49

Namen sind Schall und Rauch Wer nie Werbung gesehen hat, könnte kaum erraten, dass hinter Lebensmitteln wie Twix, Paula und Fanta ein Schokoriegel, ein Kinderdessert und Limonade stecken. Herstellerfirmen oder Werbeagenturen lassen ihrer Fantasie gerne freien Lauf, um einen interessanten Namen für ein neues Produkt zu finden. Ausnahmen sind die Eigenmarken der Discounter. Ihre Produkte heißen oft schlicht „Vollmilchschokolade“ oder „Fruchtjoghurt“ – was meist ehrlicher ist als die Bezeichnung der „Markenkollegen“. Produktnamen sind unverzichtbarer Teil einer Marketingstrategie. Sie sind zz wichtig für den Wiedererkennungswert, zz sprechen bestimmte Zielgruppen an und zz vermitteln ein Produktimage. Verbraucherschützer sehen darin in der Regel auch kein Problem, denn die Käufer erwarten nicht, dass sich im Namen eine für sie wichtige Information verbirgt. Produktnamen können aber auch in die Irre führen, wenn sie eine bestimmte Qualität vortäuschen sollen. Margarine ist hierfür ein historisches Beispiel. Sie wurde in den 1860er Jahren als streichfähiges Fett mit guter Haltbarkeit entwickelt, das als preiswerter Ersatz für Butter diente – die „Kunstbutter“. Die ersten Margarinesorten stellten mit Hilfe von Abbildungen und Namen einen Bezug zur Butter her. So nannte zum Beispiel ein Margarineproduzent sein Pro-

50

Verbrauchertäuschungen – die Top Ten

dukt „Rahma“, das zugleich als „buttergleich“, „butterfein“ und als „Butter-Meisterstück“ beworben wurde. Die Milchindustrie wehrte sich erfolgreich gegen die Werbung – und so musste sich Rahma „rahm-los“ in das unverfänglichere Rama verwandeln. Ab 1932 gab es dafür sogar eine Verordnung: Verpackungen und Reklame von Margarine durften keine Begriffe und Abbildungen verwenden, die auf Milch, Butter oder Milcherzeugnisse hinwiesen und damit über die tatsächlichen Zutaten hinwegtäuschten.

Stand: 04/2013

Ein aktuelles Negativ-Beispiel ist der Eisname Cremissimo, lässt er doch viele an ein hochwertiges, cremiggehaltvolles Eis denken. Ein Holzweg! Bei der Produktion von Speiseeis gibt es unterschiedliche Qualitäten. Die industriellen Eishersteller verwenden zunehmend preisgünstigeres Pflanzenfett anstelle von traditionellen Zutaten. Solche Erzeugnisse heißen dann „Eis“ oder „Speiseeis“. Das sind die Oberbegriffe für die kalte Schleckerei und sie sagen nichts über ihre inhaltliche Qualität aus. Es lassen sich trotzdem Rückschlüsse auf deren Milchanteil ziehen. Produkte mit den Bezeichnungen „Eiscreme“ und „Cremeeis“ enthalten entsprechend den Leitsätzen des Deutschen Lebensmittelbuches für Speiseeis ausschließlich Milchfett wie Sahne.

Namen sind Schall und Rauch

Der Produktname Cremissimo spielt mit diesem Qualitätsaspekt und stellt fälschlicherweise eine Verbindung zum hochwertigeren Cremeeis her, obwohl es sich nur um ein Eis aus entrahmter Milch handelt, dem statt Milchfett ein Pflanzenfett (hier: Kokosfett) zugefügt wurde. Wenn Sie auf die Qualität von Eis Wert legen, sollten Sie sich nicht von edel daherkommenden Namen hinters Licht führen lassen, sondern zunächst die Zutatenliste (siehe auch Glossar, Seite 218) genau studieren. Während Produktnamen prominent auf der Vorderseite von Lebensmittelpackungen prangen, fristet die viel aussagekräftigere Verkehrsbezeichnung meist ein Schattendasein auf der Rückseite. Sie steht oft direkt vor der Zutatenliste – und in derselben winzigen Schriftgröße. Weil der Begriff Verkehrsbezeichnung für viele Verbraucher ungewohnt klingen mag, wird er künftig im Lebensmittelrecht kurz und knapp „Bezeichnung“ genannt. Seine Bedeutung ist – so oder so – nicht zu unterschätzen: Denn gerade die Verkehrsbezeichnung ist häufig entscheidend, ob die Lebensmittelüberwachung ein Produkt beanstandet, die Verbraucherzentrale eine Firma abmahnt oder ein Gericht über Täuschung entscheidet. Die Verkehrsbezeichnung soll sachlich und korrekt informieren, welches Lebensmittel sich hinter dem bunten Produktnamen verbirgt, welche charakteristischen Eigenschaften es hat. Die Art des Produktes soll leicht erkennbar und eine Verwechslung mit vergleichbaren Erzeugnissen ausgeschlossen sein. Dazu zwei frei erfundene Beispiele: Für einen Joghurt mit dem Namen „Himbeer-Wolke“ stünde in der Verkehrsbezeichnung schlicht „Joghurt, mild, mit 18 % Fruchtzubereitung,

