Moritz Lehr. Digital Beauties. Die virtuelle Frau als Kunstwerk des Mannes und Substitution echter Frauen

Moritz Lehr Digital Beauties Die virtuelle Frau als Kunstwerk des Mannes und Substitution echter Frauen Moritz Lehr TU Berlin Digital Beauties D...
Author: Jan Hafner
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Moritz Lehr

Digital Beauties Die virtuelle Frau als Kunstwerk des Mannes und Substitution echter Frauen

Moritz Lehr

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Digital Beauties

Die Frau als Konstruktion des Mannes ist kein neues Phänomen. Viele Texte aus der Geschlechterforschung und Kulturkritik weißen stichhaltig darauf hin, wie seit Tausenden von Jahren der Mann "die Frau" auf unzähligen Ebenen definiert, erfindet und erschafft, und Literatur- und Kunstgeschichte sind seit ihren Anfängen voller Beispiele dafür, wie konkrete Frauen, bestimmte Frauentypen oder idealisierte Phantasmen der Weiblichkeit als Kunstobjekte inszeniert, stilisiert, abgebildet und dargestellt wurden. [Desmond, 2004; Wenk, 1999] Die virtuellen Räume und Möglichkeiten, die in den letzten 15 Jahren entstanden sind, und immer weiter perfektioniert werden, haben dieses Phänomen in neue Sphären erhoben. Mit modernen Graphikprogrammen sind hyperrealistische dreidimensionale Bilder von Frauen in einer Präzision möglich, von der die Malerei bisher nur träumen konnte. Doch es hört bei solchen Bildern längst nicht auf: als Digital Beauties benannte virtuelle Frauen können sich bewegen und sprechen. Sie können Gefühlsregungen mit ihrer Mimik und Gestik ausdrücken und es gibt mehrere Ansätze, mit denen versucht wird, ihnen beizubringen, intelligentes Verhalten zu simulieren. Sie dienen großen und kleinen Produktionen als Darstellerinnen in virtuellen Medien, als äußeres Erscheinungsbild der Nutzer von sozialen Netwerken und Computerspielen, als Embodied Identities von Firmen und anderen Körperschaften und auch als fügsame Gespielinnen einsamer Männer. Gleichzeitig werden sie dabei als Maßstab der Technik betrachtet und genutzt, die sie zum Leben erweckt. Mittlerweile gibt es bereits Technologien, diese körperlosen Gestalten via optischem Interface mit der Außenwelt interagieren zu lassen. Gleichzeitig steigen ihre Kompetenzen einer semi-intelligenten Gesprächsführung, wodurch es immer schwieriger wird, durch Konversation Mensch und Maschine voneinander zu unterscheiden. Auch die graphische Erstellung von Gesichtern

und

Körpern

und

die

Darstellung

von

Gefühlsregungen

wird

immer

wirklichkeitsgetreuer und entsprechend schwerer, als Simulation zu identifizieren. Aus diesen Entwicklungen ergeben sich natürlich einige Fragen. Warum sind es eigentlich fast nur Frauen, oder an Frauen angelehnte Gebilde, die auf solche Art erfunden und dargestellt werden? Was für Gemeinsamkeiten haben sie? Was für eine Nachfrage bedienen sie? In was für einer Wechselwirkung stehen diese virtuellen Frauenbilder mit dem Fremdbild und Selbstbild realer Frauen? Was für Stereotype beinhalten und verbreiten sie? Und zu welchem Ziel steuert die momentane Entwicklung hin? Diese und andere Fragen werde ich in der folgenden Arbeit erörtern. Dafür werde ich die verschiedenen Kontexta, in denen Digital Beauties auftauchen und genutzt werden, vorstellen und anhand ihrer Geschichte, Funktionsweise, Nutzer und Zukunftsperspektiven diskutieren und ein besonderes Augenmerk darauf legen, was für Frauenbilder vermittelt werden. 2

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Gliederung Die Frau als Kunstwerk des Mannes ..................................................................................... 3 Virtuelle Frauen in virtuellen Medien ................................................................................... 6 Virtuelle Frauen als virtuelle Personae ................................................................................. 8 Virtuelle Frauen als virtuelle Gefährtinnen......................................................................... 10 Fazit ..................................................................................................................................... 15 Literatur ............................................................................................................................... 19 Plagiatserklärung ................................................................................................................. 21

Die Frau als Kunstwerk des Mannes Mehr als 35.000 Jahre alt sind die ältesten Funde so genannter Venusfiguren: steinerne Abbildungen weiblicher Körper mit überzeichneten Reizen in Form von überproportionierten Brüsten und Gesäßen. Die gängigen Interpretationen sprechen von Fruchtbarkeitssymbolen und Götzenbildern, es wurde aber auch immer wieder der Gedanke von paläolithischen Pin-ups aufgeworfen und ernsthaft diskutiert. [LeRoy und McDermott, 1996] Venusfiguren und -bildnisse ziehen sich durch die ganze Geschichte der Menschheit. Im Namen an die römische Göttin der Liebe, des erotischen Verlangens und der Schönheit angelehnt, verkörpern, manifestieren und etablieren sie die ästhetischen Ideale, die an die Frauen ihrer Zeit gerichtet wurden. Während es bei sehr alten Exemplaren natürlich nicht mehr möglich ist, auf den Erschaffer zu schließen, fällt bei allen bekannten jüngeren Venusdarstellungen auf, dass sie ausschließlich von Männern gemalt oder geschaffen wurden;1 und natürlich gibt es auch viele Darstellungen mit dem gleichen Konzept, ohne eine direkte Bezugnahme auf besagte Göttin – ebenso fast ausnahmslos von Männern.2 Die Malerei wurde im 20 Jhd. zunehmend von der Fotografie bei der Darstellung weiblicher Schönheitsideale abgelöst. Als Fotomodels wurden Frauen wie Marylin Monroe und Twiggy zu Ikonen ihrer Zeit. Nicht als sich selbst, sondern als Inszenierung von Männern: ihrer männlichen Managern, ihren männlichen Fotografen, den männlichen Herausgebern der Magazine, in denen sie erschienen. Auch wenn es keine Statuen oder Gemälde aus der Fantasie eines Künstlers mehr

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Die Geburt der Venus, von Sandro Botticelli (1485); Die Geburt der Venus, von William Adolphe Bouguereau (1879); Venus, von Lucas Cranach dem Älteren (1532); Geburt der Venus, von Alexandre Cabanel (1863); Venus nach dem Bad, von Albrecht Altdorfer (16. Jh.); Venus und Cupid, von Alessandro Allori; Venus von Urbino, von Tizian (ca. 1538); Venus Anadyomene, von Tizian (ca. 1525) 2 La Velata, Raffael (1516), Portrait eines jungen Mädchens, Petrus Christus (um 1470), Das Urteil des Paris, Peter Paul Rubens (ca. 1636)

