Musikstunde Donnerstag, den 25. November 2010 Mit Susanne Herzog. Durch Schuberts Brille Schubert und seine Vorbilder

2 Musikstunde Donnerstag, den 25. November 2010 Mit Susanne Herzog Durch Schuberts Brille Schubert und seine Vorbilder „Schlimm ist es 1822 Franz Sc...
Author: Otto Fuhrmann
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2 Musikstunde Donnerstag, den 25. November 2010 Mit Susanne Herzog Durch Schuberts Brille Schubert und seine Vorbilder

„Schlimm ist es 1822 Franz Schubert bei Überreichung seiner dem Meister gewidmeten

Variationen

zu

vier

Händen

ergangen.“

erzählt

Anton

Schindler. „Der schüchterne und zugleich wortkarge Musensohn hat … eine ihm selber missfällige Rolle gespielt. Die bis ans Herz festbewahrte Kurage hat ihn in Angesicht der Künstler-Majestät ganz verlassen. Und als Beethoven den Wunsch äußerte, Schubert möge selber die Beantwortung seiner Fragen niederschreiben, war die Hand wie gefesselt. Beethoven durchlief das überreichte Exemplar und stieß auf eine harmonische Unrichtigkeit. Mit sanften Worten machte er den jungen Mann darauf aufmerksam, aber sogleich beifügend, das sei keine Todsünde, indes ist Schubert vielleicht gerade eine Folge dieser begütigenden Bemerkung, vollend aus der Fassung geraten. Erst außer Haus raffte er sich wieder zusammen und schalt sich selber derbe aus.“ 0’45 1. Musik Franz Schubert Acht Variationen über ein französisches Lied e-moll, D 624 3. rausgehen bei 3’03 [eventuell kürzer oder länger] Yaara Tal, Klavier Andreas Groethuysen, Klavier Titel CD: Schubert Complete Piano Music for Four Hands Sony Classical, SB7K 0878842103, LC 6868 WDR 5116 228 Yaara Tal und Andreas Groethuysen waren das mit den ersten drei? der insgesamt acht Variationen über ein französisches Lied in e-moll, die Schubert Beethoven gewidmet hat. Soviel steht fest: ob er sie wirklich persönlich abgegeben hat, wie Beethovens Sekretär Anton Schindler das berichtet: fraglich. Aber: selbst wenn es nicht so war, es hätte so gewesen sein können und das ist letztlich entscheidend. Dass Schubert durch die

3 Bewunderung für Beethoven bei einer persönlichen Begegnung befangen gewesen wäre, dass ist doch mehr als glaubhaft. Und auch künstlerisch hat ihn Beethovens Werk einerseits zwar durchaus als Vorbild gedient – insbesondere die Kammer- und Klaviermusik – andererseits aber ebenfalls gehemmt: „Wer vermag nach Beethoven noch etwas zu machen?“ soll der junge

Schubert

ausgerufen

haben.

Beethovens

Sinfonien,

die

Klaviermusik, die Streichquartette: omnipräsent im Wien der Schubert Zeit, erschlagend, perfekt, neuartig, genial … Beethoven haben Schuberts Variationen übrigens durchaus gefallen: er soll sie eine Zeit lang beinahe täglich mit seinem Neffen gespielt haben. Hat er ihn nun getroffen, den großen Meister, oder nicht? Ganz genau ist das

nicht

geklärt:

es

gibt

widersprüchliche

Berichte.

Schuberts

Komponistenfreund Anselm Hüttenbrenner jedenfalls erzählt von einem angeblichen Besuch an Beethovens Krankenlager: „Schindler meldete uns beide an und fragte, wen Beethoven aus uns beiden zuerst sehen wolle; da sagte er: Schubert möge zuerst kommen. Aus dem schließe ich, dass Schubert dem Beethoven aus früherer Zeit bekannt war.“ Tja, ob dieser Schluss richtig ist? Vielleicht fand Beethoven Schuberts Werke einfach nur besser! Neben den besagten Klaviervariationen zu vier Händen kannte Beethoven auch einige Liederhefte Schuberts und er habe sich sehr freundlich darüber geäußert – so Spaun. Nicht getroffen, aber immerhin gesehen hat Schubert Beethoven wohl in der Verlagshandlung Steiner & Co. Dort zog Beethoven zuweilen mit sarkastischen Bemerkungen über italienische Musik her. Ob Beethoven dort aber Schubert gesehen hat, ist mehr als unwahrscheinlich: der stand sicherlich im weiteren Umkreis des Meisters im Kreis derjenigen, die seinen bissigen Bemerkungen lauschten. „Schubert heiß ich, Schubert bin ich“ beginnt ein Gedicht von Franz Grillparzer aus dem Jahr 1826. Da ist was Wahres dran: bei aller Verehrung für Beethovens Musik: Schubert verliert nie seinen eigenen Ton. Den Weg zur großen Sinfonie wolle er sich bahnen, schreibt er 1824 an seinen in Rom weilenden Freund Kupelwieser. Wenige Wochen später