51

52

Verbrauchertäuschungen – die Top Ten

3,8 % Fett im Milchanteil“. Und beim exotisch-bunten „Jungle Fresh“ wäre es ein „Fruchtsaftgetränk aus Orangensaftkonzentrat und Mangomark, Fruchtgehalt mindestens 30 %“. Rechtlich ist genau festgelegt, woran sich die Verkehrsbezeichnung halten muss: zz Für manche Produkte ist die Verkehrsbezeichnung in einer Rechtsvorschrift festgelegt, zum Beispiel für Fruchtsaft, Margarine oder Milch. Dann ist diese zu verwenden. zz Vielfach sind anerkannte Verkehrsbezeichnungen auch in den Leitsätzen des Deutschen Lebensmittelbuchs beschrieben. Dazu gehören zum Beispiel „Salami“, „Leberwurst“, „Schwarzwälder Kirschtorte“ und „Hering in Gelee“. In den Leitsätzen ist niedergelegt, welche Beschaffenheit ein Produkt mit dieser Verkehrsbezeichnung haben soll oder wie es üblicherweise hergestellt wird. zz Gibt es keine Vorgaben, so wählen Anbieter selbst eine Bezeichnung, die es dem Verbraucher laut Lebensmittelkennzeichnungsverordnung (LMKV) „... ermöglicht, die Art des Lebensmittels zu erkennen und es von verwechselbaren Erzeugnissen zu unterscheiden“. Außerdem muss die Verkehrsbezeichnung – wie auch alle anderen Pflichtkennzeichnungen – an gut sichtbarer Stelle stehen, in deutscher Sprache abgefasst, zz leicht verständlich formuliert, zz deutlich lesbar und zz unverwischbar sein. zz zz

Stand: 01/2011

„An gut sichtbarer Stelle“ heißt leider nicht zwingend „auf der Vorderseite“, der zweifellos am besten sicht-

Namen sind Schall und Rauch

baren Verpackungsstelle. Warum nicht, werden Sie sich vielleicht fragen? Ganz einfach: Die Verkehrsbezeichnung ist schonungslos. Während die Vorderseite beispielsweise appetitlich-knusprig wirkende Crispy Chicken zeigt, klärt die Verkehrsbezeichnung auf: „Hähnchenbrustfleisch: z. T. fein zerkleinert, mariniert, zusammengefügt, paniert, tiefgefroren“ – mit anderen Worten: Formfleisch. Der Erdbeer-Drink – „fruchtig & lecker“ – entpuppt sich als „Milchmischgetränk aus Magermilch mit Erdbeergeschmack, wärmebehandelt, mit einer Zuckerart und Süßungsmitteln“ (Abbildung auf Seite 52). Verkehrsbezeichnungen, die so wenig verlockend klingen, wollen Hersteller lieber nicht an prominenter Stelle präsentieren.

Stand: 05/2013

53

54

Verbrauchertäuschungen – die Top Ten

Die Geschmack-Falle und ihr ominöser Hintergrund In vielen Verkehrsbezeichnungen stehen auch die Geschmacksrichtungen. Vielleicht wundert es Sie nicht im Mindesten, wenn Ihr Getränk Kräuter Sommer laut Verkehrsbezeichnung „Kräutergeschmack“ aufweist oder Ihr Erdbeershake „Erdbeergeschmack“. Geschmack, das klingt einladend, spricht die Sinne an – kann aber eine Falle sein. Denn wenn das Getränk echte Kräuterauszüge enthielte und beim Milchshake Farbe und Geschmack von einer Fruchtzubereitung kämen, dann würden Sie einen Hinweis auf die Zutaten „Kräuter“ oder „Erdbeeren“ auch in der Verkehrsbezeichnung finden, zum Beispiel als „Erfrischungsgetränk mit Kräuterauszügen“ oder „Milchmischgetränk mit 20 % Erdbeerzubereitung“. Wenn ein Hersteller „echte“ Zutaten verwendet – die in der Regel teurer und aufwändiger zu verarbeiten sind – hält er damit nicht hinterm Berg. „Geschmack“ dagegen bedeutet häufig, dass die erhofften Zutaten kaum oder gar nicht enthalten sind, sondern stattdessen Aromen (siehe Seite 214).