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waren, wurden solche Bilder immer noch von Männern gemacht und waren keineswegs authentische Repräsentationen der realen Frauen dahinter. Seit einigen Jahren werden solche fotografischen Frauenideale nun mithilfe moderner Technologien noch weiter von dem Modell dahinter entfremdet, als es früher gebräuchlich war oder überhaupt nur möglich gewesen wäre. Fast alle Abbildungen weiblicher Körper und Gesichter in Herrenmagazinen oder auf den Titelblättern anderer Zeitschriften und Magazine sind nachbearbeitet.3 Sie sind keine echten Menschen, sondern halbdigitale Hybriden. Ihre Brüste werden größer und fester, ihre Taille und Beine werden schmaler, ihre Hautoberfläche wird gereinigt und geglättet, ihr Augenfarbton gesättigt, ihre Symmetrie ins Hyperreale perfektioniert. [Frenk und Krug, 2004] Die Frauen, die dort abgebildet sind, existieren nicht in Wirklichkeit. Trotzdem werden sie als attraktiver empfunden, als ihre reale Gegenstücke.4 Die volldigitale Venus lässt in letzter Konsequenz diese fotografischen Vorlagen hinter sich und wird wieder so frei erfunden, gestaltet und gezeichnet, wie es die Maler und Bildhauer mit den Frauen in ihren Gemälden und Skulpturen taten. Trotz ihrer konzeptionellen Nähe sind sie im Konkreten aber ganz anders als ihre historischen Wurzeln. Sie sind echter. Digital Beauties sind komplexe Graphiken, die mit dem Einsatz künstlerischer Finesse und mathematischer Präzision reale und hyperreale Frauenkörper und -gesichter simulieren, und dadurch eine bestimmte Idee von Weiblichkeit ausdrücken, die dem momentanen Schönheitsideal sehr nahe steht. Die meisten von ihnen sind ganz ohne Makel: perfekte Symmetrie, gleichmäßiger Teint, feine Poren, gerade weiße Zähne. Was als ästhetischer Konsens betrachtet werden kann, ist bei ihnen vollumfänglich realisiert. Es gibt allerdings auch Exemplare, bei denen bewusst kleine Schönheitsfehler eingebaut wurden, um die Simulation echter Frauen noch perfekter zu machen.5 Der Herausgeber Julius Wiedemann widmete diesen digitalen Schönen einen eigenen Bilderband. Unter dem Namen Digital Beauties veröffentlichte er 2001 eine Sammlung der Arbeiten unterschiedlicher DesignerInnen und Projektgruppen "als anregende Einführung in die Welt digital erstellter weiblicher Figuren". Auf die Frage, warum es immer Frauen sind, hatte er keine Antwort parat: es erschien im offenkundig selbstverständlich. [Frenk und Krug, 2004]

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Frenk und Krug geben als Beispiele dafür die Titelbilder der Auflagenstarken Fernsehzeitschriften TV Movie, TV Spielfilm und TV Today 4 In der Online-Studie Beautycheck bestätigte eine Forschergruppe der Uni-Regensburg, dass künstlich erzeugte Gesichter mehrheitlich als attraktiver wahrgenommen werden. Hier handelte es sich um gemorphte Mischgesichter, die aus mehreren unveränderten Fotografien von Frauengesichtern generiert wurden. Dieselben genormten Proportionen und Symmetrien sind typisch für digitale Nachbearbeitung und volldigitale Graphiken. 5 Bestimmte Details der Digital Beauty Kaya "wurden eigens mit dem Ziel gestaltet, eine natürliche und damit nicht perfekte Frau zu gestalten" [Wiedemann, 2001]

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Im Jahre 2004 wurde dann die Misswahl Miss Digital World von dem italienischen ITKünstler Franz Cerami ins Leben gerufen und erstmals abgehalten.6 "Miss Digital World is the search of the contemporary ideal of beauty seen through the language of virtual reality." sagt Cerami und meint damit natürlich das Ideal weiblicher Schönheit. Jedes Jahr kämpft hier eine elitäre Auswahl virtueller Schönheiten um das virtuelle Siegerkrönchen und den Titel des Miss Digital World. Alle Kandidatinen werden danach in einem Katalog veröffentlicht, der käuflich zu erwerben ist. Interessant ist zu bemerken, wie konsequent bestimmte Schönheitsideale durch diese virtuellen Frauenbilder verbreitet und etabliert werden, schlichtweg durch den absoluten Mangel von Exemplaren, die solchen Idealen nicht entsprechen. Es gibt keine Digital Beauties mit Übergewicht, keine mit zu kleinen oder mit hängenden Brüsten, keine mit langen Nasen oder schiefen Zähnen und keinesfalls eine, die älter als 20 wirkt. Selbst in der Überwindung des hyperrealen sind nur kleine charmante Details als Schönheitsfehler legitim, wie Zähne, die etwas zu groß sind oder Augen, die etwas zu weit auseinander liegen. Das Beauty in den Digital Beauties ist ein sehr restriktiver Begriff. Er meint eine ganz spezielle Art von Schönheit. Ein Ideal, dass sich in den letzten Jahrzehnten gebildet und etabliert hat und von ihnen aufgegriffen und perfektioniert wurde. Es sind ethnische Mischwesen, die keine zu markanten Attribute einer bestimmten Abstammung aufweisen dürfen.7 Sie haben große Augen und kleine Nasen; sind stets schlank, mit einer kindlichen, sportlichen oder sehr weiblichen Statur, denen allerdings fast immer die großen festen Brüsten gemein sind. Es findet sich meist einiges von dem wieder, was Konrad Lorenz als Kindchenschema definierte und eigentlich einen non-sexuellen Beschützterinstinkt bei dem Betrachter wecken sollte, gepaart mit einer drastischen, gelegentlich überspitzen, Darstellung sexueller weiblicher Reize, wie große Brüste und schmaler Taille im Verhältnis zum breiten Becken. Es ist abzusehen, dass die Bildnisse bald so perfekt werden, dass sie selbst nach eingehender Betrachtung nicht mehr von Bildnissen realer Frauen unterschieden werden können; höchstens daran, dass sie zu perfekt sind, und selbst dem können die Macher entgegenwirken, wenn sie das möchten. Gleichzeitig stellt sich natürlich die Frage, wie sich die Tendenz weiter entwickelt, dass die Bildnisse realer Frauen an die Digital Beauties angeglichen werden. Und ob irgendwo noch ein Raum für menschliche Unperfektion bleibt.

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http://www.missdigitalworld.com/, http://www.wired.com/wired/archive/12.11/virtual.html Zum Beispiel Webbie Tookay, die "in ihren Gesichtszügen, wie in ihren Körperproportionen mit dem Ziel entwickelt wurde, dem Schönheitsvorstellungen unterschiedlicher Kulturkreise zu entsprechen" [Frenk & Krug, 2004] 7

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Virtuelle Frauen in virtuellen Medien Digital Beauties sind aber eben nicht nur starre leblose Bildnisse, sondern können eine ganze Reihe phantastischer Kunststücke lernen. Der große Vorteil von Computergraphiken gegenüber Bildern ist nämlich, dass sie verlustfrei veränderbar sind. In einer Zeit, wo eine entscheidende Menge verbreiteter Massenmedien, sowie der absolute Mehrzahl kleiner Heimproduktion, am Computer erstellt werden, haben sich die virtuellen Frauen durch diesen und andere Vorzüge zu höchst populären Darstellerinnen entwickelt. Man

betrachte

nur

die

Filmindustrie:

wo

Zeichentrickfilme

immer

mehr

von

Animationsfilmen verdrängt werden, rückt die cineastische Sternstunde der Digital Beauties immer näher.8 Bekannte Beispiele sind Aki Ross aus dem Film Final Fantasy von 2001, Prinzessin Fiona in der Shrek-Trilogie von 2001 bis 2007 und Jue in The Animatrix: Final Flight of the Osiris aus dem Jahr 2003. Sie stehen in der Tradition von gezeichneten Schönheiten wie Jessica aus Who Framed Roger Rabbit von 1988 und Holli Would aus Cool World von 1992. Sie werden von mehrköpfigen, fast ausschließlich männlichen, Animationsteams nach den Vorgaben männlicher Produzenten erstellt und zum Leben erweckt.9 Die einzige Rolle, die echte Frauen dabei noch spielen, ist die Stimme der digitalen Protagonistinnen unter der Anleitung eines männlichen Regisseurs einzusprechen, wofür dann bekannte Stars wie Cameron Diaz (Prinzessin Fiona) und Ming-Na (Aki Ross) genommen werden. Im Film wurde auch die Technik der digitalen Verfremdung und hyperrealer ästhetischer Verbesserung menschlicher Darstellerinnen weiterentwickelt und perfektioniert. So wurde der Film Beowulf dafür bekannt, eine Nacktszene von Angelina Jolie zu enthalten. Der nackte Körper kommt mit seinen überspitzten Proportionen allerdings aus dem Computer und nur das Gesicht und die Bewegungsabläufe sind von der echten Jolie übernommen bzw. digitalisiert und nachempfunden wurden. Dafür wird eine Technik benutzt, bei der die DarstellerInnen mit Elektroden versehen werden, die Körperformen, Gesichtsausdrücke und Bewegungen aufzeichnen und in den Computer einspeisen, um dort ein lebensnahes virtuelles Abbild zu erschaffen, dass dann wiederum nach belieben verändert werden kann.10 Virtuelle Darstellerinnen finden sich aber nicht nur Kinofilmen, sondern auch in vielen anderen Medien. Sie tauchen mit großer Regelmäßigkeit in modernen Musikvideos auf, teils als