4 wurde

Beethovens

neunte

Sinfonie

uraufgeführt.

Im

Jahr

danach

komponiert Schubert seine „große“ Sinfonie in C-Dur. Anklänge an Beethovens

Neunte

sind

unüberhörbar.

Besonders

bei

Schuberts

Klavierwerken haben schon die zeitgenössischen Kritiker immer wieder Beethoven rausgehört. Obwohl Schubert oft wohl auch von der Machart von Beethovens Werken gelernt hat. Etwa Beethovens Technik den Klavierklang geradezu orchestral zu färben. Das begegnet schon in seiner Wanderer-Fantasie aus dem Jahr 1822. 2’45 2. Musik Franz Schubert 1. Teil aus: Wanderer-Fantasie, D 760 6’00 Alfred Brendel, Klavier Philips, 422 062-2, LC 0305 Privat CD Der erste Teil aus Schuberts Wanderer-Fantasie war das, basierend auf seinem Lied „Der Wanderer“, das er hier quasi orchestral zum Klingen bringt. Alfred Brendel griff als Dirigent dieses Klavierorchesters in die Tasten. Schubert war in ganz jungen Jahren nicht immer rückhaltlos begeistert von Beethoven gewesen. Zum Jubiläum seines Kompositionslehrers Antonio Salieri notierte er in sein Tagebuch, dass glücklicherweise keiner der Schüler der „Bizarrerie“ verfallen sei, wie „einer unserer größten deutschen Künstler“ – na, wer wohl? natürlich Beethoven. Obwohl Schubert da nicht recht behielt: er selbst – Schüler Salieris – wurde später häufig von Kritikern besonders für seine angebliche „Bizarrerie“ gerügt. Etwa die „grellen Wechsel der Tonarten“ wurden moniert, eine Eigenart, die auch Salieri bei seinen Schülern nicht dulden wollte. Aber was wäre Schubert ohne seine schnellen Dur - moll Wechsel, dieses musikalische Spiel von Licht und Schatten? Apropos Licht: Mit neunzehn Jahren schwärmt Schubert: „Wie von ferne leise hallen mir noch die Zaubertöne von Mozarts Musik. … So bleiben uns

5 diese schönen Abdrücke in der Seele, welche keine Zeit, keine Umstände verwischen, u. wohlthätig auf unser Dasein wirken. Sie zeigen uns in den Finsternissen dieses Lebens eine lichte, helle, schöne Ferne, worauf wir mit Zuversicht hoffen.“ Mozarts g-moll Streichquintett war es vermutlich gewesen, was Schubert zu solchen Zeilen bewegte. Haydn und Mozart: beider Werke hatte Schubert ausführlich studiert und hoch geschätzt. Wieder mal ist es der väterliche Freund Spaun, der Details weiß, wenn er berichtet, dass Schubert Mozarts g-moll Sinfonie ganz besonders geliebt habe. Das Menuett habe er hinreißend gefunden und im Trio gar die Engel mitsingen hören. 1’35 3. Musik Wolfgang Amadeus Mozart 3. Satz aus: Sinfonie Nr. 40 g-moll KV 550 4’09 Orchestra of the Eighteenth Century Frans Brüggen, Ltg. Titel CD: Orchestra of the 18th Century Frans Brüggen Mozart Symphony No. 40, Beethoven Symphony No. 1 Philips, 416 329-2, LC 0305 WDR 5021 564 Frans Brüggen und das Orchestra of the Eighteenth Century spielten den dritten Satz aus Mozarts großer Sinfonie g-moll, ein Lieblingsstück des jungen Schubert. Aber auch die Opern von Mozart standen ganz oben auf seiner Hitliste: Don Giovanni, Die Zauberflöte und der Figaro: von Schubert hoch geschätzt. Die Oper: neben der Sinfonie ist es natürlich die Gattung, mit der sich Schubert den großen Durchbruch erhofft. Nicht weniger

