Notenstein Nachhaltigkeitsreihe

Nachhaltige Immobilien – Quo vadis? Aus der Notenstein Nachhaltigkeitsreihe

Die meiste Zeit unseres Lebens ver­ bringen wir in Gebäuden, Immobilien machen einen grossen Teil des volkswirt­ schaftlichen Vermögens aus, Gebäude sind langlebig und verursachen einen hohen Ressourcenverbrauch. Darum lohnt es sich, über die Nachhaltigkeit von Immobilien besonders intensiv nachzu­ denken. Wo steht die Schweiz heute beim Thema nachhaltige Gebäude und welche Entwicklungen zeichnen sich ab? Klaus Kämpf

Karriere eines Begriffs Der Nachhaltigkeitsgedanke im Sinne einer Überlebensstrategie und eines sorgsamen Umgangs mit lebensnotwendigen Ressourcen hat Wurzeln in allen Kulturen. Vor allem in bäuerlichen Kulturen ist er seit der Antike selbstverständlich. Greifbar wird Begriff «nachhaltig» erstmals in dem 1713 veröffentlichten Werk «Sylvicultura Oeconomica» des sächsischen Oberberghauptmanns Hannß Carl von Carlowitz. In diesem Lehrbuch der Forstwirtschaft geht es um die «nachhaltende Nutzung der Wälder». Ausgangspunkt war eine Krise, nämlich der zunehmende Mangel an Holz, das seinerzeit in grossen Mengen als Brennund Baustoff benötigt wurde. In seinem Buch spricht sich Carlowitz auch für einen für effizienten Umgang mit Holz aus. Seine Vorschläge muten erstaunlich modern an und beziehen Gebäude mit ein. So schlägt er verbesserte Wärmedämmung beim Hausbau und holzsparende Küchenherde vor. Auch soziale Fragen spricht Carlowitz an. Die Wirtschaft diene dem Allgemeinwohl und die Bevölkerung habe ein Recht auf «sattsam Nahrung und Unterhalt». Das moderne Verständnis von Nachhaltigkeit wurde 1987 in dem Bericht «Unsere gemeinsame Zukunft» der UN-Kom-

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mission für Umwelt und Entwicklung («Brundtland-Kommission») formuliert. Nach den Ölkrisen der 1970er Jahre wurde die Notwendigkeit von Energieeinsparung offensichtlich. Daraus entwickelte sich allmählich der Nachhaltigkeitsgedanke auch im Immobilienbereich (Abb. 1).

Abb. 1: Meilensteine der Nachhaltigkeit 1713

Hannß Carl von Carlowitz: Leitgedanke ­«nachhaltende» Nutzung von Holz»

1972

Club of Rome: Die Grenzen des Wachstums

1973

Erste Ölkrise

1987

«Brundtland-Bericht»: Definition Nachhaltige Entwicklung

1992

Bundesamt für Energie/Konferenz kantonaler Energiefachstellen: Musterverordnung «Rationelle Energienutzung in Hochbauten»

1994

Kesselring/Winter: Konzept 2000-Watt-Gesellschaft

1994

Minergie

2000

Erwähnung von Nachhaltigkeit in der ­Schweizerischen Bundesverfassung

2004

SIA-Empfehlung «Nachhaltiges Bauen – Hochbau»

Quelle: Notenstein Asset Management

Nachhaltigkeit ist mehr als Energieeffizienz Laut Brundtland-Bericht soll eine nachhaltige Entwicklung «die Bedürfnisse der heutigen Generation erfüllen, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre Bedürfnisse zu befriedigen». Nachhaltigkeit ist demnach ein menschenbezogenes Konzept. Das gilt auch für den Umweltschutz: Wir schützen die Umwelt nicht in erster Linie um ihrer selbst willen, sondern zur Sicherung unserer eigenen Lebensgrundlagen. Die Herausforderungen, vor denen wir heute stehen, sind die Sicherstellung von sozialem Zusammenhalt der Gesellschaft, Gesundheit und Ressourcenverfügbarkeit sowie die Begrenzung des Klimawandels. Gebäude haben in allen diesen Bereichen eine enorme Bedeutung. – Gebäude sind essentiell für Wohnen, Arbeit, Bildung und Kultur. Wir verbringen den grössten Teil unseres Lebens in Gebäuden. – Immobilien stellen einen bedeutenden Teil des Volks­ vermögens dar. Der summierte Marktwert der