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http://www.yaoti.info/de/animations-filme-der-zeichentrickfilm-stirbt-aus_20080130/ Für die genannten Beispiele finden sich die kompletten Crew-Mitglieder unter http://www.imdb.com/title/tt0173840/fullcredits#cast --Final Fantasy, http://www.imdb.com/title/tt0413267/fullcredits#cast --Shrek, http://www.imdb.com/title/tt0173840/fullcredits#cast --The Animatrix: Final Flight of the Osiris 10 http://madeinhead.org/anism/?p=295, http://madeinhead.org/anism/wp-content/uploads/2008/06/angelinajolie-beowulf-face-and-ass.jpg 9

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animiertes Double der Perfomerinnen, teils ohne Zusammenhang mit den Musikern;11 auf vielen CD-Hüllen finden sich ebenfalls Digital Beauties auf den Covern;12 es gibt Virtual Catwalks, auf denen sie ganz wie richtige Models Mode vorführen und ihren eleganten Gang demonstrieren; und es gibt eine immer größer werde Industrie für animierte 3D-Pornographie, die zunehmend Hentais – pornographische japanische Animes – ablöst.13 Der Erfolg und die multimediale Verbreitung virtueller Darstellerinnen sind deutliche Zeugnisse davon, dass es offenkundig auf der Seite der Nutzer eine starke Nachfrage gibt, wie auch auf der Seite der Produzenten zumindest keine Ablehnung besteht. Und warum sollte es auch? Digital Beauties haben eine ganze Reihe Vorteile gegenüber realer Darstellerinnen: sie verlangen keine Gage, sie müssen nicht vor jedem Dreh geschminkt und frisiert werden, sie können 24 Stunden am Tag arbeiten, machen immer was man ihnen sagt, ohne jemals Widerworte zu geben, haben keine Hemmungen sich auszuziehen oder verweigern in Pornos bestimmte Sexpraktiken. Sie sind fügsame Ansammlungen von Polygomen, die genau so Aussehen, wie man(n) will und genau das tun, was man(n) möchte, und dabei eine immer perfektere Illusion von Lebendigkeit verkaufen. Und diese Illusion scheint für die Zuschauer zu funktionieren. Zumindest gut genug, um sie zu unterhalten, in Staunen zu versetzen oder sexuell zu erregen. Virtuelle Darstellerinnen haben eigene Internetseiten und Fangemeinden. Die überzeugten Groupies verkleiden sich bei Conventions als ihre Lieblingsfiguren, sogenanntes Cossplay. Digital Beauties werden in der Anlehnung an echte Frauen geschaffen und ihre echten weiblichen Fans versuchen dann wiederum so auszusehen wie sie, können trotz aller Mühe aber niemals ihre digitale Perfektion erreichen. Bei virtuellen Darstellerinnen finden sich die gleichen Stereotype, wie bei den Digital Beauties als starre Bildnisse, wie sie davor diskutiert wurden. Auch in Filmen, Musikvideos und Pornographie sind flache Bäuche, schmale Taillen und große Brüste gefragt, genauso wie perfekte Symmetrie, gleichmäßiger Teint und ethnische Neutralität bzw. Universalität. In diesem Kontext kommen zu den äußeren Merkmalen aber auch Persönlichkeiten der Rollen hinzu, die sie verkörpern. Während sie hier augenscheinlich eine Vielzahl verschiedener Charaktere darstellen, muss man bei genauerer Betrachtung doch feststellen, dass die meisten immer noch von antiquierten männlichen Frauenstereotypen inspiriert sind: sie sind die hilflose hübsche Prinzession (Fiona), die wilde sexy Kämpferinnen (Jue) oder die verführerische Dämonin 11

Bei YouTube gibt es Trend, eigene Musikvideos mit Digital Beauties als Darstellerinnen zu seinen Lieblingsliedern zu erstellen und hochzuladen; siehe http://www.youtube.com/watch?v=Sib2L6A6xgw 12 http://www.amazon.de/Digital-Beauties-001-Beautiful-Tunes-Electronic/dp/B00022LSFM 13 Besonders bekannt ist die dreiteilige PornoMation-Reihe geworden; siehe http://movworld.net/erotik/filme/hentai-comic/pornomation-2-3-d-film-10200.html

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(Grendels Mutter); selbst die attraktive Wissenschaftlerin Aki Ross schafft nicht darauf auszubrechen und kämpft mit ihrer weiblichen Intuition gegen die logisch denkenden Männer. Was die Zukunft für die digitalen Schönheiten in den Medien bringt ist noch ungewiss. Ein denkbares Szenario ist, dass die Computertechnologie es möglicht macht, reale Darstellerinnen bewegter Bilder mit sehr geringem Aufwand auf eine Weise digital zu "verbessern", dass der Zuschauer – wie es heute bereits in vielen Magazinen und Zeitschriften geschieht, wie zuvor festgestellt wurde – kaum noch unveränderte Frauen auf dem Schirm zu sehen bekommt und halbdigitale Frauenhybride unmenschliche Schönheitsideale noch tiefer in der Gesellschaft verankern. Genauso werden wohl auch die volldigitalen Beauties immer authentischer und menschenähnlicher werden, ohne aber in absehbarer Zeit ihre hyperreale Perfektion hinter sich zu lassen. Klar ist einzig: die Grenzen werden zunehmend verschwimmen.

Virtuelle Frauen als virtuelle Personae Digital Beauties lassen sich aber nicht nur betrachten, sie bieten auch eine Hülle, in die ihre Nutzer schlüpfen können. Das typische Beispiel dafür sind Videospiele und in diesem Kontext auch ein bestimmtes Spiel und ihre weltbekannte Hauptfigur im Besonderen: Lara Croft aus dem Spiel Tomb Raider, das 1996 erschien und ein gewaltiges Franchise mit mehreren Fortsetzungen, Verfilmungen, Spielfiguren und vielem mehr nach sich zog. Sie entwickelte sich zu einer virtuellen Ikone der 90er ohne Gleichen, sowohl durch ihr Image der Sexy-Kämpferin, wie auch durch ihre extremen Körperformen, mit der superschmalen Taille und übergroßen festen Brüsten, die durch ihre spärliche Bekleidung besonders zur Geltung gebracht werden. Die Programmierer scheinen besonderes Augenmerk darauf gelegt zu haben, dass ihre Spielfigur hübsch anzusehen ist, und der Erfolg gibt ihnen recht. Natürlich ist das auch anderen Spielentwicklern nicht entgangen. Videospiele haben schon früh die Anziehungskraft von Digital Beauties entdeckt. Entsprechend gibt es eine große Auswahl von Spielen auf allen Plattformen, bei denen sehr viel Zeit und Geld darauf investiert wurde, eine besonders schöne und perfekte Spielfigur zu schaffen, in deren Rolle der Spieler schlüpfen kann. So wurde das Beat ’em-up "Dead or Alive", das wie Tomb Raider 1996 zum ersten Mal auf dem Markt erschien und eine Reihe von Fortsetzungen nach sich zog, bekannt dafür, dass die Brüste der attraktiven weiblichen Spielfiguren bei Bewegungen des restlichen Körpers wackeln und dass bei verschiedenen Manöver ihre entblößten Höschen zu sehen sind. In späteren Veröffentlichungen der Reihe gedieh die Optik der Frauen zu so großer Beliebtheit, dass 2003 der Spin-Off "Dead or Alive Xtreme Beach Volleyball" erschien, bei dem die männlichen Charaktere gestrichen und ein 8

