab, der die Leistungserbringung im Detail regelt. Die Kosten für die Personenbezogene Hilfe für psychisch kranke Menschen (PPM) werden als Leistung der Eingliederungshilfe vom entsprechenden Fachamt des Grundsicherungs- und Sozialamt übernommen. Die Betreuungsintensität und -dauer ist abhängig vom Verlauf der Maßnahme, aber in der Regel auf längere Zeit angelegt.

Die Vielfalt regionaler Besonderheiten in der Eingliederungshilfe beachten

yy Soziotherapie: Soziotherapie ist eine gesetzliche Leistung der Krankenkassen nach § 37a SGB V. Anspruchsberechtigt sind schwer psychisch kranke Menschen, die nicht in der Lage sind, ärztliche oder ärztlich verordnete Leistungen selbstständig in Anspruch zu nehmen, verbunden mit dem Ziel, Klinikaufenthalte durch diese Maßnahme zu verkürzen _21

Strategie ..

Praxis-Porträt

„Die Menschen begleiten – vielleicht ihr Leben lang“ Seit 20 Jahren ist Karin Kaiser mit ihrem Pflegedienst „Sozialer Dienst Karin Kaiser“ in HamburgRahlstedt am Markt. Zu den Leistungen Kranken- und Grundpflege gesellten sich ab Ende der 1990er Jahre nach und nach auch Leistungen der Eingliederungshilfe und sozialpsychiatrischen Betreuung von psychisch kranken und behinderten Menschen. Die Teams „Ambulante Pflege“, „Eingliederungshilfe“ und „Kinder- und Jugendhilfe“ ergänzen sich heute perfekt, sagt die Unternehmerin.

REF_Autor

Karin Kaiser gründete ihr Unternehmen „Sozialer Dienst Karin Kaiser“ 1990 in Hamburg

Aufgrund der zunehmenden Ambulantisierung in der Eingliederungshilfe stellt Karin Kaiser eine Zunahme der Nachfrage nach spezialisierten ambulanten Betreuungsangeboten fest. Mit dem Sozial- und Jugendhilfeträger in Hamburg hat sie Grundlagenvertrag abgeschlossen, der Leistungsinhalte und Vergütungshöhen

der spezifischen Leistungen „Personenbezogene Hilfen für psychisch kranke Menschen (PPM)“, „Pädagogische Betreuung im eigenen Wohnraum (PBW)“, „Wohnassistenz (WA)“, „Hilfe zur Erziehung“ und „Sozialpädagogische Familienhilfe“ regelt. Kommt es zur Aufnahmen eines neuen Kunden, regelt der Dienst mit der Behörde und dem betroffenen Menschen nur noch den individuellen Stundenumfang der benötigten Leistung(en). Kunden und Kostenträgern garantiert der Soziale Dienst eine 24-stündige Erreichbarkeit. Ist im Krisenfall eine schnelle Intervention in der Wohnung eines Betroffenen nötig, sind die Fachkräfte innerhalb kürzester Zeit vor Ort. In diesem stadtteilbezogenen, nah an den Bedürfnissen der Menschen ausgerichteten Ansatz sieht Karin Kaiser einen Hauptgrund dafür, warum die Kostenträger gerne mit ihrem Dienst zusammenarbeiten. „Wir sind flexibel und schnell, das schätzen die Ämter und Kostenträger.“ Ein weiterer Grund für den Erfolg der Spezialisierung in der Eingliederungsund in der Jugendhilfe sei die Qualität: yy So sind beispielsweise immer zwei Fachkräfte für die Betreuung eines Klienten zuständig, yy die Fachkräfte fertigen Monatsberichte an, die den Verlauf der Betreuung für alle – Klient, Behörde, alle involvierten Kollegen – transparent machen, yy das oben genannte Leistungsportfolio wird durch sozialraumorientierte Gruppenangebote unterstützt („Frühstücks- und Kochgruppen“, „Gestaltungsgruppe“, „Freizeit- und Begegnungsgruppe“), die der Soziale Dienst seinen Klienten in seinen Räumen anbietet.

oder zu vermeiden. Durch Motivierungsarbeit und strukturierte Trainingsmaßnahmen hilft die Soziotherapie psychosoziale Defizite abzubauen. Sie ist koordinierende und begleitende Unterstützung und Handlungsanleitung für die Klienten auf der Grundlage von definierten Therapiezielen. Der psychisch kranke Mensch soll dabei in die Lage versetzt werden, erforderliche Leistungen zu akzeptieren und selbstständig in Anspruch zu nehmen. Verordnet wird Soziotherapie durch Fachärzte mit Befugnis der Kassenärztlichen Vereinigung. In Abgrenzung zur ambulanten psychiatrischen Pflege ist Soziotherapie auf höchstens 120 Stunden innerhalb von drei Jahren je Krankheitsfall begrenzt.