1,7 Millionen Gebäude in der Schweiz beträgt etwa CHF 2’800 Milliarden. – 45% des Endenergiebedarfs der Schweiz sind mit ­Gebäuden verknüpft. – Jährlich werden in der Schweiz rund 50 Millionen Tonnen Baumaterial verarbeitet. Der tägliche Zuwachs an Siedlungsfläche entspricht mehr als 8 Fussball­ feldern. – Gebäude zählen zu den langlebigsten Gütern. Die Fehler von heute werden für lange Zeit buchstäblich zementiert und somit zu den Altlasten von morgen. Daher sind Immobilien ein zentraler Baustein einer nachhaltigen Entwicklung. Gibt man in die Suchmaschine von Google die beiden Suchbegriffe «Nachhaltigkeit» und ­«Gebäude» ein, so erhält man rund 761’000 Treffer. In der Kombination «Energie» und «Gebäude» sind es sogar über 25 Millionen – dies deutet darauf hin, dass Nachhaltigkeit in Zusammenhang mit Gebäuden häufig auf Energieeffizienz reduziert wird. Dabei hat der Schweizerische Berufsverband der Ingenieure und Architekten (SIA) schon 2004 den Facettenreichtum des nachhaltigen Bauens aufgezeigt (Abb. 2). Abb. 2: Facetten des nachhaltigen Bauens* Bereich

Thema

Kriterien bzw. Ziele

Gesellschaft

Gemeinschaft

Integration, Durchmischung, soziale Kontakte

Gestaltung

Räumliche Identität

Nutzung, ­Erschliessung

Grundversorgung, öffentlicher Verkehr, Zugänglichkeit

Wohlbefinden, Sicherheit, Licht, Raumluft, Strah­Gesundheit lung, Lärm Wirtschaft

Umwelt

Gebäude­ substanz

Standort, Lebensdauer, Flexibilität

Kosten

Lebenszykluskosten (Grundstück, Bau, Betrieb, Unterhalt)

Baustoffe

Verfügbarkeit, Umweltbelastung, Schadstoffe

Betriebs­ energie

Wärme, Strom, erneuerbare Energie

Boden, ­Landschaft

Flächenbedarf, Artenvielfalt

Infrastruktur

Mobilität, Abfälle, Wasser

* Auszug aus der Kriterienliste gemäss SIA-Merkblatt 112/1 (2004) Quelle: SIA

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Seither hat der SIA die Nachhaltigkeitsthemen durch Richtlinien präzisiert und erweitert. Dies betrifft u.a. «graue Energie»1, die Mobilität im Zusammenspiel mit dem Gebäudestandort und das Leitbild der «2000-Watt-Gesellschaft»2.

Nachhaltigkeit des Gebäudebestands Aus der Vogelperspektive betrachtet stellt sich die Nachhaltigkeit des Gebäudebestands in der Schweiz aktuell folgendermassen dar (Abb. 3): Neubauten haben im Durchschnitt ein hohes Niveau, vor allem bei der Betriebsenergie, aber auch in Bezug auf Nutzungsqualität und Komfort. Die Nachhaltigkeit sinkt mit dem Gebäudealter, wobei der Tiefpunkt in den 1960er Jahren erreicht wird. Bei früheren Baujahren nimmt die Nachhaltigkeit – für manche vielleicht überraschend – wieder zu. Dies ist auf die guten Standorte und die solide Bausubstanz zurückzuführen.