als

neun

vollständige Bühnenwerke hat Schubert geschrieben, sieben weitere blieben Fragment. Was für eine ernorme Arbeitsleistung! Wir wissen, dass Schubert als Opernkomponist keinen durchschlagenden Erfolg

hatte,

obwohl

immerhin

drei

seiner

Bühnenwerke

in

Wien

aufgeführt wurden. Aber allein der Umfang seines Schaffens auf diesem Gebiet zeigt, wie wichtig ihm die Oper gewesen sein muss.

6 Eines der Probleme – zugegeben neben anderen – war sicherlich, dass spätestens seit den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts in Wien das „Rossini Fieber“ grassierte. Schubert mochte Rossinis Musik durchaus. Nicht alles: den Barbier fand er großartig, vieles andere ließ ihn laut Spaun kalt. Nachdem Rossinis „Tancredi“ aufgeführt worden war, entbrannte unter den Freunden eine Diskussion über die Art der Ouvertüre. Schubert schrieb daraufhin im gleichen Jahr zwei Ouvertüren im italienischen Stil. Eine davon war sein erstes weltliches Werk, was überhaupt aufgeführt wurde. Und seiner sechsten Sinfonie sagt man ebenfalls einen „Rossini-Ton“ nach. Rossini hat also durchaus Spuren hinterlassen… Und bei Schuberts Opern? Die Opern Arien sind ja ganz anders als seine Lieder und das hat sicherlich auch mit dem Vorbild Rossinis zu tun. Aber Schubert vermeidet dessen Virtuosität und da kommt Gluck ins Spiel – und Salieri. Noch mal zurück zu den Anfängen: Schubert war fünfzehn Jahre alt als er Schüler Salieris wurde, der war damals Hofkapellmeister und hat die Oberaufsicht

über

die

Kapellknaben

inne.

Schubert

ging

zweimal

wöchentlich zu Salieris Unterricht: Kontrapunktübungen und italienische Arien standen hauptsächlich auf dem Programm. Und Gluck und dessen Reformoper wurde hochgehalten: „Einfachheit, Wahrheit und Natürlichkeit sind die Grundlagen des Schönen in allen Kunstwerken.“ schreibt Gluck in der Vorrede seiner „Alceste“. Und das vermittelt auch Salieri seinen Schülern. Zur Theorie kommt die Praxis. Und für die ist der Schubert Freund Spaun zuständig. Der nimmt seinen jungen Freund mit ins Theater, in Glucks Iphigenie auf Tauris: „Er war ganz außer sich über die Wirkung dieser großartigen Musik und behauptete, Schöneres könne es auf der Welt nicht geben.“ 2’15 4. Musik Christoph Willibald Gluck Ausschnitt aus: Iphigénie en Tauride 1. 4’46 Mireille Delunsch, Iphigénie

7 Choeur des Musiciens du Louvre Les Musiciens du Louvre Marc Minkowski, Ltg. Titel CD: Gluck Iphigénie en Tauride Archiv, 471 133-2, LC 0113 WDR 5058 638 Iphigenie mit dem Chor der Priesterinnen, eine Arie aus dem ersten Akt von Glucks „Iphigénie en Tauride“ – wie es im Original heißt. Es sang Mireille Delunsch mit dem Choeur des Musiciens du Louvre. Les Musiciens du Louvre begleiteten unter der Leitung von Marc Minkowski. So sehr Schubert Glucks Musik bewunderte und zum Vorbild nahm: es brachte ihm kein Glück: „Dass die Operisten in Wien so dumm sind und die schönsten Opern ohne meiner aufführen, versetzt mich in eine kleine Wut.“

schrieb

er

1818.