yy Familienpflege: Für Familien mit Kindern, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, besteht die Möglichkeit, Leistungen aus dem Bereich der ambulanten Familienpflege in Anspruch zu nehmen. Kern der Leistung ist die Sicherstellung der Versorgung und Betreuung der im Haushalt lebenden Kinder, sofern ein Elternteil, der den überwiegenden Teil der Betreuungsaufgaben übernimmt aufgrund von Krankheit oder einer persönlichen Notsituation diese nicht mehr übernehmen kann. Die Anspruchsgrundlage für diese Leistungsform findet sich im SGB VIII, Kinder- und Jugendhilfe, in § 20. Als Anspruchsvoraussetzungen werden genannt:

Die Spezialisierung auf sozialpsychiatrische Unterstützungsangebote zieht sich durch alle drei Bereiche ihres Pflegedienstes, sagt Karin Kaiser. Auch in der ,normalen‘ Kranken- und Altenpflege sei diese häufig ein wichtiges Betreuungselement. Deshalb sind auch die Mitarbeiter in der Pflege in diesem Bereich geschult. Die Kranken- und Altenpflegekräfte profitieren so etwa bei der Betreuung von gerontopsychiatrisch erkrankten Kunden vom Know-how der in den beiden anderen Teams tätigen Sozialpädagogen, Pädagogen, Psychologen und Fachkrankenschwestern. Umgekehrt profitierten diese von den Pflegeprofessionen: „Eine Krankenschwester ist handlungsorientierter als ein Psychologe oder Sozialpädagoge“, stellt Karin Kaiser fest. Oder der Aspekt der in der Pflege gewohnt akribischen Dokumentation: Durch das enge Zusammenarbeiten aller Professionen schlägt sich dieser auch in der Eingliederungshilfe qualitätssichernd nieder. Auch wenn jeder Bereich eine eigene Leitung hat „ist das alles eng verzahnt und die Bereiche ergänzen sich sehr gut“, so die Geschäftsführerin. Sie greifen zum Teil auch ineinander über: So erhalten viele Menschen in der Eingliederungshilfe z. B. zusätzlich SGB V-Leistungen oder Haushaltshilfe als SGB XII-Leistung.

Kostenträger schätzen die hohe Flexibilität

22_

Unterstützungsleistungen im Haushalt

November 2010_Häusliche Pflege

Auch chronisch Kranken Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen In der Vielfalt und Flexibilität der Angebote wird die Philosophie deutlich, die Kaiser und ihr Team mit den Angeboten verfolgen: „Wir wollen es den Menschen – trotz ihrer schweren psychischen Erkrankung – ermöglichen, so lange wie möglich in der eigenen Häuslichkeit zu verweilen. Das ist, wie auch in der Altenpflege, unsere wichtigste Leitlinie.“ Im Bereich der Eingliederungshilfe gebe es viele Menschen, die über die Jahre und Jahrzehnte, die sie bereits krank sind, nie ambulant betreut worden sind. „Hier wollen wir ansetzen“, sagt sie, „denn die Menschen sind ja nicht gesund, wenn sie nach dem Klinikaufenthalt nach Hause kommen – da sitzt das Gespenst ja immer noch unter dem Bett1“. Ein Mensch, der psychisch erkrankt, müsse sofort ambulante Betreuung erfahren können, fordert sie, um eine Chronifizierung zu verhindern. Klar sei aber auch, dass viele Betroffene nie von ihrer Erkrankung geheilt werden könnten; doch auch gerade diesen Menschen müsse eine Teilhabe am Leben außerhalb von stationären Einrichtungen ermöglicht werden. „So kommt es, dass wir viele Menschen schon über Jahre und vielleicht ihr Leben lang begleiten – das ist unsere Philosophie!“ Völlig unterschiedliche Klientengruppen erreichen Karin Kaiser und ihre Kollegen mit den Angeboten in der Eingliederungs- und in der Kinder- und Jugendhilfe. Diese kommen zum Teil selbst – auf Empfehlung anderer Klienten – in den Dienst, der gut erreichbar am Anfang der Rahlstädter Fußgänger liegt. Andere Betreuungsanfragen erreichen das Unternehmen über Fachkliniken, niedergelassene Ärzte, gesetzliche Betreuer oder das Jugendamt. Über Jahre hat sich Kaiser – sie ist Kinderkrankenschwester und hat früher selbst in der Psychiatrie gearbeitet – ein weit verästeltes Netzwerk an gut funktionierenden Kontakten aufgebaut. Es sind beispielsweise oft noch sehr kleine Kinder, die der Dienst betreut, weil deren junge alleinerziehende Mütter mit der Versorgung überfordert sind. Oder Kinder und Jugendliche, bei denen Probleme aus einer

