sich kaum ein Bildungspolitiker und schon gar keine Partei stark. Man hat offenbar Sorge, damit dem „Gestrigen“ zugerechnet zu werden. Die Zahl zeigt gleichwohl sehr eindrucksvoll, wie Latein gewissermaßen in der Mitte der Schul-Gesellschaft angekommen ist. Vom Image des Elitefachs, des Fachs für die Söhne und Töchter der „höheren Stände“, hat es sich gottlob gelöst. Auch aus sogenannten bildungsfernen Elternhäusern kommen seit einigen Jahrzehnten Lateinschüler – mag sein auch deshalb, weil Latein sich nach wie vor mit Bildungsprestige verbindet, sicher aber auch deswegen, weil der Lateinunterricht sich selbst nicht mehr als Elitefach definiert und sich in vieler Hinsicht geöffnet hat. In seiner Methodik und in den vermittelten Stoffen hat er deutlich an Schülerorientierung gewonnen. Ein nicht nur vordergründiges Indiz dafür, dass Latein zumindest äußerlich den Anschluss an die Moderne gefunden hat, sind die Lehrbücher: Sie unterscheiden sich weder im Layout noch in der schülergerechten Art der Darbietung von Lerninhalten, weder in der Fülle an Zusatzmaterialien noch in der selbstverständlichen Verknüpfung mit digitalen Medien von denen anderer Fächer. Sie nehmen die großen Trends der Pädagogik auf – täten sie es nicht, würden sie von den Kulturministerien gar nicht erst zugelassen. Man muss das eigentlich gar nicht erwähnen, aber es gibt doch – sicher auch aufgrund mancher wenig ermutigender Latein-Erfahrungen aus früheren Zeiten – bei nicht wenigen Zeitgenossen den Verdacht, der Lateinunterricht sei medial kurz hinter den römischen Wachstäfelchen stehen geblieben. Computereinsatz im Lateinunterricht? Ja klar – erst recht, wenn man bedenkt, dass computare ein lateinisches Verb ist, „zusammenrechnen“. Und so lockern denn auch andere moderne Medien und „ungewöhnliche“ Unterrichtsformen den Lateinunterricht auf: Filme zum Beispiel (S. 248ff.) und Unterrichtsgänge zu den Römern vor Ort (S. 241ff.). Auch in dieser Hinsicht geht noch so einiges, und zwar schon seit einiger Zeit …

Motivieren statt pauken, Einsicht statt „Dressur“ Sind das die kleinen Erholungen vom sonst üblichen Paukunterricht, das karge Zuckerbrot als klitzekleine Kompensation für die knallharte Lernpeitsche, die ansonsten im Lateinunterricht geschwungen wird? Bei man2 0 S ta r k in der G eg en wa rt, fit fü r die Zu k u nft