Abb. 3: Nachhaltigkeit des Gebäudebestands in der Schweiz (schematisch)

Aus der Fülle der Nachhaltigkeitsthemen greifen wir im Folgenden exemplarisch die Handlungsfelder Energie, Flächennutzung und mineralische Rohstoffe heraus und beleuchten sie etwas näher. Dies aus folgenden Gründen: Im Bereich Energie gibt es absehbare Verschärfungen der Vorschriften; die Flächennutzung ist ein derzeit viel diskutiertes Thema, dessen Bedeutung nach unserer Einschätzung wachsen wird; die zunehmende Knappheit mineralischer Rohstoffe ist ein wenig bekannter Tatbestand, der in nicht allzu ferner Zukunft für die Bauwirtschaft spürbar wird. Ein weiteres Thema sind die Arbeitsbedingungen beim ­Abbau von Naturstein in Ländern mit geringeren Schutzvorschriften. Energie Der Wärmeenergiebedarf von Neubauten ist – getrieben von Vorschriften – in den letzten 30 Jahren kontinuierlich gesunken. Die «Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich» (Ausgabe 2014), die im Januar 2015 verabschiedet wurden, sehen weitere Verschärfungen vor (Abb. 4). Zwei Drittel der bestehenden Gebäude in der Schweiz wurden vor 1980 errichtet. Deren Heizenergiebedarf beträgt ein Vielfaches im Vergleich zu Neubauten. Damit dominieren die Altbauten den Gesamtenergiebedarf des Gebäudebestands.

Abb. 4: Entwicklung der Grenzwerte für den Wärmebedarf von Wohngebäuden in der Schweiz Üblicher Neubau 1975 1965

2015

Quelle: In Anlehnung an Wüest & Partner

Eine nähere Betrachtung der einzelnen Komponenten zeigt ein etwas differenzierteres Bild. Auch bei Betriebsenergie und Nutzungsqualität schneiden die Gebäude aus den 1960er Jahren am schlechtesten ab. Der Nutzungskomfort hingegen nimmt mit dem Alter kontinuierlich ab. Bei Lagequalität und Infrastruktur (öffentlicher Verkehr, Grundversorgung) ist es genau umgekehrt – sie sind im Mittel umso besser, je älter die Gebäude sind. Denn die in der Vergangenheit bebauten Standorte sind heute meistens gut eingebettet, während Neubau häufig auf der sprichwörtlichen grünen Wiese stattfindet. Allerdings erweitert sich das Angebot an gut angebundenen Standorten durch den Ausbau der Infrastruktur, so dass heutige Neubaugebiete künftig eine bessere Lagequalität aufweisen können.

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Musterverordnung 1992

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Mustervorschriften 2000

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Mustervorschriften 2008

4.8

Mustervorschriften 2014

3.5 0 5 10 15 Liter Heizöl-Äquivalente pro m2

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Quelle: EnDK

Ab 2020 sollen sich Neubauten nach den Vorstellungen der Konferenz Kantonaler Energiedirektoren ganzjährig möglichst selbst mit Wärmeenergie versorgen und zur eigenen Stromversorgung beitragen. Diese Tendenz in Richtung «Nullenergiehaus» steht in Einklang mit der Entwicklung in der EU. Die mit den Baustoffen und –prozessen verknüpfte graue Energie ist hier allerdings nicht berücksichtigt. Und dabei liegt der Aufwand für graue Energie bei

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heutigen Neubauten (umgerechnet auf die zu erwartende Nutzungsdauer) in derselben Grössenordnung wie der Betriebsenergiebedarf.

Abb. 5: Status quo und Verbesserungspotentiale Nachhaltigkeits­niveau

Verbesserungs­ potential

Bestand Neubau Bestand Neubau

Flächennutzung Die Nutzung der unvermehrbaren Ressource Boden hat in der Schweiz in den letzten Jahre laufend zugenommen. Aktuell entfallen auf jede in der Schweiz lebende Person durchschnittlich rund 200 m2 Boden für Gebäude. Insgesamt sind 3,7% der Fläche der Schweiz mit Gebäuden belegt. Zwischen 1983 und 2007 ist der Flächenbedarf für Wohngebäude um 44% gestiegen. Im gleichen Zeitraum nahm die Bevölkerung aber lediglich um 19% zu. Mit anderen Worten: der Zuwachs beim Flächenbedarf für Wohngebäude geht in erster Linie auf einen höheren Pro-KopfBedarf zurück. Obwohl die Zuwachsraten in den letzten Jahren gesunken sind, kann die zunehmende Nutzung von Boden nicht als nachhaltig bezeichnet werden.