--gesundheitliche oder zwingende Gründe, --berufsbedingte Abwesenheit, --Kindeswohlgefährdung. Die Dauer der Unterstützungsleistung wird durch das Wohl des Kindes determiniert, d. h., dessen Versorgung findet so lange statt, wie es für sein Wohl erforderlich ist. Hierzu bietet die ambulante Familienpflege umfangreiche und qualifizierte Hilfen für die unterschiedlichsten Belange der individuellen familiären Situation, um eine Fremdunterbringung der Kinder zu vermeiden. In Abgrenzung zur sozialpädagogischen Familienhilfe, die langfristig Familien bei der Findung von Bewältigungsstrategien Häusliche Pflege_November 2010

psychischen Erkrankung oder einer seelischen Behinderung resultieren. Die Bandbreite reicht „von ganz kleinen Menschen über alleinlebende Erwachsene bis hin zu alten Menschen“, erklärt Kaiser „und umfasst sämtliche psychiatrischen Diagnosen: Schizophrenie, Borderline, Psychosen, Depressionen und vieles mehr – wenn die Menschen zu uns kommen, haben sie keine leichte Erkrankung mehr.“

Steigende Nachfrage erfordert neue Konzepte Weil die Bandbreite der Erkrankungen, die Hilfebedarfe und Lebenslagen der Klienten so unterschiedlich sind, erfordere die Spezialisierung nicht nur ein hohes Maß an professionellem Know-how, sondern auch „sehr viel Herzblut“, sagt Kaiser. „Das kann ein Pflegedienst nicht mal so einfach neben der Pflege mit machen: Man braucht die Fachkräfte, man muss funktionierende Teamstrukturen aufbauen – das erfordert viel Arbeit und Wissen, Flexibiltät und Einsatzbereitschaft von jedem einzelnen im Team.“ Nichtsdestotrotz sieht Kaiser die dringende Notwendig, dass die ambulanten Betreuungsstrukturen in der Eingliederungshilfe ausgebaut werden, denn die Nachfrage steige. „Es gibt so viele sich zuspitzende gesellschaftliche Probleme, die nach neuen Konzepten verlangen. Wir müssen weg von der stationären Versorgung in der Psychiatrie, ambulante Konzepte sind gefragt.“ Ambulante Pflegedienste, die das erforderliche Know-how vorhalten, könnten aufgrund ihrer Nähe zu den Menschen die richtigen Ansprechpartner und Leistungserbringer in diesen Konzepten sein, meint Kaiser. Für ihr Unternehmen jedenfalls sei diese Spezialisierung richtig gewesen, bestätigt sie: „Wir sind damit sehr erfolgreich!“ z  Darren Klingbeil .. Info

Kaiser: „Ambulante Konzepte sind gefragt“

Weitere Informationen zum Unternehmen finden Sie im Internet unter www.sozialerdienst.de. E-Mail-Kontakt: [email protected]

von alltäglichen Fragestellungen unterstützt, möchte die ambulante Familienpflege akute Notsituationen überbrücken. Sie wird durch Fachkräfte von Sozialstationen und ambulanten Pflegediensten erbracht. Leistungsträger sind in der Regel die Sozial- und Jugendhilfeträger sowie die Krankenkassen. Die Leistungsvergütung wird in länderspezifischen Leistungsvereinbarungen geregelt. yy Haushaltsnahe Dienstleistungen: Auch der Anbieter haushaltsnaher Dienstleistungen gehört zu den mobilen ambulanten pflegerischen und hauswirtschaftlichen Dienstleistungsbetrieben, deren Leistungen ambulant von Menschen mit Behinderung oder psy_23

Strategie chisch kranken Menschen nachgefragt werden können. Das Leistungsportfolio der Anbieter von haushaltsnahen Dienstleistungen selbst kann in folgende Leistungen gegliedert werden: --Haushaltsnahe Dienstleistungen in Abgrenzung von SGB V, SGB XI und SGB XII, --Hauswirtschaftliche Versorgung im Sinne von SGB V, SGB XI und SGB XII. Je nach dem individuellen Bedarf des Anspruchnehmers können hier hauswirtschaftliche Leistungen des SGB V, SGB XI und SGB XII übernommen werden. Besteht ein Versorgungsvertrag des Anbieters haushaltsnaher Dienstleistungen mit den Kostenträgern, können diese auch direkt mit den Krankenund Pflegekassen sowie den Trägern der Sozialhilfe abgerechnet werden.