chen Zeitgenossen hat das Lateinische ja immer noch das Image des mehr oder minder erbarmungslosen Paukfachs. Das ist ganz überwiegend – für jeden Lateinunterricht kann ich die Hand nicht ins Feuer legen – ein Schreckensklischee, das nichts mit der Realität zu tun hat. Man könnte sogar sagen: totaler Quatsch, selbst wenn man unter „Pauken“ etwas anderes versteht, als es eigentlich bedeutet. Die negative Färbung ergibt sich dadurch, dass man Pauken als sinnentleertes Lernen begreift. Pauken heißt: Kenntnisse in sich hineinschaufeln, deren Sinn und Zweck man nicht erkennt – und das Ganze möglichst noch in einer demotivierend-öden Form. Dass Vokabellernen eine vergnügungssteuerpflichtige Tätigkeit wäre, hat wohl noch niemand empfunden. Aber es ist notwendig, und das lässt sich einsichtig machen. Und es lässt sich durch Lernspiele, durch Hilfen und Eselsbrücken, vor allem auch durch Erkenntnisse gewissermaßen am Wegesrand des Lernens versüßen: Fremd- und Lehnwörter im Deutschen, englische und französische Vokabeln, die aus einem lateinischen Ursprungsbegriff hervorgegangen sind, Verknüpfungen mit bereits bekanntem Wortschatz. All das schützt vor sturem Vokabellernen. Neue Vokabeln sind, bevor sie zum Lernen aufgegeben werden, grundsätzlich im Klassenverband zu besprechen und damit vorzuentlasten. Einfach „zu morgen Vokabeln L. 10“ aufzugeben ist pädagogisch out. Oder besser: ex. Beim Formenlernen fallen manche dieser Lernhilfen weg. Aber es gibt andere: Systematisierungen, „Gesetzmäßigkeiten“ und auch hier motivierende Übungen, die das Lernen vorbereiten und das Gelernte festigen. Schauen Sie einfach mal nach, welch reichhaltiges, methodisch abwechslungsreiches und altersgemäßes Übungsmaterial die Latein-Lehrwerke dafür anbieten, welche computergestützten Lernprogramme es dazu gibt, die auf die digitale Generation zugeschnitten sind. Und lassen Sie sich erzählen, wie engagierte Lateinlehrerinnen und -lehrer sich bemühen, dieses harte kognitive Brot methodisch einigermaßen lecker aufzubereiten. Auch hier gilt: Nicht jeder alte Zopf ist mittlerweile abgeschnitten, aber die Faktoren Lernmotivation und Schülernähe sind im Lateinunterricht angekommen. Was man, um einmal der Versuchung zur Polemik nachzugeben, von so manch einem Mathematik- und Physikunterricht nicht behaupten kann. Aber das pauschale Herumgehacke gerade auf Latein-Lehrkräften ist wirklich unfair. Ich will im Hinblick auf frühere Zeiten nichts beschöniWarum L at ein lebt 21

gen – obwohl es immer hervorragende, mitreißende, Schüler nachhaltig beeinflussende Lehrerpersönlichkeiten gerade unter den Altphilologen gegeben hat –, aber wir haben kollektiv eine ganze Menge hinzugelernt. Mag sein, dass noch nicht jeder Latein-Unterrichtende im Gelobten Land der Motivation angekommen ist, aber der Typus des „klassischen“ Lateinlehrers – oder besser seine Karikatur –, der die Sachorientierung weit über die Schülerorientierung gestellt hat, gehört der Vergangenheit an.

Kann denn Lernen Sünde sein? – Anspruchsvolles fordert und belohnt Indes lässt sich eines überhaupt nicht bestreiten: Lernen gehört zu Latein – ebenso wie Gründlichkeit, Genauigkeit und Beharrlichkeit dazugehören. Latein ist ein kognitiv anspruchsvolles Fach (weshalb es ja so wichtig ist, dass es auch Spaß macht). Man braucht einen langen Atem, wenn man Latein lernt – ein Durchhaltevermögen, das in ähnlicher Weise wie die anderen gerade genannten Dispositionen wohl auch auf andere Stoffe und Situationen transferierbar ist. Und es sind Eigenschaften, die der Einzelne in unserer Gesellschaft und auch unsere Gesellschaft als Ganzes gut gebrauchen können. „Lernen“ heißt auf lateinisch discere, und disciplina ist das Substantiv dazu. Ich kann nichts Schlimmes daran finden, wenn Latein allgemein einen Beitrag zur Lerndisziplin leistet: Disziplin und emanzipatorische Pädagogik, die die Stärkung des Individuums im Blick hat, schließen sich nicht aus. Lernen lernen ist durchaus eine Domäne des Lateinunterrichts. Das ergibt sich wesentlich aus der Struktur des Faches und der Sprache Latein. Und das ist auch gut so. Latein ist kein schulisches Billigangebot, aber es versteht sich ebenso wenig als Auslesefach, bei dem die Fünfen nur so rappeln und Schülerinnen und Schüler, die zu Hause keine Hilfe erhalten, von vornherein, umgangssprachlich formuliert, schlechte Karten haben. Die allermeisten Schulen haben, wenn es mal eng werden sollte, Fördermaßnahmen auch in Latein im Programm. Latein und Schule sollen Spaß machen, aber es ist eine Illusion zu glauben, dass sie immer nur Spaß machen können – und ziemlich unverantwortlich, den totalen Spaß-Eindruck zu erwecken. Lernen ist auch 2 2 S ta r k in der G eg en wa rt, fit fü r die Zu k u nft

