Neue Wege zum Recyclen von Kunststoffen.

Die Erfindung der synthetischen organischen Polymeren, kurz Kunststoffe, hat wie kaum eine andere Erfindung unsere Welt verändert und kommt dem steigenden Bedarf der Menschen nach neuen Dingen und gesteigerter Lebensqualität entgegen. Um den Bedarf zu decken, hat die Chemieindustrie immer effizientere und ökonomischere Verfahren für die Synthese der Substanzen entwickelt.1) Für die überwiegende der Produkte besteht eine petrochemische Basis. Da dabei nur wenige Prozent des geförderten Kohlenstoffs in den Endprodukten verbleiben, kann man mit einer längerfristigen Rohstoff-Grundlage für diesen chemischen Zweig rechnen. Die leichte Verfügbarkeit und Verarbeitbarkeit der organischen Polymeren führt zusammen mit der Fortentwicklung von Technologie und Design zu einem Interesse in kürzer werdenden Zeitabständen neue Produkte einzusetzen; Haushaltsgeräte, für die man früher eine Lebensdauer von mehr als 30 Jahren erwartet hatte, gelten heute schon nach weniger als 10 Jahren als überholt. Ambivalenz makromolekulare Werkstoffe In Sinne des Forschritts ist dies zunächst positiv zu beurteilen, die ausgemusterten Dinge, insbesondere Gehäuse und Verpackungen, werden aber in immer kürzeren Zyklen zu „Plastik-Müll“ dessen Umfang in der Zwischenzeit zu einem Umwelt-Problem geworden ist, für das der Begriff „Plastic Planet“ geprägt worden ist. Die beeindruckende Größe des Pazifischen Müll-Strudels war u.a. einer der wesentlichen Anstöße, dass das Problem in der Zwischenzeit international in das Bewusstsein der Menschen gerückt ist. Maßnahmen zur Vermeidung von Müll und zum Recycling von organischen Polymeren werden immer dringlicher. Anstrengungen zur Vermeidung von Müll können das Problem zwar dämpfen, aber nicht ganz beseitigen; eine Lösung des Müll-Problems ist nur auf chemischem Wege möglich. Die Verwendung organischer Polymerer als Werkstoffe stellt an sich eine ausgesprochen günstige Basis für die Vermeidung von Müll bzw. dessen Wiederverwendung dar. Im Vergleich zu den wesentlich problematischer wiederzuverwendenden anorganischen Materialien, wie Porzellan, Keramik oder auch Silikatglas in Form von Flachglas, können organische Verbindungen viel leichter und effizienter direkt wiederverwendet, umgewandelt, abgebaut oder auch notfalls verbrannt werden, um wenigstens ihren Energieinhalt zu nutzen. Selbst die populäre Wiederverwertung der Metalle, die auf den ersten Blick durch Aufschmelzen effizient und unproblematisch zu sein scheint, ist vielfach mit erheblichen Schwierigkeiten und einer Verschlechterung ihrer Materialeigenschaften verbunden und führt