Und

auch

wenige

Jahre

später,

einige

Opernpartituren später, stand es nicht wirklich besser: „Mit der Oper ist es in Wien nichts. Ich habe sie zurück begehrt u. erhalten, … Ich werde sie in Kurzem entweder nach Dresden, von wo ich von Weber einen viel versprechenden Brief erhalten, oder nach Berlin schicken.“ Auf Carl Maria von Weber ruhte Schuberts neue Hoffnung. Von ihm erwartete er sich eine Aufführung seiner Oper „Alfonso und Estrella“ in Dresden. Bis dahin hatte Schubert bereits vier Singspiele, eine Zauberoper und ein Zauberspiel mit Musik geschrieben: „Die Zwillingsbrüder“ und auch „Die Zauberharfe“ waren mit mäßigem Erfolg aufgeführt worden. Der jüngste Mozartsohn schrieb über die Zwillingsbrüder: „Die Komposition hat recht hübsche Sachen, ist aber ein wenig zu ernst gehalten.“ Das war auch der Grundtenor der Kritik. Wenn’s in Wien nichts wurde mit der Oper, dann vielleicht in Dresden oder Berlin? Weber sollte helfen: Weber, dessen Freischütz Schubert wunderbar fand:

bei

der

Wiener

Erstaufführung

saß

Schubert

im

Publikum:

begeistert, ganz besonders von Max, Kuno und Kaspars Terzett im ersten Akt. 1’25 5. Musik

8 Carl Maria von Weber Ausschnitt aus: Der Freischütz 1. 6’53 Friedemann Röhlig, Kuno Georg Zeppenfeld, Kaspar Christoph Prégardien, Max Cappella Coloniensis Bruno Weil, Ltg. WDR Kompilation WDR 5057 185 Friedemann Röhlig, Georg Zeppenfeld und Christoph Prégardien mit dem WDR Rundfunkchor Köln. Ein Ausschnitt aus dem ersten Akt von Webers Freischütz. Bruno Weil leitete die Cappella Coloniensis. Mit seiner neusten Oper begab sich Schubert auf ähnliche Wege wie Weber: der hatte nach seinem Freischütz mit seiner Oper „Euryanthe“ eine

der

ersten

dialoglos

durchkomponierten

Opern

der

Romantik

geschrieben – genau wie Schubert mit „Alfonso und Estrella“. Ohne Auftrag entstanden, quasi in Klausur auf einem Schloss nahe St. Pölten gemeinsam mit seinem Freund Franz von Schober, der war nämlich der Librettist – im Herbst 1821 war das. Zwei Jahre später der frustrierte Brief an Spaun, dass es auch mit dieser Oper in Wien nichts werde. Weber aber schickt den besagten viel versprechenden Brief, dass er sich in Dresden für Schuberts „Alfonso und Estrella“ einsetzen wolle. Es sollte anders kommen. Denn zunächst einmal kam Weber nach Wien, um seine neue Oper ‚Euryanthe’ zu dirigieren. Die Beiden treffen sich. Weber fragt Schubert, wie ihm seine Oper gefallen habe. Schubert ist ehrlich und sagt, „es sei ihm zu wenig Melodie darin, und der ‚Freischütz’ sei ihm umgar vieles lieber.“ Ein Fiasko: Weber total beleidigt, das Aus für eine Aufführung von Schuberts Oper in Dresden. Auch in Wien war Schuberts Oper „Alfonso und Estrella“ nicht aufgeführt worden.

Neue

Hoffnung

keimte

auf,

als

der

Intendant

des

Kärntnertortheaters Domenico Barbaja Schubert im November 1821 explizit den Auftrag zu einer deutschen Oper erteilte. Das Libretto