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Großteil der Finanzen darauf investiert wurde, besonders schöne weibliche Körper zu schaffen, die dann in knappen Bikinis gegeneinander Volleyball spielen. 2003 erschien auch das Gamecube-Spiel "P.N.03". Dieses Spiel erlangte dafür Berühmtheit, dass der Po der Spielfigur, die der Spieler die ganze Zeit aus der Rückansicht betrachtet, eigenständig hin- und her wackelt. Und es gibt viele weitere solcher Beispiele. Das Bedürfnis scheint groß zu sein, Digital Beauties nicht nur einfach zu betrachten, sondern auch in ihre Haut zu schlüpfen. Und die Fans sind dabei nicht nur stille Konsumenten, sondern verändern den Quelltext ihrer Lieblingsspiele eigenständig, um noch sexuellere Darstellungen ihrer Charaktere zu ermöglichen. Besonders bekannt dafür sind die so genannten "NudePatches", kleine Programme, die von Heimnutzern erstellt werden und den Spielen Kommandozeilen und Graphiken hinzufügen, wodurch die Spielfiguren nackt dargestellt werden können. Große Verbreitung fanden solche Patches erstmals für Tomb Raider14, aber auch viele andere Spiele, wie das Rollenspiel "The Elder Scrolls IV: Oblivion"15, die Lebenssimulation "Die Sims"16 oder das bekannte MMORPG "World of Warcraft"17, verfügen bereits über dieses Gimmik. Natürlich machen diese Patches immer nur die weiblichen Spielfiguren nackt, jedem Benutzer erscheint das ganz selbstverständlich, wenn er diese kleinen Programme herunterlädt und installiert und er wäre wohl sehr schockiert, wenn er plötzlich mit einem anderen Ergebnis konfrontiert wäre. Ein Interesse an nackten männlichen Beauties scheint es kaum zu geben. Bei Computerspielen ist es nicht die Aufgabe der männlichen Charaktere sexy zu sein: sie sollen groß und kräftig aussehen, mystisch und verschlagen oder karikaturhaft lustig. Weibliche Avatare brauchen aber immer einer gewissen erotischen Charme und natürlich einen perfekten Körper, um irgendwie interessant zu sein. Selbst Spiele, die auf eine weibliche Zielgruppe zugeschnitten sind, wie "The Longest Journey 1+2"18 und "Venetica"19 genügen diesem Anspruch bedingungslos, selbst wenn die Brüste in solchen Spielen oft etwas kleiner sind, als in Produktionen, die auf ein männliches Publikum konzipiert sind. Aber nicht nur in Videospielen, sondern auch bei virtuellen Avataren in anderen Kontexta wir gerne auf Digital Beauties zurückgegriffen. Sehr viele Internetforen haben mittlerweile die Option, bei allen Beiträgen neben dem Namen auch ein Benutzerbild anzuzeigen. Gerade bei weiblichen Benutzern sind hier Digital Beauties statt echten Fotos sehr beliebt. Auch in visuellen Chaträumen sieht man das häufiger als bei Männern. Und selbst wenn bei Männern virtuelle 14

http://download.chip.eu/de/Tomb-Raider-Anniversary-Nude-Patch-1.0_620648.html http://download.chip.eu/de/Elder-Scrolls-IV-Oblivion-Eye-Candy-Nude-Patch_5254005.html 16 http://download.chip.eu/de/Die-Sims-3-Nude-Patch-kostenlos_5105305.html 17 http://download.chip.eu/de/World-of-Warcraft-Nude-Patch_5259944.html 18 http://img.wallpaperstock.net:81/dreamfall-hot-girl-wallpapers_2827_1600x1200.jpg 19 http://www.chip.de/ii/246339684_236086a4be.jpg 15

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Graphiken benutzt werden, sind sie doch wie die Helden in Computerspielen meist stark, mystisch oder lustig, während die Avatare der Frauen immer auch sexy sind.20 Weibliche Figuren als virtuelle Personae für reale Personen am Computer oder vor der Spielkonsole können viele Formen annehmen und sind weit verbreitet. Während sie in ihrer sexualisierten Darstellung in sehr typischen Frauenbildern verankert bleiben, sind sie i.d.R. zumindest keine hilflosen Puppen, die einen starken männlichen Beschützer suchen, sondern unabhängig, selbstbewusst, erfolgreich und kriegerisch, vor allem wenn sie die zentralen Protagonisten sind. Die kämpfende Fraktion, die den Großteil davon ausmacht, reicht vom Tiefgang nur leider selten über so antiquierte Archetypen wie Penthesilea und ihre leicht bekleideten Amazonen heraus. Bei dem Blick in die Zukunft sind sich die meisten modernen Spielentwickler mit der Science-Fiction-Literatur der letzten 50 Jahre einig: die nächste große Spielerevolution wird die virtuelle Realität werden.21 Dabei schlüpft der Benutzer buchstäblich in die Haut der Spielfigur und betrachtet die Welt mit ihren Sinnen. Da Digital Beauties allerdings vor allem in Spielen auftreten, in denen man sie auch betrachtet kann – das Spielgeschehen also aus der dritten und nicht aus der ersten Person abläuft, wie es bei virtueller Realität sein wird – ist es denkbar, dass sie dort verstärkt zu Nebencharakteren avancieren werden, mit denen der Spieler dann interagiert, anstatt ihn zu verkörpern. Gerade bei Online-Spielen, die einen virtuellen sozialen Raum für mehrere Teilnehmer schaffen, ist allerdings stark davon auszugehen, dass sich der Körper von Digital Beauties für weibliche und männliche Teilnehmer auch im Cyberspace ausgesprochener Beliebtheit erfreuen wird, wie sie es heute bereits in entsprechenden Vorläufern tun – man kann ihn zwar nicht selbst sehen, aber das gegenüber kann das, und wird sich entsprechend verhalten. Vor allem Frauen scheinen ein größeres Bedürfnis zu haben, als virtuelle Schönheiten wahrgenommen zu werden, als mit ihnen konfrontiert zu werden und sie zu betrachten.22

Virtuelle Frauen als virtuelle Gefährtinnen Eine der komplexesten Anwendungsformen von Digital Beauties ist ihre Funktion als virtuelle Gefährtinnen. Der Traum des Mannes sich seine eigene perfekte Frau als Lebens- und Liebespartnerin zu erschaffen hat eine sehr lange Tradition. Besonders bekannt ist der antike griechische Pygmalion-Mythos, der von dem römischen Dichter Ovid in seinen "Metamorphosen" zu Beginn 20

http://www.visualchats.com/ http://java.sun.com/features/2003/02/lanier_qa2.html 22 Man siehe das bekannte MMORPG World of Warcraft mit 11,5 Millionen Teilnehmern, in deren Sphären sich kaum ein weiblicher Avatar nicht als Digital Beauty qualifizieren würde 21