Arbeit, und Latein lernen ist es hier und da mehr als in anderen Bereichen. Aber es ist keine vergebene Mühe; man kriegt auch eine Menge an Bildung und Nutzen dafür – mehr als in einem pädagogisch weichgespülten Wohlfühl-Ambiente, das auf Dauer auch nicht ganz so befriedigend ist. Dieses Buch möchte Sie über das vielseitige Bildungsangebot des Lateinischen informieren, das sich mit der lateinisches Sprache sowie mit der Literatur und Kultur des Alten Rom verbindet. Der Buchtitel deutet an, dass dabei vieles Neue im Vordergrund steht, das in den letzten Jahrzehnten zu manchem Bewährten hinzugekommen ist und das Schulfach Latein in einer veränderten Bildungslandschaft und unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen zukunftsfest gemacht hat. Ich habe mich bemüht, mich im Ganzen an allgemein anerkannten fachdidaktischen Standards zu orientieren, aber Sie werden auch auf persönliche Akzente, Einschätzungen und Erfahrungen stoßen, die weniger repräsentativ sind. Wenn ich gelegentlich zu einer polemischen Formulierung greife, dann deshalb: Engagement und Leisetreterei passen nicht zusammen. In vielen Vorträgen und Diskussionen, in Präsentationen des Faches und bei Streitgesprächen über das Fach habe ich die Erfahrung gemacht, dass streitbares „Bekennertum“ mit Augenmaß besser ankommt als eine windelweiche Diplomatie, die keinem wehtun will. Warum sollte es bei einer schriftlichen Werbung für Latein anders sein? Ich bin gespannt auf die Reaktionen. Und fasse noch ein bisschen provozierend zusammen: Gäbe es Latein nicht, man müsste es erfinden. Dixi.

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Zum L a c he n in den Keller? – „ Hum or “ i st e in l ateinisc hes W ort

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anche Leute haben den Eindruck, die Römer seien zum Lachen in den Keller gegangen. Jedenfalls bringen sie Römer und lateinische Literatur nicht mit Humor in Zusammenhang. Das Einzige, das an diesem Klischee tatsächlich lateinisch daherkommt, ist der „Keller“. Das ist nämlich ein Lehnwort zu lateinisch cella, „Kammer“, „Zelle“. Ansonsten ist die Vorstellung vom Lateinunterricht als humorfreier Zone grober Unfug – allenfalls dort mit einem Körnchen Wahrheit, wo Vermittler des Lateinischen die Mundwinkel dauerhaft hängen lassen. Das ist aber weder typisch für die Spezies Lateinlehrer noch ist es im Einzelfall auf Altphilologen beschränkt. Es soll auch Mathematik- und Deutsch-Lehrkräfte geben, die noch kein Mensch hat lachen sehen. Oder auch Unterrichtende anderer Fächer, fügen wir vorsichtshalber hinzu, damit sich bloß keine verbeamtete Spaßbremse diskriminiert fühlt. Latein eine humorfreie Zone? Dagegen spricht schon rein oberflächlich, dass (h)umor ein lateinisches Wort ist. Es bedeutet „Flüssigkeit“ und wird in der mittelalterlichen Medizin verwendet, um die gelungene Mischung der Körpersäfte im Sinne ausgeglichener Heiterkeit zu bezeichnen. Schon ein bisschen weniger vordergründig ist der sprachliche Rezeptionsbefund: Das Deutsche verdankt dem Lateinischen eine Reihe von 2 4 Z um L a c hen in den Keller?