9 stammte vom dortigen Sekretär und Theaterdichter Josef Kupelwieser, älterer Bruder des Malers und Schubert Freundes Leopold Kupelwieser: „Fierrabras“, eine heroisch-romantische Oper mit gesprochenen Dialogen. Aber selbst diese Auftragskomposition wurde nicht gespielt! Auch das lag – indirekt – an Weber. Dessen Oper ‚Euryanthe’, eben jene Oper, die Schubert Weber gegenüber kritisiert hatte, war in Wien ein Misserfolg geworden. Barbaja konnte sich keinen zweiten Fehltritt leisten: die deutsche Oper kam beim Publikum nicht an, auf den Wellen des Rossini Fiebers mitschwimmen war einfach sicherer. 2’00 6. Musik Franz Schubert Ausschnitt aus: Fierrabras 2. 3’00 Josef Protschka, Fierrabras Robert Gambill, Eginhard Karita Mattila, Emma Arnold Schoenberg Chor The Chamber Orchestra of Europe Claudio Abbado, Ltg. Titel CD: Franz Schubert Fierrabras DG, 427 342-2, LC 0173 WDR 5007 812 Ein Ausschnitt aus Schuberts Oper „Fierrabras“. Eine Live Aufnahme von den Wiener Festwochen 1988. Claudio Abbado leitete das Chamber Orchestra of Europe. Warum hatte Schubert keinen Erfolg mit seinen Opern? Nur am Rossini Fieber allein kann es nicht gelegen haben. Schuberts Freund Moritz von Schwind hat angeführt, Schubert habe durch die wenigen Aufführungen seiner Bühnenwerke keine Erfahrung sammeln können. Da mag was dran sein. Heutzutage gibt man gerne den „schlechten“ Libretti die Schuld: die Bühnenfiguren machten keine psychologische Entwicklung durch, es fehle ihnen an individueller Prägnanz. Umgekehrt könnte man fragen: warum war Schubert als Komponist von Liedern so erfolgreich? Schwer im Detail zu beantworten. Fest steht: im

10 Gegensatz zu seinen Opern trafen seine Lieder die Zeitgenossen mitten ins Herz. Spaun berichtet, dass die Damen beim Vortrag einiger Lieder von Schuberts Leib und Magen Sänger Johann Michael Vogl begleitet von Schubert „ins Heulen“ gerieten. Und zwar so sehr „dass das Schluchzen das Konzert Vogls und Schuberts zu einem vorzeitigen Ende brachte.“ Erst Kaffee, Kuchen und der Humor von Vogl und Schubert hat dann den Damen wieder zu ihrer Fassung verholfen… So genial Schuberts Lieder sind: natürlich hat er besonders in jungen Jahren eifrig die Lieder seiner Vorgänger studiert. „Er hatte mehrere Päcke Zumsteegscher Lieder vor sich und sagte mir, dass ihn diese Lieder auf das tiefste ergreifen. … Er sagte, er könne tagelang in diesen Liedern schwelgen.“ berichtet uns Schuberts Freund Spaun. Johann Rudolf Zumsteeg war Ende des 18. Jahrhunderts Hofkapellmeister in Stuttgart gewesen. Er gehörte zur so genannten „schwäbischen Liederschule“. Keine einfachen Strophenlieder schreibt er mehr, sondern durchkomponierte:

Balladen,

dramatische

Szenen

werden

in

Musik

gesetzt. Von ihm hat der junge Schubert Lieder regelrecht als Modell benutzt, um daran zu lernen. Und dann versucht sie „in anderer Weise zu setzen“ – wie Spaun erklärt. Zumsteegs Balladen galten auch zu Schuberts Zeiten noch als das non plus Ultra. Und natürlich die Lieder der zweiten Berliner Lieder Schule – allen voran die von Karl Friedrich Zelter und Johann Friedrich Reichardt. In ihnen fand Goethe die idealen Komponisten seiner Texte: denn sie wählten die seiner Meinung nach richtige Gewichtung von Text und Musik: die Musik als Dienerin des Textes. Und schrieben so Lieder „in die jeder, der nur Ohren und Kehle hat, gleich einstimmen soll“. Schubert hat sich auch mit ihren Liedern auseinander

gesetzt.

Und

einige

Vertonungen

Goethescher

Texte

existieren sogar von allen Dreien. Natürlich braucht sich Schubert nicht zu verstecken, im Gegenteil. Aber bei ihm ist die Musik keine Dienerin, sondern es ist gerade diese einzigartige Verbindung von Text und Musik durch die seine Lieder bestechen: da wird der Text wiederholt und neu angeordnet, eben so, wie