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des ersten Jahrtausends in seiner ältesten ausführlichen Schilderung überliefert ist und dann vor allem seit dem 18. Jhd. viele literarische und künstlerische Adaptionen inspirierte.23 In diesem Mythos erschafft der Künstler und Frauenfeind Pygmalion von Zypern eine Elfenbeinstatue, die wie eine lebendige Frau aussieht. Er beginnt die Skulptur dann auch wie einen echten Menschen zu behandeln, liebkost sie regelmäßig und verliebt sich schließlich in sie. Aphrodite haucht der Statue dann später tatsächliches Leben ein und sie wird Pygmalions Gefährtin und Mutter seines Kindes Paphos. Ein ähnliches Konzept findet sich auch in anderen künstlerischen Werken, allerdings oft mit weniger positiven Ausgängen. In E.T.A. Hoffmanns "Der Sandmann" von 1817 geht es um eine Frau, die mehrfach als wunderschön und vollkommenes Ideal beschrieben wird und sich später als Automat herausstellt, was mit Grauen betrachtet wird. In Marry S. Schelleys "Frankenstein", das ein Jahr später erschien, verlangt Frankensteins Monster von seinem Macher, dass er ihm eine Gefährtin aus Leichenteilen erschaffe, da er sonst kein Glück in der Welt finden könne. Ebenfalls beides Konzepte, die viel künstlerische Auseinandersetzung, Adaption und Imitation bis in die heute Zeit inspirierten.24 Die Zeiten rücken näher, in denen diese fernen Phantasmen durch technische Möglichkeiten immer weniger abwegig werden, während die Nachfrage und das dahinter stehende Kapital in horrende Größen steigen. Doch die moderne gemachte Gefährtin und Gespielin ist virtuell. Ein so komplexes Unterfangen wird natürlich auf mehreren Ebenen angegangen. Virtuelle Körper und Bewegungsabläufe, Gesichter und Gesichtsausdrücke sind schon seit über 10 Jahren in unseren Lebensalltag eingegangen und werden stetig perfektioniert. Dies kann aber kein Bedürfniss nach Gesellschaft befriedigen, wenn sie nicht auch über eine Form der Intelligenz und Persönlichkeit verfügen, mit der sich Konversation treiben lässt, wodurch Lebenswelten geteilt werden können und Intimität entsteht. Und gerade daran wird mit Hochdruck geforscht. Es geht nicht darum, dass solche "Conversational Agents" über echte Intelligenz oder authentische Persönlichkeiten verfügen, sondern darum, dass bei Gesprächen mit ihnen den Mangel daran nicht bemerkt wird. Bereits 1950 schlug der britische Logiker und frühe Computertheoretiker Alan Turing ein Verfahren vor, mit dem überprüft werden soll, wie gut es Maschinen oder Programmen gelingt, in einer textbasierten Kommunikation vorzutäuschen, echte Menschen zu sein. Der Turing-Test wurde nach einigen vereinzelten gescheiterten Versuchen durch die Ausschreibung des Loebner-Preises 1991 durch Hugh Gene Loebner zu einem jährlichen Event, 23

u.a. von J. J. Bodmer (1749), J. E. Schlegel (1766), J. W. Goethe (1767), J. J. Rousseau (1770), G. Keller (1881), F. v. Suppé (1865), W. S. Gilbert (1871), G. B. Shaw (1915), G. Kaiser (1948) 24 Die Thematik von Frankenstein hat alleine in den USA in den Jahren 1910 bis 2004 den Stoff für acht Verfilmungen geliefert, siehe http://www.imdb.com/find?q=frankenstein&sourceid=mozilla-search

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bei dem sich die fortgeschrittensten "Chatterbots" ihrer Zeit darin messen, den Versuchspersonen Menschlichkeit vorzugaukeln. Das bisweilen beste Ergebnis erzielte im Oktober 2008 das Programm Elbot von Fred Roberts, dass es schaffte, 25 Prozent der menschlichen Versuchsteilnehmer zu täuschen. Eine andere bekannte und sehr erfolgreiche Teilnehmerin ist die Artificial Linguistic Internet Computer Entity, kurz A.L.I.C.E., die 2000, 2001 und 2004 den Preis gewann. Sie wurde von Richard Wallace programmiert, inspiriert von dem älteren Chatterbot ELIZA von Joseph Weizenbaum. Wie der Name schon sagt lässt sich mit A.L.I.C.E. kostenfrei im Internet chatten.25 Neben dem Textfenster auf der linken Seite ist auf der rechten Seite ein weiblicher Oberkörper abgebildet, dessen Kopf und Augen dem Mauszeiger folgen. Auf die Frage, welchem Geschlecht sie zugehörig ist, bestätigt sie, dass sie weiblich ist. Auf die Nachfrage, warum das so ist, erklärt sie nur, ihr Entwickler habe sie eben so programmiert. Auf derselben Seite lässt sich das BasisProgramm auch herunterladen und nach den eigenen Vorstellungen anpassen und mit bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen versehen. In der visuellen Darstellung gibt es im kommerziellen Bereich auch deutlich fortschrittlichere Varianten, als ein Gesicht, dessen Augen einem Cursor folgen, und die einem ganz bestimmten Zweck dienen sollen. Die Virtual Companion Software VirtualFem, die auf einer verwandten KI basiert, "lets you interact with a very cute girl, and tell her what to do. A Virtual Girlfriend who lives inside your computer; she will do anything you ask, understands plain English, and speaks to you out loud! Clever usage of high-quality full-motion video makes VirtualFems come to life!"26 Hierbei handelt es sich um fragmentarische Videoaufzeichnungen echter Frauen, die mit einem Chatterbot verbunden sind und durch die Kommandos der Benutzer dynamisch zusammengeschnitten werden, vornehmlich zu pornographischen Zwecken aus einer Point-ofView-Perspektive. Nach einem ähnlichen Prinzip funktioniert auch Interactive-Porn, dort sind die Gesprächsmöglichkeiten aber auf eine Handvoll sexueller Wünsche begrenzt. Verbreiteter sind zu diesem Zweck allerdings erotische Computerspiele – die vornehmend aus Japan stammen und dort als Eroge bekannt sind – bei denen der Benutzer sexuellen Verkehr mit Digital Beauties beobachten und dirigieren kann.27 Es sind meist Rollenspiele, bei denen durch viele Dialogsequenzen die Damen erst zu erotischem Kontakt überredet werden müssen. Aber auch Hardcore-Spiele, wie das berüchtigte RapeLay, bei denen der Spieler die weiblichen Protagonisten auf mannigfache Weise vergewaltigen und missbrauchen kann, erfreuen sich

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http://www.pandorabots.com/pandora/talk?botid=f5d922d97e345aa1 http://www.virtualfem.com/features.html 27 http://www.hentai.co.uk/articles/eroge_past_present_and_future.html 26