Fossile Energieträger Abfälle





Altlasten Flächennutzung



Lebenswertes Umfeld Mobilität Barrierefreiheit Bezahlbarer Wohnraum Giftfreie Baustoffe Materialherkunft (soziale Aspekte)





Mineralische Rohstoffe





Soziale Durchmischung Trinkwasser

Mineralische Rohstoffe Nicht nachhaltig ist auch der gegenwärtige Einsatz mineralischer Ressourcen. Kies und Sand sind – gemessen am Gewicht – die nach Wasser am meisten benutzten Rohstoffe. Sie sind aber nicht nur für den Gebäudebau wichtig, sondern erfüllen für die Bildung von Grundwasser eine wichtige ökologische Funktion. Wegen des hohen Transportaufwands sind Kies und Sand lokale Rohstoffe, wobei die abbaubare Kiesmenge begrenzt ist. Im Kanton Zug beispielsweise reichen die nutzbaren Kiesreserven bei gleichbleibendem Abbau für weniger als 20 Jahre. Ein Weg zur Schonung der Reserven wäre die Verwendung von Recyclingbeton für Anwendungen mit geringen Anforderungen. Dies würde zusätzlich die in Deponien abzulagernde Menge Altbeton reduzieren. Allerdings steckt die Verwendung von Recyclingbeton noch in den Kinderschuhen. Noch wenig Beachtung finden die Arbeitsbedingungen bei der Gewinnung von Natursteinen. In zahlreichen Ländern wird gegen elementare Arbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) sowie gegen UN-Konventionen über Kinderarbeit verstossen. Um dies zu vermeiden, hat die Stadt Zürich als Vorreiter bereits 2010 eine Deklarationspflicht eingeführt. Bei städtischen Bauvorhaben muss für Steine aus Steinbrüchen ausserhalb Europas über ­Zertifikate (z.B. «Fair Stone Standard») die Einhaltung ­arbeitsrechtlicher und sozialer Anforderungen nachgewiesen werden.

Legende:

hoch

mittel

gering

Exkurs: Die Rolle institutioneller Investoren Die Eigentümer sind wichtige Akteure, wenn es um die Nachhaltigkeit von Gebäuden geht. (Abb. 6), weil sie u.a. auf Standortauswahl, Konstruktion, Mietpreisniveau und die Bewirtschaftung der Gebäude Einfluss haben. Diese Gestaltungsspielräume können die Gebäudeeigentümer auch gezielt zur Verbesserung der Nachhaltigkeit nutzen.

Abb. 6: Die Akteure (schematisch) Allgemeinheit Eigentümer

Nutzer

Bau- und Immobilienwirtschaft

Quelle: Notenstein Asset Management

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Beim Gebäudebestand kann im Rahmen von Sanierungen die Gebäudesubstanz verbessert werden, was unter anderem positive Auswirkungen auf Komfort und Wohlbefinden der Nutzer hat. Ein grosses Nachhaltigkeitspotential durch Sanierung von Altbauten liegt, wie oben erwähnt, in der Einsparung von Betriebsenergie. Allerdings wird derzeit pro Jahr nur etwa 1% des Gebäudebestands energetisch saniert. Bei Neubauten haben Eigentümer naturgemäss grössere Handlungsspielräume (Abb. 7).

Wohin geht die Reise? Im Laufe der Zeit entwickeln sich die Bedürfnisse und Möglichkeiten der Menschen. Das Leitbild der Nachhaltigkeit ist an sich zeitlos, doch wandeln sich darin die konkreten Themen und deren Wahrnehmung. Schon der Brundtland-Bericht beschreibt Nachhaltigkeit daher als einen Prozess.