11 es sich besser singen lässt, musikalisch werden geschickt harmonische Wendungen eingebaut und rhythmisch zuweilen getrickst, um den Text besonders eindrücklich zur Geltung zu bringen. Und Klavier und Gesang: sie werden zu einer Einheit. Genug der theoretischen Erklärungen: hier mal der direkte Vergleich: erst Reichardt, dann Schubert. 2’50 7a. Musik Johann Friedrich Reichardt Rastlose Liebe 1’41 Hans Jörg Mammel, Tenor Ludwig Holtmeier, Hammerflügel Titel CD: Johann Friedrich Reichardt: Lieder der Liebe und Einsamkeit Ars musici, AM 1311-, LC 5152 WDR 5082 658 7b. Musik Franz Schubert Rastlose Liebe, D 138 1’14 Christoph Prégardien, Tenor Andreas Staier, Hammerflügel Titel CD: Schubert Lieder nach Gedichten von Johann Wolfgang von Goethe Dhm, 05472 77342 2, LC 0761 Privat CD „Rastlose Liebe“ von dem in Frau von Stein verliebten Goethe. Die erste Vertonung

wohl

nach

Goethes

Geschmack

von

Johann

Friedrich

Reichhardt, gesungen von Hans Jörg Mammel und begleitet von Ludwig Holtmeier am Hammerflügel. Die zweite Version – Sie haben es erkannt: Schubert: mit Christoph Prégardien und Andreas Staier. Wer sich heutzutage mit klassischer Musik beschäftigt, der kennt selbstverständlich Bachs Wohltemperiertes Klavier. Zu Schuberts Zeit war das gar nicht so selbstverständlich: immerhin hat Felix Mendelssohn Bartholdy erst im Jahr nach Schuberts Tod Bachs Matthäuspassion wieder aufgeführt. Sicher: Mozart etwa lernte bei Baron van Swieten einiges von Bach

kennen

und

Schubert

verkehrte

bei

den

„Historischen

12 Hauskonzerten“ von Raphael Georg Kiesewetter. Aber schließlich konnte man sich Bachs Wohltemperiertes Klavier ja nicht einfach mal kurz auf CD anhören oder schnell in die Stadt fahren und die Noten kaufen. Deshalb waren solche Salons, wie die von Kiesewetter Gold wert. Hier hörte Schubert einige Werke Bachs und wohl auch Händels. Von ihm hatte sich Schubert in seinem letzten Jahr einen ganzen Packen Noten seiner Oratorien ausgeliehen. Und er soll gesagt haben: „Jetzt sehe ich erst, was mir fehlt...“ Alle Feinheiten des Kontrapunkts wollte Schubert studieren: es kam nur zu einer einzigen Unterrichtsstunde, bei Simon Sechter einem berühmten Kontrapunktlehrer, der ebenfalls im Salon von Kiesewetter verkehrte. Zwei Wochen vor Schuberts Tod fand diese erste und letzte Unterweisung im Kontrapunkt von Sechter statt. Da muss es Schubert schon schlecht gegangen sein, er lebte inzwischen bei seinem Bruder Ferdinand und dessen Frau, die ihn beide pflegten. Die letzten Lieder der Winterreise korrigiert er. Sein Komponistenfreund Franz Lachner besucht ihn und dem sagt Schubert: „Ich liege so schwer da, ich meine, ich falle durch das Bett.“ Wenige Wochen vorher korrespondiert er noch leicht genervt mit Verlegern: „Ich frage mich an, wann denn endlich das Trio erscheint?“ schreibt er Anfang Oktober an den Verleger Probst. Mit ihm hatte er bei der Honorierung seines vorherigen Trios schlechte Erfahrungen gemacht. Schubert und seine Verleger: diese Spezies nimmt die SWR 2 Musikstunde morgen unter die Lupe. Und kurz vor Ende zurück zum Anfang: zu Schuberts Vorbild Beethoven. Als er schon meint durchs Bett zu fallen, will er noch mal Beethoven hören. Das berichtet jedenfalls der Geiger Karl Holz. Er und drei weitere Musiker hätten Schubert noch fünf Tage vor seinem Tod in der Wohnung des Bruders Beethovens vorletztes Streichquartett vorgespielt, sein op. 131 in cis moll. Jenes, von dessen einleitendem Adagio Richard Wagner später schrieb, es sei „das Schwermüthigste, was je in Tönen ausgesagt worden ist“. 2’30

13 8. Musik Ludwig van Beethoven 1. Satz aus: Quartett op. 131 cis-moll 1. 5’45 Tokyo String Quartet Titel CD: Beethoven The late string quartets RCA Victor Red Seal, RD 60975(3), LC 0316 WDR 5011 127 Musik 37’34 Text 16’05 Insg. 53’39

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