statt zu einem echten Recyclen eher zu einem "Downcyclen"; Metalle als Werkstoffe sind heute Legierungen, die durch genau abgestimmte Komponenten ihre hochwertigen Eigenschaften erhalten. Dies ist kaum bei unkontrolliert gesammeltem und aufgeschmolzenem Material wieder zu erreichen; beispielsweise führen bereits wenige hundert ppm Kupfer in Stahl zu einer erhöhten Tendenz zu Faulbruch und verhindern den Einsatz solcher Stähle in hochwertigen Maschinenteilen; ein ökonomisch vertretbares Konzept zum Entfernen des Kupfers aus dem geschmolzenen Eisen steht noch aus. Demgegenüber bilden die organischen Polymere eine interessante Basis für einen technologischen Stoffkreislauf, der bei Edelmetallen wie Gold schon lang verwirklicht ist und die nach ihrer Verwendung nicht als Müll deponiert, sondern wiederverwendet werden. Die belebte Natur belegt einen effizienten Stoffkreislauf auch für Kohlenstoff bzw. organische Verbindungen. Thermoplaste Das ganz überwiegende Aufkommen der technischen Polymeren wird von Thermoplasten wegen ihrer einfachen und ökonomische Verarbeitbarkeit durch Aufschmelzen und Formen (Spritzgießverfahren) und ihrer gute Biege- und Stoßeigenschaften gebildet. Eine Wiederverwendung durch erneutes Aufschmelzen und Formen wäre ein attraktiver Weg, erfordert aber ein sortenreines Material, denn bereits 5% Fremdmaterial führt wegen der Unverträglichkeit bzw. Unmischbarkeit von Polymeren zu einer erheblichen Verschlechterung der Eigenschaften durch Kornbildung. Anwendungen als hochwertige Materialien erfordern noch wesentlich bessere Einheitlichkeiten. Solch sortenreine Polymermaterialien fallen aber allenfalls bei deren Herstellungs- und Verarbeitungsprozessen an. Für unspezifisch gesammeltes Polymermaterial jedoch ist eine derartige Sortenreinheit unrealistisch und kann höchstens durch ein effizientes Sortieren erreicht werden. Sortieren In Anbetracht des großen Aufkommens und der erforderlichen Fehlerfreiheit ist ein manuelles Sortieren von Polymeren nicht realistisch, und die Entwicklung von automatischen Sortierverfahren ist anzustreben. Eine Notwendigkeit für das Sortieren scheint zunächst nur für Thermoplaste gegeben zu sein, um diese wieder in eine homogene Schmelze für die Wiederverwertung zu überführen. Ein Sortieren ist aber auch für die unschmelzbaren Thermodure von Interesse, die durch chemische Prozesse aufzubereiten sind. Dafür geeignete Prozesse können bei einheitlichem Ausgangsmaterial effizienter und stabiler betrieben und gesteuert werden als mit schlecht definierten Gemischen. Man wird also Sortieranlagen für geschreddertes Material benötigen die aber grundsätzlich vielfältig bekannt sind, wie z.B. die

populären Glasssortieranlagen. Demgegenüber ist die Erkennung des jeweiligen Polymers der einzelnen Schredder-Flakes das größere Problem. Es hat hier bereits einige Entwicklungen gegeben, wie z.B. die Verwendung der Dichte der Flakes oder deren elektrostatische Aufladung.2) Ein universelles, sicheres und schnelles Verfahren steht aber noch aus. Optische Detektion: Fluoreszenz Die aus der Chemie bekannten spektroskopischen Methoden sind für die individuelle Erkennung der Polymeren attraktiv. Da man mit Transportgeschwindigkeiten der Flakes von mehr als 100 m/s rechnen muss, sind ausgesprochen schnelle Detektionsverfahren erforderlich. Erschwerend kommt hinzu, dass die Oberflächen und die Strukturen der Recycling-Flakes nur schlecht definiert sind. Günstig ist es daher, wenn die Flakes selber zu Stahlungsquellen werden, die auf Detektoren fokussiert werden. Diesen Randbedingungen würden die Raman-Spektroskopie und die Fluoreszenzspektroskopie entsprechen, die auch schnell genug für zügige Sortiervorgänge sind. Bei der Ramanspektroskopie sind stets fluoreszierende Beimengungen ein Problem, das bei unkontrolliert gesammeltem Recyclingmaterial unbekannter Vorgeschichte noch gravierender wird, ebenso, wie die Lichtstreuung des Anregungslichts, die unter den Bedingungen stark schwankend ist. Hier lässt sich die Fluoreszenzspektroskopie wesentlich effizienter einsetzen. Interessanterweise tritt bei technischen Polymeren eine beachtliche Eigenfluoreszenz auf, die als "Fingerabdruck" für ihre Identifizierung verwendet werden kann.