Abb. 8: Welche Themen beschäftigen uns morgen? Abb. 7: Handlungsspielräume der Eigentümer Bestehende ­Gebäude Standort

Heutige Aufmerksamkeit

Neubauprojekte

*

Durchmischung, räumliche Identität Barrierefreiheit Licht, Raumluft Lebensdauer, ­Flexibilität Baustoffe Betriebsenergie * Handlungsspielraum besteht bei Kauf eines bestehenden Gebäudes hoch mittel gering Legende: Quelle: Notenstein Asset Management

Die 1,7 Millionen Gebäude in der Schweiz haben einen summierten Marktwert von etwa 2’800 Mrd. CHF. Davon entfallen rund 800 Mrd. CHF auf Renditeliegenschaften. Diese gehören zu etwa drei Vierteln privaten Anlegern und zu einem Viertel institutionellen Investoren (einschl. Fonds und kotierter Immobiliengesellschaften). Bei einer Befragung von Immobilienfondsmanagern zeigte sich, dass zumindest die grossen Fondsanbieter Nachhaltigkeit ausdrücklich thematisieren. Die betreffenden Strategien beziehen sich dabei überwiegend auf die Reduktion der Betriebsenergie. Einige Fondsanbieter messen entsprechende Kennzahlen ihres Portfolios und definieren Ziele und Massnahmen zur Reduktion des Energieverbrauchs. Insgesamt bleiben dies bislang jedoch punktuelle Aktivitäten. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Schweizer Immobilienfondsbranche das Thema Nachhaltigkeit bislang erst im Ansatz aufgegriffen hat. Zwar machen kotierte Immobilienfonds nur etwa 30 Mrd. CHF des Immobilienbestands aus. Doch bei anderen institutionellen Anlegern dürfte das Bild hinsichtlich Nachhaltigkeitsstrategien aber kaum besser ausfallen.

Tendenz Künftige Aufmerksamkeit

Fossile Energieträger Abfälle Altlasten Flächenverfügbarkeit Lebenswertes Umfeld Mobilität Barrierefreiheit Bezahlbarer Wohnraum Giftfreie Baustoffe Materialherkunft (soziale Aspekte) Mineralische Rohstoffe Soziale Durchmischung Trinkwasser Legende: hoch mittel gering Quelle: Notenstein Asset Management

Es stellt sich die Frage, welche Entwicklungstendenzen für die Schweiz heute absehbar erscheinen und welche Themen uns künftig bewegen (Abb. 8). Zum Stand der Nachhaltigkeit bei Immobilien in 10 Jahren stellen wir folgende Thesen auf: – Energieeffizienz allein genügt nicht mehr, damit ein Gebäude als nachhaltig angesehen wird. – Die Themen Flächenknappheit, Arbeitsbedingungen bei der Rohstoffgewinnung, giftfreie Baumaterialien, Knappheit mineralischer Rohstoffe, Mobilität in ­Abhängigkeit vom Gebäudestandort, Nutzerverhalten und effiziente Gebäudebewirtschaftung erhalten mehr Aufmerksamkeit als heute. – Bei fossilen Energieträgern tritt wegen der zunehmen­

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den Abhängigkeit von politisch instabilen Regionen die Frage der Versorgungssicherheit in den Vordergrund. Die Perspektiven sind breiter als heute. Es wird der ge­ samte Lebenszyklus eines Gebäudes betrachtet (na­ mentlich bei Kosten und Energiebilanz). Das einzelne Gebäude wird im Kontext des ganzen Areals gesehen. Aufgrund von soziodemografischen Entwicklungen (u.a. geringere Haushaltsgrösse, Altersstruktur der ­Gesellschaft) und zunehmendem Wohlstand ändern sich die Anforderungen an Wohnraum (z.B. Wohnungs­ grössen und -zuschnitte, Barrierefreiheit). Neue Arbeitsformen und Unternehmensstrategien ­führen zu geringerem Bedarf an Büroflächen. Inner­ städtische Lagen werden zunehmend für Wohnraum genutzt. Durch verbesserten öffentlichen Verkehr gibt es mehr nachhaltige Standorte. Bei Neubauten ist die Energieeffizienz ausgereizt. Die Bedeutung erneuerbarer Energien wird weiter steigen. Die energetische Sanierung des Altbaubestands wird forciert. Die Heimautomation («Smart Buildings») schreitet bei Neubauten allmählich voran. Dabei stehen Kom­ fortaspekte im Vordergrund. Neue Gebäude erzeugen und speichern Strom. Die ­intelligente Verknüpfung mit dem Stromnetz («Smart Grid») beginnt erst. Mietverträge für gewerblich genutzte Gebäude werden durch Vereinbarung zur nachhaltigen Bewirtschaftung und Nutzung «grüner». Weiterhin wird auf die Verbesserung der Effizienz ­(geringerer Einsatz von knappen Ressourcen für das gleiche Bedürfnis) gesetzt. Zurückhaltung bei den ­Ansprüchen («Suffizienz») bleibt ein Randthema.