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großer Beliebtheit und Verbreitung – auch in der westlichen Welt.28 Bei sogenannten Ero-cha – einer japanischen Mischform aus solchen Spielen und einem Online-Sex-Chat – tauchen dann wieder reale Frauen auf, allerdings nur um den künstlichen noch mehr Leben einzuhauchen: der Benutzer kann hier diverse Sexpraktiken, häufig nonkonsensual, mit animierten Beauties gestalten, die dabei von echten Frauen live synchronisiert werden. Aus Japan kommen auch Bestrebungen, die Digital Beauties aus dem Computer heraus zu holen bzw. mit der Umwelt außerhalb des Computers und damit dem Benutzer unmittelbar interagieren zu lassen. Das Zauberwort ist Augmented Reality. Bei diesem Prinzip werden digitale Bilder in Aufzeichnungen realer Umgebung hineinprojiziert und können mit ihnen interagieren. Wie der vorgestellte Chatterbot trägt auch hier der erste Vorstoß in diese Richtung den Namen Alice. Sie wird als Programm zusammen mit einer Webcam und einem phsysischen Positionierungskubus mit ca. 3 cm Seitenlänge verkauft. Wenn der Kubus im Aufnahmefeld der Webcam ist, wird auf dem Monitor das braunhaarige Digital Beauty Alice im French MaidOutfit als dreimdimensionale Grafik auf dem Kubus stehend angezeigt. Sie verfügt über eine simple künstliche Intelligenz und kann in Echtzeit mit ihrer Umgebung interagieren. Wenn der Benutzer also mit einem Finger über den Kubus fasst, sieht er auf dem Monitor, wie Alice mit dem Finger interagiert: sie kann gestreichelt werden, geprügelt, oder auch auf die Hand genommen werden. "Alice has a real personality and responds to your touch and loves receiving gifts from you. In return, she’ll do the same for you and even sweep up! She’ll even take off/change clothes when you’d like her too."29 [sic!] Die "augmented reality maid" Alice ARis verkörpert in besonders drastischer Weise dasselbe Frauenbild,

was

sich

in

fast

allen

virtuellen

Gefährtinnen

findet.

Alle

ihre

Charaktereigenschaften sind darauf angelegt, dem männlichen Benutzer zu gefallen. Sie sind meist fügsam und gehorsam. Sie sollen ihrem Meister dabei nicht einfach zu Diensten sein, sie sollen ihm dienstbar sein wollen – ständiges Verlangen nach ihm und seiner Aufmerksamkeit verspüren. Großer Aufwand wird bei der Persönlichkeitssimulation betrieben, um genau diesen Eindruck zu erzeugen. Manchmal ist dem Benutzer aber auch das zu langweilig. Trotz der einfachen Möglichkeit, absolute freiwillige Hingabe zu programmieren, gibt es offenkundig auch einen Bedarf für einem gewissen Widerwillen. Dieser Widerwille kann durch Geschenke überwunden werden, oder in brutalen Vergewaltigungsszenarien münden. Doch ob nun konsensual oder nonkonsensual, sexueller "Kontakt" scheint in allen unterschiedlichen Formen virtueller Gefährtinnen eine zentrale Rolle zu spielen.

28 29

http://www.krasse-news.de/rapelay-vergewaltigungs-spiel-bei-amazon-11701/ http://www.kanojotoys.com/cyber-figure-alice-aris-augmented-reality-maid-p-348.html

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Optisch unterscheiden sich diese interaktiven Beauties dabei kaum von ihren souveränen Gegenstücken. Es fällt lediglich auf, dass sie oft noch jünger wirken, als es die Bildnisse, Filmdarsteller und Videospielheldinnen sind, und dass sie in vieler Hinsicht noch weniger emanzipiert wirken: ihre einzige Aufgabe ist dem Mann zu gefallen, manchmal bekommen sie Geschenke, über die sie sich dann freuen oder dürfen den Boden wischen, aber so etwas wie einen Beruf oder ein Leben außerhalb des Mannes hat keiner von ihnen. Für virtuelle Gefährtinnen, die das Persona einer selbstbewussten, starken Frau haben, gibt es offensichtlich kaum Interesse, oder nur insoweit, dass ihr Wille in einem sexuellen Kontext gebrochen werden kann. Für die Zukunft der virtuellen Gefährtinnen gibt es viele denkbare Möglichkeiten, unterscheiden sich doch auch die momentanen Variationen und Ansätze erheblich voneinander. Auf jeden Fall wird die Forschung an künstlicher Intelligenz fortgesetzt werden. Auch wenn in den wissenschaftlichen Kreisen Konsens darüber herrscht, dass wir noch meilenweit von echter künstlicher Intelligenz entfernt sind, zeigen die jährlichen Gewinner des Loebner-Preises, dass zumindest die Simulation immer perfekter wird, auch wenn noch nicht absehbar ist, wann die Chatterbots und andere Anwendungsgebiete vernunftbegabte Menschen dauerhaft täuschen können. Natürlich wird auch die visuelle und akustische Darstellung immer weiter verfeinert werden. Dabei wird wahrscheinlich sowohl das Verfahren dynamischer Editierung von Videoaufzeichnungen realer Frauen perfektioniert werden, wie auch die Arbeit an volldigitalen Frauen, die einige Sätze sprechen, über eine vielseitige Mimik verfügen und komplexe Handlungen ausführen können. Genauso arbeitet auch die Forschung an Augmented Reality auf Hochtouren. Es ist also abzusehen, dass Techniken, virtuelle Gefährtinnen in reale Umgebungen zu projizieren, ebenfalls erweitert und verbessert werden. Ob das dazu führen wird, dass man irgendwann die ganze Zeit eine virtuelle Freundin bei sich hat, die man nur selbst durch eine AR-Brille30 sehen kann und die wie ein imaginärer Freund allen anderen Menschen verborgen bleibt, ist noch nicht zu sagen. Womöglich werden es auch Hologramme sein, mit denen die digitalen Gefährtinnen aus dem Computer geholt werden, wie der Graphiker Makoto Higuchi vermutet [Wiedemann, 2001]. In jedem Fall ist aber zu vermuten, dass sexueller Kontakt eine zentrale Funktion aller Variationen bleiben wird. Eine Kopplung mit Sexpielzeug oder Cyberanzügen31, die bereits in Prototypen existieren und in einigen Ausführungen sexuelle Stimulation durch leichte Elektrostöße vermitteln, ist hier ein denkbarer nächster Entwicklungsschritt.

30

http://kueperpunk.blogspot.com/2009/01/augmented-reality-brille-wrap-920-av.html http://www.futurephysical.org/pages/content/wearable/wearme/info_processdemo_071202_dl_yacov.htm http://www.br-online.de/wissen/forschung/cyberwalk-virtuelle-welten-laufen-ID1208516663616.xml 31

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Fazit Schönheit und Weiblichkeit sind schon seit Urzeiten eng miteinander verbundene und verflochtene Konzepte. So ist insbesondere der "englische Begriff beauty, wenn er Menschen bezeichnet, traditionell weiblich konnotiert." [Frenk und Krug, 2004] Die Schönheit weiblicher Formen wird staunend betrachtet, leidenschaftlich begehrt und in vielen der ältesten Religionen der Welt huldvoll angebetet. "Als omnipräsentes und doch kaum greifbares Phantasma wurde und wird Schönheit zugleich hergestellt. In allen technologisch entwickelten Gesellschaften ist eine riesige Industrie mit der Produktion von Schönheitsbildern beschäftigt, um den Konsum von Schönheit [...] zu bedienen." [ebd.] Digital Beauties sind also gleichzeitig zeitgenössischer Ausdruck einer vorzeitlichen Faszination und Huldigung, wie auch ein profitables Produkt, dass die serielle Fertigung von Schönheit für den täglichen Gebrauch ermöglicht. Die virtuellen Räume, in denen sie sich vornehmlich bewegen, können dabei sowohl als neue Sphären des Betrachtens, Interagierens und künstlerischen Schaffens gelesen werden, wie auch als neue Markt- und Konsumflächen, die von der Industrie mit Schönheitsbildern zu kommerziellen Zwecken geflutet werden. Klar ist jedenfalls, dass es sich um ein Erfolgskonzept handelt, das sich bereits in diversen Einsatzfeldern etabliert hat: als moderne Venusbilder oder Madonnen, die sexuelle Verlockung oder ästhetisierte weibliche Unschuld und Reinheit verkörpern; als Darstellerinnen animierter Spielfilme, Musikvideos und Werbeclips; als Personae bei Computerspielen oder in virtuellen sozialen Netzwerken; als Gefährtinnen und Sexualpartner, die über Bilder, Text und Stimme, durch rudimentäre Vorläufer künstlicher Intelligenz, und auch mit dem Einsatz von Augmented Reality, mit ihrem Besitzer kommunizieren und interagieren können; als Medienikonen (Idols), Präsidentschaftskandidatinnen und Embodied Identities großer Firmen. [Frenk und Krug, 2004; Pritsch, 2004] "So besteht am hohen Stellenwert weiblicher Körper in der heutigen Konstruktion digitaler Schönheit kaum ein Zweifel." [Frenk und Krug, 2004]