Unterstützungsangebote im Bereich Wohnen Die Nähe zum Kunden ist der Marktvorteil ambulanter Dienste

yy Pädagogische Betreuung im eigenen Wohnraum & Wohnassistenz: Die pädagogische Betreuung im eigenen Wohnraum PBW ist eine ambulante Dienstleistung, die es den Betroffenen ermöglichen soll, ein weitestgehend selbstständiges und unabhängiges Leben im eigenen Haushalt zu führen. Das Prinzip der Unterstützungsleistung ist die Hilfe zur Selbsthilfe. Anspruchsberechtigt sind Menschen mit Behinderung, die das 18.  Lebensjahr vollendet haben und unter die Bestimmungen des § 53 SGB XII (Eingliederungshilfe) erfüllen. Weiteres Ziel der Maßnahme ist die Vermeidung einer stationären Unterbringung bzw. die schrittweise Ablösung aus dem familiären Unterstützungssettings. PBW möchte konkrete Hilfestellungen, insbesondere zu folgenden Themen bieten: --Entwicklung einer eigenverantwortlichen Lebensführung, --Orientierung im Sozialraum (Mobilität, ÖPNV, etc.), --Gestaltung des Wohn- und Arbeitsmilieus nach den individuellen Interessen und Neigungen der Betroffenen, --Entwicklung lebenspraktischer Fähigkeiten und Alltagskompetenzen. Durch einen Gesamtplan gem. § 58 SGB XII sollen alle Leistungen der Eingliederungshilfe koordiniert und fortwährend hinsichtlich ihrer Effizienz und Effektivität für die Betroffenen evaluiert werden. Die Maßnahmendauer beträgt in der Regel zwei Jahre bei elf bis fünfzehn Wochenstunden, wobei hiervon in besonders gelagerten Fällen abgewichen werden kann. Anbieter müssen einen Leistungsvertrag gem. § 75 SGB XII mit dem Sozialhilfeträger abgeschlossen haben. In diesem werden auch die Refinanzierungsmodalitäten, das Berichtswesen sowie weitere Maßnahmenbedingungen geregelt. Für Menschen mit Behinderung, die das 18. Lebensjahr vollendet haben und die Voraussetzung des §  53 SGB  XII erfüllen, besteht darüber hinaus das Angebot der Wohnassistenz. Im Gegensatz zur Pädagogischen Betreuung im eigenen Wohnraum, die mit der Zielerreichung einer selbstständigen Le-

24_

bensführung endet, ermöglicht dieses Angebot eine dauerhafte Unterstützung für Menschen, die ihren Alltag nicht (mehr) ohne Assistenzleistungen bewältigen können. Für die Vertragsverhältnisse und Leistungsmodalitäten gelten dabei dieselben Voraussetzungen, wie für die pädagogische Begleitung im eigenen Wohnraum. Die Leistungen PBW und Wohnassistenz werden in einigen anderen Bundesländern unter anderen Bezeichnungen angeboten, so zum Beispiel als ambulante Fachleistungsstunde. yy Hilfe für Familien mit behinderten Kindern: Zur frühzeitigen Integration und Teilhabe behinderter Kinder, die die Voraussetzungen des §  53 SGB  XII erfüllen und das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, besteht die Möglichkeit, Hilfen für Familien mit behinderten Kindern in Anspruch zu nehmen. Die Unterstützungsleistungen zielen ebenso wie die PBW auf die Entwicklung der Selbstständigkeit, die Teilnahme am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben sowie auf die Perspektive einer eigenständigen Haushaltsführung ab. Die enge Einbindung, Unterstützung und Entlastung der Eltern kennzeichnet diese Leistungs-art. Das Angebot umfasst u. a.: --Die Akzeptanz und Auseinandersetzung mit der Behinderung des Kindes --Die Stärkung der Stabilität in der Familie sowie eine gemeinsame realistische Lebensplanung, --Befähigung aller Familienmitglieder, die Selbstständigkeit, Mobilität und Orientierung der Angehörigen mit Behinderung zu fördern und zu begleiten, --sowie die soziale Integration im Sozialraum der Betroffenen zu fördern (Kontakte zu Gleichaltrigen, integrative Angebote, etc.). Wie bei der PBW wird ein Gesamtplan zur Koordination verschiedener Angebote erstellt. Ebenso werden nur Träger zugelassen, mit denen eine Rahmenvereinbarung mit dem Sozialhilfeträger gem. § 75 SGB XII besteht. Die Maßnahme umfasst in der Regel zehn Wochenstunden und wird bei der Erstbewilligung auf ein halbes Jahr befristet. Folgebewilligungen sind in begründeten Fällen möglich und können auf bis zu einem Jahr befristet werden.