Zutatenliste Landlob Erdbeer-Drink Stand: 01/2011

Namen sind Schall und Rauch

Wenn Sie „Geschmack“ in der Verkehrsbezeichnung sehen, sollte Ihr nächster Blick der Zutatenliste gelten: Sind die beworbenen Zutaten überhaupt enthalten? Und wenn ja, in welcher Menge? Finden Sie keine Prozentzahl, dann sind die Zutaten nur in winzigen Mengen vorhanden – meist deutlich unter zwei bis drei Prozent. Denn wenn Zutaten „in geringer Menge zur Geschmacksgebung“ verwendet werden, darf die konkrete Mengenkennzeichnung fehlen – so will es die Lebensmittelkennzeichnungsverordnung (siehe Seite 69 ff.). Allerdings liefert die Verkehrsbezeichnung nicht immer die gewünschte Information. Ein Manko dabei ist die Vorgabe, dass sie – wenn sie nicht wie oben erwähnt bei Fruchtsaft oder anderen Produkten festgelegt ist – das Lebensmittel beschreiben soll. Und hier ist den Werbetreibenden wieder reichlich Freiraum für nichtssagende oder blumige Formulierungen gegeben. Firmen erfinden adjektivreiche Verkehrsbezeichnungen wie „knuspriger Haferkeks“ und „feine Waldbeer-Joghurtcremefüllung in Edel-Vollmilchschokolade“ oder „köstliche, knusprige Brot Chips“. Im ungünstigsten Fall bleibt die Art des Lebensmittels sogar unklar, etwa bei „Knusperchips“ oder „Candy-Creme“. Das ist inakzeptabel und auch nicht im Sinne der Rechtsverordnung.

Stand: 07/2012

55

56

[]

Verbrauchertäuschungen – die Top Ten

Tipp Die Verkehrsbezeichnung finden Sie meist erst auf den zweiten oder dritten Blick. Nehmen Sie darin aber jedes einzelne Wort ernst! Ein Frischkäse „mit Ziegenmilch“ ist nicht dasselbe wie einer „aus Ziegenmilch“. Der erste kann erheblich mehr Kuh- als Ziegenmilch enthalten. Und „Himbeergeschmack“ steht nicht für Himbeeren – er kann auch Himbeeraroma bedeuten. Wurde Geflügelfleisch „zum Teil zerkleinert und zusammengefügt“, handelt es sich um Formfleisch, nicht um ein Stück Brust oder Filet. Auch Mengenangaben zu abgebildeten oder genannten Zutaten finden Sie häufig in der Verkehrsbezeichnung. Werden sie weder dort noch in der Zutatenliste genannt, sind sie meist nur in kleinen oder kleinsten Mengen (weniger als zwei bis drei Prozent der Zutat) vorhanden – und der Geschmack stammt von zusätzlichem Aroma.

Stand: 12/2011



Das fordern die Verbraucherzentralen Die Verbraucherzentralen sehen in puncto Verkehrsbezeichnung dringend Handlungsbedarf: zz Die Verkehrsbezeichnung sollte daher immer klar und deutlich auf der Vorderseite der Verpackung stehen! Erst dann können Sie am Regal auf den ersten Blick erkennen, welche Lebensmittel Ihnen farbenfroh und werblich aufgepeppt angeboten werden. zz Damit wäre ein Großteil der Missverständnisse beim Kauf aus dem Weg geräumt – für den Gesetzgeber eigentlich ein einfaches Mittel, wenn er es mit dem Verbraucherschutz ernst meint. zz Beschreibende Verkehrsbezeichnungen müssen aussagekräftig sein! Wohlklingende, aber wenig informative Lebensmittelbezeichnungen erfüllen den Zweck der Verkehrsbezeichnung nicht und sollten von der Lebensmittelüberwachung konsequent beanstandet werden.

57