Digital Beauties sind aber auch

gleichzeitig ein Maßstab der Technik, die sie verwirklichen. Sie sind ein Gradmesser des "digitalen Fortschritts" der Computergrafik. [Wiedemann, 2001] In allen Einsatzfeldern setzen sie die unangefochtene Messlatte: die Bildnisse in Wiedemanns Katalog waren die fortschrittlichsten graphischen Darstellungen von Menschen seiner Zeit; die Filme Final Fantasy und The Animatrix: Flight of the Osiris wurden dafür bekannt, digitale Welten und Menschen mit einer nie gesehenen Authentizität und Detailtreue zum Leben zu erwecken – besonders bei ihren attraktiven Hauptfiguren; eines der ersten Consumer-Produkte, das Augmented Reality auf den Markt bringt, ermöglicht natürlich die Interaktion mit einer hübschen jungen Maid; und nicht nur Computerspiele werben damit, die schönsten Schönheiten auf den Schirm zu bringen, 15

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auch auf den meisten High-End Grafikarten32 sind vorher und nachher Bilder von Digital Beauties zu finden, die demonstrieren sollen, wie viel perfekter sie von diesem Modell im Gegensatz zu seinen Vorläufern realisiert werden. Mit diesem Hintergrund lassen sie sich auch "als Allegorien der Technik verstehen, als Personifikation der Computergrafik als solche". [Pritsch, 2004] Der große Markt und der facettenreiche Einsatz lassen darauf schließen, dass eine starke und vielseite Nachfrage besteht, der dadurch begegnet werden soll. Diese wird dominiert von dem Konsum von Schönheit, ist damit aber nicht erschöpfend, oder in einer anderen Betrachtung: die Konsumformen unterscheiden sich erheblich in Art und Zweck. So löst, im Hintergrund des zuvor genannten, die Betrachtung einer zeitgenössischen Digital Beauty nicht nur eine Begeisterung von der Schönheit der Frau aus, die sie darstellen soll, sondern genauso von der hochmodernen Technologie, durch die sie erzeugt und belebt wird; sie dienen zu Unterhaltungzwecken in Filmen und anderen Medien; in virtuellen Räumen bilden sie eine Hülle, in die ein realer Mensch schlüpfen und damit selbst zur Digital Beauty werden kann; sie stillen in pornographischen Kontexta sexuelle Bedürfnisse, in dem sie bei der Selbstbefriedigung durch Zurschaustellung ihrer Reize und erotische Aktivitäten assistieren; und sie finden Einsatz als Gesprächspartner und Gefährten, wo sie sozialen Austausch und Nähe simulieren, um die Einsamkeit erträglicher zu machen. Es stellt sich natürlich die Frage, warum diese Bedürfnisse von virtuellen Dienstleistern gestillt werden müssen, und nicht mehr von realen Menschen befriedigt werden können. Einerseits wird es sicher einen Teil von ihrem Reiz ausmachen, dass sie vom Prinzip her neu sind, und mit der fortschreitenden technischen Entwicklung auch immer wieder neu erfunden werden, und dadurch natürlicherweise auch Neugierde wecken, wie es viele technologische Neuerungen tun, vor allem wenn sie auf so vielen Ebenen funktionieren und so omnipräsente Konzepte wie Schönheit, Menschlichkeit, Weiblichkeit, Identität, Virtualität und Kunst betreffen und in ein neues Licht rücken. Andererseits haben sie auch einige intrinsische Vorteile gegenüber echten Menschen. Sie haben keinen eigenen Willen und führen kein eigenes Leben. Dadurch sind sie absolut zuverlässig und jederzeit für alles verfügbar, was in ihren Kapazitäten steht. Das sind Vorteile für Produzenten und Verbraucher gleichermaßen. Für die Produzenten sind virtuelle Stars deutlich profitabler und weniger risikobehaftet, als es ihre realen Gegenstücke je sein werden: sie verlangen keine Gage, altern nicht, können 24 Stunden am Tag arbeiten, sind das perfekte Starlet und werden trotzdem niemals Probleme mit "Alkohol und Drogen, aufgeblasenen Egos,

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zum Beispiel das Modell Bliss 8600 GT

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Essstörungen und Burnout" entwickeln. [Kahney, 1999] Ähnliche Vorzüge haben sie auch für die Benutzer: sie lassen sich nach Belieben ein- und ausstellen, sind immer bester Laune, verweigern sich nie dem Sexualakt, streiten sich nie mit einem und würden einen niemals verlassen. Sie leben um zu dienen, in einer Weise, in der das kein realer Mensch je tun wird. Wenn man betrachtet, dass das die Art von Frau ist, die viele Männer scheinbar suchen, wirft das ein erschreckendes Bild auf. Die Frau als gehorsames und fügsames Wesen, als Dienerin des Mannes, die ihn niemals mit negativen Gefühlen oder Gemütsäußerungen belästigt, jederzeit sexuell auf Abruf bereit steht und kein Leben außerhalb ihres männlichen Herren hat, ist schließlich genau das Frauenbild, was sich auf vielen Teilen der Welt in den letzten Jahrtausenden etabliert hat und wogegen die Emanzipation und Frauenbewegung, mit erstaunlichen Erfolgen, vehement ankämpft. Während sich dieses Bild im augenscheinlichen gesellschaftlichen Konsens durch solche Bemühungen in der westlichen Welt stark gewandelt hat, scheint es unter der Oberfläche immer noch ein großes Verlangen nach Partnerinnen und Sexualobjekten mit genau diesen antiquierten Eigenschaften zu geben. Der Mann will sich die Frau wieder untertan machen – dafür muss er sie neu erfinden. Unemanzipierte virtuelle Gefährtinnen als eine Substitution für echte Frauen, die zu viel eigenen Willen haben. Auch die meisten Beauties in Filmen, Computerspielen, oder wann immer ihnen eine Persönlichkeit zugeordnet wird, sind in alten und eher plumpen Frauenbildern gefangen. "Sie bilden ein Feld weitgehend bekannter Stereotypen, das zwischen Schulmädchen, Vamp und Kämpferin [...] abgesteckt ist." [Pritsch, 2004] Ihre erotische Ausstrahlung, die auch die toughste Söldnerin mit knappen oder engen Kleidungsstücken betont, scheint ihre maßgebliche Existenzberechtigung zu sein. Dabei wird die "Persönlichkeit auf wenige statistische Faktoren reduziert, um sie dann als anthropologische Konstanten zu repräsentieren". [ebd.] Doch was sie alle noch sehr viel zwingender verbindet, ist ihre äußerliche Erscheinung, die irgendwo zwischen "japanischen Manga-Stilen und westlichen Pin-Ups" einzuordnen ist, sehr enge Vorgaben machen, wie eine Frau auszusehen hat, um als schön zu gelten und dabei ein gänzlich irreales Bild weiblicher Proportionen vermittelt. [ebd.] Frauen mit zierlichen Körpern haben übergroße Brüste, die der Schwerkraft spottend fest und rund ist; alle haben einen Teint perfekter Gleichmäßigkeit, eine makellose Symmetrie und keinerlei Körperbehaarung; sie sehen immer sehr jung aus – niemals über 30, sehr oft wie Teenager – was gerade bei den großen Brüsten und der verbreiteten Sanduhr-Statur – die nur 8% aller echten Frauen haben33, aber fast jede virtuelle – sehr fern der Realität ist. Genauso drücken sie auch eine ethnische Norm aus, die an Stellen absurd wird, wo dunkelhäutige Frauen kaukasische Gesichter und Proportionen haben 33

http://www.independent.co.uk/news/uk/this-britain/the-shape-of-things-to-wear-scientists-identify-howwomens-figures-have-changed-in-50-years-516259.html