Zusammenfassung und Schlussfolgerungen Nachhaltigkeit erscheint bisweilen als ein überstrapazierter Modebegriff. Doch eine nachhaltige Entwicklung wäre ohne Einbezug des Immobiliensektors undenkbar. Der Nachhaltigkeitsgedanke bietet gerade im langfristig angelegten Immobilienbereich eine wichtige Richtschnur für die verschiedenen Akteure. Dies gilt gerade auch für ­Eigentümer von Renditeliegenschaften, bei denen die Zufriedenheit der Mieter entscheidend ist. Denn nachhaltige ­Entwicklung ist auf die heutigen und künftigen Bedürfnisse der Menschen ausgerichtet. Dabei muss uns bewusst sein, dass die Umsetzung des zunächst abstrakten Nachhaltigkeitsgedankens in konkrete Ziele und Handlungen eine Herausforderung ist. Das Niveau der Nachhaltigkeit des Gebäudebestands in der Schweiz ist insgesamt gut. Gleichwohl bleibt grosser Handlungsbedarf, um langfristig tatsächlich die sozialen, ökonomischen und ökologischen Ressourcen nicht überzustrapazieren. Nachhaltigkeit ist als Prozess zu verstehen, zumal sich mit der zunehmenden Verknappung vieler Ressourcen einerseits und neuen technischen Möglichkeiten andererseits auch die Handlungsfelder ändern.

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Fragen an Prof. Holger Wallbaum

Die Grenzwerte für den Energieverbrauch von Ge­ bäuden und die Vorschriften zur Nutzung erneuerba­ rer Energien werden weiter verschärft. Ist das Thema nachhaltiges Bauen damit bald erledigt?

Das ist sicherlich nicht der Fall. Der beschriebene Trend zählt vor allem für die Neubauten. Der Gebäudebestand unterliegt diesen Anforderungen nur bedingt, aber 80 Prozent des Energieverbrauchs des Schweizer Gebäudeparks verursachen Gebäude, die vor dem Jahr 1980 erbaut wurden. An diesem Verhältnis werden auch die in den nächsten 20 bis 30 Jahren sicherlich zunehmend gebauten energieeffizienten Minergie P- oder Minergie A-Gebäude nur wenig ändern. Zudem ist es nicht nur das Energiethema, welches uns bei der Diskussion um nachhaltiges Bauen beschäftigt. Erfreulicherweise kann dieses technisch als gelöst angesehen werden, hier beschäftigen uns vielmehr Fragen der Wirtschaftlichkeit, ordnungsrechtliche Fragen, Vereinbarkeit mit dem Denkmalschutz usw. Das nachhaltige Bauen umfasst aber auch weitere Aspekte, wie beispielweise sozialverträgliche Mietzinsen, Vermeidung von Gefahrstoffen für Mensch und Umwelt, geringer Verbrauch natürlicher Ressourcen für die Erstellung und den Erhalt der Gebäude etc.

Marktforscher erwarten rasantes Wachstum durch ­intelligent vernetzte Produkte. Welchen Beitrag kön­ nen «Smart Buildings» zur Nachhaltigkeit leisten?