1.0 I

0.5

0.0 300

400

500

600

700

λ in nm

Abb. 1. Emissionsspektren der Eigenfluoreszenz von technischen Kunststoffen unter optischer Anregung bei 365 nm. Von links nach rechts: Delrin®: gestichelte Kurve (rot), Luran®: gepunktete Kurve (blau) und Ultramid®: durchgezogene Kurve (schwarz). Dies ist exemplarisch für die technischen Hochleistungskunststoffe Delrin®, Luran® und Ultramid® in Abb. 1 dargestellt. Man könnte die Polymeren anhand des spektralen Verlaufs ihrer Fluoreszenzspektren identifizieren; für Probleme dieser Art stehen effiziente Algorithmen zur Verfügung, die in anderem Zusammenhang entwickelt worden sind, und die Aufnahme der Spektren könnte über Array-Spektrometer bzw. CCD-Systeme erfolgen. Da der komplette Spektralbereich bearbeitet werden muss, ist dieses Verfahren verhältnismäßig rechenintensiv und dadurch aufwändig, insbesondere, weil die Spektren ähnlich sind. Eine Vereinfachung der Detektion würde einen erheblichen Fortschritt bringen. Fluoreszenzabklingzeit als Detektionskriterium Überraschenderweise sind nicht nur die spektralen Verläufe der Eigenfluoreszenzen der Polymermaterialien, sondern auch ihre Fluoreszenzabklingzeiten individuell erheblich verschieden.

2000 I

1000 I

1000

100

0

10 0

10

20

30

t in ns Abb. 2. Fluoreszenzabklingverhalten von Luran®. Gepunktete Kurve: zeitlicher Intensitätsverlauf der Anregungslampe. Durchgezogene, verrauschte Kurve: Zeitverlauf der Eigenfluoreszenz mit dekonvolutierter Funktion als ausgleichende Kurve (überwiegend von

der Messkurve überdeckt). Rechts: Ausschnitt der Fluoreszenzabklingkurve und Ausgleichsfunktion bei logarithmischer Auftragung. In Abb. 2 ist das Abklingen der Eigenfluoreszenz von Luran® nach einer pulsförmigen Anregung dargestellt, das mit einer e-Funktion erster Ordnung angeglichen werden kann. Bei logarithmischer Auftragung, rechte Skala, erhält man die Zeitkonstante des Abklingvorgangs direkt als Steigung der Gerade.

2000 I

1000

0 0

10

20

t in ns

30

Abb. 3. Übersicht über den zeitlichen Intensitätsverlauf der Anregungslampe (schwarz) und von links nach rechtes die dekonvolutierten Funktionen der Fluoreszenz von Delrin® (rot, τ = 0.74 ns), Ultramid® (purpur, τ = 1.96 ns) und Luran® (blau, τ = 3.53 ns).

In Abb. 3 ist zu ersehen, dass sich die individuellen Zeitkonstanten τ des Fluoreszenzabklingens der verschiedenen Polymeren erheblich, weit außerhalb des Messfehlers (Standardabweichung bei der verwendeten Apparatur und unterschiedlich geschütteten Einzelproben zwischen 0.03 und 0.07 ns) unterscheiden und zur Charakterisierung der Polymeren verwendet werden können.3) Der Exponentialverlauf ist für eine Detektion besonders interessant, denn unabhängig von der Anfangsintensität oder vom Beginn der Messung wird immer dieselbe Zeitkonstante erhalten (vgl. radioaktiver Zerfall); dies vereinfacht den Messvorgang erheblich und erhöht die Mess-Sicherheit. Die Messungen

von Abb. 2 und 3 sind mit einem Spektrometer erfolgt, um den zeitlichen Verlauf genau zu verfolgen. Dies ist jedoch für ein technisches Mess-System nicht erforderlich.

1.0 e-t /τ

f (t )