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und einfach nur schwarz angemalt aussehen, oder japanische Mädchen große runde Augen haben, wie sie für diese Ethnie nun mal sehr untypisch sind. Die Illusion wird perfekter, während die reale Perfektion illusorischer wird. Da kommt plastische Chirurgie mit ihren Möglichkeiten zur Body Modification doch sehr gelegen. So ist Brustvergrößerung bereits zu einem verbreiteten Standardeingriff geworden, durch den junge, schlanke Körper mit extrem großen festen Brüsten möglich werden. "Es werden in Deutschland jährlich mehr als 25.000 Brustimplantate eingesetzt. Das durchschnittliche Alter der Patientinnen sinkt von Jahr zu Jahr kontinuierlich. Die Hälfte der 2005 operierten Frauen war unter 25 Jahre, 2 % sogar unter 18 Jahre alt. Zugleich steigt das Volumen, gerade bei jüngeren, an."34 Doch im 21. Jahrhunderten werden auch exotischere Eingriffe immer gebräuchlicher, und viele davon haben etwas mit ethnischer Normierung zu tun. Bleichung ist bei dunkelhäutigen Menschen genauso im kommen, wie Augenvergrößerung bei Asiatinnen. [Frenk und Krug, 2004] Orientalische und jüdische Frauen unterziehen sich vermehrt Nasenoperationen, um dem westlichen Ideal der Stupsnase besser zu entsprechen.35 Reale Frauenkörper und -gesichter als Konstruktion männlicher Chirurgen, um dem hyperrealen, ethnisch normierten Schönheitsideal zu entsprechen, das von männlichen Graphikern in ihren digitalen Beauties realisiert und von ihren Rezipienten in der Main-Stream-Kultur etabliert wird. Es ist aber auch nicht alles so Schwarz-Weiß, wie es zunächst den Anschein erwecken mag. Mann kann Digital Beauties nämlich auch als eine Substitution realer Frauen im positiven Sinne verstehen. Dass sie nämlich Dienerrollen übernehmen, die echte Frauen gar nicht ausfüllen möchten; dass sie soziale Bedürfnisse auf eine harmlose Art befriedigen, die sonst unbefriedigt bleiben würden; dass sie Männern ohne Glück bei ihren realen Gegenstücken einen Ersatz bieten. Gerade die virtuellen Gefährtinnen bedienen eine Lücke, die irgendwie gefüllt werden muss. Eine Lücke, die darin besteht, dass viele Männer einsam sind. Ob es überhaupt möglich ist, diese Lücke für alle Menschen auf natürlichem Weg zu stillen, ist zweifelhaft. Das Phänomen der Digital Beauties lässt sich aus verschiedenen Perspektiven betrachten und ganz unterschiedlich bewerten, je nachdem, in welcher Weise man damit konfrontiert wird, welchen und wie viel Umgang man mit ihnen pflegt und wie viel Einfluss man ihnen für bestimmte Phänomene zuspricht. Besonders kritisch ist auf jeden Fall das Frauenbild zu betrachten, das sie vermitteln. Ich persönlich denke aber, dass sie nicht per se gegen die weibliche Emanzipation arbeiten und sie kontrakarieren, sondern vielmehr darin einbezogen werden sollten. Ich plädiere für eine virtuelle Emanzipation als den besten Umgang mit Digital Beauties. 34 35

http://de.wikipedia.org/wiki/Brustvergr%C3%B6%C3%9Ferung, mit Quellenangaben abgeglichen http://www.freitag.de/2004/18/04181701.php

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Meiner Meinung nach ist es ein Irrglauben, gegen die technische Entwicklung auf diesem Feld ankämpfen zu können. Doch man kann die kontraemanzipatorischen Aspekte dieser Entwicklung aufweichen. Und das sollte nach meinem Dafürhalten auf zwei Ebenen passieren. Zunächst sollte das Frauenideal, das fast ausnahmslos vermittelt wird, nicht mehr ganz alleine stehen. Es sollte alte und dicke virtuelle Frauen geben, afrikanische, indische und persische Frauen, die nicht von allen ethnischen Zügen bereinigt wurden, genauso wie Frauen mit natürlichen Proportionen, wo die Brüste nicht immer wie aufgeblasen aussehen. Und sie sollten dann auch Rollen verkörpern, bei denen nicht nur die erotische Ausstrahlung, die vornehmend auf Männer konzipiert ist, im Vordergrund steht, sondern mehr das Bild vielschichtiger, unabhängiger, emanzipierter Frauen vermittelt wird. Auf der zweiten Ebene wird das alles aber erst passieren und werden Digital Beauties erst gendergerecht sein, wenn sich Frauen als Produzenten und Konsumenten zu einer marktrelevanten Größe gemausert haben. Digitale Frauen sind fast alle auf die Phantasien von Männern zugeschnitten, weil sie fast alle von Männern für Männer erstellt und vermarktet werden. Wenn Frauen anfangen würden, mehr eigene Beauties zu erstellen, die nicht den bestehenden Konventionen entsprechen – und aus Fairnessgründen womöglich auch der ein oder andere Mann gelegentlich als Sexualobjekt stilisiert wird – und sie gleichzeitig zu regen, aber selektiven Konsumenten solcher Machwerke in ihren diversen Erscheinungsformen werden, darauf achtend, wie sehr die gezeigten Gestalten dem Frauenbild entsprechen, dass sie propagiert wissen wollen, ließe sich, so bin ich fest überzeugt, einiges von dem negativen Beigeschmack, den Digital Beauties für sensibilisierte Personen haben, beseitigen. In vieler Hinsicht sind neue Technologien und virtuelle Welten aber immer noch eine Männerdomäne.36 Es ist wahrlich nicht leicht für die Frau, sich dort ihren Platz zu erkämpfen.37 Doch junge Entwicklungen deuten daraufhin, dass sich der Trend langsam ändert.38 Gerade in sozialen Netzwerken, aber auch als Konsumenten von Spielen und Videos, holen Frauen der jungen Generation kräftig auf.39 Sogar Cybersex wird für Frauen attraktiver.40 Das entscheidende ist, sich nicht den Regeln anzupassen, die von der digitalen Männerkultur vorgegeben wurden, sondern sie zu hinterfragen und zu durchbrechen. Und eine gemeinsame virtuelle Kultur zu erschaffen, die auch vor Digital Beauties nicht halt macht. Es wird Zeit für die virtuelle Gleichberechtigung! 36

http://www.heise.de/newsticker/meldung/Das-Internet-ist-weiter-eine-Maennerdomaene-81845.html http://www.handelsblatt.com/technologie/it-internet/interaktives-spielen-bleibt-maennerdomaene;946915 37 http://www.fh-kiel.de/fileadmin/data/technologietransfer/institut_frauenforschung/Tagungen/3Carstensen.pdf 38 http://www.www-kurs.de/www-frauen.htm, http://www.frauen-ans-netz.de/ 39 http://www.pcgameshardware.de/aid,689823/Wenn-Frauen-spielen-Gleichberechtigung-in-der-virtuellenWelt/Spiele/News/ 40 http://archiv.woxx.lu/550-599/560-569/568/568p4p5web.pdf

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