Ich habe ein sehr ambivalentes Verhältnis zu den sogenannten «Smart Buildings». Wir müssen immer bedenken, dass der Nutzer zwischen 20 und 80 Prozent des Energieverbrauchs durch sein Verhalten beeinflussen kann. Auch noch so intelligente Gebäude können durch unkluges Nutzerverhalten «falsch» genutzt werden. Darüber hinaus benötigen alle «smarten» Technologien auch kostbare natürliche Ressourcen und elektrische Energie für Herstellung und Betrieb. Dies führt teilweise zu abstrusen Situationen, wenn moderne und hocheffektiv gedämmte Neunbauten, pro Quadratmeter Nutzfläche einen höheren Primärenergieverbrauch besitzen als «un-smarte» Standard-Neubauten. Sicherlich liegen hier auch sehr grosse Potenziale, aber die Gefahr ist gross, dass wir das Kind mit dem Bade ausschütten. Die Erfahrungen haben uns gelehrt, dass die ge-

messenen Beiträge beispielsweise des «Smart Metering» in Wohngebäuden deutlich geringer sind, als dies theoretisch möglich ist. Ein Hauptgrund ist für mich darin zu sehen, dass Technik häufig versucht den Menschen zu übersteuern, anstatt symbiotisch mit seinen sehr wandelbaren Bedürfnissen und Anforderungen zu kooperieren. Darüber hinaus ist technisch vieles möglich, was uns im Alltag aber nicht wirklich hilft. Wollen wir denn wirklich die Milch von unserem Kühlschrank via Internet beim Detailhändler bestellt bekommen, wenn diese auszugehen droht? Ein grosses Potenzial «smarter Technologien und Systeme» sehe ich aber bei der Optimierung auf der Ebene Areal, Stadtteil oder auch Stadt. Hier intelligent erfassende und leitende Systeme einzusetzen, wird zukünftig immer wichtiger, vor allem durch den Ausbau erneuerbarer Energien mit hoher Fluktuation im Energieangebot und noch fehlender günstiger Speichertechnologien der daraus anfallenden Energie.

Welche Rolle spielt der Mensch beim nachhaltigen Bauen?

Der Mensch ist hier zentral. Er bestellt, baut, betreibt nutzt und baut die Gebäude rück. Neben dem grossen Einfluss auf den Energieverbrauch eines Gebäudes haben wir aber auch die Komfortbedürfnisse der Menschen bei weitem noch nicht ausreichend verstanden. Vor allem im Nicht-Wohnungsbau bin ich immer wieder entsetzt, wie schlecht wir die Themen Komfort und Wohlbefinden über den Tages- und vor allem Jahresverlauf in die gebaute Realität umsetzen. In einem gemeinsam mit Prof. Windlinger von der ZHAW Wädenswil und von der KTI geförderten Projekt zur «Qualität nachhaltiger Gebäude» haben wir an 27 Bürogebäuden in der Deutschschweiz über zwei Jahre physische Messungen zahlreicher Komfortparameter wie Raumtemperatur, relative Luftfeuchte, aber auch die Sprachverständlichkeit gemessen sowie mehr als 4’500 Interviews mit Mitarbeitenden in den darin untergebrachten Dienstleistungsunternehmen durchgeführt. Was wir beobachtet haben, sind überheizte Räume in nahezu allen Jahreszeiten, dazu im Winter auch noch sehr trockene Luft, laute Lüftungsgeräusche, Zugluft sowie Bürogestaltungen, die der Produktivität der Mitarbeitenden in Bürogebäuden nicht zuträglich sind. Es ist offensichtlich, dass wir die Zusammenarbeit der verschiedenen Disziplinen immer noch nicht ernst genug nehmen, um wirklich nachhaltige Gebäude zu bauen und zu betreiben, die den Nutzenden wirk-

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lich den notwendigen Nutzen stiften. Ansprechende Architektur, über den gesamten Lebensweg kosteneffiziente und nutzenstiftende Gebäudetechnik sowie eine tätigkeitsangepasste Arbeitsweltorganisation und -gestaltung müssen endlich zueinander finden.

Wo sehen Sie die künftigen Herausforderungen in ­Bezug auf die Nachhaltigkeit von Gebäuden?

