Niedergradige Gliome Low Grade Glioma

Niedergradige Gliome – Low Grade Glioma 1. Definition und Basisinformation: Hierunter versteht man die von der WHO als Grad II ("semi-benigne") eing...
Author: Volker Becke
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Niedergradige Gliome – Low Grade Glioma

1. Definition und Basisinformation:

Hierunter versteht man die von der WHO als Grad II ("semi-benigne") eingestuften differenzierten Astrozytome, Oligodendrogliome, Oligo-Astrozytome und Ependymome. Das pilozytische Astrozytom sei hier mit aufgeführt, wenngleich es per definitionem als der gutartigste astrogliale Tumor als eigenständige Entität zu betrachten ist.

2. Diagnostik:

2.1 Symptome: Die Erstmanifestation eines Hirntumors kann auf zweierlei Weise erfolgen: einerseits durch neurologische Herdstörungen wie z.B. Hemiparese, Aphasie, Hemianopsie oder auch Krampfanfälle, andererseits durch Symptome der intrakraniellen Drucksteigerung als Ausdruck einer klinisch bis dato inapparent entwickelten Raumforderung oder Liquorabflußstörung, im klinischen Sprachgebrauch oft -nicht ganz korrekt- als "Hirndruck" bezeichnet. Beide Manifestationsformen sind in ihrer Kausalität zunächst mehrdeutig und lassen neben der tumorbedingten Entstehung in erster Linie auch an eine vaskuläre oder entzündliche Akut-erkrankung des Gehirns denken.

2.2 Anamnese: Jeder Verdacht auf einen raumfordernden intrakraniellen Prozeß erfordert eine genaue Erhebung der Anamnese (zeitliche und qualitative Symptomentwicklung, Anfalls-Charakteristik, Auftreten klinischer Hirndruckzeichen wie Kopfschmerz, Erbrechen und Bewußtseinsstörung, frühere Tumorerkrankungen oder Hinweise auf ein aktuelles malignes Geschwulstleiden); vom Patienten selbst zu erfragen oder im Falle einer Bewußtseinsstörung als fremdanamnestische Exploration der Angehörigen.

2.3 Körperliche Untersuchung: Die körperliche Untersuchung und Erhebung einfacher klinischer Parameter können beim Hirntumor-Patienten unter Umständen weiteren Aufschluß über die Art der Tumorerkrankung sowie über das Ausmaß der intrakraniellen Drucksteigerung, d.h. die Dringlichkeit therapeutischer Akutmaßnahmen liefern: z.B. reduzierter körperlicher Allgemeinbefund oder Gewichtsverlust bei metastasierendem Grundleiden, dermatologische Stigmata bei bestimmten, mit intrakraniellen Tumoren einhergehenden erblichen, neoplastischen Syndromen (Neurofibromatose, tuberöse Hirnsklerose); RR-Anstieg, Bradykardie und ggf. Atemregulationsstörungen als Zeichen der beginnenden intrakraniellen Druckdekompensation. Daran schließt sich eine Untersuchung der wichtigsten neurologischen Funktionen an, begrenzt auf die präzise und zielgerichtete Prüfung der entscheidenden Funktionssysteme: Bewußtseinslage (Reaktion auf Ansprache, Orientiertheit, Merkfähigkeit); Hirnnervenfunktionen (Pupillenverhalten, Gesichtsfeld, Augenmotilität, mimische Innervation, Schutzreflexe); - Motorik (Gangbild, grobe Kraft, Tonus); Sensibilität; Reflexstatus (Muskeleigenreflexe, Pyramidenbahnzeichen); Sprache (spontane Sprachproduktion, Nachsprechen, Wortverständnis); - zerebellare Funktionen (Koordination, Augenbewegungen, Gleichgewicht). In Fällen fortgeschrittener intrakranieller Drucksteigerung und bei Raumforderungen der hinteren Schädelgrube kann der Nachweis einer Nackensteife (Meningismus) auf eine vital bedrohliche Einklemmungsgefahr hindeuten und muß differentialdiagnostisch gegenüber Entzündung oder Blutung in den Liquorraum abgegrenzt werden.