t 1/2

0.5

τ = 14.4 0.0 0

10

20

30 t

Abb. 4. Exponentialfunktion exp(-t/τ) schematisch als Fluoreszenz-Abklingvorgang mit τ = 14.4 und gaußförmig integrierenden Intensitätsmessungen, blau vor der ersten Halbwertzeit t1/2 und rot nach der ersten Halbwertzeit. Die Zeitkonstante τ kann aus zwei Intensitätsmessungen,4) zweckmäßigerweise vor und nach der ersten Halbwertzeit berechnet werden; diese Messungen brauchen nicht einmal punktförmig, sondern können auch integrierend, so z.B. mit einem Gaußprofil, erfolgen, wie in Abb. 4 dargestellt; dies ergibt dann noch ein verbessertes Signal-Zu-Rausch-Verhältnis. Mit den modernen Halbleiter-Bauteilen unter Verwendung von Laserdioden und phasenempfindlichen Detektoren (PSD) ist dies ökonomisch realisierbar. Sortierleistungen Geht man von einem typischen, 25 mg schweren Recycling-Flake aus, dessen Abmessungen ungünstigstenfalls 10 mm sind, dann sollte man 20 mm Sicherheitsabstand zwischen den zu detektierenden Flakes lassen. Bei einer Vorschubgeschwindigkeit von 500 km/h (140 m/s, man sollte aus technischen Gründen deutlich unter der Schallgeschwindigkeit bleiben) käme man als Extremfall auf über 40 Tonnen Material pro Stunde und Sortierlinie und würde damit die Erfordernisse der Großindustrie erreichen. Im Sinne der Vereinfachung der Ausführung

und des Betriebs von Anlagen würde man jedoch deutlich unter diesem technologischen Limit bleiben, das aber von der Funktion des Detektors grundsätzlich erreicht werden kann. Erweiterungen und Ausblick Über die Bestimmung der Fluoreszenzabklingzeit lassen sich grundsätzlich Mischungen von Polymeren automatisch sortieren, die dann in technischem Umfang wiederverwertet werden können; das Verfahren lässt sich aber auch weiter ausbauen. Es ist interessant, bestimmte Chargen an Polymermaterial auszusortieren. Hierfür können während der Herstellung gezielt kleine Anteile an Fluoreszenzfarbstoffen zugesetzt werden, die wegen ihrer geringen Konzentration nicht auffallen aber über die Fluoreszenz detektiert werden können. Hier eignen sich beispielsweise Perylenbisimide (z. B. der Farbstoff S-13, RN 110590-84-6),5) die sich trotz ihrer rein organischen Basis durch ihre starke Fluoreszenz und hohe Lichtechtheit auszeichnen. Deren Lichtabsorptionsvermögen ist bei 365 nm klein und ermöglicht die ungestörte Sortierung nach Polymer-Typen. Durch eine Anregung im sichtbaren Bereich kann dann die spezielle Charge heraussortiert werden. Ein effizientes Recycling der Polymeren kann nicht nur einen Ausweg aus der Furcht vor wachsenden Umweltproblemen durch "Plastik" bieten, sondern darüber hinaus Impulse für neue Technologien unter Erhöhung der Lebensqualität und gleichzeitiger Schonung der Umwelt liefern, die nur über die Chemie möglich werden. 1) Siehe als Übersicht z.B. H.-G. Elias, Makromoleküle, Band 1 bis 4, Wiley-VCH, Winheim 1999-2003; ISBN 3-527-29872-X. 2) (a) E. Nemeth, G. Schubert, V. Albrecht, F. Simon, Aufbereitungs Tech. 2005, 46, 35-46. (b) E. Nemeth, F. Simon, V. Albrecht, G. Schubert, Ger. Patent, DE 102004024754 B3 (12.5.2004); Chem. Abstr. 2006, 144, 392348. (c) U. Gohs, V. Albrecht, K. Husemann, E. Reinsch, R. Schuenemann, F. Simon, Ger. Offen. DE 102007055765 A1 (11.12.2007); Chem. Abstr. 2009, 151, 57663. 3) H. Langhals, D. Zgela, T. Schlücker Green and Sustainable Chem. 2014, im Druck. 4) (a) R. M. Ballew, J. N. Demas, Anal. Chem. 1989, 61, 30-33. (b) R. J. Woods, S. Scypinski, L. J.Cline Love, H. A. Ashworth, Anal. Chem. 1984, 56, 1395-1400. (c) R. J. Meier, L. H. Fischer, O. S. Wolfbeis, M. Schäferling, Sensors and Actuators B 2013, 177, 500-506. 5) (a) H. Langhals, Chromophores for picoscale optical computers, in K. Sattler (ed.), Fundamentals of picoscience, S. 705-727, Taylor & Francis Inc. CRC Press Inc., Bosa Roca/US 2013; ISBN 13: 9781466505094, ISBN 10: 1466505095. (b) H. Langhals, Helv. Chim. Acta 2005, 88, 1309-1343.