Zum einen müssen wir weiterhin viel Aufklärung dahingehend betreiben, was denn wirklich ein nachhaltiges Planen, Bauen und Betreiben von Gebäuden meint und umfasst. Dabei muss deutlich werden, dass Energie nur einen kleinen Teilbereich dessen ausmacht, auch wenn es die politische und mediale Diskussion mehrheitlich dominiert. ­Darüber hinaus scheint es mir ratsam, dass wir nicht jedes Gebäude auf Minergie P-Niveau bringen. Das ist weder ökonomisch noch ökologisch sinnvoll, da wir auch für alle Massnahmen in der Gebäudehülle natürliche Ressourcen einsetzen müssen. Ich sehe die Zukunft vor allen in regionalspezifischen Einzellösungen auf der Ebene der Areale und Quartiere. Hier gilt es Lösungen zu entwickeln, die das jeweilige Energieangebot inklusive Abwärme, beispielsweise aus Rechenzentren, erfassen und mit dem Energiebedarf (Wärme, Kälte und Elektrizität) über den Tagesund Jahresverlauf intelligent managen. Damit wird vor allem der Druck von den Altbauten genommen, die sonst früher oder später dem «energetischen Sanierungsgebot» unterworfen werden müssen, um die energie- und klimapolitischen Zielsetzungen zu erreichen. Die heute bestehenden ökonomischen Rahmenbedingungen und das daraus resultierende rationale Handeln der Marktakteure werden diese Entwicklung nicht eigenständig vornehmen, zumindest nicht in der Geschwindigkeit und dem Umfang, der ­erforderlich ist.

Was ist Ihre Vision vom nachhaltigen Bauen? Dass wir andere Rahmenbedingungen haben, die dazu führen, dass das nachhaltige Bauen im umfassenden Sinn wirklich Realität werden kann – im Neubau wie im Gebäudebestand. Neben der Bezahlbarkeit des Wohnraumes, einem vertretbaren Energiebrauch, der mit erneuerbaren Energien gedeckt wird, der Schadstofffreiheit in der Erstellung und Nutzung gehört ein sorgsamer Umgang mit dem ­Boden sowie den anderen natürlichen Ressourcen dazu. Wir müssen uns immer wieder vor Augen halten, dass oft das individuell Angestrebte im Widerspruch zum global-gesellschaftlich Verträglichen steht. Eine Gebäudenutzfläche von 50 Quadratmetern pro Person, was in der Schweiz heute der Standard ist und auf ca. 70 Quadratmeter im Jahr 2050 anzusteigen droht, ist auch bei sehr guten Energiekennzahlen ökologisch nicht tragfähig. Hier braucht es eine «sichtbare Hand» sowie einen aufgeklärten Verstand, um die richtige Balance zu finden – national und global und in der Gegenwart, aber auch im Hinblick auf die zukünftigen ­Generationen.



Holger Wallbaum ist Sicherheitsingenieur mit Schwerpunkt Technischer Umweltschutz, promovierter Architekt und Professor für nachhaltiges Bauen an der Chalmers University of Technology in Göteborg, Schweden. Bis 2012 hatte er die Professur für nachhaltiges Bauen an der ETH Zürich inne.



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Endnoten 1) Energiebedarf für Herstellung und Transport der Baustoffe, Bau­ prozesse (einschl. Abriss Rückbau). 2) Die 2000-Watt-Gesellschaft ist eine energiepolitische Vision, die an der ETH Zürich entwickelt wurde. Demnach soll der Primärenergiebedarf jedes Erdbewohners eine durchschnittliche Dauerleistung von 2’000 Watt nicht überschreiten. Derzeit liegt der Wert in der Schweiz bei etwa 6’000 Watt.

Impressum Ausgabe Notenstein Nachhaltigkeitsreihe, März 2015 Herausgeber Notenstein Privatbank AG, Bohl 17, Postfach, CH-9004 St. Gallen, [email protected], www.notenstein.ch Leserservice Rückmeldungen und Bestellungen für NotensteinPublikationen nehmen wir gerne unter www.notenstein.ch/kontakt oder per Post entgegen.

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