2.4 Labordiagnostik: Zur Abgrenzung gegenüber entzündlichen oder anderen Erkrankungen erforderlich: Anamnese, entzündlicher Streuherd? Fieber, Leukozytose, BSG-Beschleunigung? Zu beachten ist allerdings, dass im Stadium der aktuellen klinischen Manifestation des Hirnabszesses entzündliche Parameter wie Fieber, Leukozytose, Meningismus oder auch Zellzahlerhöhung im Liquor nicht oder nicht mehr anzutreffen sein müssen. Liquoruntersuchungen nur in Ausnahmefällen und nach vorheriger Bildgebung.

2.5 Radiologische Untersuchungen: MRT: T1-gewichtet, nativ und nach Gabe von 0,1 - 0,2 mmol eines paramagnetischen Kontrastmittels (eventuell mit Magnetization Transfer-Puls), etwa Gadopentetatdimeglumin/kg KG, axialer Scan und 2. Ebene: koronar od. sagittal; T2gewichtet oder Flair-/Diffusionssequenz, axialer Scan, fakultativ 2. Ebene; 4 - 6 mm Schichtabstand; T2*-Seuqenz sowie funktionelles MRT im Bedarfsfall. CT (nur wenn MRT nicht möglich): axialer Scan, nativ und nach Gabe von 1 - 1,5 ml KM/kg KG, 4 - 8 mm Schichtabstand,Weichteil-Fenster

Angiographie, FDG-PET nur in besonderen Fällen.

a

b

Abbildung: (a) Niedriggradiges diffuses Astrozytom links temporal, coronare Schichtung, T2-FLAIR Sequenz; (b) axiales T1-KM-verstärktes Bild zeigt keine Kontrastmittelaufnahme im links temporalen Tumor (Pfeile) 2.6 Endoskopische Untersuchungen: Bei intraventrikulären Prozessen zur bioptischen Gewebespezifizierung.

2.7 Zusatzdiagnostik: Röntgen-Thorax; Routine-EKG

2.8 Wichtigste Differentialdiagnosen: Hirntumoren anderer Ätiologie, Abszesse und andere Entzündungen, Blutungen, neurologische (System-)Erkrankungen

3. Stadieneinteilung: Grad I Gliome Tumoren mit niedrigem Proliferationspotential, guter Abgrenzung gegenüber dem benachbarten Hirnparenchym und der Möglichkeit einer Heilung nach alleiniger Operation. Grad II Gliome sind langsam aber infiltrativ wachsende Tumoren mit einer erheblichen postoperativen Rezidivneigung, wenngleich oft erst nach

mehreren Jahren. Charakteristisch ist eine Progressionstendenz hin zu höheren Malignitätsgraden. Grad III Gliome sind proliferationsaktiv, invasiv wachsend, weisen deutliche histologische Merkmale der Anaplasie auf. Sie rezidivieren trotz multimodaler Therapiekonzepte nahezu ausnahmslos, meist innerhalb weniger Jahre. Der hochgradigen histopathologischen Malignität des Glioblastoms (=Grad IV) entspricht dessen klinisches Verhalten, das durch sehr kurze Entwicklungsdauer, rapid invasives Wachstum und durch eine sich meist innerhalb der ersten 12 Monate manifestierende Rezidivbildung alle anderen Hirntumoren an Bösartigkeit weit übertrifft. Zur histologischen Charakterisierung siehe folgende Tabelle:

Tumortyp Astrozytäre Tumoren Pilozytisches Astrozytom Differenziertes Astrozytom Anaplastisches Astrozytom Glioblastoma multiforme Oligodendrogliale Tumoren Differenziertes Oligodendrogliom Anaplastisches Oligodendrogliom Gemischte Gliome Differenziertes Oligo-Astrozytom Anaplastisches Oligo-Astrozytom Ependymale Tumoren Ependymom Anaplastisches Ependymom