Bestimmte Trends bei der Konzeption neuer Angebote beachten Betrachtet man die bundesweite Entwicklung der Nachfrage und Leistungsgewährung, so können trotz verschiedener landes- und kommunalpolitischer Regelungen folgende Trends im Bereich der Eingliederungshilfe ausgemacht werden, die für die strategische und operative Ausrichtung neuer Geschäftsfelder ambulanter Dienste von signifikanter Bedeutung sind: Personenzentrierte Förderung – Der Trend hin zur personenbezogenen individuell bemessenen Leistungsförderung zwingt etablierte Anbieter in einen Wettbewerb mit anderen Dienstleistern. Die Stärkung der Kundenrolle von Menschen mit Behinderung fordert und fördert eine innovative und nachfrageorientierte AngeNovember 2010_Häusliche Pflege

botserbringung und die Ausrichtung am individuellen Bedarf macht eine Unterteilung in ambulante und stationäre Betreuungssettings obsolet. Dienstleistern, denen es gelingt, die individuellen Bedarfe zu ermitteln und mit ihrem Angebot zu decken, eröffnen sich weitere wachstumsorientierte und lukrative Geschäftsfelder. Diversifizierung der Angebote – Mit der Stärkung des Wunsch-und Wahlrechtes von Menschen mit Behinderungen verstärkt sich auch die Nachfrage nach dezentralen flexiblen Leistungen. Etablierte Anbieter der Behindertenhilfe sind häufig nur unter großem Aufwand dazu in der Lage, personenbezogene Leistungen kostendeckend dort anzubieten, wo der Kunde lebt. Tipp: Die Nähe zum Kunden stellt einen absoluten Marktvorteil der ambulanten Dienstleister dar und wird perspektivisch auch stärker direkt durch den Kunden nachgefragt werden. Zudem kann über den bereits vorhandenen Qualifikationsmix der Mitarbeiter ein breites Spektrum an passgenauen Dienstleistungen erbracht werden. Kooperationen gewinnbringend nutzen – Die Diversifizierung und Dezentralisierung von Wohnangeboten der Behindertenhilfe bringt viele Einrichtungen der Eingliederungshilfe zur Kooperation mit ambulanten Anbietern, die Leistungen, wie beispielsweise haushaltsnahe Dienstleistungen oder Pflegeleistungen effektiver vor Ort erbringen können. Angebotslücken füllen – Insbesondere in ländlichen Regionen sind Angebote der Eingliederungshilfe nur sporadisch zu finden, noch seltener sind ambulante Angebote für Menschen mit Behinderungen oder psychischer Erkrankung. Auch in diesem Bereich nehmen zunehmend ambulante Anbieter ihre Marktchancen wahr. Analyse von Markt- und Wettbewerb – Die Leistungen im Bereich der Eingliederungshilfe sind durchweg von landes- und kommunalpolitischen Besonderheiten und Individualregelungen geprägt. Trägern, die ein neues Geschäftsfeld in den skizzierten Leistungssegmenten aufbauen wollen, wird empfohlen eine umfassende Markt- und Wettbewerbsanalyse durchzuführen. Weiterführende Informationen finden Sie auch bei den im Artikel genannten Leistungsträgern und Selbsthilfeverbänden. Basierend auf validien Daten hinsichtlich der regionalen sozialpolitischen Entwicklung, der Refinanzierungsmodalitäten und der Wettbewerbsstruktur können so Chancen und Risiken den eigenen Stärken und Schwächen gegenübergestellt werden. Einer erfolgreichen nachhaltigen Umsetzung Ihrer Geschäftsfeldstrategie steht so nichts mehr im Wege. zy y Mehr Infos auf HÄUSLICHE PFLEGE ONLINE: Im Web-Shop unter http://shop.haeusliche-pflege.vincentz.net finden Sie das Buch „Alltagshilfen erfolgreich aufbauen“.

Frauke Hennings Organisationsberaterin, www. contec.de, E-Mail: Hennings@ contec.de

Ferdinand Schäffler Organisationsberater, E-Mail: schaeffler@ contec.de

Mehr zum Thema Ein Beitrag zum Thema Familienpflege („Den Alltag aufrecht erhalten“ von Norbert Grote) ist in HÄUSLICHE PFLEGE 6_2010, Seite 20 ff. erschienen. Häusliche Pflege_November 2010

_25

Suggest Documents