WHO-Grading 1° 2° 3° 4° 2° 3° 2° 3° 2° 3°

4. Therapie:

4.1 Chirurgische Therapie: Bei Gliomen der Großhirn-Hemisphären und des Kleinhirns ist die möglichst vollständige Tumorentfernung in mikrochirurgischer Technik entlang der sichtbaren Tumorgrenzen anzustreben; dabei sorgfältiges Abwägen der Morbiditätsrisiken einerseits und der Risiken einer unvollständigen Entfernung andererseits (sekundäre Malignisierung). Bei vollständiger Tumorentfernung innerhalb der radiologisch definierten Grenzen (bei pilozytischen Astrozytomen auch bei inkompletter Exstirpation) ist eine Nachbestrahlung nicht indiziert.

4.2 Chemotherapie: Eine Chemotherapie ist bei den differenzierten Gliomen in der Regel nicht indiziert. Ausnahmen: Kinder unter 16 Jahren und Oligodendrogliome II bei Vorliegen eines Resttumors. Therapien mit Temozolamide, Nitrosoharnstoffen oder PCV (Procarbazin, CCNU, Vincristin) sind beschrieben ohne signifikante Unterschiede in der Wirksamkeit.

4.3 Strahlentherapie: Im Falle eines radiologisch dokumentierten Resttumors (Resektion weniger als 80%) und Bestehen prognostisch negativer Faktoren wird die sofortige Nachbestrahlung empfohlen. Diese sollte auf die radiologisch abgrenzbare Tumorregion unter Einschluß eines Sicherheitssaumes begrenzt bleiben, in konventioneller Fraktionierung und mit einer GHD von 54 Gy erfolgen. Prognostisch negative Faktoren sind: Gemistozyten, und Veränderungen Volumendarstellung im MRT.

Klinisch progrediente Symptome, in der Kontrastmittelaufnahme/

4.4 Supportive Behandlungen Nur in sehr weit fortgeschrittenen Stadien der Tumorprogression und der neurologischen Funktionseinbußen (Hemiparese, Aphasie) ist analog zur Therapie bei malignen Gliomen eine symptomatische antiödematöse Therapie mit Kortikoiden (Dexamethason: 2x2 mg bis 4x4 mg) sinnvoll.

4.5 Zusatztherapien: Keine.

4.6 Flow-Chart-Therapie:

V.a. WHO ºII Glioma MRT mit T2* Vorstellung in der Neurochirurgie

OP80%

Prognostisch negative Faktoren

øBiopsie

Biopsie

Keine

Watch and Wait

Adjuvante RT

RT nur bei Progress

Prognostisch negative Faktoren Klinische Kriterien:

Bildmorphologische Kriterien:

• Progrediente Symptome

• Veränderung der KM-Aufnahme • Volumenzunahme

Histologische Kriterien:

• Gemistozyten 5. Verlaufskontrolle und Remission:

Differenzierte Gliome rezidivieren meist innerhalb der ersten 5 - 7 Jahre. Während dieser Zeit (und darüber hinaus) sind regelmäßige Verlaufskontrollen mit klinischneurologischer Untersuchung und MRT notwendig. Die Kontroll-Intervalle sind der jeweiligen Situation anzupassen: Gliome Grad II, kein Resttumor: Halbjährliche Kontrollen im ersten Jahr; dann bei Rezidivfreiheit Verlängerung auf 12-monatige Intervalle. Nach 5 Jahren können die Intervalle entweder weiter verlängert werden oder man macht nachfolgende Kontrolluntersuchungen allein vom klinischen Verlauf abhängig. Bei Rezidivverdacht wird das Kontrollintervall auf 3-4 Monate verkürzt. Gliome Grad II, primärer Resttumor, nachbestrahlt: Halbjährliche Kontrollen in den ersten 5 Jahren, bei Verdacht auf Progression Kontrolle nach 3-4 Monaten. Nach 5 Jahren jährliche Kontrollen, dann weiter wie bei resttumorfreien Patienten.